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In der Dämmerung

Hat nicht die Dämmerung etwas Auflösendes?

Die Grenzen der Wirklichkeit verschieben sich. Heute und morgen sind nicht mehr; nur die Zeit, das große Reservoir allen Geschehens, umbraust die Ufer des Bewußtseins. Doppelt aufgelöst zu sich selbst und uferlos im Empfinden wird diese Zeitgleiche zwischen Tag und Nächten dem sich ihr Hingebenden, wenn die goldnen Tropfen des Weines die letzten Kreise des Zwanges sprengen, in den jedes Leben durch die Wirklichkeit seines Berufes, seiner Stellung und Wesensart eingekettet ist.

So aufgelöst zu sich selbst und gegeneinander saßen die vier Männer in der Stunde des verebbenden Lichtes eines Spätherbstabends in dem traulichen Raum eines honigbraun getäfelten Trinkstübchens beisammen.

Der letzte Abendschein fiel durch die bunten Fenster auf die dunkle Diele. Im Kamin knisterten die ersten Holzscheite und machten die uralten Zinnkrüge und hohen Glasrömer auf den Paneelen förmlich jung und verführerisch.

Etwas stillos, aber bequem waren vier weiträumige Klubsessel um den runden Tisch geschoben, der aus dem Winkel der an der einen Wand zusammenlaufenden, lederbezogenen Bänke in die Mitte des Raumes gerückt war.

Denn die Vier, die da gemütlich und in wohliger Gelöstheit des Körpers und Geistes um Tisch und Weinhumpen saßen, waren die Jüngsten nicht mehr und wußten die Stillosigkeit dieser geruhsamen Bequemlichkeit ihrer Niederlassung aus dem vollgerüttelten Maß ihrer Abspannung und Ermüdung heraus gründlich zu genießen.

Das Lüsterweibchen an der Decke allerdings grinste ein wenig verächtlich aus sie herab, aber das genierte die alten Herren nicht weiter. Nach der großen Ferienpause saßen sie nun wie alljährlich wieder für Herbst und Winter um diese Abendstunde zusammen. Genossen die Dämmerung, so lang es irgend ging, denn sie wußten um den tiefen, süßen Zauber ihrer auflösenden und zugleich die Letztheiten der Seele aufregenden Macht. –

Der Hausherr schenkte die grüngoldnen Prunkrömer voll, und der köstliche Duft des sonnenschweren Weines ergoß sich wie eine feintönige Luft in den Raum und gab den erschlafften Nerven jene wohlige Spannung und sanfte Vibration, die in einem huschenden Augenblick das vom Tag und der Wirklichkeit zerquälte Ich zur Tiefe seines eigenen verschobenen Mittelpunktes zurückführt.

Die Vier ergriffen die Gläser und ließen sie mit den behutsamen Händen des Alters aneinanderklirren; in ihren Augen zitterte schon das leise Flimmern der Verträumtheit, die, aus dem Dufte des goldnen Trankes aufsteigend, in dem Sonne und Erde in glühenden Melodien zusammenschwingen, auch die verkümmerte Seele zu Rausch, Feuer und Jugend aufblühen läßt.

Und diese hier gehörten nicht zu den Verkümmerten.

An freien, weiten Horizonten lasen sie die Zeichen ihrer Lebensuhren ab und blickten auf ihren Weg zurück wie in einen Kelch voll tiefer, hinreißender Erinnerungen. Ihrer drei waren berühmte Koryphäen der Medizin, der vierte ein Künstler.

– Und nun, Freunde, was soll es diesmal sein – sagte der Hausherr. – Weißes, seidenweiches Haar hing ihm in schönen Locken silbern um das edle Apolloantlitz. Die Augen leuchteten in blitzendem Blau. Der Mund, in sinnlich geschwungenen großen Linien, sprach von dionysischen Festen, über denen aber die Weisheitsrunen der hohen, freien Stirn ihre sichere Zügelung ausstrahlten.

– Was soll es diesmal sein – fragte er mit der runden, festen Stimme bewußt zusammengehaltener Kraft.

Sie stellten sich immer ein Thema für diese, dem trunkenen Gotte geweihten Stunden.

– Eh – sagte der Zweitälteste unsere Reisebilder sind abgenutzt.

– Unsere Jugenderinnerungen kennen wir so ziemlich auswendig – meinte schalkhaft lächelnd der dritte.

– Nun – sagte der Künstler – und was bleibt ewig jung neben Wein und Gesang?

– Ha – das ewige Lied vom Weibe – von der Liebe – der Leidenschaft.

– Nun wohl, Freunde. Es sei. Da Liebe, Weib und Leidenschaft unerschöpflich sind, ist dieser Dreiklang wie das Leben selbst. Das Weib zumal, wir können es von tausend Seiten anfassen. Es ist immer neu – entschlüpft unseren Händen und ist immer wieder da.

– Ob wir dem Weibe auch so interessant sind als es uns? – fragte der Geheimrat B., von dessen rot umhauchtem Kopf und Bartwuchs und ebenso rötlich angehauchtem frischem Altersgesicht eine seltsam vibrierende Beweglichkeit ausströmte, die jeden Augenblick zu gefährlicher Entladung kommen konnte.

– Das glaube ich nicht – entgegnete Hofrat von M., das Weib sieht uns nur aus dem einen Punkte, aus dem all sein Ach und OH zu kurieren ist – während wir das ganze Spektrum seiner inneren und äußeren Strukturen überblicken und durchschauen. –

– Hm – durchschauen und überblicken. – Der Maler fuhr sich mit der weißen, sinnlich weichen, wohlgeformten Hand durch das dichte, immer noch schwarze Haar, schob die schwere, brutale Unterlippe vor, und in seinen dunkel aufglühenden Augen funkelte eine fast wilde Lebensgier.

– Durchschauen – er tat einen großen Zug aus dem Römer.

– Mag sein, für euch Männer der Wissenschaft – wir Künstler kennen sie anders – unseren Sinnen ein ewiger Durst – unserem Geiste ein ewiges Rätsel – Lust und Qual zugleich – Fluch und Segen – immer da und doch nie zu greifen, ein leerer Raum, in den wir unsere eigenen Sehnsüchte und Bejahungen hineinprojizieren. –

– Wohl – es sei das Weib – sagte der Hausherr, mit milder Stimme die Bitternis des andern vor sich hertreibend.

– Aber nicht unsere eigenen Erlebnisse – die wir wohl alle schon so ziemlich miteinander durchlebten – und an Neuem – meinte er mit bittersüßem Sarkasmus – wird wohl nicht viel Bedeutsames dazugekommen sein in Anbetracht unserer –

Der Künstler erhob das Glas – er konnte den Ton vom Altern nicht in seinen Ohren leiden, für ihn war die Zeit nichts, das Leben alles, und mit der Intensität seines Künstlerblutes fühlte er sich jenseits von Jugend und Alter in gleichem Rhythmus seiner selbst zu allem umher.

