Hans Dominik
Wunder des Schmelztiegels
Hans Dominik

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Gefangen

Herr Professor Kirchmaier hat seinen Gast in ein Gespräch gezogen, das nicht recht vom Fleck kommen will, weil die beiden, die es führen, verschiedene Ziele verfolgen. Ueber die besten Dozenten der Heilkunde an der Universität Wittenberg möchte der künftige Medizinstudent sich informieren, während Professor Kirchmaier immer wieder in die Alchimie abschweift. Ihre Unterhaltung wird durch den Famulus des Professors unterbrochen, der einen hohen Besuch anmeldet. Es ist der Kreisamtmann selbst, der gleich darauf in das Zimmer tritt, Kirchmaier als alten Bekannten begrüßt und sich dann an Böttger wendet. Fast wie mit einem Gleichgestellten spricht er mit dem jungen Menschen. So höflich und gemessen setzt er seine Worte, daß der Professor verwundert aufhorcht, und zu seinem Erstaunen muß er weiter vernehmen, daß der Amtmann den Studenten ersucht, Wohnung im kurfürstlichen Schlosse zu Wittenberg zu nehmen. Auch Böttger ist über die Einladung verblüfft; doch es bleibt ihm nichts anderes übrig, als ihr nachzukommen.

Mit gemischten Gefühlen sieht Professor Kirchmaier ihn gehen. Zweifellos widerfährt seinem Gast durch die Einladung eine große Ehre. Solange Kirchmaier zurückdenken kann, ist es noch nicht geschehen, daß einem Studierenden der Universität Wohnung im Schloß geboten wurde. Auch andere Gedanken stürmen auf den Professor ein. Was für eine gewichtige Persönlichkeit muß dieser junge Adept sein? Was für Vorteile muß sich die Regierung des Landes davon versprechen, wenn sie sich derart um ihn bemüht? Während Professor Kirchmaier sich noch solchen Ueberlegungen hingibt, kommen schon andere Boten vom Kreisamt. Sie haben den Auftrag, das alchimistische Gerät Böttgers und seine Chemikalien sorgfältig einzupacken, zu versiegeln und ebenfalls auf das Schloß zu bringen. Der Professor ahnt, daß er seinen jungen Freund so bald nicht wiedersehen wird.

Veranlaßt wurde dieser Besuch des Kreisamtmannes durch die Instruktionen, die der Eilbote aus Dresden gebracht hat. In wenigen Worten zusammengefaßt, lauten sie: Den pp. Böttger nicht ausliefern! Ihn in sichere Verwahrung nehmen, aber mit größter Zuvorkommenheit behandeln! Durch jene Einladung in das Schloß glaubt der Amtmann, ihnen am besten zu entsprechen.

Böttger hat schnell begriffen, daß die Gastfreundschaft, die man ihm bietet, letzten Endes doch nichts anderes als eine Haft ist, und gleich beim ersten Besuch des Kreisamtmannes schüttet er diesem sein Herz aus. In voller Offenheit erklärt er dem sächsischen Beamten, daß Preußen ihn nur seiner Adeptenwissenschaft halber zurückhaben wolle; irgendetwas Gesetzwidriges habe er nicht begangen. Energisch verwahrt er sich gegen eine Auslieferung dorthin; denn erstens sei er in Wittenberg als Student eingeschrieben, und zweitens, aus Schleiz gebürtig, kein preußischer Untertan. Auf diesen Protest hin geht noch am gleichen Tage ein zweiter Eilbote nach Dresden ab, während man den immer dringlicher werdenden preußischen Leutnant weiter vertröstet.

In Dresden führt der Fürst zu Fürstenberg als Statthalter die Regierung, während August der Starke in Warschau residiert. Erst spät am Abend kehrt der Fürst von der Jagd zurück und ruft, als ihm die Angelegenheit vorgelegt wird, noch in der gleichen Nacht den Kanzler, den Präsidenten des Geheimen Kriegsrates und die Minister zusammen. Sie sind sich ausnahmslos darüber einig, daß man einen Goldmacher auf keinen Fall so leichten Kaufes verloren geben darf; andererseits aber erfordern es die politischen Verhältnisse, dem preußischen König nach Möglichkeit gefällig zu sein und alle Verstimmungen zu vermeiden. Bei dieser Sachlage wagt man es nicht, die Entscheidung auf die eigene Kappe zu nehmen.

