Alphonse Daudet
Fromont junior
Alphonse Daudet

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Siebentes Kapitel.

Echte Perlen und falsche Perlen

»Was hat sie nur? . . . Was kann ich ihr gethan haben?« fragte sich Claire Fromont immer wieder, wenn sie an Sidonie dachte.

Sie hatte von dem, was in Savigny zwischen ihrer Freundin und Georges vorgegangen war, nichts erfahren, und ihr reiner Sinn, ihr stilles, klares Gemüt machten sie unfähig, das neidische, begehrliche Wesen zu verstehen, das sich seit fünfzehn Jahren ihr zur Seite entfaltete. Dennoch – ohne daß sie sich dessen deutlich bewußt war – beängstigte sie der kalte, rätselhafte Blick, der sie aus diesem hübschen Gesichtchen anlächelte, und wenn Sidoniens seltsame, einer Jugendfreundin gegenüber geradezu unnatürliche Höflichkeit plötzlich einem kaum verhaltenen Aerger, einem herben, schneidenden Tone wich, geriet Claire in eine Bestürzung, der sich hin und wieder ein seltsames Vorgefühl, die unbestimmte Ahnung eines großen Unglücks zugesellten. Ja gewissermaßen sind alle Frauen Hellseherinnen und selbst den treuesten unter ihnen werden oft – trotz ihrer völligen Unkenntnis des Bösen – plötzliche Erleuchtungen von wunderbarer Deutlichkeit zu teil.

Hin und wieder, wenn Claire Fromont eine längere Unterredung mit der Jugendfreundin gehabt hatte, oder wenn ihr, bei einer unerwarteten Begegnung, das Gesicht derselben ihre wahre Empfindung verriet, begann sie wohl ernstlicher über die kleine seltsame Sidonie nachzudenken, aber die unabweislichen Anforderungen des täglichen Lebens, die ihre Thätigkeit und ihre Neigungen vollständig in Anspruch nahmen, ließen ihr nicht Zeit, sich um scheinbare Kleinigkeiten zu kümmern.

Es gibt Zeiten im Leben des Weibes, die an plötzlichen Wandlungen so reich sind, daß auch Gesichtskreis und Anschauungen dadurch völlig verändert werden.

In früheren Tagen hätte sich Claire um diese Freundschaft gegrämt, die, wie von böswilliger Hand zerrissen, von ihr abfiel. Aber nun hatte sie mit dem Vater das liebste, fast das einzige Herzensglück ihres jungen Lebens verloren. Dann hatte sie geheiratet; das Kind, mit seinen holden, alles verdrängenden Ansprüchen war ihr geboren und zu alledem hatte sie die Mutter bei sich, die seit dem plötzlichen Tode des Gatten völlig kindisch geworden war. – In diesem so nach allen Seiten ausgefüllten Leben gab es wenig Raum für Sidoniens Launen; selbst über ihre Heirat mit Risler hatte Claire keine Zeit gefunden, sich zu wundern. Er war wohl eigentlich zu alt für sie . . . aber da sie sich lieb hatten, kam nichts darauf an.

Jede Regung von Mißgunst über den Aufschwung in der gesellschaftlichen Stellung der kleinen Chèbe, die jetzt gewissermaßen ihresgleichen geworden, war selbstverständlich Claires edler Natur unmöglich. Sie hatte im Gegenteil den herzlichen Wunsch, die junge Frau, die mit ihr unter einem Dache lebte, gleichsam an ihrem eignen Daheim Anteil hatte, glücklich und geachtet zu sehen. Mit liebevoller Sorgsamkeit suchte sie deren Schritte zu leiten und sie in die Formen der Gesellschaft einzuweihen – wie eine begabte Provinzbewohnerin, der es nur an Erfahrung fehlt, um sich richtig zu benehmen.

Das Erteilen solcher Ratschläge ist jedoch unter zwei jungen, hübschen Frauen eine schwierige Aufgabe. Mochte Claire Fromont, wenn sie die Freundin vor einem großen Diner in ihre Schlafstube nahm, noch so freundlich lächeln, während sie sagte: »Zu viel Schmuck, liebes Herz . . . auch vergiß nicht, daß Blumen im Haar nur zu ausgeschnittenen Kleidern getragen werden«, Sidonie wurde jedesmal rot vor Zorn und hatte, während sie der Ratgeberin dankte, eine neue Beleidigung in ihrem Gedächtnis zu verzeichnen.