Die andern tranken und schmunzelten gütig und nachsichtig mit dem, was sie als seine Schwäche belächelten, im letzten Grunde indes als etwas sehr Starkes und Beneidenswertes empfanden.

– Also – nahm der Hausherr das Wort. Also vom Weibe, was wir Seltsames von ihm erfuhren durch das Medium des Andern – er sei Freund oder Feind. –

– Ihr Ärzte habt da leichtes Spiel. Ihr braucht nur hineinzugreifen ins volle Erfahren – nun, so beginne einer von euch. Aber etwas ganz Besonderes muß es sein, das unserem Rauschstündlein eine grause oder feine Würze gibt.

– Dann ist's an dir, zu beginnen – meinte der Hausherr und klang sein Glas an das des Rothaarigen an – du, der Hüter an den Toren des Wahnsinns, wirst wohl vom Besonderen das Besonderste zu sagen haben. –

Der Rothaarige erhob sich und ging zum Kamin. Er sprach am liebsten stehend. Mit seinen hageren, stark blau geäderten Händen spielte er einige Augenblicke im langen, wohlgepflegten Barte, in dessen Dickicht sich die schlängelnden Wellenspiele seines zynischen Lächelns unmerklich verloren.

Lag nicht vor ihm der ganze Wust und Abfall aus der ungeheuren Werkstatt des Lebens, dem gegenüber eine gewisse steinerne Brutalität der Anschauung die einzige Sicherung der eigenen Identität blieb, wenn auch den armen Opfern gegenüber ihm immer wieder die Quellen des wissenden Mitleids aufsprangen?

– Je nun – sagte er nach einer Weile. – Ihr wollt bei mir das Gruseln fühlen, jenes angenehme Gruseln, das kalt über den Rücken der andern läuft, während wir hübsch im Warmen sitzen. Ihr sollt es haben –

– Eh – warte ein wenig, fiel der Künstler ein. Der Geheimrat runzelte ärgerlich die Stirn.

– Laß deine Geschichte einen Namen haben –

– Wozu – fragte der Rothaar, und ein eigensinniger Zug zuckte um seinen Mund; er, der Alleinherrscher in seinem traurigen Reiche war es nicht gewohnt, unterbrochen zu werden, noch irgendeine Direktion anzunehmen.

– Der Name ist viel. Er ist gleichsam der embryonale Punkt, von dem das Geschehen ausgeht, und konzentriert die Aufmerksamkeit, die sonst in zu vielen Strahlen der Erwartung auseinanderläuft – für meine Bilder muß ich immer einen Namen nehmen, ehe ich anfange, –

– Na also – nun, so einfach ist's ja doch nicht – der Rote nagte einige Minuten an seiner vorgeschobenen Unterlippe. – Na – sagen wir meinetwegen – das rote Lachen –

– Ha – famos – sagte der Künstler und reckte sich in seinem Sessel zur weitreichendsten Bequemlichkeit aus.

– Nun aber – Mund halten – rief der Hausherr mit liebenswürdiger Stimme.

– Es ist also natürlich, daß uns Irrenhäuslern –

Alle lachten auf.

– Nun – stecken wir etwa nicht auch mit drin? – Also, daß uns der seltsamen Dinge seltsamste, der dunklen dunkelste zu Ohren, Augen und Händen kommen. – War da eine Familie, ehrbar bis zur Prüderie, normal bis zur Philisterhaftigkeit. Die hatte eine Tochter. Schön, voll Temperament – wo sie das her hatte, habe ich nie ergründet. Ich kannte den reichen Kommerzienrat von einer Reise her und war dadurch in eine lockere Beziehung zu seinem Hause gekommen. Die Tochter fiel auf. War viel umworben. Lebte das übliche Leben einer filia domestica, und alles ging scheinbar seinen vorschriftsmäßigen Gang. Man wartete gespannt auf den kommenden Mann. Der aber eben nicht kommen wollte. Trotz Geld – trotz Schönheit; es war schier unbegreiflich. Da bemerkte ich eines Tages, daß dem Mädchen etwas zur Erde fiel und sie es errötend aufhob und in größter Verlegenheit nicht wußte, wohin damit. Da wir gerade allein waren, sagte ich: »Aber Kata, vor einem Arzte braucht man nichts zu verbergen; was ist es denn, das Sie so erregt?« Und ich nahm ihre feine, weiße Hand, öffnete die widerstrebende kleine Faust, und was war es? – nichts als eine ganz kleine, zarte Flocke von rosaroter Watte. Da erschrak ich auch ein wenig. Schaute zu den hübschen, zierlichen Ohren und wußte genug. Ein schwerer Tropfen grünlichen Eiters quoll langsam darin hervor. Kata fing meinen Blick auf, steckte schnell das Wattebäuschchen hinein und ging tief errötend rasch aus dem Zimmer.

Da wurde mir ein wenig angst um das Mädchen. Feuer und Flamme im Blut und Rasse in den Nerven und dieses Übel, das auf schwere innere Störung schließen ließ und jederzeit bemerkbar werden konnte. Und ich verstand, wie dieses reizende, kleine Ohr den in alles übrige verliebten Mann stutzig und plötzlich abwendig machen konnte. Arme Kata – dachte ich. Vergaß sie aber dann über der Menge noch schwererer Fälle um so schneller, als die Familie für längere Zeit aus Reisen ging, weit in den Süden hinein, wohl in der Absicht und Hoffnung, dort eher zu dem Ziele zu gelangen, das sie für die einzige Erbtochter erstreben mußten.

So vergingen einige Jahre. Die Familie war mir völlig aus dem Sinn gekommen. – Da wurde ich eines Tages telephonisch angerufen und um schleunigstes Kommen gebeten.

Ich grübelte vergeblich aus der Hinfahrt, was dieser angstvolle Ruf zu bedeuten habe, wem in dieser normalen Dutzendfamilie Blut oder Geist so zu Kopf gestiegen sein mochte, daß sie meiner abseitigen Kunst bedurften.

Da kam mir plötzlich jene kleine Szene zurück. Aha – Kata – dachte ich.

Und so war es auch.

Ich fand das ganze Haus in wilder Verstörtheit.

Aus einem der Räume schrillte ein furchtbares Lachen her. Jenes hohe, kreischende, stiere, leere Lachen des Wahnsinns, das selbst uns noch an die Nerven greift.

Die gänzlich gebrochene Mutter lag in einer Ohnmacht in ihrem Zimmer.

Der Kommerzienrat führte mich mit zitternden Füßen zu der Tochter. Als ich über die Schwelle trat, riß sich Kata von der sie haltenden Krankenschwester los, flog mit plötzlich sonnig heiterem Gesicht auf mich zu.

– Bist du es endlich, Paolo – rief sie und stürzte mir an die Brust. –

– Um Gottes willen, sprechen Sie nicht – flüsterte mir der Vater zu –

Aber ich mußte endlich reden, um mich den rasenden Umarmungen zu entziehen. –

– Kata – liebes Kind – sagte ich voll Mitleid in Herz und Stimme. Aber kaum war mir der erste Ton entschlüpft, als die Kranke voll Abscheu mich von sich stieß. –

– Wo ist Paolo – was habt ihr mit ihm gemacht? – und wieder brach sie in gellende Lachkrämpfe aus. Ich sah in ein von Mut und Leidenschaft zerstörtes Gesicht, alle Schönheit war erloschen, die einst so feinen Linien ins vulgäre und Rohe zerfallen.

