Charles Darwin
Die Entstehung der Arten durch Naturauslese
Charles Darwin

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8. Kapitel.

Der Naturtrieb.

Die Naturtriebe sind mit den Gewohnheiten zu vergleichen, aber in ihrem Ursprung verschieden. Abstufung der Naturtriebe. Blattläuse und Ameisen. Veränderliche Naturtriebe. Naturtriebe der gezüchteten Tiere, ihr Ursprung. Naturtriebe des Kuckucks, des Molothrus, des Straußes und der Schmarotzerbienen. Sklavenhaltende Ameisen. Die Honigbiene, ihr Trieb, Zellen zu bauen. Umwandlungen des Naturtriebs und des Körperbaus sind nicht notwendig gleichzeitig. Schwierigkeiten der Lehre von der Naturauslese der Naturtriebe. Geschlechtlose oder unfruchtbare Kerbtiere. Zusammenfassung.

* * *

Viele Naturtriebe sind so wunderbar, daß ihre Entwicklung wahrscheinlich dem Leser als eine Schwierigkeit erscheint, die genügt, meine ganze Lehre über den Haufen zu werfen. Ich möchte vorausschicken, daß ich hier mit dem Ursprung der geistigen Kräfte nicht mehr zu thun habe als mit dem des Lebens selbst. Wir befassen uns nur mit der Verschiedenartigkeit des Naturtriebs und der anderen geistigen Fähigkeiten bei den Tieren derselben Klasse.

Ich will keine Begriffsbestimmung des Naturtriebs versuchen. Es würde sich leicht zeigen lassen, daß verschiedene getrennte geistige Thätigkeiten gewöhnlich unter diesem Ausdrucke zusammengefaßt werden. Aber jeder versteht, was gemeint ist, wenn man sagt, daß der Naturtrieb den Kuckuck veranlaßt, zu wandern und seine Eier in die Nester fremder Vögel zu legen. Man sagt, der Naturtrieb wirke, wenn eine Handlung, zu der uns nur die Erfahrung befähigt, von einem Tier, besonders einem sehr jungen, ohne Erfahrung, und wenn es von vielen auf dieselbe Weise ausgeübt wird, ohne daß sie wissen, zu welchem Zweck sie sie ausüben. Aber ich könnte zeigen, daß keins dieser Merkmale allgemein giltig ist. Ein kleines Maß von Urteil oder Vernunft, wie Pierre Huber es nennt, spielt oft sogar bei Tieren mit, die auf der Stufenleiter der Natur niedrig stehen.

Friedrich Cuvier und mehrere ältere Metaphysiker haben den Naturtrieb mit der Gewohnheit verglichen. Diese Vergleichung giebt, denke ich, einen genauen Begriff von der Geistesverfassung, in der eine durch den Naturtrieb eingegebene Thätigkeit ausgeübt wird, aber nicht notwendig von ihrem Ursprung. Wie unbewußt werden viele gewohnte Handlungen vollzogen, in der That nicht selten gerade unserm bewußten Willen entgegengesetzt. Indessen können sie durch den Willen oder die Vernunft geändert werden. Die Gewohnheiten verbinden sich leicht mit anderen Gewohnheiten, mit gewissen Zeitabschnitten und Körperzuständen. Wenn sie einmal erworben sind, bleiben sie oft das ganze Leben lang bestehen. Mehrere andere Ähnlichkeiten zwischen Naturtrieben und Gewohnheiten könnten hervorgehoben werden. Wie wenn man ein wohlbekanntes Lied wiederholt, so folgt bei den Naturtrieben eine Handlung der anderen in einer Art Rhythmus. Wenn eine Person in einem Liede oder bei der Wiederholung von irgendetwas Auswendiggelerntem unterbrochen wird, muß sie gewöhnlich wieder von vorn anfangen, um den gewohnten Gedankengang wiederzufinden. Ebenso war es, wie P. Huber fand, bei einer Raupe, die ein sehr verwickeltes Gespinst webt. Denn wenn er eine Raupe, die ihr Gespinst, sagen wir, bis zu der sechsten Stufe des Baus vollendet hatte, nahm und sie in ein Gespinst setzte, das nur bis zur dritten Stufe vollendet war, so machte sie einfach die vierte, fünfte und sechste Stufe noch einmal. Wenn jedoch eine Raupe aus einem bis zur dritten Stufe vollendeten Gespinst genommen und in ein bis zur sechsten Stufe vollendetes gesetzt wurde, so daß viel von ihrer Arbeit schon für sie gethan war, so war sie weit entfernt davon, irgendeinen Nutzen daraus zu ziehen, sondern geriet in Verlegenheit und, um ihr Gespinst zu vollenden, schien sie gezwungen von der dritten Stufe zu beginnen, wo sie aufgehört hatte, und versuchte so die schon fertige Arbeit zu vollenden.

