Alphonse Daudet
Der Nabob. Band 1
Alphonse Daudet

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Sechstes Kapitel

Felicia Ruys

»Und Ihr Sohn, Jenkins, was haben Sie mit dem angefangen? Warum ist er bei Ihnen unsichtbar geworden? War ein netter Junge, wirklich.« – Felicia sagte das in einem barschen, geringschätzigen Tone, den sie fast immer anschlug, wenn sie mit dem Irländer sprach. Sie arbeitete dabei an der eben entworfenen Büste des Nabobs, indem sie ihr Modell zuweilen in die gewünschte Stellung brachte, das Bossierholz einmal beiseite legte, dann wieder zur Hand nahm und die Finger hurtig an ihrem Schwämmchen abwischte, während draußen der lichte Frieden eines Sonntagnachmittags durch das große Fenster der Rotunde hereinschien. Jeden Sonntag empfing Felicia ihre Besuche, insofern von Empfangen die Rede sein kann, wenn man einfach seine Thüre offenstehen und die Leute zwischen Kommen und Gehen ein wenig niedersitzen läßt, ohne deswegen von seiner Arbeit aufzuschauen oder auch nur ein begonnenes Gespräch zu unterbrechen, um die Eintretenden zu begrüßen. Es waren dies zumeist Künstler – feine Köpfe mit blondem Bart, unter denen hin und wieder die weiße Mähne eines alten Romantikers, eines Kameraden von Sebastian Ruys hervorstach – ferner Weltmänner und Kunstfreunde, Bankiers, Wechselagenten und ein paar junge Stutzer, welche sich mehr der schönen Bildhauerin als der Bildhauerei zuliebe einfanden, um dann abends im Klub sagen zu können: »Heute war ich auch bei der Ruys.« Mitten unter diesen Leuten bewegte sich, in schweigende Bewunderung versunken, die ihm mit jedem Tage etwas tiefer zu Herzen drang, Paul von Géry und forschte nach dem Geheimnisse der schönen Sphinx. Wenn er zuschaute, wie sie in dem hochroten, faltigen Kaschmirkleide mit Spitzenbesatz so tapfer in ihrem Thone herumwühlte, und wenn er über ihrer fast bis zum Halse hinaufgesteckten Arbeitsschürze den kleinen, stolz erhobenen Kopf betrachtete, diesen durchsichtigen Teint, den oft, wie durch einen Schleier hindurch, ein Lichtstrahl des Geistes oder des Genies flüchtig belebte – dann fiel ihm wieder ein, was er über sie hatte sagen hören: immer wieder rang er, beängstigt und bezaubert, umsonst nach einer festen Ueberzeugung, immer wieder gelobte er sich, fortan wegzubleiben, und war doch jeden Sonntag da – so unvermeidlich wie die kleine Dame mit grauem gepuderten Haar und rosigen, von einem Spitzenfichu umrahmten Wangen, die, einem etwas verblichenen Pastellbild ähnlich, mit der Unbeweglichkeit eines Fakirs, die Hände im Schoß und sanft vor sich hinlächelnd, stets an derselben Stelle in einem mäßig beleuchteten Erker saß. Der menschenfreundliche Jenkins mit seinem offenherzigen Gesichte, seinen schwarzen Augen und seiner Apostelmiene ging von einem zum andern, allbekannt und allbeliebt. Auch er fehlte bei keinem Empfangstage und legte dadurch wahrlich keine geringe Geduldprobe ab, denn gerade ihn bedachte Felicia mit allen schnippischen Ausfällen sowohl der Künstlerin wie des Weibes. Aber er schien es nicht zu bemerken und setzte mit unerschütterlich lächelnder Seelenruhe und Nachsicht die Besuche bei der Tochter seines alten Freundes Ruys fort, den er so sehr geliebt und bis zu seinem letzten Atemzuge gepflegt hatte. Diesmal mußte ihn Felicias Nachfrage nach seinem Sohn äußerst unangenehm berührt haben, denn er antwortete mit gerunzelter Stirn und einem unverkennbaren Ausdruck übler Laune: »Was aus ihm geworden ist, weiß ich um kein Haar besser als Sie. Er hat sich ganz von uns losgesagt. Es ist ihm zu langweilig bei uns. Er hält nur bei seinem Zigeunervolke aus.«

Felicia sprang so heftig auf, daß jedermann zusammenfuhr.

»Das geht denn doch über den Spaß,« rief sie mit durchbohrendem Blicke und zornbebenden Lippen. »Reden wir einmal vernünftig, Jenkins. Was nennen Sie Zigeunervolk? In dem Spitznamen liegt, nebenbei gesagt, Poesie, und eigentlich sollte er eine Vorstellung von langen, sonnigen Irrfahrten in uns wachrufen, von kühler Waldesrast, von Erstlingsbeeten, die der Zufall bietet, und einem frischen Trunk unter freiem Himmel. . . . Aber all diese Poesie habt ihr in ein Schimpfwort verkehrt, und wem wollt ihr das Brandmal aufdrücken? Einigen langhaarigen armen Teufeln, die in zerrissenen Stiefeln für Unabhängigkeit schwärmen, die in einem fünften Stock mit knurrendem Magen das Blau des Himmels nachmalen wollen oder nach einem Heim suchen, während es in ihre Dachkammer hineinregnet – jener aussterbenden Gattung von Halbnarren, die aus Abscheu vor den konventionellen, hergebrachten Simpeleien der menschlichen Gesellschaft mit gleichen Füßen über die Schranken hinweggesprungen sind? . . . Aber seien wir doch aufrichtig, das ist ein Zigeunervolk aus Olims Zeiten, die Zigeunerei, wie sie im Buch eines Henri Murger steht, und die in die Totenkammer eines Spitals führt, zum Schrecken der Kinder und zur Beruhigung der Eltern – die alte Geschichte von Rotkäppchen, das vom Wolf gefressen wird. Die Geschichte hat ausgespielt, schon lang, schon lang, und Sie wissen so gut wie ich, daß es heutzutage nichts Hausbackeneres gibt, als unsre Künstler, die Geld machen, um nur ja dem ersten Besten gleichzusehen. . . . Und doch fehlt es uns nicht an echtem Zigeunervolk, unsre ganze moderne Gesellschaft wimmelt davon und Ihre Kreise, Jenkins, zumeist. Diese Zigeuner tragen es allerdings nicht auf der Stirn geschrieben und deshalb flößen sie auch keinem ein Mißtrauen ein, aber in Bezug auf die Zweifelhaftigkeit und Zerfahrenheit der Existenz geben sie jenen, die Sie in so wegwerfendem Tone als »Wilde« bezeichnen, wahrhaftig nichts nach. O, wenn man wüßte, was oft so ein schwarzer Frack, das feierlichste unter euern modernen Kleidungsstücken, alles für Niederträchtigkeiten, für abenteuerliche oder ungeheuerliche Dinge zudeckt. . . . Bei Ihrer Soirée, Jenkins, hab' ich mir den Spaß gemacht, sie zusammenzuzählen, all die Ritter des höhern – Glückes.«

»Felicia, nimm dich in acht,« sagte die rosige und gepuderte kleine Dame ganz leise, ohne sich zu rühren.

