Hans Dominik
Wunder des Schmelztiegels
Hans Dominik

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Die Meißner Manufaktur unter den Nachfolgern Böttgers

Noch zu Lebzeiten Böttgers wurde das Geheimnis seiner Erfindung zweimal verraten und verschleppt. 1717 entfloh ein in Böttgers Laboratorium auf der Dresdner Bastei beschäftigter »Emailleur und Vergolder« namens Hunger nach Wien und gab 1718 die Veranlassung zur Gründung der Wiener Porzellanmanufaktur. Da Hungers Kenntnisse aber nicht weit her waren, lockte er 1719 den Arkanisten Samuel Stöltzel aus Meißen nach Wien. Dieser ließ unter allerlei Tarnungen die Schnorrsche Erde aus Sachsen kommen, und es wurde mehr schlecht als recht weiter experimentiert. Der Erfolg war indes so wenig befriedigend, daß Hunger 1719 von Wien nach Venedig entwich und dort ebenfalls eine Porzellanmanufaktur ins Leben rief, die für die nächsten Jahrzehnte ebensowenig Erfolg aufzuweisen hatte wie diejenige in Wien. Das weitere Schicksal Hungers braucht hier nicht zu interessieren.

Auch Stöltzel hielt es nicht lange in Wien aus. Er kehrte 1719 reumütig nach Meißen zurück, erhielt schon im Januar 1720 die Verzeihung des Königs und wurde wieder in der Meißner Manufaktur angestellt. Zunächst mit Vorsicht behandelt und von den übrigen Arkanisten getrennt, gelang es ihm doch bald, das Vertrauen der Leitung zu gewinnen, und 1725 wurde er zum Obermeister der Manufaktur ernannt. In dieser Stellung hat er Tüchtiges geleistet, insbesondere das Vergoldungsverfahren weiter entwickelt und durch Verbesserungen der Brenntechnik die Herstellung größerer Stücke, wie Terrinen, Schüsseln, Vasen und dergleichen, beträchtlich gefördert. Doch höher als diese künstlerischen und technischen Erfolge muß ihm die Tatsache angerechnet werden, daß er von Wien den Porzellanmaler Johann Gregor Höroldt nach Meißen mitbrachte.

Für die Zeit von 1720 bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1765 hat Höroldt einen maßgebenden Einfluß in der Meißner Manufaktur ausgeübt und deren Erzeugnissen den Stempel seiner Kunst und seines Könnens aufgedrückt. Er wurde zunächst Hofmaler und erster technischer Beamter (Arkanist) und 1749 zum Bergrat ernannt.

Auf Grund der Probestücke, die er aus Wien mitbrachte, äußerte die vom König bestellte Kommission sich wie folgt:

»Höroldts Arbeiten bezeugen, daß er nicht nur die blaue, sondern auch die rothe und andere Farben auf dem Porcellain dergestalt zu tractieren vermag, daß darbey die Glätte conservieret, jede Figur kunstmäßig gezeichnet und im Feuer nachmals beybehalten werden können.«

Im Betrieb wird er sehr bald nicht nur als tüchtiger Maler und sicherer Zeichner gerühmt. Man schätzt auch seine Erfahrung auf chemisch-technischem Gebiet, durch die der hohe Prozentsatz an Fehlbränden ganz bedeutend herabgesetzt wurde. Während zu Böttgers Zeit von zwei Dutzend Tassen oft nur eine einzige als fehlerfrei gelten konnte, wird der Ausschuß unter Höroldts Betriebsführung sehr viel geringer, und bald kommt es dazu, daß ihm die ganze Leitung der Fabrik übertragen wird. Schon 1723 wird er in der Besoldungsliste als Hofmaler geführt. 1731 darf ihm das »Arkanum« mitgeteilt werden; 1749 wird er zum Bergrat ernannt und hat bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1765 die Manufaktur geleitet. Unter seiner Führung hat diese, die unter Böttger stets Zuschüsse erforderte, fortlaufend steigende Ueberschüsse zu verzeichnen. Schon 1733 standen 104 Kaufleute in 32 Städten mit der Manufaktur in ständiger Geschäftsverbindung, und dementsprechend wuchs auch das Personal in Meißen selbst. Von 40 Köpfen im Jahre 1723 ist es auf 194 Köpfe im Jahre 1734 gestiegen.

Haupterzeugnisse der Meißner Manufaktur sind während der zwanziger Jahre die »Frühstücksservice«. Sie bestehen aus sechs Ober- und sechs Untertassen. Ferner gehören dazu je ein Spülnapf, eine Kaffee- und eine Teekanne, Teedose, Zuckerdose und bisweilen auch ein Schokoladenbecher. Die einzelnen Stücke sind in ihren Grundformen glatt und nur bisweilen »gemuschelt«. Der Absatz derartiger Geschirre ist bedeutend. So läuft beispielsweise 1732 eine Bestellung auf zweitausend Dutzend kleiner Tassen, der sogenannten »Türkenköpfchen«, ein, und der Besteller, ein türkischer Kaufmann, erklärt sich bereit, jährlich bis zu dreitausend Dutzend abzunehmen.

