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Der Fremdling

Für jede Seele ist die Liebe eine andere Landschaft. Für eine ist sie das ewig lachende Blaumeer, von schwellenden Düften fremder Blüten umströmt.

Eine schaut in keusche Waldhöhen, wo die warmen Schatten hochragender Wipfel um das tiefe Einauge eines stillen Sees spielen.

Andere starren in das Chaos aufeinandergehäuften Felsengeklüftes, das, von glühenden Sonnenbränden überschwellt, nie zu einer reinen Linie sich entwirrt.

Schluchten gibt es in den Tälern der Liebe, die nie zu einem Ausgang führen.

Abgründe, die, von geil wuchernder Schönheit umstellt, mit geheimnisvoller Lockung ihre Opfer zu sich heranholen, um an ihrem Rande nur noch Raum für einen einzigen Schritt, den Schritt des Todes, zu finden.

Nur auf den ragenden Gipfeln der Höhe blüht jene Reine der Liebe, die aus der Ewigkeit des Lebens flutet, die in der Unendlichkeit ihres Wellenganges, den tausendfachen Brechungen ihrer Flammen und ihres Lichtes aller Melodien Widerhalle in sich birgt und wandelt, die dem Urschoße des Seins entquellen.

In den schwärenden Niederungen aber wächst das ruchlose Gift, das, mit dem Blendglanz brünstiger Farben den Hauch des Todes überdeckt, jenes bitteren Todes, der die Seele, unerlöst von Leben und Liebe, zu den Schatten der Ewig-Wandernden verstößt. –

Armer Fremdling, der du, von einem falschen Lichte geblendet, vom trüben Willen krank getonten Blutes zu diesen Niedrungen deine Lockung fühlst. –

Er war ein Fremdling.

Seltsam züngelte in ihm die Lust nach dem jungen, keuschen, heißen Erschrecken des ersten Aufflammens im Blut und Blick des Weibes.

Tage- und wochenlang konnte er eine der ganz Jungen verfolgen. Ihre sanfte Ahnungslosigkeit und spröde Herbheit reizten ihn zu einer wahnwitzigen Sucht. Er spielte und umwarb die schlafende Knospe mit raffinierter Zielsicherheit und schmeichelnder List. Und hatte er eine der flatternden bunten Lichtseelen grausam erhascht wie einen fliehenden Schmetterling – dann hatte seine fiebernde, kranke Spannung den höchsten Grad erreicht.

Denn nun galt es ihm, die endlich erhaschte Keuschheit mutwillig zu zerstören, alle ruhenden Impulse mit grausamer Wollust zu wecken, und wenn die gemarterte Natur endlich zu dem Schauer der Erkenntnis erwachte und die erste Süßigkeit des Verlangens und der Sehnsucht im trunken gewordenen Blute aufglomm –

Dann kam seine Sekunde krankhafter Erregung und Entspannung zugleich, – wenn er dieser jungen, keuschen, von seinem Gifte vorzeitig entbrannten Weibesseele den Dolch der Entsagung mitten in das auflohende Verlangen stoßen konnte.

– Ach – sagte er – in allen Pulsen bebend – geh, ich verachte dich – ich wollte dich nur prüfen, wie weit ich dich bringen konnte.

Und das Zusammenbrechen des in seiner Scham und Qual vergehenden Geschöpfes – das war ihm dann das Allerletzte, das er zu seinem aufgewühlten Leidenschaftsgenusse brauchte.

Mit vielen trieb er so sein rohes Weidwerk.

Immer lüsterner wurde seine Erwartung auf die neue Variante des kommenden Spieles.

Und eines Tages hatte er eine gefunden, die schlug ihn mitten ins Gesicht und stürzte mit einem wilden Fluch aus dem Zimmer hinaus.

Er lachte laut auf. Das war doch einmal etwas ganz Neues.

Was würde weiter noch möglich sein? Er harrte in krankhafter Spannung auf kommende Sensationen.

Da fand er sie.

Die ganz noch Unerblühte.

Auf dem Friedhof war es. Sie lehnte am Grabe der Mutter.

Aus der Dunkelheit des Gewandes leuchtete ihre sanfte Lieblichkeit wie eine Lilie auf.

Er stand wie gebannt. Diese aufgelöste Hingegebenheit an sich reißen, diese schwermütige Müdigkeit aufstacheln, diese im Schmerz erstarrten Augen aufglühen machen im Taumel des erwachenden Rausches –

Er nahm die Rose von seiner Brust, trat zu ihr hin und reichte sie ihr.

Spontan, wie im Traum griff sie danach.