Die Krankenschwester versuchte, die sich ihr immer wieder entwindende Gestalt zu fassen.

Mir war es ein leichtes, das zart gebaute Geschöpf in die Arme zu nehmen und in mein Auto zu tragen.

Der Vater stieg mit ein.

Ich nahm Kata mit einer Hand fest an meine Seite, mit der andern hielt ich ihre beiden Arme umfaßt. Eine Weile blieb sie so ganz still. Kaum aber lockerte ich ein wenig den festen Griff um sie, riß sie sich los, schlug gegen das Fenster, gellte ihr Lachen wieder aus, und zwischenhinein überschüttete sie mich mit einer Flut gemeinster Worte und lasziver Beschimpfungen.

Ich fing sie wieder ein.

Der arme Vater lag schluchzend in einen Winkel des Wagens gedrückt.

In der Anstalt empfing uns einer der Assistenzärzte und der Wärter. Kata riß sich jäh von mir los, flog dem Wärter in die Arme – Paolo, bist – du's – sprich, Paolo, –

– Kein Wort – raunte ich dem Manne zu –

So konnten wir sie, eng an den Wärter geschmiegt, schmeichelnde Liebesworte in sein Ohr flüsternd, zur Zelle bringen. –

In meinem Kabinett erzählte mir der Vater die traurige Geschichte.

Durch Italien und Spanien hatten sie die schöne Tochter geführt. Überall fand sie Bewunderer und Bewerber, die aber alle plötzlich, scheinbar ohne jeden Grund, wieder absprangen.

Kata wurde nervös. Unruhig, aufgeregt fing sie ihrerseits nun an, den Männern entgegenzukommen. Das sonst so zarte, scheue Geschöpf wurde kokett, herausfordernd, ja zudringlich, verliebte sich dann bis zur Raserei in einen feurigen spanischen Sänger, der ihre Koketterien erwiderte und die erotisch aufs Äußerste gespannten Nerven mit raffiniertem Spiel so ausreizte, daß eine Entladung kommen mußte. Eines Nachts – sie lebten in einem Hotel – ging Kata zu ihm ins Zimmer und warf sich ihm an den Hals.

Der Rohling führte sie kaltlächelnd zur Tür. –

Daß da der Wahnsinn seinen Keim empfing, war nur zu begreiflich. –

Und so wurde sie einige Zeit meine Gefangene.

Schritt um Schritt verblich der letzte Rest ihrer Schönheit, blieb nur noch das menschliche Gerüst, aus dem ein tierisches Antlitz, in einem grauenvollen Lachen verzerrt, herausblickte. Dieses furchtbare Lachen des heißen, dürstenden, betrogenen Blutes – das rote Lachen des entfesselten Dämons der Leidenschaft – es gellt mir noch heute in den Ohren, doppelt furchtbar, da es aus dem Munde eines einst feinen, schönen und keuschen Weibes kam. – Dieser Furor raffte sie schnell dahin, noch ehe das andere Leiden sein tödliches Stadium erreicht hatte. –

Die Männer schwiegen.

– Da kann einem wirklich der Grusel kommen – sagte der Künstler. – Konnte das arme Wesen nicht früher gerettet werden – sich selbst retten?

– Als sie es versuchte, bekam es ihr schlecht – sagte der Hofrat mit einem schiefen Lächeln in den Mundwinkeln.

– Da war es zu spät, früher hätte es sich über Sitte und Gesellschaftsmoral hinwegsetzen, das Schicksal selbst in die Hand nehmen sollen. –

– Das Weib – sein Schicksal in die Hand nehmen, wäre das wünschbar? – warf der Hausherr ein.

– Nein – rief der Rote und schlug derb mit der Hand aus den Tisch. Das Weib ist durch seine besondere Physis absolut eine Schicksalsgebundene –

– Und muß es bleiben – sagte der Hausherr, muß es unerbittlich bleiben um des Kindes willen. –

– Ihr Ärzte seid die ewig Grausamen – rief der Künstler.

– Wehe der Menschheit, wenn wir es nicht mehr wären – antwortete der Rote, füllte seinen Römer und trank ihn in einem Zuge aus, und seine Augen, die in der Erinnerung seltsam weich geworden waren, hatten wieder ihren harten, herrischen Glanz. –

– Diese Grenzfragen zwischen den Geschlechtern werden wohl bis zum Weltuntergänge der circulus vitiosus bleiben, aus dem es kein Entrinnen gibt – sagte der Hofrat – und es ist auch gut so. Eine zu glatte Rechnung höbe mit einem Male alle jene erotischen Konflikte aus, aus denen das Tragische des Lebens erwächst, und wollten wir aus dem Leben wirklich lieber eine lieblich plätschernde Komödie mit obligatem Ja und Amen machen?

– Nee – das wäre denn doch zu öde – meinte der Künstler.

– Na also – lassen wir dem Weibe seine Rätsel und uns – die Lösungen.

– Du ewiger Zyniker mit den Lippen – wenn wir dich nicht anders im Handeln kennten.

– Aber nun deine Geschichte – die dir sicher schon auf der Zungenspitze liegt.

– Allerdings, mir kommt da eine Erinnerung, die eben hierher paßt – tragisch – grausam – gute Illustration zu dem Thema: soll das Weib sein Schicksal selbst in die Hand nehmen?

– Also los – ries der Künstler – wie soll sie heißen?

– Der Titel gibt sich ohne langes Besinnen – Rache um Rache.

– Das kann ja gut werden – meinte der Künstler und streckte sich, mit allen Fibern lauschend, wieder zu seiner vollen Länge aus. –

– Die Geschichte ist kurz – aber dafür gibt es einen Pistolenschuß darin, so kommt ihr aus eure Rechnung. Der Hofrat grinste ein wenig boshaft zu dem Künstler hin, fuhr sich mit einer kreisförmigen Bewegung der Hand über die mächtige Glatze, als suche sie dort nach einst so schön Vorhandenem. Die Hand fiel enttäuscht herab, und der große, beredsame Mund trat in sein Recht.

– In der hellen, grünen Jugend war es. In der Zeit, wo gewisse Grenzfragen zwischen Ihm und Ihr uns vulkanisch zu bedrängen anfangen. Wo Elternhaus und Schule die stärksten Wälle gegen diese drohenden Explosionen um uns aufbauen in Form von scharfen Imperativen und drohenden Pönitenzen, die wir natürlich mit um so listigeren Heimlichkeiten und gereizterer Zielsicherheit beantworteten – just wie sie selbst es taten – einst im Mai.