Uebrigens wurde Sidonie im Fromontschen Umgangskreise mit einer gewissen Kälte aufgenommen. Dem Faubourg Saint Germain macht man seine Ansprüche zum Vorwurf, aber auch der Marais hat die seinigen!

Alle diese reichen Kaufmannsfrauen und Fabrikantentöchter kannten die Geschichte der kleinen Chèbe und würden sie auch ohne das aus ihrer Haltung, ihrem Benehmen erraten haben.

Sidonie mochte sich noch so viele Mühe geben, ihr Wesen behielt etwas vom Ladenmädchen. Ihre erkünstelte, hin und wieder unterthänige Zuvorkommenheit erinnerte an den erzwungenen höflichen Ton der Verkäuferinnen, nahm sie aber eine hochmütig-verächtliche Miene an, so glich sie einer jener ersten Ladenmamsellen, welche in eleganten Modemagazinen in schwarzseidenen Kleidern prangen, die sie abends in der Garderobe des Geschäftes abgeben müssen, tagsüber aber aus stolz aufgetürmten Locken voll Nichtachtung auf die geringeren Leute niedersehen, welche sich erdreisten, von ihren Preisen etwas abzuhandeln.

Sidonie hatte das Gefühl, beobachtet, beurteilt, getadelt zu werden, und der Mangel an Sicherheit trieb sie mehr und mehr in eine feindselige Haltung. Die Namen, die sie nennen hörte, die Feste, Vergnügungen und Bücher, von denen gesprochen wurde, waren ihr unbekannt. Claire that zwar, was sie konnte, um ihre Schutzbefohlene zu unterrichten, sie mit Freundeshand in ihren Lebenskreis einzuführen und darin zu halten; aber viele der Damen fanden Sidonie hübsch und das genügte, um ihr das Eindringen in diese Gesellschaft zum Vorwurf zu machen. Andre, die auf die Stellung des Gatten, auf ihren Reichtum stolz waren, demütigten die kleine Parvenue durch verächtliches Schweigen oder unverschämt-höfliche Herablassung.

Sidonie bezeichnete sie mit den Worten: »Claires Freundinnen«, was im Grunde »meine Feindinnen« bedeutete. Ihr Zorn gegen sie alle richtete sich aber gegen eine einzige.

Die beiden Compagnons hatten keine Ahnung von dem Verhältnis zwischen ihren beiden Frauen. Risler senior, der in die Erfindung seiner Druckpresse versunken war, blieb oft bis mitten in die Nacht am Zeichenbrette, indes Fromont Junior seine Tage zum größten Teil außerhalb des Hauses zubrachte, im Klub frühstückte und sich nur selten in der Fabrik sehen ließ. Er hatte seine Gründe dazu.

Mit Sidonie unter einem Dache zu leben, wurde ihm zur Qual. Die leidenschaftliche Neigung, die er für sie empfunden und dem letzten Willen seines Onkels zum Opfer gebracht hatte, beschäftigte seine Erinnerung und erfüllte ihn mit brennender Sehnsucht nach dem für immer Verlorenen, und da er sich schwach fühlte, ergriff er die Flucht. Er war eine weiche, haltlose Natur, scharfsichtig genug, sich selbst zu kennen, aber zu schwach, sich zu beherrschen. An Rislers Hochzeitstage hatte er in der Nähe der Braut – obwohl er damals erst seit einigen Monaten verheiratet war – alle Aufregungen des Gewitterabends von Savigny noch einmal durchlebt und hatte seitdem, ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, sorgsam vermieden, Sidonie zu sehen oder von ihr zu sprechen. Da sie aber unglücklicherweise dasselbe Haus bewohnten und die Frauen zehnmal täglich zusammenzukommen pflegten, waren zufällige Begegnungen kaum zu verhüten, und so griff der junge Mann, um seiner Pflicht treu zu bleiben, zu dem seltsamen Auskunftsmittel, seiner Häuslichkeit zu entfliehen und außerhalb derselben Zerstreuung zu suchen.

