Richard Dehmel
Die Verwandlungen der Venus
Richard Dehmel

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Ouvertüre

Das entschleierte Schwesternpaar

Moralisch Burleske

                Sie war geflochten aus besten Stricken,
aus bleiverknoteten, festen, dicken,
meine Geißel nämlich – und der Stil
so grad recht handlich zum Prügelspiel.
Doch nein: es sollte ja ernst zugehn:
ich wollte das Schandweib blutig karbatschen,
diese alte Prüde mal zappeln sehn.
Also rasch in den Frack! in die Ecke die Latschen,
die Lackschuh an, Glacés, Chapeau,
damit nicht etwa, käm ich so
als Mensch blos, ohne den Affenschniepel,
Verdacht entstände: hinaus, du Rüpel!
Ich las noch einmal die Adresse:
Frau Geheime Komm.-Rat J. von Kohn
etcetera – die »Kommission«
verschwieg man, schien's, aus Delikatesse.
Eine Krone drüber, riesengroß,
ersetzte das »geborne« Schwänzchen.
Da war ich geladen zum Lesekränzchen.
Denn, verehrter Leser, ich träumte blos.

Hm! dacht'ich: wie wird sie mich begrüßen?
Wahrhaftig, sie hatte Carrière gemacht,
hatte mich immer schon ausgelacht –
na warte, Kröte, heut sollst du's büßen!
Ich übte Probe; verdammt, das zog,
wie die Knute um Wade und Schienbein flog!
Ich knöpfte sie zärtlich unter die Weste,
ich übte den Handgriff, es ging aufs beste.
Noch ein Blick in den Spiegel! famos, famos,
das wird ein lustiges Lesekränzchen:
erst Faust von Goethe, und dann mein Tänzchen!
Faust?? – Wie gesagt, ich träumte blos.

Wo hatt ich sie eigentlich kennen gelernt?

Seltsam! ich sann und sann und sinnte,
meine Gedanken waren wie Stinte:
kaum da, schon wieder weit entfernt.
Ich lief und lief, durch Zeit und Raum,
von Straße zu Straße, in meinem Traum:
ich wußte genau, ich kannte sie
seit je, die Dame Prüderie
und doch: wer war sie? – Das war ja rein
zum Rasendwerden mit dieser Fratze:
Doch immer die selbe! dies Blinzeln! Nein,
doch nicht! bald lüstern, fast wie'n Schwein,
bald wie'ne Schlange, nein wie'ne Katze.
Und dennoch – Teufel, ich irr mich nicht:
um diese vielfältigen Blicke immer
das selbe zahme Kaninchengesicht,
nein Affengesicht, nein Hühnchengesicht,
das selbe säßlederne Frauenzimmer.

Ah – ja natürlich! klar wie Butter:
erst war sie die Tochter von unserm Paster.
Die warnte mich stets vor dem Pfad der Laster;
dann wurde sie heimlich Fräulein Mutter.
Das heißt, nicht etwa von meiner Seite,
ich wußte noch nicht, was der Vogel gepfiffen,
ich nahm die Worte noch für die Leute;
ein Andrer, der hatte sie – besser begriffen.

Und dann: weiß Gott, das war sie ja auch:
die Frau Patin mit dem verschämten Bauch.
Ihr seliger Gatte war sehr verderbt,
er hatte ihr einen Apoll vererbt
mit nichts als einem Blatt zum Kleide;
drum band sie ihm, so geht die Fabel,
aus Himmelblauer chinesischer Seide
ein christliches Mäntelchen vor den Nabel.

Nein! Himmel! es war ja ihr Fräulein Base:
das ethisch-ästhetische Fräulein Lucinde,
die mit der Entenschnabelnase
und dem Traktätchen »Die Kunst der Sünde
Sie hatte sich züchtig nach einem Mann
in den vornehmsten Zeitungen umgetan,
doch wollte Keiner die Tugend belohnen;
nun schrieb sie poetische Rezensionen.
Ganz Deutschland pries ihren edlen Stil
ob seiner fließenden Reinlichkeit;
besonders Dehmel'n besprach sie viel
und beklagte seine Peinlichkeit.
In Höherem Auftrag ließ sie auch,
der Staat bewilligte die Mittel,
ein Werk erscheinen mit dem Titel:
»Das verbesserte Volkslied zum Schulgebrauch«.
An den Anfang war als Motto gestellt:
»Hähnchen von Tharau ist's, das mir gefällt«.

