Egbert Carlssen
Ein Stadtjunker in Braunschweig
Egbert Carlssen

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Neuntes Kapitel

Thränen am Christfeste

Das war kein fröhliches Weihnachtsfest anno 1373 in der Stadt Braunschweig.

Wohl sah man wie sonst in den Kirchen das Jesuskind in der Krippe liegen, von den Altären die Kerzen leuchten und dampfenden Weihrauch zu den Wölbungen aufsteigen. Auch ertönte mit brausendem Orgelklang das »Gloria Deo in excelsis!« – aber es war, als ob der zweite Teil der köstlichen Weihnachtsbotschaft ungehört verhalle. »Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen« – davon war in der Stadt Braunschweig wenig zu spüren.

Zwietracht im Rat, Zwietracht zwischen Rat und Gilden, Zwietracht zwischen dem Rat und Herzog Ernst. Und dadurch Zwietracht zwischen Familien, welche sonst in treuer Freundschaft Freud und Leid mit einander getragen, ja Zwietracht in den Familien selbst. Nun sah gar mancher ein, daß er sich in der Huldigungssache von Tile vam Damme hatte überrumpeln lassen. Der Quade saß in drohender Nähe in Wolfenbüttel, seine Aufforderung zur Huldigung hatte man abgelehnt, nun mochte man sich seines starken Armes erwehren. Herzog Ernst schalt, daß die Stadt sich das Schloß hatte nehmen lassen, war doch eben das wolfenbüttelsche Gebiet der Teil der Erbschaft gewesen, den er für sich hatte erwerben wollen. Nun verlangte er, daß die Stadt ausziehen solle und den Quaden daraus vertreiben, aber die Kraft und Schnelligkeit, mit welcher dieser gehandelt hatte, und die ansehnliche Macht, welche er in Wolfenbüttel zusammenzog, ließen gegen diesen Wunsch des Herzogs stets neue Bedenken im Rat laut werden.

Ein ferneres Bedenken in betreff der gegenwärtigen Lage wagte nicht einmal in der Stadt Braunschweig laut zu werden, das flüsterte man sich nur scheu und heimlich ins Ohr. Aber desto gewichtiger fiel es in die Wagschale. Das war die Stimmung unter den Gilden und gemeinen Leuten. Die Verschwörung freilich, von welcher der Ratsmann Eggeling van Strobecke gesprochen, an deren Spitze der rotbärtige Schuster aus Lübeck stehen sollte und an welcher man Rolef Doring beschuldigt, teil zu haben, diese Verschwörung war nur ein Erzeugnis der Rachsucht vam Dammes gewesen, als Vorwand hatte sie dienen sollen, die Dorings aufs tiefste zu kränken.

Doch hinterbrachten immerhin die Gildemeister gar bedenkliche Äußerungen dem Rat, welche auf den »Morgensprachen« und sonst an den Gildetafeln laut wurden. Man fuhr scharf dazwischen, man setzte einzelne in den Turm, ja Eggeling van Strobecke wandte sogar sein Lieblingsmittel an, die peinliche Frage, aber man erfuhr nichts Bestimmtes. Auch wurde es wieder still unter den Gilden, die verdächtigen Reden verstummten und dennoch fehlte es nicht an Anzeichen, daß das Feuer nicht gelöscht sei, sondern unter der Asche weiter und weiter um sich fresse. Wie mochte man da an eine Fehde denken, welche doch nur mit Hilfe der Gilden zu führen war?

Kort Doring stand nicht mehr allein im Rat wie am Tage der Huldigung, im Gegenteil mehrten sich an jedem Tage diejenigen, welche unter seiner Führung Tile vam Dammes Regiment Widerstand entgegensetzten. Aber einsam war er in seinem Hause; so still war es darin geworden. Allein saß er am Christabend in dem großen Erkerzimmer seines Hauses am Steinmarkt, von den Türmen riefen die Glocken in vollem Chor die Gläubigen zur Andacht; er saß unbeweglich vor dem mächtigen Kachelofen und starrte düster in die prasselnde Glut, welche hell durch die kunstvoll geschmiedete, mannigfach durchbrochene Thüre glänzte. Kein anderes Licht als die flackernden Flammen, in welchen sich die mächtigen Buchenscheite verzehrten, erleuchtete den großen Raum, unheimliche Schatten lagerten in den Ecken, um so unheimlicher, als das wechselnde Licht des jetzt hoch auflodernden, jetzt nieder-züngelnden Feuers seltsam an den Wänden hin und her spielte und daran ein gespenstisches Leben wachrief. – Und was waren es für Bilder, welche aus den Flammen hervorstiegen und vor das seelische Auge des Alten hintraten? War es die Gestalt derjenigen, welche ihm lange, lange Jahre hindurch eine treue Hausfrau gewesen und deren helles Antlitz so manchen Weihnachtsabend verklärt, bis man sie hinausgetragen aus dem Hause zur stillen Ruhestätte bei der Kapelle Sankt Autor. Oder gedachte er des Abends, an welchem sein Sohn zum ersten Mal die kleinen Ärmchen jubelnd dem hellen Lichterglanz entgegen gestreckt, welcher vom Christbaum ausging? Nichts von alledem!

