Egbert Carlssen
Ein Stadtjunker in Braunschweig
Egbert Carlssen

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Zehntes Kapitel

Ein Frühlingstag

Es geht durch den alten Harzerwald
Ein wundersam Singen und Klingen;
Und das bedeutet: Der Frühling kommt bald,
Bald werden Waldvöglein singen.

Waldvöglein singen mit süßem Klang,
Doch mir ist ums Herz so weh und bang.
Mein Liebchen ist fern, mein Liebchen ist weit,
Das ist im Frühling mein Herzeleid.

Weihnachten war vorüber gegangen, in Wolfenbüttel mit mehr Jubel und Festesfreude gefeiert, als in der Stadt Braunschweig. Auch das Turnier war vorüber, bei welchem Rolef sich mit dem Ritter Pusteke gemessen. Dreimal waren sie gegen einander gerannt, ohne daß der eine den andern aus dem Sattel gehoben hätte. Wohl waren die Lanzenschäfte zersplittert, wohl hatten die Reiter bedenklich auf den Pferden geschwankt, aber dennoch hatte sich jeder droben gehalten. Auch bei dem Kampfe mit den Schwertern wollte sich zuerst keine Entscheidung einstellen.

Freilich gelang es gleich im Anfange dem Ritter Pusteke, Rolef im Gesichte zu verwunden, doch hinderte diese Wunde denselben nicht, den Kampf fortzusetzen. Aber gereizt durch diesen üblen Anfang verlor er seine gewohnte Ruhe, welche sonst seine beste Bundesgenossin war. Mit ingrimmiger Heftigkeit bedrängte er den Gegner, so mochte es diesem zum zweiten Male gelingen, eine Blöße, welche sich der Unvorsichtige gab, zu benutzen und ihm eine neue Wunde beizubringen. Auch jetzt erklärte sich Rolef noch nicht für besiegt und die Kampfrichter stimmten ihm bei. So begann denn der Waffengang zum dritten Male und diesmal war es der Knappe, welcher, vorsichtiger und vertrauter geworden mit Ritter Pustekes Kampfesweise, dessen ihm zugedachten Hieb auffing und, ehe derselbe noch in eine gedeckte Lage zurückkehren konnte, mit wuchtigem Schlag des Gegners rechte Schulter traf. Hoch aufspritzend folgte das Blut dem zurückgezogenen Schwerte, Pustekes Rechte sank kraftlos herab, er war außer Kampf gesetzt und die Richter erkannten daher Rolef den Preis zu.

Auch seitdem waren schon wieder Wochen vergangen, beider Kämpfer Wunden geheilt, und die ersten Vorboten des Frühlings ins Land gekommen. Es war an einem jener Tage, wie sie der Februar wohl zu bringen pflegt, an denen die warme Lenzessonne vom wolkenlosen Himmel herablächelt und die Menschenherzen aufatmen in seliger Frühlingshoffnung. Ach, ein solcher Tag ist nur wie ein kurzer Traum, nur gar zu bald tritt der strenge Winter sein Regiment wieder an, um es noch Wochen lang fortzuführen. Aus langer und kurzer Erfahrung wissen das die Menschen und dennoch denkt kaum einer von all' denen daran, die überhaupt Augen haben zu sehen und Ohren zu hören für das, was in Gottes freier Natur vorgeht; so gewaltig, unbestimmbar und dennoch unwiderstehlich ist die Macht, mit welcher ein erster Frühlingstag das Menschenherz ergreift, trotzdem der Wald noch stumm, die Wiesen noch grau und der Berge ernste Häupter noch in Schnee gehüllt sind.

»Mein Liebchen ist fern, mein Liebchen ist weit,
Das ist im Frühling mein Heizeleid!«

wiederholte Rolef noch einmal. Er saß auf einem Mauervorsprung neben dem Ritterhause, ließ das eine Bein über die Mauer herabhängen, über das Knie des anderen hatte er die Hände zusammengelegt und den Rücken lehnte er an eine Blyde, welche die Auffahrt zum Thore beherrschte. Es war ein sonnigwarmes Plätzchen und heller Sonnenschein lag auch über dem breiten Okerthal, auf welches Rolef hinabschaute. Hell leuchteten in silbernem Glanze die Wellen des Flusses, weithin konnte sie der Knappe verfolgen und unverwandt hingen seine Blicke dort, wo die Wasserfluten am Horizont im Waldesdunkel verschwanden. Aber noch weiter folgte ihnen sein inneres Auge, bis zu der langen Brücke Unserer lieben Frauen, bis zum Stadtthor von Braunschweig und von da wanderten seine Gedanken zum Altstadtmarkte und dem Hause mit den sieben Türmen.

»Mein Liebchen ist sein, mein Liebchen ist weit,
Das ist im Frühling mein Heizeleid!«

»Ist es so weit von hier bis zur Kemnate?« fragte eine helle Stimme neben ihm.

Erstaunt sah Rolef auf und sprang gleich darauf in die Höhe. Vor ihm stand ein schmächtiger Jüngling, welcher die Zwanzig wohl noch nicht überschritten, mit klugen und freundlichen Augen.

»Bleibt sitzen« sagte derselbe lächelnd, als er Rolefs Erstaunen bemerkte,, »ich setze mich zu Euch, vorausgesetzt, daß Ihr noch Platz für mich über habt.«

Mit den Worten ließ er sich am Mauerrande nieder, während Rolef ehrfurchtsvoll stehen blieb. »Macht nicht so viel Umstände, lieber Doring«, fuhr der Jüngling mit einem Lächeln fort, welches nicht frei von Bitterkeit war, »ich bin das gar nicht gewohnt. Bitte, setzt Euch wieder, Ihr zwingt mich sonst fortzugehen.«

»Wenn es der Wunsch Eurer Fürstlichen Gnaden ist«, antwortete Rolef mit einer Verbeugung und nahm seinen Platz wieder ein.

»Seht«, lächelte der Jüngling, »so findet sich wirklich jemand in Wolfenbüttel, der mir einen Wunsch erfüllt. Aber sagt, warum findet Ihr es so weit von hier zur Kemnate?«

»Ich finde es nicht weiter als andere.«

»Dann ist Euer Liebchen auch nicht fern.«

Rolef errötete. »Ich weiß nicht, von wem Ihr sprecht, Fürstliche Gnaden«, sagte er verlegen.

»Nun, ich spreche nur weiter, was ich von anderen gehört. Ist es denn nicht die schöne Irmgarde, welcher Ihr Euer Herz geschenkt habt?«

»Irmgarde Kyphod?« rief Rolef erschrocken.

