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Frau Lolla's sieben Lieben

Aus urewiger Zeiten Dämmerungen leuchtet die geheimnisvolle Zahl der Sieben.

Wie eine magische Rune durchspinnt sie den dunklen Urgrund des Denkens. Rinnt spürend durch die chaotischen Schachte der Werdung. Findet heimliche Gesetze der Bindungen und Lösungen. Wird im Spiel und Ernst des bewegten Seins das rätselhafte Symbol ringender Mächte, die den brausenden Strom des Geschehens unter das Maß der Zeiten zwingen und die rasende Flucht der Erscheinungen in den seidenweichen Netzen bebender Ahnungen auffangen und ihre heiligen Geheimnisse ehrfurchtsvoll umhüten, bis sie am Tore der Erkenntnis Ding und Name werden.

Sonnen und Sterne, der Meere Tiefe, des Lichtes Wellenspiel, die Harmonien der Töne und Farben stehen unter dem Gesetz dieses siebenstrahligen Symbols, in das die von der Tragik des Lebens erschütterte Menschheit voll schauernder Ahnung, schreckvollem Bangen und lockender Lust hineinstarrt.

Sollten da die Rhythmen unseres Blutes diesem rätselhaften Gesetze nicht auch verfallen sein? Das Wellenspiel seiner Bewegung, das wir Liebe nennen, ist in seinen Ebben und Fluten, in seinen Aufschwüngen und Niedergängen mit der dunklen Mystik jener heiligen Zahl unwiderruflich verstrickt. –

Das zarte Saitenspiel des Gedächtnisses könnte uns die Melodie dieser Wahrheit singen.

Aber wie wenigen ist dieses immerfort klingende und tönende Gedächtnis gegeben, das auf leiseste Reize antwortet und Erklungenes unverlöschlich zu bergen weiß.

Der Mehrheit der Menschen fehlt jenes feinste und letzte Erinnern, das mit seinen hauchzarten Wurzeln zu den losen und lichten Augenblicken zurückreicht, die aus fernster Kindheit Tagen wie seltsame Blüten aufleuchten, und die sich vor dem hart gewordenen Wirklichkeitsblick des Eintagsmenschen in sich selbst zusammenziehen und in den Zustand der Erstarrung zurücksinken, aus dem sie nie wieder zu dem Duft und der Farbe ihres ersten Eindruckes aufzublühen vermögen. Zu hart ist das Gestein, durch das solche Erinnerungen sich bei dieser Menschenart hindurchwinden müssen, die immer nur den einen Tag, die eine Stunde, den einen Augenblick um sich weiß, und so im Erleben schon alle feinsten Elemente des Erinnerns in sich zerfallen läßt.

Zu jenem starken unverlierbaren Erinnern gehört der glühende Feuerstrom der starken Persönlichkeit, der alle seelischen Zustände in sich, alles Sein, Werden und Gewesen in stetem Fließen erhält. Ein Geist gehört dazu, der, stark und geschmeidig, jeden Augenblick zu seiner äußersten Oberfläche und seinen tiefsten Gründen und Abgründen steigen und fallen kann, in dessen Schwingungssphäre die Erschütterungen seines Erlebens in unverlöschlichen Spuren weiterklingen.

Die Erinnerung allein ist es, die der Persönlichkeit Farbe, Umfang und Inhalt gibt, ihren Umriß an die Räumlichkeit bindet. Und vielleicht ist Genialität nichts anderes als der tiefe, schon von Generationen seit Anfang her mitgegebene Brunnen lebenslang mitklingender Erinnerungen.

Und solche, die sich erinnern können, wissen um die fernsten Dinge, die ihres Wesens Anfänge begleiteten. Sie kennen die verborgene Mystik der Gezeiten, die Werden und Vergehen, Sturm und Stille, Blühen und Welken der Persönlichkeit an die Rhythmen des Lebens binden und das Wellenspiel des Blutes zur Melodie der Leidenschaft aufrauschen lassen.

Der Gezeiten, die, siebenfach geteilt, dem Auf und Ab der Tage, dem leisen Fall der Stunden, dem Dunkel der Nächte jenes rauschende seltsame Klingen und Leuchten geben, das an der Resonanz der Erinnerung sich zu glühenden Bildern entzündet.

Am genialen Menschen erst wird uns die ungeheure Bedeutung der Erinnerung blendend klar, und wir erkennen sie als den Brennpunkt, in dem die Ausstrahlungen der Persönlichkeit sich zum Komplex ihrer Ichheit sammeln. Nur der geniale Mensch trägt immerfort seine individuelle Ganzheit mit sich, während der andere sich nur stückweise zu erkennen und darzustellen vermag.

Frau Lolla war eine geniale Persönlichkeit.

Wer die Kreuzersonate von ihrer Geige gehört hatte, vergaß dieses blühende Fest so leicht nicht wieder.

Und Frau Lolla erinnerte sich.

Dämmerungen

Ganz zart und leise und fein flimmerte jenes allererste Erleben ihrer frühen Kindheit in der verschwebenden Bläue fernster Horizonte. Kaum ein Erleben war es zu nennen. Ein Ergriffensein war es. Eine Sekunde urplötzlicher Aufgeschlossenheit, in der die Ekstasen tiefster Beseligung und erschütternden Schmerzes die schlummernde Kindesseele mit dem geheimnisvollen Ewigkeitsklange des Lebens überstürzten, daß sie einen furchtbar-seligen Augenblick entlang über den Abgründen letzter Erkenntnisse schwebte.

Wie in ein Bild blickte sie in diese Erinnerung zurück.

Auf dem Lande war es. In einem vornehmen Villenort Petersburgs. Sommersattes Abenddunkel lag über den weiten Gartenterrassen. Erwartung und Spannung schwebte erregend über der eng zusammengestauten Menschenmenge. Auf der weiten Galerie des Gesellschaftshauses stand das Orchesterpodium, der Meister der Geige, der mit seinen fliegenden Walzermelodien jedes Blut in Taumel und Wallung brachte – wurde jeden Augenblick erwartet.

Durch irgendeinen Ausnahmezustand in der Familie war das Kind mit in diesen Wirbel hineingeraten.

Es lauschte in die fremde Dunkelheit des Abends hinein, die sich düster und lockend und furchterregend wie ein regloser Vorhang ringsum ausbreitete, gegen den die Lichtkreise der Laternen sich matt und durchsichtig abhoben.

Der Zug, der den Künstler bringen sollte, mußte sich verspätet haben. Die Menge war bis zur Siedehitze in Erregung und Erwartung getaucht.

Kaum daß sie für das flutende Lichtspiel des rauschenden und brausenden Feuerwerks einige Aufmerksamkeit herzugeben hatte.

Das Kind starrte angstvoll und verwirrt in diese auflodernden Flammen, in die Fanfaren von leuchtendem Gold und tausendfach schimmernden Farbenströmen, die zu dem tiefen Schweigen des abenddunklen Himmels aufsprühten, einen Augenblick in wahnsinnigem Reigen über dem plötzlich weit aufgerissenen Horizont hintanzten, um dann ebenso plötzlich und jäh in den schwarzen Abgrund der Nacht zu stürzen.

Hellwach war die kleine zarte Seele. Schmerzhaft erweckt aus der vegetativen Stille ihres bisherigen Zustandes, verwirrt durch die Unlogik all dieses seltsamen Geschehens, von lauten Fragen bedrängt, in der Einfachheit seines Begreifens feindlich verstört, schwebte sie, wie losgelassen in der Fülle dieser Eindrücke verfangen, zwischen sich und der Umwelt wie auf einem seidenfeinen Faden über vielen Dunkelheiten, die sie jeden Augenblick zu verschlingen drohten.

