Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.

Madame de Dorigny Ich habe von ihr bereits Seite 24 gesprochen. Sie war eine von denen, die über mein Unglück gespottet hatten. war seit einem Jahre ein Musterbild der Erbauung. Der gute Ruf ihrer Mildtätigkeit hatte sich im ganzen Marais verbreitet. Ich besuchte sie seit einiger Zeit, und sie hatte sogar die Güte, mich zu den auserlesenen Predigten des Père Regnault zu führen, zu diesen Predigten, die am äußersten Ende von Paris gehalten werden, wo man mit Absicht eine kleine Kirche wählt, um sie voll zu machen.

Eines Abends, als ich bei ihr gevespert hatte, begann sie über verschiedene Damen meiner Bekanntschaft auf eine Art zu lästern, die mir unwürdig schien. Ich vergaß dabei die Reize ihrer Augen, die Annehmlichkeiten ihrer Person, und sah nur mit einer Art von Entrüstung auf die schönste Hand der Welt, die sie mich affektiert betrachten ließ, indem sie mir mit besonderer Sorgfalt zu wiederholten Malen die delikatesten Gerichte auflegte. Ich begann da eine Bestrafung zu gründen, die ihr um so fühlbarer sein mußte, als sie ihr für eine Zeit eine Befriedigung raubte, für deren Genuß sie ihren Tugendpomp und jenen schönen Schein opferte, wodurch sich nur Dummköpfe täuschen lassen. Da ich nicht recht wußte, wohin ich gehen sollte, nachdem ich Herrn Le Doux verlassen hatte, ließ ich mich zu ihr fahren. Ihr Portier sagte mir, die gnädige Frau empfinge nicht. Ich bestand darauf; man sagte ihr meinen Namen, ich bekam die Erlaubnis, einzutreten. Sie kam mir entgegen in einem kurzen Kleid, aber aus einem der schönsten Stoffe, mit einfachem Besatz, aber aus englischen Spitzen, und ebensolchen obwohl nur einreihigen Manschetten. Die Frische ihres Antlitzes und die Heiterkeit, die darauf herrschte, waren das Bild vom Frieden ihres Herzens. Bald sollte dort Bestürzung einen heftigen Sturm erregen. Sie hielt ein in schwarzes Maroquin gebundenes Buch in Händen und sagte, mit meiner Erlaubnis wolle sie ihre Betstunde vollenden; sie erschien mir sehr lang. Inzwischen betrachtete ich die Möbel, die einen ausgesuchten Geschmack verrieten. Ich überflog mit den Augen das Kabinett, in dem ein auserlesener Luxus glänzte, und die Möbel, die ich überall sah, waren nicht aus dem Geist der Abtötung geboren. Nur die Weltdamen kennen die Kunst, sich mit den wirklichen Bequemlichkeiten des Lebens zu umgeben.

Nach Beendigung des Gebets gesellte sich meine reizende Fromme zu mir; und mit einer fast leichtfertigen Miene schien sie mir zu sagen, wenn auch eine Heilige, sei sie doch darum nicht weniger bezaubernd. Unser Gespräch galt dem Verhalten, das man in der Gesellschaft den Schauspielen, den geselligen Zirkeln, den Partien usw. gegenüber einnahm, alles, um Gelegenheit zu haben, darüber zu lästern und doch mit der Geschichte alles dessen bekanntgemacht zu werden. Man brachte die galanten Abenteuer von Madame de Brepille, von Madame de Selvez und einigen andern zur Sprache.

Man redete von den meinigen und sagte mir mit einem freundschaftlichen Ton, daß ich meine Gestalt nicht mit gutem Gewissen haben könnte, weil sie fähig wäre, Wünsche zu erwecken. Ich hatte in der Tat bei Madame de Dorigny schon welche erweckt, ihre Augen sagten mir's, und von diesem Tag ab hätte es nur an mir gehangen, die Bestätigung dafür zu erhalten. Ihre Blicke gaben mir kund, daß sie mich liebe, daß sie es mir erkläre; die meinigen waren barbarisch genug, ihr die Erklärung nicht zu erwidern. Sie sprach mir von einem Buch, das, soweit sie davon gehört hatte, ein großes Aufsehen in der Gesellschaft machte. Ich erwiderte ihr, ich hätte es; aber es sei zu frei geschrieben, und sie würde sich darüber entrüsten. Sie war meiner Meinung; aber auf einem Umweg kam sie wieder zu ihrem Ziel, indem sie sich erkundigte, ob das ganze Buch im selben Stil sei. Ich erwiderte ihr, es seien Stellen darin, die jedermann lesen könne. Gerade diese will ich prüfen, entgegnete sie, um zu entscheiden, ob dieses Werk wirklich so gut geschrieben ist, als es das stets übertreibende Gerücht sagt. Ich meinerseits übertreibe durchaus nicht, lieber Marquis, wenn ich Ihnen versichere, daß meine Beterin nicht mehr Herrin ihrer selbst war. Ich versprach, es ihr am andern Tag zu senden. Sie verlangte es zum selben Abend. Ich schickte ihr's zu. Aus Bosheit legte ich zwei Kunstblätter hinein, die ganz dazu angetan waren, die Feuer wieder zu entfachen, die ja bei einer jungen Witwe mit größerer Heftigkeit wieder aufflammen müssen, da sie ja noch die letzten Funken in der Seele hat.

Andern Tags, nachdem ich den Justizpalast verlassen, kam ich wieder, um zu erfahren, ob mein Buch Gefallen gefunden. Ich erfuhr es auf eine unzweifelhafte Weise. Man sagte mir, noch habe man erst vier Seiten durchflogen, aber man sei damit recht zufrieden. Sie täuschte mich nicht mit ihrer Naivität,ich bin zu sehr überzeugt,daß eine Frau keine Zurückhaltung kennt,wenn sie die Bahn der Lust betritt. Ich wurde zum Essen eingeladen und ließ mich gar nicht erbitten, sondern schickte meinen Wagen nach Hause. Man rühmte mir überaus einen gewissen geistreichen Priester, der uns Gesellschaft leisten sollte. Er stellte sich auch ein; ich fand nur eine Art Betbruder in ihm; zweifellos glänzte er nur bei Tisch im Zwiegespräch, sein Geist paßte nicht zu drei Gedecken.