Claire sah darin nichts Ungehöriges, denn schon ihr Vater hatte sie an das beständige Hin und Her des Geschäftslebens gewöhnt. Während ihr Gatte abwesend war, füllte die junge Hausfrau und Mutter ihre Tage durch allerlei Aufgaben, durch Handarbeiten, durch Spazierfahrten mit dem Kinde, durch langes Verweilen in sonnig-milder Luft aus, und wenn sie heimkehrte, war sie so beseligt von dem Gedeihen ihrer Kleinen, so erfrischt von dem fröhlichen Leben der Kinderschar, die sie im Freien beobachtet hatte, daß noch lange ein Widerschein dieser Lust in ihren ernsten Augen leuchtete.

Auch Sidonie ging häufig aus und oft, wenn Georges' Coupé abends in den Thorweg einfuhr, mußte Madame Risler, die eben erst in glänzender Toilette von weiten Stadtwegen nach Hause kam, hastig beiseite treten. Der Boulevard, die Schaufenster, ihre Einkäufe, die sie, um das ungewohnte Glück des Geldausgebens auszukosten, erst nach langem Wählen zu machen pflegte, hielten sie so lange fern. Dann wurde auf der Treppe ein Gruß, ein kalter Blick gewechselt, Georges trat schnell, wie Zuflucht suchend, in seine Wohnung und verbarg die Erschütterung, die er eben erlitten, unter den Liebkosungen, mit denen er sein Kind überhäufte. – Sidonie dagegen schien sich an nichts zu erinnern, schien für die feige, nachgiebige Natur dieses Mannes nur Verachtung zu fühlen. Außerdem wurde sie jetzt durch andre Interessen in Anspruch genommen.

Zwischen die Fenster im roten Salon hatte ihr Mann ein Klavier stellen lassen. Nach langem Ueberlegen hatte sich Sidonie entschlossen, Singstunden zu nehmen – Klavier spielen zu lernen, war es doch wohl etwas zu spät – und zweimal wöchentlich, von zwölf bis ein Uhr mittags, erschien Madame Dobson, eine hübsche, blonde, sentimentale Gesangslehrerin. Wenn dann in der Stille der angrenzenden Höfe die bei offnen Fenstern gesungenen, zehnmal wiederholten, langgezogenen a–a–a, c–c–c– erklangen, hätte man die Fabrik für ein Mädchenpensionat halten können.

Eine Art Schulmädchen war es denn auch, das sich dort abmühte; eine haltlose, unerfahrene, kindische Seele, die noch alles zu lernen hatte, um sich zum echten Weibe auszubilden. Freilich begnügte sich ihr Ehrgeiz mit der Oberfläche der Dinge.

»Claire Fromont spielt Klavier, ich werde singen; sie gilt für eine elegante, feingebildete Frau . . . dafür will ich auch gelten.«

Aber anstatt sich nun wirklich zu bilden, brachte sie ihre Tage damit zu, von einem Laden zum andern zu pilgern. Ihre Hauptfrage war: »Was wird diesen Winter getragen?« und immer fiel ihre Wahl auf die Prachtstücke der Schaufenster, auf alles, was die Augen der Vorübergehenden anlockte. Von den falschen Perlen, die ihr so lange durch die Hände gegangen waren, schien ihr etwas an den Fingerspitzen hängen geblieben zu sein, etwas von deren trügerischem Glanz, deren hohler Gebrechlichkeit. Sie selbst glich einer dieser runden, glänzenden, schön gefaßten falschenen Perlen, die ein ungeübtes Auge täuschen können, während Claire Fromont eine echte Perle war, von ebenso tiefem als sanftem Feuer. Der Unterschied wurde fühlbar, sobald man sie nebeneinander sah. Die eine, das ließ sich nicht verkennen, mußte von frühester Kindheit an Perle gewesen sein – eine kleine Perle, deren Wachstum durch reine, edle Naturkräfte genährt war, bis sie ein Kleinod von seltenem Wert geworden. Die andre dagegen war im vollen Sinne des Wortes »Pariser Arbeit«, ein Werk der großen Stadt, die so viel unechtes Material zu reizenden, glänzenden, vergänglichen Nichtigkeiten verwendet, ein Produkt jenes Kleinhandels, dem sie einst angehört hatte.

