Alphonse Daudet
Der Nabob. Band 1
Alphonse Daudet

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel

Zum erstenmal in der großen Welt

»Herr François Jansoulet! . . .«

Der mit stolzer Betonung von dem meldenden Diener hinausgeschmetterte plebejische Name dröhnte durch Jenkins' Empfangssäle wie ein Zimbelschlag oder wie jene Tamtams, die in Zauberkomödien das Erscheinen irgend eines phantastischen Wesens ankündigen. Die Kronleuchter verloren an Glanz, denn aller Augen flammten auf bei dem verlockenden Ausblick auf die orientalischen Schätze, auf den Gold- und Perlenregen, der aus den magischen Silben des gestern noch unbekannten Namens niederprasselte. Da kommt er, der Nabob, der Reichste unter den Reichen, das neueste Pariser Schaugericht, gewürzt mit jenem Reiz des Abenteuerlichen, der unter blasierten Menschen ein so dankbares Publikum findet. Alles wendete den Kopf; die Unterhaltung stockte, und es entstand ein Gedränge und Gedrücke nach der Thür hin, ein Zusammenlauf, wie am Hafendamm, wenn ein Schiff mit einer Ladung Gold einläuft. Selbst Jenkins, der im ersten Salon sich einigen neu angekommenen Gästen widmete, brach, trotz aller Liebenswürdigkeit und Selbstbeherrschung, das Gespräch ab und flog den Millionen entgegen: »O, wie freundlich, wie freundlich von Ihnen! . . . Meine Frau wird so glücklich sein, so stolz. . . . Kommen Sie, ich muß Sie gleich zu ihr führen.«

Und in der Hast, im Gefühl gekitzelter Eitelkeit, zog er Jansoulet so rasch mit sich fort, daß dieser keine Zeit fand, seinen Begleiter, Paul von Géry, vorzustellen, den er heute zum erstenmal in die große Welt führte. Der junge Mann war indessen herzlich froh, daß es so abgelaufen. Er schlüpfte rasch in die Menge von schwarzen Fracks, die bei dem Zuströmen neuer Gäste weiter zurückwogte. Er ging darin unter: es erfaßte ihn jenes unsägliche Grauen, das jeder junge Mann aus der Provinz beim Betreten eines Pariser Salons empfindet, namentlich wenn er intelligent und fein angelegt, folglich nicht mit dem Panzer der rohen Naturen, mit einem unerschütterlichen Selbstvertrauen gewappnet ist. Der geborene Pariser, der seinen ersten Frack und Claquehut schon mit sechzehn Jahren in den verschiedensten Kreisen der Gesellschaft spazierengetragen hat, kennt sie freilich nicht, jene aus Eigenliebe, Schüchternheit und Roman-Erinnerungen zusammengesetzte Beklemmung, die dem Neuling die Zähne aufeinander schraubt, sich an jede seiner Bewegungen hängt und ihn eine ganze Nacht hindurch zu einer Thürpfostengarnitur oder einem Fensternischenmöbel macht, zu einem armseligen, kläglich umherirrenden Geschöpf, welches sein Vorhandensein lediglich dadurch zu äußern weiß, daß es von Zeit zu Zeit den Platz wechselt; zu einem Geschöpf, welches vor Durst verschmachtet, weil es vor einem Gang ans Büffett zurückschaudert, und welches sich schließlich entfernt, ohne eine Wort gesprochen zu haben, wenn es nicht eine jener verzweifelten Albernheiten hervorstammelt, an die man sich monatelang erinnert, und die man, so oft sie einem vor dem Einschlafen einfallen, mit einem Aufstöhnen der Wut und Scham in sein Kopfkissen hinein verflucht.

Ein solcher Märtyrer war Paul von Géry. Drüben in der Heimat hatte er bei einer frommen, melancholischen alten Tante in größter Zurückgezogenheit gelebt, und als Student war er von zwei oder drei Appellräten in Schutz genommen worden, in deren altertümlichen, trübselig verblichenen Salons er mit ehrwürdigen Schattengestalten Whist spielte; es war ja von jeher beschlossen, daß er in die Fußstapfen seines Vaters treten sollte, dessen Andenken in den betreffenden juristischen Kreisen noch immer in Ehren gehalten wurde. Für den jungen Mann war also dieser Abend bei Jenkins etwas ganz Neues. Aber gerade seine Unkenntnis der Dinge machte ihn bei der angeborenen Anstelligkeit des Südländers zum scharfsichtigen Beobachter. Von dem Orte aus, wo er zufällig stand, wohnte er dem merkwürdigen, um Mitternacht noch nicht abgeschlossenen Aufmarsch von Jenkins' Gästen bei, unter welchen sich sämtliche Patienten des Mode gewordenen Arztes befanden: die Spitzen der höheren Gesellschaft, zumeist politische und finanzielle Kapazitäten, Bankiers, Abgeordnete, einige Künstler, alles Invaliden des Pariser High-Life mit fahlem Gesicht und glänzendem Auge, von Arsenik infiziert wie naschhafte Mäuse, aber unersättlich im Genuß des Giftes wie im Genuß des Lebens. Durch den offenstehenden Salon und das große Vorzimmer, in welchem die Thüren ausgehoben worden waren, erblickte man im reichsten Blumenschmuck das Treppenhaus, auf dessen Stufen die langen Schleppen hinflossen, deren seidene Last die Büsten der Damen zurückzubeugen schien, als sie beim zierlichen Heraufsteigen allmählich sichtbar wurden, bis sie sich, oben angelangt, in ihrem vollen Glanze entfalteten. Die ankommenden Paare erinnerten unwillkürlich an Schauspieler, die auf die Szene hinaustreten, und zwar in doppelter Hinsicht, denn auf der letzten Stufe ließ jeder sein Stirnrunzeln, seine Sorgenfältchen, seine Ermüdung, seinen Aerger, seine Trauer zurück, um ein heiter lächelndes, unbefangenes Gesicht zur Schau zu tragen. Die Männer schüttelten einander treuherzig die Hand und tauschten überschwengliche Freundschaftsbeteuerungen aus, indessen die Damen unachtsam vor lauter Selbstbeachtung, in courbettierenden Bewegungen grüßten, oder voll nervöser Grazie, mit Augen und Schultern kokettierend, einander kleine verbindliche Antworten zulispelten: »Ach danke, danke tausendmal! . . . Sie sind wirklich die Güte selbst. . . .«

Hierauf trennten sich die Paare, denn eine Soirée ist heutzutage keine jener anmutigen, durchgeistigten Zusammenkünfte mehr, bei welchen weibliche Feinfühligkeit Männern von Charakter, von tiefem Wissen, ja selbst von Genie eine teilnehmende Huldigung ablockt, es ist ein beengendes Gewühl, in welchem den Damen, die wie im Harem abgesondert dasitzen und miteinander zwitschern, nur noch die eine Unterhaltung übrig bleibt, schön zu sein oder zu scheinen.