Da – ein leiser Zweitakt vom Pulte des Meisters her.

In die unruhig wartende Menge fuhr dieses Zeichen wie ein elektrischer Stoß. Wie eine eherne Säule schmerzhafter Gespanntheit drängten die Sinne dieser tausendköpfigen Menge zu dem Einen, Einzigen, von ihm die selige Erlösung heischend, die ihres Blutes bebende Sehnsucht zu jauchzender Befreiung sprengen sollte.

Da setzten die ersten Töne ein.

Die ganze lauschende Menge versank aus aller Gegenwart in die brausende Tiefe der Zeitlosigkeit, die auf den spielenden Wellen der tanzenden Rhythmen berauschend über sie hinflutete. –

Das Kind erlebte Ungeheures.

Der enge Raum seiner Umwelt verschwand.

Die noch ungefesteten Grenzen seines Ichs dehnten sich mit schmerzhafter Plötzlichkeit zu furchtbarer Weite, in das sich das ganze Chaos fernster Ahnungen, Möglichkeiten und Zustände hineinzwängte. In taumelnder Verwirrung und seltsamer Entrücktheit lauschte das Kind.

Überwältigend brandete der Ozean der Töne an alle Ufer seines Wesens, die, gleichsam von weithin leuchtenden Scheinwerfern erhellt, ihm eine gänzlich fremde Landschaft enthüllten. Ausbrechend aus sich selbst unter der Wucht dieser ungeheuren Berauschung, fühlte es sich für einen schwankenden Augenblick visional hineingenommen in ein fernes Erleben, wußte es eine schwebende Sekunde lang um die letzten Dinge seiner Seele und seines Blutes.

Wie von einem Magnet hingerissen, willenlos von schmerzhafter Lust bedrängt, schob sich das Kind durch die beifalltosende Menge.

Ein selig Berauschendes, Furchtbares, Süßes, Strahlendes und Erschreckendes zugleich lockte, zog und riß es zu der Stelle hin, von woher noch eben der Feuerzauber der Töne in seine schlafende Seele hereingebrochen war.

Das Getöse umher, die wogende Unruhe der Menge – das Kind fühlte nichts davon. Nur ein Gedanke war in ihm. Zu jenem Manne hin, der dort wie ein König im Lichte stand. Hager und dunkel und glutäugig schaute er über die, durch seine Kunst zu wildem Entzücken entbrannten Massen hin in eine Welt, die nicht die ihre war. Mit seinen schwachen Armen wie von einer fremden Kraft getragen, drängte das Kind zu den Stufen der Estrade. Das kindersanfte Herz klopfte zum Bersten laut, ein seltsamer Schauer durchflammte das sonst so stille Blut zu aufbrechender Lust, die es von Kopf bis zu Füßen mit schmerzhaft glühendem Aufruhr erfüllte.

Ich liebe ihn – wußte das Kind. Wußte es mit jener pochenden Qual und jener lockenden Lust, die auch der reifen Erkenntnis mitgegeben ist.

Als es sich endlich mühsam gegen alle Widerstände zur Estrade hingearbeitet hatte, war der Platz leer, der Meister verschwunden.

Da riß ein Schmerz durch die Seele des Kindes. Eine Qual, die alle bitterste Erkenntnis alles Leides der Erde vorausnahm. Es erkannte in dieser furchtbaren Sekunde die schmerzhafte Dunkelheit des Wehes, die um jede Liebe ist. –

In diesem wehdurchzuckten Lichtdunkel erschaute rückblickend Frau Lolla den allerersten Auftakt des erotischen Erwachens, das den klaren ruhenden Spiegel ihrer Kinderseele so jäh verdunkelt und überleuchtet hatte.

Morgenröte

Einige Jahresspannen weiter.

Es war um die verwirrende Zeit des erblühenden Blutes. Da alle Sinne zu sich selbst erwachen und Geist und Seele sich selbst ein Greifbares werden. Wo der Begriff der Schönheit über Nacht eine berauschende Wirklichkeit wird und zugleich eine bangende Frage über sich selbst.

Da wird der erwachende Blick des Weibes sein Selbst gewahr und erkennt plötzlich im Andern das Andere, das Fremde, Erschreckende, Lockende und Geheimnisvolle.

Der Mann tritt über die Schwelle des Weibbewußtseins.

So sieht sich Frau Lolla in jener Zeiten Spanne.

Hoch und schlank, voll seltsamer Unsicherheiten geht sie mit mühsam tastenden Jungfrauenschritten durch all das Neue, Überraschende hin, das alles umher und in ihr ist, und das sie jäh von heute auf morgen überfallen hat.

Sie hört deutlicher auf ihren Namen. Wägt mit horchender Lust den Wohlklang darin, lächelt über die anderen, die weniger Klang und Farbe haben.

Lolla – damit konnte man Ball spielen, ihn in die Luft werfen und wieder auffangen. Ihn weit fortschieben und die feine Spur seines Klanges nachfühlen. Lolla. –

Wie war Christine so hart und Minna so komisch und Berta so voll Ecken.

Wie anders waren ihre eigenen Hände geworden. Wie war das nur, früher waren sie immer etwas rot und bläulich überhaucht. Sie liebte ihre Hände, und als sie zu ihrer Einsegnung Ringe und Armband erhielt, konnte sie lange Minuten damit verbringen, das Funkeln und Leuchten der Steine zu betrachten, welche den zarten Linien ihrer Hände einen neuen Reiz gaben.

Was für schöne Hände sie hat – sagte einmal jemand. Diese Worte trug sie wie einen Schatz in ihrem Gedächtnis und spielte damit wie Kinder mit bunten Dingen.

Sie war sehr empfindlich geworden gegen die Stimmen der Menschen um sie her, gegen die Art ihrer Bewegungen. Sie sah und hörte tausenderlei Neues, mit dem sie nichts anzufangen wußte. Qualen stürzten plötzlich aus irgendeinem Dunkel hervor, hockten stumm und starr am Rande ihrer Seele und gaben keine Antwort, wenn sie auch noch so lange versuchte, etwas aus ihnen herauszulauschen.

Sie ließen sich nicht fortschieben, hart, unbeweglich und unerbittlich lagen sie überall an den Türen, die zu all dem Neuen und Lockenden führten, das nun fast plötzlich wie eine wilde Landschaft vor ihr sich auftat.

Wie war auch der Frühling jetzt so anders.

Alle Jahreszeiten hatten einen neuen Klang in ihren Ohren. Ein neues Licht in ihren Augen.

Hatten die Blumen immer so geleuchtet? Hatten Farben immer so tiefe Geheimnisse gehabt? Die Erde hatte einen seltsamen berauschenden Duft, der Atem wurde einem schwer und bang dabei.

Und die Sonne. War es nicht, als risse sie einem innen und außen alle Türen aus und sprengte alle Fesseln, als müsse man mittenhinein in ein Glühendes, Lockendes, Brausendes, das wie ein Meer wogte und alles Ferne zu einem herbrachte? Das Leben wurde so weit und voller Gewalt, es wollte einen verschlingen; und dann wieder fühlte man, daß es einem sanft zu Füßen lag und man mit ihm spielen konnte wie mit einem zärtlichen Kätzchen. Man konnte stundenlang am Fenster stehen und in die Mondnacht schauen.

War das nicht noch schöner als der leuchtende Tag?

Wie anders war alles geworden. Dieser silberne Schein wandelte alles umher. Das Licht stand wie eine steinerne Mauer, man konnte sich daran stoßen, die Finsternis daneben war weicher als das Licht und rief und flüsterte. Ja, sie hatte eine Stimme, und stieg man aus dem Fenster und ging ihr nach, leise, zaghaft, voll einer süßen Angst – da wurde sie plötzlich stumm und drohend.

