Alphonse Daudet
Der Nabob. Band 1
Alphonse Daudet

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Zweites Kapitel.

Ein Dejeuner am Vendômeplatz.

Diesen Morgen saßen kaum zwanzig Gäste im Speisezimmer des Nabob, einem Zimmer, dessen geschnitzte Eichenmöbel erst vor kurzem in Bausch und Bogen aus irgend einem großen Tapeziergeschäft bezogen worden waren, das zugleich auch alles übrige geliefert hatte, die Ausstattung der vier ineinanderlaufenden Salons, in deren lange Flucht man durch eine offne Thür blickte, die Deckenverzierungen, Kronleuchter und Kunstgegenstände, ja sogar das auf den Kredenztischen prangende Silbergeschirr und das darum beschäftigte Dienstpersonal. Das Ganze machte so recht den Eindruck eines Haushaltes, wie ihn ein kolossal reicher Parvenü, der es mit dem Genießen eilig hat, unmittelbar nach dem Aussteigen aus dem Eisenbahncoupé aus der Erde stampft. Trotzdem um den großen Tisch herum kein Frauenkleid, nichts Farbiges, das Auge Erheiterndes zu sehen war, boten die Anwesenden dennoch keinen eintönigen Anblick, so verschiedenartig und bunt waren die Gäste zusammengewürfelt, unter denen sich Elemente aller Gesellschaftsklassen, Vertreter aller Stämme Frankreichs, Europas, ja der ganzen Welt, Leute von allen Stufen der sozialen Leiter befanden.

Da war zunächst der Herr des Hauses, eine Art Riese mit kurzem Halse und sonnverbrannter, vergilbter, lederartiger Haut; die kleine, in dem aufgedunsenen Gesichte verschwindende Nase, das gleich einer Astrachanmütze über die niedrige, störrische Stirn sich kräuselnde dichte Haar, die buschigen Brauen und die darunter hervorlauernden Pantheraugen gaben ihm das grimmige Aussehen eines Kalmücken, eines von Krieg und Raub lebenden Halbwilden. Glücklicherweise wurde die ungeschlachte Häßlichkeit dieses Gesichtes, das vor lauter Originalität aufhörte, gemein zu erscheinen, durch die untere Partie mit den dicken, wulstigen Lippen, die ein Lächeln von wahrhaft herzgewinnender Güte umspielte, völlig ausgeglichen, ins Gegenteil verwandelt, zum Ausdruck eines heiligen Vincent de Paulo verklärt. Die niedrige Abkunft des Nabob verriet sich indes auf andre Weise, durch die Stimme nämlich, die schnarrende, belegte Stimme eines Rhôneschiffers, die dem harten südlichen Accent einen Grundton von Plumpheit gab – und durch die breitgedrückten, gedrungenen, haarigen Hände mit dicken Fingern und kurzen Nägeln, die, auf das weiße Tischtuch hingestemmt, mit verhängnisvoller Beredsamkeit von ihrer Vergangenheit sprachen. Ihm gegenüber saß der Stammgast dieses Tisches, der Marquis von Monpavon, aber ein Monpavon, der dem angestrichenen Gespenst von vorhin keineswegs ähnlich sah, ein stattlicher, dem Alter nach schwer zu schätzender Mann mit breiter, imponierender Nase, der in majestätischer Haltung ein untadelhaftes von der weitausgeschnittenen Weste umrahmtes, weißes Hemd zur Schau trug, welches bei den fortwährenden Anstrengungen des Inwohners, sich recht stramm vorzudehnen, jedesmal knackte und mit dem Geräusch eines sich aufblasenden Puters oder eines radschlagenden Pfauen anschwoll. Einem alten, noch sehr einflußreichen Geschlecht entsprossen, aber durch Spielschulden und Spekulationen heruntergekommen, war Monpavon als Freund des Herzogs von Mora mit einer Generalsteuereinnehmerstelle erster Klasse bedacht worden. Unglücklicherweise hatte er jedoch aus Gesundheitsrücksichten den schönen Posten aufgeben müssen, was indessen – die Gesundheitsrücksichten nämlich – von wohlunterrichteter Seite stark angezweifelt wurde, und so lebte er denn seit einem Jahre in Paris, um, wie er versicherte, nach erfolgter Genesung sein Amt wieder anzutreten, obwohl von obenerwähnter Seite die Behauptung ausging, daß dieser Wiederantritt niemals stattfinden werde und daß es sogar hoher Protektionen bedurft hatte . . . Doch gleichviel, hier war er der Löwe der Tischgesellschaft, das ließ sich schon aus der Art und Weise entnehmen, wie er von den Domestiken bedient und vom Nabob zu Rate gezogen wurde; dieser redete ihn nämlich immer, wie in einem Stücke der Comédie française, mit »Herr Marquis« an, allerdings weniger aus Ehrerbietung, als um sich selber im Abglanz dieses Titels zu sonnen. Voller Geringschätzung für seine Umgebung sprach der Herr Marquis wenig, und dann nur sehr von oben herunter, als müsse er sich erst zu denjenigen herablassen, die er mit seiner Konversation beehren wollte. Von Zeit zu Zeit richtete er über den Tisch hinüber an den Nabob einige hingeworfene, für die Anwesenden sehr rätselhafte Worte: »Gestern traf ich auch mit dem Herzog zusammen, er sprach viel von Ihnen, betreffs jener Angelegenheit, Sie wissen schon die Geschichte, nun ja, wie heißt es nun gleich . . .«

»Wirklich? Er hat von mir gesprochen? . . .« Und dabei blickte der gute Nabob mit einer lächerlichen Kopfbewegung strahlend ringsum, oder schaute mit der salbungsvollen Miene einer Betschwester drein, die den Namen Gottes anrufen hört.