Nun – wir Schelme wissen es ja, wie es ging. Der nächtliche Fenstersprung, die frisch geölte Tür – die Stiefel in der Hand, und was so weiter zu dieser, wie es scheint, naturgewollten Problematik der grünen Zeit gehört.

Also, so saßen wir denn endlich glücklich in der Spelunke, einem kleinen, dunstigen Bierlokal. Der Rauch der verbotenen Zigarre lag dick und wohlig über unserem mehr oder weniger bedrückten Gewissen. In diesem blauen Dunst, den wir uns selbst vormachten, schien das Leben in herrlicher Endlosigkeit vor uns zu liegen. Die Tische waren an die Wand gerückt, in den Bänken darum hockten wir bierselig und furchtbar neugierig, denn heute abend sollte die blaue Dame kommen, mit deren Liebreiz und Holdseligkeit uns der älteste der Bande schon die ganze Woche her Kopf und Nerven aufgeregt hatte.

In der Mitte des Zimmers war Platz gemacht zum Tanze, und auf einem kleinen, fast am Plafond klebenden Balkon saßen einige Musikanten. Die Fenster waren dick verhangen, so daß nach außen nichts Verdächtiges zu vernehmen war.

Endlich tat sich die Tür auf, und die Blaue trat ein.

Hoch, schlank, von süßester Blondheit im knisternden, blauen Seidenkleid, das ihr den Namen gegeben.

Alle erhoben sich neugierig. Die Mutigsten gingen ihr entgegen, und mit übersprudelnder Liebenswürdigkeit erwiderte sie Händedruck und andrängende Gesten.

Ich saß voll Neid in meinem Winkel, viel zu schüchtern vor allem, was lange Haare hatte –

Ein etwas boshaftes Kichern unterbrach für einige Sekunden den Redner.

– Einst im Mai – ist längst vorbei – parierte er kühl die Anzüglichkeit.

– Also ich saß voll Neid und Sehnsucht in meinem Winkel und sah giftgeschwollenen Herzens, wie sich alles zu der blauen Schönheit drängte, wie sie allen eine Zusage für den Tanz gab und die anderen holden Mägdlein mit wutgefüllten Augen auf die Wallfahrt von ihnen weg blickten, dann aber süßsauren Antlitzes doch die Brosamen annahmen, die ihnen zufielen. Bald vergaßen sich alle im Tanz, Geplauder und Getränk, und die Stimmung stand ziemlich hoch, als sich wieder die Tür öffnete.

Alles sah verblüfft und erschreckt auf, da wir uns vollzählig wußten. Aber es war keine Gefahr. Ein flotter Student war es, der eintrat, einen schnellen Blick über die Anwesenden warf, sich an einen der Tische setzte und eine Flasche Wein bestellte.

Nun hatte die allgemeine Aufmerksamkeit zwei Schwerpunkte erhalten. Besonders als man merkte, daß zwischen der blauen Dame und dem Studenten eine Beziehung bestand. Sein suchendes Auge blieb an ihr haften. Sie erbleichte und warf ihm dann einen kalten, höhnischen Blick zu. Dann tanzte, lachte und schäkerte sie wieder wie vordem, und es war ein Locken und Werben um sie her, das wie ein Rosenrausch den grünen Jungen zu Kopfe stieg.

Ich saß noch immer in meinem Winkel und entschädigte mich für meine ungewollte und doch nicht zu durchbrechende Isolierung mit der scharfen Beobachtung des ringsum Vorgehenden.

Es war spät geworden. Die Atmosphäre von Rauch, Bier und Tanzechauffement aufs äußerste gespannt. Die jungen Männer, die ja meist noch Knaben waren, saßen mit aufgedunsenen Gesichtern, rauchend und trinkend in recht aufgelösten Stellungen neben der jeweilig zur Kurzweil Erkorenen, und viel Kluges wird damals wohl kaum über ihre schon etwas angebarteten Lippen gekommen sein.

Der Student saß blaß und versonnen bei seinem Weine, stützte den Kopf in die Hand und blickte unausgesetzt zu der Blauen hinüber, die sich so gesetzt hatte, daß ein gefährliches Augenspiel zwischen ihnen hin und her gehen konnte. Sie kokettierte so wahl- und ziellos mit den Dreisten und allzu Dreisten, die sie umkreisten, daß man deutlich die Absicht fühlte, dem Einen dort ein Ärgernis zu sein.

Der verwandte keinen Blick von ihr. Und dieser Blick, der zuvor düster und drohend gegen sie stand, wurde allmählich voll so frechen Hohnes, daß das Mädchen unter ihm errötete und erbleichte und schließlich, ihrer selbst nicht mehr mächtig, aufsprang und zu ihm hinüberrief: – Was willst du eigentlich von mir?

Als habe er nur auf diesen Anruf gewartet, erhob sich der Student. Langsam und wuchtig, wie von der Schwere des Weines und noch einer inneren ungeheuren Erregung beladen.

– Meine Rache will ich – schrie er ihr ins Gesicht – meine Rache an den Lieben, die du verdorben hast.

Das Weib lachte gell auf.

– Deine Rache – schrie sie. – Ihr verdarbt erst mich – die Sieben sind meine Rache an euch gewesen!

Mitten in ihr Lachen hinein krachte ein Schuß und riß die aufs höchste gespannte Erregung entzwei.

Blutüberströmt fiel das Weib gegen die Wand.

In dem Gedränge der herbeieilenden suchten wir das Weite. Zu Tode erschreckt und dennoch so seltsam befriedigt in unserer grünen Sensationslüsternheit. Für eine lange Weile aber von der gefährlichen Zone verscheucht. –

Es blieb wieder ein Schweigen im Raume.

Jenes tiefe, beredte Schweigen, das der Erzähler liebt, in dem man es in den Kratern der Empfindungen förmlich brausen und kochen fühlt, bis die aufgewühlte Lava zum Rande steigt und überquillt.

– Und solch tragisches Finale ist dem Weibe meist beschicken, wenn es an Hymens sicherer Fackel vorbei zu Eros' wilden Feuern strebt – sagte der Hausherr.

– Ist doch Eros das Tragische an sich – alles dunkle Geschehen, alles geheimnisvolle Erleben, die grauenvolle Mystik unserer psychophysischen Verstricktheit ist unlöslich an dieses Element gebunden, das, aus unserem Leben genommen, dieses sofort in eine stumpfe Leere, eine weithin überschaubare, öde Ebene verwandeln würde. –

Der rote Geheimrat sprach das mehr zu sich selbst, fast in sein Glas hinein, aus dessen aufsteigendem Duft ihn eine feine Berauschung anhauchte.

– Ja – wahrlich, von tiefer Tragik umweht ist alles erotische Erfahren, und es gehört schon Ungeheures an Kräften dazu, lebend aus seinen Abgründen zurückzukehren – sagte der Künstler.

– Ihr Künstler seid da den wildesten Orkanen preisgegeben. –

– Dafür erfahren wir aber auch die unerhörtesten Verzückungen, mit denen wir euch anderen in unseren Werken überschütten.