»Eben die nennt das ganze Schloß als die Herrin, um welche Ihr werbt in holder Minne. Aber verzeiht mir, wenn ich unbedacht gesprochen, ich wollte Euch nicht verletzen.« »In nichts habt Ihr das gethan, mein hoher Herr. Nur überrascht habt Ihr mich.« Und den Kopf schüttelnd widerholte Rolef nochmals zweifelnd: »Irmgarde Kyphod?«

Nun aber brach Herzog Friedrich in ein helles Lachen aus. »O weh!« rief er, »wenn die Jungfrau jetzt Euer sorgenvolles Antlitz schaute, wahrlich sie würde es sich nicht zur Ehre rechnen. Denn meines Erachtens zweifelt sie so wenig als sonst jemand im Schlosse daran, daß Ihr um ihrer schönen Augen willen mit dem Ritter Pusteke gekämpft habt und so ausdauernd ihres Vaters langweilige Urkunden auf dickes Pergament malt.«

»Um ihretwillen? O nein, das glaubt sie auch nicht.«

»Nicht? Nun, warum hat sie Euch denn so sorglich gepflegt, wahrend der arme Pusteke allein zusehen mochte, wie sein halb abgehauener Arm wieder anwuchs. Ein gütiger Blick ihrer schwarzen Augen wäre Balsam für seine Wunde gewesen und für einen zweiten hätte er sich auch noch den linken Arm abhauen lassen, aber es kam nicht einmal zum ersten. Euch dagegen grüßte täglich der Holden Antlitz mit gütigem Lächeln und ihre weißen Hände wurden nicht müde, Euern Verband zu erneuern.«

»Ich sei der Lebensretter ihres Vaters, sagte sie, als ich es ihr wehren wollte.«

»Sollte sie etwa sagen: Pustekes Besitzung ist ein elendes Weiherhaus, den Bürgermeister Doring aber rechnet man zu den Reichsten in Braunschweig und Ihr seid sein einziger Sohn?«

»Fürstliche Gnaden!«

Der Herzog nickte und seine Augenbrauen zogen sich finster zusammen. »Ich kenne sie«, murmelte er, »sie und ihren Vater. Hold lächelt ihr roter Mund und ihre schwarzen Augen fangen, wen sie wollen. Aber ihr Herz ist falsch, seid dessen versichert.«

»Haben auch Euch diese schwarzen Augen belogen?« Diese Frage lag Rolef auf der Zunge, aber sie kam nicht über seine Lippen. Im Herzen beantwortete er sie mit einem rückhaltlosen »Ja« und unwillkürlich spielte dabei ein leises Lächeln um seinen Mund. Das entging dem Fürsten nicht.

»Ihr haltet mich für einen unreifen Knaben ohne Erfahrung und Urteil«, sagte er, nicht zornig, aber mit einem Zuge herben Ernstes um den Mund. »Oder glaubt Ihr vielleicht, es gehe mir, wie dem Ritter Pusteke, daß ich mich vor Sehnsucht verzehre nach der wonnereichen Herrin Gunst? Vielleicht war es einmal so, doch das ist vorbei.«

Er schaute träumend in das Land hinaus, seiner Väter altes Erbe. Dann fuhr er fort: »Ihr Dorings rühmt Euch, seit Menschengedenken als freie Leute auf Eurem Eigen zu sitzen, ja länger, ehe mein großer Ahn, der Löwe Heinrich, in dies Land kam. Hofft auch, nach Eures Vaters Heimgang Euer Erbe anzutreten und es selbst wieder einem Sohne zu hinterlassen. Nun denkt aber, es käme ein anderer, mächtigerer als Ihr, triebe Euch von Eurem Eigen und sagte: das gehört nun mir. – So ergeht es dem, der hier neben Euch sitzt.«

»O nein, Fürstliche Gnaden«, rief Rolef, »das kann nicht sein! So viele treue Herzen schlagen in Braunschweig, in Stadt und Land, für Euch, den Sohn Herzog Magni, den echten Erben –«

»Euer Herz ist treu«, nickte Herzog Friedrich, »Ihr seid ja Eures Vaters Sohn. Von dem aber habe ich meines hingegangenen Vaters Liebden oft rühmen hören, daß er ein Mann sei, echt und treu. Doch nur wenige denken wie er und wie Ihr. Es ist so, wie ich Euch sagte, man will mir mein Erbe nehmen, und wenn es gelingt, so weiß ich auch, wem ich es zu danken habe: Heinz Kyphod.«

Er war bei den letzten Worten aufgestanden, nickte Rolef kurz zu und ging mit großen Schritten von dannen.


Indessen saß Jungfrau Irmgarde in einem Sessel zurückgelehnt in dem Gemach ihres Vaters.

Die schönen schwarzen Augen, deren strahlendes Feuer schon so manches Männerherz schneller hatte schlagen machen und in so manche Männerfaust das blanke Schwert gedrückt, waren fast ganz verborgen unter dem Vorhange der lang bewimperten Lider, der kluge, rote Mund war geschlossen und die weißen Hände lagen gefaltet im Schoß. Dichte schwarze Flechten, um die Ohren aufgesteckt, umrahmten die breite, nicht hohe Stirn und ließen so deren blendende Weiße erst recht hervortreten. Ein eng anliegendes Gewand von feinem, blauem Tuche, für dessen Anfertigung Göttingen von jeher berühmt war, umschloß, vorn über die Brust bis zum Gürtel hinab geschnürt, den Oberkörper, in anmutigen Umrissen Irmgardes herrlichen Wuchs andeutend. Unter demselben fiel vom Gürtel abwärts ein Untergewand von demselben Stoff, aber von weißer Farbe, in schweren Falten herab.

Irmgarde gegenüber saß ihr Vater, welcher aus einzelnen Papierrollen Einträge in einen dicken Pergamentband machte. Das hinderte Heinz Kyphod aber nicht, zwischendurch mit seiner Tochter eine ziemlich lebhafte Unterhaltung zu führen.

»Du fragst, warum ich dies nicht von Doring habe besorgen lassen«, sagte er. »Nun, weil ich ihn fortgeschickt habe.«

»Schien er Euch nicht anstellig zu der Arbeit?«

»O doch. Er ist ein gewandter Bursch. Sein Vater hat ihn gut angelernt und er kann mehr, als ein Dutzend unserer Hofjunker. Nur deshalb habe ich ihn fortgeschickt, weil ich mir dachte, daß Du um diese Zeit kommen würdest und ich mit Dir allein sprechen wollte.«

»Ah!« – Die Überraschung mußte nicht sehr groß sein für Jungfrau Irmgarde, denn sie erhob auch nicht um ein kleines die lang bewimperten Augenlider.