Aber Felicia fuhr unbekümmert fort: »Was ist denn so ein Monpavon, bester Doktor, und ein Bois-Landry und selbst von Mora und . . .?«

Schon wollte sie sagen: »Und der Nabob?« Aber sie hielt an sich und sagte bloß: »Und so viele andre? Ihnen würde es wahrlich gut anstehen, es zu verlästern, das Zigeunervolk! O, göttlicher Jenkins, Modedoktor, was sind denn Ihre Patienten samt und sonders, wenn nicht Zigeuner der Industrie, Zigeuner der Finanzen, Zigeuner der Politik, anrüchige Schwindlernaturen? Und je höher man hinaufschaut, desto zahlreicher sind die Exemplare, weil die Großen ungestraft sündigen können und der Reichtum der übeln Nachrede den Mund stopft.«

Das alles sagte sie in großer Aufregung, mit schneidender Härte und mit einem Zug von grimmiger Verachtung um die bebenden Lippen. Jenkins half sich mit gezwungenem Lachen durch und bemühte sich, die Sache in scherzhafter Weise hinzunehmen: Da seht mir nur den Hitzkopf an. Und dabei blickte er ängstlich und flehentlich zum Nabob hinüber, als wolle er ihn um Gnade bitten für alle die paradoxen Ungezogenheiten. Aber voller Stolz, der schönen Künstlerin Modell zu stehen, und im Vorgefühl der ihm dadurch erwiesenen Ehre, nickte Jansoulet, ohne auch nur die mindeste Empfindlichkeit zu zeigen, im Gegenteil beistimmend mit dem Kopfe: »Sie hat recht, Jenkins,« sagte er schließlich, »sie hat recht. Das wirkliche Zigeunervolk sind wir. Sehen Sie zum Beispiel mich, sehen Sie Hemerlingue an, zwei der größten Glückspilze von Paris! Wenn ich bedenke, wie wir angefangen und in welchen Sümpfen wir unser Fortkommen gesucht haben! . . . Hemerlingue, der frühere Marketender, und ich, der ich, um nicht zu verhungern, Kornsäcke abladen half im Hafen von Marseille. . . . Welcher Glücksstöße hat es nicht bedurft, um die große Billardpartie zu gewinnen! Und so karamboliert sich heute jedes Vermögen zusammen. . . . Donner und Wetter! Schauen Sie sich einmal um in den Säulengängen unsrer Börse nachmittags zwischen drei und fünf! Ach, bitte um Verzeihung, mein Fräulein! Ich habe die Untugend, beim Sprechen immer in der Luft herumzufuchteln und bin schon wieder aus meiner Pose gekommen. Bin ich so nun wieder recht?«

»Lassen wir's gut sein,« sagte Felicia, indem sie mit der Gebärde eines verwöhnten Kindes ihr Bossierholz hinwarf. »Ich mache Feierabend.«

Ein absonderliches Mädchen, diese Felicia: echtes Künstlerblut, ihr Vater war ja ein genialer, unbändiger Künstler gewesen, ein Vertreter der unverfälschten Romantik. Ihre Mutter hatte sie nie gekannt, denn sie war die Frucht einer jener flüchtigen Liebschaften, die plötzlich in das Junggesellenleben des Künstlers hineinflatterten, wie Schwalben in eine stets offen stehende Thüre, und die gleich darauf wieder davonflogen, weil sich unter diesem Dache kein Nest bauen ließ. Diesmal hatte die Davonfliegende dem Künstler, der damals ein Vierziger sein mochte, ein schönes Kind hinterlassen. Sebastian Ruys hatte es als seine Tochter anerkannt und großgezogen, und dieses Kind wurde die Freude seines Lebens, er hing mit einer wahren Leidenschaft an ihm. So war Felicia bis in ihr dreizehntes Jahr bei ihrem Vater geblieben und ließ einen lieblichen, jugendfrischen Ton anklingen in jenem Atelier, wo sonst nur Müßiggänger und Modelle sich herumtrieben und große Windhunde auf die Diwans hingestreckt lagen. Es war ihr ein eigner Winkel eingeräumt worden für ihre künstlerischen Spielereien mit einer vollständigen mikroskopischen Einrichtung, einem Tischchen, einem Wachsvorrat, und der alte Ruys rief dem Eintretenden oft zu: »Paß auf! Bring dort nichts in Unordnung, Das ist der Winkel der Kleinen.« So kam es denn, daß »die Kleine« mit zehn Jahren kaum lesen konnte, aber mit ihrem Handwerkszeuge ganz meisterhaft umzugehen wußte. Am liebsten hätte Ruys sie immer bei sich behalten; sie war so bequem zu beherbergen, da sie ja schon von Kindesbeinen an in die große Verbrüderung aufgenommen worden, aber es war ein wahrer Jammer, zu sehen, in welchen Verhältnissen das Mädchen heranwuchs, unter ungenierten Hausfreunden, ewig neu zuströmenden Modellen und Erörterungen über eine sozusagen rein physische Kunst; sogar bei den lärmenden Sonntagsgelagen saß sie mit am Tische, neben fünf oder sechs Frauenzimmern, die alle vom Vater geduzt wurden – Schauspielerinnen, Tänzerinnen oder Sängerinnen, die beim Dessert mit aufgestemmten Ellbogen Cigaretten rauchten und die für jene kräftigen Anekdoten, an denen der Herr vom Hause seine Freude hatte, schon ganz abgestumpft waren. Glücklicherweise stößt dergleichen bei einem Kinde auf den passiven Widerstand der Arglosigkeit, an deren Schmelz aller Schmutz abgleitet. Felicia wurde zwar ein lärmendes, ungestümes, ungezogenes Kind, blieb aber von den Dingen, die sich über dem beschränkten Horizonte ihrer kleinen Seele abspielten, unberührt. – Jedes Jahr brachte sie im Sommer ein paar Tage bei ihrer Pate zu, bei jener Konstanze Cremnitz, die so lange von ganz Europa als die Tänzerin par excellence bewundert worden war, und die sich schließlich in Fontainebleau zur Ruhe gesetzt hatte. Der Besuch des kleinen Wildfangs brachte jedesmal in das friedliche Leben der alten Theaterprinzessin eine Aufregung, von der sie sich dann ein Jahr lang wieder erholen mußte. Der Schrecken, den ihr das Kind mit seinem waghalsigen Klettern, Herumspringen oder Reiten, kurz, mit allen Ausbrüchen seines unbändigen Naturells einjagte, rief eine gemischte Empfindung von Entzücken und von Entsetzen in ihr hervor: eine Empfindung von Entzücken, denn sie war in Felicia ganz vernarrt; Felicia war das einzige, was der armen alten Diva außer Dienst nach dreißigjährigem Pirouettenschlagen im glitzernden Lampenlichte an verwandtschaftlichen Beziehungen übrigblieb – und eine Empfindung von Entsetzen, denn ganz erbarmungslos wirtschaftete der Wildfang bei der Tänzerin herum in den säuberlichen, geputzten Zimmern, die gerade so parfümiert waren, wie früher ihre Garderobe in der großen Oper, und eine Sammlung von Andenken an alle Bühnen der Welt enthielt. Konstanze Cremnitz vertrat in Felicias Kinderleben allein das weibliche Element, Sie war freilich nur eine oberflächliche, beschränkte Natur, die geistig immer und ewig in ihren fleischfarbenen Trikots steckenblieb, aber sie hatte doch eine gewisse kokette Ordnungsliebe und eine geschickte Hand, die sich aufs Sticken, aufs Nähen verstand und in jedem Winkel eines Zimmers die leichte Spur ihrer Geschäftigkeit zurückließ. Sie ganz allein machte sich's zur Aufgabe, den milden Sprößling zurecht zu bringen und in diskreter Weise die Jungfrau zu erwecken in diesem absonderlichen Wesen, auf dessen Schultern alles – Mantel oder Pelz – was die Mode auch Elegantes aushecken mochte, entweder zu steife oder zu abenteuerliche Falten warf. Und wieder war es die Tänzerin, die, als Felicia ihr dreizehntes Jahr erreicht hatte, dem väterlichen Egoismus des Bildhauers gegenüber auf einer notwendigen Trennung von dem völlig verwahrlosten Kinde bestand und noch obenein die Verantwortung für die Wahl eines passenden Unterkommens auf sich nahm. Diese Wahl fiel, nicht ohne Absicht, auf ein zwar opulentes, aber bürgerlich solides Pensionat, ganz draußen in einer sehr luftigen Vorstadt, in einem großen altertümlichen Gebäude mit einer hohen Gartenmauer und hohen Bäumen. Etwas wie ein Kloster, nur ohne klösterlichen Zwang und ohne klösterliche Mißachtung vernünftiger Lehrgegenstände. Es wurde sogar recht ernsthaft gearbeitet im Bellinschen Institut. Bloß an hohen Feiertagen durften die Schülerinnen ausgehen und kamen sonst in keine andre Berührung mit der Außenwelt, als wenn sie Donnerstags in dem hübschen kleinen Baumgarten oder in dem großen Sprechsaal mit den geschnitzten und vergoldeten Thürverzierungen den Besuch ihrer Angehörigen empfingen.