– Bis Plutos den Eros überwindet und das Satyrspiel der Ehe alle Tragik auslöscht – rief der Hofrat ironisch, – teils mit ein wenig Anzüglichkeit zum Maler hin, teils um die etwas dunkle Stimmung wieder zu erleichtern.

– Was dieses Satyrspiel betrifft, mein Lieber – warf der Hausherr ein –, so sehen wir Wissenden doch wohl zur Genüge, daß auch da des Tragischen genug und übergenug zu finden ist – und wenn ihr wollt, soll mein Anteil am heutigen Dämmerungsopfer eine Geschichte aus dem Eheleben sein.

– Namen aber habe ich keinen für sie – vielmehr gebe ich ihn der Geschichte nicht, da er die ganze Lösung in sich zu deutlich enthüllen und mir den Effekt verderben würde. Ich überlasse es euch, ihn nachträglich dazu zu finden.

Zu meinem Patientenkreis gehörte vor Jahren auch eine liebenswürdige Generalin Exzellenz v. S. Sie hatte einen einzigen Sohn, den sie abgöttisch liebte und an dem sie mit besonderer Zärtlichkeit hing, da sie in ihrer Ehe mit dem trockenen, viele Jahre älteren Manne wohl alles entbehrt hatte, was sie als junges, schönes Weib zu erwarten berechtigt war.

Der Sohn war hochbegabt und hatte von der zwar trockenen, aber sehr starken Persönlichkeit des Vaters und dem weichen, beweglichen Temperament der Mutter die glückliche mittlere Linie empfangen, die ihm einen leichten und frohen Weg durchs Leben geben konnte. Selbst die etwas zu nachgiebige Erziehung der allzu gütigen Mutter hatte nichts an ihm verdorben, und als der Schaum der Brausejahre glücklich abgeebbt war, konnte auch diese anspruchsvolle Mutter ein stolzes Genügen an ihm finden. Wie er dann aber zu Amt und Würden des akademischen Berufes aufstieg, begann eine tiefe Sorge im Herzen der Mutter aufzukeimen. Es überfiel sie jener tragische Zwiespalt der Gefühle, mit welchem die Mutter dem Sohne die so nötige Gattin wünscht, während zugleich die tödliche Furcht sie quält, den geliebten Menschen zu verlieren oder doch an ein Wesen gebunden zu sehen, das ihn nicht zu beglücken vermöchte.

Im stillen Kämmerlein ihres Herzens hatte sie, wie das liebende Mütter gerne tun, ihm längst eine Frau ausgesucht. In ihrem Hause lebte die Tochter einer verstorbenen Freundin, die ihr sehr ans Herz gewachsen war. Nora war eines jener Mädchen, deren gesunde und frische Natürlichkeit den Augen und Nerven unendlich wohltun. Sie fallen nicht auf, sind immer da, wo man sie braucht, wissen sich ein- und anzuschmiegen und der symphonia domestica das seine, zarte Leitmotiv zu geben. Aber sie gehen so ganz auf in dieser Melodie, daß man sie so sehr als ein selbstverständliches Element des Milieus hinnimmt, daß erst ihr Fehlen sie als etwas Positives empfinden läßt. So nahm sie wohl auch der Sohn des Hauses hin. Als etwas unendlich Wohltuendes, Unentbehrliches, aber ohne jenes erregende Agens, das dem Manne den zündenden Funken in das Mut sprüht. Ohne diesen täglichen, alle Reize abschwächenden Kontakt wäre aber wohl auch in ihm die latente Sympathie zu stärkerer Wirkung gekommen.

Und gerade auf diese Stille in Nora's Wesen hatte die alte Exzellenz ihre süßeste Hoffnung gebaut. Diese würde nie den jähen, schmerzhaften, trennenden Sturm entfachen, den ihr bangendes Mutterherz wie den Tod fürchtete. Doppelt tief wurde dieser brennende Wunsch in ihr, als sie an kleinen, untrüglichen Zeichen erkannte, daß Nora's Herz sich ganz an den schönen, begabten, jungen Mann verloren hatte, dessen feine, vornehme Natur ihr offen wie ein täglich gelesenes Buch vor Bugen lag.

Aber wie es in diesen Dingen meist anders kommt, als die Wünschenden denken, so kam es auch hier.

Eines Tages brachte der Sohn seiner Mutter seine Braut ins Haus, von vornehmer Geburt, königlicher Haltung, leuchtenden Geistes, wie sie war, brachte er sie voll Stolz und tief beglückter Erschütterung zu dem Herzen seiner so sehr geliebten Mutter.

Daß die Mutter tief erblaßte und nicht sofort die spontane Geste der beseligten Freude und Umarmung fand, daß auch Nora verwirrt und blaß sich hilflos aus dem Zimmer stahl, merkte der selbst so stark Bewegte nicht. Und später, als das erste schwere Erschrecken der Enttäuschung vorüber war, fanden beide Frauen in ihren wahrhaft adeligen Seelen die selbstlose Kraft, der an ihrem Schmerz so gänzlich Unschuldigen, die Liebe und Freude zu geben, die sie so vollkommen erwarten durfte.

Die Ehe wurde, wie es zu erwarten war, harmonisch und glücklich. Die Generalin hatte sich darein gefunden, nicht mehr das ganze Herz ihres Sohnes zu besitzen. Nora war in ein fremdes Haus gegangen, ihr verwundetes Gemüt war dem täglichen Anblick des Glückes, das sie selbst so glühend begehrte, nicht gewachsen.

So gingen einige Jahre. Dann wurde das Kind erwartet, das allem Wohllaut des Lebens die letzte, süßeste Vollendung geben sollte.

Indes wollte es das Geschick, daß die Geburt dem Kinde das Leben kostete und die Mutter nach dem schweren operativen Eingriff für die Intimität der Ehe verloren war.

Eine ganz seltsame Veränderung ging nun zwischen den beiden vor sich. Die Generalin brach noch nach Jahren in bittere Tränen aus, als sie mir davon erzählte.

Es war dieselbe Liebe, dieselbe seine Rücksichtnahme, dasselbe Lauschen aus jeden Wunsch und seine Erfüllung.

Einem fremden Auge und Ohr konnte noch immer diese Ehe als eine selten vollkommene erscheinen.

Aber das Herz der Mutter sah und hörte anders.

Es war ein behutsames Umeinanderherumgehen. Von des Mannes Seite eine fast übersteigerte Rücksichtnahme und Umsorgung. Während über der Frau eine quälende Unruhe und Unsicherheit lag, ein Gefühl der Verschuldung, ein immerwährendes Flehen in Blick und Bewegung, das um Verzeihung bat und dennoch wußte, daß nichts zu verzeihen war, daß es fortan endgültig immer so seltsam fern und leer und still zwischen ihnen bleiben würde.

Keines von beiden klagte mit dem leisesten Laut.

Die junge Frau suchte mit allen Kräften ihrer tiefen Liebe den leer gewordenen Raum der Leidenschaft mit dem Glanze ihres feinen, leuchtenden Geistes zu füllen. Musik und Bücher wurden ihre Welt, aus der sie immer neue Reize zu holen wußte, um dem Tage Leben und Bewegung zu geben.