»Erinnerst Du Dich, was ich Dir sagte, als ich im September Göttingen verließ, um nach Braunschweig zu gehen?«

»Gewiß mein Vater. Ihr befahlt mir, dem Herzog Friedrich mit Aufmerksamkeit, freundlich, ja herzlich zu begegnen. So wie ihr befahlt, ist es geschehen.«

»Und welche Wirkung hatte Dein Benehmen auf den Herzog?«

»Nun, er näherte sich mir, er schloß sich mir an, er erwiderte meine Aufmerksamkeit mit Vertrauen.«

»Nichts mehr?«

»Mehr?« Irmgarde öffnete weit die schönen Augen und warf ihrem Vater einen erstaunten Blick zu.

»Nun ja – mehr! Sprach er nicht, wie es die Ritter sonst im Verkehr mit schönen Frauen zu thun pflegen, sprach er nicht von Minne und daß er Dich zu seiner Herrin küren wolle?«

Irmgarde ließ die Lider wieder über die strahlenden Augen herabsinken und die Oberlippe hob sich ein wenig spöttisch, indem sie sagte: »Der Knabe!«

»Wenn Du ihn als Knaben behandelst, so hast Du meine Weisungen nicht recht verstanden.«

»Ich habe ihn nicht als Knaben behandelt, aber ich konnte nicht hindern, daß es in meiner Gegenwart geschah.«

»Und Du stimmtest in den Spott mit ein?«

»Nein, aber –«

»Aber?«

»Ich wollte ihm zu Hilfe kommen, da lachten die Ritter noch mehr und fragten, ob ich seine Wärterin sei.«

»Wann war das?«

»Kurz ehe wir Göttingen verließen.«

»Und seitdem hält sich Herzog Friedrich von Dir fern?«

»Thut er das? Wartet einmal. Ich glaube fast, es ist so; ja in der That, seitdem hat er mich keines traulichen Gesprächs mehr gewürdigt.«

»Viel Aufmerksamkeit scheinst Du ihm nicht geschenkt zu haben, da Dir das jetzt erst klar wird.«

»Ich bin nie unfreundlich gegen ihn gewesen.«

»Gleichgiltigkeit schmerzt ein liebendes Herz mehr, als unfreundliches Begegnen.«

»Kann ich es ändern?«

»Ja.«

»Aber wozu? Ist es so, wie Ihr meint, mein Vater, daß Herzog Friedrich mich mit anderen Augen ansieht, als andere Jungfrauen, dann ist es meine Pflicht, ihm zu zeigen, daß sein Beginnen hoffnungslos. Was sollte denn aus uns werden, wenn ich ihn in seinen thörichten Gedanken noch unterstützte?«

»Mann und Weib.«

»Vater!« Diesmal war Irmgarde wirklich überrascht; sie hatte sich im Sessel aufgerichtet und ihre großen schwarzen Augen schauten ihren Vater erstaunt an.

Kyphod war aufgestanden und hielt Irmgardes Kopf mit beiden Händen, So schaute er sie an und über sein kluges, ja listiges Gesicht legte sich ein verklärender Schein innigster Vaterliebe: »Wie ähnlich Du Deiner Mutter bist. Nur Deine Haut ist weißer, das ist ein deutsches Erbteil«, sagte er. »So sah sie aus, als ich sie zuerst erblickte im Lande Italia. Ein armer wandernder Schüler kam ich von Bologna, wo ich zu Accursii Füßen gesessen. Heim wollte ich, zurück über die Alpen ins deutsche Land, aber ihr Anblick bannte mich fest. Du weißt, wie lange ich um sie geworben, die eines Fürsten Tochter war, bis es mir endlich gelang, ihr Herz zu gewinnen, daß sie mit mir aus ihres Vaters Hause floh. Glücklich kamen wir über die Alpen, aber die Anstrengungen der Reise waren für ihren zarten Körper zu groß. In Augsburg hatten wir Halt gemacht, denn ihre schwere Stunde war nahe. Dort schenkte sie Dich mir, aber sie selbst mußte uns für immer verlassen. Da knieete ich zwischen ihrem Totenbett und Deiner Wiege und meine Seele wand sich in Schmerzen und mein Gewissen folterte mich, denn meine Liebe hatte sie ja aus der Heimat gerissen und ihr den frühen Tod gebracht. An Dir, an unserem Kinde, so schwor ich mir, wollte ich wieder gut machen, was ich an ihr gefehlt. Und ich habe mein Wort gehalten, kein rauher Wind hat Dich berührt, Sonnenschein ist Dein Leben gewesen für und für. Aber mein Ehrgeiz will noch mehr. Ein fürstlich Diadem trug Deine Mutter, als ich sie zum ersten Male sah, auch durch Deine schwarzen Flechten soll sich ein solches winden.«

Er ließ ihren Kopf los und ging mit großen Schritten im Gemach auf und nieder, während sie ihn noch immer voll Erstaunen mit ihren großen schwarzen Augen ansah.

»Noch nie sprach ich so mit Dir, mein Kind«, begann er wieder, »wozu Deine unbefangene Freude am Augenblick stören? Aber jetzt reift mein Plan seiner Erfüllung entgegen, jetzt ist es Zeit zu reden. Dein Vater hat das menschliche Leben kennen gelernt und nur Eines darin echt befunden, um deswillen es sich lohnt, zu leben. Dies aber heißt: Herrschen! Die Thatsache der Herrschaft habe ich errungen – denn ich bin es, der regiert zu Wolfenbüttel und Göttingen, wenn auch der Quade den Namen dazu hergiebt und den Glanz der Herrschaft für sich behält. Dir aber soll beides zu teil werden, nicht nur im stillen sollst Du das Scepter führen. Vor allem Volke sollst Du die Herzogskrone tragen. So will ich es haben, dann kann ich meine Augen schließen.«

Noch immer fand Irmgarde keine Worte; sie glich einem Kinde, welches, aus dem Schlaf geweckt, plötzlich blendende Helle um sich schaut und sich nicht besinnen kann, ob es wacht oder träumt, Kyphod blieb vor ihr stehen und fuhr fort:

»Auch Rolef Doring bat ich Dich freundlich zu begegnen. Aber verschenke Dein Herz nicht an ihn, nur Mittel zum Zweck soll er Dir sein. Nichts facht eines Mannes Leidenschaft zu hellerer Flamme an, als Eifersucht. Begünstige ihn deshalb, aber nicht mehr, als wegen des Herzogs nötig ist. Du verstehst mich. Und nun denke nach über das, was ich Dir gesagt, ich muß zum Quaden. Er will morgen jagen bei Heiningen, Herzog Friedrich wird auch dabei sein wollen. Du könntest zu derselben Zeit auf Burg Dorstadt Deine Freundin Maria besuchen, die Fürsten kommen jedenfalls hinauf. Doch davon noch später. Lebe wohl und sei mein kluges Kind.«

Er küßte sie leicht auf die Stirn und verließ das Gemach. Irmgarde lehnte sich wieder in den Sessel zurück und mit halb geschlossenen Augen saß sie eine Zeit lang unbeweglich da. Dann erhob sie sich und stieg langsam die Wendeltreppe hinauf, welche aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters in ihr darüber liegendes Schlafgemach fühlte. Dort öffnete sie ein reich verziertes Kästchen, aus dem es ihr wundersam entgegen blitzte in roten und goldigen, grünen und blauen Lichtern. Dies alles waren Geschenke ihres Vaters, mit all diesen Spangen und Ketten und Ohrgehängen hatte seine Liebe sie geschmückt. Sie nahm eine goldene Spange heraus, welche reich mit Perlen besetzt war und mit Hilfe eines Handspiegels von blank geschliffenem Stahl befestigte sie die Spange in ihren schwarzen Flechten. Befriedigt lächelte sie, als ihr so geschmückt aus dem Spiegel ihr Antlitz entgegenglänzte. »Es ist wahr«, nickte sie, »es giebt noch etwas anderes, als sich schmücken, als tanzen und Schmeichelworten lauschen. Herrschen! Der Vater hat recht. Bisher habe ich nur geträumt, erst jetzt wache ich auf.«

Plötzlich ließ sie die Hände mit dem Spiegel sinken. »Und wenn auch dies nur wieder ein Traum ist, aus dem man erwacht, verwundert um sich schaut und sich allein findet, ganz allein, keine feste Hand, die uns hält, kein treues Herz, das uns versteht. – Ich könnte mir denken, daß ich mich dann danach sehnen könnte, zu dienen, statt zu herrschen, zu dienen um der Liebe willen.«

Sie schauerte leicht zusammen, dann legte sie den Spiegel fort und zog die diademartige Spange aus dem Haar. »Ich träumte so schön«, flüsterte sie, »so süß. O, warum mußte mein Vater mich erwecken! Jetzt heißt es: herrschen oder dienen?«

Sinnend stand sie mit niedergeschlagenen Augen und gefalteten Händen. Dann richtete sie sich plötzlich stolz empor.

»Ich bin einer Fürstin Tochter«, sagte sie, »und nicht zum Dienen geboren. Ich will herrschen!«

 

Nachdem Heinz Kyphod seine Tochter verlassen, ging er zum Fürstenhaus hinüber. Sein Gesicht zeigte längst wieder die gewohnte, listige Miene, welcher sich jedoch, je näher er dem Fürstenhause kam, der Ausdruck großer Niedergeschlagenheit beimischte.

So betrat er die Zimmer seines Fürsten. »Was bringst Du, Heinz«, rief ihm dieser entgegen. »Dein Antlitz kündet nicht viel Gutes.«

»Meine Nachrichten lauten auch nicht günstig, Fürstliche Gnaden.«

»Nun – und? –«

»Die Antworten auf das die Huldigung verlangende Ausschreiben sind eingelaufen. Nicht alle sind befriedigend.«

»Natürlich, Braunschweig wird sich sperren!«

»Die Stadt hat es bis jetzt nicht einmal der Mühe wert gehalten, etwas zu erwidern.«

»Die Unverschämten!«

»Dagegen hat Helmstedt geantwortet: Rat und Bürgerschaft sind willig, den Söhnen Herzog Magni zu huldigen und Eurer Fürstlichen Gnaden Gehorsam zu geloben, so lange Ihr nach dem Recht des Erbvergleichs derselben Vormund seid.«

Der Quade ließ sich in einen Sessel fallen. »Wie gescheit die Leute sind?« rief er mit bitterem Lachen.

Ähnlich lauten die Antworten der anderen Städte: Gandersheim, Seesen –«

»Natürlich! Die Schurken haben sich vorher mit einander besprochen.« »Die Einwohner von Schöningen sind zur Huldigung bereit, wenn Fürstliche Gnaden ihre städtischen Gerechtsame ausdrücklich zu bestätigen gewillt seien.«

»Aha, ein Handelsgeschäft! Die Krämer! Aber die Ritterschaft, die Ritterschaft! Macht auch die Weitläufigkeiten?«

»Fürstliche Gnaden wissen, wie ergeben die Genossen vom Sternenbund sind.«

»Aber die anderen vom Adel?«

»Unbedingt sind ihre Antworten nicht immer.«

»Höllisches Elend!« Der Fürst stieß in seinem Zorn die Dogge, welche sich in diesem schlecht gewählten Augenblick ihm nahte, um seine Hand zu lecken, mit dem Fuße zurück, daß dieselbe heulend in einen Winkel kroch.

»Gestatten Fürstliche Gnaden, daß ich meine Ansicht unumwunden ausspreche?«

»Habe ich Dir je befohlen, sie zu verheimlichen?«

»Auf einem anderen Wege, als dem bisher eingeschlagenen, würden wir weit schneller vorwärts kommen. Was wir brauchen, ist ein Verzicht des Herzogs Friedrich auf die Erbfolge.«

»Du bist außerordentlich weise!«

»Diesen Verzicht zu erlangen, halte ich gar nicht für unmöglich, nicht einmal für außerordentlich schwer.«

»Ich könnte ihn einsperren, bis er unterzeichnete. Aber sobald er los wäre, würde er alles widerrufen.«

»Ich möchte im Gegenteil raten, ihm möglichst viel Freiheit zu lassen.«

»Unsinn! Schicke ich ihn in die Fremde, wird er an den Fürstenhöfen bekannt, erwirbt sich Gönner, vielleicht die Gunst des Kaisers, und alle meine Mühe ist umsonst gewesen.«