Und ein schreckhaftes Grauen fiel über die Seele her, daß die Schritte taumelnd wurden und einen kaum wieder zurücktrugen.

Das Grauen ging mit an die Schwelle des Schlafes und wandelte sich in wirre, kreisende Träume, die ein seltsames Beben und Gleiten in das Blut brachten.

Aber wenn die Nachtigall sang –

Woher kam diese Stimme, die den Klang von Flöten und Geigen hatte?

Ja, ganz in der weitesten Ferne ihrer Erinnerung verklang der letzte süße Aufschrei eines wundervollen Geigenlautes – hatte er sich nicht weitergesponnen in den dunkelsten Verborgenheiten ihrer Seele. War es nicht immer wie ein aufquellendes Erzittern in ihr, wenn sie jemand eine Geige zur Hand nehmen sah. Angstvoll verfolgte sie jede Bewegung der Hände, und mit weiten, starren Augen wartete sie aus den ersten Ton. –

Aber nie, nie noch hatte sie wieder das wiegende, weiche Entzücken gefühlt, das mit jenem feinsten Erinnern so unzertrennlich verbunden war, das weit hinter ihr im fernen Lande zurückgeblieben schien, das sie damals, gleich nach jenem großen Erleben mit ihren Eltern verlassen hatte.

Einmal aber kam es nach vielen Jahren.

Das war in einem Kirchenkonzert.

Da kamen ganz plötzlich unerwartet von oben, von der Orgel her, ohne daß sie jemanden sehen konnte, die ersten weichen, wiegenden Wellen eines Geigensolos –.

Das war wie ein Erkennen, wie ein Begegnen mit sich selbst, mit jener schwebenden Minute erster Kindheit, in der sie das Ungeheuere erlebt hatte.

Ihr Herz klopfte, die Pulse flogen, es rauschte wie von schweren Flügeln um sie her. Sie schrie laut auf aus einer Qual, die sie nicht verstand. Dann wurde es finster in ihr. Man trug das Kind hinaus.

Hysterisch – sagte der Arzt mit der lieblichen Leichtfertigkeit derer, die das unermeßliche Orgelspiel des Lebens mit derlei Namen einzufangen sich erkühnen. – Seitdem war ein unruhiges Lauschen in ihr geblieben.

Und nun hörte sie nachts im Mondschein die Nachtigall.

Das war wie jenes Traumhafte, das aus fernster fremder Zeit irgendwo in ihr gebannt war und nach Erlösung flehte.

Da war es wieder, das Wiegen und Wogen, Schluchzen und Jubeln, das Schwellen und Fallen, das süße, berauschende Wellenspiel der Töne, von dem man nicht wußte, spielte es aus der Geige oder tief in unserem eigenen Blute.

Lolla lauschte atemlos mit bohrenden Sinnen.

Wohl war es wie jenes geheimnisvolle Erinnern.

Und doch, es fehlte etwas daran.

Sie fühlte wieder, wie es sie damals mit fremder Kraft unwiderstehlich und rettungslos hinzog zu dem, dessen Hände diese Töne schufen. Hinstürzen zu ihm, seine Hände fühlen, seine Augen sehen, ganz nahe bei ihm sein, – dieses herrische verlangen hatte damals ihre zarte, junge Seele mit erstickendem Kausch erfüllt.

Und jetzt flossen diese Klänge wundervoll und süß aus des Vögleins Brust in das seltsam starre Licht des Mondes.

Aber niemandes Herz kam auf diesen Tönen zu ihr her, keines anderen Blutes Wellen tanzten in dem Reigen dieser Melodien, es fehlten die jagenden Pulse eines verzückten Herzens, welche diese wundervollen Rhythmen erst zu jenen Wonneschauern auflohen ließen, die sich mit ihrem eigenen Blute mischten und nach ihr riefen – wie damals. Es war ein anderes damit.

Und obgleich ihre noch unbewegte Keuschheit hier vor dem Geheimnis mit den sieben Siegeln stand, fühlte sie im Unbewußten die tiefe Pein der Leere, die ihre Sinne wie mit einem Ring ohne Anfang und Ende umfesselten, vom Liede der Nachtigall wurde es leise und sanft in ihr, und damals waren Flammen in ihr aufgeflogen.

Es wurde ihr bang und schwer.

Und alle Lust schlug jäh in dunkelnde Schwermut um.

Ein fernes Ahnen von der Bitterkeit, die alle Süße des Lebens überschattet, kam über sie.

Wie ein kühler, banger Hauch von Tod und Sterben flog es zu ihr her. Aber mit dem Tode wußte ihre allzu junge Seele noch nichts anzufangen.

Und so blieb das heimliche Sehnen mit ihr durch ihre Tage.

Dieses Lauschen und Nichtfinden, dieses Suchen und Nichthaben beschwerte ihre lächelnde Jugend mit jenem schmerzlichen Ballast, an dem die zum Außergewöhnlichen Bestimmten so hart zu tragen haben, und der ihnen dennoch eine Erhöhung ihres Wesens bringt, indem er es vor dem leichtfertigen Tanz der Oberfläche bewahrt und zum Tiefgang zwingt. –

So schien sie der Umwelt voller Launen und Unstimmigkeiten. Wurde unbequem gefunden und beiseitegeschoben.

Sie aber wußte, daß sie etwas zu suchen und zu hüten hatte.

Doch keiner wollte ihr sagen, was es sei.

Der Überfluß an ihr selbst war es, der sie quälte. Die nagende Unrast zu etwas hin, das, größer als sie, sie von sich selbst befreien und letzten Endes sie damit zu sich selbst bringen sollte.

Und für dieses Größere blieb in der Enge ihrer Unbewußtheit immerfort jener Ton der Geige das Symbol, der ihr Ohr berauscht und ihr ganzes Wesen in Flammen und Aufruhr versetzt hatte.

Ton und Flammen.

Darauf war sie im Innersten festgelegt, und alles, was nicht Wohllaut hatte oder ihr den Rhythmus des Blutes bewegte, rührte nicht an ihre äußere Kühle und Stille, die sie seltsam überreif erscheinen ließ, während sie nur die Deckung vieler Leere war, die nach Erfüllung lechzte.

Und eines Tages kam die Erfüllung.

Leise und plötzlich, wie die großen Erfüllungen zu kommen pflegen.

Es war in der Schule.

Der neue Mathematiklehrer stand auf dem Podium.

Hoch gewachsen und herrschend schaute er in die junge Schar, deren Blicke voll unruhiger Neugierde ihn umflogen.

Das geistliche Gewand und die Tonsur im üppigen Haarwuchs gaben ihm eine seltsame Fremdheit, machten gleichsam einen scharfen Strich zwischen seiner und ihrer Welt und durchbebten die schwirrende Spannung all dieses jungen Weibtums mit einer schmerzhaften Hoffnungslosigkeit.

Lolla lauschte voll angstvoller Erwartung.

Da kam seine Stimme.

Und obwohl es lauter harte und trockene Dinge waren, über die er sprach, Dinge, zu denen aus ihrer Begabung her sich keinerlei Fäden hinspannen, umrauschte diese Stimme sie mit einem Meer von Seligkeit und Glück.

Etwas Herbes, Schweres löste sich in ihr.

Eine bittre Qual fiel von ihr ab.

– Warum weinst du? – flüsterte leise ihre Nachbarin.