»Seine Excellenz würde es gerne sehen, wenn Sie sich bei der . . . ps . . . ps . . . ps . . . bei der Geschichte beteiligten . . . nun ja.«

»So? Hat er Ihnen das gesagt?«

»Fragen Sie nur den Gouverneur . . . der hat's mit angehört.«

Der so Bezeichnete, ein gewisser Paganetti, war ein bewegliches kleines Männchen, dessen Anblick förmlich ermüdend wirkte durch die unglaubliche Raschheit, mit welcher sein Gesicht binnen einer Minute den Ausdruck wechselte. Er leitete ein ausgedehntes finanzielles Unternehmen, die Territorialkasse von Korsika, und war eben durch Monpavon neu eingeführt worden, weshalb er auch am Tische einen Ehrenplatz einnahm. – Dem Nabob zur Linken, in einem Rocke von orientalischem Schnitt, bis oben zugeknöpft, saß ein Greis mit einer Unmasse von Fältchen im Gesicht und mit militärisch zugestutztem weißen Schnurrbart. Es war dies Brahim Ben, der tapferste General der Regentschaft in Tunis und der Flügeladjutant des verstorbenen Bey, an dessen Hofe der Nabob seine Reichtümer gesammelt hatte. Von den großartigen Heldenthaten dieses Kriegers berichteten, außer den Runzeln und anderweitigen Denkzeichen einer ausschweifenden Vergangenheit, die schlaff herabhängende Unterlippe, die versengten, geröteten Augen ohne Wimpern, kurz der ganze Kopf, der an die Angeklagten in den bei verschlossenen Thüren zu verhandelnden Prozessen erinnerte. – Die übrigen Gäste hatten sich einfach so hingesetzt, wie es der Zufall und der Moment ihres Eintreffens gefügt hatten. Denn der Zutritt stand jedem offen, und tagtäglich wurde für dreißig Personen gedeckt. Da war denn auch Cardailhac, der vom Nabob über Wasser gehaltene Theaterdirektor, durch seinen Witz fast ebenso berühmt als durch seine Fallimente, ein wunderbarer Tranchierkünstler, welcher beim Zerlegen eines Rebhuhnes gleichzeitig das Bonmot ausheckte, das er dann jeder Portion auf dem dargereichten Teller mitgab. Da er sich indessen auf seine Tranchierkunst doch noch besser verstand, als auf gute Einfälle, war ihm die neue Mode, den Braten schon zerschnitten »à la Russe«, auftragen zu lassen, insofern verhängnisvoll geworden, als ihm jetzt ein Vorwand fehlte, um sich stillschweigend zu sammeln. Dann ward auch allgemein behauptet, daß er abnehme. Im übrigen Pariser Vollblut und, wie er sich selber dessen rühmte, Dandy bis an die Fingerspitzen; dabei am ganzen inneren Menschen von Vorurteilen nicht einmal so viel, wie auf eine Nadelspitze geht, weshalb ihm denn auch das Kunststück gelang, Brahim Ben, der ihm zuhörte, etwa wie man ein schlechtes Buch durchblättert, die pikantesten Mitteilungen über die Damen seines Theaters zu machen und sich zu gleicher Zeit in ein theologisches Gespräch mit seinem andern Tischnachbar einzulassen, einem jungen, hageren Dorfgeistlichen aus dem Süden mit stark geröteten Wangen, einer Spitznase und einem Teint so schwarz wie seine Soutane, der, von Ehrgeiz geschwollen, in gönnerhaftem, priesterlich selbstbewußtem Ton von Guizot sagte: »Wir sind mit ihm zufrieden, sehr zufrieden; er verhilft der Kirche zum Sieg!« – Neben diesem Priester mit den blendenden Bäffchen prangte der alte Schwalbach, der berühmte Bildhändler, mit seinem stellenweise wie schmutzige Wolle ins Gelbliche spielenden Prophetenbarte und seinem in allen Farben schillernden Rocke, in dem ganzen verwahrlosten Aufzuge, den man teils der Kunst zuliebe an ihm duldete, teils weil es, zu einer Zeit, wo die Bildermanie bereits Millionen in Umlauf setzte, für geschmackvoll galt, den maßgebenden Vermittler jener Eitelkeitskrämerei bei sich zu sehen. Schwalbach schwieg, er begnügte sich, mit seinem ungeheuren runden Monocle Rundschau zu halten und über die kuriosen Menschenzusammenkoppelungen an diesem in seiner Art einzigen Tische in den Bart zu lächeln. Da saß zum Beispiel Herr von Monpavon – und es war komisch, zu beobachten, wie sich sein Naserümpfen bei jedem dorthin gerichteten Blick steigerte – ganz nahe bei dem Sänger Garrigos, einem Landsmann von Jansoulet, der, auch als Bauchredner geschätzt, den Figaro im südlichen Dialekt darstellte und im Nachahmen von Tierstimmen seinesgleichen suchte. Etwas weiter gewahrte man noch einen Landsmann von Jansoulet, Namens Cabassu, einen untersetzten, vierschrötigen, kleinen Mann mit einem Stierhalse und mit einer Armmuskulatur à la Michelangelo, ein Mittelding zwischen einem Marseiller Friseur und einem Jahrmarktathleten, der seines Zeichens Masseur, Hühneraugenoperateur und nebenbei auch ein wenig Zahnarzt war und der, beide Ellbogen auf den Tisch gestemmt, mit dem Selbstgefühl eines Quacksalbers dasaß, den man morgens empfängt, und der um alle kleinen Gebrechen und sonstigen häuslichen Mißstände des Gastgebers weiß. Die Reihe dieser untergeordneten Persönlichkeiten, die sich aber wenigstens mit irgend einer Spezialität begnügten, fand ihren Abschluß in Herrn Bompain, der als des Nabobs Sekretär, Haushofmeister und Vertauensmann sämtliche inneren Angelegenheiten unter sich hatte. Ein Blick auf die feierlich versimpelte Erscheinung, auf den verschwommenen Dorfschulmeisterkopf mit ungeschickt aufgestülptem Fes war genügend, um zu erkennen, was für einem Subjekt Geldinteressen wie die des Nabobs anheimgegeben waren. Endlich kamen noch, um die Lücken auszufüllen, die Vertreter der Levante hinzu, Tunisier, Marokkaner, Aegypter, Asiaten und, diesen exotischen Elementen beigemischt, eine einheimische bunte Zigeunerbande von abgehausten Adligen, zweifelhaften Industriellen, schmarotzenden Zeitungsschreibern, abenteuerlichen Erfindern und ohne einen roten Heller zugereisten »Landsleuten« aus dem Süden, mit einem Worte, alles, was von diesem großen Reichtum angezogen wurde, wie lecke, hilfsbedürftige Fahrzeuge oder im Dunkeln umherflatternde Möwen vom Schimmer eines Leuchtturmes. Aus Güte, aus Großmut duldete der Nabob solch zusammengewürfeltes Volk an seinem Tische, auch aus Schwäche und weil er mit einer gänzlichen Unkenntnis der Verhältnisse eine große Leichtlebigkeit verband, weil von seinem frühern Heimweh etwas in ihm zurückgeblieben war, etwas von jenem Mitteilungsbedürfnis, aus welchem er draußen in Tunis, in seinem prächtigen Palaste am Bardo, alles aufgenommen hatte, was von Frankreich hergefahren kam, vom kleinsten Kaufmann, der einen Ballen Pariser Waren ausschiffte, bis hinauf zum berühmten Klaviervirtuosen und zum Generalkonsul.

