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Die Schwestern

Sie waren die denkbar stärksten Gegensätze.

Beate und Miselle, die Schwestern.

Dunkel, glutäugig und rassig, nach der fremdländischen Mutter geartet, glitt Beate behende und spielend durch das Leben. Gleichsam von einem Scirokkohauch umweht, sprühte ihr Wesen Schwüle und Lockung aus.

Miselle hatte die stille, schlichte Weise des Vaters.

Blond, sanftäugig und verträumt, war etwas Schattenhaftes um sie her, das man nicht greifen konnte und das doch aus seltsamen Fernen und tönenden Tiefen zu kommen schien.

Und dieses Gegensätzliche band sie eng aneinander.

Beate herrschte und ließ sich lieben.

Miselle blühte an dem Reichtum Beatens und diente ihr hingebungsvoll und beglückt.

So hatten sie das heitere Sonnenland ihrer Jugend Hand in Hand durchwandelt.

Spätere Zeiten brachten Schatten und Bitternisse.

Beatens Verlobter starb kurz vor der Hochzeit.

Miselle verschüttete sich den Liebestrank durch die spröde Kühle ihrer überscheuen Seele. –

Nach dem Tode der Mutter lebten sie manches Jahr mit dem Vater. Seine stille, feste Mannheit war der Magnet, der die gegensätzlichen Pole ihrer Wesen zugleich in Fluktuation und Gleichgewicht hielt. Alle schmerzhafte Ungestilltheit ihres Blutes und ungegebene Zärtlichkeit ihrer Herzen strömte zu ihm und umwand seinen Abend mit dem süßen, keuschen Duft sterbender Rosen. –

Nun war auch er über die Schwelle gegangen.

Beate und Miselle blickten starr und erschreckt in die Leere, die zwischen ihnen stand.

Sie wußten plötzlich nichts mit sich anzufangen.

Ihre Tage haspelten sich ab wie leerlaufende Räder, die sich selbst aufreiben.

Wie war es nur? Sie liebten sich doch.

Waren sie nicht immer Hand in Hand gegangen? Ein Herz und eine Seele gewesen?

Und nun?

Beate fühlte sich gequält durch die immer enger werdende Stille, die Miselle umhüllte.

Und diese konnte sich von der immer unruhiger aufbrausenden Erregtheit der andern bis zur Unerträglichkeit zerrissen fühlen. Ihr Lieben war nicht verschwunden. Sie hätten einander jedes Opfer bringen mögen, aber ein Fremdes stand zwischen und neben ihnen und zerrte sie gleichsam in demselben Augenblick auseinander, in dem die lange Gewohnheit sie zueinander zog. –

Plötzlich wußten sie, daß sie ein Geheimnis voreinander hatten. Ein quälendes Geheimnis, dessen sie sich vor sich selbst schämten und das sie doch so brennend gern vor die Türe des andern Herzens gelegt hätten, daß diese sich öffne und es in seine Wärme aufnehme und löse.

Aber sie fanden nicht mehr zueinander.

Sie waren beide in den Jahren, da sich die aufgestaute Lebenssehnsucht noch einmal jäh zu steiler Flamme aufbäumt, ehe sie zu Ende sinkt und verlöscht.

Und dieses nagenden, zehrenden Lebensdranges waren sie sich tief und heimlich bewußt und fühlten sie als das Neue und Feindliche, das zwischen ihnen stand.

Und es war eine schmerzliche Qual in ihnen, daß es so war, daß sie es nicht ändern konnten und daß sie sich so unsäglich voreinander in lauter Unwahrheit verstrickten. Beate, als die positivere Natur, erkannte ihrer beider Zustand am klarsten. So konnte es nicht weitergehen. Sie verloren ihr Feinstes und Bestes in diesem ganz unnötigen Kampf gegeneinander, der doppelt zerrüttend wirkte, da sie im letzten Grunde harmonisch aufeinander abgestimmt waren. So nahm sie denn mit einem starken Entschluß ihr Leben in die Hand und trennte sich von Miselle.

– Wir wollen uns besinnen, ob wir uns noch liebhaben – sagte sie.

Traurig und doch wie erlöst umarmten sich die Schwestern, und an dem tiefen Schmerz, den sie dabei fühlten, wußten sie plötzlich tief und freudig, daß sie sich noch wie zuvor liebten, und daß eine bittere Sehnsucht in ihnen bleiben würde. Aber leichter ließ sich diese Schwere der Sehnsucht tragen als die Last der Verwirrung und Unlauterkeit, unter der sie die letzten Jahre sich hatten krümmen und voreinander verbergen müssen.

