Hans Dominik
Wunder des Schmelztiegels
Hans Dominik

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Der Freiherr von Tschirnhausen

Zu den Freunden des Statthalters gehört Freiherr Ehrenfried Walter von Tschirnhausen, ein Mann, der weit über die Grenzen Sachsens hinaus als Mathematiker und Naturforscher bekannt und berühmt ist. Er beherrscht die erst kürzlich von dem Engländer Newton und dem Deutschen Leibniz entwickelte Infinitesimalrechnung und liefert wertvolle Beiträge zu ihr, so daß sein Name noch ein Vierteljahrtausend später in den Lehrbüchern der höheren Analysis genannt wird. Als Physiker hat er die Herstellung großer Brennspiegel und Linsen zu einer früher nicht gekannten Höhe entwickelt und die Errichtung einer großen Spiegelschleifmühle veranlaßt, deren Erzeugnisse recht ansehnliche Summen nach Sachsen bringen. Auch andere Manufakturen, unter anderem drei Glashütten, hat er ins Leben gerufen, die gute Erträgnisse abwerfen. Kein Wunder deshalb, daß er bei dem ewig geldbedürftigen König in voller Gunst steht.

Dieser Freiherr von Tschirnhausen, gleichzeitig ein glänzender Hofkavalier, hervorragender Wissenschaftler und erfolgreicher Förderer des heimischen Gewerbes, betreibt aber auch alchimistische Studien. Jene gewaltigen Brennspiegel, die heute noch im Kunstkabinett zu Dresden aufbewahrt werden, hat er in erster Linie hergestellt, um sich eine vollkommen reine Hitzequelle zu schaffen: einen Sonnenherd gewissermaßen, der die für die alchimistischen Versuche erforderliche Glut frei von allen Verunreinigungen durch ein Kohlenfeuer liefert; in der Tat sind die Leistungen dieser Hohlspiegel, die zwei Meter und mehr im Durchmesser halten, erstaunlich. Eisen und Kupfer schmelzen in ihrem Brennpunkt in wenigen Sekunden. Gestein aller Art und feuerfeste Tonscherben geraten unter dem Einfluß der konzentrierten Sonnenstrahlung in Fluß. Holz wird auch unter Wasser durch sie sofort in Kohle verwandelt. Gegenüber dem althergebrachten Herdfeuer stellen die Spiegel und Linsen des Freiherrn von Tschirnhausen also einen wesentlichen Fortschritt dar. Auch wenn ihr Hersteller nichts weiter geleistet hätte, würden sie ein unbestreitbares Zeugnis für seine technischen Fähigkeiten ablegen. Und trotz alledem gibt der Freiherr sich alchimistischen Spekulationen und Experimenten hin.

Um das zu verstehen, muß man sich den damaligen Stand der Naturwissenschaften vergegenwärtigen. Die Alchimie ist ja die Mutter der Chemie, und ganz allmählich wird die letztere aus der ersteren hervorgehen. In den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts, in welche die Arbeiten von Tschirnhausen fallen, herrscht noch die Alchimie: eine Summe verworrener und von abergläubischen Vorstellungen durchsetzter Erkenntnisse, die man kaum eine Wissenschaft nennen kann. Das Ende des gleichen Jahrhunderts wird eine bereits genau rechnende, messende und wägende Chemie bringen und eine Erforschung der chemischen Aktionen und Reaktionen zeitigen, die man zu seinem Beginn nicht ahnen konnte.

Alchimie . . . der arabische Artikel Al, der in dem Wort steckt, verrät die Herkunft dieser schwarzen Kunst. Durch arabische Gelehrte ist sie über Spanien nach Europa gekommen und hier für Jahrhunderte in den Bann mittelalterlicher Scholastik gefallen. Die Araber haben experimentiert und bei solcher Gelegenheit unter manchem anderen den Alkohol gefunden, dessen Name noch den maurischen Ursprung erkennen läßt; die europäischen Alchimisten dagegen philosophieren in der Hauptsache, suchen alles mit den Schriften des Aristoteles in Einklang zu bringen und geheimnissen Dinge und Wunder in die Natur hinein, die in ihr nicht vorhanden sind. Solchem von jedem wissenschaftlichen Forschen weit entfernten Vorgehen entspricht auch die Lehre von der Multiplikation und der Transmutation der Metalle, die bis weit in das 18. Jahrhundert hinein das heiß umworbene Ziel aller Alchimie und Chemie bleibt.

