Alphonse Daudet
Der Nabob. Band 3
Alphonse Daudet

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigstes Kapitel.

Die Baronin Hemerlingue.

Ganz am Ende des langen Gewölbes, unter welchem sich die Bureaus von Hemerlingue und Sohn befanden, einer Art dunklen Tunnels, den der alte Joyeuse zehn Jahre hindurch mit seiner träumerischen Einbildungskraft erhellt hatte, führte eine monumentale Treppe mit einem Geländer von kunstvoller Schmiedearbeit, eine Treppe aus dem alten Paris, zur Linken nach den Empfangszimmern der Baronin, die gerade über der Kasse auf den Hof gingen, so daß in der schönen Jahreszeit, wenn alle Fenster offen standen, das Geklimper von Goldstücken, das Geräusch umgestürzter Haufen von Silbermünzen auf den Zähltischen, nur teilweise durch die schweren Fenstervorhänge gedämpft, die geflüsterte Konversation des weltlichen Katholizismus in kaufmännischer Weise begleitete.

Das war es eben, was diesem fremdartigen Salon und der nicht minder fremdartigen Dame des Hauses einen so eigentümlichen Charakter aufprägte, eine Mischung von Weihrauch und Börsenoperationen, sowie raffinierter Weltlust, grundverschiedene Elemente, die sich fortwährend kreuzten und begegneten, aber gleichwohl getrennt blieben, ebenso wie die Seine das adlige katholische Stadtviertel, unter dessen Auspizien die Aufsehen erregende Bekehrung der Orientalin vor sich gegangen war, von dem kaufmännischen Quartiere trennte, in welchem Hemerlingue lebte, und wo seine geschäftlichen Beziehungen wurzelten. Die in Paris ziemlich zahlreiche orientalische Gesellschaft, die sich zum großen Teil aus deutschen Juden, Bankiers oder Kommissionären zusammensetzt, die, nachdem sie kolossale Reichtümer im Orient zusammengerafft haben, ihren Handel, um nicht aus der Uebung zu kommen, hier fortsetzen, war an den Empfangsabenden der Baronin regelmäßig anzutreffen. Auf der Durchreise befindliche Tunesier versäumten nie, die Frau des großen, vom Glücke begünstigten Bankiers aufzusuchen, und der alte Oberst Brahim, der Geschäftsträger des Beys, mit seinen schlaffen Mundwinkeln und seinen geröteten Augen, verfehlte nie, jeden Sonnabend sein Schläfchen in der Ecke des nämlichen Diwans abzuhalten. »Ihr Salon riecht etwas nach Knoblauch, mein Töchterchen,« sagte die alte Prinzessin Dions lächelnd zu der nunmehrigen Marie, die Herr Le Merquier und sie über die Taufe gehalten hatten; aber die Gegenwart dieser zahlreichen Ketzer, Juden und Muselmänner und selbst Renegaten, dieser dicken, kupferfarbigen, aufgeputzten und mit Gold und Geschmeide überladenen Damen, verhinderte das Faubourg Saint Germain gleichwohl nicht, diese junge Neubekehrte, das Spielzeug dieser edlen Damen, diese folgsame und gelehrige Puppe, die man überall zur Schau stellte und spazieren führte, und von der man sich rührende Züge kindlicher Gläubigkeit erzählte, die durch den Kontrast mit ihrer Vergangenheit besonders pikant waren, zu besuchen, mit Aufmerksamkeiten zu überhäufen und zu überwachen. Vielleicht schlummerte im Grunde des Herzens dieser liebenswürdigen Beschützerinnen die Hoffnung, in dieser orientalischen Gesellschaft eine neue Bekehrung ins Werk zu setzen, die Gelegenheit zu finden, die aristokratische chapelle des Missions durch das erhebende Schauspiel einer Taufe von Erwachsenen wiederum bis auf den letzten Platz zu füllen. Diese Taufen, die einen in die erste Zeit des Christentums an die Ufer des Jordans zurückversetzen, und denen alsbald die erste Kommunion, die Erneuerung des Taufbundes, die Firmelung folgt, lauter Gelegenheiten für die Patin, das Patenkind zu begleiten, die junge Seele zu hüten, Zeugin der naiven Kundgebungen des neuen Glaubens zu sein und vor allem auch die Toiletten nach Maßgabe der Bedeutung der verschiedenen Ceremonien zu wählen und zur Schau zu stellen! Aber es kommt nicht alle Tage vor, daß ein großer Finanzbaron eine armenische Sklavin mitbringt, die er zu seiner Gemahlin erhoben hat.

Sklavin! Das war eben der dunkle Fleck in der Vergangenheit dieser Orientalin, die vor Jahren auf dem Bazar von Adrianopel für Rechnung des Kaisers von Marokko angekauft und bei dem Tode des Kaisers und der Auflösung seines Harems an den jungen Bey Ahmed verkauft worden war. Als sie dies neue Serail verließ, hatte Hemerlingue sie geheiratet, aber ohne ihr in die dortigen Kreise Aufnahme verschaffen zu können, wo keine Frau, Maurin, Türkin oder Europäerin, sich dazu versteht, eine frühere Sklavin als gleichberechtigt zu behandeln, und zwar infolge eines Vorurteiles, das einigermaßen demjenigen gleicht, wonach die Kreolin von der noch so sehr verkappten Quadronin himmelweit geschieden ist. Es herrscht dort in dieser Beziehung eine unüberwindliche Abneigung, die sich für das junge Ehepaar Hemerlingue selbst in Paris fühlbar machte, wo die Fremdenkolonieen sich in kleine Gruppen zusammenthun, die von Empfindlichkeiten und lokalen Traditionen überfließen. Auf diese Weise verlebte Jamina zwei oder drei Jahre in einer völligen Vereinsamung, deren kleine Gehässigkeiten und Mußestunden sie trefflich für sich auszunutzen wußte, denn sie war eine ehrgeizige Frau und von einer wunderbaren Willensstärke und eben solchem Eigensinn. Sie lernte die französische Sprache von Grund aus, gab für immer ihren gestickten Ueberwürfen und ihren rosaseidenen Beinkleidern den Abschied, wußte Gang und Haltung den europäischen Toiletten und den langen Schleppkleidern anzupassen und zeigte eines Abends in der Oper den erstaunten Parisern die freilich noch etwas fremdartige aber ebenso schöne und elegante, als seltene Erscheinung einer dekolletierten Türkin.