Paul von Géry war bereits in des Doktors Bibliothek, im Wintergarten und im Billardzimmer, das zugleich Rauchzimmer war, umhergeirrt! Der steifen, trockenen Gespräche satt, die ihn hier, mitten im Glanz eines flüchtigen Festes, wie ebenso viele Mißtöne berührten – ihn selber hatte jemand, ohne ihn nur anzusehen, nach den heutigen Börsennachrichten gefragt – näherte er sich dem großen Salon, dessen Eingang durch eine gestaute Flut von schwarzen Fracks belagert war, ein Gewoge von ausgestreckten Köpfen, die alle in das weitläufige Gemach hineinschauten, in dessen reicher Ausstattung sich der sowohl dem Herrn wie der Frau vom Hause eigene künstlerische Geschmack äußerte. Auf dem hellen Grunde der Wanddraperieen ein paar alte Bilder, auf einem monumentalen Kamine eine schöne Marmorgruppe von Sebastian Ruys, »die Jahreszeiten«, und dahinter, wie um eine krystallreine Wasserfläche gewunden, die teils kräftig hervortretenden, teils schlank und in zartestes Laubwerk auslaufenden Zweige des bronzenen Spiegelrahmens. Auf niedrigen Sitzen waren die Damen so dicht gruppiert, daß die glänzenden Farben ihrer Toiletten fast ineinander zerflossen, sie bildeten gleichsam einen riesenhaften Blumenkorb, aus welchem der Schimmer der nackten Schultern und das Feuer zahlloser Diamanten hervorleuchtete, die in den dunkeln Haaren wie Tautropfen, in den blonden mit blitzenden Reflexen erglänzten. Und überallhin strömte jener berauschende Wohlgeruch, jenes süße, verschwommene Summen, das aus zitternder Wärme und ungreifbaren Flügelschlägen zusammengehaucht, die Blumenbeete im warmen Sommer küßt. Zuweilen stieg in diese leuchtende Atmosphäre ein silbernes Lachen empor, oder es wehte ein schwacher Luftzug, und dann zitterte es in den Locken und in ihren Juwelensträußchen und ein schönes Profil hob sich wohl einen Moment vom Gesamtbilde ab. Im Inneren des Salons befanden sich nur sehr wenig Herren und zwar bloß hochgestellte Persönlichkeiten, reich an Jahren und Orden, die, vor einem Diwan auf einen halb umgekippten Sessel hingelehnt, sich mit der oder jener Dame in dem herablassenden Tone unterhielten, welchen man Kindern gegenüber anzuschlagen pflegt. Aus dem diskreten Geflüster jener Plaudereien klang nur eine einzelne Stimme hin und wieder heraus, die schmetternde Stimme des überglücklichen Nabobs, welcher sich in diesem Treibhause der Weltlichkeit mit der zuversichtlichen Unbefangenheit des Millionärs und des Frauen verachtenden Orientalen bewegte. Breit auf einen Fauteuil hingestreckt, die dicken Finger in den gelben Handschuhen ungeniert ineinander verschränkt, sprach er eben mit einer jungen, sehr schönen Dame, deren originelle Physiognomie, mit den strengen aber lebensvollen Zügen, in ihrer Blässe von den Puppengesichtchen ringsherum gerade so abstach, wie der ganz weiße mit klassischem Faltenwurf um die schlanke Gestalt geschmiegte Anzug von all den reichen Toiletten, von denen keine einzige sich in einem Stile so kühner Einfachheit bewegte.

Von seinem Winkel aus betrachtete Paul von Géry mit Bewunderung diese niedere, glatte, von herabquellendem Haar beschattete Stirn, die weitgeschlitzten tiefblauen Augen – abgrundblaue Augen – und den Mund, dessen reine Linien, sobald er zu lächeln aufhörte, einen Ausdruck von Abgespanntheit und Schlaffheit annahmen, Einzelheiten, deren Gesamtwirkung auf ein schroffes, vielleicht einzig und auch einsam dastehendes Ausnahmewesen schließen ließ. Als er in seiner Nähe zufällig ihren Namen – Felicia Ruys – nennen hörte, da begriff er die wunderbare Anziehungskraft dieses Mädchens, der Erbin des väterlichen Genies, deren junger Ruhm, verklärt durch den Nimbus ihrer Schönheit, schon bis in seine Provinz gedrungen war. Während er, von der geringfügigsten ihrer Bewegungen gefesselt, dem rätselhaften Zuge in dieser schönen Gestalt nachgrübelte, wisperte es dicht hinter ihm: »Da sehen Sie nur, wie sie freundlich thut mit dem Nabob! Ei, wenn jetzt der Herzog schon da wäre . . .«

»Der Herzog von Mora wird erwartet?«

»Gewiß. Seinetwegen wird das Fest gegeben, um eine Begegnung mit Jansoulet zu vermitteln.«

»Und Sie meinen, daß der Herzog und Fräulein Ruys wirklich . . .?«

»Leben Sie denn im Monde . . . Ein stadtbekanntes Verhältnis . . . datiert von der Ausstellung her. . . . Hat ja eine Büste des Herzogs dort gehabt.«

»Aber die Herzogin? . . .«

»Mein Gott! Sie hat schon Schlimmeres schlucken müssen. . . . Ah, jetzt wird Frau Jenkins etwas singen!«