Felicias erstes Erscheinen erregte zwar in der klosterartigen Erziehungsanstalt einiges Aufsehen und ihre Toilette nach dem Geschmack der österreichischen Tänzerin, die bis zur Taille herabwallenden Locken und das Nachlässige, Knabenhafte in ihrer ganzen Haltung riefen ein nicht eben wohlwollendes Staunen hervor, aber eine Pariserin findet sich in allen Kreisen und Lebenslagen rasch zurecht: einige Tage nach ihrem Eintritt nahm sich keine ihrer Mitschülerinnen so vorteilhaft aus, wie sie in dem vorgeschriebenen glatten Kleid – eine strenge, harte Vorschrift zu einer Zeit, wo die Mode auf den Flügeln unzähliger Volants in die Breite strebte – keiner stand die kleine schwarze Schürze so gut, an der die Kokettesten die Uhr anzuhängen pflegten, und keiner die ordonnanzmäßige Frisur mit den zwei Flechten, die, wie bei den römischen Bäuerinnen, im Nacken zusammengesteckt waren.

Die friedliche Thätigkeit einer geregelten Existenz sagte sonderbarerweise dem überaus lebhaften und reich begabten Mädchen zu, und zwar gerade weil bei ihm die Lernbegierde mit einem jugendlich heiteren Mitteilungsdrang gepaart war, dem in der geräuschvollen Lustbarkeit der Erholungsstunden Genüge geschah. Felicia wurde bald beliebt. Unter all den wohlhabenden Töchtern von etwas hochnäsigen Großindustriellen, von Pariser Notaren oder von adligen Landwirten: in dieser Welt im kleinen, die nach Maßgabe des Reichtums in verschiedene Kasten und Abteilungen zerfiel, nahm sie infolge des wohlbekannten väterlichen Namens und der Achtung, die man in Paris dem gefeierten Künstler entgegenbringt, eine vielfach beneidete Sonderstellung ein, deren Glanz noch erhöht wurde durch ihre Erfolge als Schülerin, durch ihr hervorragendes Talent im Zeichnen und endlich durch ihre Schönheit, einen Vorzug, der selbst Mädchen in ganz jugendlichem Alter schon imponiert. Es that ihr unendlich wohl, in dieser reineren Atmosphäre ihre Weiblichkeit aufknospen zu lassen, zu ihrem Geschlechte zurückzukehren, zur Ordnung und zur Pünktlichkeit in einem andern Geist angehalten zu werden, als früher durch jene gutmütige Tänzerin, deren Küsse und Umarmung stets ein wenig nach Schminke und verschrobener Ballettmimik schmeckten. So oft jetzt der alte Ruys seine Tochter besuchte, war er ganz entzückt zu bemerken, daß sie immer mehr ein Fräulein wurde, daß sie sich wie ein solches zu bewegen und beim Kommen oder Gehen jene anmutige Reverenz zu machen wußte, die in allen Schülerinnen des Bellinschen Instituts die Sehnsucht nach einer lang hinrauschenden Schleppe wachrief. Zuerst kam er öfters, dann seltener, weil er's zu eilig hatte mit all den übernommenen Bestellungen, auf deren Honorar er Vorschüsse erhoben, um die Löcher auszufüllen, welche seine leichtfertige Lebensart hervorgerufen – und schließlich trat die Krankheit dazwischen, eine hartnäckige Blutleere, die ihn so herunterbrachte, daß er wochenlang weder ausgehen noch arbeiten konnte.