– Weine ich? – frug sie mit einem seltsam irren, glücktrunkenen Blick in den tränennassen Augen. –

Um diese Zeit war es, daß sie fühlte, sie müsse die Geige spielen lernen, von jener Stimme kam ihr diese Erleuchtung.

Und sie schlich dieser Stimme nach.

Heimlich, vor den andern verborgen.

Zu den seltsamsten Stunden, in der Frühe, da sie wußte, daß sie in der Kirche sie finden würde, war sie stets bereit.

Und daß diese Kirche nicht die ihre war, daß diese Mysterien nirgends an die Ufer ihres Verstandes rührten, sondern nur auf den Wellen des Unbewußten sie umkreisten, hob all dies neue Erfahren zu einer Höhe, die von den Schauern fremder, glühender Trunkenheiten durchzittert war.

Hier in der Kirche, in der weichen Resonanz von Raum und Stille, erkannte sie ganz die unergründliche Schönheit dieser Stimme, die, durch die Fremdheit der Laute losgelöst von der Sprache des Alltags, nur tönender Klang geworden, sie zu geheimnisvollen Ufern hinübernahm, zu denen sie sich gelockt, verbunden und zugehörig fühlte, ohne noch die goldne Brücke zu kennen, zu der die schwellenden Logen der Kunst sich in ihr aufschnellen wollten.

Durch diesen neuen Traum tastete sich ihre Seele langsam zu den Quellen ihres Wesens hindurch. Träume sind es, die an unseren Wegen stehen und mit weichen Händen uns über die Schwelle heben, die zu den Erkenntnissen führt.

Und dieser Traum war von einer andern Melodie getragen als jener erste leiseste am Morgenhimmel ihrer verblassenden Kindheit. Er war umschwebt von dem tiefen Meeresrauschen der Orgel, in deren weltentief und himmelhoch brausenden Wellengängen alle Elemente des Seins und alle Kräfte eines übermächtigen Schöpferwillens sich begegneten, durch Sturm und Drang hindurch sich kreuzten, auflösten und wieder banden, um dann in grandioser Erschöpfung am Throne der Allmacht niederzusinken, dort, wo der Erzengel mit dem Schwerte der Reinheit die Wacht hält über die Schönheit der Welten.

Von dieser Höhenschöne umflutet blieb diese seltsame Herrlichkeit der Mannesstimme in ihrem Erinnern, die sie von der Herbheit und Schwere ihres drangvollen Suchens nach einem vollkommenen Wohllaut erlöste.

Um eine Qual ärmer war sie so geworden.

Über tausend neue Qualen brachen durch diese geöffneten Pforten über sie herein.

Denn als ihr Ohr seine Entzückungen erlebt und ihre Seele, vollgesogen an dem Honig dieser Töne, eine volle Entspannung und beglückende Ruhe zu fühlen begann, die mit jeder Erfüllung einer starken Sehnsucht über sie kommt – fielen die Wellen jener Stimme plötzlich in andere Regionen ihres Wesens. Durchrauschten ihr Blut, spielten aus ihren Nerven und tauchten ihr ganzes Wesen in eine purpurne Finsternis, aus der weder Weg noch Steg zu irgendeinem sicheren Ufer zu führen schien.

Sie fühlte wieder den alles umreißenden Rausch jener furchtbar seligen Sekunde, die sie damals in weitweiter Zeiten Nebel sinnlos zu dem Wanne rissen, dessen Geigenspiel sie bis in die Tiefen ihres Rindwesens wie ein Blitz getroffen und verwundet hatte.

Und wie die Morgenröte aufbricht an den erwachenden Himmeln. Mit zarten, leisen und keuschen Farben ihren ganzen Horizont bedeckt, bis er, im goldenen Glührot aufleuchtend, die Sehnsucht der Erde mit seligen Ahnungen und Schauern erfüllt, ohne noch an die letzten Flammen ihres wartenden Schoßes zu rühren –

So überströmt die Morgendämmerung der ersten Liebesseligkeit das erwachende Weib mit jenem übersinnlich sinnlichen Erglühen, das, nur von leisen Ahnungen und fernen Träumen genährt, das erschauernde Blut mit seltsamem Bangen, Grauen und Seligkeiten überflutet, zu dessen dunklen Unergründlichkeiten die arme, noch so nackte und leere Seele weder Eingang noch Ausgang findet.

Der erste Ruf

Aber durch alle Verwirrung hindurch, über alle Dunkelheiten hinweg leuchtete an der Schwelle ihres Wesens wie ein weisendes Licht die bebende Lust an dem Wellenspiel der Töne, an deren Unendlichkeit sie sich in voller Selbstvergessenheit verlieren konnte, jener erdfernen Vergessenheit, welche die Heimat der Künstlerseele ist.

Und zur Kunst trieb es sie hin.

Zur heiligsten der Künste, der Musik.

Hinter der Armut ihrer Erfahrungen und der Begrenztheit ihres Wissens lag in ihrer Seele wie ein heimlicher See, unbegrenzt und voll Bewegung, die Ahnung von der ewigen Schönheit der Welt der Töne.

Weit offen standen in ihr die Pforten der Empfängnis, zu denen jeder Klang und Sang und alle Wehen ihren Weg fanden, die den Herzschlag des Alls umkreisen und den Rhythmus seiner Sphären in die Unendlichkeit der Melodien lösen. Und in der Überfülle ihrer eigenen schwellenden Sehnsucht stand sie verwirrt vor dem gewaltigen Reichtum der tönenden Dinge, die, scheinbar ohne eigenes Leben, nur des Atems der Menschenseele harren, um sich in ein bebendes Meer von Harmonien auszulösen.

Zwischen Orgel und Geige schwebte ihre Lust.

Der letzte Rausch ihres noch so jungen Erlebens lockte sie zu der Unendlichkeit der Weltenräume, zu denen der Orgelton die goldnen Schlüssel birgt.

Aber die frühere blasse, zarte und ferne Stimme der Geige hauchte leise lockend ihre süße Verführung in ihr junges Blut.

Ja, sie war jung. Sie brauchte den Tanz.

Und welches der vielen tönenden Dinge konnte so lachend und berauschend, so wiegend und schmeichelnd über Erde und Himmel, Abgründe und Seligkeiten hinwegtanzen wie die Gottmenschlichkeit dieses zarten, bebenden Holzes, das mit seinem Tönen die Seelen aus der armen Menschenbrust erlöst, wo sie in bitterer Gefangenschaft ihrer Befreiung harren, um selbst Ton zu werden und sich für glückvolle Augenblicke wieder mit den Harmonien der Sphären zu verbinden, aus denen sie genommen waren. Immer tiefer schmolz ihr eigner Wesenston mit dem Schwunge der ewigen Schönheit zusammen, die aus dem Urgetön der Allbewegung das Lauschen der Kreatur mit überseliger Ergriffenheit erfüllt.

Vom Ahnen zum Erkennen, vom Wissen zum Meistern ging nun ihr mühevoller und doch von einer seltsamen Beglückung umspielter Weg die Höhen ihrer erwählten Kunst hinan.

Und jener schwingende, singende und berauschende Klang, der aus fernster Erinnerung in ihrem Blute geblieben, ging wie eine drängende Lockung neben ihrem Wege, und ihr gespanntes Lauschen aus diesen seligen Klang führte sie Schritt um Schritt zu ihrer eigenen Schönheitsinsel, die unter tausend andern im Meere der Unendlichkeit lag.