Die Multiplikation, Vervielfältigung auf deutsch! Man kann ein Stückchen Gold vermehren, auf ein Vielfaches seines Gewichtes bringen, sofern man es nur im Tiegel in die richtige Schmelze legt. Transmutation oder Umwandlung! Man braucht überhaupt kein Gold dafür, wenn man den im Tiegel geschmolzenen unedlen Stoffen nur wenige Tropfen einer geheimnisvollen Tinktur zusetzt, die unter vielen Namen auftritt, bald roter Leu, bald grüne Schlange, bald auch Stein der Weisen genannt wird. Ein Weniges von ihr soll genügen, um den ganzen Tiegelinhalt in schieres Gold zu verwandeln. Mit hundert Sätzen aus dem Aristoteles und anderen Klassikern ist diese Theorie untermauert. Als reinste und höchste Wissenschaft gilt sie das ganze Mittelalter hindurch. Kaum einen organischen oder anorganischen Stoff gibt es, den die Alchimisten jener Jahrhunderte nicht in ihren Tiegeln dem Feuer ausgesetzt haben, immer von der Hoffnung getragen, endlich hinter das große Geheimnis zu kommen.

Sudeln nennen das die Gegner der schwarzen Kunst. Gold kommt dabei auch nicht zustande; aber manches andere wird nebenher gefunden. Das Schießpulver beispielsweise, als der schwarze Mönch Berthold in Freiburg Kohle, Salpeter und Schwefel in einem Tiegel erhitzt. Das kostbare Rubinglas, als Johann Kunckel, der Alchimist des Großen Kurfürsten, in einem feurigen Schmelzfluß Gold multiplizieren will. Eben derselbe Kunckel geht nach dem Tode des brandenburgischen Kurfürsten nach Schweden, wird dort königlicher Bergrat, wird als Kunckel von Löwenstern geadelt, leistet Beachtliches für den schwedischen Bergbau und liefert damit den Beweis, daß unter den Alchimisten doch auch recht gescheite Leute gewesen sind. In ihrer Mehrzahl sind es im 17. und 18. Jahrhundert Suchende, und wo sie fehlgehen, darf zu ihrer Entschuldigung gesagt werden, daß sie Opfer eines Irrtums geworden sind. Das Urteil des 19. Jahrhunderts, das sie in Bausch und Bogen als Narren oder bewußte Betrüger abtut, ist zweifellos viel zu hart. Auch der Freiherr von Tschirnhausen ist ein ernstlich Strebender, und Johann Friedrich Böttger wird es unter seiner Führung ebenfalls werden.

Die Alchimisten sind doch Betrüger gewesen! Wie hätten sie sonst Gold aus ihren Tiegeln ziehen können?, behauptet die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts. In der Tat sind so zahlreiche und durch gute Zeugnisse belegte Berichte von gelungenen Tingierungen vorhanden, daß sich die Tatsache kaum bezweifeln läßt; Alchimisten, und unter ihnen auch Johann Friedrich Böttger, haben in ihren Schmelzflüssen zu wiederholten Malen Gold gefunden; doch sie brauchen deshalb noch nicht Betrüger zu sein; denn sie wissen ja selbst nicht, was alles sie in ihre Tiegel hineingepackt haben. Da mag manches Gramm Gold in den Salzen stecken, die sie ihrer Mischung als Schmelzmittel beigeben. Gerade die braunen, violetten oder roten Erden, die sie ihrer Mischung beifügen, um gewissen alchimistischen Farbenspekulationen zu genügen, können Gold in erheblichen Mengen enthalten.

So beweisen diese gelungenen Tingierungen nichts für die Alchimie, aber auch nichts gegen die Alchimisten.