Nun wollte er sein Kind wiederhaben, und aus dem schattigen, segenbringenden Institut heraus wurde Felicia ins väterliche Atelier zurückgerissen, wo sich noch immer die alte Sippschaft herumtrieb, nur war mit dem Siechtum ein neuer Gast hinzugekommen: Dr. Jenkins. Das schöne, aufrichtige Antlitz, das freimütige, heitere Wesen des damals schon beliebten Arztes, der von seinem Wissen so wenig Aufhebens machte, trotzdem ihm doch Wunderkuren gelangen, und dazu noch die Aufopferung, mit der er den Vater pflegte – das alles flößte dem Mädchen eine tiefe Achtung ein, und so ward ihr Jenkins ohne weiteres ein Freund, ein Vertrauter, ein milder und fürsorglicher Ratgeber. Wenn oft jemand im Atelier, meistenteils der Vater selber, ein etwas zu derbes Wort oder einen zweifelhaften Witz fallen ließ, runzelte der Irländer die Stirn, schnalzte mißbilligend mit der Zunge oder lenkte Felicias Aufmerksamkeit ab. Er lud sie auch häufig ein, den Tag über bei seiner Frau zuzubringen, und suchte es überhaupt nach Kräften zu verhüten, daß sie wieder der Wildfang von ehedem würde oder gar etwas Schlimmeres, denn sie war ja der bedrohlichsten und zugleich der traurigsten Verlassenheit preisgegeben, der sittlichen Vernachlässigung; aber vor diesem Schlimmeren schützte sie weit mehr noch als das untadelhafte weibliche Vorbild, welches sie in Frau Jenkins fand, die Kunst, die ihre reichangelegte Natur für das Schöne und Wahre begeisterte, die, von einem klaren, fruchtbaren Denken unterstützt, unter einem leisen Aufschauern der Nerven in ihre Hand überging und Felicia mit der Sehnsucht beseelte, etwas zu vollenden, ihr inneres Schauen zu verkörpern. Den ganzen Tag über arbeitete sie an ihren Skulpturen und verkörperte ihre Phantasiegebilde mit jenem glücklichen Instinkt der Jugend, welcher Erstlingswerken einen so frischen Reiz verleiht. Das bewahrte sie vor dem Heimweh nach dem Bellinschen Institut, dessen leichtes, wohlthätiges Joch sie getragen hatte wie eine freie Novize den Schleier, und bewahrte sie zugleich vor den verfänglichen Ateliergesprächen, die sie bei dem völligen Aufgehen in ihrer Arbeit überhörte.

Dieses aufblühende Talent erfüllte Ruys mit Stolz. Während er mit jedem Tage schwächer wurde und bereits ins Stadium des Selbstbetrauerns eintrat, tröstete er sich mit Felicias Fortschritten über den eignen Untergang. Der Meißel, der seiner Hand entfiel, wurde neben ihm wieder aufgenommen mit männlicher Kraft und Sicherheit, gemildert und vergeistigt durch den Zauber einer edlen Frauenseele. Ein sonderbares Gefühl, diese doppelte Vaterschaft, ein sich Ueberdauern des Genies, das vom Scheidenden zum Kommenden flüchtet, wie jene schönen Vögel im Märchen, die am Vorabend eines Todesfalles vom bedrohten Haus auf ein weniger düsteres hinüberfliegen. In der letzten Zeit nahm Felicia, die bereits eine große Künstlerin, sonst aber noch immer ein Kind war, ihrem Vater die Hälfte der Arbeit ab, und man konnte nichts Rührenderes sehen als dies Zusammenwirken von Vater und Tochter in einem Atelier und vor einer Gruppe. Friedlich lief es indessen nicht immer ab. Felicia war wohl ihres Vaters Schülerin, aber schon bäumte sich ihre Eigenart gegen eine despotische Bevormundung auf. Sie hatte jene verwegenen Einfälle der Anfänger, jenes feine Ahnungsvermögen der jungen Talente und, im Gegensatz zu Sebastian Ruys' überlieferter Romantik, einen Hang zum Realismus, ein unsrer Zeit entsprechendes Verlangen, diese alte glorreiche Fahne auf irgend einem neuen Gebäude aufzupflanzen. Darob entspannen sich oft furchtbare Wortgefechte, ästhetische Ringkämpfe, aus denen der Vater besiegt, durch die Logik seiner Tochter gebändigt hervorging. Der letztere schüttelte dann staunend den Kopf über die Hast, mit welcher die Jungen voraneilen, indessen die Alten, welche ihnen die Bahn gebrochen, am Ausgangspunkt festsitzen. Solange Felicia an seinen Kompositionen arbeitete, war sie nachgiebig, bei eignen hingegen schroff bis zum Aeußersten. So wurde z. B. das erste Werk, das sie öffentlich ausstellte und das im Salon von 1862 so viel Glück machte, »Der Kegelschieber«, für das Künstlerpaar ein Gegenstand heftiger Auftritte und derartiger leidenschaftlicher Meinungsäußerungen, daß Jenkins sich ins Mittel legen und beim Fortschaffen des Gipsabgusses zugegen bleiben mußte, weil Ruys gedroht hatte, das Werk in Trümmer zu schlagen. Aber diese Szenen abgerechnet, welche mit der beiderseitigen Herzensgesinnung nichts gemein hatten, hingen die zwei in schwärmerischer Liebe aneinander mit dem Vorgefühl und nach und nach mit der grausamen Gewißheit einer baldigen Trennung.

Da plötzlich ereignete sich in Felicias Leben etwas Schreckliches: Eines Abends nahm Jenkins sie, wie früher schon oft, zum Diner mit sich nach Haus. Frau Jenkins war zwar mit ihrem Sohn auf zwei Tage verreist; doch des Doktors Alter und seine sozusagen väterlichen Beziehungen zu Felicia gaben ihm das Recht, auch in Abwesenheit seiner Frau solch ein junges Geschöpf bei sich zu behalten, das mit seinen fünfzehn Jahren, wenngleich aufgeblüht wie ein schönes, frühreifes Judenmädchen aus dem Orient, doch noch für ein halbes Kind galt.