Unser Diner gehörte zu den höchsten Genüssen, und der darauffolgende Kaffee erfüllte mich mit Wohlbehagen. Wenn ich meinen eigenen Haushalt hätte, möchte ich eine fromme Hand haben, mir alle meine Bedürfnisse zuzurüsten. Ein Dritter schadete dem Gespräch, das wir, Madame Dorigny und ich, zusammen haben sollten. Mit milder Hand entfernte sie den heiligen Mann, indem sie ihn ans andere Ende von Paris Tröstung für einige Kranke bringen ließ. Mit der einen Hand teilte die junge Witwe Wohltaten aus, und mit der ändern rief sie das Vergnügen herbei und schob alle Hindernisse beiseite. Die Leidenschaften haben alle ihre besonderen Grundsätze, aber die sicherste ist jene, die mit dem Mantel eines strengen Lebenswandels bedeckt ist. Ich saß nahe bei Madame Dorigny, und sei es aus Unachtsamkeit oder weil eine Nadel fehlte, man sah unterhalb ihres Halstuchs den Schimmer eines Busens von blendender Weiße. Ich machte ihr mein Kompliment darüber; sie wurde rot; ihr schwarzes Pantöffelchen war so klein, daß sie es nur mit Not anziehen konnte. Eine leichte Bewegung ließ es heruntergleiten; ich hob es auf und konnte einen lauten Ausruf über das Bein, dessen ganze Zartheit ich erblickt hatte, nicht zurückhalten. Man bat mich, bei den Dingen weiter zu verweilen. Von den Beinen zum Busen, vom Busen zu den Händen und von den Händen zur Gestalt; ihre ganze Person war für mich ein Gegenstand des Lobes. Allmählich wurde unser Gespräch wärmer; und für alles, dessen Lob ich sang, fand sich bei der und der Dame unserer Bekanntschaft ein Fehler, der dieser Vollendung entgegengesetzt war. Ich wurde davon verletzt; und wenn ich den Leidenschaftlichen spielte, geschah es nur, um diese schöne schmähsüchtige Dame zu bestrafen. Endlich, als ein Wort das andre gab, und ich ihre Hand geküßt hatte, wagte ich, ihren Busen und ihr Gesicht zu berühren. Sie wollte den Angriff abwehren; aber ihr roter Mund, der sich in nichts auf solche Verteidigung verstand, empfing die Zeichen meiner Glut, die ihm nicht bestimmt waren. Ein Kuß erfordert einen zweiten; der zweite findet weniger Widerstand. Nachdem ich mit den schlechtesten Absichten von der Welt und mit der größten Bosheit die ganze Zeit darauf verwandt hatte, einen glänzenden Angriff herbeizuführen, verdoppelte ich meine Anstrengungen. Ohne noch Maß zu halten, reiße ich Madame de Dorigny in meine Arme, trage sie auf ein Ruhebett in ihrem Kabinett, schließe die Tür zu, und bitte sie auf den Knien um Verzeihung für eine Beleidigung, die niemals für eine Frau eine Beleidigung gewesen ist. Die Schöne öffnet matt die Augen; die Schwäche schloß sie ihr zu, und einen Seufzer ausstoßend, sagte sie zu mir, mit einer zärtlichen Stimme: Ach! lieber Rat, ich verdamme mich; und ich, ich rette mich, rief ich aus, und sogleich laufe ich an die Tür, um zu enteilen. Dies Wort schreckte sie auf. Hören Sie, in welche Wut sie da geriet. In einem Augenblick blitzte das Feuer in ihren Augen auf, der Zorn durchglühte ihr Herz; sie erhob sich und schritt auf mich zu, um mich mit Vorwürfen niederzuschmettern. Ich hatte das Kabinett nicht öffnen können, weil es einen geheimen Verschluß hatte. Aus dieser Not machte ich eine Tugend; ich wandte mich zu ihr um und sagte ihr lachend, was ich getan hätte, sei nur ein Scherz gewesen. Da sie nicht auf meine Vernunftgründe hörte und eine Genugtuung verlangte, blickte ich sie zärtlich an, und auch ihr Blick ruhte zärtlich auf mir. Tränen rannen aus ihren Augen. Welches Herz wäre nicht gerührt worden? Ich trete an sie heran, umfasse sie wieder mit meinen Armen, und in den Ergüssen meiner Reue ließ ich sie fühlen, daß es ein Glück für sie war, wenn ich gefehlt hatte, und daß mein Fehler der glücklichste von der Welt war. Ach! lieber Marquis, welche Wonne empfand ich! Wieviel tausendmal segnete ich das geheime Schloß, das mich gezwungen hatte, mein Glück zu genießen! Zwei Stunden verbrachte ich damit, daß ich meine Sünde beseufzte; und ich verließ meine Schöne erst, nachdem ich durch Verdopplung und Verdreifachung meiner Sühneleistung Verzeihung erlangt hatte.

Ich zog mich gegen Abend mit dem Versprechen zurück, wiederzukommen. Ich ließ es nachher auch nicht daran fehlen, so oft sich nur die Gelegenheit ergab. Ich bewahrte den Geschmack an Bußübungen, und Madame de Dorigny bewahrte ihn sich an der Wollust, an der Kritik und an der Ziererei. Ich wäre nach allem ein großer Dummkopf gewesen, hätte ich nicht aus meinem Abenteuer Nutzen gezogen. Durch die Bestrafung der kleinen Lästerzunge hätte ich das Übel nicht getilgt, hätte mich jedoch eines unaussprechlichen Vergnügens beraubt. Nützen wir die Gelegenheit! Wenn wir die andern kasteien wollen, sollten wir nicht uns selbst das Vergnügen verderben; es blüht nur einen Tag. Ein Tor, wer es verblühen läßt, ohne die Süßigkeiten empfunden zu haben. Herr Le Doux hatte sich endlich über die Genauigkeit meiner Mitteilungen vergewissert und zweifelte nicht mehr, daß ich eine gerechte Klage vorgebracht. Er hatte ein Mittel gefunden, mit Rosette zu reden, die für dieses Mal nicht sogleich mitteilsam war; aber sie gab mit ihren Antworten ihrem zukünftigen Befreier doch genügend zu denken, und er versprach ihr, sie wieder zu besuchen. Yon diesem Geist der Zufriedenheit beseelt, kam der heilige Mann zu mir und beteuerte mir, er würde mir jeden Dienst leisten, und versicherte, am Abend würde er imstande sein, der Gefangenen gute Nachrichten zu übermitteln. Herr Le Doux hatte nämlich durch Freunde eine Genehmigung vom Polizeidirektor erhalten, nach Belieben mit Rosette zu sprechen. Unterdessen hatte er auch meinem Vater gegenüber etwas erwähnt, der durchaus nichts davon hören wollte. In diesem Falle hatte sein geistlicher Berater nicht mehr Privilegien als ein bloßer Freund.