»Ich habe es erlangt« heißt auf lateinisch: »adeptus sum«. Adepten nennen sich daher diejenigen unter den Alchimisten, die da glauben, das große Geheimnis erlangt zu haben, alle diejenigen, denen Tingierungen gelungen sind. Färben bedeutet das lateinische Wort »tingere«. Auf die Umfärbung bezieht es sich, die im Tiegel vor sich geht, wenn weißes Silber oder graues Blei sich in gelbes Gold wandelt. Für Meister der großen Kunst werden diejenigen erachtet, die solche Verwandlung der Metalle vollbracht haben. Schnell wird ihr Name bei all denjenigen bekannt, welche dem gleichen Ziele zustreben, und so hat der Freiherr von Tschirnhausen schon von dem Berliner Goldmacherjungen vor dessen Flucht gehört. Als er nun erfährt, daß der Gast des Statthalters in Dresden weilt, hegt er den Wunsch, ihn kennenzulernen, und unter fast dramatischen Umständen findet die Bekanntschaft statt.

Als der Freiherr zum Fürsten Egon von Fürstenberg kommt, trifft er dort einen jungen Menschen, der ihm als ein Student der Physik und als Verwandter des Fürsten vorgestellt wird.

In Gegenwart des Statthalters entspinnt sich ein Gespräch zwischen dem Studenten und dem um dreißig Jahre älteren Tschirnhausen. Konventionell beginnt es, doch schnell wird es lebhafter; denn mit einer überraschenden Treffsicherheit gibt der Student auf Fragen von Tschirnhausen, welche alchimistische Dinge betreffen, Antwort. Nur noch als stummer Zuhörer sitzt der Statthalter dabei, während zwischen den beiden anderen Rede und Gegenrede hin- und herfliegen. Um wenigstens etwas zur Unterhaltung beizutragen, läßt er Wein bringen und füllt selbst die Gläser.

Auch über den Adepten aus Berlin und seine Tingierungen weiß der Student Bescheid. Immer lebendiger wird die Unterhaltung, und so sehr begeistert sich Tschirnhausen dabei für den Berliner Goldmacher, daß er schließlich einen Trinkspruch auf ihn ausbringt und daraufhin mit dem Studenten anstoßen will. Aber da zögert der und wird befangen. So offenkundig wird seine Verlegenheit endlich, daß der Statthalter es für richtig hält, einzugreifen.

»Verzeihen Sie die Täuschung, Baron Tschirnhausen«, beginnt er, »ich wollte, daß Sie erst inkognito . . .«; er stockt, um die richtigen Worte zu finden.

»Wie meinen Euer Durchlaucht?« fragt Tschirnhausen.

Der Statthalter deutet auf den Studenten: »Herr Friedrich Böttger sitzt vor Ihnen, Baron!« sagt er, des weiteren Versteckenspielens müde.

Lange Sekunden hindurch schaut Tschirnhausen den Adepten schweigend an; dann springt er auf und schließt ihn in die Arme. Eine Freundschaft wird in diesem Augenblick geschlossen, die ungetrübt bis zum Tode des Aelteren andauern und schöne Früchte tragen wird.

In den folgenden Tagen und Wochen werden die neuesten Errungenschaften in der chymischen Wissenschaft nach dem Stande von 1702 von den beiden erörtert. Die alte Theorie des Aristoteles, derzufolge die Welt aus den vier Elementen Luft, Feuer, Erde und Wasser besteht, ist ins Wanken geraten. An ihre Stelle sind Schwefel, Quecksilber und Salz als neue »Prinzipien« getreten. Schwefel als das brennbare Prinzip, Quecksilber als das flüchtige und Salz als das feste Prinzip. Es sind drei Bausteine der neuen chymistischen Welt. Doch man möchte die alte Vierzahl retten, und dazu scheint das geheimnisvolle Phlogiston das Mittel zu sein, mit dem man jetzt . . . es wird noch siebzig Jahre dauern, bevor der deutsche Chemiker Karl Wilhelm Scheele den Sauerstoff entdeckt . . . alle Verbrennungsvorgänge zu erklären versucht. Nach der Phlogistontheorie besteht beispielsweise das metallische Blei aus Bleikalk und Phlogiston. In der Hitze wird das Phlogiston ausgetrieben, und Bleikalk bleibt zurück. Allerdings ist der Bleikalk gewichtiger als das metallische Blei; doch dieser Schwierigkeit wird man durch die kühne Hypothese Herr, daß das Phlogiston ein negatives Gewicht hat. Dafür scheint ja auch der Umstand zu sprechen, daß der Rauch eines Feuers, in dem doch offenbar Phlogiston enthalten sein muß, nach oben steigt; daß er also nicht der Anziehungskraft der Erde unterliegt, dem die Stoffe sonst unterworfen sind.

