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Drei ganz junge Mädchen

Der See war sehr blau.

Schneeweiße Schwäne schwammen sanft und leise wie junge Träume über ihn hin.

Die drei saßen im Kahn und glitten langsam und versonnen in den vielfarbigen Sommerabend hinein.

Vom Ufer fiel das schwanke Weidengezweig über das Wasser und baute grüngoldne Tore über sie hin. Der singende Abendwind flog über den rauschenden Wald die Höhen hinan und schüttete die zarten, heimlichen Düfte seines sonnendurchhauchten Laubes auf sie hinab.

Hoch in den Tannen verstrickt flammte der purpurne Abendschein und legte der jungen Holdseligkeit goldne Strahlenkränze auf Haar und Antlitz. Ein Hauch von Reinheit und Stille war um sie her. Ihre Augen leuchteten wie Sterne, die nichts von dem Himmel wissen, aus dem sie erblühen. Ihre zarten Seelen ruhten wie kostbare Edelsteine in der goldnen Schale ihrer unberührten Jugend. Ein Dreiklang von unendlicher Süße und Schöne schwebte mit ihnen über die abendstillen Wasser.

Die an den Rudern saß, war schwarzhaarig. In den dunklen Augen sprühten kleine, goldne Funken auf, die samtzarte Haut hatte die Farbe neu erblühter Rosen, ihre kraftvollen Glieder dehnten und spannten sich in wallendem Rhythmus des reifenden Blutes. Sie spielte lässig mit den Rudern im Wasser, der leichte Kahn ließ sich willig treiben.

Am Steuer lehnte Bella, träumerisch versunken. Ihr Goldhaar funkelte und glitzerte im Abendrot, in dem strahlenden Blau der Augen lag eine Welt von jener ziellosen Zärtlichkeit und Sehnsucht, die so entzückend zu schauen ist und doch so traurig macht. Ihre Haltung hatte die schlaffe Lässigkeit, die das plötzliche Wachstum letzter Entfaltungen zu begleiten pflegt. Ihre Arme hingen nachgiebig über den Rand des Bootes, und die bleichen, schlanken Finger überließen sich wohlig dem gleitenden Spiele der Wellen.

Auf einer roten Seidendecke, in der Mitte des Kahnes am Boden hingestreckt, lag die dritte. Ihre Augen waren geschlossen. Das zarte Mädchenangesicht und die eingliedrige Gestalt, von dem dreifachen Rot der Seide, des Abendlichtes und der in diesem Lichte aufglühenden Farbe märchenhaft umhüllt, war von jener unirdischen Süße, wie sie Fra Angelicos holdseliger Kunst entstrahlt.

Die beiden anderen sahen diese Schönheit nicht.

Von sich selbst erfüllt und dennoch ihrer selbst noch unbewußt, blickten ihre Seelen gleichsam ins Leere, an aller Unendlichkeit der Fülle des Lebens vorüber, von dessen dunklen und glühenden Geheimnissen die Wurzeln ihres Wesens noch unberührt waren.

Von der Kapelle am Ufer fielen sieben Schläge in die Luft, die wie runde Perlen in das Wasser hinglitten.

Jetta öffnete die Augen, schaute ein wenig verstört um sich.

– Wie schön habe ich geträumt – lauter Farben – eine rote Wiese voller bunter Blumen – ein Engel flog darüber hin und küßte mich.

– Heute habe ich Else's Kleine gesehen – sagte Bella. O so etwas Wundersüßes – die Füßchen und Händchen – das Mündchen und die feinen Härlein – o so wundersüß – ich möchte einmal viele, viele Kinder haben.

– Wißt ihr schon, daß Paul kommt – sagte Erda – morgen schon – der ist jetzt Student – wie er wohl aussieht?

– So sprachen sie zueinander und doch nur zu sich selbst. Noch waren ihre Seelen unfrei und nur an sich selbst gebunden.

– Gib acht – Bella, wir müssen anlegen.

Sie waren an der kleinen Insel angelangt, wo sie im Sommer ihren Abend verbrachten.