Es wäre unmöglich gewesen, zu sagen, wo man sich eigentlich befand, hätte man als Uneingeweihter diese verschiedenen Aussprachen, die fremdartig betonten, teils abgerissenen, teils überstürzten Worte gehört und die Gegensätze in den Physiognomiken beobachtet: die einen brutal, barbarisch, pöbelhaft, andre hypercivilisiert, Boulevardgesichter welk und weich wie überreife Birnen; – Gegensätze, die auch bei der Dienerschaft vertreten waren, unter welcher der gestern noch in irgend einem Hotel beschäftigte Kellner mit seinem Badergehilfenkopf und seiner unverschämten Miene hin und her huschte zwischen glänzenden Aethiopiern, die unbeweglich wie Riesenkandelaber aus schwarzem Marmor dastanden. Sicherlich hätte man sich eher an jeden andern Ort versetzt geglaubt, als mitten ins pulsierende Herz, in den Brennpunkt des modernen Pariser Lebens, an den Vendômeplatz. Ebenso fremdartig wirkte der Anblick der Tafel mit ihren ausländischen Speisen: die Safran- und Sardellensaucen, die komplizirten Gewürze, die türkischen Leckerbissen, die mit gebackenen Mandeln garnierten Hühner; das alles zusammen mit der banalen Einrichtung, dem vergoldeten Getäfel, dem schrillen Lärm der neuen Klingeln erinnerte an die Table d'hôte irgend eines großen Smyrnaer oder Kalkuttaer Hotels oder auch an den Speisesaal eines großen transatlantischen Dampfers.

Eigentlich hätte die Mannigfaltigkeit der Gäste, der Passagiere hätte ich bald gesagt, dem Mahle einen lebhaften, geräuschvollen Charakter verleihen sollen; aber weit gefehlt. Alle aßen mit wortkarger Nervosität, jeder den andern verstohlen beobachtend, und aus dem Blick selbst der Weltläufigsten unter ihnen, derjenigen, die sich am ungezwungensten zu bewegen schienen, starrte die Befangenheit eines bohrenden Hintergedankens, eine fieberhafte Unruhe; sie sprachen, ohne zu antworten, und hörten zu, ohne auch nur ein Wort von dem zu beachten, was zu ihnen gesagt wurde.

Da ging die Thür des Speisesaales plötzlich auf, »Ach! da kommt ja Jenkins,« rief der Nabob ganz vergnügt. »Willkommen, Doktor, willkommen! . . . Wie geht's denn, alter Kamerad?«

Ein summarisches Lächeln für die Gäste, ein kräftiger Händedruck für den Gastgeber, und Jenkins setzte sich diesem gegenüber neben Monpavon, vor das Gedeck, welches genau wie bei einer Table d'hôte, ohne besondern Befehl eiligst herbeigeschafft worden war.

Diese Figur stach, neben all den fieberhaft befangenen Menschen, doch wenigstens ab, durch den zufriedenen Sinn, die offne Heiterkeit, jenes gesprächige, verbindliche Wohlwollen, welches die Irländer gewissermaßen zu den Gascognern Englands macht. Und dann noch der gesunde Appetit; mit welcher Hingabe, mit welch ungetrübter Gewissensruhe arbeitete er, immer weiterredend, mit seinen zwei Reihen blendender Zähne.

»Nun haben Sie's gelesen, Jansoulet?«

»Was denn?«

»Wie? Sie wissen noch nichts? Sie haben noch nicht gelesen, was im ›Messager‹ über Sie geschrieben steht, heute morgen?«

Unter dem tiefen Braun seiner Wangen errötete der Nabob wie ein Kind: »Wirklich im ›Messager‹ wird von mir gesprochen?« sagte er mit freudestrahlenden Augen.

»Zwei volle Spalten, ich begreife nicht, daß Ihnen Moëssard seinen Artikel nicht zu lesen gibt.«

»Mein Gott,« sagte der bescheidene Verfasser, »es ist ja kaum der Rede wert.«

Moëssard war ein blonder, geschniegelter kleiner Journalist, ziemlich hübsch, aber von jenem abgelebten Aussehen, das Nachtkellnern, Komödianten und Dirnen eigen ist, und das teils vom konventionellen Gesichterschneiden, teils vom fahlen Gaslicht herrührt. Er galt für den bezahlten Liebhaber einer sehr leichtsinnigen Exkönigin. – Das wurde, wo er erschien, jedem ins Ohr geflüstert und verhalf ihm in seinen Kreisen zu einer vielbeneideten, schimpflichen Berühmtheit. – Jansoulet bestand darauf, den Artikel zu lesen, um endlich zu erfahren, was über ihn geschrieben werde. Leider hatte Jenkins sein Blatt beim Herzog liegen lassen.

»Gleich gehe einer hin und hole mir den heutigen ›Messager‹,« sagte der Nabob zu seinem hinter ihm stehenden Lakaien.

»Das braucht es nicht,« intervenierte Moëssard, »ich muß das Ding noch bei mir haben.« –

Und mit der Ungeniertheit eines Reporters, der im Bierhause, wo er Stammgast ist, zwischen dem ersten und zweiten Seidel seine vermischten Nachrichten hinschmiert, zog der Zeitungsschreiber ein dickes Portefeuille voll Notizen, Stempelbogen, Ausschnitten aus Journalen und Briefchen auf Atlaspapier mit Devisen hervor, die er, seinen Teller zurückschiebend, auf den Tisch ausstreute, um die Korrektur seines Artikels herauszufinden.

»Da!« und er reichte Jansoulet das Blatt hin; aber Jenkins protestierte.