Am meisten beneidete Sidonie die ehemalige Freundin um das Kind, das hübsche, von den Wiegenvorhängen bis zur Haube der Amme reich bebänderte Püppchen. Die süßen Pflichten der Mutter, die so viel Geduld und Selbstverleugnung verlangen, kamen dabei nicht in Betracht; sie dachte weder an schlaflose Nächte und mühsames Einwiegen, noch an des Kindes heiteres Erwachen und sein schimmerndes Morgenbad. Nein – nur zum Spazierengehen wünschte sie sich das Kind; es ist so hübsch, wenn im Straßengewühl der jungen Mutter solch ein kleines, mit Schärpe und wallender Feder geschmücktes Wesen nachgetragen wird.

Sie aber hätte sich nur von den Eltern oder von ihrem Manne begleiten lassen können und so ging sie lieber allein. Der wackere Risler war gar zu komisch in seiner Verliebtheit, spielte mit seiner Frau wie mit einer Puppe, faßte sie unter das Kinn, kniff sie in die Wangen, umkreiste sie mit unartikulierten Freudentönen, oder verfolgte sie mit großen, gerührten Augen, wie ein treuer, dankbarer Hund. Dieser albernen Liebe schämte sie sich, und die Eltern waren ihr bei der Verfolgung ihrer gesellschaftlichen Bestrebungen geradezu ein Hindernis. Sie hatte sich derselben denn auch gleich nach der Hochzeit gewissermaßen entledigt, indem sie ihnen in Montrouge ein Häuschen gemietet. Damit war den häufigen Ueberfällen des Vaters Chèbe im langen Ueberzieher, wie den endlosen Besuchen der guten Mutter Chèbe, die mit der Wiederkehr bessrer Tage in die alte Gewohnheit des Schwatzens und Nichtsthuns zurückfiel, ein Ziel gesetzt.

Nur zu gern hätte Sidonie auch die Familie Delobelle fortgeschafft, deren Nachbarschaft sie belästigte. Aber für den alten Schauspieler war der Marais, wegen der Nähe der Boulevard-Theater, ein bequemer Mittelpunkt, während Désirée, wie alle, die sich ins Haus gefesselt fühlen, an der bekannten Umgebung festhielt. Selbst der melancholische Hof, der im Winter schon um vier Uhr nachmittags dunkel wurde, war ihr ein Freund, ein vertrautes Gesicht, das ihr, wenn es von einem Sonnenstrahl gestreift wurde, freundlich zuzulächeln schien. Aus dem Wege zu schaffen waren sie also nicht, aber Sidonie suchte sich damit zu helfen, daß sie nicht mehr zu ihnen ging. So wäre denn ihr Leben einsam und eintönig gewesen, hätte ihr nicht Claire Fromont hin und wieder Zerstreuungen verschafft. Aber auch darüber ärgerte sich Sidonie.

»Soll mir denn alles von ihr kommen?« sagte sie zu sich selbst, und wenn sie zur Tischzeit aus der unteren Etage ein Theaterbillet bekam oder eine Einladung für den Abend, so blieb sie während des Ankleidens – trotz ihrer Freude, sich zeigen zu können – unablässig darauf bedacht, ihre Nebenbuhlerin zu verdunkeln. Diese Gelegenheiten wurden jedoch immer seltener, da Claire sich mehr und mehr ihrem Kinde widmete. Kam aber Großpapa Gardinois nach Paris, so versäumte er nie, die beiden Familien zu vereinigen. Der alte Bauer fühlte sich am behaglichsten in Gesellschaft der kleinen Chèbe, die vor seinen Scherzen nicht erschrak; er führte die beiden Ehepaare zu Philippe, seinem Lieblingsrestaurant, wo er Wirt, Kellner und Kellermeister kannte, verthat viel Geld und beschloß den Abend mit seinen Gästen in einer vorausbestellten Loge der komischen Oper oder des Palais Royal.