Dem Opfer der Tracht folgte das Opfer des Religionsbekenntnisses auf dem Fuße. Schon lange hatte Madame Hemerlingue den mohammedanischen Gebräuchen entsagt, als Meister Le Merquier, der Vertraute des Hauses und ihre Cicerone in Paris, ihr plausibel zu machen wußte, daß eine feierliche Bekehrung der Baronin alle Thüren derjenigen Pariser Gesellschaft öffnen werde, zu welcher der Zutritt um so schwieriger zu werden scheint, je mehr die Gesellschaft ringsum sich demokratisiert. Wenn erst einmal das Faubourg Saint Germain erobert sei, so werde die übrige Gesellschaft von selbst nachfolgen. Und in der That, als man erfuhr, daß nach der das größte Aufsehen erregenden Taufe die ersten Namen Frankreichs nicht verschmähten, bei den Sonnabendsempfängen der Baronin Hemerlingue zu erscheinen, vergaßen auch die Damen Guggenheim, Fürnberg, Caraiscaki, Maurice Trott, lauter Gemahlinnen von Millionären aus der Levante, die auf den Märkten in Tunis berühmt waren, ihre Vorurteile und buhlten um die Gunst, bei der früheren Sklavin eingeführt zu werden. Nur allein Madame Jansoulet, die kürzlich mit dem ganzen Ballast von orientalischen Vorurteilen, die ihren Geist ebenso völlig umnebelten, wie ihr Nargileh, ihre Straußeneier und andre tunesische Spielereien ihren Haushalt beschwerten, in Paris angekommen war, protestierte gegen das, was sie eine Ungehörigkeit, eine Feigheit nannte, und erklärte, daß sie nie einen Fuß in die Wohnung »dieser Person« setzen würde. Infolgedessen machte sich auch bei den Damen Guggenheim, Caraiscaki und ihresgleichen eine kleine rückläufige Bewegung bemerklich, wie es in Paris jedesmal der Fall ist, wenn um eine ungewöhnliche Erscheinung, die im Begriffe steht, festen Fuß zu fassen, irgend ein hartnäckiger Widerstand Desertion und Abfall unter den bereits gewonnenen Anhängern veranlaßt. Man hatte sich schon zu weit vorgewagt, um sich zurückzuziehen, aber man ließ den Wert seines Wohlwollens, das Opfer seiner Vorurteile doch mehr durchblicken, und die Baronin Marie fühlte nur zu gut diese kleine Schwenkung heraus, die sich oft nur in dem gnädigen Tone der Levantinerinnen bemerklich machte, die sie mit einer Art herablassender Geringschätzung »mein liebes Kind . . . meine liebe Kleine« anredeten. Seit diesem Augenblicke kannte ihr Haß gegen Jansoulet keine Grenzen mehr, es war ein wilder Haß, wie er in den Serails heimisch ist, dessen Schlußakt Erdrosselung und heimliches Ertränken zu sein pflegt, Maßregeln, die zwar in Paris etwas schwieriger ausführbar sind, als an den Ufern des Sees El Baheira, zu deren Verwirklichung sie aber nichtsdestoweniger den mit einer Schlinge versehenen starken Sack bereithielt. –

Wenn man diese Erbitterung kennt, so mag man sich unschwer vorstellen, welche Ueberraschung, welche Aufregung in der fremdländischen Kolonie entstand, als es ruchbar wurde, daß die dicke Afchin – so hieß sie nämlich bei den Damen dieser Gesellschaft – nicht allein eingewilligt habe, die Baronin zu besuchen, sondern, daß sie sogar derselben an ihrem nächsten Empfangsabende den Antrittsbesuch machen werde. Natürlich wollten weder die Fürnberg noch die Trott bei einer solch wichtigen Veranlassung fehlen. Die Baronin that ihrerseits alles mögliche, um diese feierliche Versöhnung recht auffällig zu machen, sie schrieb Briefe, machte Besuche und tummelte sich so sehr, daß, obgleich die Saison schon sehr vorgeschritten war, Madame Jansoulet, wenn sie gegen vier Uhr bei dem Hotel im Faubourg St. Honoré vorgefahren wäre, vor dem hohen gewölbten Thore neben der unscheinbaren olivengrünen Livree der Prinzessin von Dions und neben vielen echten adligen Wappen die in die Augen fallenden und anspruchsvollen Wappenbilder, die bunten Räder einer Menge Equipagen der Finanzwelt und die großen, gepuderten Lakaien der Familie Caraiscati hätte sehen können.

Oben in den Empfangszimmern befand sich eine ebenso wunderlich zusammengewürfelte und prächtige Versammlung. Es war ein fortwährendes Hin- und Herwogen, auf den Teppichen der beiden ersten Salons, ein Rauschen von seidenen Kleidern bis zu dem Boudoir, wo die Baronin sich aufhielt, die ihre Aufmerksamkeiten und Liebenswürdigkeiten gleichmäßig zwischen den beiden strenge geschiedenen Parteien teilte; auf der einen Seite dunkle Toiletten von bescheidenem Aussehen, von einem nur für geübte Blicke erkennbaren feinen Geschmacke, auf der andern Seite ein vorlauter Frühling mit grellen Farben, üppige Büsten mit Diamanten übersät und mit flatternden Schärpen, Exportmoden, die für ein wärmeres Klima und ein Leben mit schreiendem Luxus bestimmt schienen. Auf der einen Seite ein auffälliges Fächerspiel, auf der andern Seite zurückhaltende, flüsternde Konversation.

Herren hatten sich nur wenige eingefunden, einige wenige wohlerzogene, schweigsame junge Leute in unbeweglicher Haltung, die den Knopf ihrer Spazierstöcke an den Mund gedrückt hielten; zwei oder drei Gestalten von Lieferanten, die sich hinter dem breiten Rücken ihrer Ehegesponse verschanzt hatten, die mit zusammengesteckten Köpfen sich unterhielten, als ob sie geschmuggelte Waren feil böten; in der Ecke sah man dann noch einen orthodoxen armenischen Bischof mit einem schönen Patriarchenbart und in einem violetten Mantel.

Die Baronin war bald hier, bald dort, um den Verkehr dieser verschiedenen Gesellschaftsschichten zu vermitteln und ihren Salon bis zu der denkwürdigen Zusammenkunft gefüllt zu erhalten.

Sie machte es möglich, sich mit zehn verschiedenen Personen auf einmal zu unterhalten, ihr harmonisches und weiches Organ auf den den Orientalen eigentümlichen Tonfall stimmend, zeigte sich verführerisch und einschmeichelnd, von gleicher Geschmeidigkeit des Wesens wie des Wuchses und mußte sich, wie es sich für eine Dame von Welt schickt, über alle Gegenstände zu unterhalten; in einem Atemzuge sprach sie über die Mode und eine Bußpredigt, über Theater und Wohlthätigkeitsbazars, über die Schneiderin und ihren Beichtvater. Ein großer persönlicher Liebreiz kam zu dieser der Dame des Hauses eignen Kunst hinzu, eine Kunst, die sich auch in ihrem ganz dunklen und sehr einfachen Anzuge ausprägte, der ihre nonnenhafte Blässe, jene Augen einer Houri, ihre glänzenden geflochtenen Haare, welche sich oberhalb der schmalen und reinen Stirn teilten, zu voller Wirkung kommen ließ. Ihr Mund war fast zu klein, hatte aber gerade dadurch den Reiz des Geheimnisvollen, indem er vor den Neugierigen die ganze bewegte und mannigfache Vergangenheit der früheren Serailbewohnerin zu bewahren schien, deren Alter man nicht zu schätzen vermochte, die selbst nicht einmal den Tag ihrer Geburt kannte und sich nicht erinnerte, je ein Kind gewesen zu sein.

Es ist offenbar, daß wenn die absolute Macht des Bösen, die bei Frauen selten angetroffen wird, weil ihre Natur sie den verschiedensten Einflüssen zugängig macht, in irgend einem Herzen Wurzel fassen konnte, es vorzugsweise in dem einer Sklavin der Fall sein mußte, die, wenn auch mit Widerstreben, dem Laster und den niedrigen Eigenschaften Konzessionen zu machen gewohnt war, aber nichtsdestoweniger Geduld und Selbstbeherrschung zu üben imstände war, wie alle diejenigen, welchen die Gewohnheit, verschleiert zu gehen, es erleichtert, die Unwahrheit zu sagen, ohne Scham zu empfinden oder Entdeckung befürchten zu müssen.

In diesem Augenblicke hätte niemand ahnen können, welche Angst ihr Inneres durchwühlte, wie sie so zu den Füßen der Prinzessin kniete, dieser alten gutmütigen und einfachen Dame, von der die Fürnberg stets zu sagen pflegte: »Wenn das eine Prinzessin vorstellen will, dann! . . .«

»Ach, liebstes Patchen, Sie gehen doch noch nicht fort?« sagte die Baronin, indem sie die alte Dame mit Schmeichelworten, Liebkosungen und Zärtlichkeiten überhäufte, ohne sie natürlich merken zu lassen, daß ihr vor allem daran lag, sie bis zur Ankunft der Jansoulets zurückzuhalten, um sie zur Zeugin ihres Triumphes zu machen.