An jenem Klang maß sie sich selbst und hatte damit ein unbeirrbar Gemäß für das einzig zu Nehmende und Begehrenswerte in der unfaßbaren Unbegrenztheit der Möglichkeiten dieser Kunst. Und immer noch lauschte sie wie auf ein Fernes, Fremdes, auf jene singende Lockung, als die Melodie derselben schon längst in ihr Eigenstes eingeglüht war und dem Klang ihrer Geige jene berauschenden Düfte und Farben entströmten, wie sie den seltsam fremden Blumen eigen, die an den fernen Gestaden unserer Sehnsucht blühen. Und an dem Spiel der Rhythmen, in dem die Geheimnisse unserer Wesenheit verwurzelt sind, ward ihr Blut wach, und erkannte sie die geheime Melodie seiner Kreisungen, und Herz und Sinne füllten sich ihr mit der süßen Unrast und schwellenden Bereitschaft, die ihr ganzes Wesen gleichsam mit dem sehnsüchtigen Hauch des berauschenden Föhnwindes umhüllten.

Sie stand nun aus dem Höhepunkte, wo die zarte Knospe des Weibtums sich fast plötzlich zu leuchtender Blüte entfaltet. Nur eine kurze Spanne währt diese Gnadenschöne, und dem sie zufällig zu schauen gegeben, vergißt den Rausch und den Glanz dieser Stunde nicht.

Und da es ein Mann war, der sie so im Leuchten dieser königlichen Stunde sah, jagte der berückende Rausch dieser göttlichen Trunkenheit sein Blut über die User der Besonnenheit, und, hingerissen von dem seligen Zauber, in dem die Natur ihre heimlichsten Wunder vor seinen verzückten Rügen ausbreitete, vergaß er sein selbst und all dessen, was zwischen ihm und ihr als heilige Warnung stand, und wie ein Sturm stürzte es über ihr zusammen, was sein ausglühendes Blut an Rausch und Leidenschaft zu geben hatte.

Wie eine Brandfackel, die plötzlich in den Kern der Erde fällt und alle bislang ruhenden Geheimnisse der Tiefe jach zu lodernder Flamme ausströmen läßt – so fiel der erste Kuß in Lolla's lauschendes Blut. In einer Sekunde Schnelle veränderte er das Klima ihrer Seele und wandelte sie zu einer neuen Welt. Bislang unentdeckte Gärten erblühten unter dem heißen Brodem seiner schöpferischen Gewalt. Gärten, die von seltsam fremden Düften umschwellt, von blendendem Lichte ferner Zonen überstrahlt, von einem Chor singender Seligkeiten durchtönt waren und das erschauernde Blut mit dem hinreißenden Jubelgesang des Lebens erfüllten.

So zu völliger Vergessenheit gelöst, lag sie in seinen Armen. –

Daß es ihr Lehrer war, zu dem sie bisher in scheuer Ehrfurcht aufgeblickt, aus dessen Kraft sie allen füllenden Reichtum genommen, dessen strenger Kunst sie sich willig gebeugt, all das war ausgelöscht in dieser Minute schweigender Ekstase, in der die entfesselten Gewalten ihrer erweckten Sinne unter dem ersten Kusse zu jenen schwingenden Rhythmen wurden, die alle Geheimnisse des Lebens umfließen, und die für selige Augenblicke die weltentrückte Seele ihre enge Verbundenheit mit diesen ewig schwingenden Rhythmen des Alls ahnungsvoll erkennen lassen. –

Nun trug sie das Mal an ihrer Seele.

Den Schauer in ihrem Blute.

Wie eine Gezeichnete und Gesegnete zugleich ging sie einher.

Unter dem ersten Kusse starb etwas in ihr.

Etwas unendlich Herrliches, Schmerzhaftes war es. Ein Ungreifbares und Unbegreifbares. Und doch so deutlich fühlbar als ein unwiederbringlich Verlorenes.

Wie wenn aus weite, weiße Schneestille die Sonnenhöhe die blauen Schatten der Dinge ausstreut.

So zart und schleierhaft verhuschend und doch die blendende, ungehemmte Weiße der leuchtenden Schneestille verdunkelnd, fielen die Schatten dieses Erlebens über die Reine ihrer Stille, und ob sie gleich nimmermehr die Süße dieser Verschattung hätte missen wollen, es blieb wie eine Wunde, eine Qual und heimliche Scham in ihr davon zurück.

Sie konnte dem Manne kaum mehr in die Augen schauen. Ihr Herz pochte, und ihre Pulse flogen ihm zu. Und dennoch duldete sie seine Annäherung nicht mehr.

Etwas in ihr wurde kalt und hart, wenn er es wieder wagte, ihr nahezukommen. In der Überraschung seines jähen Überfalles und der Erlösung zu lange und qualvoll erwarteter Erkenntnis hatte alle Besinnung sie verlassen.

Nun aber fühlte sie, daß nur ein Teil in ihr sich von diesem Manne hatte nehmen lassen. Daß etwas in ihr ihn liebte und nach dem erkannten Rausche begehrte, anderes aber ihm bis zum Entsetzen widerstrebte.

Hellseherisch durch die Keusche ihres Wesens, sah sie ihn nicht mehr mit den Augen der von ihm zur Kunst Geführten. Sie sah ihn plötzlich mit den spürenden Blicken des liebereifen Weibes als Mann und fühlte an den schneidenden Widersprüchen ihrer Begehrungen und Empörungen zu ihm und gegen ihn, daß es nicht die Flamme des großen Eros war, mit der er die heimliche Landschaft ihrer Seele überstrahlt hatte, sondern nur die kurze Stundenleuchte schwelender Funken, die fort und fort im kreisenden Blute züngeln und die heiligen Gluten der Leidenschaft zu leichtem Spiel und Sieg ungebändigter Triebe verschwenden. Daß nichts in ihr jener erlösenden Ergriffenheit erlag, die das bebende Zeichen der beseligenden Bereitschaft zu den letzten Dingen der Liebe ist.

Zudem hatte er Weib und Kind. –

So geschah es, daß sie erklärte, nichts mehr bei diesem Lehrer lernen zu können.

Und da es an der Zeit war, daß sich ihr neue Horizonte auftaten, ließ man sie über die Schwelle der Heimat in die Welt der Ferne und Fremde treten. –

Licht

So von der fassungslosen Sehnsucht erster Dämmerungen befreit, stand sie nun vor der Schwelle kommender Erfüllungen. Ihrer eigenen Macht bewußt geworden und von schwellender Ahnung getragen, wartete sie der segnenden Begegnung, in der die Übermacht des stärkeren Poles sie mit den dunklen Geheimnissen seiner zeugenden Kräfte überschatten würde.

Der erste lockende Ruf, der ihr Blut getroffen, weckte alles Ruhende in ihr zu vollem Aufruhr. Ihre Sinne wurden scharf und hell. Leichtsichtig und feinhörig stand sie nun in ihrer Kunst. Was sie bislang wie hohe dunkle Mauern umstanden, lichtete und ebnete sich, rollte sich zu weiten Fernsichten auf und wurde durchsichtig wie Glas, durch das sie in seltsame Weiten zu schauen vermochte. Sie wurde Herr ihrer selbst, ihres Instrumentes, ihrer Kunst. –

Und so aufgeblüht zur letzten flammenden Lust des Seins, die alles Erschaffene mit ihrem tönenden Wellenspiel umbrandet, trat sie das erstemal vor die lauschende Erwartung eines vollgedrängten Saales hin.

Sie spielte die Kreutzersonate. Dieses Wunderwerk voll tiefster Versunkenheit in den Schöpferodem des Alls, voll ausgelöster Hingabe an den heischenden Urwillen der zeugenden Lebenskräfte des Seins.

Mit dem ersten Ton war alles Seelische umher in ihrem Bann.