Dagegen hapert es mit der Bestellung von Tafelservicen noch geraume Zeit. Erst Ende 1731 wird in den Akten der Manufaktur ein Tafelservice erwähnt. Es ist wohl damit zu erklären, daß die Herstellung von größeren Gefäßen, wie Schüsseln und Terrinen, noch erhebliche Schwierigkeiten macht und großen Fehlbrand ergibt. Immer wieder ist es der König, der auch Aufträge auf solche Service gibt und dadurch anregend auf den Betrieb der Manufaktur wirkt.

Als weitere Arbeiten dieser Zeit, die in der Geschichte der Manufaktur als die Epoche Höroldt bezeichnet wird, sind Wein- und Bierkrüge, Salzfässer, Messerhefte, Tintenfässer, Tabaksdosen und Pfeifenköpfe zu nennen; daneben noch die sogenannten Kaminaufsatzurnen oder Bouteillen, d. h. Vasen in Urnen-, Flaschen- oder Becherform, häufig in Sätzen zu fünf oder sieben Stücken. Figürliche Darstellungen finden sich zunächst nur in Form kleiner Pagoden mit festem oder wackelndem Kopf.

Das ändert sich erst mit dem Eintritt von Johann Joachim Kaendler, der von 1735 bis 1775 einen maßgeblichen künstlerischen Einfluß auf die Meißner Manufaktur hat. Während Höroldts Tätigkeit mehr universal ist und sich in gleicher Weise auf Künstlerisches, Technisches und Kaufmännisches erstreckt, ist Kaendler in erster Linie Künstler und gibt als Bildhauer oder Bildformer dem Meißner Porzellan seine persönliche Note. Schnell kommt man unter seiner Anleitung zur fehlerfreien Herstellung von Statuen bis zu Lebensgröße, und in den weiteren Jahren gehen aus der Manufaktur Vasen von einer Formschönheit und einem wundervollen Dekor an Ornamenten und Farben hervor, die kaum noch übertroffen werden können. Es entstehen jene Gehäuse für Kaminuhren im graziösen Stil des Rokoko, die noch heute jeden Besucher der sächsischen Schlösser und Kabinette entzücken. Weiter liefert Meißen Tierfiguren, die als Meisterwerke der Bildhauerkunst gelten dürfen, obwohl sie doch nur »Manufakturware« sind.

Erstaunlich und fast unbeschreiblich sind die Fortschritte, die in den vierzig Jahren nach Böttgers Tode zu Meißen gemacht werden; ihre Erklärung finden sie nur in der unermüdlichen Arbeit, die unter der Leitung von Höroldt und Kaendler von einem ganzen Stabe befähigter Persönlichkeiten sowohl auf technischem wie auf künstlerischem Gebiet geleistet wurde.

Der Begriff technisch ist hier im weiteren Sinne zu fassen; er bezieht sich nicht nur auf die ständigen Verbesserungen der Masse, der Glasur und der Farben, sondern auch auf die Tätigkeit des Bildhauers. Die Künstler, welche die Manufaktur in diesen vierzig Jahren in ihre Dienste nahm, hatten vorher bereits Beachtliches geleistet. Sie hatten gute Bildwerke in Stein und Erz geschaffen; aber sie mußten von Grund auf umlernen, als es nun galt, die Porzellanmasse zu gestalten. Mehr als einer der zahlreichen Künstler, die in den Manufakturen jener Jahre genannt werden, ist daran gescheitert. Diejenigen aber, die sich zur Beherrschung des neuen Werkstoffes durchrangen, haben dann jene zauberhaften Gebilde geschaffen, die der Meißner Manufaktur schon um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts einen Weltruf eingetragen haben.

Welche Schwierigkeiten auch die Malerei zu überwinden hat, wird besonders deutlich, wenn man nachliest, was die alten Akten der Manufaktur darüber enthalten. Böttger war heilfroh, als es ihm glückte, die blaue und später auch die rote Bemalung des ostindischen Porzellans einigermaßen nachzuahmen. Aber seine Vorschriften waren nicht unbedingt zuverlässig, und bei der Geheimtuerei, die unter den Arkanisten nun einmal herrschte, bestand mehr als einmal die Gefahr, daß sogar diese einfache Form der Bemalung wieder verlorenging. Noch in den Jahren 1725 und 1731 wäre es um ein Haar dazu gekommen. Erst danach scheint diese Technik dauernd gesichert zu sein, und im Laufe der nächsten zehn Jahre gewinnt die dem Porzellanmaler zur Verfügung stehende Farbenskala eine ungeahnte Farbenfülle. Jetzt kann man von der einfachen ornamentalen Verzierung zur Kunstmalerei übergehen, und es entstehen jene reizvollen Schäferszenen im Stil und zum Teil direkt nach Vorlagen von Watteau, die so recht eigentlich den Geist des Rokokos atmen.

