Alphonse Daudet
Der Nabob. Band 3
Alphonse Daudet

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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Tagebuch eines Büreaudieners. – Letzte Blätter.

Hastig und mit zitternder Feder schreibe ich hier die schrecklichen Begebenheiten nieder, deren Spielball ich seit einigen Tagen gewesen bin. Diesmal ist es um die Territorialbank und um alle meine ehrgeizigen Träume geschehen. . . . Wechselproteste, Arreste, Haussuchungen seitens der Polizei, alle unsre Geschäftsbücher in den Händen des Untersuchungsrichters, der Gouverneur auf der Flucht, unser Verwaltungsratsmitglied Bois-Landry in Mazas, unser Verwaltungsratsmitglied Monpavon verschwunden. Meine Gedanken verwirren sich inmitten dieser Katastrophen. . . . Immer muß ich mir sagen: Wäre ich der weisen Stimme der Vernunft gefolgt, dann würde ich schon seit einem halben Jahre mit der Pflege meines kleinen Weingartens beschäftigt sein; keine Sorge würde meine Ruhe gestört haben, mein Auge hätte sich geweidet an den unter der schönen burgundischen Sonne im Goldglanze schwellenden Trauben, meine Hand hätte nach einem sanften Regen die kleinen grauen, als Frikassee so herrlich schmeckenden Schnecken von den Reben abgelesen. Meine Ersparnisse würden mir die Mittel verschafft haben, auf der am Ende des Gartens liegenden Höhe – die mir so lebhaft vor Augen steht – ein Landhaus aus Backsteinen mit schöner Aussicht, gleich dem des Herrn Chalmette, zu bauen, wo der Schlag der Wachteln aus den angrenzenden Weinbergen mich bei meiner Nachmittagsruhe entzückt hätte.

Aber es sollte nicht sein! Täuschende Bilder verwirrten ohne Unterlaß meinen Geist. Die Sucht, reich zu werden, trieb mich zur Spekulation, in die Bankunternehmung und ließ mich mein Schicksal an den Triumphwagen des Helden des Tages knüpfen.

Da bin ich denn wieder angekommen bei den trübsten Seiten meiner Lebensgeschichte; ich bin Büreaudiener eines zusammenstürzenden Geschäftes, gezwungen, einer Schar von Gläubigern, von vor Wut rasenden Aktionären Rede zu stehen, die meine grauen Haare mit schnödestem Schimpf bedecken und mich für den Sturz des Nabob und die Flucht des Gouverneurs verantwortlich machen möchten. Als ob nicht auch ich durch den Verlust der vier im Geschäft nutzlos verbrachten Jahre und meiner dem verruchten Paganetti von Portovecchio auf Treu' und Glauben vorgeschossenen siebentausend Franken auf das schwerste betroffen wäre!

Aber es stand im Buche der Vorsehung geschrieben, daß ich den Becher der Erniedrigungen und Kränkungen bis auf die Neige leeren sollte. Haben sie mich nicht dem Untersuchungsrichter vorgeführt, mich, Passajou, den vormaligen Universitätspedellen mit seinem akademischen Verdienstbande für dreißig Jahre treuen Dienstes? Ach! Als ich die große, breite Treppe des Justizpalastes hinanstieg und kein Geländer fand, an das ich mich hätte halten können, schwindelte es mir im Kopfe, und meine Beine versagten ihren Dienst. Dort hatte ich Muße zum Nachdenken, als ich die Säle durchschritt, in welchen es von Advokaten und Richtern wimmelte und hinter deren großen grünen Thüren man das imponierende Geräusch der Verhandlungen vernimmt, und dort oben vor den Bureaus der Untersuchungsrichter, wo ich stundenlang auf einer Bank saß, das aus dem Gefängnis verschleppte Ungeziefer mir an den Beinen aufsteigen fühlte und Banditen, Gauner, auch Mädchen in St. Lazarusmützen mit Polizeisoldaten plaudern und lachen hörte, und wo der Schall der Kolbenstöße in den Gängen, sowie das dumpfe Rollen der Zellenwagen in mein Ohr drang.