Ist das Phlogiston nun wirklich der gesuchte vierte Stoff oder nicht? Darüber gehen die Meinungen von Tschirnhausen und Böttger auseinander. Tschirnhausen ist dafür, Böttger dagegen. Er spricht von einem womöglich noch geheimeren Urstoff, den er lateinisch das »esse« nennt und der das eigentliche »Seiende« aller Substanz darstellen soll. Das Esse ist ein reines Phantasieerzeugnis und womöglich noch ein gut Teil nebelhafter als das Phlogiston. Bezeichnend für die ganze Wesensart Böttgers ist es indes, daß er sich nicht darauf beschränkt, derartigen philosophischen Spekulationen nachzugehen, sondern auch versucht, wirklich zu erweisen und zu schaffen, was er im Gedankenspiel erschaut hat. Der schwankenden Hypothese läßt er alsbald das Experiment folgen, das allein den Beweis für ihre Stichhaltigkeit erbringen kann.

Die physikalischen Mittel dafür werden ihm nach der Bekanntschaft mit Tschirnhausen geboten. Der Freiherr veranlaßt es, daß ihm im Schloß zu Dresden eine Zimmerflucht eingeräumt wird, und stellt ihm für die Versuche, die nun beginnen, seine großen Brennspiegel zur Verfügung. Schon diese Tatsache spricht für das vertraute Verhältnis zwischen Böttger und Tschirnhausen, der sonst recht eifersüchtig auf seine Erfindung ist. Er sieht sie nicht gern »in anderer Leute Hände, weil sie ihm dadurch leicht hinter einige Wissenschaft kommen könnten«.

Der junge Adept aber darf sie benutzen, und häufig experimentieren die beiden gemeinsam, wobei es denn zu langatmigen theoretischen Erörterungen und Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen kommt.

Da flimmern im Lichtstrahl des Spiegels unzählige Sonnenstäubchen. Wenn es gelingt, sie zum Brennpunkt hinzutreiben und dort zu verschmelzen, dann muß man, so denkt Böttger, aus ihnen das »esse« gewinnen können. Jenes esse, von dem er schon wieder Gedankenbrücken zum roten Leu und zur grünen Schlange schlägt; denn all sein Planen und Tun gilt ausschließlich der Alchimie. Gold will er machen, das die polnische Majestät in Warschau unablässig durch eigenhändige Briefe und Eilboten von ihm fordert. Reine Alchimie betreiben sie zunächst zusammen, Freiherr von Tschirnhausen, der Gelehrte von europäischem Ruf, und der Flüchtling aus Berlin.

Daß es mit den Sonnenstäubchen nicht geht, ist bald festgestellt. Was von denen in den Brennpunkt des mächtigen Spiegels gerät, ist im Augenblick verpufft und spurlos verschwunden. So greifen sie zu handfesteren Dingen, zu den Metallen, zum Schwefel und zu manchen anderen Stoffen noch und bringen sie in den heißen Strahl. Ein wundervolles Gerät für solche Experimente ist der Spiegel. In einem winzigen Schälchen aus feuerfestem Ton, das man dicht unter seinen Brennpunkt schiebt, entwickeln sich ja Hitzegrade, die weit über die Glut jedes Kohlenfeuers hinausgehen. Alle Substanzen, die man in solches Schälchen bringt, geraten in Fluß und gehen Verbindungen ein.

Ja, tun sie das denn wirklich? Die Erscheinungen, welche die beiden Alchimisten dabei beobachten, können verschieden gedeutet werden, und verschieden sind auch die Deutungen, welche Tschirnhausen und Böttger ihnen geben. Tschirnhausen sieht in der Glut seiner Spiegel eine Kraft, die alle Körper in ihre Bestandteile aufzulösen vermag. Böttger behauptet, daß die Körper durch den Schmelzvorgang »destruiert« würden, daß sie nicht in ihrem esse blieben. Reichlich verworren und einander widersprechend scheinen die Ansichten der Streitenden zu sein, und doch haben beide im Grunde recht. In der Tat bewirkt die extreme Temperatur im Spiegelbrennpunkt neue Verbindungen, aber sie zerreißt auch bestehende, sobald die Hitze über einen gewissen Grad steigt. Für das Wissen um chemische Vorgänge, über das Tschirnhausen und Böttger verfügen, ist der große Spiegel eigentlich ein zu stark wirkendes Gerät, bisweilen mehr geeignet, die Erscheinungen zu vernebeln, als sie zu klären.