Wieder geht ein Eilbote ab; dieses Mal von Dresden nach Warschau, um die Entscheidung des Königs von Polen selbst einzuholen. Ein zweiter wird mit Instruktionen nach Wittenberg gesandt, und dort wirken sie sich sofort aus.

Hatte man Böttger bisher im ersten Stockwerk des Schlosses Wohnung gegeben, so bringt man ihn jetzt im vierten Stock unter in Räumen, von denen ein Verkehr mit benachbarten Fenstern unmöglich ist. Ferner löst man seine bisherige Umgebung ab und gibt ihm zur Bewachung polnische Offiziere, die kein Wort Deutsch verstehen. –

Triftige Gründe für solche Maßnahmen sind vorhanden; denn von Preußen aus versucht man es jetzt auf jede Weise, sich des Adepten zu bemächtigen. König Friedrich schickt Beschwerden über die feindselige Haltung der sächsischen Behörden nach Wittenberg und Dresden. Der Leutnant Menzel droht mit sofortiger Anwendung von Gewalt. Dann wieder kommen Boten von Berlin mit der Nachricht, daß man Böttger, dessen Auslieferung als Mörder und Giftmischer man noch eben verlangt hat, freilassen möge, da sich seine vollkommene Unschuld erwiesen habe. Zur gleichen Zeit versucht man preußischerseits Wittenberger Beamte zu bestechen und sendet einen Vetter Böttgers aus, der sich bemüht, mit dem Gefangenen in Verbindung zu treten und eine Flucht zu verabreden. Unter diesen Umständen ergeht aus Warschau der Befehl, Böttger sofort nach Dresden zu schaffen und ihn dort mit »sattsamer Freiheit« in sicheren Gewahrsam zu bringen. Seine alchimistischen Erzeugnisse und Schriften aber sollen umgehend nach Warschau gesandt werden.

Unter größten Vorsichtsmaßregeln wird die königliche Order ausgeführt. Noch tagelang, während Böttger längst auf dem Wege nach Dresden ist, werden Speisen und Getränke in das Wittenberger Schloß geliefert, um den Anschein zu erwecken, als ob er noch dort weile. Der Transport erfolgt wieder durch polnische Offiziere, die überdies noch während der Reise mehrfach gewechselt werden. Größte Vorsicht wird auch beim Versenden seiner Manuskripte, Tiegel und Pulver geübt. Man verpackt die einzelnen Stücke auf das sorgfältigste und läßt für das Fläschchen mit der Tinktur eigens eine Büchse drechseln, in die es genau hineinpaßt.

In Dresden wird Böttger in nächster Nähe des Statthalters im kurfürstlichen Schlosse untergebracht. Man gewährt ihm eine fast üppig zu nennende Verpflegung und gibt ihm zur Unterhaltung und Beobachtung auch mehrere hochgestellte Herren bei, nachdem man sie in Gegenwart des Kanzlers auf ewige Verschwiegenheit vereidigt hat.

Es ist tatsächlich ein goldener Käfig, in dem Zorns Goldmacherjunge jetzt lebt. Eine Reihe schöner geräumiger Gemächer, zu denen auch ein Kapellzimmer für seine privaten Andachten gehört, stehen zu seiner Verfügung. Auch in einem Teil des an das Schloß stoßenden Gartens kann er sich nach Belieben ergehen. Wein wird ihm nach seinem Belieben geliefert, und wie es die Aufzeichnungen in den Akten dartun, hat der junge Adept mit seiner Umgebung recht ausgiebig gezecht, vielleicht, um sich zu neuem Schaffen anzuregen, vielleicht, um die immer drohenderen Sorgen zu vertreiben. Denn Gold soll er jetzt auch dem geldbedürftigen König von Polen liefern. Gold ist in Dresden ebenso die Parole wie vordem in Berlin. –

Der König August in Warschau will sich persönlich von der Kunst des Goldmacherjungen überzeugen. Auf Veranlassung des Statthalters verfaßt Böttger eine sehr ausführliche Anweisung, wie das Tingieren vorzunehmen sei. Besonders bemerkenswert ist darin die Vorschrift, daß der Versuch nicht nur mit peinlichster Sorgfalt, sondern auch mit der gehörigen Gottesfurcht gemacht werden müsse, falls er gelingen solle. Durch diese letztere Forderung hält sich der Adept eine Hintertür für den Fall des Mißlingens offen. Findet sich kein Gold im Tiegel, so hat es eben an der nötigen Frömmigkeit gefehlt.