»Die Sache ist nur,« sagte die alte Dame, indem sie auf den in ehrfurchtgebietender schweigsamer Haltung in seiner Ecke sitzenden armenischen Bischof, der seinen betroddelten Hut auf den Knieen hielt, deutete, »ich habe es übernommen, diese gute Eminenz nach dem Bazar Grand Saint Christophe zu geleiten, um daselbst Medaillen einzukaufen, und er würde ohne meinen Beistand nicht damit zurechtkommen.«

»Ach, ich bitte Sie doch, . . . Sie müssen. . . . Nur noch einige Minuten.«

Die Baronin warf bei diesen Worten einen verstohlenen Blick auf eine prachtvolle, in der Ecke des Salons stehende Stutzuhr.

Es hatte schon fünf Uhr geschlagen, und die dicke Afchin erschien noch immer nicht. Die Levantinerinnen fingen bereits hinter ihren Fächern zu lächeln an. Zum Glück begann man nun gerade den Thee zu servieren, spanische Weine und eine Menge von wohlschmeckenden türkischen Backwaren aufzutragen, wie man sie nur in dem Hemerlingueschen Hause kannte, und deren Rezepte die frühere Harembewohnerin mitgebracht hatte, Rezepte, die in den Harems ebenso von einer Generation zur andern überliefert werden, wie gewisse Geheimnisse in der Bereitung von seinem Gebäck in unsern Klöstern.

Der alte Hemerlingue, der Sonnabends von Zeit zu Zeit sein Comptoir zu verlassen pflegte, um die Damen zu begrüßen, trank in der Nähe des Buffetts ein Glas Madeira und plauderte mit Maurice Trott, dem ehemaligen Badediener Said Paschas, als seine stets sanfte und liebenswürdige Gemahlin an ihn herantrat. Er wußte nur zu gut, welcher Ingrimm unter dieser scheinbar ruhigen Oberfläche glimmte, und fragte leise und furchtsam: »Noch niemand da?«

»Nein. . . . Siehst du nun wohl, welchem ungeheuren Schimpfe du mich ausgesetzt hast?« Sie lächelte sanft, mit ihren halb niedergeschlagenen Augen, indem sie mit der Spitze ihres Fingers eine Kuchenkrume aus dem langen schwarzen Barte ihres Mannes entfernte, aber ihre kleinen, durchsichtigen Nasenflügel erzitterten mit einer unheilvollen Beredsamkeit.

»Sie wird schon kommen . . .« sagte der Bankier mit vollem Munde. »Ich halte mich fest überzeugt, daß sie kommen wird. . . .«

Das Rauschen eines seidenen Kleides, das Nachschleifen einer Schleppe, das sich aus dem anstoßenden Zimmer vernehmen ließ, veranlaßte die Baronin, sich rasch umzublicken. Zur großen Freude der dicken Orientalinnen, die von ihrer Ecke aus alles beobachteten, war die eintretende Dame nicht diejenige, auf deren Ankunft man gerechnet hatte.

Die große blonde, elegante Erscheinung, mit den müden Gesichtszügen, der untadelhaften Toilette, diese Erscheinung, die in jeder Beziehung würdig war, einen so berühmten Namen wie denjenigen des Doktor Jenkins zu tragen, glich allerdings niemand weniger als der geborenen Afchin. Seit zwei oder drei Monaten hatte sich die schöne Frau Jenkins freilich sehr verändert und war sehr gealtert. Es gibt in dem Leben einer Frau, die lange jugendlich geblieben ist, bei der Jahre vergangen sind, ohne eine Runzel im Gesichte zu hinterlassen, eine Periode, wo diese Jahre auf einmal und in schroffer Weise ihre Spuren in das Gesicht zeichnen. Man pflegt bei dem Anblicke einer solchen Dame dann nicht zu sagen: »O, wie schön ist sie!« sondern »O, wie schön muß sie gewesen sein!« Und diese grausame Art, von der Vergangenheit zu reden, dasjenige in unabsehbare Ferne zu rücken, was gestern noch eine mit Händen zu greifende Thatsache war, bezeichnet den Beginn des Alters und des Rückganges und verwandelt alle Triumphe in wehmütige Erinnerungen.

Mochte es nun die Enttäuschung darüber sein, an Stelle der Madame Jansoulet die Frau des Arztes eintreten zu sehen, oder übte der Mißkredit, welchen der Tod des Herzogs von Mora dem Modearzte eingetragen hatte, seine Rückwirkung auch auf diejenige, welche seinen Namen trug? Bei dem kühlen Empfange, welchen die Baronin der Frau Jenkins zu teil werden ließ, wirkte vielleicht ein wenig von beiden Ursachen mit. Sie bewillkommte die Eintretende in kaum merklicher Weise, tauschte einige flüchtige Worte mit ihr aus und wandte sich dann zu der übrigen edlen Gesellschaft, die nach Herzenslust an den Kuchen knusperte. Der Salon hatte sich mittlerweile unter dem Einflusse der spanischen Weine belebt. Man flüsterte nicht mehr, sondern man plauderte. Die Lampen, die inzwischen angezündet waren, verbreiteten einen hellen Schimmer über die Gesellschaft, mahnten aber zugleich daran, daß das Ende derselben bereits nahe sei, wie sich denn auch einige Personen, die sich für das große Ereignis nicht besonders interessierten, bereits zum Fortgehen anschickten. Und immer noch erschienen die Jansoulets nicht!

Plötzlich ließ sich ein fester und eiliger Schritt vernehmen. Der Nabob erschien ganz allein, eingezwängt in seinen schwarzen Rock, mit modischer Krawatte und zierlich behandschuht, aber mit entstellten Gesichtszügen, verstörtem Blicke und noch vor Aufregung über den furchtbaren Auftritt, den er eben gehabt hatte, zitternd.

Am Morgen hatte er den Kammerfrauen Auftrag erteilt, ihre Herrin bis drei Uhr anzukleiden, wie er dies jedesmal zu thun pflegte, wenn er von der Levantinerin sich begleiten ließ und wenn er es für notwendig erachtete, diese indolente Person aus ihrer Ruhe aufzuscheuchen, sie, die zu träge war, um selbst irgend eine Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen, und andre für sich denken, beschließen und handeln ließ und im übrigen, wenn sie nur erst einmal in Bewegung gebracht war, willig hinging, wohin man es wünschte. Auf diese ihre Nachgiebigkeit rechnete der Nabob, um sie zu Hemerlingue zu bringen. Aber als er nun nach dem Frühstücke, auf das prächtigste gekleidet und im Begriffe, im Schweiße seines Angesichtes die Hände in seine Handschuhe zu zwängen, anfragen ließ, ob Madame bald bereit sei, wurde ihm erwidert, daß Madame heute nicht ausgehen werde. Der Fall war ernst und zwar so ernst, daß Jansoulet, alle Bestellungen durch Kammerdiener und Kammerfrauen beiseite lassend, die sonst in ihren ehelichen Beziehungen die Vermittelung besorgten, im Fluge die Treppe hinausstürzte und wie ein heftiger Windstoß in die üppig ausgestatteten Gemächer der Levantinerin fuhr.