»So hatte ich es nicht gemeint. Der Prinz sehnt sich nach Selbständigkeit – wohlan, stellt ihm eine eigene Hofhaltung in Aussicht, vielleicht auf der Harzburg, und laßt ihn eine Gattin wählen nach dem Wunsche seines Herzens, aber nicht aus fürstlichem Geblüt. Um den Preis ließe sich von ihm – ich zweifle nicht daran – ein Verzicht auf die Erbfolge erlangen.«

»Ist er verliebt?«

»Ich vermute es.«

»Aber seine Brüder?«

»Über die steht Eurer Fürstlichen Gnaden noch auf Jahre hinaus die Vormundschaft zu, Zeit genug, um sich zum unbestrittenen Gebieter des Landes zu machen.«

»Achtzehn Jahre ist der Bursch«, sagte der Herzog überlegend, »das richtige Alter, um für die Erfüllung eines Herzenswunsches eine Krone zu verschenken. Und eine eigene Hofhaltung! Schlecht genug behandeln ihn meine Ritter, um sich das zu wünschen. Bei der heiligen Jungfrau, Dein Plan ist nicht schlecht, Heinz!«

Der Amtmann dankte mit einer Verbeugung. »Aber wer ist die Schöne«, fuhr der Fürst fort, »welche meines Vetters Herz gewählt hat?«

»Bis jetzt habe ich nur Vermutungen, Fürstliche Gnaden«, erwiderte Kyphod ausweichend, »und gern gestehe ich, daß meine Vermutungen irrig sein können. Darum ersuche ich, schweigen zu dürfen, bis ich meiner Sache gewiß bin.« »Meinetwegen! Die zukünftige Base mag jetzt noch Wolle zupfen oder Gänse hüten – wenn sie mir zum Land Wolfenbüttel hilft, soll sie mir recht sein.«

»Also habe ich die Erlaubnis Eurer Fürstlichen Gnaden, in der angedeuteten Richtung meinen Plan verfolgen zu dürfen?«

»Die will ich Dir nicht vorenthalten. Hast Du sonst noch etwas?«

»Nachrichten aus Braunschweig.«

»Und was beginnen die Leineweber?«

»Der Rat rüstet mit aller Macht. Wir können uns auf einen Überfall gefaßt machen, denn Wolfenbüttel soll das Ziel des Auszugs sein. Endlich haben sie sich dazu entschlossen, trotz des Widerstands Dorings und seiner Freunde, trotz des Mißtrauens gegen die Gilden. Sie rechnen – und nicht ohne Grund – darauf, daß die Gilden, trotz alles Hasses gegen den Rat, doch noch lieber gegen Eure Fürstliche Gnaden zu Felde ziehen. Und die Gilden selbst nehmen nicht ungern die Waffen in dem Gedanken zur Hand, daß es ja bei ihnen steht, wann sie sie wieder niederlegen und gegen wen sie dieselben später kehren wollen.«

Herzog Otto hatte seinen Amtmann ruhig aussprechen lassen, jetzt lachte er laut auf. »Oho, Freund Heinz«, rief er, »diesmal bin ich besser unterrichtet als Du. Die Braunschweiger werden nicht gegen Wolfenbüttel ziehen, des sei versichert. Hast wohl recht, wenn Du sagst, daß sie mir alle mit einander etwas am Zeuge flicken möchten, so uneins sie auch unter einander sind. Aber diesmal werden sie keine Zeit haben, an mich zu denken. Du weißt, daß die van Wenden schon seit lange durch ihre Raubzüge ins Magdeburgische dem Erzbischof Peter Anlaß zur Klage gegeben. Doch hat der wohlweise Rat zu Braunschweig es nicht der Mühe wert gefunden, den van Wendens das Handwerk zu legen, ja sogar dazu still geschwiegen, daß dieselben auf dem städtischen Pfandschloß Jerxheim aus dem Erzstift geflüchtete Räuber und Wegelagerer aufgenommen und beherbergt haben. Wie mir nun vorhin Pusteke erzählte, so ist dem Erzbischof die Geduld gerissen, er hat seinen Hauptmann Busse Dus mit dem Befehl an die Grenze geschickt, ins städtische Gebiet einzufallen, Dörfer und Höfe auszupechen,Ausdruck jener Zeit für das Niederbrennen der schutzlosen Dörfer und einzelnen Höfe, womit fast regelmäßig die Fehden zu beginnen pflegten. kurz, ebenso zu Hausen, wie die van Wendens bei ihm. Unter solchen Umständen werden die Braunschweiger genug zu thun haben, sich des Busse Dus zu erwehren, mich aber fein in Ruhe lassen.«

»Desto besser! Ich fürchtete schon, Fürstliche Gnaden würden auf das Jagdvergnügen bei Heiningen verzichten müssen.«

»Denke nicht daran! Vor einer Stunde habe ich einen Reitenden zum Edlen v. Dorstadt geschickt, daß er mich morgen erwarte. Mein kleiner Vetter besteht auch darauf, mit zu jagen. Da wird er wieder viel Spott leiden müssen.«

»Das unterstützt unsere Absichten.«

»So denke ich auch. Drum wehr ich's meinen Mannen nicht.«

Heinz Kyphod war entlassen. Als er aus dem Fürstenhause trat, sah er seine Tochter mit Herzog Friedrich auf dem Altan der Kemnate, im warmen Schein der Frühlingssonne, auf und ab gehen. Er lächelte stillvergnügt. Dann wandte er sich, von dem Paare unbemerkt, nach der anderen Seite, dem Ritterhause zu. Er suchte Rolef Doring.

Derselbe saß noch auf dem Mauervorsprung, wo wir ihn verlassen haben. Gar eigene Gedanken zogen durch seinen Kopf. Herzog Friedrichs Eröffnungen hatten blitzartig grelle Streiflichter auf seine Umgebung fallen lassen. Aber durfte er ihnen trauen? Ein noch nicht zwanzigjähriger Jüngling war es, dem er sie verdankte, unerfahren, verbittert, weil er sich zurückgesetzt glaubte, und mehr noch, weil er sich über seine Jahre hinaus fertig und selbständig fühlte, andere jedoch dies nicht gelten lassen mochten. Irmgarde aber hatte es ihm offenbar angethan mit ihren schönen Augen und nun war er zornig auf sie, weil sie ihn noch nicht für voll anerkannte. Und der Amtmann selbst? Auch für Rolef lag etwas Rätselhaftes in dem Manne. Sich demselben je ganz anzuvertrauen – davon hielt ihn ein nicht unbegründetes Mißtrauen zurück. Da tönte es plötzlich hinter ihm: »Habt Ihr Lust, Euren Vater einmal wiederzusehen?«

Rolef fuhr erschrocken auf, denn es war die Stimme des Mannes, mit dem sich seine Gedanken eben beschäftigten, welche hinter ihm erklang:

»In der That, nichts konnte mich so erfreuen, als das«, sagte er, sich schnell fassend.