Damals lernte ich die Gefahr der Paganettischen combinazione verstehen, und daß mit dem Gerichte nicht zu spaßen sei.

Nun gereichte es mir zwar zur Beruhigung, daß ich niemals an den Beratschlagungen der Territorialbank teilgenommen und folglich mit dem Schacher und den Schwindeleien nichts zu schaffen hatte, dennoch – wer erklärt mir dies! – fühlte ich mich im Verhörzimmer vor dem Richter in seinem Samtbarett, der mich über den Tisch hinüber musterte, in einem Grade erschüttert und außer Fassung, daß ich mich trotz meiner Unschuld in der That versucht fühlte, ein Bekenntnis abzulegen. Was ich bekennen wollte, weiß ich zwar noch jetzt nicht. Aber das ist die Folge davon, wenn man mit der Justiz in Berührung kommt. Man denke nur, dieser Teufelskerl fixierte mich fünf Minuten lang unaufhörlich und blätterte dabei, ohne zu sprechen, in einer mit dicken Buchstaben überladenen Schrift, die mir bekannt vorkam, fuhr dann plötzlich auf und sagte mit einer Stimme, in welcher sich Strenge mit Spott mischte: »Nun, Herr Passajou . . . ist es schon lange her, daß wir das »Abladerstückchen« ausgeübt haben?«

Die Erinnerung an dieses kleine Vergehen, woran ich mich in den Tagen der Not beteiligt hatte, war mir bereits entschwunden, so daß ich anfangs nicht verstand, was er sagen wollte; aber einige Worte des Richters gaben mir den Beweis, wie sehr er in der Geschichte unsrer Bank bewandert war; dieser schreckliche Mann wußte alles bis auf die kleinsten Details, bis auf die geheimsten Dinge.

Wer in aller Welt hatte ihn nur so gut informieren können?

Dabei sprach er kurz und trocken, und als ich mir erlaubte, zur Aufklärung des Thatbestandes einige scharfsinnige Bemerkungen zu machen, nahm er eine hochmütige Miene an und stieß die Worte heraus: »Behalten Sie Ihr Geschwätz für sich«, eine Aeußerung, durch welche ich mich im Hinblick auf mein Alter und meinen Ruf eines Schönredners um so mehr verletzt fühlen mußte, als wir nicht allein in seinem Kabinett waren. Neben mir saß nämlich ein Gerichtsschreiber, welcher meine Aussage niederschrieb, und hinter mir vernahm ich ein Geräusch, das vom Umblättern dickleibiger Aktenstücke herzurühren schien. Der Richter fragte mich in jeder Hinsicht über den Nabob aus und forschte namentlich nach der Zeit, in welcher dieser seine Einschüsse gemacht, und nach der Art unsrer Buchführung: dann wandte er sich plötzlich an jemand, den ich nicht sehen konnte, mit den Worten: »Herr Sachverständiger, legen Sie das Kassabuch vor.«

Ein kleiner Mann in weißer Krawatte brachte das große Buch und legte es auf den Tisch. Es war kein andrer als Herr Joyeuse, der ehemalige Kassierer bei Hemerlingue und Sohn – aber ich hatte kaum Zeit, ihn zu begrüßen, »Wer hat das gethan?« fragte mich der Richter, indem er das erwähnte Hauptbuch öffnete und auf eine Stelle hindeutete, wo ein Blatt ausgerissen war. »Sprechen Sie nicht die Unwahrheit. Nun?«