Der Besuch sollte am selben Abend stattfinden; ich tat, was ich konnte, um meinen Protektor zur Zulassung meiner Begleitung zu bestimmen, damit ich mich mit Rosette unterhalten könne. Er schlug es mir ab, und wenn ich es zu meiner Ehre doch erreichte, geschah es ihm zum Trotz, und Laver- dure hatte ich es zu verdanken. Nach dem Essen lag ich in einer trüben, träumerischen Stimmung. Der Präsident schickte mir seinen vertrauten Diener, um mich zu fragen, ob ich bei Fräulein d'Ecluse ein Spiel mitmachen wollte. Sie kennen Sie, lieber Marquis, es ist die sogenannte Frau eines Offiziers, die zum Vergnügen der ändern und zu ihrem eigenen Nutzen Spiele veranstaltet. Man trifft da eine recht gute Gesellschaft von Männern und ziemlich leichtfertige Frauen. Es passiert nichts in diesem Hause; aber es ist sehr bequem, ein paar Orte in Paris zu haben, wo man leicht hübsche Personen ohne Skandal sehen und sich nach seinem Belieben aussuchen kann, ohne den Ruf und das Ansehen zu bekommen, man suche sie aus Bedürfnis. Ich ließ antworten, daß ich gegen acht Uhr hinkäme. Ich hatte erfahren, daß sich seit kurzem eine junge Provinzialin da befände, die einen Prozeß in Paris betreiben sollte. So ist mein Herz; begierig auf alles, gleicht es in der Liebe und in der Wollust jenen Kindern, die nach allem gelüstet, was sie sehen.

Unterdessen hatte ich mich mit Laverdure über die Möglichkeiten unterhalten, Rosette zu sehen. Ich hatte ihm von dem Besuch gesprochen, den noch am nämlichen Tag Herr Le Doux ihr abstatten sollte. Er fand nichts einfacher, als ihn zu begleiten, und eröffnete mir seine Meinung. Man möchte glauben, der Bursche habe den Kopf voller Listen und als ein neuer Mascarillo unendliche Variationen in seinen Hilfsmitteln. Keineswegs. Aber er hat nur einen einzigen Weg, er kennt nur eine Art, sich aus der Klemme zu ziehen. Obgleich es immer dieselbe ist, gelingt es ihm stets; bei ihm wird man nicht von der Erfindung überrascht, sondern nur vom Erfolg. Ich überließ mich ihm. Da er sich verkleidet hatte, um mit Rosette zu sprechen, hielt er es für angebracht, daß ich mich ebenfalls verkleidete, um das gleiche Glück zu genießen. Er riet mir, mich in einen Geistlichen zu verkleiden und mich in denselben Anzug zu stecken wie Herr Le Doux, ganz ohne mich darum zu bekümmern, wie er sich im übrigen verhielte. Sogleich war der Entschluß gefaßt, und ich schrieb an einen mir befreundeten Abbé, Doktor an der Sorbonne, er solle mir eine Soutane schicken, einen langen Mantel, ein Bäffchen und die sonstige Gewandung. Ohne einen Verdacht bezüglich des Gebrauchs, den ich davon zu machen hoffte, und sogar ohne nur irgendwie sich danach zu erkundigen, überschickte er mir, um was ich ihn gebeten. Alles wurde in die Kammer Laverdures gebracht, ich staffierte mich als Geistlicher aus. Die Perücke, die meine Haare bedeckte, sah bescheiden aus, war aber von ordentlichen Händen nach Vorschrift gekämmt und geordnet; das Käppchen, das teilweise darüber lag, war überaus leuchtend und glänzte. Kurz; mein Äußeres war einheitlich und bis aufs i-Tüpfelchen richtig, mit Ausnahme meiner Augen, die immer leichtfertig sind, repräsentierte ich ganz einen heiligen Beichtvater; nur daß ich freilich jung war, wofür man aber von den guten Seelen um so mehr geliebt wird.

Ich hielt diese neue Gestalt ganz und gar nicht für erborgt. Das Bäffchen habe ich mehrere Jahre im Saint-Sulpice getragen, und die Lästerzungen haben darin den Grund meiner Galanterie gesehen, die mein Erbteil ist. Ich warf mich in eine Sänfte, und Laverdure folgte mir nach Sainte Pelagie. Er erkundigte sich, ob nicht ein Geistlicher, der so und so aussehe, hineingegangen sei; man sagte zu ihm, seit einer halben Stunde, ja. Er fragte darauf, ob sein Herr nicht da wäre; man antwortete ihm, man kenne seinen Herrn nicht. Da stellte er sich, als ob er in höchster Verlegenheit wäre, und sagte, er würde ausgescholten werden. Sein Herr sei der Herr Abbé von Calamore, Abt einer Abtei, die er schnell stiftete, und der bei diesem Geistlichen sein sollte, der hineingegangen, da er eine Erlaubnis von dem Herrn Polizeidirektor habe, um ebenfalls das Kloster zu besuchen. Das sagte er und kam dann wieder heraus, um mir zu winken, ich solle mit hineinkommen.

Er schritt mir voran und sagte zur Pförtnerin: Liebe Schwester, hier ist mein Herr; führen Sie ihn in das Sprechzimmer, zu seiner Hochwürden dem Herrn Priester, der schon eingetreten ist. Das gute Mädchen öffnete das Tor. Ich ging hinein, nicht ohne zu zittern und gleichzeitig zu lachen. Auf meinem Weg wurde ich von mehreren Nonnen oder Pensionärinnen beobachtet, die ich aus Furcht nicht anblickte; das Kloster erwies meinem bescheidenen Auftreten Ehre. Welche Überraschung für den Herrn Le Doux, als er mich sah! – Was machen Sie, Herr Rat, wollen Sie uns denn ins Verderben stürzen? Glücklicherweise war niemand da, der uns hören konnte. Rosette wurde von maßloser Freude erfaßt; ohne das Entsetzen des heiligen Mannes soeben, hätte sie Mühe gehabt, mich wiederzuerkennen. – Frieden, sage ich zu dem Beichtvater, die Sache ist nun einmal geschehen; es handelt sich darum, keinen Lärm zu machen. Er wollte mir eine Predigt halten, aber ich machte ihm die Zwecklosigkeit seiner Rede begreiflieh und wie unangebracht sie sei. Ich sagte Rosette die lebhaftesten und ausdruckvollsten Dinge; ich steckte ihr einen schon bereitgehaltenen Brief zu, in dem ich ihr mitteilte, daß ich am andern Tag wiederkäme, wenn es mir gelänge. Herr Le Doux, der wie auf Kohlen stand, beendigte das Gespräch und den Besuch, er gab Rosette die Zusicherung, sie solle nicht mehr als drei Tage noch in Sainte Pelagie schlafen, und er ermahnte sie, Einkehr in sich zu halten und ihre gute Gesinnung zu bewahren. Für Leute von Geist gibt es immer eine Hilfe, sagte Herr Le Doux zu mir, ich verzweifle nur an den Dummen; dieses Mädchen hat viel Verstand.