»Nicht so . . . vorlesen!«

Da alles beistimmte, behielt Moëssard seine Korrektur in der Hand und gab laut und vernehmlich den Artikel zum besten: »Die bethlehemitische Stiftung und Herr François Jansoulet.« Daß dieser lange Dithyrambus über die künstliche Ernährung des Säuglings von Jenkins inspiriert war, ließ sich an gewissen abgedroschenen, dem Irländer besonders sympathischen Redensarten erkennen, wie die »lange Märtyrergeschichte der Kindheit« oder das »Söldnertum der Ammenbrust« oder die »Mutterstelle vertretende Ziege«. Den Schluß bildete nach einer pompösen Schilderung der prachtvollen Anstalt in Nanterre, eine Lobrede auf Jenkins und die Verherrlichung des Nabobs: »O, Francis Jansoulet, du Wohlthäter der Kindheit«. . . . Es wäre wirklich lohnend gewesen, den Aerger und die Entrüstung der Tischgesellschaft zu beobachten: »Ist das ein Intrigant, dieser Moëssard . . . nein so eine schamlose Lobhudelei«, und dabei verzerrte jeden Mund dasselbe neidische, geringschätzige Lächeln. Das Fatalste an der Situation bestand aber darin, daß man klatschen und sich entzückt stellen mußte, denn die Geruchsnerven des Herrn vom Hause waren für dergleichen Weihrauch noch nicht abgestumpft, und er faßte sowohl den Artikel, wie den dadurch hervorgerufenen Beifall sehr ernsthaft auf. Sein breites Gesicht strahlte bei jedem Worte. Wie oft hatte er draußen in der Fremde von einem solchen Lobgesang der Pariser Blätter geträumt, daß auch er etwas gelte in der Gesellschaft, der ersten unter allen, auf die sich, wie auf eine Sonne, die Augen der ganzen Welt richten. Jetzt war aus dem Traume Wahrheit geworden; er betrachtete die große Tafelrunde, die Ueberbleibsel des kostbaren Mahles, den getäfelten Speisesaal, der wohl ebenso hoch war, wie die Dorfkirche seiner Heimat, und lauschte dem dumpfen Geräusch des unter ihm hinrollenden und herumwimmelnden Pariser Treibens, mit dem tiefinneren Bewußtsein, bald als wichtiges Triebrad in die Thätigkeit dieser tausendgliedrigen Maschine einzugreifen. Und während er sich so im Wohlbehagen des Nachtisches und im Rhythmus der an ihn gerichteten Triumphhymne wiegte, entrollte sich durch ein Widerspiel der Gegensätze die Vergangenheit vor ihm, seine elende Kindheit, seine abenteuerliche, nicht minder erbärmliche Jugend, die Tage voll Hunger, die obdachlosen Nächte. . . . Dann plötzlich, als die Vorlesung zu Ende war, steigerte sich seine überströmende Herzensfreude zu einem jener Ausbrüche, die den Südländer oft zu lautem Denken zwingen, und indem er das offenherzige Lächeln seiner dicken Lippen über die Gäste gleichsam ausschüttete, rief er: »Ach, meine lieben, lieben Freunde, wie glücklich ich bin und wie stolz! . . .«

Erst vor sechs Wochen war er in Paris angekommen; abgesehen von zwei oder drei Landsleuten, kannte er die, die er seine Freunde hieß, kaum seit gestern und das nur, weil er ihnen Geld geliehen hatte. Deshalb machte dieser unmittelbare Gefühlsausbruch auch einen ziemlich sonderbaren Eindruck, aber Jansoulet war zu ergriffen, um dergleichen wahrzunehmen, und fuhr fort: »Wenn ich nach dem, was ich eben gehört, hier in dem großen Paris, umgeben von allem, was es an berühmten Namen, an hervorragenden Geistern besitzt, an die elterliche Bretterbude zurückdenke, jawohl, in einer Bretterbude bin ich geboren; mein Vater handelte mit alten Nägeln an einem Eckstein in dem Marktflecken St. Andéol . . . wenn's hoch kam, hatten mir täglich unser Stück Brot und jeden Sonntag eine Schüssel Fleisch. . . . Cabassu weiß davon zu erzählen, der hat mich damals schon gekannt, der soll nur sagen, ob ich lüge. . . . Ja, ja, ich kann ein Lied davon singen, vom Elend!«

Und mit plötzlich aufwallendem Selbstgefühl reckte er den Kopf in die Höhe und atmete den Trüffelduft ein, womit die schwüle Luft geschwängert war.

»Ich kann ein Lied davon singen und zwar vom echten Elend und von andauerndem, auch die Kälte hat mir zugesetzt und der Hunger, der wirkliche bittre Hunger, müßt ihr wissen, der betrunken macht, der den Magen zusammendreht, der dem Menschen einen Kreisel im Kopfe herumtreibt und die Sehkraft anpackt, als würden einem die Augenhöhlen mit Austernmessern ausgeräumt. Tagelang habe ich zu Bett gelegen, weil ich keinen Rock hatte zum Ausgehen, und selbst dann konnte ich noch von Glück sagen, denn manchmal hatte ich nicht einmal ein Bett. Bei allen Gewerken habe ich ums liebe Brot angeklopft, und so sauer ist mir's geworden, so schwarz und so hart war's, jenes Brot, daß ich jetzt noch einen bittern, schimmeligen Nachgeschmack davon verspüre. Und so ging's weiter bis in mein dreißigstes Jahr, jawohl, meine lieben Freunde, mit dreißig Jahren – und ich bin immer noch keine fünfzig – war ich noch derselbe Hungerleider, ohne einen Heller, ohne Zukunft, mit der armen Mutter auf dem Gewissen, die mittlerweile Witwe geworden war und in ihrer Bretterbude da drunten langsam verkümmerte vor Not, während ich ihr doch nichts geben konnte. . . .«