Er hielt sanft ihre Hand und sah ihr in die Augen.

Dann ging er.

Sie legte die Rose auf das Grab, und sein Bild entfiel ihrer Seele.

– Sie sind allein – sagte er am nächsten Tage, und seine Worte hatten den weichen, bebenden Klang tiefer Ergriffenheit.

– Ganz allein – entgegnete sie mit leiser, verlöschender Stimme. Ihr Blick hing leer in dem seinen, und als er an ihr vorüber war, wußte sie nichts mehr von ihm.

Doch er kam täglich, und täglich fand er sie zerbrochen und hilflos unter der Qual der lastenden Einsamkeit.

Er grüßte sie tief und eindringlich. Sagte ein Wort der Frage, des Trostes, bis sie ihn allgemach wie den Schatten ihres Schmerzes empfand, der überall mit ihr war.

Da nahm er eines Tages ihren Arm, legte ihn in den seinen und führte sie von dem Altare ihres Leides weg, hinaus zu den blühenden Gärten des Lebens.

Langsam, ganz langsam, Schritt um Schritt gelang es ihm, Augen und Ohren wieder willig zu machen, anderes zu sehen als immer nur den Schmerz, anderes zu hören als nur die Klage.

Aber je länger es dauerte und je schwerer es ihm wurde, sie über die geweihte Schwelle des Todes hinweg zu überreden, um die Tore zu den Gefilden des Lebens so leise und unhörbar vor ihr zu öffnen, daß sie eines Tages, geblendet vom ungewohnten Licht, in tiefen Schauern erbebte, – desto straffer spannte sich seine kranke Lust, diese makellose Lilienreine an der Brandfackel der Leidenschaft aufglühen und ersterben zu sehen.

Immer enger umkreiste er sie mit den Lockungen und Verderbungen seines bösen Willens, und jeder Schritt, der sie näher zu dem Abgrunde heranführte, erfüllte seine lauernde Lust mit dämonischer Freude.

Und endlich hatte er sie so weit gebracht, daß die Schauer der Leidenschaft über sie hinflogen wie Sommerwinde über bebendes Espenlaub, und ihre kühle Stille an dem wilden Feuer seiner Lockungen zersprang wie feines, klirrendes Glas. Alle Türen der Erwartungen öffneten sich weit in ihr, um alle Holdheit der Liebe aufzunehmen, die sie zu dieser Schwelle gebracht. Konnte anderes als Liebe so führen wollen?

Und da stieß er auch ihr den scharfen Dolch der Verachtung mitten in die aufblühende Knospe ihres keuschen Weibtums.

Das jähe Erbleichen, das furchtbare Erschrecken, die hilflose Verwirrung, die über sie herfielen, und das eben noch in aller Süße der erwachenden Liebe wie von einem Mantel der Schönheit umhüllte, urplötzlich in ein Chaos widersprechendster Empfindungen verstrickte Geschöpf gab dem Versucher diesmal den wildesten Siegesrausch, und, von seinem perversen Triumphgefühl verzückt, überließ er die Einsame allen Qualen der Scham und Verzweiflung. –

Andern Tages las er in den Zeitungen, daß sie durch einen Sturz aus dem Fenster ihrem Leben ein Ende gemacht. Da zog es ihn, wie den Mörder, unwiderstehlich zu der Toten hin.

Von hohen Kerzen umstrahlt, von einem blühenden Garten umstellt, fand er sie in der Totenhalle.

Der zerbrochene Körper lag von zarten Spitzengeweben verhüllt. Das holde Angesicht war unversehrt und die keusche Lilienschönheit von einem tiefen inneren Leuchten durchstrahlt, als habe die fliehende Seele dem Körper für einen seligen Augenblick den Hauch ihrer Göttlichkeit zurückgelassen.

Der Fremdling schaute starr und finster in dieses königliche Antlitz, das, erlöst von dem Zwange seiner Erdhaftigkeit, in kristallener Reinheit erstrahlte.

Scharf wie ein Dolch stieß diese Reinheit in seine Finsternis. Und ein jähes Erkennen durchbrach die Schranken seiner entgöttlichten Welt.

Sein harter Wille brach zusammen, und wie ein wüster Trümmerhaufen überstürzten ihn die furchtbaren Erinnerungen seiner Tage und Nächte und schlugen ihm alle wilde Macht aus den zitternden Händen.

Sein Leben hatte plötzlich jeden Sinn verloren.

Und er gab sich den Tod.

Aber es war jener bittre Tod, der die Seele, unerlöst von Leben und Liebe, zu den Schatten der Ewig-Wandernden verstößt.


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