Wir gingen nun hinweg, und während wir uns entfernten, wurde ich von einigen Nonnen betrachtet, die augenscheinlich an Geistlichen von gefälliger Figur Geschmack hatten. Ich schickte meine Träger fort und stieg in einen Fiaker. Nun mußte ich die gerechtfertigten und begründeten Vorwürfe über mich ergehen lassen. Herr Le Doux ließ ganz vergessen, was er für einen Namen trug, er behandelte mich hart, er warf mir vor, daß ich das Gewand der Kirche entweihe, daß ich ihn zum Mitschuldigen eines schrecklichen Verbrechens mache. Da ich weder Vernunft noch Religion habe, wolle er mich nicht mehr sehen; er werde meinen Vater von meinem Betragen unterrichten und Rosette im Stich lassen. Dieser letzte Punkt traf mich mehr als alle andern.

Ich bat ihn um Entschuldigung; ich versprach ihm zurückhaltender zu sein und schmeichelte ihm so sehr, daß er sich erweichen ließ, besonders als ich ihm vorgeworfen hatte, daß es nicht gerecht sei, wenn ein Mädchen, das um der Wahrheit willen litte, durch meine Unklugheit noch länger unglücklich sein sollte.

Ich setzte ihn an seinem Hause ab. Ich zog mich gleich um, sobald ich bei Laverdure angekommen war. Lustig ist, daß der Kutscher, den ich freigebig bezahlte, mir, indem er mich mit boshafter Miene begrüßte, sagte, ich sei heute nicht so böse, wie neulich, wo ich ihn so sehr geschlagen hätte, und der Herr habe mir eine große Gnade erwiesen, daß er mich zum Priester machte; dann stieg er auf seinen Bock und sagte noch, er wünsche mir eine gute Pfarre. Es war der Schurke von Kutscher, der mich zwei Monate vorher zu Rosette gefahren, und den mein Vater gefährlich krank in Villette gefunden hatte.

Es war fast neun Uhr, als ich Madame de l'Ecluse meinen Besuch abstattete; ich fand hübsche Frauen da und den Präsidenten, der mit einer überaus beschäftigt war. Zufrieden und fröhlich über das Gelingen des Unternehmens, das ich soeben ausgeführt hatte, teilte ich meine Freude der ganzen Gesellschaft mit. Ich machte sogar Torheiten bis zu dem Grad, daß eine mehr als vierzig Jahre alte und sehr würdige Dame sich in mich verliebte. Das Entgegenkommen war auf ihrer Seite, denn meiner Treu, ich fühlte mich nicht im geringsten versucht, es zu erwidern. Die Zeit wird kommen, in der ich mich zu meinem Unglück im selben Falle befinden mag; ohne Hoffnung auf die Zukunft werde ich mich dann mit der Vergangenheit begnügen, und diese Greisenbetrachtungen werden ebenso sein wie die Jugendhoffnungen. Wiegt ein Rückblick auf das Vergangene nicht die Aussicht auf das vielleicht einmal Kommende auf?

Ich lehnte an diesem Abend verschiedene treffliche Soupers ab, und da ich am andern Tag eine Torheit begehen sollte, wollte ich mich sittsam darauf vorbereiten. Ich blieb zu Hause und leistete meinem Vater noch ziemlich spät Gesellschaft; danach ging ich auf mein Zimmer und schlief die ganze Nacht ruhig.

Gleich am andern Morgen stellte sich Laverdure ein, der sich erkundigte, wie alles abgelaufen sei, und ich erzählte ihm. Er machte mir Mut, am Abend wieder hinzugehen; ich versprach ihm, es nicht zu versäumen. Ich befahl ihm, seinem Herrn zu sagen, ich lüde ihn auf übermorgen bestimmt zum Souper ein und er solle sich niemandem verpflichten.

Zur selben Zeit erhielt ich einen Brief von Madame de Dorigny, die mich bat, bei ihr vorzusprechen. Dieser Brief war so geschrieben, daß er von dem strengsten Kasuisten gelesen werden konnte, und dennoch war er ganz ausdrucksvoll für jemand, der wie ich den Schlüssel zu ihren Empfindungen und ihrem Herzen hatte. Ich ließ antworten, ich würde mich sogleich hinbegeben. Ich stieg in den Wagen, und obschon im Amtskleid, machte ich ihr meinen Besuch, indem ich mein Gewand mit der Leidenschaft entschuldigte, die mich trieb, ihr meine Aufwartung zu machen. Sie empfing mich während ihrer Toilette; die frommen Damen haben eine weniger glänzende als die Koketten der Gesellschaft, aber ausgesuchter und besser zusammengestellt. Die Odeurs in den Schachteln waren nicht stark und in großer Quantität, aber sie waren süß und verbreiteten einen lieblichen Duft, der das Zimmer leicht durchdrang und dem Geruchssinn köstlich schmeichelte. Ihre mit einer kleinen, aber feinen Spitze garnierten Nachtgewänder waren geschmackvoll gearbeitet; ihr persisches Kleid, ihr Rock aus Pikee, ihre außerordentlich feinen Strümpfe, wie ihre Schuhe, kurz ihre ganze Gewandung paßte trefflich zu ihrer Gestalt und ihrem Aussehen. Ihre Augen richteten sich zärtlich auf mich, die meinen erwiderten ihr, was sie beseelte, und während man uns eine genußreiche Schokolade bereitete, trat ich nahe an sie heran und trank von ihrem Mund einen Nektar wie den, der den Göttern bereitet worden.

Darauf fühlte ich gar keine Versuchung mehr, mich zu entfernen. Ich betrachtete die beglückende Lage, in der ich mich befand; ein Spiegel machte mir jedoch bemerklich, daß ich mich so wie ich war, in langer Perücke und in der Robe, nicht ohne Gefahr einem Wagnis aussetzen konnte. Ich umarmte sie nichts desto weniger; ihre schönen Hände drückten mich voll Entzücken, wir waren alle beide entflammt. Nachdem sie die Damastvorhänge zugezogen hatte, die fast das ganze Licht fernhielten, wollte sie allein für dieses Mal sich gern meinem Belieben überlassen, oder vielmehr der Notwendigkeit. Ja, lieber Marquis, an diesem Ort, mit Geschmack verschönert, mit Feinsinn und Lust geschmückt, betrachtete ich, von nichts gehindert, die göttliche Madame Dorigny.