Im Inneren des Salons entstand eine Bewegung und an der Eingangsthür ein stärkerer Andrang. Die Unterhaltung verstummte auf einige Zeit, und Paul von Géry atmete wieder auf. Ihm hatte das eben Vernommene das Herz zusammengepreßt. Er fühlte sich mitgetroffen, befleckt durch jenen schmutzigen Ausfall auf das Ideal, zu dem sich ihm diese herrliche, unter dem Sonnenstrahl der Kunst aufgeblühte Mädchengestalt verklärt hatte, deren Zauber ihm so tief zu Gemüte ging. Er wandte sich ab und trat etwas beiseite, denn es wäre ihm gräßlich gewesen, noch weitere Nichtswürdigkeiten anzuhören. Frau Jenkins' Gesang that ihm wohl, ihre Stimme, die in den Pariser Salons sehr bewundert wurde, hatte trotz ihrer Klangfülle nichts Theatralisches an sich, sondern machte mehr den Eindruck einer von Naturtönen getragenen Improvisation. Die Dame selbst, die mit ihren vierzig bis fünfundvierzig Jahren immer noch schön zu nennen war, hatte prachtvolles aschblondes Haar und feine etwas unbestimmte Züge mit einem Ausdruck großer Herzensgüte. Ihre Toilette verriet den kostspieligen Geschmack einer Frau, die noch nicht darauf verzichtet hat zu gefallen. Und so war es auch in der That, denn sie und der Doktor, den sie vor etwa zehn Jahren als Witwe geheiratet hatte, schienen noch immer in den Flitterwochen ihres Doppelglückes zu wandeln. Während sie ein russisches Volkslied vortrug, eine jener echt slavischen Melodieen voll Wildheit und einschmeichelnder Schwermut, strahlte Jenkins' Gesicht von naivem, unverhohlenem Stolz, und sie suchte ihn ihrerseits, so oft sie sich wieder zurücklehnte, um wieder Atem zu schöpfen, über das Notenblatt weg mit dem Blicke und lächelte ihm schüchtern und sehnsuchtsvoll zu; auch dann, als sie unter allgemeinem Murmeln der Bewunderung und des Entzückens zu singen aufhörte, war es wirklich rührend anzusehen, mit welch feinem Takt sie ihrem Manne verstohlen die Hand drückte, als wolle sie sich, mitten in ihrem großen Triumph, einen Winkel warmhalten für heimliches Glück. Beim Anblick dieses zärtlichen Paars fühlte sich der junge Géry wieder mit der Welt versöhnt. Aber da hörte er von neuem – und doch war es nicht mehr die Stimme von vorhin – ganz in der Nähe ein Geflüster: »Wissen Sie schon, daß man behauptet, Jenkins sei mit seiner Frau nicht verheiratet?«

»Ei was! Unsinn!«

»Sie können sich darauf verlassen. Es soll allerdings irgendwo eine Frau Jenkins geben, aber eine andre, als die man uns vorzeigt. – Uebrigens werden Sie wohl selber bemerkt haben . . .«

Das Weitere war nicht mehr hörbar; Frau Jenkins war lächelnd und grüßend herangetreten und der Doktor, welcher einen vorübergehenden Aufwärter angehalten hatte, brachte ihr mit der Geschäftigkeit einer Mutter, eines Impresario und eines Verliebten zugleich, ein Glas Bordeaux. . . . Diese Aufmerksamkeit – so unauslöschlich bleiben die Flecken der Verleumdung sitzen – diese Aufmerksamkeit machte jetzt auf Paul von Géry den Eindruck des Übertriebenen, er fand darin etwas Absichtliches, eine Berechnung, und auch in der Art, wie die Frau einige dankende Worte hinflüsterte, glaubte er eine ängstliche Unterwürfigkeit wahrzunehmen, die nicht mit der Würde, mit der stolzen Zuversicht der glücklichen Gattin übereinstimmte. Aber das ist ja etwas Scheußliches, diese große Welt, sagte der Kleinstädter mit einem Schauder des Entsetzens zu sich selbst. Und all' die lächelnden Gesichter kamen ihm vor wie lauter Zerrbilder. Scham beschlich ihn und Ekel. Dann plötzlich sträubte sich's in seinem Innersten: Nein, nein! Unmöglich! Doch gerade, als wollte sie den Aufschrei beantworten, hob hinten die Lästerzunge ganz ungeniert wieder an: »Schwarz auf weiß geben kann ich's Ihnen nicht. Ich wiederhole nur, was mir gesagt worden. . . . Ei, da ist ja die Baronin Hemerlingue.«

»Ein Teufelskerl, dieser Jenkins, ganz Paris hat er in der Tasche.«

Die Baronin hielt ihren Einzug am Arme des Doktors, der ihr entgegengestürzt war und der, wie sehr er auch sein ganzes Mienenspiel in der Gewalt hatte, etwas verwirrt und verlegen aussah. Der Gute hatte nämlich den Plan ausgeheckt, bei Anlaß dieser Abendgesellschaft seinen Freund Hemerlingue und seinen Freund Jansoulet miteinander zu versöhnen, denn der Bruderkrieg zwischen seinen beiden reichsten Gönnern bereitete ihm eine Menge Verlegenheiten. Der Nabob hatte von Herzen eingewilligt. Er hegte gegen seinen früheren Intimus keinen Groll. Das Zerwürfnis war nur durch Hemerlingues Heirat mit einer Favoritin des verstorbenen Beys herbeigeführt worden, durch eine bloße Weibergeschichte, meinte Jansoulet, über die er herzlich gern Gras wachsen sah, denn sein übersprudelndes Temperament empfand jede Zwistigkeit als eine Last. Allein von seiten des Barons schien die Annäherung nicht gewünscht zu werden, da, trotz seines gegebenen Versprechens, seine Frau zu des Doktors größtem Verdruß ohne ihn herkam. Die Baronin, eine hochaufgeschossene, schmächtige Gestalt, mit Augenbrauen wie Rabenfedern und ebenso schwarzem Haar unter einem diamantenstrotzenden Kopfputz von Gräsern und Aehren, hatte in ihrem Ansehen etwas so Jugendliches und Verschüchtertes, daß man sie statt ihrer dreißig Jahre auf zwanzig geschätzt hätte. Etwas beengt in der Pariser Toilette, machte sie mit ihren von langen Wimpern überschatteten bleichen Wangen und dem durchsichtigen Teint, der ja allen von der Außenwelt lange abgeschlossenen Frauen eigen ist, weniger den Eindruck einer ehemaligen Odaliske als den einer Klosterfrau, die, von ihren Gelübden entbunden, ins Leben zurückkehrt, und diesen Vergleich bestätigte sie noch durch ein religiös salbungsvolles Wesen in ihrer ganzen Haltung, durch ein gewisses feierliches Einherwandeln mit niedergeschlagenen Augen, anliegenden Ellbogen und gefallenen Händen, lauter angelernten Manieren aus den streng katholischen Kreisen, in denen sie sich seit ihrer Bekehrung und ihrer vor kurzem erfolgten Taufe bewegte. – Was konnte sich die profane Neugierde wohl Interessanteres wünschen, als diese fromme Christin mit der Haremvergangenheit, die eben von Jenkins in Begleitung einer erdfahlen, bebrillten Meßnerfigur eingeführt wurde; es war dies Hemerlingues Rechtsanwalt le Merquier, Abgeordneter von Lyon, welcher die Baronin stets begleitete, wenn sich der Baron wie heute abend »etwas angegriffen fühlte«.

