Richard Dehmel
Die Verwandlungen der Venus
Richard Dehmel

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Venus Maculata.

        Drum komm, o komm, noch einmal schweigt
so voll ins Feld, so voll bereit
der Mond ins Feld; noch einmal zeigt
die weite Nacht,
die zweite Nacht,
mir deine nackte Seligkeit.

O komm, o komm, ich will dich sehn!
rings rauscht der alte Eichenhain;
die langen Wiesenhalme stehn
so still, so weich
am kleinen Teich,
und schimmernd tauchen wir hinein.

Und schimmernd, schimmernd lieb'ich dich
heraus ins dunkelgrüne Kraut;
dein schwarzes Haar umrieselt mich,
der Tau wird warm,
und Arm um Arm
erkennt den Bräutigam die Braut.

Und dann – o dann – o flieh! – denn dann:
wir hatten Schooß in Schooß geruht:
von einer weißen Blüte rann,
du sahst es nicht,
im bleichen Licht
ein Tropfen Blut – Dein Tropfen Blut –

          Eitle Rührung, frech Bedauern,
Räubermitleid nach dem Raube.
Oder war's ein echt Erschauern?
Narr, was fragst du – glaube! glaube!

Selbst der Reinste muß erleben,
von Verführungen umtobt,
daß der Geist sein wahres Streben
an Verirrungen erprobt.

Und da lass ich mich von schalen
Skrupeln bis aufs Blut zerquälen?
hier, wo hochher Sterne strahlen,
die zu frischem Mut mich stählen!

Nein, ich will mir's kühn bekennen:
auch die Lüste, die wir schuldbewußt
Unnatur und Unzucht nennen,
sind Natur und neue Züchtungslust –

ich, der selber einst tiefinnen
nur empor nach freierer Menschheit ächzte,
während meine tierischen Sinne
doch nach Dir tyrannisch lechzten,...


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