So bleiben alle Schmelzversuche mit Metallen fruchtlos, und enttäuscht ziehen sich die Experimentatoren wieder auf die Theorie zurück. Eine sehr große Rolle spielen die Farben in der Alchimie. Von einem grundlegenden Einfluß auf das Endergebnis soll die Färbung der Stoffe sein, die man im Tiegel zusammenschmilzt, und solche farbigen schmelzbaren Stoffe bietet die Natur in reicher Fülle in Form von bunten Erden. Es gibt da beispielsweise nicht nur weiße, sondern auch gelbe, rote, bläuliche, ja, fast grüne Tonarten. Vielleicht, so geht die Spekulation der beiden Alchimisten weiter, könnte in solchen Erden der rote Leu oder die grüne Schlange verborgen sein, und man müßte dann nur das richtige Rezept finden, um sie herauszuholen. Gelingt das aber, dann ist man endlich auf dem richtigen Wege, dann wird man auch Gold machen können.

Doch zahllose Versuche werden dazu nötig sein, und immer noch mit Rat und Tat von Tschirnhausen unterstützt, geht Böttger an diese Aufgabe. Boten werden ausgesandt, die im ganzen Kurfürstentum Sachsen nach besonders augenfällig gefärbten Erdarten suchen und Proben davon nach Dresden bringen müssen; denn Böttger bleibt nach wie vor in Haft. Nur kurze Spaziergänge unter Begleitung einer Wache sind ihm im Schloßgarten gestattet. Viele Stunden des Tages steckt er in seinem Laboratorium im Schloß und stellt aus den bunten Erden, die ihm gebracht werden, eine Schmelze nach der anderen her.

Berater und Helfer bleibt ihm nach wie vor Tschirnhausen bei diesen Arbeiten. Oft kommt der Freiherr noch in später Nachtstunde nach einem glänzenden Fest beim Statthalter zu Böttger und tingiert und laboriert mit ihm am Herdfeuer bis in den grauenden Morgen. Nützlich und lehrreich ist diese gemeinsame Arbeit für den jungen Adepten; doch verhängnisvoll könnte sie sich vielleicht auch für seinen weiteren Werdegang erweisen; denn soweit die Arbeiten des Freiherrn nicht nur der Goldmacherei gelten, soweit sie auf praktische und wirtschaftliche Ziele gerichtet sind, haben sie in erster Linie das Glas zum Gegenstand. Glashütten hat er errichtet; aus dem Glase, das in ihnen gefertigt wurde, hat er seine großen Spiegel schleifen lassen, und immer feinere und kostbarere Gläser läßt er in seinen Hütten erschmelzen. Die Erzeugnisse der Glasindustrie aber sind grundsätzlich von denjenigen der keramischen Industrie verschieden. Etwas ganz anderes als der gläserne Fluß ist die feuerfeste keramische Scherbe. Derjenige, der vom Schicksal dazu ausersehen ist, das edelste Erzeugnis der Keramik, das Porzellan, zu schaffen, darf den schimmernden Lockungen der gläsernen Flüsse nicht folgen; denn immer weiter würde er sich dabei von seinem wahren Ziel entfernen.

Die Gefahr ist groß; denn alle Goldmacherei läuft ja schließlich auf Schmelzerei, auf die Erzeugung irgendwelcher feuriger Flüsse hinaus. Von der Alchimie hat Tschirnhausen den Weg zur Glasindustrie eingeschlagen. Das unsterbliche Verdienst Böttgers bleibt es, daß er dem Einfluß des so viel älteren und erfahreneren Freundes nicht unterliegt, sondern von einer bestimmten Zeit an zielbewußt den anderen Weg verfolgt, der vom Herdfeuer des Adepten zur Keramik führt. Das wird der Zeitpunkt sein, an dem der Schüler über seinen Lehrmeister hinauswächst. Doch als Johann Friedrich Böttger auf diesem Wege die ersten Früchte erntet, schließt der Freiherr von Tschirnhausen die müden Augen für immer.

 


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