Madame war noch im Bette, bekleidet mit einer großen, offnen, zweifarbigen, seidenen Tunika, welche die Mauren Djebba nennen, auf dem Kopfe eine kleine goldgestickte Mütze, unter der ihr schönes, schwarzes Haar herausfloß, ihr volles Gesicht halb bedeckend, das von den Nachwirkungen des soeben genossenen Mahles noch gerötet war. Die Äermel ihrer Djebba ließen zwei enorme, unförmliche Arme sehen, die mit Armbändern und langen Ketten überladen waren, an denen eine Unmasse kleiner Spiegel, roter Rosenkränze, Riechfläschchen, Miniaturpfeifen und Cigarettenetuis baumelten, das ganze kindliche Brimborium einer maurischen Schönen bei ihrem Lever.

Das Gemach, in welchem eine nach Opium duftende, betäubende Atmosphäre herrschte, zeigte dieselbe Unordnung, Negerinnen kamen und gingen, trugen bedächtig das Kaffeegeschirr ihrer Herrin ab, während die Lieblingsgazelle den Grund einer Tasse ausleckte, die sie schließlich mit ihrer zierlichen Schnauze umwarf. Auf dem Fußende des Bettes saß in rührender Vertraulichkeit der dunkle Cabassu und las mit lauter Stimme seiner Herrin ein Drama in Versen vor, das nächstens von Cardailhac aufgeführt werden sollte. Die Levantinerin war über diese Lektüre ganz starr und verdutzt.

»Mein Bester,« sagte sie in ihrem breiten flamländischen Accent zu Jansoulet, »ich begreife gar nicht, was unserm Direktor einfällt. . . . Ich bin gerade im Begriffe, dies Stück, »die Revolte« betitelt, zu lesen, dessen Aufführung er sich in den Kopf gesetzt hat. . . . Aber das ist zum Davonlaufen. Das ist doch in seinem Leben keine Komödie.«

»Ich schere mich den Teufel um das Theater,« erwiderte Jansoulet, der trotz seines Respektes vor der geborenen Afchin wütend war. »Was! Sie sind noch nicht angekleidet? . . . Hat man Ihnen denn nicht bestellt, daß wir ausgehen?«

Man hatte es ihr allerdings gesagt, aber sie hatte sich nun einmal daran gemacht, dies langweilige Stück zu lesen, und sie erwiderte daher in ihrer schläfrigen Weise: »Wir können ja morgen ausgehen.«

»Morgen, das ist unmöglich. . . . Man erwartet uns gerade heute. . . . Es ist ein Besuch von der allergrößten Wichtigkeit.«

»Bei wem denn?«

Jansoulet zögerte einen Augenblick und sagte dann: »Bei Hemerlingue.«

Sie blickte ihn mit ihren großen Augen an, weil sie überzeugt war, daß er sich über sie lustig machen wolle. Und nun erzählte er ihr seine Begegnung mit dem Baron bei dem Leichenbegängnisse Moras und das bei dieser Gelegenheit zwischen ihnen getroffene Uebereinkommen.

»Gehen Sie hin, wenn es Ihnen Vergnügen macht,« erwiderte sie kühl; »aber Sie müßten mich schlecht kennen, wenn Sie glaubten, daß ich, eine geborene Afchin, je meinen Fuß in die Wohnung dieser Sklavin setzen würde,«

Cabassu, der voraussehen mochte, welche Wendung diese Unterhaltung nehmen würde, hatte sich vorsichtigerweise mit seinem Manuskripte der »Revolte« unterm Arm aus dem Staube gemacht und war in das anstoßende Zimmer gegangen.

»Nun wohl,« sagte der Nabob zu seiner Frau, »ich sehe, daß Sie die furchtbare Lage, in der ich mich befinde, nicht kennen. . . . Hören Sie also. . . .«

Ohne in seiner souveränen, dem Orientalen eignen Verachtung der dienenden Klasse Rücksicht auf die Kammerfrauen und die Negerinnen zu nehmen, begann nun der Nabob ein Bild seiner namenlosen Verlegenheit zu entwerfen, schilderte auf der einen Seite die Beschlagnahme seines Vermögens im Orient, auf der andern Seite die Abschneidung seines hiesigen Kredits, führte aus, wie seine ganze Existenz von der Entscheidung der Kammer abhänge, hob den Einfluß hervor, den die Familie Hemerlingue auf den mit der Berichterstattung betrauten Advokaten zu üben im Stande sei, und wie in diesem Augenblicke alle Eigenliebe so dringlichen Interessen zum Opfer gebracht werden müsse. Von dem Wunsche getrieben, sie zu überzeugen und fortzureißen, sprach Jansoulet mit großer Wärme. Sie aber antwortete lediglich, als ob es sich um irgend einen gleichgültigen Spaziergang handelte, der sie zu sehr ermüden würde: »Ich werde nicht gehen.«

Er aber erwiderte, vor Aufregung zitternd: »Aber, bedenken Sie doch, es ist ja unmöglich, so etwas zu sagen. Es handelt sich um mein Vermögen, um die Zukunft unsrer Kinder, um den Namen, den Sie tragen. Alles steht bei diesem Schritte auf dem Spiele.«

Er hätte in dieser Weise noch stundenlang weiter reden können und würde immer an demselben entschlossenen und unerschütterlichen Eigensinn abgeprallt sein: »Eine geborene Afchin dürfe bei einer Sklavin keinen Besuch machen.«

»Nun wohl, Madame,« sagte er aufbrausend, »diese Sklavin ist mehr wert, als Sie. . . . Durch ihre Klugheit hat sie das Vermögen ihres Mannes verzehnfacht, während Sie im Gegenteil . . .« Seit den zwölf Jahren, die sie miteinander verheiratet waren, wagte Jansoulet zum erstenmal seiner Frau die Stirn zu bieten. Möchte er sich nun dieses Majestätsverbrechens schämen, oder leuchtete es ihm ein, daß ein solches Gebaren eine unausfüllbare Kluft zwischen ihnen graben würde? Genug, er änderte sofort seinen Ton, kniete vor dem Bette nieder und sagte mit dem Ausdrucke liebevoller Zärtlichkeit, wie man ihn Kindern gegenüber anschlägt, um sie zur Vernunft zu bringen: »Meine liebe kleine Martha, ich bitte dich darum . . . stehe auf und kleide dich an. . . . Ich ersuche dich darum in deinem eignen Interesse, es handelt sich um deinen Luxus, um dein Wohlbefinden. . . . Was würde aus dir werden, wenn, infolge einer Laune, infolge eines närrischen Einfalles, mir ins Elend gestürzt würden?«

Das Wort »Elend« hatte für die Levantinerin gar keinen faßbaren Sinn. Man konnte mit ihr davon reden wie etwa mit ganz kleinen Kindern vom Tode. Sie wurde nicht dadurch gerührt, weil sie die Bedeutung dieses Wortes nicht kannte. Uebrigens hatte sie sich auch durchaus in den Kopf gesetzt, in ihrer Djebba im Bette liegen zu bleiben, und, um ihrem Entschlusse den gehörigen Nachdruck zu geben, zündete sie sich eine neue Cigarette an derjenigen an, die sie eben ausgeraucht hatte. Und wahrend der arme Nabob seine »süße kleine Frau« mit Entschuldigungen und Bitten und Flehen überhäufte, ihr ein Perlendiadem, hundertmal schöner als ihr gegenwärtiges, versprach, wenn sie nur mitgehen wolle, blickte sie ruhig dem zur Decke aufsteigenden einschläfernden Rauche nach und hüllte sich gleichsam, wie in eine Wolke unerschütterlicher Gemütsruhe, in denselben ein. Endlich aber ließ Jansoulet, gegenüber einer solchen Weigerung, gegenüber diesem hartnäckigen Stillschweigen, gegenüber dieser Stirn, der man den Widerstand eines verbohrten Eigensinnes ansah, seinem Zorne die Zügel schießen, erhob sich zu seiner vollen Höhe und sagte: »Gut denn, ich verlange es. . . .«