Sie lag auf einem violetten Sofa, und ich neben ihr; ich hatte eine Binde über den Augen und bedeckte die ihrigen mit tausend Küssen; indem ich in dieser Lage die Funktionen des Richters ausübte, ließ ich ihren Reizen alle schuldige Gerechtigkeit angedeihen. Welches Glück, ein Urteil auszusprechen, wenn man es sogleich selbst vollstreckt. Ich konnte nicht länger verweilen, da die Gerichtsstunde mich zur Eile antrieb. Ich verließ sie voll Unlust und ging dahin, wohin meine Pflicht mich rief, wo mir aber nicht soviel Vergnügen bereitet werden sollte. Lieber Marquis, wenn Sie in ihren Vergnügungen sinnlich, empfindlich und raffiniert werden, nehmen Sie nur eine Fromme zur Freundin. Ihre Wünsche werden weit übertroffen werden; sie allein besitzen den Schlüssel zum Glück, sie müssen uns nur selbst in ihren Tempel einführen. Gegen vier Uhr nachmittags war meine erste Sorge, mich zu Rosette zu begeben. In meinem Kleide und auf den Besuch vom vorhergehenden Tag hin ließ man mich eintreten. Eine Nonne kam, um mich zu unterhalten, während ich die Ankunft derjenigen abwartete, nach der ich verlangte. Ich langweilte mich nicht, weil sie mich ein frisches Gesicht sehen ließ und einen Busen, der sich von Zeit zu Zeit hob, mit großem Begehren, bemerkt zu werden. Es hatte sich im Klostergebäude das Gerücht verbreitet, im Sprechzimmer Saint-Jean sei ein Geistlicher, schön wie Amor. Die Klosterfräulein übertreiben alles.

Hierauf stellten sich nacheinander Nonnen, Novizen, Schwestern, Pensionärinnen ein, um mich zu betrachten, unter dem Vorwand, man rufe sie ans Gitter; ich hatte das Vergnügen hübsche Gesichter zu sehen. Wie schade, daß so reizende Vögel im Käfig gehalten werden, die nur danach verlangen, zu fliegen! Rosette kam und dankte mir für meinen Besuch; wir sagten uns tausend Zärtlichkeiten, wir umarmten uns durch die Vergitterung, so gut wir nur konnten. Ich beteuerte ihr, ich würde sie binnen kurzem aus ihrer Gefangenschaft befreien, sie gelobte mir ewige Liebe. Während wir uns gewissermaßen an die Schranken klammerten, glaubte eine Nonne, die uns sah, daß ich Beichte hörte, und sagt es ihren Gefährtinnen.

In den fast zwei Stunden, die ich mit meiner teuren Freundin zubrachte, war meine Leidenschaft außerordentlich heiß geworden. Die Hindernisse feuerten es sogar noch an. Das Temperament Rosettes, seit langem zur Ruhe gezwungen, war mindestens dem meinigen gleich. Da wir niemand kommen hörten, wagten wir ein gefährliches Unternehmen. Ich stieg auf einen Stuhl; sie tat das gleiche. Trotz der Unbequemlichkeit meiner Kleidung, trotz der Furcht, es könnte jemand kommen und den verdammten Schranken, erreichte ich durch unsere beiderseitige Geschicklichkeit den Sitz der Wonne. An jedem anderen Orte würde ich darin zehnmal mein Glück gefunden haben; aber sei es, daß der ausgiebige Morgenbesuch bei Madame de Dorigny mir jetzt schadete, sei es, daß die Vergitterung durch ihre Kühle unheilvoll wirkte, ich zog keinen Nutzen aus der eingenommenen Stellung. Indessen stand ich gerade auf dem Punkt mein Vorhaben zu Ende zu führen. Schon kündigte mir ein geheimes Zittern, der Vorläufer des Erfolges, mein Glück an, schon hatte Rosette zweimal mitgeholfen und gab sich sogar noch zum drittenmal hin, als wir ein Geräusch hörten; alles war verloren, wir gingen wieder an unsern Platz. Das Schicksal von Unternehmungen hängt immer nur von einem Augenblick ab. Eine Einbildungskraft wie die Ihrige, lieber Marquis, vermag sich leicht vorzustellen, wie lustig unsere Stellung war.

Ich besitze viele sehr freie Kupferstiche; aber keiner von ihnen stellt eine Situation von diesem Geschmack dar. Das ist wirklich ein Stoff für den Stichel! Wenn ich scherzen wollte, so würde ich sagen, daß ich nicht begreife, wie das Gitter nicht geschmolzen ist, da es sich doch zwischen zwei Feuern befand.

Es war eine Pförtnerin, deren glücklicherweise schwerfälliger Schritt uns ihr Kommen anzeigte. Sie sagte mir, zwei Nonnen und drei Schwestern verlangten mich zur Beichte. Man muß wissen, daß ein Priester, der häufig in einen Orden kommt und das Glück hat, zu gefallen, nur so überlaufen wird von Nonnen, die ihr Innerstes vor ihm ausschütten wollen. Ein Beichtvater von 24 Jahren wäre nicht übel für ein Dutzend von Klosterfräuleins; ein Dutzend hübscher Klosterinsassen wäre aber wohl zu viel für einen Beichtvater dieses Alters. Ich antwortete der Bestellerin, daß ich für den Augenblick nicht könnte, was mich tief betrübe, ich würde aber am nächsten Tag zur selben Stunde diesen Damen für die gewünschte Zeit zur Verfügung stehen, und es würde mir eine Ehre sein, ihren Befehlen zu folgen. Man überbrachte meine Antwort, man bat mich, mein Wort zu halten und ersuchte um meine Adresse, im Falle eine der Nonnen unpäßlich wäre. Ich gab die meines Freundes, des Doktors der Sorbonne. Da ich fürchtete, noch mehr belästigt zu werden, zog ich mich zurück. Ich habe vergessen, zu sagen, daß sich Rosette seit diesen zwei Tagen besser befand und daß wegen des ihr gewordenen Glücks, bei mir zu beichten, wie man sagte, eine jede sie an diesem Abend besuchen wollte. Es gab sogar einige Nonnen darunter, die Freudenmädchen zu sein wünschten, um die Befriedigung zu haben, ihre Abenteuer einem so angenehmen Beichtvater zu erzählen, wie ich es scheinbar war. Denen, die ihr von mir redeten, sagte Rosette, mit Fleiß, mein Gesicht sei trügerisch – was in einem andern Sinne wahr war – und daß ich unter meinem weltklugen und sanften Äußern ein gegen Sünderinnen sehr hartes Herz verbärge. Die Boshafte trieb ihr Spiel mit der Einfalt dieser Betschwestern.