Als eine Gipfelleistung der Aera Kaendler mag das sogenannte »Schwanenservice« genannt werden, das in den Jahren von 1737 bis 1741 für den Minister Grafen Brühl geschaffen wurde; wohl das großartigste und prunkvollste Tafelservice, das Meißen überhaupt je angefertigt hat. Seinen Namen hat es davon erhalten, daß nicht nur für Saucieren, Schokoladekannen, Henkel und Deckelbekrönungen die Formen von Schwänen verwandt wurden, sondern auch die meisten Stücke ein aus zwei schwimmenden Schwänen bestehendes Flachrelief als Verzierung zeigen.

Dient das bildhauerische Können hier noch der Erzeugung von Gebrauchsgegenständen, so wird es nun weiterhin einem reinen Kunstzweck dienstbar gemacht, als es sich darum handelt, Tierfiguren möglichst großen Ausmaßes für die Ausstattung des Japanischen Palais in Dresden zu schaffen. Mit besonderer Hingabe und mit großem Geschick ist Kaendler an diese Aufgabe gegangen. Nicht nur nach Zeichnungen, sondern auch selbständig nach dem lebenden Modell arbeitend, hat er Tierplastiken geschaffen, die an naturnaher Behandlung kaum zu übertreffen sind. Auch als die Ausschmückung des Japanischen Palais vollendet war, ist diese Art der Plastik dann weiter gepflegt worden, wenn man die Figuren nun auch in kleinerem Maßstabe ausführte.

Die Meißner Akten führen hunderte derartiger Bildwerke auf. Nicht nur einzelne Tiere, wie Papageien, Hunde aller Art, Wildschweine, Bären, Tauben, Pferde, Kamele, Hirsche und Mandelkrähen, sondern auch größere Gruppen, wie z. B. eine Schweinsjagd, eine Bärenhetze und eine Hubertusgruppe. Es folgen Gruppen von Tieren und Menschen, wie etwa der Kavalier auf dem Ziegenbock, das Taubenhaus und berittene Figuren, wie der Trompeter und der Paukenschläger.

Ein weiteres von Kaendler stark gepflegtes Gebiet ist das der Nationaltypen und der Handwerkertypen. Hier bringt er Chinesen, Türken, Panduren, Janitscharen sowie Tabulettkrämer, Kupferschmiede, Gärtner und Bergleute. Eine Gruppe für sich bilden die im Rokoko so beliebten Schäfer und Schäferinnen. Darf man diese Figuren schon als vollkommene Kunst ansprechen, so erfährt die Porzellanplastik ihre höchste Steigerung, als es nun zur Herstellung porträtähnlicher Statuen kommt. So entstehen Vollfiguren Augusts III. und der Königin Maria-Josefa, Büsten des Kaisers Rudolf und des Papstes. Eine Reiterstatue Augusts III., insgesamt nur 54 cm hoch, reizt den Künstler, den Kopf des Königs noch einmal in Ueberlebensgröße zu modellieren. Das Stück geht schön aus dem Brande hervor und gefällt dem Könige so gut, daß er den Befehl gibt, die ganze Reiterstatue in Lebensgröße auszuführen. Einschließlich des Sockels muß das ein Bildwerk von fast zehn Meter Höhe ergeben. Es ist ein Unterfangen, wie es bisher in der Geschichte des europäischen Porzellans noch nicht da war. Sollte es zur Ausführung kommen, so würde es ein Bildwerk werden, vergleichbar etwa den berühmten Bronzestatuen eines Colleoni von Verrocchio oder des Großen Kurfürsten von Schlüter.

Im Jahre 1754 kann Kaendler dem Könige melden, daß er hoffe, in zwei bis drei Monaten mit dem Ausformen der »großen Statua« in Porzellanmasse beginnen zu können, und bittet, man möge Sorge tragen, daß es ihm nicht an Masse fehle. Im Juni 1755 können ihm 120 Ballen Masse zur Verfügung gestellt werden. Die Jahre 1755 und 1756 hindurch wird an der Ausführung einzelner Teile der Figur in Porzellan weiter gearbeitet. Sie häufen sich bald derart, daß Kaendler für ihre Unterbringung besondere Räume angewiesen werden müssen. Die Vorbereitungen mit eingerechnet, hat Kaendler »mit sechs fremden Bildhauern und drei Tischlern fünf gantze Jahre« daran gearbeitet; doch zur Vollendung dieses mächtigsten Kunstwerkes ist es nicht mehr gekommen, weil der Siebenjährige Krieg ausbricht und auch den Betrieb der Manufaktur in Meißen schwer trifft.

 


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