Richard Dehmel
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Richard Dehmel

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Ein Brandbrief

        »Schöne und geliebte Dame« –
wenn die Kühnheit uns erlaubt ist;
oder,wenn sie nicht erlaubt ist,
»Gnädiges, verehrtes Fräulein« –
hehre Schwester in Apoll!

Höchst prosaisch, aber desto
mehr gelesen ist das Prachtwerk,
höchstens noch der Bildungs-Meyer
ist in Deutschland mehrgelesner
als dies Prachtwerk, drin wir eben
mit dem großen Blick der Freude
und mit kleinen Lettern Euer
holdes Dichterheim entdeckten,
nämlich im Adreßkalender:
Numro dreizehn, Blühmkes Hof.

Ach, der Eine von den beiden
höflichst Endesunterschriebnen
kann den Sonntag nicht vergessen,
jenen Sonntag, Donna Agnes,
als wir unter den Akazien
auf dem schmalen tiefen Sandweg,
neben dem Kartoffelacker
mit den vielen rosaroten
abendlich beglänzten Blümlein,
von den kleinen Kindern schwärmten,
ganz besonders von den dicken,
die Sie gern anbeißen möchten,
ach, und dann auch von den großen,
aber leider ziemlich magern
Kindern, jenen unverblümten
Liebesdichtern, die Sie, glaub' ich,
auch am liebsten beißen möchten,
ach, und von dem – Herrn Major.

Nein, er wird es nie vergessen,
nie und nimmer, dieser Eine.
Und der Andre von den beiden
höflichst Endesunterschriebnen
hat vor Neid kaum essen können
(achtzig Pfennig à la carte) –
als ich einmal übers andre
mein Erlebnis mit geschwenkter
Gabel in die Lüfte malend
»unvergeßlich, unvergeßlich«
schwurbereiten Mundes rief.
Ach, der Ärmste, dieser Andre:
melancholisch vor dem leeren
Teller saß er, saß und knurrte
durch den dicken, herbstlaubblonden,
mittaglich bewegten Schnurrbart:
»Teufel, war der Braten hart!«

Aber ich, ein Arzt für Seelen,
die sich selbst nicht helfen können,
winkte mit geschwungnem Messer
einem schwarzgeschwänzten Bückling:
»Kellner, bitte, das Rezeptbuch,
nein, pardon, Adreßbuch mein' ich«
und so fand ich und verschrieb ich
jenem Andern und mir selber:
Numro dreizehn, Blühmkes Hof.

Donna Agnes, zwei Verlassne,
die sich selbst nicht helfen können:
denn des einen Liebesdichters
Leib-und-Seelen-Zuflucht hat sich
in ein Ostseebad verflüchtigt,
und der andre mit dem dicken
blonden Schnurrbart hat gar keine:
zwei von Weib und Welt Verlassne
flehen hier mit zwanzig Fingern
um ein hilfbereites Herz.

Donna Agnes, Eures Namens
keusche Schutzpatronin wird Euch
mit viel tausend deutschen Lesern
und noch deutschem Leserinnen
einst zum Lohne benedeien:
Donna Agnes, bitte bitte,
pumpen Sie uns hundert M!

Wir verpflichten uns auch gerne,
sie uns selber abzuholen,
sie und Sie, und anstandshalber
auch die Sonne mitzubringen,
echte goldne Sonntagssonne,
die auch Wochentags kann scheinen,
einen ganzen halben Tag lang,
in ein paradiesisches Gärtchen,
wo es einen himmlischen Sekt gibt,
wo wir Abends mit den Blättern
um die Wette schwärmen können,
mit den Blättern der Akazien
oder auch der Roßkastanien
oder des Kartoffelackers,
von den kleinen dicken Kindern,
von den Kindern wie die Kinder,
nur nicht von dem – Herrn Major.

Item: Eures Winks gewärtig,
jedem Stephansboten fluchend,
der nicht Botschaft von Agnesen,
Botschaft und Entbietung bringt:
liegen wir (Straubinger Straße,
Numro fünfzehn, fünfte Treppe)
Donna Agnes, hehre Schwester,
ehrerbietigst hier auf unsern
unverblümten Dichterknieen
Dir zu Füßen:

Richad Dehmel,
Detlev Freiherr Liliencron.

 


 


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