Nur eine Gestalt sah Kort Doring vor sich, einen kurzen dicken Mann mit hellblauem Scheckenrock und roten Beinkleidern, in dessen fettem Gesicht man erst lange suchen mußte, bis man die kleinen wasserblauen Äuglein fand. Und so lebhaft sah er diese Gestalt jetzt vor sich, daß er aufsprang und mit vorgehaltenen Händen auf die Stelle starrte, wo der kurze dicke Mann zuletzt gestanden. »Gehe Du Deinen Weg, ich werde den meinen gehen. Der Hindernisse aber, die Du mir zu bereiten gedenkst, werde ich mich zu erwehren wissen.« Diese Worte klangen ihm gellend ins Ohr, »Jetzt verstehe ich Dich«, murmelte der vereinsamte Alte, »Du kämpfst mit vergifteten Waffen. Aber auch meine Waffen sind scharf, daß ich Dich treffen werde, zum Tode treffen.«

Und wie sah es an diesem Weihnachtsabend im Hause mit den sieben Türmen aus, im Hause desjenigen, welchem Kort Doring Haß geschworen, tödlichen Haß?

Weit geöffnet waren die Thore und das rotgelbe Licht der Pechfackeln erleuchtete wie jeden Abend die reichgeschmückte Einfahrt. Wachsfackeln, welche in breiten Messingringen hingen, brannten auf den breiten Treppen und in den langen Korridoren. Im großen Festsaal des Hauses aber leuchtete hell der Glanz der Weihnachtsbäume, die verziert waren mit vergoldeten Äpfeln und Nüssen, mit geschnittenen bunten Netzen und farbigen Bändern. Davor stand die Krippe, in welcher das Jesuskind schön geputzt lag, daneben Ochs und Esel und vor ihm knieeten Maria und Joseph, alle in halber Lebensgröße, bunt bemalt und beklebt mit Silber und Goldschaum. An der einen Langseite des großen Raumes waren auf langen Tafeln die Geschenke ausgebreitet, welche die Dienstleute des Hauses zu beanspruchen hatten an Kuchen und Leinwand, Tuch und Schuhwerk. Auf ähnlichen Tafeln an der Langseite sah man die Gaben, welche, nicht weniger fest bedungen, der Herzog seinem Gefolge zu schenken verpflichtet war. An der Querseite des Saales aber hatte Frau vam Damme die mannigfachen Geschenke schmuck und zierlich geordnet, mit welchen, sich die Familienglieder unter einander zu erfreuen gedachten.

Noch niemals hatte sie das mit so schwerem Herzen gethan, als wie an diesem Weihnachtsabend. Nicht nur der anspruchsvollen fremden Gäste wegen, obgleich ihr deren Anwesenheit mit jedem Tage unerträglicher geworden. Aber deren Gegenwart ging ja nun auch zu Ende; noch vor Beginn des neuen Jahres gedachte Herzog Ernst mit seinen Rittern in die alte Herzogsburg Heinrichs des Löwen überzusiedeln, welche er mit Hilfe des Rates wohnlich hatte herrichten lassen.

Etwas anderes bedrückte Frau Margaretens Herz. Und das lag so schwer auf ihr, daß selbst jetzt, wo die strahlenden Weihnachtsbäume ihr helles Licht auf so viele heitere Gesichter glänzen ließen, ihr Antlitz ernst und traurig blieb. Sie hatte es nicht abwenden können, so viel Mühe sie sich auch gegeben. Umsonst waren alle Vorstellungen, alle Bitten gewesen, ihr Gatte war taub geblieben. Wenn sie sein eines Ohr bestürmt hatte, so sprach zu dem anderen Herzog Ernst hinein, und die fürstlichen Worte wogen bei Tile vam Damme schwerer als das Flehen der Gattin und Tochter. Denn als Ilse es zum Äußersten kommen sah, hatte sie des Vaters Kniee umklammert und unter heißen Thränen gefleht, sie nicht durch die Verbindung mit dem Junker Vörsfelde für ihr Leben elend zu machen. Vergeblich! Tile vam Dammes Entschluß war wie im Feuer gehärtet.