Mit dieser Anweisung, den erforderlichen Geräten und der kostbaren Tinktur begibt sich der Statthalter nach Warschau. Mit größter Geheimhaltung wird hier der Versuch gemacht. Niemand aus der Umgebung des Königs darf dabei zugegen sein. Der König und der Statthalter befinden sich allein in dem verschlossenen Raum, in dem ein Feuer brennt und der Tiegel bereitsteht. Nur ein lebendiges Wesen darf ihnen Gesellschaft leisten, der Lieblingshund des Königs, von dem er keinen Verrat befürchtet. Der Hund aber erspäht das gedrechselte Büchschen mit der Tinktur, hält es für ein geeignetes Spielzeug, bekommt es zwischen die Pfoten und zerbricht das Fläschchen. Der kostbare Inhalt ergießt sich über den Fußboden; der erste Versuch ist damit vereitelt.

Glücklicherweise besitzt Böttger noch einen kleinen Rest der Tinktur, der nun ebenfalls nach Warschau geschickt wird, und ein zweites Experiment wird vorgenommen. Stunden hindurch arbeiten der König und der Fürst Fürstenberg nach den Vorschriften des Adepten; doch der erhoffte Erfolg bleibt aus. Keine Spur von Gold findet sich im Tiegel. Es ist kein Wunder, daß Seine Polnische Majestät darüber höchlichst schockiert ist und dem Gefangenen in Dresden ihr Mißfallen deutlich zum Ausdruck bringt. »Zumal er kurz vorher das Heilige Abendmahl genommen und sich bei der Arbeit nur den allerfrömmsten Gedanken hingegeben hätte«, läßt er ihm schreiben. Der Stern Böttgers ist nach diesem Mißerfolg offenbar im Sinken, wenn er auch das Schlimmste durch jene Forderungen religiöser Art, die er seiner Vorschrift einfügte, noch vermieden hat.

Unerschüttert bleibt indes die Hoffnung des Königs, daß es dem Berliner Adepten über kurz oder lang doch noch gelingen wird, aus unedlen Metallen Gold zu machen, und die Urteile Sachverständiger, von denen an erster Stelle der Freiherr von Tschirnhausen genannt werden muß, bestärken ihn in dieser Meinung. Die polnische Majestät denkt nicht im entferntesten daran, Böttger nach diesen ersten Mißerfolgen etwa laufen zu lassen. Das Gegenteil ist der Fall.

Enger als zuvor werden jetzt die Gitterstäbe seines Käfigs gestellt. Während man auf der einen Seite bestrebt ist, ihn bei guter Laune und Schaffenslust zu halten, werden ihm andererseits manche kleinen Freiheiten entzogen. Nach wie vor ist seine Verpflegung mehr als reichlich, ja, teilweise üppig; doch der Schloßpark, in dem er sich bisher frei ergehen konnte, steht nun auch unter ständiger Bewachung. In reichem Maße werden ihm Gelder für seine Versuche bewilligt. Bergleute aus Freiberg werden auf seinen Wunsch herbeigeholt, und Bauleute stehen ihm zur Verfügung, die nach seinen Angaben neue Laboratorienherde und Oefen errichten; doch hermetisch bleibt er von der Außenwelt abgeschlossen.

Es fehlt nicht an Versuchen, ihn der Gefangenschaft zu entziehen. Auf der einen Seite sind es seine Verwandten, in erster Linie seine Mutter, die allerlei unternehmen, um mit ihm in Verbindung zu treten und Fluchtpläne zu schmieden. Auf der anderen Seite ist es der preußische König, der den Verlust des Goldmachers noch nicht verschmerzt hat und dessen Sendlinge es zu wiederholten Malen versuchen, die Wächter Böttgers zu bestechen oder den Gefangenen mit Gewalt zu entführen. Doch alle diese Komplotte werden rechtzeitig entdeckt und vereitelt. Von jenem Augenblick an, da der Flüchtling aus Berlin der Einladung auf das Wittenberger Schloß folgte, ist seine Freiheit verlorengegangen, und ein halbes Menschenalter wird verstreichen, bevor er, schon ein gebrochener Mann, sie wiedergewinnt.

 


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