Bei Jansoulets Schilderung seiner Lage war der Gesichtsausdruck der Gäste recht beachtenswert; einige schienen unangenehm davon berührt, am unangenehmsten Monpavon, dem dieses Heraushängen des Hungertuches entsetzlich geschmacklos und ganz und gar unpassend vorkam, weshalb auch jetzt der Schwung seiner Nase an Hoffart etwas zugenommen hatte. Cardailhac, der skeptische Feinschmecker und abgesagte Feind aller Rührszenen, zerlegte stieren Blickes, wie hypnotisiert, eine an der Gabel aufgespießte Frucht in möglichst dünne Streifchen, beinahe so dünn wie Cigarettenpapier. Der Gouverneur hingegen zeichnete sich durch sein Mienenspiel voll platter Bewunderung und durch obligate Naturlaute der Verblüfftheit oder des Mitgefühles aus, indessen um des Kontrastes willen, bei dem nicht weit von ihm sitzenden Haudegen, Brahim Ben, die Vorlesung nach einem so üppigen Mahle ein Mittagsschläfchen bewirkt hatte; der Alte schlief und der Mund unter dem weißen Schnurrbart stand weit offen, das Gesicht aber glühte, weil ihn seine verschobene Militärhalsbinde würgte. Der Ausdruck der meisten aber war der der Gleichgültigkeit oder Langeweile. Was in aller Welt konnte auch, ich bitte Sie, diesen Menschen daran liegen, wie Jansoulet im Marktflecken St. Andéol seine Jugendzeit verbracht, wie er gelitten, sich abgeschunden? Um solcher Ammenmärchen willen hatten sie sich doch nicht herbemüht. Die scheinbar teilnehmenden Züge, die mit Nachzählen der Schnörkel an der Decke oder der Brotkrumen auf dem Tischtuche beschäftigten Blicke, die aus Furcht vor dem Gähnen zusammengepreßten Lippen verrieten die allgemeine Ungeduld über die so unzeitig vorgetragene Jugendgeschichte. Doch unverdrossen schwelgte der Nabob weiter im Rückblick auf seine vergangenen Leiden, wie der wohlgeborgene Seemann in den Erinnerungen an gefahrvolle Irrfahrten und Schiffbrüche auf fernen Meeren. Dann kam die Wendung zum Guten an die Reihe, der wunderbare Zufall, der ihn plötzlich in die Bahn des Glückes hineingetrieben.

»Ich irrte nämlich gerade auf dem Marseiller Hafendamme umher mit einem ebenso zerlumpten Kameraden, der sich dann auch beim Bey bereicherte, und nachdem ich als Bruder und Compagnon alles mit ihm geteilt, mein bitterster Feind geworden ist. Ich darf ihn schon nennen, warum nicht; der Name Hemerlingue ist ja weltbekannt. Jawohl, meine Herren, der Chef des großen Bankhauses Hemerlingue und Sohn' war damals zu arm, um sich bei einem Hökerweibe für zwei Sous Feigen zu kaufen. . . . Von der Wanderlust angeduselt, die dort in der Luft liegt, gerieten wir auf den Einfall, auf und davon zu gehen und unser Fortkommen drüben im sonnigen Süden zu suchen, weil uns das Abendland so roh zurückstieß. Aber wohin zunächst? Wir machten es, wie zuweilen die Matrosen, wenn sie nicht wissen, in welcher Kneipe sie ihre Löhnung durchbringen wollen; da heftet man nämlich ein Stück Papier an seinen Hut, bringt diesen an seinem Stocke zum Drehen, und wenn er wieder stillsteht, folgt man der Richtung des Papieres. Für uns deutete der Magnet auf Tunis . . . Acht Tage darauf stieg ich mit einem halben Louisdor in der Tasche ans Land, und jüngst kam ich zurück mit fünfundzwanzig Millionen.«

Dieser Schluß zündete ringsum wie ein elektrischer Schlag, daß es aufblitzte in allen Augen, sogar in denen der Dienerschaft. Cardailhac lispelte ein anerkennendes »Teufel auch« und Monpavons Nase nahm einen menschenfreundlichen Ausdruck an.

»Ja, Kinder, fünfundzwanzig flüssig gemachte Millionen, das nicht einmal miteingerechnet, was in Tunis zurückgeblieben ist, meine zwei Paläste am Bardo, meine Schiffe im Kanal von Gouletta, meine Diamanten und Pretiosen, was alles in allem gewiß das Doppelte ausmacht. Und ihr wißt ja,« fügte er mit seinem guten Lächeln und seiner pöbelhaft schnarrenden Stimme hinzu, »wenn man auch mäht, das Gras wächst wieder nach.«

Die ganze Tischgesellschaft sprang wie ein Mann von den Stühlen auf: »Bravo . . . ah . . . bravo!«

»Pompös!«

»Sehr patent – in der That, sehr!«

»Das hat Hand und Fuß!«

»Und so ein Mann ist noch nicht Abgeordneter?«

»Muß es werden oder ich will ein Narr heißen,« rief der Gouverneur darein, und in der Raserei der Bewunderung ergriff er, da er seinen Enthusiasmus gerade nicht besser geltend zu machen mußte, des Nabobs dicke, haarige Hand und führte sie unwillkürlich an die Lippen. . . . Gleich oben hinaus, diese Korsen! –

Da alles schon auf den Beinen war, setzte man sich nicht mehr nieder und freudetrunken gab Jansoulet das Zeichen zum Aufbruch.

»Zum Kaffee jetzt, meine Herren!« rief er, indem er die Serviette von sich warf. Sofort drängte man sich in geräuschvoller Fröhlichkeit nach den Salons, in deren weiten Räumen Gold und wieder nur Gold die Stelle von Licht, Pracht und Schmuck vertreten mußte; Gold strahlte, sonnenhaft blendend, von den Plafonds, Gold floß in Streifen, Stäbchen, Arabesken, kurz in allen möglichen Formen an den Wänden nieder, beim Rollen eines Fauteuils oder beim Oeffnen eines Fensters blieb einem eine Spur davon an den Händen zurück und selbst die senkrechten Falten der Portieren und Gardinen hatten etwas metallisch Steifes und Schillerndes, als wären auch sie in diesem Paktolus gebadet worden.

Aber diese Räume hatten nichts Persönliches, nichts Trauliches, nichts liebevoll Ausgedachtes, nichts, was sie vom frostigen Luxus einer Hoteleinrichtung unterschied. Was aber den Eindruck einer Nomadenwirtschaft, einer provisorischen Einrichtung noch erhöhte, das war die Vorstellung des Wandelbaren, welche dem aus fernliegenden Quellen geschöpften Vermögen anhaftete, wie eine Unsicherheit oder eine Drohung.