Bei Tisch herrschte die heiterste Stimmung und Jenkins war liebenswürdig und herzlich wie immer. Dann traten sie in des Doktors Studierzimmer und ließen sich auf den Diwan nieder. Auf einmal, mitten in einem vertraulichen, ganz freundschaftlichen Geplauder über ihren Vater, sein Befinden, ihrer beiden Werke, war es Felicia plötzlich, als gähne zwischen ihr und diesem Menschen ein jäher, eiskalter Abgrund; fast in demselben Moment fühlte sie eine brutale Umarmung wie von einer Fauntatze. Jenkins war total umgewandelt, ein verstört blickender, stammelnder, blöd auflachender Unhold. Für eine andre als Felicia, für ein unwissendes Mädchen im gleichen Alter wäre eine so durchaus unerwartete brutale Ueberrumpelung verhängnisvoll geworden; sie, das arme Kind, wurde dadurch gerettet, daß sie nicht unwissend war, was hatte sie nicht alles erzählen hören am Tisch ihres Vaters, und dann noch die Kunst, das Atelierleben . . . genug, sie gehörte nicht zu den arglosen ihres Geschlechtes. Sie begriff also gleich, was die Umarmung zu bedeuten hatte, rang sich los, sprang auf und rief, da ihre Kräfte nicht ausreichten, um Hilfe. Darüber erschrak er, ließ ab, und so stand sie denn frei und aufrecht da, er aber fiel unter Thränen vor ihr auf die Kniee und flehte um Verzeihung: ein Anfall von Wahnsinn habe ihn hingerissen, sie sei ja so schön und er außer sich vor Liebe, monatelang habe er mit sich gekämpft, aber jetzt sei's vorüber und nie, nie mehr . . . o, nicht einmal den Saum ihres Kleides werde er jemals berühren. . . . Sie antwortete nicht und strich sich Haar und Kleid wieder glatt, mit zitternden Fingern, wie eine Verrückte. Nur fort, augenblicklich wollte sie fort, ganz allein. Er gab einer Magd Befehl, mit ihr heimzufahren.

»Vor allen Dingen reinen Mund gehalten!« raunte er ihr, während sie den Wagen bestieg, ins Ohr. »Es wäre der Todesstoß für Ihren Vater.«

Und so kannte er sie, der Elende, so fest verließ er sich auf die bindende Kraft jener Warnung, daß er tags darauf wiederkam mit offenem, treuherzigem Gesicht wie immer, als wäre gar nichts vorgefallen, Felicia beobachtete in der That ihrem Vater und jedermann gegenüber hartnäckiges Schweigen, aber von der Zeit ab ging eine Veränderung mit ihr vor, etwas wie ein Ausbruch ihres Stolzes in Form von Launen und blasierten Stimmungen. Ihr Lächeln bekam einen Beigeschmack von Abscheu und zuweilen warf sie ihrem Vater in einer Aufwallung des Zornes einen verächtlichen Blick zu, wie um ihn zu tadeln, daß er nicht besser über sie gewacht.

»Was sie nur haben mag?« sagte der alte Ruys, und Jenkins schrieb mit ärztlicher Autorität alles dem Alter und der physischen Entwickelung zu. Er selber vermied es einstweilen, das Mädchen anzusprechen, und überließ es der Zeit, jenen häßlichen Eindruck zu verwischen, denn er gab sein Spiel noch nicht verloren; fester denn je verharrte er bei seinem Vorsatz, mit der rasenden Verliebtheit eines Siebenundvierzigjährigen, mit aller Wut einer unheilbaren, verspäteten Leidenschaft, die sich vollauf an ihm rächte, an dem Heuchler.

Der sonderbare Gemütszustand Felicias machte dem alten Ruys ernstlichen Kummer, der indessen von kurzer Dauer war; denn plötzlich brach der Mann in sich zusammen und erlosch, mit einem Schlag, wie alle, die von dem Irländer behandelt wurden. Das letzte, was er sagte, war: »Jenkins, ich lege Ihnen mein Kind ans Herz.«

In diesen Worten lag eine so schauerliche Ironie, daß der Doktor an der Seite des Sterbenden unwillkürlich erbleichte.

Felicia war mehr betäubt als trostlos. Zur Bestürzung über den Tod, der sie zum erstenmale und zugleich aus so geliebten Augen anstarrte, gesellte sich noch die Empfindung einer grenzenlosen Verlassenheit, lauter Nacht und Gefahren.

Einige Freunde des Bildhauers versammelten sich zu einem Familienrat, um zu beschließen, was aus dem unglücklichen Mädchen ohne Verwandtschaft, ohne Vermögen werden sollte. Fünfzig Franken hatte man auf einem Möbel in einer Schale gefunden, in welche Sebastian Ruys seine Barschaft zu legen pflegte, und die vielen Geldbedürftigen von alters her bekannt war, denn sie hatten ihr stets ohne irgend welches Bedenken zugesprochen. Im übrigen nichts, wenigstens in klingender Münze nicht, nur noch ein recht luxuriöser Künstlerhausrat, Raritäten aller Art, ein paar wertvolle Bilder und einige verlegte Schuldscheine, die mit knapper Not eine Unmasse von Rückständen deckten. Man schlug eine Versteigerung vor. Felicia erwiderte darauf, ihr sei alles gleich, ob man verkaufe oder nicht, nur solle man sie um Gotteswillen in Frieden lassen. Aber die Versteigerung unterblieb, denn plötzlich erschien die Pate, die gute Cremnitz, sanft und ruhig wie immer und sprach: »Geh nicht darauf ein, mein Kind, behalte die Sachen: deine alte Konstanze hat fünfzehntausend Franken Zinsen, die dir von jeher zugedacht waren. Statt nach meinem Tode sollen sie dir gleich jetzt zu gut kommen; das ist der ganze Unterschied. Ich ziehe zu dir her . . . o, ich will dir nie unbequem werden, darüber mache dir keine Sorgen! Du arbeitest an deinen Statuen weiter und ich führe die Wirtschaft. Bist du's zufrieden?«

Sie brachte das alles so zärtlich vor mit ihrem kindlich klingenden, freundlichen Accent, daß das Mädchen tief davon ergriffen ward. Sie fühlte einen Riß in ihrem steinernen Herzen und unter heiß überströmenden Thronen stürzte, ergoß sie sich förmlich in die Arme der Tänzerin: »Ach Pate, wie bist du gut! . . . Ja, ja, geh nie mehr von mir! . . . Bleibe, bleibe! . . . Mir graut und ekelt vor dem Leben, vor so viel Lüge und Heuchelei!« . . . Nun machte sich die alte Dame ein mit Samt und Seide gefüttertes Nest zurecht in dieser Behausung, die einer Lagerstätte von Reisenden glich, welche Schätze aus aller Herren Länder mit sich schleppen – und die zwei grundverschiedenen Wesen begannen ihr Zusammenleben. Konstanze hatte dem lieben Wildfang kein kleines Opfer gebracht, als sie aus ihrem friedlichen Fontainebleau nach Paris übersiedelte, vor dem sie einen wahren Schrecken empfand. Von dem Tage an, wo die Tänzerin, die einst zur Befriedigung ihrer verschrobenen Launen fürstliche Reichtümer unter ihren Händen zerrinnen ließ, vom Abglanz ihrer Apotheosen noch geblendet, aus ihren Theaterhimmeln wieder herniederstieg ins praktische Leben und ihr kleines Vermögen, ihr bescheidenes Hauswesen zusammenzuhalten versuchte, war sie von allen Seiten in der frechsten Weise ausgebeutet und mißbraucht worden, man hatte ja so leichtes Spiel mit dem armen, unerfahrenen Schmetterling, der in der Wirklichkeit ratlos herumflatterte und sich an lauter unbekannten Schwierigkeiten wundstieß. Jetzt, nach ihrer Uebersiedelung zu Felicia, fühlte sie eine noch weitaus schwerere Verantwortlichkeit auf sich lasten infolge des Vergeudungssystemes, welches in echt künstlerischer Verachtung des Mammons der Vater eingeführt und die Tochter von ihm angenommen hatte. Und auch noch in andres mußte Konstanze sich erst finden; ganz unerträglich war ihr im Atelier der stete Tabaksrauch, jene für sie undurchdringliche Wolke, in welcher die Gespräche über Kunst, der ungenierte Gedankenaustausch, zu einem wirbelnden lärmenden Etwas verschwammen, wovon sie unfehlbar Migräne bekam. Vor allem war ihr die Künstlersuada zuwider. Sie verstand sie nicht recht, teils weil sie Ausländerin, teils weil sie als Theatergottheit von jeher mit veralteten Komplimenten, mit Artigkeiten aus der Zopfzeit gespeist worden war, und entsetzte sich nun fortwährend über alle die paradoxen Tollheiten und Aufschneidereien, wie sie in der freien Atmosphäre des Ateliers gedeihen.