Als die drei in den zweiten Salon eintraten, ging der Nabob schnurstracks auf sie zu, in der Meinung, hinterdrein das breite, gelbliche Gesicht seines alten Kameraden auftauchen zu sehen, dem er verabredetermaßen die Hand bieten sollte. Sowie die Baronin ihn erblickte, wurde sie noch blasser als gewöhnlich, ein Blitzstrahl zuckte unter ihren langen Wimpern hervor, ihre Nasenflügel bebten weitgeöffnet, und als Jansoulet sich vor ihr verbeugte, schritt sie hoch erhobenen Hauptes rasch an ihm vorbei, indem von ihren dünnen Lippen ein arabisches Wort fiel, das für jedermann dunkel war, außer für den armen Nabob, der die Beleidigung wohl verstanden hatte, denn als er sich aufrichtete, hatte sein gebräuntes Gesicht die Farbe eines Ziegelsteines, der eben aus dem Ofen kommt. So blieb er eine Zeitlang stehen, die dicken Fäuste krampfhaft geballt, mit zorngeschwelltem Munde, bis Jenkins auf ihn zueilte; und dann sah Géry, welcher dem ganzen Auftritte aus der Ferne gefolgt war, wie sich beide in ein erregtes Gespräch vertieften.

Der Versuch war mißlungen, der kunstvoll zusammengeklügelte Versöhnungsplan scheiterte an Hemerlingues entschiedenem Widerstreben. Wenn nur der Herzog jetzt käme, oder sollte der auch nicht Wort halten? Es war schon spät. Eben hatte sich, direkt von der Vorstellung in der Oper kommend, in Pelz und Kapuze noch vorsorglich vergraben, die Wauters eingefunden, um Mozarts Arie der Königin der Nacht vorzutragen, und der Minister fehlte noch immer, trotz seiner festen Zusage, trotzdem ausgemacht worden war, daß ihn Monpavon im Cercle abholen sollte. Der gute Jenkins sah des öfteren nach der Uhr, indem er zerstreut dem musikalischen Perlenregen applaudierte, der ihn auf dreitausend Franken zu stehen kam, und der zwecklos war wie das ganze teure Fest, falls der Herzog ausblieb.

»Seine Excellenz, der Herzog von Mora!« dröhnte es plötzlich herein, und anstatt sich, wie beim Eintritt des Nabobs, in rücksichtslosem Gedränge vorzuwälzen, bildete jetzt die ehrerbietige Neugierde unter erwartungsvollem Gemurmel auf dem Wege des Ministers Spalier. Wie dieser verstand es kein zweiter, vor der Welt zu repräsentieren, durch einen Salon mit Würde und zur Tribüne mit einem Lächeln hinzuschreiten, geringfügigen Dingen einen ernsthaften Anstrich zu geben und das anerkannt Wichtige obenhin zu behandeln. Diese paradoxe Vornehmheit bildete den Kern seiner Lebensführung. Der Feinheit und dem Ebenmaß seiner Erscheinung verdankte er es, daß er trotz seiner sechsundfünfzig Jahre noch ein schöner Mann war; seiner modischen Eleganz verliehen die stramme, fast militärische Haltung und die stolzen Züge den Charakter der Männlichkeit und er bewegte sich mit vollendetem Anstand im schwarzen Frack, den er heute, Jenkins zu Ehren, mit einigen jener großen Sterne geschmückt hatte, die er sonst nur bei offiziellen Gelegenheiten strahlen ließ. Der Schimmer der Brustkrause, der weißen Halsbinde, der mattsilbernen Orden und das sanft ins Graue hinüberspielende spärliche Haar hoben die Blässe des Gesichtes noch hervor, welches an Fahlheit all' die fahlen Physiognomieen übertraf, die sich bei dem Irländer zusammengefunden hatten. Es war auch entsetzlich, wie der Mann auf sich loshauste: politische Strapazen, die Spielwut in sämtlichen Abstufungen, vom Pharao bis zur Börsenspekulation, der Ruf eines Don Juan, der um jeden Preis behauptet werden mußte; das alles stempelte ihn so recht zum Patienten dieses Arztes, und so that er denn nur seine Schuldigkeit, wenn er in fürstlichem Schmuck bei dem Erfinder jener geheimnisvollen Perlen erschien, die seinem Blick einen so hellen Glanz und seinem ganzen Wesen eine so wunderbare, fast jugendliche Schnellkraft gaben.

»Gestatten Sie mir, lieber Herzog,« begann Monpavon in feierlich aufgeblasener Haltung« . . . Aber dieser Versuch, die sehnlich erwartete Vorstellung des Nabob zu bewerkstelligen, mißlang, denn Seine Excellenz hatte in der Zerstreutheit gar nichts gehört und bewegte sich nach dem großen Salon weiter, unter dem Einfluß einer jener elektrischen Strömungen, welche die Monotonie der großen Welt zuweilen unterbrechen. Während er noch voranschritt und der schönen Frau Jenkins seine Aufwartung machte, konnte man allenthalben bei den Damen ein leises Hinneigen bemerken, ein holdes Lächeln, gewinnende Mienen, den Wunsch zu gefallen. . . . Er aber hatte nur für eine Augen, für Felicia, die mitten in einer Gruppe von Herren stand, mit denen sie sich unterhielt, als befände sie sich in ihrem Atelier, und ihn, ruhig eine Eislimonade schlürfend, herankommen sah. Sie nahm seine Begrüßung mit völliger Unbefangenheit entgegen, und trotzdem sich die Herren diskret zurückzogen, trotz dem, was Paul von Géry über ein angebliches Liebesverhältnis gehört hatte, schien zwischen den beiden weiter nichts als eine Kameradschaft des Geistes, eine harmlos heitere Vertraulichkeit zu bestehen.