Ich log nicht, denn ich wußte von nichts, da ich mich niemals um die Buchführung bekümmert hatte. Doch glaubte ich erwähnen zu müssen, daß der Sekretär des Nabob, Herr von Géry, oft des Abends in unsre Bureaus gekommen sei und sich stundenlang ganz allein mit den Büchern eingeschlossen habe. Hierüber ereiferte sich der kleine Papa Joyeuse und sagte mit gerötetem Gesicht: »Herr Untersuchungsrichter, man spricht Ihnen da ungewaschenes Zeug vor. Herr von Géry ist gerade der junge Mann, über den ich schon mit Ihnen gesprochen habe. Derselbe kam als einfacher Revisor in die Territorialbank und nahm sich des armen Jansoulet mit einem solchen Interesse an, daß man unmöglich ihm die Beseitigung der für die Einzahlungen des Nabob erteilten Quittungen, die Beweise seines blinden Vertrauens und seiner unantastbaren Ehrenhaftigkeit, zur Last legen kann. . . . Uebrigens ist Herr von Géry, welcher lange in Tunis zurückgehalten wurde, jetzt auf der Rückreise begriffen und wird binnen kurzem jede erforderliche Aufklärung geben können.«

Ich merkte, daß mein Eifer mir zu schaden begann.

»Nehmen Sie sich in acht, Passajou,« sagte der Richter in strengem Tone, »Sie stehen bis jetzt nur als Zeuge hier, sollten Sie aber versuchen, das Gericht irrezuführen, so könnte es Ihnen leicht passieren, als Angeklagter figurieren zu müssen. . . .« (Man sah es dem Ungeheuer an, daß es nach Erfüllung dieser Drohung Verlangen trug! . . .) »Ueberlegen Sie also wohl – wer hat dies Blatt vernichtet?«

Nun fiel mir gerade zur rechten Zeit ein, daß unser Gouverneur einige Tage vor seiner Abreise von Paris die Geschäftsbücher durch mich hatte in seine Wohnung bringen lassen, wo sie bis zum andern Tage geblieben waren. Der Gerichtsschreiber nahm diese meine Aussage zu Protokoll, und hierauf entließ mich der Richter mit einer Handbewegung und mit dem Bemerken, ich habe mich für künftige Vernehmungen bereit zu halten. Als ich schon die Thür erreicht, rief er mir noch zu: »Hier, Herr Passajou, nehmen Sie dies mit; ich brauche es nicht mehr.« Mit diesen Worten überreichte er mir die Schriftstücke, welche er während des Verhörs eingesehen hatte. – Man denke sich meine Verwirrung, als ich auf dem Umschlage das Wort »Tagebuch« in meiner eignen schönsten Frakturschrift erblickte. Ich selbst hatte der Justiz Waffen, wertvolle Nachrichten geliefert und war durch den plötzlichen Eintritt unsrer Katastrophe gehindert worden, dieselben der Razzia zu entziehen, welche die Polizei in unsern Bureaus abgehalten hatte.

Zu Hause angekommen, war mein erster Gedanke, diese verräterischen Papiere in Stücke zu reißen; dann überlegte ich aber und fand, nachdem ich mich vergewissert hatte, daß in diesem Tagebuche durchaus nichts Kompromittierendes für mich enthalten sei, es möge richtiger sein, anstatt dasselbe zu zerstören, eine Fortsetzung hinzuzufügen, in der sicheren Erwartung, daß ich, sei es heute oder morgen, Nutzen davon ziehen würde. Ich dachte nämlich so: Es gibt in Paris viele Romanschreiber, welche nichts Neues erfinden können und sich folglich an die Wiedergabe wirklich vorgekommener Geschichten halten müssen, solche Schriftsteller werden sicher mit Vergnügen ein kleines Heft Enthüllungen kaufen. Und dies soll zugleich das Mittel sein, um mich an dieser Bande der höheren Gaunerei, deren Mitglied ich zu meiner Schande und zu meinem Unglück habe sein müssen, zu rächen.