Heinz Kyphod setzte sich neben ihn. »Euer Vater erwartet heute Abend um 10 Uhr einen Boten von mir bei dem Baume, an welchem wir uns bei Eurer Flucht trafen. Wollt Ihr dieser Bote sein?«

»O wie gern!«

»Nun wohl; auch ich mag niemandem lieber als Euch die Nachrichten anvertrauen, welche ich Eurem Vater schicken muß.«

Und nun begann er eifrig auf den Knappen einzusprechen, welcher ihm aufmerksam zuhörte.

»Habt Ihr alles wohl gemerkt?« fragte er zum Schluß.

»Ich glaube nichts überhört zu haben.«

»Bitte, dann wiederholt mir die Botschaft zu unserer beider Beruhigung.«

Rolef kam dem Wunsche nach. Kyphod nickte. »So ist es recht«, sagte er, indem er aufstand.

Auch Rolef erhob sich. »Ich will gleich in den Marstall gehen«, meinte er, »um meinem Knecht die nötigen Weisungen zu geben«, und schritt neben dem Amtmann her. Als sie um die Ecke des Hauses bogen, sahen sie Irmgarde noch mit dem jungen Herzog auf dem Altan hin und her wandeln.

»Ich habe noch eine Bitte an Euch, mein junger Freund«, sagte Heinz Kyphod. »Meine Tochter wünscht Ihre Freundin Maria v. Vorstadt zu besuchen. Ihr kennt Burg Dorstadt, wo wir damals nicht ganz freiwillig übernachteten. Vielleicht wäre es Euch nicht zu unbequem, den Umweg zu machen und Irmgarde dorthin zu geleiten.«

»Unbequem, was denkt Ihr? Der Auftrag ist für mich zugleich eine Freude und eine Ehre.«

»So kommt. Ich sehe meine Tochter dort, wir wollen ihr unsern Plan mitteilen.«

»Das ist recht«, rief Irmgarde fröhlich, als sie die Kunde vernommen, »heute ist ein Tag wie gemacht dazu, nach dem lieben Dorstadt zu reiten.« Ihre strahlenden schwarzen Augen lachten Rolef an und eifrig besprach sie mit ihm, welchen Weg man nehmen und wann man aufbrechen müsse. Mit zusammengezogenen Brauen betrachtete Herzog Friedrich das Paar. Aber ebenso aufmerksam hingen Kyphods Blicke an dem Gesichte des jungen Fürsten, und je ernster dieses wurde, desto fröhlicher lachte das Antlitz des Amtmannes.

Vor der Kemnate stand ein Zelter, isabellenfarbig mit schwarzer, lang herabhängender Mähne und schwarzem, mit bunten Bändern durchflochtenem Schweif. Er trug einen stuhlartigen Sattel und darunter eine lange Decke. Rolef Doring stand neben ihm und streichelte den Nacken des Tieres, welches mit dem Vorderhufe den Boden schlug, ein Knecht aber aus dem herzoglichen Marstall hielt die Zügel des Pferdes.

Jetzt stieg Jungfrau Irmgarde die Treppe vom Altan hinunter. Sie trug ein langes grünes Reitkleid, reich mit Pelz besetzt und ein gleichfarbiges Barett. Mit der Linken hielt sie die Schleppe des Kleides, mit der Rechten eine schlanke Gerte. Heinz Kyphod, welcher sie hinaus begleitet hatte, blieb oben auf dem Altan stehen und nickte ihr lachend zu, wie sie ihm mit der Hand hinauf winkte, nachdem Rolef sie in den Sattel gehoben. Der Knappe eilte, den feurigen Dunkelfuchs zu besteigen, welchen sein Knecht unweit des Marstalls hielt. Da flogen blitzschnell Irmgardes Augen zu einem Erker am Fürstenhause empor. Hinter einem halb geöffneten Fenster schaute verstohlen ein junges, männliches Antlitz hervor, mit zusammengezogenen Brauen und einem unmutigen Zucken um die Mundwinkel. Die Jungfrau fing seinen Blick auf und neigte ein wenig das schöne Haupt. Zugleich senkte sie wie grüßend die Gerte. Da nickte der Jüngling gar eifrig mit dem Kopfe, alles Mißbehagen war von seinem Gesichte verschwunden und statt dessen lag darauf eitel Sonnenschein.

Das alles war nur ein Augenblick gewesen. Nun sprengte Irmgarde an Rolefs Seite dahin und flog neben ihm über die Zugbrücken. Sie schwiegen beide, auch als sie jetzt die Landstraße entlang selbander ritten. Mochten wohl an das denken, was sie heute Morgen gehört, von verschiedenen Seiten und doch einer über den andern.

»Wie es mich freut, daß Ihr heute Euren Vater wiedersehen dürft!« begann endlich Irmgarde und ihre schwarzen Augen lachten ihn dabei so hold an, daß Rolef an die Worte des Prinzen dachte: ›Sie fangen, wen sie wollen.‹ – »Aber nicht mich«, setzte er in Gedanken hinzu, »denn Ilses Augen sind es doch nicht.« »Da habe ich vielleicht Euch das Glück dieses Wiedersehens zu verdanken?« fragte er zurück.

»Nicht das. Mit seinen Botschaften nach Braunschweig thut mein Vater immer außerordentlich geheimnisvoll. Selten erfahre ich davon etwas. Und hätte ich es erfahren, wer weiß, ob ich ihm geraten hätte, Euch zu schicken.«

»Aber warum nicht?«

»Nun der Gefahr wegen.«

»Darf ein Knappe, der sich bemüht, ein tüchtiger Ritter zu werden, die Gefahr scheuen?«

»Ihr scheut sie nicht, das weiß Gott! Aber deshalb dürfen doch andere für Euch sorgen und müssen vielleicht desto mehr für Euch sorgen.

»Ihr nehmt stets so freundlichen Anteil an meinem Ergehen.«

»Ist das nicht Pflicht der Dankbarkeit?« fragte Irmgarde und streichelte, sich ein wenig vorneigend, den Kopf ihres Pferdes.