»Ich habe Sie besuchen wollen, mein Fräulein, als ich nach dem Bois de Boulogne fuhr.«

»Ist mir ausgerichtet worden. Sie waren sogar im Atelier.«

»Jawohl, und habe mir die brillante Gruppe angesehen, meine Gruppe.«

»Na, und . . .?«

»Sehr schön, der Windhund läuft wie besessen, und der Fuchs reißt ganz brillant aus, nur habe ich nicht recht verstanden . . . Sie sagten doch, es sei unser beider Geschichte?«

»Eben. . . . Raten Sie nur weiter! Es ist eine Fabel aus . . . Rabelais lesen Sie wohl nie, Herr Herzog?«

»Gott behüte! Ist mir denn doch zu roh.«

»Ach ich, ich habe mich hineingelesen. . . . Gilt zwar für unfein, wie Sie wissen, für sehr unfein. . . . Meine Fabel ist also aus Rabelais geschöpft. Hören Sie nur: Bacchus hat einen wunderbaren Fuchs erschaffen, der schlechterdings nicht zu erjagen ist, und Vulkan hat seinerseits einem von ihm gebildeten Hunde die Zauberkraft verliehen, alles Wild einzufangen. Nun, sagt mein Autor, trug sich's einmal zu, daß der Hund und der Fuchs aneinandegerieten, Sie können sich's vorstellen, was das für ein Wettrennen gab, toll und – endlos. Geradeso, lieber Herzog, hat, wie mich dünkt, das Schicksal uns, mit den widersprechendsten Eigenschaften ausgerüstet, einander gegenübergestellt. Sie, dem die Götter Macht verliehen haben, alle Herzen zu gewinnen, und mich, deren Herz sich niemals fangen läßt.«

Sie sagte ihm das so recht ins Gesicht hinein, halb lachend, aber aufrecht und wie gewappnet in ihrem weißen Gewande, das all' seine geistreichen Angriffe von ihrem inneren Wesen abzuwehren schien. Ihm, dem Bezwinger, dem Unwiderstehlichen, begegnete in ihr die erste von so kühnem, eigenwilligem Schlage, und er suchte sie mit allem magnetischen Zauber der Verführungskunst zu umstricken, indessen ringsum das steigende Gemurmel des Festes, silberhelles Lachen und das Rauschen der Atlasroben und der Perlschnüre dieses Duett weltmännischer Leidenschaft und jugendlicher Ironie begleiteten.

»Aber was thaten die Götter,« hob er nach kurzer Pause wieder an, »um sich mit Ehren aus der Affaire zu ziehen?«

»Sie verwandelten die beiden Läufer in Stein.«

»Oho, die Losung lasse ich mir nicht gefallen, und müßte ich's auch mit allen Göttern aufnehmen, mein Herz werden sie mir nicht versteinern.«

Bei diesen Worten sprühte ihm aus den Augen eine Flamme, die jedoch beim Gedanken an die beobachtende Menge alsbald wieder erlosch. Und beobachtet wurden sie ununterbrochen, von keinem Menschen aber so scharf wie von Jenkins, der voll nervöser Ungeduld um sie herumschlich, als verübelte er's Felicia, daß sie die Hauptperson des Abends für sich allein behalte. Lächelnd bemerkte das Mädchen dem Herzog: »Gewiß wird man sagen, daß ich Sie in Beschlag nehme.«

Und dabei zeigte sie ihm Monpavon, der erwartungsvoll neben dem Nabob stand, von welch letzterem die Excellenz mit dem unterwürfig bittenden Blick eines großen, gutmütigen Bullenbeißers aus der Ferne betrachtet wurde. Da fiel denn dem Staatsminister der Anlaß seines Erscheinens wieder ein. Er verabschiedete sich bei dem Mädchen und ging auf Monpavon zu, der ihm endlich seinen ehrenwerten Freund, Herrn François Jansoulet, vorstellen konnte. Die Excellenz verbeugte sich, der Parvenu bückte sich bis zum Boden, dann begann ein kurzes Gespräch. Ein merkwürdiger Gegensatz, diese zwei Gestalten: der stämmige, durch und durch plebejische Jansoulet mit seiner Lederhaut und dem breiten, gewölbten Rücken, den der orientalische Hofschranzen-Hokuspokus für immer gekrümmt zu haben schien, mit seinen kurzen, dicken Händen, an denen die hellen Glacéhandschuhe platzten, mit der südlichen Ueberschwenglichkeit in den Gebärden und in der Betonung der Wörter, die er wie gesprengte Felsblöcke hervorstieß – und, ihm gegenüber, der geborene Kavalier und Weltmann, der, eine Verkörperung der Eleganz, geschmackvoll bis in die kleinste seiner spärlich hingestreuten Bewegungen, seine abgerissenen Sätze mit vornehmer Nachlässigkeit hingleiten ließ, indem er den Ernst seiner Züge durch ein halbes Lächeln milderte und seine tiefe Verachtung für Mann und Weib unter den Formen einer unerschütterlichen Höflichkeit verbarg. Und doch war gerade jene Verachtung eine Hauptursache seiner Erfolge. In einem amerikanischen Salon wäre dieser Gegensatz nicht so störend gewesen. Des Nabobs Millionen hätten dort das Gleichgewicht hergestellt, wenn nicht gar die Wagschale zu seinen Gunsten niedergedrückt. In Paris aber hat der Reichtum noch immer nicht den Vorrang, und um sich davon zu überzeugen, brauchte man nur mitanzusehen, wie zuvorkommend der Zufallskrösus vor dem vornehmen Mann hin und her zappelte, wie schranzenhaft er ihm, in Ermangelung eines Hermelinmantels, seinen schwerfälligen Geldstolz vor die Füße breitete. Von der Ecke aus, in die er sich gedrückt hatte, betrachtete Paul von Géry den ganzen Vorgang mit lebhaftem Interesse, wußte er doch, welch' großen Wert sein Gönner auf diese Annäherung legte. Da brachte das Ungefähr, welches diesen Abend hindurch seiner Debütanteneinfalt so grausam mitspielte, mitten im Gewoge der Privatgespräche, aus dem gewöhnlich jeder das für ihn Wichtige richtig heraushört, ihm schon wieder einen kleinen Dialog zu Ohren: »Es ist doch bei Gott das Geringste, was dieser Monpavon für ihn thun kann, daß er ihm nach so vielen schlechten Bekanntschaften auch zu ein paar guten verhilft. Wie Sie wohl wissen werden, hat er ihm noch vor kurzem Paganetti mit seiner ganzen Bande auf den Hals geladen.«

»O weh, da wird er gar rein ausgezogen.«

»Ei was, nicht mehr als billig, ihn so und so viel wieder herausschwitzen zu lassen von allem, was er da drunten bei den Türken zusammengestohlen hat.«

»Sie glauben also wirklich? . . .«

»Ha, ob ich es glaube; habe darüber ganz bestimmte Daten und zwar aus dem Munde des Bankiers, der die neueste tunesische Anleihe vermittelt hat, Baron Hemerlingue. . . . O, der weiß Ihnen Histörchen zu erzählen vom Nabob! Stellen Sie sich vor . . .«