Sie, die stets nur in den Fußspitzen Geist besessen hatte, fühlte sich dadurch eingeschüchtert, auf das Niveau einer Anstandsdame herabgedrückt. Wenn die freundliche Alte still und lächelnd mit dem Strickzeug im Schoß in einem Winkel der verglasten Rotunde dasaß, wie eine Bürgersfrau auf einem Bilde von Chardin, oder wenn sie an der Seite ihrer Köchin die lange Rue de Caillot heraufgetrippelt kam, wo der nächste Markt lag – wer hatte da ahnen können, daß das Mütterchen durch den Zauber seiner Pirouetten und Luftsprünge einmal Fürsten und Prinzen, die ganze Geburts- und Geldaristokratie in Schwärmerei versetzt hatte?

In Paris gibt es eine Menge von solchen erloschenen, ins Alltagsleben herabgefallenen Gestirnen, Einige von diesen Berühmtheiten, diesen Triumphatoren von ehedem verzehren sich in ohnmächtiger Wut; die andern hingegen schwelgen stillselig in der Vergangenheit, all die genossenen Freuden ihres Ruhmes mit unaussprechlichem Wohlbehagen wiederkäuend; sie verlangen nichts als Ruhe und schweigsames Dunkel, um sich zu sammeln und zu erinnern. Sterben diese Größen einmal, so ist man ganz verwundert zu erfahren, daß sie noch gelebt.

Zu diesen letzteren Glücklichen gehörte Konstanze Cremnitz. Aber welche wunderbare Künstlerwirtschaft führten diese zwei großen Kinder! Sie warfen in einen Topf Unerfahrenheit und Ehrgeiz, den Frieden einer abgeschlossenen Existenz und die Fieberhast eines ringenden Voranstürmens, kurz alle Gegensätze, die auch schon äußerlich hervortraten bei dieser gelassenen, an eine verblichene Rose erinnernden Blondine, durch deren hellen Teint und Anzug immer noch ein Abglanz von bengalischem Lichte durchzuschimmern schien, und andrerseits in den regelmäßigen Zügen jener Brünette, die ihre Schönheit fast immer in dunkle, einfach herabwallende Stoffe hüllte, als wolle sie in ihrem Aussehen eine gewisse Männlichkeit zur Schau tragen. Durch Zufälligkeiten, Launen und Unkenntnis der gewöhnlichsten Dinge geriet das gemeinschaftliche Hauswesen in die peinlichste Unordnung: dann suchte man durch Entbehrungen aller Art, Entlassung von Dienstboten, lächerlich übertriebene Einschränkungen aus den Geldverlegenheiten herauszukommen. Einen solchen kritischen Moment hatte Jenkins einmal benutzt, um in diskreter, verblümter Form seine Hilfe anzubieten, aber sein Vorschlag war von Felicia mit Verachtung zurückgewiesen worden.

»Es ist nicht recht von dir,« meinte Konstanze, »daß du den armen Doktor so unglimpflich behandelst. Eigentlich hatte sein Vorgehen doch gar nichts Kränkendes an sich. Ein alter Freund deines Vaters . . .«

»Der eines Menschen Freund? O, der Tartüff!«

Und Felicia, die sich nur mit Mühe zurückhielt, gab ihrem Grolle eine ironische Wendung, indem sie Jenkins nachahmte, sie drückte mit einer halbkreisförmigen Bewegung die Hand aufs Herz, blies die Backen auf und sagte mit einer tiefen, pustenden Stimme voll heuchlerischer Salbung: »Seien wir Menschen! Seien wir gut! . . . Wohlthun ohne auf Dank zu hoffen, das ist das einzig Wahre.« Die Kopie war so täuschend, daß Konstanze wider ihren Willen vor Lachen Thränen vergoß. – »Aber gleichviel, zu hart bist du doch. Am Ende wird er noch wegbleiben.« Felicia anwortete mit einem ungläubigen, wegwerfenden Kopfschütteln. Und wirklich, er kam immer wieder, voller Sanftmut und Liebenswürdigkeit, und seine zurückgehaltene Leidenschaft war nur dann vielleicht wahrzunehmen, wenn er in Eifersucht geriet. Die alte Tänzerin überhäufte er mit Aufmerksamkeiten, und ihr sagte, trotz aller Einwendungen, sein sanftes Wesen zu, denn er hatte ja die Manieren aus ihrer Jugendzeit, aus jener Zeit, wo ein Mann die Frauen mit einem Handkuß ansprach und mit einem Kompliment über die Rosen auf ihren Wangen.

Eines Morgens, als Jenkins auf seiner Rundfahrt bei der Bildhauerin vorsprechen wollte, fand er Konstanze allein und müßig im Vorzimmer.

»Sie sehen, lieber Doktor, ich stehe auf Posten,« sagte sie ganz gelassen.