Der Kaffee wurde in orientalischer Manier, mitsamt dem Satz, in kleinen Tassen mit silbernen Filigranverzierungen serviert. Die Gäste gruppierten sich um den dampfenden Mokka und schlürften ihn hastig hinunter, indem sie einander gegenseitig überwachten. Vor allem galt es, dem Nabob aufzulauern, und man verbrühte sich die Zunge, um ja bei der ersten günstigen Gelegenheit über ihn herzufallen, ihn in einen Winkel dieser Riesengemächer mit fortzuziehen und dort endlich ein Darlehen durchzusetzen. Das und nichts andres sehnten sie schon seit zwei Stunden herbei, das war der Zweck ihres Besuches, das ihre fixe Idee und deshalb hatten sie bei Tische mit jener starren, bloß scheinbaren Aufmerksamkeit dagesessen. Jetzt aber genug des Zwanges und der Spiegelfechterei! Ist es doch in diesem Kreise von sonderbaren Existenzen männiglich bekannt, daß in dem überbürdeten Leben des Nabobs für vertrauliche Audienzen nur diese Nachmittagsstunde übrig bleibt, und da jeder zu Worte kommen will, weil jeder hier ist, um vom goldnen Vließ, das sich so gemütlich selbst zu Markte trägt, seine Handvoll Wolle auszurupfen, so wird eben nicht mehr zugehört; man ist ganz bei der Sache. Der gute Jenkins eröffnete den Reigen. Er hat seinen Freund Jansoulet in eine Fensternische entführt und legt ihm den Kostenüberschlag der Niederlassung in Nanterre vor. Ein tüchtiger Brocken, das weiß Gott, hundertfünfzigtausend Franken für den Ankauf, ferner eine beträchtliche Summe für Einrichtung, Personal, Bettzeug, Ziegenherde, Equipage des Direktors und sonstiges Fuhrwerk, um die Kinder an der Bahn abzuholen. . . . Allerdings viel Geld, aber wie gut sollen sie's dafür haben, die lieben Kleinen, welch eine Wohlthat für Paris, für die ganze Menschheit; die Regierung wird nicht umhin können, ein so uneigennützig dargebraches, philanthropisches Opfer mit einem Bündchen ins Knopfloch zu belohnen. . . . Die Ehrenlegion zum 15. August. . . . Dieses Zauberwort gibt Jenkins gewonnenes Spiel, Mit jener fröhlichen Fettstimme, die fortwährend klingt, als riefe sie ein Frachtschiff durch den Nebel an, wird Bompain herbeicitiert. Der Mann mit dem Fes reißt sich von den Liqueurflaschen los und durchschreitet majestätisch das Gemach; nach kurzem Hin- und Hermurmeln entfernt er sich und kommt mit einem Schreibzeug und einem Heft zurück, dessen lösbare Blätter fast von selbst unter den Fingern wegfliegen. Es ist doch etwas Schönes um den Reichtum, auf dem Knie unterschreibt Jansoulet einen Check von zweimalhunderttausend Franken so leichthin, wie er einen Louisdor aus der Tasche gezogen hätte. Ueber ihre Tassen hinwegschielend, verfolgen die andern diese kleine Szene mit wütenden Blicken. Dann im Moment, wo Jenkins lächelnd und leichten Schrittes, den verschiedenen Gruppen noch seinen Gruß zuwinkend, abgeht, faßt Monpavon den Gouverneur beim Arm: Jetzt! . . . Und auf den Nabob losstürzend, reißen ihn die beiden mit sich fort zu einem Diwan hin, auf den sie ihn niederziehen, um ihn zwischen sich festzuklemmen mit einem gleißenden, feinen Lächeln, das soviel bedeutet, wie: So, was wollen wir ihm jetzt thun? – Geld herausklopfen, zum Henker! So viel Geld wie nur immer möglich, sonst machen wir die »Territorialkasse« nie mehr flott, die seit Jahren festgefahren und schon bis an die Mastspitzen im Sande versunken ist, eine prächtige Spekulation, dieses Wiederflottmachen, falls die beiden Herren wahr sprechen, denn die versunkene Kasse strotzt von Goldbarren und sonstigen Kostbarkeiten, vom tausendfältigen Reichtum eines jungen Landes, das jedermann im Munde führt, aber niemand kennt. Mit diesem unvergleichlichen Unternehmen hat Paganetti von Portovecchio die monopolisierte Verwertung sämtlicher Erwerbsquellen von Korsika bezweckt, als da sind: Eisenschwefel- und Kupferbergwerke, Marmorbrüche, Korallenfischerei, Austernzucht, eisen- und schwefelhaltige Wasser, unermeßliche Chuja- und Korkeichenwälder – eine Verwertung, die durch ein durchgehendes Eisenbahnnetz und eine Dampfschiffverbindung zu erleichtern wäre, das ist jenes gigantische Unternehmen, vor welches sich Paganetti eingespannt hat. Nachdem dasselbe schon beträchtliche Kapitalien verschlungen, wird nun der neu Hinzugekommene, der Arbeiter der letzten Stunde, den ganzen Nutzen daraus ziehen.

Während der Korse mit seinem italienischen Accent unter dem überschwenglichsten Gebärdenspiel die glänzenden Vorteile des Geschäftes aufzählt, stimmt Monpavon mit überzeugtem Kopfnicken vornehm und würdevoll bei und läßt, wo es ihm geraten scheint, von Zeit zu Zeit den Namen des Herzogs von Mora mit unterlaufen, dessen Zugkraft sich beim Nabob noch stets bewährt hat.

»Aber kurz und gut, wie viel müßte man zuschießen?« – »Millionen!« antwortet Monpavon mit der stolzen Zuversicht eines Mannes, der um eine anderweitige Ansprache nicht verlegen ist. »Jawohl, Millionen, aber dafür ist es auch ein prächtiges Geschäft, meint Seine Exzellenz, mit dem sich ein Kapitalist zu einer hervorragenden, selbst politisch bedeutsamen Stellung emporschwingen dürfte.«

»Bedenken Sie nur gefälligst, Korsika, ein Land, das finanziell brach liegt! . . . Zum Generalrat könnte man's dort bringen, zum Abgeordneten. . . .«

Den Nabob überläuft's und Paganetti hat gefühlt, daß es an der Angelschnur bereits zupft.

»Abgeordneter,« ruft er, »versteht sich. Ich brauche nur zu wollen: ein Wink von mir und die ganze Insel liegt Ihnen zu Füßen.« Und nun bricht er in einen betäubenden Redefluß aus und schließt, nach einer Aufzählung der Stimmen, die ihm zu Gebote stehen, der Bezirke, die sich bei seinem Aufruf erheben werden, mit den Worten: »Sie schießen ihre Kapitalien zu, ich führe Ihnen ein ganzes Volk in die Arme.«

Das Geschäft ist durch, »Bompain, Bompain,« ruft der Nabob. Er ist begeistert, er fürchtet nunmehr, das Ding weggeschnappt zu bekommen, und um Paganetti, der aus seinen Geldbedürfnissen kein Hehl gemacht, zu binden, beeilt er sich, an die Territorialkasse eine Abschlagssumme zu zahlen.