Und nun ging's los, lauter Schandthaten: Fünfzehn Jahre hindurch habe Jansoulet den verstorbenen Bey in niederträchtigster Weise ausgebeutet. Man könne sowohl Namen von Lieferanten anführen, wie auch einzelne in ihrer Dreistigkeit ganz unerhörte Musterstreiche, z. B. die Geschichte von einer Spielfregatte – jawohl von einer Spielfregatte, wie es Spieluhren und Spieldosen gibt – welche Fregatte er für zweimalhunderttausend Franken angekauft und für volle zehn Millionen an den Mann gebracht – oder die Geschichte von einem Thronsessel, der dem Bey zwei Millionen gekostet, dessen Herstellungspreis aber, wie aus den Büchern eines Tapeziers aus der Vorstadt St. Honoré zu ersehen war, sich nicht ganz auf hunderttausend Franken belief, eine Geschichte, deren Komik darin gipfelte, daß der Herrscherstuhl, infolge einer Geschmackveränderung des Souveräns, noch bevor er ausgepackt worden, in Ungnade fiel und in seiner fest zugenagelten Kiste bis auf den heutigen Tag auf dem Zollamte in Tripolis stehen geblieben ist; und abgesehen von solchen schamlosen Kommissionsaufschlägen, die sich bis auf die kleinste Spielwarensendung erstreckten, wurden noch andre gravierende Anklagepunkte betont, die indessen geradeso feststanden, denn sie stammten aus derselben Quelle. Man sprach von einem Spezialharem mit lauter Europäerinnen, den der Nabob außer dem Serail für Seine Hoheit ganz wundervoll eingerichtet, und ein Mann, wie der Nabob, müsse dergleichen doch loshaben, da er ja schon früher vor seiner Abreise nach dem Orient hier in Paris in der sonderbarsten Weise sein Leben gefristet als Wiederverkäufer von Theaterkontremarken, als Geschäftsführer eines vorstädtischen Tanzetablissements und eines andern noch anrüchigeren Lokales. . . . Und nun löste sich das Geflüster in ein unterdrücktes Gelächter auf, wie Männer lachen, die unter sich dergleichen Geschichten auskramen. Die erste Empfindung des jungen Provinzlers, als er diese niederträchtigen Verleumdungen vernahm, war die, sich umkehren zu sollen mit dem Ausruf: »Das ist erlogen!« Einige Stunden zuvor hätte er's auch ohne Bedenken gethan, doch in dieser Atmosphäre war ihm bereits das Mißtrauen des Skeptikers geläufig geworden, und so hielt er denn an sich und hörte zu bis ans Ende, ohne sich von der Stelle zu rühren und ohne sich selber zu gestehen, daß der Wunsch jetzt in ihm aufdämmerte, über seinen Gönner ins klare zu kommen. Unterdessen saß der ahnungslose Held dieser Schandchronik, der Nabob, ganz gemütlich mit dem Herzog von Mora beim Ecarté in einem kleinen blauen Salon, in welchem das gedämpfte Licht zweier Lampen eine friedliche Stimmung verbreitete: der Sohn eines Vaters, der mit altem Eisen handelte, am Spieltisch ganz allein mit dem obersten Würdenträger des Kaisers – o, Zauber der Millionen! Jansoulet konnte dem venetianischen Spiegel fast nicht glauben, in dem er sein freudestrahlendes Gesicht neben dem erhabenen Haupte mit dem breiten Scheitel erblickte, auch gab er sich, um der großen Ehre auch einigermaßen wert zu sein, alle erdenkliche Mühe, möglichst viele Tausendfrankenscheine mit Anstand zu verlieren, und hielt sich trotzdem für den gewinnenden Teil, denn er war ja stolz, sein Geld in jene aristokratischen Hände übergehen zu sehen, die er bis in ihre kleinsten Bewegungen beim Ausspielen, beim Abheben oder beim Aufnehmen der Karten studierte.

Um ihren Tisch sammelte sich ein Kreis von Zuschauern, aber in der respektvollen Entfernung von zehn Schritten, wie sie bei der Begrüßung eines Prinzen vorgeschrieben sind. Das waren die Zeugen des Triumphes, den der Nabob wie im Traume feierte, wie berauscht von den feenhaften Klängen, die, durch die Entfernung gedämpft, an sein Ohr schlugen, von dem Gesange, der in abgebrochenen Sätzen wie über eine Wasserfläche zu ihm herüberdrang, vom Dufte der Blumen, der zu Ende eines Pariser Balles so eigentümlich die Luft erfüllt, wenn zu vorgerückter Stunde sich alle Zeitbegriffe verwischen und die Ermattung nach durchwachter Nacht die von dieser ganzen Atmosphäre überreizten Nerven zu einem Taumel des Genusses anregt. Die rüstige Natur eines civilisierten Wilden, wie Jansoulet, war für solch ungewohnte, zugespitzte Eindrücke nur um so empfänglicher und er mußte sich förmlich zusammennehmen, um dem physischen Aufjubeln seines ganzen Wesens nicht mit einem freudigen Hurra oder sonstwie Luft zu machen, durch eine unpassende Wort- oder Gebärdenbewegung, nicht unähnlich einem großen Gebirgshunde, den man durch das Einatmen einer gewissen Essenz zum epileptischen Wahnsinn bringen kann. –

»Der Himmel ist klar und das Pflaster trocken . . . Wäre es Ihnen recht, mein lieber Junge, wenn wir den Wagen vorausschickten und zu Fuß nach Hause gingen?« sagte Jansoulet beim Fortgehen zu seinem Begleiter.