Nachdem ich Sainte Pelagie verlassen und meine Kleider wieder angelegt, suchte ich Herrn LeDoux auf, der sehr ermüdet ankam und seit dem Morgen herumgelaufen war, um verschiedene fromme Seelen für die Befreiung meiner Geliebten zu interessieren. Er vertraute mir an, sie solle am nächsten Morgen frei werden, auch wenn mein Vater dem nicht zustimmen wolle; seine Freunde hätten es ihm versprochen, und wenn er sich mit etwas befasse, gelinge es ihm unbedingt, allen Widerständen zum Trotz. Er sagte mir, daß er am Abend zu Hause essen würde; es sei nicht nötig, daß ich hinkomme; ich dankte ihm und suchte seinem Auftrag nach Gesellschaft auf. Zum erstenmal in meinem Leben suchte ich eine vernünftige. Man war erstaunt, als man mich beim Grafen von Montvert eintreten sah; man machte mir ein Kompliment darüber. Ich unterhielt mich von sehr interessanten Sachen, teils über den Krieg, teils über geheime Politik. Ich stimmte dem Lob zu, das man unserm erhabenen Monarchen sang, von dem Sie zu mir, lieber Marquis, in allen ihren Briefen mit soviel Achtung, Bewunderung und Liebe reden. Ich muß Ihnen sagen, daß ich Sie um so höher schätze, je mehr Gerechtigkeit Sie einem Fürsten erweisen, der schon jetzt durch sein väterliches Herz Ludwig XII., durch seine Tapferkeit Philipp August gleichkommt.

Das Schicksal ist gewöhnlich denen günstig, die sich vernünftig betragen, wenigstens ging es mir so bei dieser Zusammenkunft. Nach dem Souper spielte man, um sich die Zeit etwas zu vertreiben. Als der Graf, der eine schwache Gesundheit hat, sich zurückgezogen hatte, wurde das Spiel kühner, man schlug einen Landsknecht vor; ich wagte einige Louisdor daran. Das Glück begünstigte mich, mehr als ein einzelner ärgerte sich und allmählich, ohne fast einer einzigen Freude entsagt zu haben, hatte ich mehr als zweihundertundzwanzig Louisdor gewonnen. Die Sitzung endete zu meiner großen Zufriedenheit. Einen Teil der Nacht brachte ich damit zu, mein Glück zu überdenken und dem Himmel zu danken, daß er mir diese Summe zu einer Zeit geschickt hatte, wo sie mir außerordentlich nützlich war.

Am nächsten Morgen kam wiederum ein Brief von Madame de Dorigny; eine neue Einladung zur Schokolade. Herr Le Doux kam, um mir mitzuteilen, daß mein Vater durchaus nicht wolle, daß Rosette freikam; ihr Streit über diese Sache sei höchst lebhaft gewesen; er sei beunruhigt darüber. Während der Schilderung seiner Aufregung trat mein Vater ein, der beim Anblick seines Beichtvaters die Dinge ahnte, die ihn hierher geführt. Ohne weitere Einleitung sagte er mir mit festem und männlichem Ton, Rosette solle in zehn Jahren nicht aus ihrem Gefängnis kommen und ich solle mein Verhalten bereuen. Als Herr Le Doux einige Einwände erheben wollte, entgegnete mein Vater recht hart; der Beichtvater sagte ihm mit mildem und Achtung erheischendem Ton: man würde sie schon ohne ihn herausbringen, mein Vater bestritt es und verletzte seine Ehre. Mehr bedurfte es nicht; man brauchte gar nicht schlau sein, um zu bemerken, daß ein Frommer niemals vergeblich herausgefordert wird. Er eilte fort, sammelte alle seine Mannschaften und interessierte vor allem Madame de Dorigny. Eine Stunde später begab ich mich zu dieser selben Dame; ihr Wagen stand bereit, und sie war schon heruntergekommen; mein Erscheinen veranlaßte sie wieder hinaufzugehen. Sie sagte mir, sie könne sich nur einen Augenblick mit mir unterhalten, weil sie mit zwei Damen vornehmsten Standes zusammentreffen müsse, um von dem gerade in Paris weilenden Minister die Freilassung eines in Sainte Pelagie eingesperrten ehrbaren Mädchens zu erwirken, die ihr von einem frommen Geistlichen anbefohlen sei. Ich sagte ihr keineswegs, daß ich wußte, worum es sich handelte; ich bestärkte sie in dem guten Werke und wollte mich von ihr verabschieden, um sie nicht länger aufzuhalten.

Die guten Werke tut man immer erst nach dem Vergnügen. Sie bewog mich, einen Augenblick zu verweilen, unter einem vagen Vorwand ging sie in ihr Kabinett; ich befand mich nicht wie Tags zuvor im Amtskleid. Ich umarmte sie, unter Schonung ihrer Frisur und ihrer Kleider. In meiner begeisterten Dankbarkeit spendete ich ihr in reichem Maße unsagbare Befriedigung. Da sie nicht undankbar ist, versuchte sie im selben Augenblick sie mir zu vergelten, um nicht zurückzubleiben. Mit reizenden Farben, die keine Kunst erzielen kann, erhob sie sich wieder; nichts kommt den Farben gleich, mit denen Gott Amor malt und die einem in aller Natürlichkeit von der Lust geschenkt werden. Ich begab mich zum Präsidenten, dem ich ankündigte, daß wir vielleicht noch am selben Abend mit Rosette zu Nacht essen würden. Er übernahm es, alle Vorbereitungen zum Feste zutreffen. Wir gingen ins Palais Royal, um uns darüber zu unterhalten, auf welche Weise wir es glänzend gestalten könnten. Es wurde beschlossen, zu seinem Garten zu gehen, der Chevalier von Bourval sollte auch da sein und seine Geliebte mitbringen, der Präsident brächte die kleine Tante von der komischen Oper mit, und ich sollte Rosette zur Gesellschaft haben. Die Sache war damit abgemacht, wir trennten uns, und Laverdure bekam den Auftrag, alles vorzubereiten. Der Präsident willigte ein, daß ich die Kosten des Festes tragen sollte, da es für mich veranstaltet wurde. Wir trennten uns. Alsdann war ich in großer Unruhe.

Während ich mit meinem Vater beim Diner saß, kam ein Eilbote mit einem Brief. Der Sekretär des Ministeriums schrieb: er bäte ihn, seine Einwilligung zur Freilassung eines Mädchens namens Rosette zu geben, die in Sainte Pelagie eingesperrt sei, weil der Minister ihre Befreiung Personen vom höchsten Ansehen nicht verweigern könne. Mein Vater sah sehr wohl, was das bedeutete. Nach dem Diner ließ er mich in sein Kabinett kommen; und um nicht das Nachsehen zu haben, sagte er mir, er wolle gerne tun, was ich wünsche, ich solle ihm nur entgegenkommen. Er gäbe mir Rosette wieder; er bäte es sich jedoch als Gnade aus, daß ich dieses Mädchen, wenn ich sie liebte, nicht wiedersähe; und daß ich in die mir vorgeschlagene Heirat mit einer reichen Erbin von Stand einwillige, dazu tugendlich, jung und schön. Ich umarmte ihn und versprach ihm für die Zukunft jede Genugtuung.