Ueberhaupt bedarf ich der Beschäftigung in meinen Mußestunden. Seitdem die Justiz ihren Fuß in unser Bureau gesetzt hat, liegt dasselbe vollständig verödet da; es gibt dort nichts mehr zu thun, als höchstens Vorladungen in allen Farben aufzustapeln. Ich habe mich wieder an die Schreibereien der Unterköchin, Mamsell Seraphine, gemacht, die mir dafür kleine Speisevorräte zusteckt, welche ich in der wieder zu einem Speiseschranke degradierten Kasse aufbewahre. Auch die Frau des Gouverneurs ist mir sehr gewogen und füllt mir die Taschen bei jedem Besuche, den ich ihr in der großen Wohnung an der Chaussée d'Antin abstatte. Dort hat sich übrigens nichts geändert. Derselbe Luxus, derselbe Komfort; hinzugekommen ist nur ein kleines drei Monate altes Baby, das siebente Kind, mit einer hübschen Amme, deren normannische Haube die Spaziergänger des Bois de Boulogne in Verwunderung setzt. Es scheint fast, daß Leute, welche gewohnt sind, auf der Bahn des Glückes dahinzufliegen, sich nur allmählich zu einem langsamen Tempo bequemen und schwer in Stillstand zu bringen sind. Der Bandit Paganetti hatte übrigens das Unglück kommen sehen und sein Vermögen auf den Namen seiner Gattin überschreiben lassen. Damit wird es wohl zusammenhängen, daß seine Gattin in ihrem italienischen Kauderwelsch ihm unerschütterliche Bewunderung zollt. Er freilich flieht und versteckt sich, sie aber bleibt dabei, daß ihr Gemahl ein kleiner St. Johannes von Unschuld, ein Opfer seines guten Herzens und seiner Leichtgläubigkeit sei. Man muß sie nur einmal reden hören: »Sie, Herr Passajou, Sie kennen ihn, Sie kennen sein zartes Gewissen. . . . Was mich betrifft, so wahr ein Gott lebt, wenn mein Mann, wie man ihm vorwirft, sich hätte Schurkereien zu schulden kommen lassen, ich selbst – Sie verstehen mich – mit eigner Hand würde ich ihm die Pistole in die Hand gedrückt und gerufen haben: Da, Tschecco, blase dir das Lebenslicht aus!« Daß diese kleine Korsin handeln könnte, wie sie spricht, das merkt man wahrlich an der Art, wie sie ihr Stumpfnäschen in die Höhe zieht, und an dem Blick ihrer Pechkugeln vergleichbaren schwarzen und runden Augen. Dieser verdammte Gouverneur muß teufelmäßig geschickt sein, daß er selbst seine Frau an der Nase herumführt und in seinem eignen Hause die Komödie fortspielt, wo doch die besten Spieler die Maske fallen lassen! . . .

Alle diese Leute lassen sich's indessen gut schmecken, Bois-Landry, der im Gefängnis sitzt, läßt sich das Essen aus dem Café Anglais kommen, nur Onkel Passajou muß mit den Brosamen fürlieb nehmen, die von der Herren Tische fallen. Aber was hilft das Klagen, es gibt noch mehr Unglückliche; da ist ja der Musje Francis, den ich heute morgen mager, blaß, in schandbarer Wäsche zur Territorialbank gehen und nach alter Gewohnheit an seinen zerknitterten Manschetten zupfen sah.