Diesem war der Vorschlag sehr willkommen; er sehnte sich selber nach einem Gange in frischer Luft, um die Lügen und Niederträchtigkeiten dieser sozialen Komödie abzuschütteln, die in seiner Brust eine eisige Kälte hinterlassen hatte; denn alles Blut hatte sich von seinem Herzen nach den Schläfen gedrängt und tobte ihm dort hörbar in den geschwollenen Adern. Er wankte nur so einher wie jene Unglücklichen, die, nachdem ihnen der Star gestochen worden, vor der eignen wiedererworbenen Sehkraft erschrecken und sich nun nicht mehr getrauen, einen Fuß vor den andern zu setzen. Aber die Operation war auch in gar zu brutaler Weise an ihm vollzogen worden! Die große Künstlerin mit dem ruhmvollen Namen, die keuschblickende, unnahbare Schönheit, deren bloßer Anblick ihn ergriffen hatte wie eine Vision, war also weiter nichts als eine Hetäre; Frau Jenkins, diese ehrfurchtgebietende Erscheinung, so mild und zugleich so stolz in ihrem ganzen Wesen, maßte sich die Stellung einer Gattin nur an; jener gefeierte Mann der Wissenschaft mit dem offnen Blick und der herzgewinnenden Freundlichkeit entblödete sich nicht, der Welt das Schauspiel eines schamlosen Verhältnisses zu geben – und die Pariser Gesellschaft nahm, trotzdem sie darum wußte, keinen Anstoß und strömte seinen Festen zu! Und nun gar dieser Jansoulet, der so gütig, so großmütig an ihm gehandelt, dem er zu so herzlichem Dank verpflichtet, war einer Gaunerbande anheimgefallen, und selbst ein Gauner, dem nur recht geschah, wenn auch er, systematisch ausgebeutet, seine Millionen »wieder herausschwitzen« mußte.

War es möglich? Wieviel sollte er davon für wahr halten?

Ein Seitenblick auf den Nabob, der mit seiner vierschrötigen Gestalt fast die ganze Trottoirbreite einnahm und den die Last seiner Geldsäcke zu beugen schien, ließ Paul von Géry in dem schwerfälligen Gange seines Gönners urplötzlich etwas Niedriges, Gemeines entdecken, das ihm zuvor nicht aufgefallen war. Richtig! Er war ja ganz Marseiller Abenteurer, aus jenem Uferschlamme geformt, wie ihn die unzähligen Bummler und Nomaden auf allen Quais der Hafenstadt breittreten; gutmütig, freigebig – nun ja, nach Dirnen- und Diebesart. Und nun war dem jungen Manne, als ob der Goldstrom, der durch die prunkvollen, verrufenen Gemächer am Vendômeplatze einherwogte und seinen Gischt an den Wänden hinaufspritzte, allen Abschaum und allen Unflat seiner unlauteren, morastigen Quelle mit sich wälzte. Aber dann blieb ihm, Paul von Géry, keine andre Wahl, als sich aufzumachen und aufs schleunigste den Ort zu verlassen, wo sein einziges Erbe, sein ehrlicher Name, auf dem Spiele stand. Ganz recht, aber da unten, daheim die zwei kleinen Brüder, wie sollten die zu ihrem Schulgelde kommen? Wer sollte den bescheidenen häuslichen Herd zusammenhalten, der durch den Erwerb des Aeltesten, des Familienoberhauptes, so unverhofft wieder aufgerichtet worden? Dies Wort Familienoberhaupt versetzte ihn sofort in einen jener Seelenkämpfe zwischen Eigennutz und Gewissen, wobei dieses rücksichtslos, stetig, mit ehrlichen Stößen angreift, während jener, mit künstlichen Finten fechtend, zurückweicht.

Unterdessen spazierte der gute Jansoulet mit weiten Schritten neben seinem jungen Freunde einher, ohne den Konflikt, dessen Veranlassung er war, auch nur zu ahnen, und sog voller Wonne die frische Luft ein. Niemals hatte er sich in solchem Maße seines Lebens gefreut; von dieser Soirée bei Jenkins, die ja für ihn sein erstes Auftreten in der großen Welt gewesen, war ihm ein Eindruck zurückgeblieben, wie von ragenden Ehrenpforten, von herbeigeströmten Volksmassen, von einem Siegeseinzug über ausgestreute Blumen – der klarste Beweis, daß die Wesenheit der Dinge im Auge des jeweiligen Beschauers liegt. Der Nabob war vom Herzog beim Abschied aufgefordert worden, sich seine Bildergalerie anzusehen, was nichts mehr und nichts weniger zu bedeuten hatte, als daß ihm die Thüren des Palais Mora binnen acht Tagen offen stehen würden, und Felicia Ruys war bereit, seine Büste zu modellieren, so daß man erwarten konnte, bei der nächsten Kunstausstellung den Kopf des Nagelhändlersohns von derselben großen Künstlerin in Marmor gemeißelt zu sehen, deren Name auch unter dem Brustbilde des Staatsministers prangte. Und nun sage man selbst, ob solche Erfolge seine kindliche Eitelkeit nicht vollauf befriedigen mußten!

So hingen sie denn beide ihren düsteren oder heiteren Gedanken nach und schritten in sich gekehrt und selbstvergessen fürbaß, bis der stille, in bläuliches, kaltes Licht gebadete Vendômeplatz unter ihren Schritten erdröhnte, bevor sie auch nur ein Wort miteinander gewechselt.

»Schon!« sagte der Nabob. »Ich würde ganz gern noch etwas weiter gehen. Ist es Ihnen auch recht?«

Und während sie nun noch zwei- oder dreimal um den Platz herumgingen, ließ er die unermeßliche Freude seines Herzens stoßweise in abgerissenen Sätzen hervorbrechen: – »Mir ist so wohl! . . . Eine herrliche Luft! . . . Donnerwetter, nicht für hunderttausend Franken möcht' ich sie hergeben, die heutige Soirée. . . . Wirklich ein grundguter Mensch, dieser Jenkins. . . . Und Felicia Runs . . . ist Ihnen diese Art von Schönheit sympathisch? Ich für mein Teil schwärme dafür. Und erst der Herzog, . . . ist das ein nobler Kavalier, und dabei so einfach, so leutselig! . . . Schön, schön, dieses Paris! Nicht wahr, mein Sohn?«

»Für mich zu kompliziert,« antwortete Paul mit dumpfer Stimme, »Mir graut davor.«

»Ja, ja, ganz begreiflich,« meinte der andre mit gottvollem Dünkel. »Sie haben sich noch nicht eingewöhnt, aber das gibt sich im Handumdrehen, mein Sohn, verlassen Sie sich drauf. Sehen Sie mich nur an, wie ich schon nach dem ersten Monat hier zu Hause bin.«

»Sie freilich, Sie kannten ja Paris von früher her, und wo man schon einmal gelebt hat . . .«

»Ich? Keine Spur! Wer hat das gesagt?«

»Also nicht? Ich meinte eben nur,« erwiderte der junge Mann, und sofort bestürmte ihn ein ganzes Heer von Gedanken.