Mit keuscher Andacht öffnete sie den heiligen Schrein auf dem Altare des Lebens. Zug um Zug enthüllte sich unter den schwebenden Tönen ihrer Geige die starre Sphinxgestalt, die, heißer Lockung voll und dennoch antwortlos, im goldnen Schreine ruhte.

In der wogenden Glut der lockenden und lösenden Rhythmen fing sie mählich an, ihre harten, schmerzhaften Grenzen zu verlieren, das lichtlose Steingebilde wurde durchsichtig und begann in leisen Farben zu verschmelzen, die strenge Augenleere, die wie der furchtbare Kreis ewig stummer Frage das herbe Antlitz umdrohte, erhielt Blick und Seele und wurde mählich süßer Antwort voll. So Zug um Zug löschte das flammende Spiel der göttlichsten der Musen alle Starre und Qual des ruhenden Antlitzes, nahm alle Härte seiner Form in die Bewegtheit seines lösenden Elementes, und mit dem Triumph der eigenen Aufgelöstheit zur letzten mystischen Ungebundenheit sprengte es die Fesseln seiner selbst und des Geheimnisses, das es zu durchdringen strebte. Und die atemlos lauschenden Seelen schauten in das leuchtende Wunder.

Statt der steinstarren Schicksalsfrage entschwebte den leidenschaftdurchbebten Klängen lichtumflossen das von seligstem Leid und schmerzlichster Lust durchstrahlte Antlitz der Medusa Ludovisi, deren herbe und keusche Schönheit jede Antwort unter den, in tiefster Bewegtheit geschlossenen Lidern zu tragen scheint, die noch trunken sind von jener tiefsten Glücksergriffenheit, die zugleich den höchsten Schmerz umschließt.

Die Geige war nur noch Klang.

Alle Materie in ihr schien gleichsam aufgelöst in schwingende Unendlichkeit. Die strengen Gesetze ihrer Kunst waren aufgehoben und eins geworden mit der Seele, die sie meisterte. Es war nur noch die Stimme des Gottes, die den Raum erfüllte. –

Lolla's Kunst hatte die Feuertaufe empfangen. Sie war eins geworden mit der Unendlichkeit des tönenden Alls. –

Und der mit ihr das andere Instrument gemeistert, von dessen weit ausladenden dunkleren Wellenströmen sich die sphärisch lichten Tongebilde der Geige in schimmernder Farbenherrlichkeit wie von einem goldnen Hintergrunde abhoben –

Dieses Mannes Blut kreiste in fiebernden Gluten durch seine Pulse. Ein wildes Chaos überquellender Hingerissenheit krampfte ihm jeden Nerv zu schmerzvoller Verlorenheit an diese Seele, die, des Gottes voll, sich ihm bis ins Letzte enthüllte und durchsichtig, nackt und hilflos, nur von dem glühenden Mantel der Kunst zusammengehalten, neben den sprengenden Blutstößen seines Herzens stand. –

Er selbst, ein junger Meister der Tonkunst, fühlte hier, daß da Erfüllung zu Erfüllung kam.

Ein schier unumgreifbar Maß von Höhe zu Höhe.

Ihre Seelen ertrugen diese überlebensstarke Erregung nicht länger.

Als er zu ihr in den Wagen gestiegen war, lagen sie sich in den Armen.

Mund an Mund. Jagendes Blut zu jagendem Blute.

Trunkenheit ihrer selbst in der des andern aufrauschend, sich zu schmerzvoller Verzückung verschwelgend, bis, Flut in Flut sich glühend mengend, die glückvolle Stille erlöster Harmonien über sie kam.

So jedes im letzten Wesenskerne todwund von dem andern getroffen, durch die gemeisterte Kunst zur Schwelle der Gottheit gehoben, ward ihnen Seele und Wille und Blut zu solcher Verstocktheit ineinandergeflochten, daß nur noch die Hand des blinden Gottes sie zu ihrem Wege führen konnte.

So brach die Ehe wie ein neues Leben über Lolla herein. Und wandelte allen Traum und alle Sehnsucht, die ihr bislang die Seele beschwert und den hohen Glanz ihrer Kunst noch mit einer leisen letzten Dämpfung überschattet hatten, zu leuchtendem Lichte im tiefsten Erkennen ihrer selbst und des andern.

Ganz zur vollen Reife erwacht, übersah sie jetzt die Gefilde der Kunst mit neuem, wesensvollerem Blicke und fühlte, daß der Unendlichkeit der Melodien des Alls die eigene Unendlichkeit in ihr immerfort Antwort zu geben haben würde.

Taumel

Wie ein Flug war nun ihre Zeit.

Ein Wachstum ohnegleichen zu sich selbst und zu ihrer beider Kunst.

Sie lebten sich und ihrer Kunst.

Immer inniger eindringend in ihre Gegenseitigkeit, einander immer tiefer erfassend, getragen von der großen Liebe, die Befreiung von dem quälenden Bann der allzu nahen Nähe zu sich selbst ist, schwand ihnen Zeit und Raum, und sie fühlten nur die starke schwingende Linie ihres Weges, der über ihre erlöste Ichheit zu den rauschenden Quellen trunkener Schaffenswonne führte, allwo der schöpferische Menschengeist für ekstatische Augenblicke sich von dem Atem der Gottheit umweht fühlt.

Aus ihren Umarmungen nahmen sie immer wieder die tragenden Schwingen zur Höhe, den lockenden Klang zu der Endlosigkeit des Lebenssanges, die unirrbare Sicherheit zu dem steil auswärts gerichteten Ziele ihres schaffenden Willens. –

Das Kind blieb außerhalb ihres Wunsches.

Der Schaffende ist über diese allzu erdenhafte Erfüllung seines Wesens hinausgehoben.

Er ist von einer andern Erfülltheit bestimmt, zu anderer Götter Dienst geweiht als der Sterbliche, der nur im Kinde seiner selbst gewahr wird und sich weiterzugeben vermag.

Der Schaffende gibt seine Seele an das Leben.

Eine schmerzvollere und opferträchtigere Gabe an Gott und Menschheit ist nicht zu denken.

Und so sind denn seines Blutes Wellen zu andern Ufern gesonnen, zu ferneren und lichteren Zeugungen beschwingt.

Alles Fiebern seines Blutes, die Ekstasen seiner Umarmungen greifen zu andern Himmeln und schmelzen mit den Grenzen der Gottheit zusammen.

So daß der Überschwang seiner geschlechtlichen Entzündungen nicht zum stillen Herdfeuer der fortpflanzenden Art sich schwächen kann.

Es würde immer ein Zuviel oder Zuwenig sein, das er dem Kindeskeime mitzugeben hätte. Und das unglückliche Wesen nähme dieses Stigma des Übermenschentums in der allzu großen Erschütterung seines leisen Anfanges durch seine Tage hin. Zwischen Wahnsinn und Schwachsinn hinge die Wage seines Werdens.

Und dieses Furchtbare der Wahrscheinlichkeit löscht, unbewußt um seine tief verborgenen Gründe, in dem schaffenden Künstler allen Wunsch und Willen zum Kinde aus.

Und sind dennoch seine Schaffungen nicht gleichen Wertes voll?

Oder vielmehr, da sie so seltener Wesenheiten zu ihrem Erscheinen bedürfen, nicht weit erhaben an Wirkung und Seherkraft über alle Horizonte, die je von den Erben seiner Leiblichkeit in einer Generationenreihe erreicht werden könnten. So muß der Schaffende sich genügen lassen an der Weitergabe des zeugenden Feueratems der Kunst, der Tausende der andern – der Sterblichen – wiederum zu jenen glühenden Verzückungen lebensprühender Umarmungen beflügelt und berauscht, aus denen die begnadeten Kinder der Menschheit ihren lichten Anfang finden, und die, wiederum zur Weitergabe des heiligen Feuers erkoren, so im letzten Grunde Wesen seines Wesens in sich bergen und damit die Zeugungskraft des großen Schaffenden dennoch unvergeudet über weite Zeiten tragen.