Ich war gerade damit beschäftigt, mir eine nette Schnitte Speck am Kamin des Verwaltungsratszimmers zu rösten, und hatte mein Couvert auf eine Ecke des Tisches mit eingelegter Arbeit gelegt, wobei ich mich eines Zeitungsbogens als Tischtuch bediente. Ich lud den genannten Kammerdiener Monpavons ein, an meiner frugalen Mahlzeit teilzunehmen; aber weil man bei einem Marquis gedient hat, bildet sich das ein, auch zum Adel zu gehören, und er dankte mir mit einer Würde, die lächerlich erschien, wenn man seine hohlen Backen ansah. Er brachte das Gespräch auf seinen Herrn, über den er noch immer ohne Nachricht sei, erzählte auch, daß man ihn aus dem Klubhause in der Rue Royale fortgeschickt habe und daß dort alle Briefschaften versiegelt worden, sowie daß ein Haufen von Gläubigern wie ein Heuschreckenschwarm über den spärlichen Nachlaß seines Herrn hergefallen sei. »So kommt's, daß ich mich ein wenig in der Klemme befinde,« bemerkte Herr Francis schließlich. Richtig übersetzt bedeutete dieser Nachsatz, daß er keinen Heller mehr in der Tasche habe, daß er sein Nachtquartier schon zwei Tage lang auf den Bänken des Boulevard aufgeschlagen und dabei, fortwährend von den Stadtsergeanten gestört und zum Aufstehen genötigt, den Trunkenbold hatte spielen müssen, um ein andres Unterkommen zu erlangen. Etwas zu essen zu bekommen war ihm, wie ich glaube, schon längst nicht mehr gelungen, denn er schaute auf das Essen mit so gierigen Augen, daß es einem ordentlich wehthat, und als es mir endlich gelang, ihm ein Stück gebratenen Speckes nebst einem Glase Wein aufzunötigen, fiel er wie ein Wolf darüber her. Alsbald stieg ihm der Wein zu Kopfe, und nun begann er, ohne sich beim Schlingen stören zu lassen, zu schwatzen. . . .

»Ihr müßt wissen, Papa Passajou,« sagte er zwischen zwei Bissen, »ich weiß, wo er ist . . . ich habe ihn gesehen . . .«

Er blinzelte verschmitzt mit den Augen, während ich ihn ganz erstaunt ansah. »Wer ist es denn, den Sie gesehen haben, Herr Francis?«

»Den Marquis, meinen Herrn. . . . Da unten in dem weißen Häuschen hinter Notre-Dame.« (Er brachte das Wort »Morgue« nicht über seine Lippen, weil es gar zu garstig klingt.) »Ich war ganz sicher, daß ich ihn dort finden würde,« fuhr er fort, »und ich ging am nächsten Tage sofort hin. Er war da; aber ich versichere Sie, vorzüglich unkenntlich gemacht. Man mußte schon sein Kammerdiener sein, um ihn zu erkennen. Ganz graue Haare, keine Zähne, seine Runzeln ungeschminkt, kurz seine fünfundsechzig Jahre, mit denen er sich sonst so gut abzufinden gewußt hatte. Da lag er auf der Marmorplatte, über welche aus dem darüber angebrachten Hahne Wasser herabrieselte; ich glaubte ihn vor seinem Toilettentische zu sehen.«

»Und Sie sagten nichts?«

»Nein. Ich kannte ja seit langer Zeit seine Ansichten in dieser Beziehung, ich ließ ihn nach seinem Gefallen still fortgehen, sich französisch empfehlen. Einerlei! Aber ein Stückchen Brot hätte er mir doch noch vorher geben können, nachdem ich ihm zwanzig Jahre gedient habe.«

Bei diesen Worten schlug er plötzlich mit der Faust auf den Tisch und sagte mit wütender Gebärde: »Wenn ich mir vorstelle, daß es nur an mir gelegen hätte, an Louis' Stelle bei Mora anstatt bei Monpavon in Dienst zu treten. . . . Ist das doch ein Glückspilz, dieser Louis! Hat beim Tode seines Herzogs mit Tausenden um sich werfen können! . . . Und der Nachlaß erst; Hemden zu Hunderten, ein Schlafrock von Fuchspelz, mehr als zwanzigtausend Franken wert. . . . Dann auch dieser Noël, dieser Knecht Ruprecht, hat sich der seinen Beutel zu füllen gewußt! Der griff schnell zu, meiner Seel', denn er wußte, daß es bald ein Ende nehmen würde. Jetzt gibt es auf dem Vendômeplatze nichts mehr zu grapsen, die alte Mutter macht den Gendarmen, und dirigiert alles. St. Romans wird verkauft, die schönen Bilder gleichfalls, das halbe Haus wird vermietet. Ein kompletter Krach!«