Wenn wir voraussetzen, daß irgendeine gewohnheitsmäßige Thätigkeit vererbt wird – und man kann zeigen, daß dies manchmal geschieht, – dann wird die Ähnlichkeit zwischen dem, was ursprünglich eine Gewohnheit, und dem, was ein Naturtrieb war, so groß, daß sie nicht zu unterscheiden sind. Wenn Mozart, anstatt im Alter von drei Jahren mit wunderbar geringer Übung Klavier zu spielen, überhaupt ohne irgendwelche Übung eine Melodie gespielt hätte, hätte man mit Recht sagen können, daß er es aus Naturtrieb gethan habe. Aber es würde ein ernster Irrtum sein, anzunehmen, daß die Mehrzahl durch Gewohnheit in einem Geschlecht erworben und dann durch Vererbung den folgenden Geschlechtern übermittelt worden ist. Es läßt sich deutlich zeigen, daß die wunderbarsten Naturtriebe, die wir kennen, nämlich die der Honigbiene und vieler Ameisen unmöglich durch Gewohnheit hätten erworben werden können.

Man wird allgemein zugeben, daß für die Wohlfahrt jeder Art unter ihren jetzigen Lebensbedingungen die Naturtriebe ebenso wichtig sind wie die körperlichen Bildungen. Unter umgewandelten Lebensbedingungen ist es wenigstens möglich, daß geringe Ummodelungen des Naturtriebs für eine Art nützlich wären. Und wenn man zeigen kann, daß die Naturtriebe sich auch nur ein wenig abändern, dann kann ich keine Schwierigkeit darin sehen, daß die Naturauslese Abänderungen des Naturtriebs, soweit sie nützlich sind, erhält und fortgesetzt anhäuft. So sind, wie ich glaube, die verwickeltsten und wunderbarsten Naturtriebe ursprünglich sämtlich entstanden. Wie die Ummodelungen des Körperbaus durch Gebrauch oder Gewohnheit entstehen, durch diese vermehrt und durch Nichtgebrauch vermindert werden oder verloren gehen, ebenso ist es nach meiner Meinung zweifellos mit den Naturtrieben gewesen. Aber ich glaube, daß die Wirkungen der Gewohnheit in vielen Fällen von untergeordneter Wichtigkeit sind gegenüber den Wirkungen der Naturauslese dessen, was man von selbst geschehende Abänderungen der Naturtriebe nennen kann, d. h. von Abänderungen, die von denselben unbekannten Ursachen hervorgebracht werden, die leichte Abweichungen des Körperbaus schaffen.

Es ist unmöglich, daß ein verwickelter Naturtrieb durch die Naturauslese anders als durch langsame und stufenweis erfolgende Anhäufung zahlreicher unbedeutender, aber nützlicher Abänderungen hervorgebracht wird. Daher müßten wir wie bei den körperlichen Bildungen in der Natur nicht die wirklichen Übergangsstufen, durch die jeder verwickelte Naturtrieb erworben worden ist, finden – denn diese könnte man bei jeder Art nur bei den Vorfahren in gerader Linie finden –, aber wir müßten in den Seitenlinien irgendwelche Zeugnisse solcher Abstufungen finden oder wenigstens imstande sein zu zeigen, daß Abstufungen irgendwelcher Art möglich sind. Und das können wir sicherlich. Wenn ich in Anschlag bringe, daß die Naturtriebe der Tiere außer in Europa und Nordamerika nur wenig beobachtet worden sind, und daß kein Naturtrieb unter den ausgestorbenen Arten bekannt ist, bin ich überrascht, zu finden, wie allgemein Abstufungen, die zu den verwickeltsten Naturtrieben führen, entdeckt werden können. Umwandlungen des Naturtriebs mögen manchmal dadurch erleichtert worden sein, daß dieselbe Art in verschiedenen Lebensabschnitten oder zu verschiedenen Jahreszeiten oder unter verschiedenen Umständen verschiedene Naturtriebe hat. Und in diesem Fall könnte die Naturauslese entweder den einen oder den anderen Naturtrieb erhalten. Solche Beispiele der Verschiedenheit des Naturtriebs bei derselben Art kommen, wie ich zeigen könnte, in der Natur vor.