Sich dann zu den Negerinnen wendend, befahl er: »Kleidet auf der Stelle eure Herrin an. . . .«

Und der ungeschlachte Geselle, der er im Grunde doch war, dieser Sohn eines Nagelschmieds, der in dieser Krisis, welche ihn bis ins Innerste erregte, sich selbst wiederfand, riß mit einer brutalen und verächtlichen Gebärde die Bettdecke zur Seite, so daß die unzähligen Spielereien, welche auf derselben lagen, zur Erde fielen, und nötigte die Levantinerin, trotzdem sie nur halb angekleidet war, aufzustehen, und zwar mit einer Geschwindigkeit, die für diese wohlbeleibte Person erstaunlich war. Sie brüllte bei diesem ihr zugefügten Schimpfe, zog die Falten ihres Ueberwurfes an ihrer Brust zusammen, setzte ihre kleine Haube quer auf ihre unordentlich umherflatternden Haare und begann ihren Mann mit Schmähungen zu überhäufen,

»Niemals, hörst du wohl, niemals . . . Eher würde ich mich zu dieser . . . hinschleifen lassen!«

Die gemeinsten Schimpfworte flossen stromweise von ihren schwerfälligen Lippen, wie aus der Mündung einer Abzugsröhre. Jansoulet hätte sich in eine der schmutzigen Hafenkneipen von Marseille versetzt wähnen können, als Zeuge eines Zankes zwischen einem der leichtfertigen Mädchen und ihrem Galan, oder zu einem Wortgefechte zwischen Genuesern, Maltesern und Provençalen, die sich auf dem Quai in der Nähe der Getreideabladestellen herumtreiben und sich inmitten des aufwirbelnden Staubes nach Leibeskräften Schimpfworte an den Kopf werfen. Es war so recht eine Levantinerin aus einer Hafenstadt, ein verzogenes, verwahrlostes Kind, die abends von ihrer Terrasse oder von ihrer Gondel aus die Matrosen in allen Zungen sich hat beschimpfen hören und alle diese Schimpfworte sorglich in ihrem Gedächtnisse aufbewahrt hat. Der Unglückliche war vor Entsetzen starr über alles, was er mit anhören mußte, über die schäumende, sich wie toll gebärdende Person, die immer kreischte: »Nein, ich werde nicht gehen . . . nein, ich werde nicht gehen.«

Und das war die Mutter seiner Kinder, das war eine geborene Afchin!

Da wandelte ihn plötzlich, bei dem Gedanken, daß sein Schicksal in den Händen dieser Frau lag, daß sie lediglich sich anzukleiden brauchte, um ihn zu retten, und daß die Zeit verrinne und daß es bald zu spät sein werde, die Lust zu einem Verbrechen an und verzerrte sein ganzes Gesicht. Er ging mit erhobenen Händen und mit einem so furchtbaren Gesichtsausdruck auf sie zu, daß die entsetzte Frau nach der Thür stürzte, aus welcher vorher der Masseur hinausgegangen war, und »Aristides« rief.

Bei diesem Rufe, bei dieser Stimme, bei dieser Vertraulichkeit seiner Frau mit einem untergeordneten Diener hielt Jansoulet inne, sein Zorn war verraucht, und mit einer Gebärde des Ekels stürzte er hinaus, die Thür hinter sich zuschlagend, noch mehr beeifert, dem Unglück und der Schande zu entfliehen, die er in seinem Hause ahnte, als bei Hemerlingue die Hilfe zu suchen, die ihm dort versprochen war.

Eine Viertelstunde später erschien er bei Hemerlingue, warf beim Eintreten dem Bankier einen trostlosen Blick zu und näherte sich dann der Baronin, indem er eine wohleinstudierte Phrase, die er am Abende seines eignen Balles so oft gehört hatte, stammelte. . . . »Seine Frau sei sehr unwohl. . . . Habe unendlich bedauert, nicht kommen zu können.« Die Baronin ließ ihm kaum Zeit, seinen Satz zu Ende zu bringen, erhob sich langsam, in ihrem enganliegenden Kleide einer Schlange vergleichbar, und sagte nur, ohne ihn anzusehen: »Ich wußte es ja . . . ich wußte es ja,« dann entfernte sie sich und war für ihn nicht mehr vorhanden. Der Nabob versuchte, sich seinem Freunde Hemerlingue zu nähern, aber dieser schien in eine Unterhaltung mit Maurice Trott sehr vertieft zu sein. Er setzte sich darauf neben Frau Jenkins, deren Isolierung der seinigen gleichkam. Aber während er mit dieser armen Frau plauderte, die ebenso sorgenvoll aussah, wie er selbst es war, sah er die Baronin die Honneurs des Hauses machen, das sich so außerordentlich komfortabel ausnahm gegenüber seinen großen, von Gold strotzenden Hallen.

Man brach auf. Madame Hemerlingue begleitete einige der Damen bis zur Thür, reichte der alten Prinzessin die Wange zum Kusse, verbeugte sich unter dem Segen des armenischen Bischofs, lächelte den jungen Stutzern zum Abschiede freundlich zu, fand überhaupt für jeden mit einer tadellosen Sicherheit die ihm zukommende Abschiedsbegrüßung; und der unglückliche Nabob konnte nicht umhin, diese orientalische Sklavin, welche so völlig Pariserin geworden war und sich mit so vieler Anmut inmitten der distinguiertesten Gesellschaft der Welt zu bewegen wußte, mit jenem andern Frauenzimmer zu vergleichen, die, eine Europäerin von Geburt, durch den Orient erschlafft, durch türkischen Tabak verdummt und durch die Faulheit fett geworden war.

Sein Ehrgeiz, sein Stolz als Ehegatte waren gekränkt und vernichtet durch diese Verbindung, deren Gefahr und furchtbare Leere er jetzt erst recht erkannte, ein letzter grausamer Schlag des Schicksals, der ihm selbst den Trost eines häuslichen Glückes gegenüber den öffentlichen Mißerfolgen raubte.

Allmählich leerte sich der Salon mehr und mehr. Die Levantinerinnen verschwanden, eine nach der andern, jedesmal an dem von ihnen eingenommenen Platze eine ungeheure Lücke hinterlassend. Madame Jenkins hatte sich gleichfalls entfernt, es waren nur etwa zwei oder drei Damen, die Jansoulet nicht kannte, zurückgeblieben, und hinter diesen schien sich die Herrin vom Hause vor ihm zu verstecken. Aber Hemerlingue war wenigstens frei, und der Nabob ging auf ihn in dem Augenblicke zu, als sich derselbe gerade nach seinem in demselben Stocke, gegenüber dem Salon belegenen Bureaus fortstehlen wollte. Jansoulet ging mit ihm hinaus, indem er in seiner Verlegenheit es sogar übersah, sich von der Baronin zu verabschieden. Als der dicke Hemerlingue sich erst einmal auf dem zum Vorzimmer umgewandelten Flure befand, nahm er, der sich unter den Augen seiner Frau sehr kühl und zurückhaltend benommen hatte, eine etwas freundschaftlichere Miene an,

»Es ist recht fatal, daß Madame Jansoulet nicht hat kommen wollen,« sagte er mit leiser Stimme, als ob er fürchtete, daß man ihn hören könne.

Jansoulet antwortete ihm mit einer Gebärde trostloser Verzweiflung und Ohnmacht.

»Sehr fatal . . . sehr fatal . . .« wiederholte der andre schnaufend und in den Taschen nach seinem Schlüssel suchend.