Aber auch das geschieht dem Menschen der Kunst, dem Schaffenden und Überreichen an sich selbst, daß ihm plötzlich der schäumende Becher der Lust schal und leer wird, die lodernde Flamme seines Blutes niedergebrannt zu Loden sinkt und das Göttermahl der Liebe für ihn alle Kränze und Tänze verliert.

Ausgekostet bis zur Neige ist das Gesäß der Leidenschaft, das ihm bislang jeden Rausch der Höhe und Tiefe kredenzte, von dem er sich Brand und Flügel nahm zu seiner Welten Umkreis, an dem er in taumelnder Aufgelöstheit tausend Tode und Auferstehungen gefeiert. In den Harmonien und Disharmonien verglühender Hingabe verschmelzend, lösen sich die Liebenden endlich so in eins und ewig aus, daß alles in beiden zu einer Ichheit verwachsen, den Widerhall von du und ich verliert, jenen Doppelklang, der, wie alle Dualität, das letzte und tiefste Geheimnis jeder Fruchtbarkeit bleibt, aus dem allem Schaffen seine feinste Schwingung erblüht.

An diesem toten Punkt, der aller Leidenschaften Höhe wartet, bleibt dem Sterblichen noch das Kind, das dem Ringe der Ehe immerhin ein Neues, ein Mehr zu geben hat, das der Ich gewordenen Zweiheit immer noch ein Außerhalb seiner selbst, ein neues Du gebiert.

Der Unsterbliche aber vergeht an seiner Liebe.

Um wieder neu zu ihr aufzuerstehen.

Endlos unbefriedigt greifen immerfort schmerzhaft seiner Sehnsucht Hände zu unerreichbaren Horizonten.

Zu neuen Gefilden drängt das noch Ungeborene in ihm. Zu neuen Begegnungen und tieferen Versenkungen, bebenderen Lockungen und ausschweifenderen Verschwendungen reißt es sein durchflammtes Wesen, das aus den furchtbaren Gewalten übererdenhafter Zeugungskräfte seinen Anstoß und Ausstieg nimmt und dessen Durchgangslinie sich immer in den Kurven des Leidens an sich selbst vollzieht.

So ward es den beiden zuteil.

Und da sie beide zu den Leiderwählten gehörten, verstanden sie einander auch in diesem ungeheuren Schmerz.

Leer. Ausgeschöpft. Ohne Ton und Stimme standen sie einander gegenüber.

Und doch schrie alles in ihnen nach einer neuen Grenzenlosigkeit, nach neuen Dunkelheiten des Chaos, das die Unerschöpflichkeiten ewiger Keimungen in sich birgt.

Es war zu hell zwischen ihnen geworden. Und alles Schaffen braucht die tiefen Abgründe der Finsternis. Ist ein stetes Gebären aus dem Nichts, das letzten Grundes das ganze All umschließt. –

Sie gingen auseinander.

Das Schweigen des Schmerzes blieb lange um sie her.

Bis die herrliche Gewalt des Schöpferwillens sie weiterriß zu den neuen Brandungen, deren sie bedurften, um wieder zu den grünen Ufern der ewig lockenden Fernen zu gelangen.

Als sie sich nach vieler Wege Zeiten wieder begegneten, reichten sie sich die Hände wie zwei Seelenwanderer, die einst sich erkannten aus anderer Sterne Bahn. –

Der Abschied war Vernichtung und Erlösung zugleich.

War Tod und Auferstehen.

Frau Lolla fühlte wieder die ganze Weite der Freiheit sich umwehen, die Jubel ist und Bausch nach langer Verkettung mit dem andern Sein, das dem Schaffenden eine stete Notdurft und stete Fesselung zugleich ist.

Sie blickte nun hinaus über eine leuchtende Ebene, die sanft und lockend zu noch unbekannten Horizonten glitt. Die Ebene, die so viele Verheißungen hat und von einer Flut von Möglichkeiten zu neuem Aufstieg und Aufflug überstürzt scheint.

In völliger Selbstvergessenheit verlor sie sich an diese Flut der Erfüllungen, die ihrer warteten.

Ein Etwas in ihr verschlang für eine Zeit jede Besinnung und alle Stille. Ein nicht zu Bändigendes sprengte die festen Kreise, die bislang ihr Wille fest umschlossen hielt.

Auf dem Gipfel ihrer Kunst, zu berauschenden Höhen getragen von den vulkanischen Kräften der um sie und durch sie entfesselten Ekstasen, war sie nur noch Flamme, Brand und Sturm.

Und lebte dem Taumel der Stunde, an der sie immer wieder zu weiterem und höherem Fluge sich aufgeschlossen fühlte.

So von allen sieben Farben der Liebe umstrahlt, erbebten die Prismen ihrer Seele in leuchtender Schöne.

Neue Ufer

Aber auch Stürme und Fieber und Taumel verloren langsam ihre aufwärtsschwingenden Impulse.

Sie erwachte eines Tages aus ihnen und erkannte, daß sie in die Irre gegangen war.

Daß Sammlung und Stille die verfahrenen Kräfte wieder zu einem festen Ringe zusammenschließen mußten, wenn ihre Kunst in dem auflösenden Aufruhr ihres Erlebens nicht bis in die Wurzeln erschüttert und zerstört werden sollte.

Sie kehrte zu sich selbst zurück.

Beladen mit einem Reichtum ohne Grenzen.

Und nahm mit zärtlichen Händen ihre langentbehrte Einsamkeit an ihr Herz, das in seinen reinsten Augenblicken an der Sehnsucht nach ihr fort und fort ein schweres Leid getragen. Alle Festgewänder und Kränze, der laute Jubel und der zehrende Brand fielen von ihr ab, die hundert Masken, hinter denen ihr Wesen sich geflüchtet, um jedem Neuen selbst ein Neues sein zu können, starrten sie leer und leblos an, als wenn sie nie eins mit ihr gewesen.

In dem schweigenden Heiligtum der Einsamkeit fanden sich aus den tausend Liedern, die sie umtönt und berauscht hatten, ihre eigenen Melodien zu ihr zurück.

Aus dem reinen Spiegel ihrer Kunst blickte ihr wieder ihr eigenes Bild entgegen.

An ihr wurde sie in sanfter Wandlung wieder rein und reif zu einer neuen Liebe, die lange abseits ihrer Wege ihrer gewartet hatte.

Und aus den gefährlichen Verwirrungen schrankenloser Freiheit flüchtete sie wieder zu dem stillen Tempel der Ehe, an deren Altären die heiligen Kerzen brannten, in deren stillem Lichte die müde gewordene Seele von allzuviel Blendung und Rausch ausruhen konnte.

Diesmal war es nicht Kunst, das sich zusammenfand.

Ein Arzt war es, der sie aus den Zeiten kannte, da ihr von der Seele krankhaft überlasteter Körper zusammengebrochen, der Gnade seines wissenden Willens ausgeliefert war.

Er gehörte zu den Seltenen seiner Art.

Zu jenen, die sich zu opfern wissen, die nicht mit rohen Händen die Schleier der geheimnisvollen Kräfte zerreißen, sondern nur neben ihnen Lauscher und Helfer zu sein sich bescheiden können.

So kam es, daß sie diese Hände lieben mußte, die gütig und linde ihre Schwäche über die Schwelle hoben zu neuer Umschau und Belebung.