Aber in den Nächten wußte sie, daß dies alles Schein und Lüge war. Der unabweisbaren Dualität der Natur fehlte der letzte Klang, der aus Tönen den Akkord gestaltet.

Ein Jahr ging so hin.

Die Exzellenz litt namenlos. Um so mehr, als sie die vornehme Natur des Sohnes kannte, der trotz der gegebenen Verhältnisse jede Untreue an dem geliebten Weibe als einen schweren Betrug an ihr empfunden hätte.

Allmählich verknäulte sich das Verhältnis der Ehegatten zu einem Grade, der kaum noch erträglich war. Es war, als müsse irgendwie etwas Gewaltsames geschehen, um diesem unhaltbaren Zustande ein Ende zu machen.

Zu einer Trennung hatte keines den Mut. Zu sehr waren sie mit den feinsten Fäden ihres Wesens aneinander gebunden.

Da faßte die Mutter einen starken Entschluß.

Sie ließ Nora kommen unter dem vorgeben, gesundheitlich ihrer durchaus zu bedürfen.

Diese wußte nichts von dem Konflikt.

Nach all der Zeit des Vergessens glaubte sie sich nun stark genug, dem Manne ohne zu schwere Erschütterung begegnen zu können. Daß dem nicht so war, wußte die Generalin, sie kannte dieses Mädchen zu gut. Und gerade aus diese Unauslöschlichkeit einer langen, tiefen Leidenschaft stellte sie ihren Plan.

Sie ließ die beiden Gatten unvorbereitet ins Haus kommen. Und was sie erwartet, geschah.

Nora verlor ihre Haltung, überstürzt von lange und tief getragenen Gefühlen, verriet sie sich den beiden bis zum letzten Grunde. Die junge Frau wußte mit einem einzigen Blick, wie es um jene stand.

Aber es geschah noch mehr, als die alte Exzellenz erwartet hatte. Ihr Sohn erblaßte ebenso tief als Nora. Was er damals im Taumel seines Glückes nicht sah oder sehen wollte, wurde ihm jäh erkennbar, und auch in ihm erwachten Erinnerungen an alles Nahe und Warme, was so lange zwischen ihnen gewesen, und die kraftvolle Gesundheit, die das Mädchen ausströmte, ließ plötzlich die ganze Bitterkeit seines Entbehrens in ihm aufbrechen.

Es war dies alles nur ein Augenblick, in dem dies alles in den vier Menschen vorging, aber es war einer jener Augenblicke, die voll Schicksal und Entladung sind.

Es kam, wie es die Exzellenz für sie alle gewollt.

Die junge Frau selbst nahm eines Tages Nora an ihr Herz, küßte sie mit schmerzlicher Güte und führte sie ihrem Manne in die Arme. –

Danach wurde die Atmosphäre des Hauses leichter und heller. Und allmählich leuchteten zwei Sterne aus dem Lebenswege des Mannes, Aphrodite und Urania teilten sich in seine Liebe.

Aber über allen blieben trotzalledem die dumpfen Schatten einer unauflösbaren Tragik. –

Der Hausherr seufzte leise.

– Dissonanz – wo man hingreift: Dissonanz.

– Ohne sie ist keine Harmonie zu denken – sagte der Künstler. – Wenn man die Geschichte der Musik die Geschichte der Dissonanz genannt hat, so kann man das auch von unserem Leben sagen.

– Und nun nachträglich den Namen für deine Erzählung; er liegt klar aus der Hand – Zwischen zwei Ehebetten – rief der Rote hinein, um wieder etwas Bewegung in die Nachdenklichkeit zu bringen.

– So ist es – sagte der Hausherr – als Finale ist dieser Titel selbstverständlich, als Präludium wäre er geschmacklos gewesen.

– Und wenn nun eine Frau in diesem seltsamen Doppelgleise gefahren wäre – sagte der Künstler mit einem großen Fragezeichen in seiner Stimme.

– Das ist dieselbe Frage, auf die es immer nur eine Antwort gibt: unmöglich.

– Zudem – nahm der Hofrat das Wort – quod licet Jovi

– Nein – rief der Rote und schlug mit hartem Knöchel auf den Tisch – das geht zu weit, mein lieber Zyniker. –

Der Abend war schon weit vorgeschritten. Der Diener kam, um die Kerzen anzuzünden.

– Nein, nein – wehrte der Künstler ab, – ich kann nur in der Dämmerung erzählen – legt Holz in den Kamin, das ist Licht übergenug für das zarte Ding, das man Stimmung nennt, das verrinnt sofort, wenn es zu hell um uns wird. –

Und er schob seinen Sessel zum Feuer, kroch förmlich in die weite Runde desselben hinein und starrte in die knisternden Flammen. Seine dunklen, schwermütigen Augen hatten den Glanz von vielen und seltsamen Erinnerungen in der flackernden Unruhe ihres Hintergrundes.

Die andern tranken und warteten.

Zu allen Seltsamkeiten, die sie gegeben, hofften sie von ihm die allerseltsamste zu hören.

– Nun – hob er endlich an – meine Geschichte blüht in den Gefilden des Natürlichen, des allzu Natürlichen vielleicht. Ihren Kern möchte ich in die Formel fassen: Allzu nahe.

Unser Metier führt uns mit vielen Leben zusammen; nach oben und unten lockt uns das äußerste Thule. Die Augen sind unersättlich zum Sehen und Schauen, die ewig begehrlichen Hände greifen unermüdlich nach Form und Gestalt. Wenn wir die eigene Note gefunden, wird unser Name plötzlich ein Sesam, der uns weit alle goldnen Tore öffnet. Wir dringen in das Allerheiligste ein, in die Intimität der Familie.

In jener Zeit hatte ich die Einladung in die Villa des Grafen J. auf Capri. Da ich die ganze Familie als Gruppe und jede Person auch einzeln zu malen hatte, wurde es ein langer, und wie ich gleich vorwegnehmen will, ein schöner Aufenthalt.

Der in Schlesien reich begüterte Graf lebte seit Jahren aus dieser herrlichen Insel, da die zarte Gesundheit seiner Gemahlin, einer spanischen Edeldame, dem rauhen nordischen Klima nicht gewachsen war.

Die weiße Villa mit dem italienischen flachen Dach, den luftigen, blumenbehangenen Loggien, der herrlichen Freitreppe, weiten Ausgängen und hohen Räumen lag mitten in einem Park, der die ganze reiche Flora der Insel zu umfassen schien, und über ihn hinweg schaute man zum blauen Meere hin.

Il Paradiso stand in goldnen Lettern an der Eingangspforte, und man hätte keinen andern Namen dafür finden können. In diesem Idyll von Schönheit und Glanz lebten die vier Menschen in vornehmer Harmonie. Fern von dem Lärm und den Banalitäten, die den meisten Sterblichen Zeit und Raum verderben, floß ihr Leben wie ein reiner, starker Strom zwischen seligen Ufern dahin.