»Aber, nicht wahr, Alterchen,« sagte der Nabob, seine Hand ergreifend, »das ist kein Grund, weil unsre Frauen sich nicht vertragen. . . . Das soll uns nicht hindern, gute Kameraden zu sein. . . . Nicht wahr? Das war neulich doch eine gemütliche kleine Unterhaltung. . . .«

»Allerdings . . .« erwiderte der Baron, indem er sich freimachte und die Thür geräuschlos öffnete, durch die man sein Arbeitskabinett erblickte, in welchem eine einsame Lampe vor dem enormen leeren Lehnsessel brannte. . . . »Lebe wohl, ich muß dich für heute verlassen, um meine Post zu besorgen.«

»Aber, sage mir doch, Lieber,« versuchte der arme Nabob noch einmal das Wort zu nehmen, indem er, um in seinem alten Kameraden alle guten Erinnerungen, die neulich in ihm wach geworden waren, aufzufrischen, in scherzhafter Weise sich ihres gemeinsamen heimischen Patois bediente, . . . »Mit unserm Besuch bei Le Merquier bleibt's doch beim Ausgemachten. . . . Du weißt ja, wegen des Gemäldes, das wir ihm anbieten wollen, . . . Welcher Tag paßt dir?«

»Ach so, Le Merquier. . . . Es ist ja wahr. . . . Nun gut, an einem der nächsten Tage. . . . Ich werde dir noch schreiben. . . .«

»Kann ich mich darauf verlassen? Du weißt, die Sache ist dringlich.«

»Jawohl, ich schreibe dir. . . . Adieu.«

Und damit warf der dicke Mann eilig die Thür hinter sich zu, als wäre er besorgt, daß seine Frau darüber hinzukommen könnte.

Zwei Tage darauf erhielt der Nabob ein Billet von Hemerlingue, das infolge seiner Krähenfüße und der mehr oder minder kaufmännischen Abkürzungen, hinter welchen der ehemalige Kneipwirt seinen gänzlichen Mangel an Orthographie verbarg, kaum zu entziffern war.

»M. lieb. alt. Kam.

Ich kann keinesfalls D. zu Le Merq. begl. Zu sehr beschftgt augenblickl. Uebrigens sprecht Ihr Euch auch beß allein aus. Du wirst erwartet. Geh' nur unbesorgt.

R. Cassette, jeden Morgen 8–10.

Herzlich Dein

Hem.«

Darunter war als Nachschrift in zierlicher und hübscherer Handschrift sehr deutlich geschrieben: »Wenn irgend thunlich, ein religiöses Gemälde!«

Was war von diesem Briefe zu halten? War daraus eine gute Absicht oder eine höfliche Ausflucht zu entnehmen? Wie dem auch sei, längeres Zaudern war nicht mehr zulässig. Die Zeit drängte. Jansoulet nahm daher einen mutigen Anlauf, denn er hatte einen gewaltigen Respekt vor Le Merquier, und begab sich eines Morgens zu demselben.

Unser wunderbares Paris macht in seiner Bevölkerung, in seinem Aussehen den Eindruck einer Musterkarte der ganzen Welt. Man findet in dem Stadtteil Marais enge Straßen, mit alten, gemalten Thüren, mit vorspringenden Giebeln und phantastisch verzierten Balkonen, die an das alte Heidelberg erinnern. Die Vorstadt St. Honoré, in der Umgebung der russischen Kirche, mit ihren weißen Minarets und vergoldeten Kuppeln erinnert an einen Stadtteil von Moskau. Auf dem Montmartre kenne ich eine malerische und verlassene Gegend, die ganz und gar Algier gleicht. Kleine und niedrige Einzelwohnhäuser mit blanken Messingschildchen an den Thüren und eignem Garten reihen sich in englischer Manier zwischen Neuilly und den Champs Elysées, während die Umgebung von St. Sulpice, die Rue Féron und die Rue Cassette, die friedlich im Schatten der hohen Kirchtürme daliegen und mit ihrem holperigen Steinpflaster, mit den Klopfern an den Thüren, direkt aus einer frommen Provinzstadt zu stammen scheinen, z. B. Tours oder Orléans, in der Gegend der Kathedrale und des bischöflichen Palastes, wo hohe Bäume, die über die Mauer ragen, sich beim Klange der Glocken und der Responsorien wiegen.

In dieser Gegend, in der Nachbarschaft des katholischen Klubs, dessen Ehrenpräsident er soeben geworden, wohnte Herr Le Merquier, der Advokat und Abgeordnete von Lyon, der Sachwalter aller großen Klöster von Frankreich, der von Hemerlingue, infolge einer für diesen dicken Mann sehr tiefsinnigen Berechnung, mit der Wahrnehmung der Interessen seines Hauses betraut war.

Als Jansoulet gegen neun Uhr bei diesem altertümlichen Hause anlangte, dessen Parterre von einer kirchlichen Buchhandlung eingenommen war, die in einem Geruche von Weihrauch und Pergamentpapier, auf welchem die heiligen Legenden gedruckt zu werden pflegen, hinzudämmern schien, und die große, wie in einem Kloster mit Kalk geweißte Treppe hinaufstieg, fühlte er sich von einer katholischen und provinzialen Atmosphäre angeweht und es lebten die Erinnerungen seiner Vergangenheit, die noch frischen, unberührten Eindrücke seiner Kindheit wieder in ihm auf, Eindrücke, die der Sohn der Françoise seit seiner Ankunft in Paris zu verleugnen weder Zeit noch Gelegenheit gehabt hatte. Die weltliche Heuchelei und Scheinheiligkeit hatte ihm gegenüber alle ihre Gestalten, alle ihre Masken abgenommen, nur nicht diejenige religiöser Unschuld. Auch widerstrebte es ihm, an die Käuflichkeit eines Menschen zu glauben, der in einer solchen Umgebung lebte.

Nachdem Jansoulet in das Vorzimmer des Advokaten eingetreten war, ein geräumiges Gemach mit Musselinegardinen, die wie ein Chorhemd steif gestärkt waren, und das als einzigen Schmuck eine große und schöne Kopie des toten Christus von Tintoretto aufwies, verwandelte sich seine Unschlüssigkeit und seine Besorgnis mit Entrüstung in Ueberzeugung. Es war unmöglich! Man hatte ihn über Le Merquier falsch berichtet. Es lag da gewiß eine verwegene Verleumdung zu Grunde, wie Paris sie nur zu gern verbreitet; oder vielleicht hatte man ihm nur eine jener hinterlistigen Fallen gestellt, über die er seit sechs Monaten fortwährend gestrauchelt war. Nein, diese verkörperte Gewissenhaftigkeit, deren Ruf selbst in der Kammer anerkannt war, diese würdige und ernste Persönlichkeit konnte unmöglich mit diesen dickbäuchigen Paschas, mit ihren lose geschürzten Gürteln, mit ihren weiten, für die Aufnahme von Geldbörsen wie gemachten Aermeln, auf eine Stufe gestellt werden. Es hieße nichts andres, als sich einer schmählichen Zurückweisung, dem nur zu gerechtfertigten Zorne einer verkannten Rechtlichkeit aussetzen, wollte man hier solche Mittel wie Bestechung anwenden.