Und immer neue! Verdammte Hexe,
kaum bist du Eine, so sind es sechse –
Herrgott, nun ist sie gar ein Mann:
der Herr Seelenforscher von nebenan,
Privatdozent und Licentiat,
der den wunderschönen Vollbart hat,
er schwingt fürs Frauenwohl die Feder.
In Schriften spricht er und vom Katheder
über die höhere Sinnlichkeit
aller wahrhaft sittlich Emanzipierten
und die sexuelle Verworfenheit
und perversen Affekte der Prostituierten;
er will ein kirchliches Zuchthaus gründen
zur Korrektur der natürlichen Sünden.
Die termini technici liebt er nämlich,
so ein Fremdwort finden die Damen scharmant;
deutsch klingt gleich alles so beschämlich
und zehnmal weniger intressant.
Drum ist er, nur aus besagtem Grunde,
bei einem Spezialarzt ständiger Kunde.

Ah, da geht er ja wieder; Herr, warten Sie doch!
was machen Sie denn so breite Beine?!
Nein, er ist's ja garnicht – ah: Frau von Knoch
mit ihrem Möpschen an der Leine,
seine verehrte Gönnerin.
Ach nein: Frau Konsistorialrat Klooß,
mit dem würdevoll wackelnden Doppelkinn,
die »Witwen- und Waisen-Beschützerin«
und Fünfmillionenbesitzerin,
geborene Freiin von – Kronensproß.
Ihr Neffe, der war ein deutscher Dichter,
so einer von dem verruchten Gelichter,
die alles beim rechten Namen nennen
und gar keine moralischen Rücksichten kennen;
dem hat sie natürlich ihr Haus verschlossen.
Und da hat der Mensch die Frechheit besessen,
angeblich aus Mangel an Kleidung und Essen,
und hat sich 'ne Kugel durchs Herz geschossen.

Und immer neue! Mein Schädel brannte,
während ich so durch die Straßen rannte;
ich lief und lief wie spukgeschreckt.
Aus allen Mienen, aus allen Blicken,
als hätte ein Teufel die Welt beleckt,
schien mir dies Weibsbild entgegenzunicken.
Seitdem ich die Nase ins Leben gesteckt,
war sie mir über den Weg gekrochen
mit ihrem frommen Kaninchengesicht,
nein Katzengesicht, nein Hühnchengesicht,
mit ihren schlangengeschmeidigen Knochen.

Sie hatte so'was in den Augen,
das schien sich einem ums Herz zu stricken,
alle Liebe drin zu ersticken
und jede Männlichkeit auszusaugen.
Und wo man hinkam, war sie zu treffen,
sie schien die reine Gesellschaftsklette;
sie ließen sich Alle geduldig äffen
von dieser verzuckerten glatten Kokette
mit ihren ahnungslosen Mienen,
die – seltsam – nimmer zu altern schienen
und die ich auch niemals jung gesehn;
ihr schien die Natur aus dem Wege zu gehn.
Zwar: sie auch ihr! denn sonderbar:
kein Haus, in dem dies Rackervieh
nicht irgendmal zu finden war,
blos in den Hütten des Volkes nie.

Und immer, waren wir mal zu Zwein
und ich wollte der Hexe die Wahrheit geigen,
so ein Lächeln und Lispeln: »lassen Sie sein,
geliebter Freund! wie süß dies Schweigen!«
und ein Seufzen, ein schmachtendes Fächerwiegen:
»ich weiß ja, alles ist natürlich!«
und ein lüstern lauerndes Hüftenbiegen:
»im Wort nur ist es ungebührlich!«
Dann aber, wie bei Leckerein
die Eßbegierden rasch verfliegen,
fing plötzlich so ein glasiger Schein
ihre schwülen Blicke an zu lähmen;
ich konnte den Ekel kaum bezähmen,
ich fluchte, um nicht auszuspein.
Das brachte sie jedesmal zum Lachen:
»Sie wollen die Welt wohl besser machen?«

Nur manchmal, wenn sie wie in Schauern,
als ob sich ihr Gefühl ertappte,
die Lider über die Augen klappte,
empfand ich was wie ein Bedauern:
vielleicht steckt doch in all dem Schleim
ein kleiner verschimmelter Edelkeim.
Ich spürte dann immer so ein Jucken
in allen fünf Fingern, ihr die Mucken
mal mit der Karbatsche auszuplätten;
man weiß ja, Prügel und dann ein Kuß
ist verrückten Weibern ein Hochgenuß –
Das war das Letzte, das konnte sie retten.