Ich gestehe gern, daß ich meiner Schadenfreude freien Lauf ließ. Hat doch der erbärmliche Jansoulet all unser Unglück verschuldet. Ein Mann, der immer mit seinem Reichtume groß that. Das Publikum ließ sich dadurch ködern wie ein Fisch, der Schuppen in einer Reuse glänzen sieht. . . .

Er hat Millionen verloren, das gebe ich zu, aber durfte er sich deshalb anstellen, als ob er noch ebenso viele übrig habe? . . . Den Bois-Landry haben sie festgenommen; aber eigentlich hätte man ihn einsperren sollen. So würde es auch gekommen sein, wenn wir einen andern Sachverständigen gehabt hätten. . . . Ueberhaupt braucht man, wie ich zu Francis sagte, diesen Parvenü von Jansoulet nur anzusehen, um zu wissen, mit wem man es zu thun hat. Was für ein hochmütiges Banditengesicht!

»Und wie gemein!« fügte der alte Kammerdiener hinzu.

»Nicht die geringste Moral.«

»Keine Spur von Haltung! . . . Nun, jetzt geht er denn übers Meer, Jenkins hinterher und mit ihnen viele andre,«

»Wie, der Doktor auch? Ach! Das ist doch schlimm! . . . Ein so gewandter und liebenswürdiger Mann!«

»Ja, gewiß, der muß auch fort, samt seinen Pferden, Wagen und seinem ganzen Mobiliar. . . . Der Hof des Hauses hängt voll von Anzeigen und drinnen schallt es an den leeren Wänden, als ob der Tod dort seinen Einzug gehalten hätte. . . . Das Schloß von Nanterre ist schon zum Verkauf ausgeboten. Ein halb Dutzend der Bethlehemkinder, welche dort noch übrig geblieben waren, hat man in eine Droschke gepackt. . . . Das nenne ich einen Krach, Papa Passajou – ich sage Ihnen, einen Krach, dessen Ende wir beiden Alten wohl kaum erleben werden; aber es wird gründlich aufgeräumt werden. Alles ist faul und alles muß hin sein!«

Ganz unheimlich war es mir, den alten mageren, lahmen, mit Schmutz bedeckten Burschen aus zahnlosem Munde und vollem Halse seine Jeremiade: »Das ist ein Krach!« schreien zu hören. Als ich so vor ihm stand, bemächtigte sich meiner Furcht und Scham und ein großes Verlangen, mich seiner zu entledigen; in meinem Inneren rief es fort und fort: »Ach! . . . Mein Weingütchen von Montbars . . .«

* * *

Gleiches Datum. – Große Neuigkeit. Madame Paganetti brachte mir heute nachmittag mit geheimnisvoller Miene einen Brief des Gouverneurs. Er ist in London und im Begriff, dort ein großartiges Geschäft zu eröffnen. Prächtige Büreaus in dem schönsten Stadtviertel. Er bietet mir an, wieder bei ihm einzutreten »und schätzt sich glücklich, so den Schaden, der mich betroffen habe, wieder gut zu machen«. Ich bekomme das Doppelte meines Gehaltes bei der Territorialbank, freie Wohnung, freie Feuerung, fünf Aktien im neuen Geschäft und vollständigen Ersatz meines früheren Verlustes. Ich bedarf nur noch eines kleinen Vorschusses zu meinem Reisegelde und zur Bezahlung einiger vorlauter Gläubiger. Hurra! Mein Glück ist gemacht. Noch heute schreibe ich an den Notar von Montbars, er solle eine Hypothek auf meinen Weinberg für mich aufnehmen.


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