Hierauf abermaliges Auftreten des Mannes mit der roten Kappe und dem bewußten Heft, welches er salbungsvoll an die Brust drückt, wie ein Chorknabe, der das Evangelium auf eine andre Seite des Altars hinträgt, und neue Uebergabe eines von Jansoulet unterschriebenen Blattes, das vom Direktor zwar mit gleichgültiger Miene eingeschoben wird, dann aber eine plötzliche Umwandlung in seiner ganzen Haltung bewirkt. Der eben noch so demütige, platte Paganetti wirft sich beim Abgehen in die Brust, wie einem Manne geziemt, den viermalhunderttausend Franken wieder ins Gleichgewicht gebracht haben, und Monpavon, hochtrabender noch als sonst, steigt ihm nach, überwacht ihn mit mehr als väterlicher Fürsorge.

»Das wäre wieder einmal ein gutes Geschäft,« denkt der Nabob, »jetzt will ich meinen Kaffee trinken;« aber es schneiden ihm ihrer zehn den Weg ab, der Flinkste und Geschickteste unter ihnen, der Theaterdirektor Cardailhac, schnappt nach ihm und zieht ihn in ein entlegenes Gemach fort. – »Nur auf ein Wort, mein Bester! Ich muß Ihnen die Situation unsers Theaters klar legen« – jedenfalls eine sehr verwickelte Situation, denn da kommt schon wieder Herr Bompain gegangen und wiederum fliegen ein paar Blätter aus dem blauen Heft. Wer kommt jetzt wohl an die Reihe? Zunächst Moëssard, der Journalist, der sich seinen Artikel im »Messager« bezahlen läßt, damit der Nabob doch auch erfahre, was es kostet, in den Morgenblättern als »Wohlthäter der Kindheit« gepriesen zu werden. Dann der Geistliche aus der Provinz, welcher ein Baukapital für seine Kirche begehrt und mit der Ungeschliffenheit eines »Peter von Amiens« Sturm läuft auf die Checks. Da kommt der alte Schwalbach heran mit der kleinen Nase und dem großen Barte und zwinkert geheimnisvoll mit den Augen und fängt mit seinem echtesten deutschen Accent zu flüstern an. – Eine Perle hat er entdeckt für die Galerie seines Auftraggebers, einen Hobbema aus der Sammlung des Herzogs von Mora, aber es sind ihrer schon etliche, die danach hinschielen, und es wird schwer halten. . . . »Ich will ihn haben um jeden Preis,« sagt der Nabob, durch den Namen des Herzogs schon wieder geködert, »diesen Hobbema muß ich bekommen . . . hören Sie, Schwalbach, zwanzigtausend Franken sind Ihnen gewiß, wenn Sie mir den Vogel herabschießen.«

»Ich werde mein möglichstes thun, Herr Jansoulet.«

Und im Weggehen berechnet der alte Schelm, daß die Zwanzigtausend des Nabobs, addiert zu den Zehntausend, die ihm der Herzog versprochen, falls er ihm das Bild vom Halse schaffen sollte, einen ganz netten Gewinn ausmachen werden.

Während die Glücklichen also vorübermarschieren, stehen die andern immer noch lauernd herum und kauen sich, rasend vor Ungeduld, die Nägel zu schanden, denn alle sind sie ja mit gleicher Absicht hergekommen. Vom guten Jenkins an, welcher den Zug eröffnet hat, bis zum Masseur Cabassu herunter, der ihn schließt, entführen sie alle den Nabob in ein abgelegenes Gemach, doch wie weit sie ihn in dieser Flucht von Empfangssälen auch fortschleppen mögen, es findet sich überall irgend eine indiskrete Glasfläche vor, auf der sich die Umrisse des Herrn vom Hause und das Mienenspiel seines breiten Rückens abspiegeln, und eine Beredsamkeit entwickelt dieser Rücken – wunderbar! Zuweilen bäumt er sich entrüstet auf: »Oha, das geht denn doch zu weit!« oder er bricht in komischer Resignation zusammen: »Wenn's durchaus sein muß, in Gottes Namen!« Und dabei immer, in irgend einem Winkel, als obligate Staffage, der Fes Bompains . . .

Kaum ist der letzte fort, so beginnt eine neue Serie; nachdem die großen Fische im wilden Kampf ums Dasein ihre Brocken erjagt, schwimmen die Gründlinge heran zur Nachlese. So zieht denn durch diese goldig schimmernden Räume ein unaufhörliches Hin und Her, ein Geräusch von auf- und zugemachten Thüren, ein durch dieses kolossale Vermögen und diese unglaubliche Zugänglichkeit aus allen Ecken und Enden von Paris und Umgegend hergelenkter Golfstrom schamloser, gewerbsmäßiger Ausbeutung. Bei diesen kleineren Beträgen, dieser fortwährenden Verteilung kam nicht mehr das Checkbuch zur Verwendung, sondern eine Mahagonikommode, die der Nabob zu diesem Zwecke in einem seiner Salons stehen hatte. Dieses abscheuliche Möbel, in dem sich die Ersparnisse einer Portierlaufbahn verkörperten, und das Jansoulet abergläubisch in Ehren hielt wie einen Spielertisch, war das erste Stück Hausrat, das er eingekauft, als es ihm möglich geworden war, eine eigne Wohnung zu beziehen. Es enthielt in seinen drei Schubladen immer zweimalhunderttausend Franken in barem Geld, und aus dieser Hilfsquelle pflegte er an den Tagen zu schöpfen, wo er große Audienzen erteilte. Er setzte dann einen gewissen Stolz drein, so recht plump im Silber und Gold herumzuwühlen, seine Taschen damit vollzupfropfen und es daraus hervorzuziehen, wie die Viehhändler auf dem Markte, indem er mit einem eigentümlichen, ordinären Handgriff die Rockschöße auseinander hob, »um ja tief genug in den Haufen hineinzulangen«. – In der kleinen Kommode hinterließ die heutige Geldausteilung jedenfalls entsetzliche Lücken.

Als nach all dem geheimnisvollen Hin- und Herflüstern, nach den mehr oder minder verblümten Geldforderungen, nach den unvermuteten Besuchen und triumphierenden Abgängen, der letzte Klient abgefertigt und die Kommode wieder zugeschlossen war, hatte es bereits vier geschlagen, und schon brach jene frühe Dämmerung der Novemberabende herein, die bei Licht sich so unendlich lang hindehnen. Die Bedienten trugen das Kaffeegeschirr und die Liqueurflaschen ab und schafften die offenstehenden halbleeren Cigarrenkistchen fort. »Endlich einmal Ruhe« murmelte der Nabob vor sich hin, indem er erleichtert aufatmete.

