Hans Dominik
Wunder des Schmelztiegels
Hans Dominik

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Das Porzellan heute

Die beiden Männer, die sich in den ersten Jahren des achtzehnten Jahrhunderts um das europäische Porzellan bemühen, der Freiherr von Tschirnhausen und Johann Friedrich Böttger, sind mehr Alchimisten als Chemiker. Alle Mittel, über welche die chemische Wissenschaft zweihundert Jahre später verfügen wird, fehlen ihnen. Weder die qualitative noch gar die quantitative Analyse beherrschen sie. Rein empirisch müssen sie vorgehen, und lange Jahre hindurch laufen sie dabei in die Irre, bis ein glücklicher Zufall Johann Friedrich Böttger nach vielen hundert mißlungenen Versuchen eine brauchbare Lösung finden läßt. Im zwanzigsten Jahrhundert sehen die Dinge anders aus. Da vermag die Chemie jeden beliebigen Scherben auf Bruchteile eines Prozentes genau zu analysieren, das Verhalten seiner Bestandteile vor, während und nach einem Brande sicher zu ergründen und nach der so gewonnenen Erkenntnis die besten Massemischungen für neue Porzellane zusammenzusetzen.

Als einen Glasmacher bezeichnet sich Tschirnhausen, einen Töpfer nennt sich Böttger; doch weder Glas noch reine Töpferware ist das Porzellan; als ein Mittelding muß es aufgefaßt werden, das von beiden etwas hat. Die chemisch reine Tonerde, das Aluminiumoxyd, Al2O3 – nicht zu verwechseln mit dem natürlich vorkommenden Kaolin – bildet einen Bestandteil des Porzellans, glasbildende Stoffe wie Quarz und Feldspat liefern den anderen Bestandteil. Die Tonerde, in der Ofenhitze unschmelzbar und unempfindlich gegen Temperaturschwankungen und auch widerstandsfähig gegen mechanische Beanspruchungen, verleiht dem Porzellan seine Festigkeit. Die glasbildenden Bestandteile, unentbehrlich für das Zustandekommen einer durchscheinenden klingenden Scherbe, bringen auch eine gewisse Empfindlichkeit gegen Stoß und Temperaturschwankungen mit sich. Als edelstes und für den Gebrauch bestes Porzellan wird daher dasjenige anzusprechen sein, welches den höchsten Tonerde- und den geringsten Quarzgehalt aufweist.

Nach der heutigen Auffassung sind die chemischen Vorgänge beim Garbrennen des Porzellans noch etwas verwickelter, als Böttger und seine nächsten Nachfolger sie sich vorstellten. Es entsteht aus Feldspat, Kaolin und Quarz eine glasige Grundmasse, in der sich der überschüssige Quarz auflöst, worauf in der Masse eine starke Bildung winziger und miteinander verfilzter Kristalle von Mullit eintritt, einem Aluminiumsilikat, das mehr Tonerde enthält als der Kaolin. Diese Mullitkristalle bestimmen zusammen mit der glasigen Grundmasse die Eigenschaften des gebrannten Porzellans in erster Linie. Wird der überschüssige Quarz nicht völlig in der glasigen Grundmasse aufgelöst, so beeinflußt das die Festigkeit des Scherben ungünstig. Das derartig zusammengesetzte Porzellan ist also kein bloßes Feldspatglas, sondern enthält mehr Tonerde und Kieselsäure als letzteres.

Wie es damit bei den Porzellanen verschiedener Herkunft steht, erhellt aus den nachstehenden Tabellen, welche den unter dem Titel »Die blauen Schwerter« erschienenen Veröffentlichungen der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meißen entnommen sind. Die Tabelle I gibt den Anteil der Rohstoffe für vier verschiedene Porzellane, die Tabelle II die chemischen Analysen für fünf Porzellane. Eindeutig geht aus ihnen hervor, daß die Meißner Porzellane den höchsten Prozentsatz an chemisch reiner Tonerde aufweisen, während die glasartigen Flußmittel auf das unbedingt Notwendige beschränkt sind.

Tabelle I

Porzellanarten Tonsubstanz (Kaolin) Glasbildende Bestandteile
  Quarz Feldspat
  % % %
Ostasiatisches Porzellan 25–35 41–45 20–35
Thüringer Figurenporzellan 40 32 28
Bayrisches Geschirrporzellan 55 22,5 22,5
Meißner Hartporzellan 66–67 8–9 25–26

 

Tabelle II

Porzellanarten Al2O3
chemisch reine Tonerde
SiO2
(Kieselreinesäure)
  % %
Japanisches Porzellan 16,0 74,5
Chinesisches Porzellan 20,7 70,5
Böhm. bzw. Bayr. Porzellan 23,4 71,5
Franz. Porzellan (Limoges) 24,0 70,2
Meißner Porzellan 35,1 58,5

Folgerichtig sind die Nachfolger Böttgers hier in der einmal gewiesenen Richtung weitergegangen und haben ein keramisches Erzeugnis geschaffen, das sich durch eine besondere Widerstandsfähigkeit gegen Stoß, Temperaturschwankungen und ein Zerkratzen durch Messer u. dgl. auszeichnet. Besonders klar wird diese Entwicklung, wenn man die in den vorstehenden Tabellen für das Meißner Porzellan gegebenen Werte mit denjenigen für das japanische oder chinesische Porzellan vergleicht.

 


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