»Wieso auf Posten?«

»Ja, Felicia will ungestört arbeiten, und weil die Dienstboten lauter Eseleien anrichten, stehe ich selber Schildwache. . . .« Und da der Irländer einen Schritt nach dem Atelier that, rief sie: »Nein, nein, bleiben Sie da! Sie hat mir eingeschärft, keine Seele hineinzulassen.«

»Aber ich, ich werde doch . . .«

»Um Gottes willen, nein! Ich mag nicht Ihretwegen ausgescholten werden.«

Jenkins wollte sich eben wieder zurückziehen; da hörte er plötzlich, durch die Vorhänge hindurch, Felicia hell auflachen und stutzte: »Ja, ist sie denn nicht allein?«

»Nein, der Nabob ist bei ihr. Er sitzt ihr für seine Büste.«

»Und deshalb so geheimnisvoll? Das ist doch sonderbar,« sagte er und ging ein paarmal im Zimmer auf und ab. Er schaute grimmig drein, hielt aber an sich. Endlich kam's zu einem Ausbruch. Es sei über alle Begriffe unpassend, zu dulden, daß sich ein Mädchen mit einem Manne so einschließe; er müsse sich wundern, daß eine so gesetzte und ergebene Freundin das nicht von vornherein eingesehen habe; das fordere ja alle möglichen Vermutungen geradezu heraus. – Die alte Dame starrte ihn ganz erstaunt an: Als ob Felicia ein Mädchen wäre wie andre Mädchen! Und dann der Nabob, ein so gesetzter und häßlicher Mann, was laufe sie denn bei dem für Gefahr? Uebrigens wisse Jenkins gar zu wohl, daß Felicia nie einen Menschen zu Rate ziehe und daß sie stets nur nach ihrem eignen Kopfe handle.

»Nein, nein, das geht nicht an, das darf ich nicht dulden,« sagte der Irländer und eilte zum Atelier, ohne die Tänzerin weiter zu beachten, welche die Arme gen Himmel hob, als wolle sie Gott zum Zeugen anrufen, daß sie unschuldig sei an dem, was jetzt kommen werde. Aber anstatt schnurstracks einzutreten, machte Jenkins ganz sachte die Thür auf und schob die dahinterhängende Draperie ein wenig beiseite, gerade genug, um, wenn auch aus ziemlich großer Entfernung, denjenigen Teil des Ateliers überblicken zu können, wo der Nabob eben Modell saß. Jansoulet, ohne Halsbinde und mit aufgeknöpfter Weste, plauderte halblaut, ziemlich erregt mit Felicia, die ihm flüsternd aber in scherzhafter Weise Antwort gab. Die Sitzung war offenbar recht lebhaft. Jetzt schwiegen beide, dann rauschte Felicias Kleid, sie trat zu ihrem Modell hin und schlug ihm mit einer ungenierten Handbewegung den Hemdkragen rundum zurück, wobei sie die braune Haut seines Aethiopierkopfes streifte, der mit halbgeschlossenen Augen vor Wohlbehagen schmunzelte, wie ein Faun, welcher im Schlafe gekitzelt wird – und das kühne Profil des Mädchens beugte sich über diese merkwürdige Physiognomie, um die Linienverhältnisse zu prüfen. Plötzlich, mit einem heftigen, unwiderstehlichen Griff, erhaschte der Nabob ihre zarte Hand, und preßte sie an seine dicken, zuckenden Lippen. Jenkins sah das alles wie durch eine rote Wolke.

Das Geräusch, welches er nun beim Eintreten machte, brachte die beiden wieder in ihre normale Haltung und im hellen Tageslichte, das seine lauernden Katzenaugen blendete, sah er das Mädchen voller Entrüstung, vor Staunen starr vor sich stehen, »Wer ist hier? . . . Wer hat sich erlaubt?« rief sie, während der Nabob mit umgestülptem Kragen, wie versteinert, in monumentaler Ruhe auf seinem Modellpodium sitzen blieb.

Ziemlich verlegen und verdutzt ob der eignen Keckheit, stammelte Jenkins einige entschuldigende Worte: Er habe Herrn Jansoulet eine sehr dringende und wichtige Mitteilung zu machen, die keinen Verzug dulde. Er wisse aus bester Quelle, daß am 16. März einige Orden verliehen werden sollten. . . . Sofort lebte die momentan erstarrte Physiognomie des Nabobs wieder auf: »Ei der Tausend!« . . . Und er sprang vom Sessel. Die Neuigkeit war auch verteufelt interessant: Herr von la Perrière, ein Sekretär der Kaiserin, hatte von dieser den Befehl erhalten, das bethlehemitische Asyl zu inspizieren, und Jenkins wollte den Nabob abholen, um ihn zu besagtem Sekretär in die Tuilerien zu führen, damit man sich über Tag und Stunde des Besuches ins Einvernehmen setze, eines Besuches, der für Jansoulet das Ehrenkreuz bedeute. »Auf der Stelle geh' ich mit, lieber Doktor, kommen Sie!«

Jetzt war er nicht mehr ärgerlich über den lästigen Eindringling. Fieberhaft knüpfte er sich die Halsbinde fest. In der Aufregung des Momentes hatte er den Ueberfall von vorhin bereits vergessen. Vor seinem Ehrgeiz trat alles übrige zurück. Während die beiden Herren das und jenes noch halblaut besprachen, stand Felicia unbeweglich da, mit zitternden Nasenflügeln, mit Verachtung auf den Lippen; ihr verächtlicher Blick schien sagen zu wollen: Wird's bald? Ich warte!

Jansoulet entschuldigte sich: ein überaus wichtiger Besuch zwinge ihn, die Sitzung zu unterbrechen.

»Gehen Sie, gehen Sie. . . . Ich bin schon so weit, daß ich auch ohne Modell weiter arbeiten kann.«

»Gewiß,« bemerkte der Doktor. »Die Büste ist ja so gut wie fertig. Eine schöne Leistung,« setzte er mit Kennermiene hinzu.

Mit diesem Kompliment glaubte er seinen Rückzug gedeckt zu haben und wollte sich schon auf und davon machen, als ihn Felicia in heftigem Tone zurückrief: »Sie, Doktor, bleiben, mit Ihnen habe ich noch ein Wort zu reden.«

Er sah ihrem Blicke an, daß er nachgeben mußte, um einen Ausbruch in Gegenwart des Nabobs zu vermeiden,

»Sie erlauben doch, lieber Freund? Das Fräulein hat mir noch etwas mitzuteilen. Drunten hält mein Wagen, wenn Sie einstweilen einsteigen wollten. . . . Ich komme gleich nach.« –

Als sich die Thür hinter dem schwerfälligen Tritte des Abgehenden geschlossen hatte, schauten die zwei einander fest in die Augen.