Der Nabob sagte sich alles dies, während er auf der eichenen Bank saß, die rings an der Wand herumlief und von Priestergewändern aus Serge und grobem Tuche glänzend gescheuert war. Trotz der frühen Morgenstunde warteten bereits mehrere Personen außer ihm. Ein Dominikaner, eine asketische und würdige Gestalt, die mit großen Schritten auf und ab ging, zwei barmherzige Schwestern, fast vergraben in ihren weißen Hauben, die den Rosenkranz ableierten und daran die Zeit ihres Wartens abmaßen; Priester aus der Diözese von Lyon, die an der Form ihrer Hüte kenntlich waren, und dann noch eine ganze Anzahl andrer Leute, mit gesammelten und ernsten Mienen, die vor dem großen schwarzen Tische in der Mitte des Zimmers Platz genommen hatten und einige der erbaulichen Journale »Das Echo aus dem Fegefeuer« und »Der Rosenstock der Jungfrau Maria« durchblätterten, welche den Abonnenten auf einen Jahrgang als Prämie päpstliche Indulgenz und Nachlaß künftiger Strafen gewähren. Einige Worte, die mit leiser Stimme gewechselt wurden, ein unterdrücktes Hüsteln, das kaum hörbare Geflüster des Gebetes der barmherzigen Schwestern riefen in Jansoulet in unbestimmten und fernen Umrissen die Erinnerung an Stunden des Wartens in einem Winkel seiner Dorfkirche, in der Nähe des Beichtstuhles, zur Zeit der großen Kirchenfeste, wach.

Endlich kam die Reihe einzutreten an ihn, und wenn er vorher an Herrn Le Merquier noch hätte zweifeln können, so zweifelte er nun nicht mehr, als er das geräumige, einfache, würdige und allerdings etwas besser als das Vorzimmer ausgestattete Gemach erblickte, in welchem der Advokat die Strenge seiner Grundsätze und seiner eignen dürren, hageren und engbrüstigen Persönlichkeit zum Ausdruck gebracht hatte, einer gebeugten Gestalt, die stets in einen Rock mit zu kurzen Aermeln gezwängt war, aus welchen zwei schwarze, viereckige und flache Handgelenke hervorragten, die wie chinesische Tuschstücke mit hieroglyphenartigem Geäder aussahen. In den erdfahlen Zügen des klerikalen Abgeordneten war eine gewisse Lebhaftigkeit, die auf Rechnung seines zweideutigen Blickes zu setzen war, der bald undurchdringlich hinter seinen Brillengläsern erglänzte, oft aber lebhaft, mißtrauisch und finster über die Brille hinweglugte.

Nach einer Begrüßung, die fast herzlich zu nennen war, im Vergleiche zu dem kühlen Gruße, den die beiden Kollegen in der Kammer auszutauschen pflegten, nach einem: »Ich erwartete Sie bereits,« eine Aeußerung, welche einer gewissen Absichtlichkeit nicht zu entbehren schien, wies der Advokat auf einen Sessel in der Nähe seines Schreibtisches, bedeutete dem scheinheilig dastehenden, ganz schwarz gekleideten Bedienten, nur zu erscheinen, wenn man ihm klingeln würde, ordnete einige zerstreut umherliegende Papiere und dann stützte er, mit übergeschlagenen Beinen und ganz in seinen Sessel zurückgelehnt, mit der Sammlung eines Mannes, der bereit ist, zuzuhören, und ganz Ohr sein will, sein Kinn in die Hand und verharrte in dieser Stellung, die Augen auf eine grüne Gardine gerichtet, die ihm gegenüber bis auf den Fußboden herabfiel.

Der Augenblick war entscheidend, die Situation peinlich. Aber Jansoulet zögerte nicht. Es war eine der Einbildungen des armen Nabob, sich auf Menschen ebensogut zu verstehen, wie der Herzog. Und dieser feine Instinkt, der, wie er sagte, ihn nie betrogen, hatte ihm geweissagt, daß er sich in diesem Augenblicke einer starren und durch nichts zu erschütternden Rechtlichkeit, einer felsenfesten Gewissenhaftigkeit gegenüber befinde. »Mein Gewissen!« Der Nabob änderte deshalb plötzlich seine Taktik, warf alle Ränke und Kniffe, die für seine freie und offne Natur ebenso viele Fallstricke waren, beiseite und führte gegenüber diesem rechtschaffenen Manne eine Sprache, wie derselbe sie verstehen mußte.

»Mein lieber Kollege, ich bitte Sie, nicht darüber zu erstaunen,« – seine Stimme zitterte etwas, wurde aber im guten Glauben an seine Sache wieder fester – »daß ich Sie hier aufgesucht habe, anstatt einfach mich vor der dritten Kommission zu verantworten. Die Aufklärungen, die ich Ihnen zu geben habe, sind so heikler und verantwortlicher Natur, daß es mir nicht möglich gewesen sein würde, sie an einem öffentlichen Orte und vor meinen Kollegen zu erteilen.«

Herr Le Merquier blickte mit erschreckter Miene über seine Brille hinweg auf die Gardine. Offenbar nahm die Unterredung eine unvorhergesehene Wendung.

»Den Hauptpunkt der Frage berühre ich nicht,« nahm der Nabob aufs neue das Wort, »Ihr Bericht ist, wie ich überzeugt bin, unparteiisch und ehrlich, wie Ihr Gewissen denselben Ihnen hat eingeben müssen. Nur sind über meine Person abscheuliche Verdächtigungen im Umlauf, auf welche ich nicht geantwortet habe, und die vielleicht die Meinung der Kommission zu meinen Ungunsten beeinflußt haben. Und hierüber möchte ich gerade mit Ihnen reden. Ich kenne das Vertrauen, Herr Le Merquier, mit welchem Ihre Kollegen Sie beehren, und weiß auch, daß, sobald ich Sie überzeugt habe, ein Wort von Ihnen genügen wird, mich nicht zu zwingen, mein ganzes Elend vor der Gesamtheit zu entrollen . . . Sie kennen die Anschuldigung. Ich rede zunächst von der entsetzlichsten und schamlosesten. Es sind der Verdächtigungen so viele, daß man darin irre werden kann . . . Meine Feinde haben Namen, Daten und Adressen genannt . . . Nun wohl, ich bringe Ihnen hier die Beweise meiner Unschuld. Ich lege sie Ihnen vor, Ihnen allein, denn ich habe meine gewichtigen Gründe, diese Angelegenheit geheim zu halten.«

Er zeigte darauf dem Advokaten eine Bescheinigung des Konsulates in Tunis, daß er in zwanzig Jahren das Land nur zweimal verlassen habe, einmal, um seinen sterbenden Vater in Bourg St. Andéol zu besuchen, das zweite Mal, um mit dem Bey einen dreitägigen Besuch in seinem Schlosse St. Romans zu machen.

»Wie kommt es nun, daß ich, mit einem so wichtigen Beweisstück in der Hand, meine Beleidiger nicht vor die Schranken des Gerichtes gefordert habe, um sie Lügen zu strafen und niederzuschmettern? . . . Ach, mein Herr, es gibt Rücksichten auf die Familie, die geradezu grausam sind. . . . Ich habe einen Bruder gehabt, ein armes, schwaches und verzogenes Geschöpf, der sich lange in dem Kote von Paris gewälzt und seinen Verstand und seine Ehre daselbst zurückgelassen hat. . . . Ist er es, der bis zu dieser Stufe der Entehrung hinabgestiegen ist, auf die meine Feinde mich, statt seiner, hingestellt haben? . . . Ich habe nicht gewagt, mich davon zu überzeugen. . . . Aber, was ich bestimmt behaupten kann, ist, daß mein armer Vater, der mehr davon wußte, als irgend jemand im Hause, mir bei seinem Tode leise zugeflüstert hat: ›Bernard, mein Aeltester hat mich getötet. . . . Ich sterbe vor Scham, mein Sohn‹.«