Aber nein, er ist noch nicht allein: dort drüben in einem Winkel, wo es schon dunkelt, tauchen die schwarzen Umrisse eines verspäteten Bittstellers auf, der mit einem Briefe in der Hand herantritt.

»Noch einer!«

Und sofort, ohne sich zu besinnen, fuhr der arme Mann mit seiner ausdrucksvollen Viehhändlergebärde nach der Tasche. Aber ebenso unwillkürlich prallte der Besucher mit so entschieden beleidigter Miene zurück, daß der Nabob seinen Irrtum einsah und sich nun die Mühe gab, den jungen Mann zu betrachten, der vor ihm dastand in einfacher, aber untadelhafter Kleidung, noch ganz bartlos, mit mattem Teint und regelmäßigen, für sein Alter beinahe zu ernsten und abgeschlossenen Zügen; dieser Ausdruck und dazu das blaßblonde, dicht gekräuselte Haar, welches an eine gepuderte Perücke erinnerte, gaben ihm das Aussehen eines jungen bürgerlichen Abgeordneten aus der Zeit Ludwig XVI., etwa eines zweiundzwanzigjährigen Varnave. Die Physiognomie kam dem Nabob, wiewohl er sie zum erstenmal sah, nicht völlig unbekannt vor.

»Was wünschen Sie, mein Herr?« fragte er und trat, nachdem ihm der junge Mann seinen Brief überreicht hatte, ans Fenster, um ihn zu lesen.

»Schau, schau, von meiner Mama,« sagte er. Und das klang so beglückt, dies Wort »Mama« kam mit einem so jugendlichen herzlichen Lächeln über das ganze Gesicht heraus, daß der junge Mann, den die ordinäre Erscheinung des Emporkömmlings anfangs abgestoßen hatte, sich jetzt sympathisch zu ihm hingezogen fühlte.

Halblaut überlas der Nabob die paar Zeilen, deren grobe, fehlerhafte und unsichere Schriftzüge zu dem großen extrafeinen Papier und der Ortsangabe »Schloß Saint-Romans« keineswegs stimmten.

»Mein lieber Sohn, diesen Brief überbringt Dir der Erstgeborene des Herrn von Géry, des früheren Friedensrichters in Saint-Andéol, der immer so freundlich mit uns war. . . .«

»Ich hätte Sie gleich erkennen sollen, Herr von Géry,« unterbrach sich der Nabob: »Sie sehen Ihrem Vater ähnlich. . . . Bitte, nehmen Sie doch Platz.«

Dann las er den Brief zu Ende. Seine Mutter verlangte nichts Bestimmtes von ihm und empfahl ihm nur, mit Rücksicht auf das viele Gute, was die Familie von Géry früher an ihnen allen gethan, den nunmehr verwaisten Herrn Paul, der auch noch für seine zwei jüngeren Brüder zu sorgen hatte und in Paris sein Glück versuchen wollte, nachdem er in der Heimat seine Prüfungen bestanden. Sie bat Jansoulet inständigst, ihm an die Hand zu gehen, denn er könne es gar zu gut brauchen, der arme Kleine. Die Unterschrift lautete: »Deine Mutter Françoise, die das Heimweh nach Dir hat.« Diesen Brief von der alten Frau, die er sechs Jahre nicht mehr gesehen, die altbekannten vaterländischen Redewendungen, die grobe Handschrift, aus der ihn ein angebetetes Gesicht anschaute, ganz verbrannt und voller Runzeln und Risse, aber doch so freundlich blickend unter der bäuerischen Haube – das alles war dem Nabob zu Herzen gegangen. Seit sechs Wochen, seitdem er wieder in Frankreich war, mitten unter seinen Uebersiedelungsstrapazen, schon hineingerissen in den Strudel der Weltstadt, hatte er noch keinen Gedanken gehabt für die liebe Alte; und nun, beim Anblick dieser Zeilen, stand sie plötzlich vor ihm da. Er starrte eine Zeitlang vor sich hin, auf den Brief, der zwischen seinen plumpen Fingern zitterte, und sagte dann, als es wieder ruhiger in seinem Inneren geworden: »Ich bin aufrichtig erfreut, Herr von Géry, daß sich mir eine Gelegenheit bietet, die Güte, welche die Ihrigen für meine Eltern gehabt, ein klein wenig zu vergelten. Von heute an nehme ich Sie zu mir, wenn es Ihnen recht ist. Sie sind unterrichtet und, wie mir scheint, auch begabt: Sie können mir von großem Nutzen sein. . . . Ich habe tausenderlei Pläne, tausenderlei Geschäfte. . . . Man bringt mich mit einer Unmasse von großen industriellen Unternehmungen in Verbindung . . . da brauche ich schon jemand, der mir aushilft, der mich im Notfall auch vertreten kann. Zwar hab' ich bereits einen Sekretär und Verwalter, den braven Bompain, aber der Aermste findet sich in Paris nicht zurecht, er ist wie vor den Kopf geschlagen, seitdem wir hier sind. Sie können allerdings einwenden, daß auch Sie aus der Provinz hereingeschneit kommen, aber das thut nichts. . . . Wenn man gebildet ist wie Sie, ein flinker, geschmeidiger Südländer, hat man's gleich los, wie es hier zugeht. Uebrigens mache ich mich anheischig, Ihnen das beizubringen, und so werden Sie, dafür steh' ich Ihnen gut, sich in wenigen Wochen auf dem Boden der Boulevards ebenso sicher bewegen, wie ich selber.«

Ach, es war wirklich rührend, anzuhören, wie er in seinem Marseiller Jargon von der Sicherheit und Sachkenntnis sprach, mit der er sich auf dem Pariser Boden bewegte, der arme Mann, der's zeitlebens nicht über den ABC-Schützen hinausbringen sollte.

»Also abgemacht, nicht wahr? Sie sind mein Sekretär; ich setze Ihnen ein Jahresgehalt aus, über das wir uns gleich verständigen wollen, und gebe Ihnen die Mittel an die Hand, in kurzer Frist Ihr Glück zu machen.«

Da der junge Mann so mit einem Mal aller Sorgen des frisch angekommenen Bittstellers und Neulings überhoben, sich nicht zu rühren getraute, um nicht aus einem Traume zu erwachen, fügte der Nabob mit sanfter Stimme hinzu: »So, jetzt setzen Sie sich zu mir her und erzählen Sie mir von meiner Mama!«


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