Wir stiegen in den Wagen und begaben uns zum Polizeidirektor, der meinem Vater die Order zur Freilassung Rosettes einhändigte. Mein Vater erlaubte mir, sie herauszuholen, um die Genugtuung vollkommen zu machen, und da er wohl ahnte, daß ich mit ihr soupieren würde, teilte er mir zugleich mit, er würde abends nicht zu Hause sein. Was für ein Vater! Lieber Marquis, ich kann Ihnen nicht ausdrücken, was ich in diesem Falle für ihn empfand.

Ich flog nach Sainte Pelagie. Ich verlangte die Oberin zu sprechen; sie kam ziemlich rasch, aber für den Grad meiner Ungeduld noch viel zu langsam. Ich zeigte ihr die Order, deren ich mich bemächtigt. Sie drehte sie hin und her und fragte mich darauf, wer ich sei; ich erklärte es ihr. Sie erkundigte sich, ob ich nicht einen geistlichen Bruder hätte, ich sagte nein; sie geriet in Ekstase, daß jemand auf der Welt wäre, der mir so riesig ähnlich sehen könnte. Sie argwöhnte nicht, daß ich in Wirklichkeit jener liebenswürdige Beichtvater war, dem die ganze Gemeinschaft ihre Gewissensängste bekennen wollte. Man ließ Rosette kommen; ich sagte ihr, ich hätte die Order ihrer Freilassung, und sie habe nur ihr Bündel zu packen.

Unterdessen traf in großer Unruhe mein Freund ein, der Doktor der Sorbonne, dessen Adresse ich gegeben hatte. Er hatte am Morgen zehn Briefe von Nonnen bekommen, die ihn zur Beichte verlangten. Ich muß anmerken, daß dieser Freund manchmal die Beichte abnimmt, aber selten, und daß er schauerlich häßlich ist. Man brachte ihn ans Gitter, wo man ihn erwartete. Sobald er seinen Namen genannt, sagte man ihm, er täusche sich, das sei nicht sein Name, der, den man wünsche, hätte eine ganz andere Figur. Er machte sich wieder auf den Weg. Ich traf ihn, als er wegging, und setzte ihn von dem Abenteuer in Kenntnis. Obgleich Doktor an der Sorbonne, ist er ein Mann von Geist; er lachte darüber und stieg mit mir in den Wagen. Siehe, da kommt auch Herr Le Doux, der mich erblickt und mir mit trauriger Miene sagt, die arme Rosette werde gar nicht herauskommen, er wolle sie trösten. Wieso, erwiderte ich, was ist denn mit Ihrer Macht geworden? Er seufzte. Gerade, wenn man glaubt, gewisse Personen hätten keinen Kredit, denken sie selbst um so mehr an Erfolg. Ich dankte ihm für seine Bemühungen und teilte ihm mit, daß Rosette mit mir kommen sollte. Gott sei gelobt, sagte der heilige Mann. Rosette erschien; obgleich in schmutziger Wäsche und recht schlecht angezogen, breitete die Freude reizende Farben über sie aus. Sie umarmte die Oberin, die Pförtnerin und machte nur einen Sprung von der Tür des Klosters in den Wagen. Wer uns gesehen hätte, möchte recht schlecht gedacht haben von den zwei Geistlichen, die mich begleiteten. Rosette verhielt sich vor ihnen höchst sittsam, ich wußte ihr dafür vielen Dank.

Nachdem ich meine zwei Herren an ihrer Wohnung abgesetzt hatte, fuhren wir zu Rosette, wo ihre Kammerfrau auf meinen Befehl schon alles zum Empfang vorbereitet hatte.

Ich ließ dem Präsidenten sagen, daß meine Geliebte wieder frei wäre. Mit welchem Entzücken sah sie ihre Wohnung wieder; hätte sie's gewagt, sie hätte alle Möbel umarmt. Mehrere Monate Gefangenschaft machen die Freiheit sehr kostbar; man muß sie verloren haben, um sie in ihrem ganzen Wert zu genießen. Ihre erste Sorge war, rasch ein Bad zu nehmen und vollständig Toilette zu machen. Dann erst, nachdem sie sich mit dem größten Geschmack, der ihr möglich war, umgekleidet, sprang sie mir an den Hals, umarmte mich mit der ganzen Wärme ihres Herzens und dankte mir für meine Mühen.

Sie verstehen, lieber Marquis, mit welchen Zeichen ich ihr die Freude bewies, die ich über ihre Befreiung empfand. Zwei Monate des Müßigseins hatten in Rosette die Kunst noch nicht zerstört, Abwechslung in die Lust zu bringen. Wir setzten sie mit ihrer ganzen Kraft in Tribut, und in kaum einer Stunde brachten wir der schönen Venus, die sicherlich unsere Schutzgöttin gewesen, mehrere Dankopfer. Es scheint, daß sie ihre Gnade über mich ausgegossen hatte; denn niemals war ich in meinen gläubigen Opfergaben so inbrünstig und so verschwenderisch. Ach! reizende Rosette, wieviel Dank schuldet dir die Göttin von Cythera, und wie würdig bist du, an den Gaben teilzuhaben, die man ihr darbringt.

Nachdem ich mich von den Fähigkeiten meiner guten Freundin überzeugt hatte, sagte sie mir, sie habe noch sieben Louisdor, die ich ihr geschickt hätte. Sie wollte sie mir wiedergeben und öffnete ein Kästchen, in dem mehr als zweihundert lagen, außer mehreren günstigen Verträgen. Ich wollte sie nicht zurücknehmen und legte noch zwanzig andere für sie hinzu und zwanzig für das Souper, das wir einnehmen wollten. Sie erledigte es aufs beste und bewirtete uns vortrefflich.

Wir begaben uns bald an unsern Treffpunkt, wo wir erwartet wurden. Rosette wurde von der ganzen Gesellschaft hingebungsvoll umarmt. Die kleine Tante, ihre alte Freundin und die Geliebte des Chevalier de Bourval, die sie kannte, hatten an ihrer Gefangenschaft großen Anteil genommen und nahmen ihn ebensosehr an ihrer Befreiung. Der Präsident konnte sich nicht genug tun, die Neuangekommene zu umarmen. Endlich setzten wir uns zu Tisch. Es war eine größte Genugtuung für die Tischgäste, zu sehn, mit welchem Appetit Rosette alles verzehrte, was ihr vorgelegt war. Alles war nach ihrem Geschmack, und zu jedem Gericht gab sie einen vergleichenden Kommentar mit der Nahrung, die man ihr in die Einsiedelei gebracht. Als das Dessert gekommen war, fing sie an zu singen, und ein Glas Champagner in der Hand, trank sie auf die Gesundheit ihres Befreiers. Wir machten den Chor. Sie bestritt die ganze Unterhaltung, indem sie uns beschrieb, wie sie in ihrer Klause behandelt worden war.