Er machte eine Pause, um seiner Bewegung Herr zu werden, und fuhr dann fort: »Mein Vater ist gestorben, Herr Le Merquier, aber meine Mutter lebt noch, und es ist ihrethalben, um ihrer Ruhe willen, daß ich vor dem öffentlichen Aufsehen, das meine Ehrenrettung machen würde, zurückgescheut habe und noch zurückscheue. Mit einem Worte, bis jetzt haben die Schmähungen, welche mich getroffen haben, sie nicht erreicht. Diese Art Verdächtigungen dringen nicht über einen gewissen Kreis von Zeitungsschreibern hinaus, von denen meine Mutter tausend Meilen entfernt wohnt. . . . Aber die Gerichte, ein Prozeß, das würde nichts andres heißen, als unser Unglück von einem Ende Frankreichs bis zum andern auszuposaunen, das hieße nichts andres, als die Artikel des ›Messager‹ in allen Zeitungen, selbst in denjenigen der Heimat meiner Mutter zu widerholen. Die Verdächtigung, meine Verteidigung, ihre beiden Kinder mit einem und demselben Schlage mit Schande bedeckt, der Name – der einzige Stolz der alten Bäuerin – auf immer mit Schmutz beworfen . . . das würde zu viel für sie sein. Das wäre genug, um sie zu töten. Und wahrlich, es scheint mir schon genug zu sein mit einem. . . . Das ist der Grund, weshalb ich den Mut gehabt habe, zu schweigen, den Versuch zu machen, ob ich durch mein Stillschweigen meine Feinde nicht würde ermüden können. Aber gegenüber der Kammer bedarf ich jemand, der für mich eintritt. Ich will der Kammer das Recht benehmen, mich aus entehrenden Gründen auszustoßen, und da dieselbe Sie zum Berichterstatter erwählt hat, so bin ich zu Ihnen gekommen, wie zu meinem Beichtvater, zu einem Priester, indem ich Sie bitte, von der Unterredung, selbst nicht im Interesse meiner Sache, irgend etwas verlauten zu lassen. . . . Ich erbitte von Ihnen, mein lieber Kollege, nichts als absolute Diskretion; was das übrige anlangt, so appelliere ich an Ihren Gerechtigkeitssinn und Ihre Loyalität.«

Der Nabob erhob sich, um zu gehen, aber Le Merquier rührte sich nicht, indem er die grüne Gardine vor sich musterte, als ob er in derselben eine Eingebung für seine Antwort suchte. . . . Endlich sagte er: »Was Sie wünschen, wird geschehen, mein lieber Kollege. Das Geheimnis wird unter uns bleiben. . . . Sie haben mir nichts gesagt, ich habe nichts gehört.«

Der Nabob, noch ganz entflammt von seiner feurigen Rede, die – nach seiner Meinung – eine herzliche Erwiderung, einen kräftigen Händedruck verdient hatte, wurde von einem eigentümlich unbehaglichen Gefühle ergriffen. Diese Kälte, dieser abwesende Blick berührte ihn so peinlich, daß er schon mit dem linkischen Gruße eines Ueberlästigen auf die Thür zuging. Aber der andre hielt ihn zurück.

»Warten Sie doch, mein lieber Kollege. . . . Wie eilig haben Sie es fortzugehen. . . . Gedulden Sie sich doch, bitte, noch einige Minuten. . . . Es gewährt mir ein besondres Vergnügen, mich mit einem Manne, wie Sie es sind, zu unterhalten; um so mehr, als wir mehr als einen Berührungspunkt haben. . . . Unser Freund Hemerlingue hat mir gesagt, daß auch Sie sich viel mit Gemälden beschäftigen.«

Jansoulet erbebte. Die beiden Worte: Hemerlingue . . . Gemälde . . . die so plötzlich und in demselben Satze ausgesprochen wurden, riefen alle seine Zweifel und Verlegenheiten wieder wach. Nichtsdestoweniger kapitulierte er noch nicht, sondern ließ Le Merquier ein Wort nach dem andern aussprechen, um seinerseits das Terrain für seine fernere Angriffsweise zu sondieren.

Man habe ihm viel von der Galerie seines ehrenwerten Freundes gesprochen. . . . Ob es wohl unbescheiden wäre, um die Vergünstigung des Zutrittes zu bitten.

»Im Gegenteil! Ich würde mich nur zu sehr geehrt fühlen,« sagte der Nabob, der an seiner empfindlichsten Stelle – weil sie die kostspieligste war – bei seiner Eitelkeit gekitzelt wurde, und indem er um sich blickend die Wände des Zimmers musterte, sagte er mit Kennerton: »Sie aber haben auch einige ausgezeichnete Stücke. . . .«

»Ach,« erwiderte der andre bescheiden, »nur einige unbedeutende Gemälde. . . . Die Malerei ist heute so teuer, es ist eine Liebhaberei, die sehr schwer zu befriedigen ist, eine wahre Luxuspassion. . . . Eine Nabobpassion,« sagte er lächelnd mit einem verstohlenen Blick über seine Brille hinweg.

Beide waren sie vorsichtige Spieler, nur Jansoulet fühlte sich in dieser neuen Lage nicht ganz sicher, da es nun galt, sich vorzusehen, während er sich nur auf verwegene Streiche verstand.

»Wenn ich bedenke, daß ich zehn Jahre gebraucht habe, um diese Wände auszuschmücken, und daß mir doch noch dies ganze Feld auszufüllen erübrigt –«

In der That, an dem auffallendsten Teile der hohen Wand zeigte sich noch eine freie Stelle oder vielmehr ein frei gemachter Raum, denn ein großer vergoldeter Nagel dicht unter dem Gesims zeigte noch die sichtbare fast plumpe Spur des Fallstricks, den man dem armen Nabob gelegt hatte, der dumm genug war, sich darin fangen zu lassen.

»Mein lieber Herr Le Merquier,« sagte er, in seinem gewinnenden und gutmütigen Ton, »ich habe gerade eine heilige Jungfrau von Tintoretto, die diesen Raum ausfüllen würde«

In den Augen des Advokaten, die hinter ihrer glitzernden Schutzdecke verborgen lauerten, war nichts zu sehen.

»Erlauben Sie mir, das Gemälde dort, Ihrem Schreibtisch gegenüber, aufzuhängen, das wird Ihnen Veranlassung geben, hin und wieder meiner zu gedenken. . . .«

»Und die Strenge in meinem Berichte zu mildern, nicht wahr, mein Herr?« schrie Le Merquier aufspringend mit furchtbarer Stimme, indem er die Hand auf die Glocke legte.

»Ich habe manche Schamlosigkeiten in meinem Leben gesehen, aber niemals eine derartige. Ein solches Anerbieten mir zu machen und in meinem Hause! . . .«

»Aber mein lieber Kollege, ich schwöre Ihnen –«

»Geleiten Sie den Herrn hinaus,« sagte der Advokat zu dem eintretenden Bedienten, und von der Mitte seines Zimmers aus, dessen Thür offen stehen blieb, vor dem ganzen Wartezimmer, in welchem die Paternostergebete verstummten, verfolgte er Jansoulet, der stammelnd dem Ausgange zueilte, mit den niederschmetternden Worten: »Es ist die Ehre der ganzen Kammer, mein Herr, die Sie soeben in meiner Person beschimpft haben. . . . Meine Kollegen werden noch heute hiervon Mitteilung erhalten, und wenn diese Beschwerde zu den andern sich gesellt, so werden Sie zu Ihrem Schrecken erfahren, daß Paris nicht der Orient ist, und daß man hier nicht, wie dort, einen schmählichen Schacher mit dem menschlichen Gewissen treibt.«

Und nun, nachdem er den Sünder aus dem Tempel gejagt hatte, schloß der redliche Mann die Thür, und indem er sich der geheimen grünen Gardine näherte, sagte er mit einem süßlichen Tone, in welchen er aus seinem erheuchelten Zorne überging: »War's recht so, Baronin Marie?«


 << zurück weiter >>