Wie sie diese Insel liebten. Geheimnisvoll raunte es da in den üppigen Bäumen, deren Geäst in dunklem, schwerem Gewirr vor der verglühenden Abendsonne stand. Im hohen, schwanken Schilf plätscherten die kleinen Wellen, im hellen Grase leuchteten noch späte Sommerblumen. Hier fühlten sie sich seltsam frei und geborgen vor so vielem, das draußen sie so fremd und herrisch und drohend in seiner Unverständlichkeit umgab.

Sie hatten sich einen zarten Gottesdienst für diese Abendstunde ersonnen, den sie täglich in kindlich geheimnisvoller Weise begingen.

– Wir wollen unsere Bäume grüßen – sagte Bella –

Und die Drei faßten sich an den Händen und schritten in schönem Reigentakt zur Mitte der Insel, wo drei hohe, schlanke Birken im eigenen Silberlichte leuchteten.

– Ich grüße dich – rief jede und eilte zu dem Baume, den sie sich erwählt.

– Mein lieber, schöner, schöner Baum – sagte Erda und streichelte mit zärtlichen Händen den schlanken, seinen Stamm.

Bella erhob die Arme zur Höhe des Baumes, schaute mit sehnsüchtigen Blicken in sein Geäst – ich grüße dich, mein Baum – sagte sie mit leiser, sehnsüchtiger Stimme.

Jetta ging ganz nahe zu ihrer Birke, legte beide weichen Arme um ihn, drückte das süße Madonnengesicht an seine feine Silberhaut und küßte ihn mit ihrem warmen, sanften Munde.

Der große Franziskus würde diese Drei mit seinem tiefsten Segen gesegnet haben.

Dann faßten sie sich bei den Händen und sangen einen leisen, stillen, heimlichen Sang, den sie sich selbst gedichtet; sangen und tanzten vor ihren Bäumen wie einst der fromme Tänzer vor seiner lieben Frau.

So von dem Überschwang ihrer pochenden, aufblühenden Jugend entlastet, fanden sie sich wieder zur Wirklichkeit zurück.

Eine sammelte Holz zum Feuer. Die andere holte die mitgebrachten Vorräte aus dem Kahn. Jetta stand verträumt an ihrer Birke und lauschte. Über ihrer reinen, hohen Stirn huschten flüchtige Schatten, die gleichsam wie der Flügelschlag ihres erwachenden Geistes waren, der sie überhauchte.

Die andern ließen sie. Sie wußten es, daß sie immer etwas abseits blieb und nie rechtzeitig in den Rhythmus des praktischen Augenblicks einfallen konnte.

Sie bereiteten sich ihr Mahl.

Aßen, sangen und plauderten. –

Und mittenhinein hörte man plötzlich das leise plätschern und Glucksen von nahendem Ruderschlag.

– Was ist das – sagte Bella – was kann das sein?

Sie waren noch nie gestört worden und erschraken.

Sie sprangen auf und lauschten gespannt.

Jetzt legte leise und vorsichtig ein Boot an.

– Gut Freund – rief eine laute, helle Männerstimme – und mit drei, vier weiten Sätzen sprang der Rufende zu ihnen her.

– Paul! riefen die Drei wie aus einem Munde und stürzten ihm entgegen. Mittwegs aber stockten ihre Schritte.

Das war ein anderer, als den sie bisher gekannt, der da vor ihnen stand, zu dem die alte Zutunlichkeit nicht recht passen wollte.

Sie schauten einander an.

– Nun, was ist's mit euch – Mädels – kennt ihr den Paul nicht mehr? Er lächelte sehr freundlich und gütig, aber ein klein wenig herablassend.

Die Mädchen waren alle seltsam verlegen und erröteten. Erda, die mutigste, ärgerte sich über sich selbst, sprang zu ihm hin und tippte mit der Fingerspitze an seine bunte Studentenmütze, an sein feines, zierliches, junges Bärtchen.

– Das ist's, Herr Paul – das macht dich plötzlich so anders.

Paul lachte amüsiert und etwas geschmeichelt auf, ergriff Erda's Hand und küßte sie.