Sie schilderte uns eine alte Nonnenmutter von siebzig Jahren, die Beichtigerin aller Sünderinnen, die alle neuen Ankömmlinge nötigte, ihr ihre Geschichten zu erzählen. Sie machte uns mit einem Tartüff von Beichtvater bekannt, der sie nach seinem Geschmack fand und sich abmühte, sie zu bekehren. Endlich gab sie eine Schilderung von allen von der ersten bis zur letzten, verlästerte die Schwester Monika, diese alberne Neugierige, und bedauerte nur eine junge Professin, mit der sie ihrem Geständnis nach, entgegen ihrer Gewohnheit und bloß dem Bedürfnis gehorchend, recht angenehme Momente verbracht hatte.

Nachdem sie ihre Geschichte beendigt hatte, strengte sich die kleine Tante an; sie erzählte uns, warum sie nicht wieder auf die Bühne der komischen Oper gehen wollte; sie trieb ihr Gespött mit der reizenden kleinen Brillant, die ihr hinsichtlich der Natur überlegen ist, unterlegen aber in bestimmter andrer Hinsicht. Die Geliebte des Chevalier de Bourval begann freie Lieder zu singen; sie umarmte ihren Nachbar; ihre Nachbarin tat das gleiche; und so pflanzte sich die Ungebundenheit, wie von Hand zu Hand, im Kreis fort. Der Champagner regte die Geister an. Jeder hielt nach seiner Laune die hübschesten Reden der Welt und sang die lustigsten Lieder. Allmählich mischte sich Venus mit ins Spiel; der Präsident entfernte sich, um der Göttin zu opfern; der Chevalier folgte ihm ebenso wie seine gute Freundin. Ich blieb mit Rosette allein. Sie sind sehr beschäftigt, sagte sie zu mir, und wir, lieber Rat, sollen wir im Müßiggang verharren, der doch die Mutter aller Laster ist? Sie stand auf und setzte sich mir auf die Knie, nahm mein Gesicht in ihre beiden Hände, umarmte mich leicht und raubte mir Küsse vom Munde. Wie sehr setzte sie mich mit diesen Berührungen in Flammen. Das Feuer durchdrang mich überall. Nach den Freuden, die wir bei ihr genossen, schien sie überrascht. Ihr erster Gedanke war, es zu nützen. Noch eine Blume? sagte sie und rührte sie voll Sinnlichkeit an, ich glaubte schon alles abgepflückt zu haben. Wie frisch sie ist – ich will sie mir anstecken! Das tat sie denn auch, und die Blume, die gleichsam bezaubert war, sich so wohl untergebracht zu finden, bereitete sich schon darauf vor, sie mit ihren Schätzen zu überschütten. Schon hatte ihr die Schöne von den ihrigen mitgeteilt. Da machte Rosette, aus Sparsamkeit, einen Schritt rückwärts und sagte mir, sie reserviere mir für die Nacht ein Geschenk, das sie mir machen wolle. Sie gab mir mein Bukett wieder und ermahnte mich, es bis dahin recht zu bewahren. Wir setzten uns wieder zu Tische, und als wir die Liköre getrunken, bestiegen Rosette und ich den Wagen, um uns zur Ruhe zu begeben. Unsern Tischgenossen schien es nicht angebracht, es ebenso zu machen, sie ergötzten sich vielmehr bis an den Morgen. Ich verbrachte die Nacht mit Rosette. Sie entschädigte sich reichlich für die aufgezwungene Diät, die sie während ihrer gewaltsamen Zurückgezogenheit zu üben genötigt war; und trotz dem, was ich tagsüber schon fertig gebracht, war ich recht glücklich, sie zu befriedigen.

Nachdem sie das Kloster hinter sich hatte, war sie ein wahrer Proteus; sie verwandelte sich in meinen Armen; in ihrem Feuer war sie ein Löwe, in ihrer Geschmeidigkeit eine Schlange, Welle und Flut in ihrer Kunst, sich zu entziehen und schließlich eine Sterbliche über allen Göttern.

Nachdem wir eine der wollüstigsten Nächte verbracht, verließ ich sie am andern Morgen sehr früh; sie weinte, als sie mich gehen sah. Von dieser Zeit an, lieber Marquis, habe ich sie gemäß dem meinem Vater gegebenen Versprechen nicht mehr wie gewohnt besucht, ausgenommen die ersten vierzehn Tage. Das Mädchen ist zu sich selbst zurückgekommen, und ich habe sogar dazu beigetragen, sie zu arrangieren. Da sie sich im Besitz von zwölftausend Franken befand, tat sie ein Geschäft auf und heiratete einen Kaufmann von der Rue Saint-Honoré, einen reichen, kinderlosen Mann, der sie zu seinem Teilhaber machte. Sie hat sich jetzt auf ihr Geschäft verlegt und ist glücklich mit ihrem Gatten, den sie liebt und der sie wieder liebt. Es ist die Verbindung zweier Leute, die die Welt gesehen haben. Ich besuche sie zuweilen und verkehre mit ihr wie mit einer Freundin; ich achte sie sogar genug, um ihr nicht mehr von Galanterie zu reden.

Herr Le Doux hatte richtig prophezeit, wenn er sagte, dieses Mädchen würde sich auf sich selber besinnen, weil auf Leute von Geist immer zu hoffen ist.

Rosette könnte den jungen und hübschen Mädchen, die unglücklich genug sind, sich dem freien Leben zu widmen, als Beispiel dienen. Sie sollten sich in ihren guten Tagen eine Hilfsquelle ersparen, statt zu vergeuden. Aber was ist zu hoffen von der Klugheit der Leute, die töricht genug sind, sich ihren Leidenschaften rückhaltlos hinzugeben?

Was mich anlangt, lieber Marquis, ich habe Laverdure seine zehn Louis wiedergegeben und noch zehn andere dazu. Meinen Schurken von Diener habe ich wieder aus Biçêtre genommen. Ich folgte den Ratschlägen meines Vaters und liege gegenwärtig in den Fesseln einer liebenswürdigen jungen Dame; vielleicht werde ich so glücklich sein, mich mit ihr durch die geheiligten Bande der Ehe zu verbinden. Ich rechne darauf, daß die Angelegenheit diesen Winter zum Abschluß kommt. Da Du in Paris sein wirst, werde ich die Freude haben, Dich dabei zu umarmen; Du wirst die Lorbeeren auf Deiner Stirn mit den Myrten vereinigen, die Gott Amor und die schöne Venus Deinem Freunde bereithalten. Mein Glück wird vollkommen sein, da ich sicher bin, daß Du daran teilnehmen wirst. Adieu, lieber Marquis, ich umarme Dich und wünsche Dir für Deine Ankunft so viel Freude als ich während Deiner Abwesenheit gehabt habe.


 << zurück weiter >>