Herjee, das war's ja, das wollt'ich ja eben!
und siehe da: schon bin ich zur Stelle.
Sie thronte, von ihrem Stab umgeben,
der kleine Herr Gatte stand dick daneben,
grad gegenüber der Zimmerschwelle.
Die persischen Polster und Teppiche strahlten
im weißen Schimmer der Glühlichtblüten,
die Teelöffel klirrten, Brillanten sprühten,
die Seidenroben rauschten und prahlten;
auch sprach man schon. Ich legte die Rechte
verbindlich an mein Westenlätzchen
und – fühlte nach meiner Knutenflechte;
sie steckte sicher; na warte, Schätzchen!

Laut. Gnä'je Frau, ich habe das Glück.
Sie schien mich garnicht wiederzukennen.
Ich nahm die Ehre, mich zu nennen.
»Ah, der neue Herr Lektor. Ein'n Augenblick.«

Natürlich! sie hatte jetzt höhere Ziele,
die Geheime Komm.-Rat J. von Kohn,
als ihre plebejischen Kinderspiele;
sie war ja bei Hofe Vertrauensperson.
Sonst schien sie aber nicht verändert,
nur sozusagen zart konserviert,
die verschleierten Augen pikant umrändert,
und das Haar im »Jugendstil« frisiert.
Dem Herrn Geheimen schien, wie Allen,
seine Geheime sehr zu gefallen.

Nun fing man an von Kunst zu sprechen.
Der Herr Geheime sprach: Verßeihn Se,
wenn ich so frei bin aufzubrechen,
ich habe Geschäfte beim Hofrat Heinse.

»Oh« – »leider« – »bitte« – bedauerndes Lächeln,
Verbeugen und Neigen und Wangenfächeln.
»Ja, leider dringende Kommission,«
verschwand mit Würde Herr J. von Kohn;
nun ging es hoffentlich bald los.

Ich sah mich um – i, Gott soll schützen,
da schienen ja lauter Bekannte zu sitzen!
Da rechts: Frau Konsistorialrat Klooß,
geborene Freiin von Kronensproß.
Da: Fräulein Lucinde von Entenschnabel.
Da die Pate mit dem verbundenen Nabel,
und Frau von Knoch mit ihrem Begleiter,
und die Pastertochter – na, und so weiter:
das ganze verehrliche Lesekränzchen,
wie sie da saßen und standen, die Biedern,
auf ihren unaussprechlichen Gliedern,
germanische wie semitische Pflänzchen:
o Boccaccio, göttlicher Schmetterling,
dies Häufchen Gemüse in Einer Schüssel,
das wär was gewesen für Deinen Rüssel,
wenn nicht auch Dir der Spaß verging!
Ja, die Frau Geheime war unbestritten
in den weitesten Kreisen wohlgelitten.

Gott sei getrommelt und gepfiffen:
jetzt winkte sie. Die ganze Herde
schien plötzlich ehrfurchtsvoll ergriffen,
und mit entsprechender Geberde
sprach die Geheime: »Lieben Freunde,
ich bin entzückt und hingerissen,
daß meine treue Kunstgemeinde
so fest zusammenhält. Sie wissen,
daß wir uns heute dem unendlich
von uns verehrten wundervollen
Genie von Weimar widmen wollen;
des heißt mit Auswahl selbstverständlich.
Ich darf wohl bitten – hier, mein Lieber,«
das ging an meine Wenigkeit,
sie reichte mir den Faust herüber –
»die gestrichenen Stellen abzuachten;
wenn's dahin gefällig, wir sind bereit.«

Ich sah in das Buch; zwei Diener brachten
mir Lesepult und Wasserglas;
ich sah in das Buch. Ei Teufel – Das,
das ging wahrhaftig über den Spaß:
da war ja Alles, schien's, gestrichen.
Na, ich nahm Platz, die Diener schlichen
lautlos hinaus, ich machte tief
mein Kompliment, mein Auge lief
die Blätter durch – aha! hier oben
ein ganz besonders fetter Strich
Und salbungsvoll das Kinn gehoben,
begann ich ernst und feierlich:


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