Anders war dieser Zusammenklang als der Sturmgesang ihrer ersten Erkenntnisse im Tempel der Liebe.

Stille, Frieden. Immer wieder eine Zuflucht und Geborgenheit nach den Unruhen, Befeuerungen und Ermattungen, mit denen die Jünger der Kunst ihren Höhenflug immer wieder einzulösen haben.

Warm und weich gebettet, von wissender Kraft getragen.

So fühlte sie sich von einer hingebenden Dankbarkeit gefesselt, die zuzeiten die Farbe und Stärke hinreißender Leidenschaft annehmen konnte.

Aber es schlummerten Gefahren an dem umhüteten Gestade dieser Beglückung.

Würde seine sanfte Stille die raschen Pulse ihres Blutes nicht erschlaffen, der Sturm und Drang ihrer streifenden Seele sich nicht wundstoßen an den engen Ufern, die es umgrenzten?

Eines Tages – würde sie nicht plötzlich wissen, daß Wirbel und Tanz und Glanz und Leuchten der großen, drohenden, vergewaltigenden Leidenschaft doch das war, wonach es sie in den heimlichen Winkeln ihrer tiefsten Gründe und Abgründe verlangte und drängte.

Würden dann die sanften Bande der Dankbarkeit Kraft und Schwere genug haben, um sie von Heischung und Flucht zu heißeren Zonen abzuhalten, von der brausenden Lust zu neuen Ausbrüchen der kochenden Vulkane, darinnen die Wurzeln ihres Wesens unheilvoll verankert waren? –

Mußte dann aller Dank, der ihr das Herz bis zum Rande füllte, sich in Bitterkeit und Ekel wandeln, mußten Ruhe und Sicherheit wieder Dinge der Qual werden, an denen sich ihre flugbestimmte Seele die bebenden Schwingen zerbrechen sollte? –

Mitten in der friedlich atmenden Stille ihres sanften Glückes fühlte Frau Lolla das ferne Anschlägen dieser drohenden Wellen. Mit Angst und Grauen und doch einem lustvollen Entzücken lauschte sie auf die wilde, himmelstürmende Sinfonie des Ozeans, dessen dunkle Wasser die seine, eintönige Melodie ihrer Tage in seinen brausenden Rhythmus zu verschlingen drohte. –

Ein gutes Geschick bewahrte sie vor der Erfüllung dieser nahenden Gesichte.

Der Tod nahm ihr den aus den Händen, den in seiner Liebe zu vernichten ihr ein bitterer Schmerz und dennoch eine unabweisbare Notwendigkeit geworden wäre.

Verklärung

Die Schatten des Todes verdüsterten ihre Zeit für lange hinaus. Engten den Raum ihrer Seele und schlossen gleichsam alle Tore der Sehnsucht zu den neuen Dingen der Ferne.

So ganz nahe zu sich selbst lebte sie ohne Wunsch und Unruhe in dem gläsernen Hause ihrer Kunst. Aus dem sie über alle Weiten schaute, an dessen Wände alle Bewegungen und Fluten ihre Wellen anwarfen, aber unwirklich und unwirksam an dem Wall dieser Wände abstürzten, ohne mit der Melodie ihrer Lockungen und Suchungen an ihre Sinne zu rühren. Hatte sie je vorher mit solch ausgelöster Selbstvergessenheit die heiligen Spiele der Kunst den Lauschenden gegeben? War sie je so ganz nur tönende Harfe gewesen, die, von allem Leid und Schmerz der Erde erbebend, nur noch die reine Stimme der Höhe durch sich hindurchgehen fühlte, und die sie in andachtsvollem Erschauern den draußen Wartenden weitergab.

Ihre Tage waren ernst und milde wie ein Gebet.

Und es war ein Wunsch in ihr, daß es so bleiben möge.

Aber zwiespältig ist der Sinn der Erde.

Zweilebig die im Irdischen wurzelnde Seele.

Die Flammen der Kunst, die zu allen Himmeln tragen, machen gleicherweise das Erdenhafte erglühen und spalten die gotttrunkene Lehnsucht, daß sie in dunkler Beschwerung schon mit den Füßen die Lust der Tiefe anrührt, während ihr strahlendes Haupt noch vom silbernen Lichte der Höhe umleuchtet ist. –

Noch einmal nahte ihr der Mann.

Kam ihr das stürzende Wellenspiel des Liebesrausches. –

Diesmal war es die Frühlingssüße der Jugend, die lockend an ihre eigene letzte Reise rührte.

Ein seltsamer Klang gegensätzlicher Akkorde, die zueinanderdrängten, Ausgleich suchend, ihre Disharmonien ineinander vermengend, um in dieser schmerzvollen Durchdringung zur eigenen erhöhten Harmonie zu gelangen, die, von seltsamen Klängen umrauscht, in ihrer beider Wesen sich in unvergeßlicher Schöne zu neuer Formung klärte.

Das Wissen um die Flüchtigkeit dieser Erlebung gab ihrer Weibesseele jene furchtbare Intensität von Lust und Qual, mit dem sich der Abgrund auftut, an dessen Finsternissen die letzten Flammen des Blutes verlöschen. –

Und ganz zu ihrer Form hingelebt, durch alles selige Weh und jede schmerzvolle Seligkeit hindurchgegangen – stand sie nun an der hohen, dunklen Pforte der Entsagungen, die jedem der Irdischen sich einmal öffnet.

Beladen aber mit allem strahlenden Glanze leuchtender, unsterblicher Erinnerungen, verlor der Schritt über diese letzte Schwelle im Tempel des Lebens alle Schwere und Härte, und klaglos überschritt sie diese, getragen und beflügelt von der wundervollen Sicherheit, von den Flammen des Weltenfeuers durchglüht und geläutert, Form geworden zu sein, Form, die aus den Elementen ihrer Wesenheit ein heiliges Gefäß des Lebens bildete. –

Nun war wieder die Ebene um sie her.

Aber keine lockenden Höhen umstanden sie mehr.

Sie selbst war Höhe geworden, mit dem Ausblick über das spiegelnde Meer strahlender und glückbeladener Erinnerungen, die ihr Geist und Seele mit einer Fruchtbarkeit ohne Ende erfüllten.

Frei, endgültig frei fühlte sie sich nun von den Elementen der Unruhe, die der Reiz und die Qual der Leidenschaft sind.

Leidenschaft ist Auflösung, Sturm, Unbegrenztheit und Verlorenheit an das Außerhalb des Ichs. Da dieses alles jetzt von ihr abfiel wie eine voll und schön durchreifte Frucht, schloß sich das Kreisende ihres Wesens zu einer neuen, von allen Erkenntnissen des Lebens tief durchsetzten Form ihrer Persönlichkeit zusammen, in der sie, wie in einer kristallnen Umhausung, sich selbst und alles Gegebene der Zeiten als etwas wundervoll Durchsichtiges und Geschlossenes empfand.

Alle erkannten Farben der Liebe spannten sich zu dem schimmernden siebenfarbigen Bogen, der ihre Erde an den Himmel band.

Da kam jenes geheimnisvolle Lächeln über sie, jenes seltsame, verwirrende, unergründliche Lächeln, das uns aus dem Bilde der Mona Lisa so rätselvoll anblickt. Jenes Lächeln, das wie der samtne Dufthauch ist, der über reifen Früchten liegt.

Jenes Lächeln, das aus der süßen Trunkenheit des Lebens erblüht, von dem spinnwebfeinen Spott des Wissenden leise überschleiert, dem Menschenantlitz die seine, klingende Note seiner Vollendung gibt.


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