Ahnte er, daß es Rolef war, seines Todfeindes Sohn, dessen Bild zwischen seiner Tochter und dem ihr von ihm bestimmten Gatten stand? Er ahnte es nicht nur, er wußte es; aus Herzog Ernsts eigenem Munde hatte er es hören müssen. Das war am Morgen nach Rolefs rätselhaftem Entweichen gewesen. In hellem Zorn hatte da der Fürst Seiner Gestrengen vorgeworfen, er habe Rolef Doring entspringen lassen, um sich den Schwiegersohn zu erhalten. Denn von der alten Freundschaft der Familien Doring und vam Damme wisse ja jedes Kind in Braunschweig und ebenso, daß Ilse dem jungen Doring zum Weibe bestimmt gewesen. »Ein schmählich abgefeimtes Spiel« – hatte Herzog Ernst hinzugesetzt – »sei mit ihm gespielt; aber er sei nicht der Mann, sich solches bieten zu lassen. Eine Stadt, in welcher man seine Dienstmannen ungestraft überfallen und niederschlagen dürfe, könne nicht länger seine Stätte sein, heute noch wolle er Braunschweig verlassen, dann aber werde es die Stadt empfinden, was der Zorn des Herzogs Ernst von Braunschweig bedeute.«

Nichts war imstande gewesen, den fürstlichen Unwillen zu besänftigen. Auf alle Vorstellungen erwiderte der Herzog, man habe den Gefangenen absichtlich entschlüpfen lassen, sonst hätte er nicht entkommen können. Schon wurden die Pferde gesattelt, schon vertauschten des Herzogs Mannen den bequemen Scheckenrock mit dem schweren Lendner und riefen nach Helm und Schild, selbst der schwerverwundete Vörsfelde sollte in einer Sänfte fortgeschafft werden. Da sprach Tile vam Damme, der in diesem Augenblicke alle seine stolzen Pläne zu Wasser werden sah:

»Was Ihr auch zum Beweise verlangt, Fürstliche Gnaden, daß ich die Dorings mehr hasse, als Ihr selbst, und daß ich unschuldig bin an des Gefangenen Flucht, ich will es thun.«

Und mit höhnischem Lachen antwortete der Herzog: »Wohlan, so gebt Eure Tochter Ilse meinem Junker Vörsfelde zum Weibe. Dann will ich glauben, daß nicht der verwünschte Doring Euer Schwiegersohn werden soll.«

Seiner Gestrengen Erwiderung aber war eine tiefe Verbeugung, wozu er sprach: »Es soll geschehen, wie Fürstliche Gnaden es befohlen.«

Und die Pferde wurden wieder abgesattelt, die Ritter zogen den schweren Lendner wieder aus und ließen Helm und Schild an der Wand hängen, Vörsfeldes Wunde konnte in aller Gemächlichkeit heilen, und heilte noch einmal so schnell in der Aussicht auf den Besitz der reichen und schönen Base. Herzog Ernsts Gnadensonne aber leuchtete nach wie vor über dem Hause mit den sieben Türmen und der Stadt Braunschweig.

Den Weihnachtsabend hatte der Fürst zur festlichen Feier der förmlichen Verlobung angesetzt. Als daher jetzt die Verteilung der Geschenke vorüber war, nahmen der Bürgermeister und seine Gattin Ilse in ihre Mitte, zu beiden Seiten des Junkers aber traten der Herzog und sein Bannerträger Dieterick van Walmede, so führte man sie einander entgegen. Der Junker Vörsfelde sah noch blaß aus, auch war sein dickes Gesicht schmäler geworden, hatte er doch zum ersten Male heute sein Krankenlager verlassen, auf das ihn Rolefs Schwert geworfen. Aber noch bleicher war Jungfrau Ilse, den Kopf trug sie vornübergeneigt, die großen blauen Augen waren fast ganz von den Lidern bedeckt, die Lippen fest zusammengepreßt, als müßten sie den Schmerzensschrei zurückhalten, der aus dem Innersten ihres gequälten Herzens aufstieg. So blieb sie, als sie dem Junker gegenüber stand, kein Blick grüßte den Verlobten, kein Wort kam über ihre Lippen, als ihr der Herzog den Brautring an den Finger steckte, und als Vörsfelde ihre Hände faßte, waren sie kalt wie Eis. Aber als er den Arm um sie schlingen wollte, da riß sie sich heftig los. »Noch nicht«, stammelte sie, und zum ersten Male begegneten ihm ihre Augen, aber nicht voll bräutlichen Glückes, sondern voll glühenden Hasses.

Ihre Mutter kam ihr zu Hilfe.

»Seht Ihr nicht, daß sie krank ist«, fragte Frau Margarete. »Verlangt nichts Übermenschliches!«

Nach diesen Worten umfaßte sie die Wankende und führte sie zum Saal hinaus. Der Junker Vörsfelde aber machte ein Gesicht, welches bedenklich dem des Ratsmannes Eggeling van Strobecke ähnelte, als derselbe Rolefs Kerker leer fand.


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