»Entweder,« begann Felicia, »sind Sie betrunken, oder Sie sind verrückt, sonst hätten Sie es nicht wagen können, sich so zu benehmen. Was? Sie entblöden sich nicht, mich in gewaltthätiger Weise zu belästigen, wenn ich für niemand zu sprechen bin. Wozu? Mit welchem Recht?«

»Mit dem Recht einer verzweifelten, unüberwindlichen Leidenschaft. . . .«

»Halt, Jenkins, davon will ich nichts hören. Ihre Gegenwart wird zwar geduldet, aus Mitleid, aus Gewohnheit, weil mein Vater Ihnen gut war, aber reden Sie mir nie wieder von Ihrer – Liebe« (und dieses Wort Liebe sprach sie ganz leise aus, wie etwas, dessen man sich schämt) »niemals, oder ich werde für Sie unsichtbar, ja selbst wenn ich sterben müßte, um Ihnen ein für allemal aus dem Wege zu gehen.«

Ein Kind, welches über einem Fehltritte ertappt wird, duckt nicht demütiger unter, als Jenkins, wie er nun antwortete: »Sie haben recht. Ich hätte es unterlassen sollen. . . . Ich war verblendet, außer mir. . . . Aber warum finden Sie auch solch ein Wohlgefallen daran, mir das Herz zu zerreißen?«

»Als ob ich nur immer an Sie dächte!«

»Ob Sie an mich denken oder nicht, ich bin einmal da und sehe zu. Sie thun mir entsetzlich weh mit Ihrer Koketterie.«

Bei diesem Vorwurf röteten sich ihre Wangen ein wenig. »Kokett? Ich? Gegen wen denn?«

»Gegen das da,« sagte der Irländer, indem er auf die stattliche grinsende Büste hindeutete,

»Der Nabob. . . . Warum nicht gar!« sagte Felicia mit erzwungenem Lachen.

»Keine Lüge, Felicia! Halten Sie mich denn für blind, für unfähig, mir Ihr Thun und Lassen zusammenzureimen? Bleiben Sie nicht oft und lange mit ihm allein? Ich hab's mit angeschaut, da vorhin. . . .« Er sprach mit halber Stimme, als wäre ihm der Atem ausgegangen. . . . »Worauf haben Sie's denn eigentlich abgesehen, Sie wunderbares, grausames Kind? Sie haben die schönsten, bedeutendsten Männer zurückgestoßen. Der kleine Paul von Géry verschlingt Sie mit den Augen, und Sie beachten ihn nicht. Selbst der Herzog von Mora vermochte nicht, bis in Ihr Herz vorzudringen, und so ein grundhäßlicher, ordinärer Mensch, dem gar nichts an Ihnen liegt, dem ganz andre Dinge im Kopfe herumgehen als Liebe . . .? Sie haben ja gesehen, wie er davongelaufen ist, der Tölpel! . . . Wo soll denn das alles hinaus? Was versprechen Sie sich von ihm?«

»Ich will . . . ich will ihn heiraten – so, jetzt wissen Sie's,« Und kaltblütig, in gelinderem Tone, als fühlte sie sich dem Manne, den sie so tief verachtete, durch dieses Geständnis näher gerückt, setzte sie ihre Beweggründe auseinander. Sie habe einen Hang zum Luxus, zur Verschwendung, ordnungswidrige Angewöhnungen, denen durch nichts beizukommen sei, und die sie unfehlbar an den Bettelstab bringen müßten mitsamt dieser guten Cremnitz, welche sich ruinieren lasse, ohne eine Silbe darüber zu verlieren. Noch drei, oder höchstens vier Jahre, und dann die Katastrophe: entweder die Künstlermisere, die Notbehelfe und die Schuldenmacherei in Fetzen und ausgetretenen Hausschuhen, oder der Liebhaber, die Versorgung auf Kosten der Freiheit und der Ehre.

»Warum nicht gar?« sagte Jenkins. »Solange ich noch da bin! . . . Wo denken Sie hin?«

»Alles lasse ich mir eher gefallen als Ihre Hilfe,« rief sie, indem sie den Kopf in die Höhe reckte. »Nein, was mir not thut, was ich haben will, das ist ein Gatte, der mich vor den andern und vor mir selber beschützt, der mich bewahrt vor all dem schwarzen Zeug, welches mir bange macht, wenn ich allein bin, vor all den Abgründen, vor deren Anziehungskraft ich mich nicht immer ganz sicher fühle – jemand, der mich liebt, während ich arbeite, und der meine arme, alte, todmüde Theaterfee von ihrem Vorpostendienste ablöst. Der Betreffende sagt mir zu, gleich auf den ersten Blick habe ich auf ihn reflektiert. Er sieht allerdings häßlich, aber auch gutmütig aus; dabei ist er unsinnig reich, und reich sein in diesem Maßstab, das stelle ich mir kurzweilig vor. . . . Ich muß mir freilich denken, daß seinem Vorleben gewiß irgend ein Makel anhaftet, dem er seine Stellung verdankt, so viel Gold kann nicht lauter gemünzte Rechtschaffenheit sein, aber sagen Sie selber, Jenkins, die Hand aufs Herz, an das Sie so häufig appellieren, bin ich für einen Ehrenmann eine besonders verlockende Partie? Sehen Sie sich um unter all den jungen Leuten, die es für eine unschätzbare Gnade halten, mich besuchen zu dürfen: welchem wäre es jemals eingefallen, um meine Hand zu werben? Keinem einzigen, und Paul von Géry ebensowenig wie den andern. Ich reize, doch ich schrecke zugleich ab, und mich nimmt das auch wahrlich nicht wunder. Was läßt sich denn erwarten von einem Mädchen, welches aufgewachsen ist wie ich, ohne Mutter, ohne Familienleben, so zusammengewürfelt mit meines Vaters Modellen und Maitressen – und was für Maitressen? Du lieber Gott! . . . Ohne einen andern Schutz als den eines Jenkins? . . . O, wenn ich bedenke, wenn ich bedenke! . . .«

Und aus jenen schon ferngerückten Zeiten stiegen Erinnerungen in ihr auf, die ihren Groll noch um einen Ton höher stimmten: »Also gut, ich bin meiner Seel' einmal ein Kind abenteuerlicher Verhältnisse, und just deshalb ist jener Abenteurer der Mann, wie er für mich paßt.«

»Dann müssen Sie eben abwarten, bis er Witwer geworden ist,« versetzte Jenkins mit großer Ruhe, »und das Warten dürfte Ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach etwas lang werden, denn sie sieht recht gesund aus, seine Frau aus der Levante.«

Felicia wurde leichenblaß.

»Verheiratet ist er?«

»Nun freilich, und hat auch einen ganzen Haufen Kinder. Die ganze Sippschaft ist vor ein paar Tagen in Marseille gelandet.«

Eine Minute lang stand sie wie niedergeschmettert da, mit zuckenden Lippen, und starrte ins Leere. Die feuchtglänzende Büste des Nabobs ihr gegenüber, der breite Kopf mit der Plattnase und dem sinnlichen, gutmütigen Munde schrie förmlich vor Lebenswahrheit. Sie betrachtete einen Augenblick ihr Werk, dann trat sie hin und kippte mit einer Gebärde des Abscheus das hohe hölzerne Gestell um. Die glänzende fettige Büste stürzte zu Boden, wo sie als unförmlicher Schmutzklumpen liegen blieb.


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