Im Theater lachte er laut, sprach ebenso vertraulich mit den Logenschließerinnen wie mit den Kellnern bei Philippe, verlangte mit lauter Stimme Fußbänke für seine Damen und wollte beim Fortgehen Pelze und Ueberzieher früher haben als alle andern – als ob er unter den Zuschauern der einzige gewesen wäre, der es zu drei Millionen gebracht hatte.

Zu diesen etwas gewöhnlichen Abendpartieen, von denen sich ihr Mann so oft als möglich losmachte, zog sich Claire Fromont mit dem ihr eignen Takt stets sehr einfach an, so daß sie kaum beachtet wurde. Sidonie dagegen hißte alle Segel auf, setzte sich auf einen Vorderplatz, belachte die Späße des alten Gardinois und fühlte sich überglücklich, aus dem zweiten oder dritten Rang, wo sie früher zu sitzen pflegte, in diese schönen, mit Spiegeln geschmückten Prosceniumslogen herabgestiegen zu sein, deren Samtbrüstung eigens für ihre hellen Handschuhe, ihr Opernglas von Elfenbein und ihren Goldflitterfächer gemacht schien. Der herkömmliche Aufputz solcher öffentlichen Lokale, das Rot und Gold der Wandbekleidungen war in ihren Augen wirkliche Pracht und sie paßte so gut in dieselbe hinein, wie eine hübsche Papierblume in ein Filigrangefäß.

Eines Abends, als im Palais Royal ein beliebtes Stück gegeben wurde, fiel inmitten der geschminkten Berühmtheiten mit verschwindend kleinen Hüten und riesenhaften Fächern, die ihre gemalten Gesichter und ausgeschnittenen Kleider in den Parterrelogen zur Schau stellten, Sidoniens Haltung, ihre Toilette, ihr Blick und ihr Lachen allgemein auf. Unter dem Einfluß jener magnetischen Strömung, die sich in Schauspielhäusern so oft bemerklich macht, richteten sich nach und nach alle Operngläser auf die Loge, in der sie saß, so daß Claire Fromont sich davon belästigt fühlte und mit ihrem Mann, der sie unglücklicherweise an diesem Abend begleitet hatte, den Platz wechselte.

Der junge, elegante Georges machte an Sidoniens Seite durchaus den Eindruck des zu ihr passenden Gefährten, indes der hinter ihnen sitzende stille, schüchterne Risler zu Claire Fromont zu gehören schien, die in ihrem einfachen, etwas dunkeln Anzuge einer den Opernball inkognito besuchenden Dame glich.

Beim Hinausgehen hatte jeder der beiden Associés seiner Nachbarin den Arm geboten. Eine der Logenschließerinnen sagte zu Sidonie, indem sie Georges bezeichnete: »Ihr Herr Gemahl« und die junge Frau bebte vor Freude.

»Ihr Herr Gemahl!«

Diese einfachen Worte genügten, sie völlig in Verwirrung zu bringen und allerlei verbrecherische Regungen in der Tiefe ihrer Seele wachzurufen. Während sie die Gänge und das Foyer durchschritten, betrachtete sie ihren Mann, der mit »Madame Schorsch« vor ihr herging, fand Claires Anmut durch seine schwerfällige Erscheinung gleichsam verdunkelt und verwischt und sagte sich selbst: »Wie häßlich mag ich mich an seiner Seite ausnehmen!« und mit klopfendem Herzen malte sie sich aus, welch ein schönes, glückliches, bewundertes Paar sie und der Mann gewesen wären, dessen Arm jetzt unter ihrem Arme zitterte.

Und zum erstenmal, als jetzt das blaue Coupé am Theater vorfuhr, um Georges und Claire abzuholen, stieg der Gedanke in ihr auf, daß diese Frau sie doch eigentlich von dem ihr gebührenden Platze verdrängt habe und daß sie vollkommen im Rechte sei, wenn sie den Versuch machte, ihn wiederzugewinnen.


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