»Was haben Sie denn eigentlich diesem Baron Hemerlingue gethan, daß er Sie so tödlich haßt?«

Bei dieser Frage stutzte der Nabob, denn der Name, der so unvermutet in seine freudige Stimmung hineingeschleudert wurde, gemahnte ihn an den einzigen ärgerlichen Zwischenfall des Festes. Dann sprach er in wehmütigem Tone:

»Ihm wie allen übrigen habe ich stets nur Gutes erwiesen. Im Elend haben wir beide miteinander angefangen, gemeinschaftlich sind wir gewachsen und gediehen, und als er sich auf seinen eignen Flügeln emporschwingen wollte, habe ich ihn stets nach besten Kräften unterstützt. Durch mich sind ihm zehn Jahre hintereinander die Lieferungen für die Flotte und die Armee zugewendet worden. Daher stammt fast sein ganzes Vermögen. Und nun vernarrt sich dieser froschblütige Baron eines schönen Tages dummerweise in eine Odaliske, die auf Betreiben der Mutter des Beys aus dem Harem gejagt worden war. Das Weibsbild, schön und ehrgeizig, wußte sich in die Ehe hineinzuschmuggeln; für Hemerlingue war aber nach dieser sauberen Heirat der Aufenthalt in Tunis selbstverständlich unmöglich geworden. Man hat ihm die Meinung beigebracht, ich hätte den Bey veranlaßt, ihn aus der Regentschaft auszuweisen; daran ist kein wahres Wort. Ich habe im Gegenteil von Seiner Hoheit verlangt, daß der junge Hemerlingue, ein Sohn aus erster Ehe, in Tunis verbleiben durfte, um die schwebenden Geschäfte zum Abschluß zu bringen, während der Vater in Paris sein Bankhaus gründete. Und wie wurde mir die Gutthat vergolten? Als nach meines armen Mohammeds Tode sein Bruder, der Muschir, auf den Thron kam, haben mich Hemerlingues, die nun wieder in Gunst standen, beim neuen Herrscher ohne Unterlaß verlästert. Zwar macht mir der Bey noch immer ein freundliches Gesicht, allein mit meinem früheren Ansehen ist es vorbei. Aber trotz alledem, wie übel mir Hemerlingue auch mitgespielt hat und jetzt noch mitspielt, war ich heute abend bereit, ihm die Hand zu reichen, und der Wicht läßt mich nicht nur abfahren, sondern obendrein durch sein Weib beschimpfen, eine boshafte Bestie, die mir's nie vergeben kann, daß ich ihr in Tunis mein Haus verschloß. Wissen Sie, was sie vorhin im Vorbeigehen zu mir gesagt hat? Dieb und Hundesohn . . . o, sie nimmt kein Blatt vor den Mund, die Odaliske! Und so mußte ich denn, wenn ich meinen Hemerlingue nicht von alters her als einen Hasenfuß aus dem ff kennte. . . . Aber nein, Unsinn! . . . Lassen wir sie nur reden, und lachen wir sie aus! Was können sie mir denn anhaben? Mich abtakeln drüben beim Bey? Ist mir egal, mit Tunis habe ich nichts mehr zu schaffen und ich will möglichst bald den Rückzug antreten mit Sack und Pack. Es gibt ja doch in der großen Welt nur eine Stadt, nur einen Aufenthalt: Paris, das einladende, gastfreie Paris, das keine Faxen macht und jedermann, wenn er nur ein gescheiter Kopf ist, vollauf Fahrwasser zu großen Leistungen bietet – und, frei heraus, ich, lieber Géry, ich will nun einmal Großes leisten. Ich habe das Krämerleben satt. – Zwanzig Jahre hindurch habe ich für den Gelderwerb gearbeitet; jetzt verzehrt mich ein wahrer Heißhunger nach Ehre, nach Ansehen, nach Berühmtheit, ich will eine Rolle spielen in der Geschichte meines Vaterlandes, und für mich wird das auch nicht schwer halten. Mit meinem riesigen Vermögen, meiner Geschäfts- und Menschenkenntnis, mit dem, was sich da drinnen in meinem Schädel regt, kann ich's zu allem bringen und ich strebe nach den höchsten Zielen. Darum« – und des Nabobs Worte paßten wie eine Antwort zu dem heimlichen Gedankengange seines jungen Gefährten – »darum hören Sie auf mich, mein lieber Junge, lassen Sie nie von mir ab, sondern bleiben Sie getreulich mit mir an Bord. Mein Takelwerk ist fest. Kohlen hab' ich alle Schiffskammern voll. Mein Wort darauf, wir werden ein gut Stück Weg zurücklegen und schnell! Sie sollen sich wundern . . .« So phantasierte der naive Provençale mit einem Aufwande von ausdrucksvollen Gebärden in die Nacht hinein, indem er, während sie lebhaft um den Platz schritten, der sich mit seiner majestätischen Einfassung von stummen, verschlossenen Palästen in der Oede gleichsam ausdehnte, von Zeit zu Zeit nach der Erzfigur der Napoleonssäule hinaufblickte, als nehme er ihn zum Zeugen, den Emporkömmling der Emporkömmlinge, dessen Verewigung hier im Mittelpunkte von Paris jedem Ehrgeiz eine Berechtigung und allen Hirngespinsten den Schein der Ausführbarkeit zu geben schien.

Dem Jünglingsalter wohnt eine Warmfühligkeit inne, ein Bedürfnis nach Begeisterung, das bei der leisesten Berührung rege wird, und so fühlte denn Paul von Géry, während er dem Nabob zuhörte, seinen Verdacht mehr und mehr schwinden und die frühere Zuneigung, mit einer Zuthat von Mitleid, auferstehen. . . . Nein, der Mann war auf keinen Fall ein Schurke, wohl aber ein armer Bethörter, dem das Glück zu Kopfe stieg, wie einem, der jahrelang nur Wasser getrunken, der starke Wein. Jansoulet, mitten in Paris sich selbst und lauter Feinden und Blutsaugern überlassen, kam ihm wie ein goldbeladener Wanderer vor, der bei Nacht und ohne Waffen durch einen unsicheren Wald geht, und nun hielt es der Schutzbefohlene für ein verdienstliches Werk, über seinen Beschützer unbemerkt zu wachen, diesem blinden Mentor ein hellsehender Telemach zu werden, ihn die Sumpflöcher mit eignen Augen schauen zu lassen, ihn gegen das Raubgesindel zu verteidigen, kurz und gut, ihm zur Notwehr behilflich zu sein gegen das Geschmeiß von wilden, nächtlichen Wegelagerern, die sein ahnungsvoller Blick um den Nabob und seine Millionen herumschleichen sah.


 << zurück weiter >>