Vogelfrei jedem Ansturz des Lebens gegenüber atmete Beate wie von tausend Ketten und Fesseln befreit auf. Sie wußte, daß sie den Becher der Leidenschaft an ihre Lippen nehmen mußte, wenn anders nicht etwas in ihr zugrunde gehen und sie für die letzte Hälfte ihrer Zeit in ihrem Besten verwandeln und verderben sollte. Neben Miselle's zarter und übersensitiver Art hätte sie nie den Mut zu diesem Schritt gefunden. Und niemals hätte sie Miselle dazu gebracht, zur Klarheit über die letzten Gründe ihrer eigenen Verstimmungszustände zu gelangen. Der Wille zur Klarheit war nicht in ihr, da sie instinktiv fühlte, daß sie nie und nimmer Herr werden würde über die starren Hemmungen ihrer sensiblen seelischen Reaktionen. – Und da ihre Liebe und Achtung dieser feineren Artung ihr jede Heimlichkeit der Tat neben der Schwester zur Unmöglichkeit machte, wurde diese Flucht in die Ferne, in das Ungewisse und Ungewußte zur unabweisbaren Not. –

Als sie nach einigen Jahren zu Miselle wiederkehrte, war sie strahlend von Heiterkeit und reich an einer süßen, reifen Güte, die sich wie ein weicher, warmer Mantel um Miselle's darbende Seele legte.

Miselle war noch stiller und leidend geworden. In ihrem Zimmer gab es Vögel und viele Blumen, an denen sie ihre unverlangten Zärtlichkeiten verhauchte. Die Kinder der Nachbarschaft liebten sie, sie hatte für alle immer ein liebes Wort, eine Liebkosung und irgendeine fröhliche Gabe zur Hand.

So hatte sie sich mit ihrem leisen und zarten Willen eine sanfte Ebene geschaffen, die sie überblicken konnte, und sie hob den Blick nicht mehr zu den blauen Fernen und den lockenden Höhen, wissend, daß ihre Schritte nur im engen, fest gegebenen Kreise sicher und ruhig wandeln konnten.

Beate hütete das Heiligtum dieses Kreises.

Wandelte seine Enge in einen blühenden Garten, den sie mit ihrem quellenden Reichtum schmückte.

Dankbar und beglückt atmete Miselle all den neuen Duft und die leuchtenden Farben, die ihr von Beate zuströmten.

Sie lauschte begierig auf die fremden Klänge und Melodien, die aus ihren Worten tönten. Ihre Stimme war ihr neu geworden, sie war gleichsam beladen von einer köstlichen Fülle, die aus unversiegbaren Quellen aufsprang und sie selbst wie mit glücklichen Ahnungen und Schauern überschüttete.

Miselle fühlte, daß da ein Erleben war, das alle tiefen Brunnen erschlossen, alle Widerstände umgestürzt, jeden Mißklang zu reiner Harmonie gelöst hatte.

Aber nie kam eine Frage auf Miselle's Lippen.

Nie auch ein deutendes Wort aus Beaten's Mund.

Sie erzählte von fremden Ländern und fernen Gestaden, von seltsamen Tänzen und Künsten, von leuchtenden Bergen und schimmernden Meeren, die sie geschaut und erlebt.

Und durch alles hindurch trug ihre Stimme den Klang einer bebenden Belebtheit, der alles Geschaute mit einer geheimnisvollen Umgoldung umwob. Und dieses Geheimnisvolle band ihrer beider Herzen zusammen. Es blieb dadurch etwas zwischen ihnen immerfort neu und anziehend und verheißend. Hinter der letzten Ringmauer ihres Wesens ahnte Miselle das Geheimnis Beaten's. Sie bewunderte ihre Kraft, die vom Leben das nahm, das sie zu ihrer Güte befreite. Sie fühlte einen schmerzlichen Stolz für diese Kraft. Aber nie hätte sie ihr sagen können: du tatest recht.

Beate aber wußte, daß hinter jener Mauer lebenslang ein krankes Sehnen und armes Entbehren bleiben würde, und schonend umging sie die dürstende Wüste, pflanzte Blumen um sie her und häufte alle Schönheit ihrer am Leben reich gewordenen Hände darüber aus.

In dem Meer ihrer Güte und Wärme versank Miselle mit wohliger Lust. Und alle Bitterkeit ihrer Entbehrungen und scharfen Stacheln banger Unerfülltheiten verloren allgemach ihre wunde Qual.

Und die Liebe früherer Zeiten kehrte zu ihnen zurück und band ihre Seelen bis zum Ende ihrer Tage.

Der Becher des Lebens, aus dem Beate getrunken, gab ihr die Kraft zu sich selbst und die tragende Güte zu den andern.


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