Da war sie dunkelrot und hilflos, und die Goldfunken in ihren Augen sprühten und glitzerten.

– Kommt, setzen wir uns gemütlich wie einst – sagte er, und warf sich in das Gras.

– Wo kommst du so spät noch her? fragte Bella.

– Die Sehnsucht nach euch – kam mittags an; telephonierte zu euch – hörte, daß ihr zur Insel wolltet, und da überraschte ich euch – reizend von mir, was?

So brachte er sie mit seiner burschikosen Art, die ihnen neu war, wieder langsam ins Geleise. Und als er dann aus seiner Tasche drei wunderfeine Schachteln mit süßen Dingen herausbrachte und ihnen zusteckte, war der Bann gebrochen.

In voller Selbstvergessenheit lösten sie sich in die Wonne der süßen, schmelzenden Dinge aus, von denen es ihnen so schmeichelnd über die Nerven ging. Sie warfen Paul die bunten Hülsen in die Haare, steckten ihm eine Süßigkeit in den Mund und vergaßen ganz, daß es spät wurde.

– Himmel, eure Eltern werden sich ängstigen – kommt, ich rudere euch schnell heim – sagte plötzlich Paul.

Und mit seinem kräftigen Tempo brachte er sie in einem Drittel der Zeit heim, die sie vorher gebraucht hatten.

Nun trabten sie die mondhelle Straße zu ihren Landhäusern zurück.

Bella schob sich zu Paul hin.

Erda und Jetta gingen Arm in Arm hinter ihnen.

– Welch wunderschönes Haar er hat – sagte Erda und sah verzückt in die Fülle des dunklen Gekräusels, das unter der bunten Mütze hervorquoll – ich möchte gern einmal hineinfassen.

– Wie seltsam heut das Mondlicht leuchtet, ist es nicht wie ein Märchen? flüsterte Jetta, und ihre sanften Taubenaugen waren voll Traum und Geheimnis.

– Ich war heute bei deiner Schwester – sagte Bella zu Paul.

– Und hast das Baby gesehen?

– Oh – ja – das Baby – ein schwerer Seufzer aufgeregter Freude kam über ihre Lippen.

– So etwas Süßes – diese Füßchen und Händchen und Fingerchen – dieses kleine, liebe Mündchen und Näschen – es ist zu schön. In ihrer Erregung hängte sie sich an Pauls Arm und drängte sich nahe an ihn – ach, so etwas Reizendes und Entzückendes – o ich will einmal viele, viele Kinder haben – drei, – vier, – fünf – ach nein, zwölf müssen es sein.

– Ja, da mußt du aber erst heiraten, liebe Bella.

– Das schadet nichts – sagte sie – aber denk' nur – vierundzwanzig kleine, süße Füßchen und Händchen.

Pauls Lachmuskeln hatten schon zu einer gewaltigen Explosion angesetzt, und es flog ihm durch den Sinn, welch ein famoser Witz das für seine Tafelrunde wäre.

Aber da regte sich in den fernen, etwas verstaubten Winkeln seiner Seele jenes heilige Reine, das jede gute Mutter ihrem Kinde mitgibt, und er legte sanft und behutsam seine Hand auf Bella's bewegliche Finger.

– Ja, das wird reizend, liebe, kleine Bella, und ich freue mich schon jetzt darauf.

Dann trennten sie sich. Und die drei kehrten zu den weißen Träumen ihrer zarten Seelen zurück, Träume, die aus den tiefen Brunnen des Lebens steigen und das schlafende Blut mit ahnenden Bildern umspielen.

Mögen die Götter euch segnen – ihr holden, süßen, ganz jungen Mädchen.

Euer reiner Atem entsühnt die von Schuld und Reue schwere Luft umher. Eure tanzenden Schritte machen die Erde leicht und jung, und eurer Augen holde Lauterkeit bannen die Dämonen der Finsternis, die alles Menschliche umschleichen.

Mögen die Götter euch segnen – ihr goldnen Schalen der Unschuld, aus der die Hände der Zukunft ihre tiefsten Hoffnungen und ihren seligsten Glauben schöpfen.


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