»Ist es nur das?« wollte Rolef fragen, aber er dachte an Ilse und schwieg, um erst nach einer kleinen Pause zu entgegnen: »Längst bin ich es, der in Eurer Schuld ist. Ich kann Euch versichern, die ersten Wochen in Wolfenbüttel waren entsetzlich langweilig. Erst seitdem Ihr dort seid, lacht mir das Leben wieder freundlich!«

Irmgarde sah Rolef auf seine mit berechneter Galanterie gesprochenen Worte mit einem strahlenden Blicke an: »Ist das mehr als Schmeichelei?«

»Wie sollte es etwas anderes sein, als redliche Wahrheit, die von Herzen kommt? Denkt doch, nur selbst, wie manche trauliche Stunde wir mit einander verlebt –«

»Bei des Vaters alten Pergamenten«, schaltete sie ein.«

»Mir werden diese Stunden unvergeßlich bleiben.«

»Aber meinetwegen habt Ihr Euch den Kopf zerschlagen lassen«, lachte sie.

»Und war glücklich, ihn mir von Euch verbinden zu lassen«, entgegnete er.

Sie sah sinnend vor sich nieder, dann hob sie plötzlich das Haupt und sagte, ihm fest in die Augen blickend: »Ich habe immer gehört, fern seiner Herrin gäbe es für einen getreuen Ritter nur traurige Stunden.«

Rolef vermochte ein leichtes Erröten nicht zu verbergen, aber er hielt ihren Blick ruhig aus, indem er entgegnete:

»Wohl ist fern der geliebten Herrin unser Herz krank; aber darf es deshalb undankbar sein gegen den Balsam, mit dem Freundeshand die Wunde kühlt?«

War es der Rabe, welcher plötzlich vor ihnen im Wege aufflog, war es eine unvorsichtige Bewegung Irmgardes mit der Gerte, daß der Isabellen-Zelter einen Seitensprung that und dann in weiten Sätzen davon flog? Rolef fürchtete, die Jungfrau möchte die Herrschaft über das Tier verlieren und sprengte hinterdrein. Aber ehe er sie noch erreichte, hatte sie das Pferd schon wieder beruhigt. »Was war das?« fragte er. »Der Zelter ist sonst so fromm.«

»Er wird sich erschrocken haben«, entgegnete Irmgarde, ohne ihn anzusehen.

Am anderen Ufer der Oker wurde ein einzelnes Gebäude sichtbar, zu welchem eine Brücke hinüber führte. Das war das herzogliche Jagdhaus Heiningen. Etwas weiter vom Flusse entfernt lagen die Hütten des gleichnamigen Dorfes; von dem dahinter aufsteigenden Hügelrücken aber grüßten die ernsten Türme von Burg Dorstadt herunter.

»Da ist mein Ziel schon«, sagte Irmgarde, mit der Gerte hinauf deutend. Und an der Brücke angekommen, setzte sie hinzu: »Habt besten Dank für Euer Geleit, Knappe Doring. Drüben ist fürstlicher und Dorstadtscher Wald, da bin ich ganz sicher geborgen.«

»Ihr werdet mir doch gestatten, Euch bis ans Burgthor zu begleiten?«

»Warum wollt Ihr den großen Umweg machen? Schon müßt Ihr scharf zureiten, wollt Ihr rechtzeitig zur Stelle sein.

»Das laßt meine Sorge sein. Eurem Vater versprach ich, Euch nach Dorstadt zu bringen. Dorstadt liegt dort oben und nicht hier unten.«

Rolef lachte zwar bei den Worten, aber es klang dennoch eine ruhige Bestimmtheit heraus. Irmgarde mochte das fühlen. »Wie Ihr wollt«, sagte sie kurz, indem sie den Zelter auf die Brücke lenkte. Ihre Lippen preßten sich trotzig zusammen.

Der Weg, welcher von dieser, der Flußseite, zu der von der Burg gekrönten niedrigen Anhöhe hinauf führte, war breiter, als derjenige, auf welchem Rolef und Heinz Kyphod in jener Winternacht hinauf gebracht waren. Sie konnten daher bequem neben einander reiten und indem der Knappe sein Pferd an Irmgardes Seite trieb, fragte er: »Wollt Ihr lange droben bleiben?«

»Ich weiß es noch nicht.«

»Morgen beginnen Fürstliche Gnaden hier zu jagen. Dann sehe ich Euch vielleicht oben.«

»Ich melde mich selbst an, kann daher nicht vorher wissen, ob ich gelegen komme und mein längeres Verweilen erwünscht ist.«

»Hat Euch Euer Vater von der Nacht erzählt, welche er mit mir einmal droben verbracht hat?«

»Nein.«

Das Nein klang sehr kurz und verriet durchaus keine Neugierde nach dem Abenteuer jener Nacht. Aber Rolef ließ sich nicht irre machen; er begann trotzdem davon zu erzählen und wußte seinem Bericht eine so heitere Färbung zu geben, daß Irmgardes roter Mund nicht umhin konnte, dann und wann zu lächeln. Das aber machte dies Lächeln erst recht reizend, daß es wider Willen der Jungfrau sich um ihre Lippen legte.

Jetzt waren sie vor dem ersten Graben angelangt, hinter dem sich der Wartturm erhob. Man mußte sie wohl von der Burg aus bemerkt haben, denn ohne daß Rolef ein Zeichen gegeben hätte, kam die Zugbrücke herab und legte sich über die gähnende Kluft. Irmgarde wandte sich zu Rolef: »Nun habt nochmals Dank für Eure Begleitung«, sagte sie und Stimme wie Miene hatten ganz den gewohnten freundlichen Ausdruck. »Wir sehen uns wohl bald wieder, entweder hier oder in Wolfenbüttel. Lebt wohl!«

Sie reichte ihm die Rechte; der Knappe wollte sie an seine Lippen führen, aber ehe er es vermochte, war ihm die kleine Hand entschlüpft. Dröhnend hallten die Hufe des Zelters auf der Zugbrücke, dann hob sich dieselbe hinter der Reiterin und das schöne Bild war Rolefs Blicken entschwunden. Sinnend sah er kurze Zeit vor sich nieder, dann drückte er dem Dunkelfuchs die Sporen in die Weichen, daß er weit ausgreifend über die Waldwiese dahin flog.

Länger streckten sich die Schatten, in welchen die Frühlingssonne das Geäst der Bäume auf den Moosteppich des Waldes zeichnete, dann färbte sich rosig der sonnige Schimmer, welcher so warm die Stämme überglänzte, glitt ganz langsam an denselben empor, lag noch kurze Zeit auf den Spitzen des Gezweiges – und dann waren dieselben grau, während das Firmament noch voll leuchtenden Glanzes war, in dem wie hingehaucht goldige Flocken schwammen.