Eine Menge Bediensteter und Beamter war in Haus, Garten, Stall und Remise tätig, und es war seltsam, zu sehen, wie trotz feinster Liebenswürdigkeit und aller Wärme und Güte, mit der die Untergebenen von den Herrschaften behandelt wurden, sie sich so stark und einzig von allen übrigen abhoben, daß auch nicht der Hauch des Atems mit dem der andern sich zu mischen schien.

Ich hatte meine Gemächer und meine Bedienung für mich, mein Reitpferd und das Auto zur Verfügung. Ich lebte die ganze unaussprechliche Wonne dieser Götterinsel in vollen Zügen aus, so daß sie, wie kaum eine andere Erinnerung, mit leuchtender Trunkenheit noch heute mein Blut durchbebt.

Aber das gehört ja eigentlich nicht zu dem, was ich erzählen will.

Diese vier Menschen zu sehen, war für meine Augen eine tägliche Lust, sie zu malen eine glühende Freude.

Der Graf und die Gräfin absolut diametral einander entgegengesetzt in ihrer äußeren und inneren Wesenheit, und dadurch gerade das vollkommenste Komplement zueinander. Beide hoch und schlank, war er der Typ des vornehmen, blonden Germanen, während sie den vibrierenden Elan der dunklen Rassenreize ausstrahlte, die indes durch die Schatten der Krankheit wie von zarten Schleiern überhaucht waren. In seltsamster Vertauschung hatten die beiden Kinder eine schier unheimliche Ähnlichkeit von den Eltern empfangen.

Robert, der Sohn, wirkte mit der verführerischen dunklen Glut der Mutter, die im Feuer seiner vollkommenen Gesundheit in doppelter Strahlung leuchtete. Während Korinne das Mond des Vaters in süßeste Weiblichkeit übersetzte, deren bestrickende Lieblichkeit von einer fast beängstigenden Zartheit umblüht war.

Es war ein fesselndes und nie ermüdendes Bild, die wunderbare Liebespracht dieser Ehe zu schauen. Es war wie ein stetes Tasten, Fühlen und Hinneigen zueinander. Die tiefe Glut des heiligen Feuers ihres Blutes brach durch die vollkommene Vornehmheit ihrer Haltung und Geste wie die tausend farbigen Strahlungen aus der diffusen Oberfläche des Opals hervor. Man wußte immerfort, daß es keinen Augenblick zwischen diesen beiden gab, in dem nicht ein jedes, erfüllt von dem andern, sich in Ruhe und Laut, im Strahl des Auges, im Hauch des Mundes nahmen und gaben, und eine immerwährende Bewegung zwischen ihnen hinüber- und herüberglitt. Sie waren gleichsam von der hochgespannten Atmosphäre eines magnetischen Fluids umschlossen.

Ganz seltsam aber war es, in Robert und Korinne die Spiegelung dieser Haltung und Gesten der Eltern in kindlich-spielerischer Nuance wiederzufinden. Eine zarte Aufeinanderabgestimmtheit, ein Zueinanderneigen und Entgegenkommen und Warten, das lieblich und hold anzusehen war.

Der Knabe war damals wohl ungefähr im siebzehnten, die Tochter im fünfzehnten Jahre. Ihre Erziehung war frei und natürlich, die Eltern wünschten nicht, daß der Gouverneur und die Gouvernante sie fortdauernd im Zwange hielten. In Haus und Park und zu Pferd von einem Diener begleitet, konnten sie ihren Pflichten und Freuden ziemlich unbegrenzt nach Wunsch und Willen nachgehen. Nur in der Berührung mit der internationalen Gesellschaft draußen war der Graf von unerbittlich strenger Abwehr, was ich bei späterem Einblick in die damaligen Zustände jener Kreise sehr begreiflich fand, zugleich aber diese gänzliche Abgeschlossenheit und dieses absolute nur auseinander Angewiesensein als nicht ganz normal empfand.

Ich blieb ungefähr ein halbes Jahr im Paradiso. Meine Bilder mußten unter diesen wundervollen Voraussetzungen das werden, was von mir erwartet wurde, und mit gegenseitig aufrichtigem Abschiedsleid verließ ich diesen heimlichen Hain der Liebe und Harmonie.

Ich konnte meine Augen lange nicht von dem seltsamen Bilde wegnehmen, das in den letzten Momenten der Verabschiedung vor mir stand.

Die vornehme und zugleich so holde Gestalt der Gräfin lehnte in lässig hingegebener Haltung an der Seite des Mannes, der einen Arm um sie geschlungen hatte, während die andere Hand mir herzlich den letzten Gruß zuwinkte. – Und einige Schritte davon, gegen ein blühendes Rosenspalier stehend, die beiden Geschwister in fast genau gleicher Stellung, nur daß es hier das Mädchen war, die mir lieblich grüßend zuwinkte.

So im tönenden Akkord eines zu so seltener Vollendung gereiften Erlebnisses kehrte ich, beflügelt zu neuen Aufschwüngen, zu den Schatten und der Kühle meiner nordischen Heimat zurück.

Aber auch über diese Vollkommenheit ergossen sich allmählich die Wellen der Vergessenheit. –

Es war dann etwa zehn Jahre später, daß ich wieder einmal den geliebten Süden aufsuchte.

Diesmal war Florenz das Ziel. Dessen unausschöpfbare Schatzkammern der Kunst und Natur ihre ewige Lockung bewahren. Ich kletterte wieder einmal zwischen rosenbehangenen Mauern hinauf zu meinem Lieblingsplätzchen Fiesole, diesem seltsamen Nest, auf dessen winzigem Raume so viele historische Erinnerungen und interessante Dokumente verschiedenster Kulturepochen sich zusammendrängen. Wanderte weiter in den blauen Herbstabend hinein zur Badia, von dessen weithin mit schmalblätterigen Steineichen besetztem Hofe ich einen wundervollen Blick in die sanfte Stille des immergrünen Mugnonetales genoß.

Ich stand noch ganz hingenommen und versonnen an der breiten, steinernen Brüstung, als sich Türen öffneten und das Geräusch vieler Schritte hinter mir den Hof füllte. Ich wendete mich um und sah, daß es die Schüler des adligen Pädagogiums waren, die aus der Kapelle herausströmten. Die feingliederigen Knaben fesselten mein Auge, und ich konnte nicht loskommen von ihnen, obgleich ich die seltsam beklemmende Empfindung hatte, die von einer intensiv auf uns gerichteten Aufmerksamkeit auszugehen pflegt. Als die Knaben im Klostergebäude verschwunden waren, fiel mein Blick auf eine Gestalt, die auf der obersten Stufe der Kirche wie festgewurzelt stand, und von der jene magnetische Reizung auf mich ausgegangen war.