Blässer ward deren Schein und tiefer das Blau der Himmelswölbung. Aus dem Gold ward Rosa und ehe noch aus dem Rosa Weiß geworden, hatten sich die Wölkchen in sich selbst verzehrt. Der Abendstern blitzte auf und bald folgten seinem Beispiel andere Genossen. Ein rauher Wind strich durch den Wald und erinnerte die Menschen nach dem warmen, sonnigen Tage daran, wie früh es noch in der Jahreszeit sei. Aus der Abenddämmerung ward Nacht, stille, tiefdunkle Nacht.

Gedeckt von ihrem Schatten löste sich Rolef vom Saume des Waldes los, in welchem er den Einbruch der Dunkelheit abgewartet hatte. Er umritt, wie in der Nacht seiner Flucht, die Landwehr und war nun auf dem Boden der Braunschweiger Feldmark, auf heimischem Boden. Nur heimlich, als ein Verbannter, durfte er ihn wieder betreten und dennoch durchströmte das Heimatsgefühl warm seine Brust. Aber noch mehr erwartete ihn, die Sehnsucht zog ihn vorwärts, ungeduldig trieb er sein Pferd durch den weichen Ackerboden, denn schon hatte er die Straße verlassen und sah, quer über das Feld reitend, den bewußten Baum vor sich. Jetzt erkannte er auch neben dem Baumstamm etwas anderes, eine menschliche Gestalt, da hielt es ihn nicht länger, er drückte dem Dunkelfuchs die Sporen in die Seiten, und wenn auch hie und da stolpernd über die losen Ackerschollen, brachte ihn das Tier doch glücklich ohne Sturz in kurzen, schnellen Sätzen an sein Ziel.

Mit einem Sprung war Rolef aus dem Sattel. »Mein Vater!« rief er und hing an Kort Dorings Halse.

»Nicht so stürmisch«, wehrte ihn der Bürgermeister ab, drückte ihn aber dabei fest an seine Brust. »Nicht so stürmisch und nicht so laut. Dein Waffenklirren könnte unbefugte Ohren herbeiziehen.« Dann zog er des Sohnes Arm durch den seinen und begann langsam mit ihm auf und ab zu gehen. In seinem ganzen Wesen lag weniger väterliche Strenge als früher – er gab sich fast wie ein älterer Bruder dem Sohne gegenüber.

»Und nun zuerst Deinen Auftrag, mein Lieber«, sagte er. »Was schickt mir Heinz Kyphod durch Dich?« Rolef berichtete, wie ihm aufgetragen, von dem Einbruch, den der Erzbischof von Magdeburg ins braunschweigsche Gebiet beabsichtige. Der Bürgermeister solle sich daher den Rüstungen des Rates nicht langer widersetzen, da dieselben für Otto den Streitbaren, wie Rolef seinen Herzog jetzt auch nannte, keine Gefahr mehr hätten. Kort Doring nickte nur dazu, brummte auch wohl »Hm, hm«, murmelte auch allerlei vor sich hin, aber weniger als halblaut, so daß es Rolef unverständlich blieb. Dann sprach Rolef aber auch von dem, was ihm heute Morgen Herzog Friedrich anvertraut. Da lachte der Alte ingrimmig und meinte:

»Nicht unmöglich, daß das Prinzlein recht hat; man nennt seinen Vormund nicht umsonst den ›Quaden‹ Aber wenn wir erst einmal so weit sind, wird sich auch zeigen, daß Kort Doring zwei helle Augen im Kopfe hat.«

»Und Heinz Kyphod?« fragte Rolef.

»Ich bin alt und grau geworden«, entgegnete sein Vater, »und habe keinen Mann kennen gelernt, der so klug und so welterfahren. Falsch hat ihn Herzog Friedrich genannt? Das ist er nicht, wenigstens nicht mehr, als es der Vorteil seines Herrn verlangt. List gilt auch im Kriege, aber freilich, was der Freund erlaubte List nennt, erscheint dem Feinde als tückischer Verrat. Herzog Friedrich mag sich nicht täuschen, wenn er in Kyphod seinen Feind ahnt, uns aber ist er ein treuer Freund, und kann er es als Diener seines Herrn nicht mehr sein, wird er uns ehrlich und offen den Streit ansagen.«

Ob Kort Doring wohl ebenso zuversichtlich gesprochen hätte, wenn er gewußt, daß zu eben dieser Stunde Meister Holtnicker und Asche Kamla mit noch einigen anderen der Unzufriedenen unter den Gilden in Wolfenbüttel bei Heinz Kyphod saßen und mit demselben in eifrige Beratung vertieft waren? –

Noch mancherlei ward zwischen Vater und Sohn gesprochen, endlich mahnte der Bürgermeister zur Rückkehr. Rolef saß schon im Sattel, da rang sich eine Frage von seinem Herzen los, die den ganzen Abend schwer darauf gelastet hatte.

»Wie geht es Ilse vam Damme, Vater?«

»Oho«, lachte der Alte, »die ist guter Dinge und des Junkers Vörsfelde glückselige Braut!«

»Unmöglich!« Es war ein Aufschrei mehr als ein Wort, in dem Rolefs Qual sich Luft machte.

»Armer Bursch«, sagte sein Vater, »hast Du ihr Bild so treu bewahrt? Nun erfährst Du selbst, wie die vam Dammes Treue lohnen. In Ilses Adern fließt das Blut ihres Vaters, der Dich foltern lassen wollte. Das hättest Du nicht vergessen sollen.«

»Lebt wohl, Vater.« Rolefs Stimme klang trotz aller Anstrengung nicht fest bei den Worten.

Der Alte schüttelte ihm kräftig die Rechte. »Reite nicht so toll darauf los, als wie Du angejagt kamst. Spar' den Trab für die Landstraße. Heinz Kyphod meinen Gruß! Du aber bewahr' mir den rotgelben Schild rein wie bisher. Dann werden auch die goldenen Sporen nicht ausbleiben. Auf Wiedersehen, mein Sohn.«

Sie trennten sich. Langsam ritt Rolef über das Feld, dem Befehle des Vaters gehorchend. Aber auch auf der Landstraße wollte der Trab nicht glücken. Nicht bloß weil der Dunkelfuchs müde war! Schwerer als er an seinem Reiter trug dieser selbst an einer drückenden Last. Gebrochene Treue! Verratene Liebe!


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