Es war eine hohe, vornehme Erscheinung im kleidsamen Jesuitenhabit, den flachen Hut in der Hand, das üppige, dunkle Lockenhaar vom Abendwinde leise durchspielt, schauten mich die machtvollen, bannenden Augen mit einem seltsam fragenden und suchenden Blicke an. Auch in mir begannen die Kreise der Erinnerungen zu schwingen, und plötzlich, mit einem kurzen Zusammenprall anklingender Assoziationen, stand mir der Name des Mannes auf den Lippen. Im selben Moment aber eilte auch er die Treppen herab mit beiden Händen mir entgegen und rief mir halb fragend, halb sicher erkennend meinen Namen zu.–

– Conte Roberto – sagte ich.

– antwortete der junge Mann.

Als wir uns die Hände reichten, ging eine ganze Wallfahrt tragischer Erinnerungen über sein bleiches, tiefernstes, wunderbar ausdrucksvolles Gesicht.

In dem meinen mochte er wohl viele Fragen lesen. Sein fein geformter Rednermund preßte sich fest zusammen, als wolle er dem Ansturz innerer Bewegung herrisch Einhalt gebieten. Spontan wendeten wir unsere Schritte zu dem stillen Wege, der abseits vom Orte durch silberne Olivenwaldungen führt.

Da, wo es ganz einsam wurde, blieb der Graf stehen. Er atmete schwer, und sein Antlitz war bleich und herrlich schön, wie das Haupt des Praxitelischen Apoll.

– Nun fragen Sie, Signore –

– Oder ich will antworten ohne Ihre Fragen.

– Sie ist tot.

– Korinne? –

– Korinne – die Süße und Herrliche.

Auch meine Mutter lebt nicht mehr. Mein Vater ist aus seinen Gütern im Norden.

– Und Sie – Conte – sagte ich – meinen Blick mit erstaunter Frage von dem götterschönen Manne zu dem asketischen Gewände führend.

Er verstand sofort.

– Mir ist, als sei es gestern – fuhr er fort, und seine Stimme klang plötzlich wie aus weiter Ferne, sein Blick wurde weit und geisterhaft, als starre er in ein schreckvoll seliges Geheimnis.

– Sie sind Künstler – auch er ist Priester des Lebens, kennt seine Abgründe, und er darf sie lieben.

Mein Priestertum ist Sühne – Sühne für eine Schuld ohne Schuld.

Ich sprach noch nie davon. Aber die Erinnerungen, so jäh durch Sie aus langem Schlaf geweckt, sind stärker als ich, und es will ans Licht, was so lange im Dunkel blühte und welkte. Sie wissen jetzt schon alles, denn sie kannten und erkannten uns damals, so wie nur ein Künstler erkennt, ehe er es im Wissen hat.

Unser enges Zusammensein in dem heilig-schönen Liebeskreise der Eltern wies mich und sie so ganz auseinander an, daß kein Raum fast für anderes zwischen uns blieb, zudem hatte die Natur uns so seltsam aus den gleichen Elementen gemischt, aus denen die Leidenschaft unserer Eltern ihre unlöschbaren Flammen nahm, daß wir schon lange untrennbar ineinander verbunden und verstrickt waren, ehe wir ahnen konnten, was der geheime Zauber bedeutete, der uns umfing.

Sie kennen die tiefsinnige Legende Ägyptens – da Isis und Osiris sich schon im Mutterschoße lieben und zeugend vereinigen.

So waren wohl auch die Wellen unseres Blutes einander schon im dunklen Schoße der Liebe begegnet, daß sie am Licht des Tages sich als Eins erklingen fühlen mußten.

Ein Augenblick gab uns die schreckvoll wehe und dennoch von tiefer Süße erfüllte Erkenntnis.

An einem weichen Sommerabend in der Rosenlaube war es. Meine Mutter war schon tot. Mein Vater, seit jener Zeit von einer quälenden Unruhe verzehrt, auf Reisen.

Ich war für einige Tage von der nordischen Universität heimgekehrt, da mich eine unwiderstehliche Sehnsucht nach diesem Paradiese zog.

Aber als ich Korinne nach einem Jahre der Trennung in ihrer aufblühenden Herrlichkeit vor mir sah, wußte ich, daß es mich mehr zur Schwester als zu dieser seligen Insel gezogen hatte. Auch sie flog mir mit einem Jubelschrei in die Arme, der voll einer fast wilden Sehnsucht war.

Aber noch ahnte uns nichts vom Abgrunde, an dem wir wandelten.

Doch an jenem weichen Sommerabend in der Rosenlaube war es. Wir lasen zusammen, wie wir es früher oft zu tun pflegten. Ich hatte die neuesten Dichtungen moderner französischer Lyriker mitgebracht. –

O noch weiß ich jenen Vers. –

Eingebrannt für ewig ist er in mein krankes Herz.

J'aime, j'aime, et je veux qu'on m'envie,
Ne me plaignez pas, si j'en meurs –
Et je vois mein amour
Reflété clans tes yeux.

Seine Stimme bebte wie eine Äolsharfe im Sommerwinde. Mir zitterten alle Nerven. –

– An jenem Abend lasen wir nicht weiter – sagte er. Zein Antlitz war bleich wie der Tod, und in seinen Augen stand die Dunkelheit unheilbarer Qualen.

Ich wagte kaum zu atmen.

Aber in meinen Blicken stand eine todesschwere Frage, deren Antwort keines Menschen Lippe wagen konnte, wenn sie ein Ja zu sagen hatten.

Der Conte sagte: – Korinne ist einige Zeit später am Herzschlag gestorben – sie hatte das Übel der Mutter geerbt. –

Unmerklich waren wir rückkehrend bei der schönen Pforte der Residenz des Jesuitengenerals angekommen. Der Conte reichte mir die Hand. – Hier bin ich zu Hause. Mein hohes Amt und meine strengen Pflichten halten mich am Leben – sagte er. Tauchte noch einmal seinen schwermütigen Blick tief und suchend in den meinen, als trinke seine Seele das Bild meiner Erinnerungen, das sie von fernen Zeiten seliger Fülle von jener in sich trug, die ihm zu nahe gewesen, um ihm ganz nahe sein zu dürfen. –

Der Künstler schwieg.

Es war nun ganz dunkel im Raume.

Nur noch die Asche im Kamin glimmte leise. Mit dem Dunkel mischte sich das Schweigen der Lauschenden. Das schwere, lastende Schweigen, das die tragischen Schritte des Schicksals begleitet.

Endlich sagte der Künstler:

– Und ich kann mir nicht helfen, in den letzten Gründen meiner Seele steht der Glaube, daß das Leben letzten Endes mit solch außergewöhnlichen Wirkungen dennoch seine tiefen Absichten hat; wenn der naturentfremdete Mensch sie gewähren ließe, wer weiß, welche Wunder wir schauen dürften. –

Da wachten die drei aus ihrer Versunkenheit auf.

– Ein Sakrileg, dessen nur ein Künstler sich schuldig machen kann – rief der Hofrat.

– Und dennoch –

Ihr kennt das Wort des großen Franzosen: L'artiste a toujours raison – même quand il a tort. –

Der Hausherr läutete und ließ die Lichter anzünden.


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