Nun dient, wie beim Körperbau und meiner Lehre entsprechend, der Naturtrieb jeder Art zu deren Nutzen, ist aber niemals, soweit wir urteilen können, ausschließlich zum Besten anderer Arten hervorgebracht worden. Eins der stärksten mir bekannten Beispiele dafür, daß ein Tier eine Handlung anscheinend allein zum Besten eines andern ausübt, ist, daß die Blattläuse, wie zuerst Huber beobachtet hat, den Ameisen freiwillig ihre süße Ausscheidung überlassen. Daß sie es freiwillig thun, zeigen folgende Thatsachen. Aus einer Gruppe von ungefähr einem Dutzend Blattläusen auf einer Ampherpflanze entfernte ich alle Ameisen und verhinderte mehrere Stunden lang ihre Anwesenheit. Nach dieser Pause hielt ich es für sicher, daß die Blattläuse das Bedürfnis hätten, ihre Absonderung auszuscheiden. Ich beobachtete sie eine Zeitlang durch eine Lupe, aber keine that es. Dann kitzelte und streichelte ich sie mit einem Haar, so gut ich konnte, ebenso, wie es die Ameisen mit ihren Fühlern thun. Aber dies hatte keinen Erfolg. Darauf ließ ich sie von einer Ameise besuchen, und nach der eifrigen Art, mit der sie herumlief, schien sie sofort zu merken, was für eine reiche Herde sie entdeckt hatte. Sie begann dann mit ihren Fühlern auf dem Hinterleib erst einer Blattlaus und darauf einer anderen zu spielen, und jede erhob, sobald sie die Fühler merkte, sofort den Hinterleib und schied einen durchsichtigen Tropfen süßen Saftes aus, der von der Ameise hastig verschlungen wurde. Sogar die ganz jungen Blattläuse betrugen sich so und zeigten dadurch, daß die Handlung vom Naturtrieb eingegeben, nicht das Ergebnis der Erfahrung war. Nach den Beobachtungen Hubers ist es sicher, daß die Blattläuse den Ameisen gegenüber keine Abneigung zeigen. Wenn die letzteren nicht zur Stelle sind, sind sie schließlich gezwungen, ihre Absonderung auszuwerfen. Da aber die Absonderung äußerst klebrig ist, so ist es ohne Zweifel eine Bequemlichkeit für die Blattläuse, wenn sie fortgebracht wird. Daher scheiden sie diese wahrscheinlich nicht bloß zum Besten der Ameisen aus. Obgleich es keinen sicheren Beweis dafür giebt, daß irgendein Tier eine Thätigkeit ausschließlich zum Besten einer anderen Art ausübt, so versucht doch jedes aus den Naturtrieben der anderen Nutzen zu ziehen, ebenso wie jedes aus dem schwächeren Körperbau anderer Arten Nutzen zieht. So können wiederum gewisse Naturtriebe nicht als durchaus vollkommen betrachtet werden; da aber Einzelheiten über diese und andere ähnliche Punkte nicht unerläßlich sind, können sie hier übergangen werden.

Da für die Wirksamkeit der Naturauslese ein gewisser Grad der Abänderung der Naturtriebe im Naturzustande und die Vererbung solcher Abänderungen unerläßlich ist, so sollten so viele Beispiele als möglich gegeben werden; aber Raummangel hindert mich daran. Ich kann nur versichern, daß sich die Naturtriebe in ihrer Ausdehnung und Richtung abändern und sogar vollständig verlieren. Das ist z. B. der Fall beim Wandertrieb. Ebenso ist es bei den Vogelnestern, deren Abänderungen teils von der gewählten Stelle, der Natur und den Witterungsverhältnissen des bewohnten Landes, oft aber von ganz unbekannten Ursachen abhängen. Audubon hat mehrere bemerkenswerte Fälle von Verschiedenheiten in den Nestern derselben Art im Norden und Süden der Vereinigten Staaten aufgeführt. Warum, so hat man gefragt, hat der Naturtrieb, wenn er veränderlich ist, der Biene nicht die »Fähigkeit gewährt, anderen Stoff zu gebrauchen, wenn das Wachs fehlt?« Aber welchen anderen natürlichen Stoff könnten die Bienen gebrauchen? Sie arbeiten, wie ich gesehen habe, mit durch Zinnober gehärtetem oder durch Fett erweichtem Wachs. Andrew Knight beobachtete, daß seine Bienen, anstatt fleißig Vorwachs zu sammeln, eine Mischung von Wachs und Terpentin benutzten, mit der er die geschälten Bäume bestrichen hatte. Ferner hat man kürzlich gezeigt, daß Bienen statt nach Blütenstaub zu suchen, gern einen ganz anderen Stoff, nämlich Hafermehl, gebrauchen. Furcht vor einem besonderen Feinde ist sicher ein Naturtrieb, wie man bei Nestlingen sehen kann, wenn er auch durch die Erfahrung und durch die Wahrnehmung der Furcht vor demselben Feinde bei anderen Tieren verstärkt wird. Die mannigfachen Tiere, die wüste Inseln bewohnen, lernen, wie ich anderswo gezeigt habe, langsam die Furcht vor dem Menschen. Selbst in England sehen wir ein Beispiel davon in der größeren Scheu aller großen Vögel im Vergleich zu unseren kleineren Vögeln; denn die größeren Vögel sind am meisten von dem Menschen verfolgt worden. Wir können die größere Scheu unserer großen Vögel mit Sicherheit dieser Ursache zuschreiben; denn auf unbewohnten Inseln sind die großen Vögel nicht furchtsamer als die kleinen. Die in England so furchtsame Elster ist in Norwegen zahm, wie es die Haubenkrähe in Ägypten ist.

Daß sich die geistigen Fähigkeiten von Tieren derselben Art, die im Naturzustande geboren sind, sehr abändern, könnte ich an vielen Thatsachen zeigen. Ich könnte auch mehrere Fälle von gelegentlichen und sonderbaren Gewohnheiten bei wildlebenden Tieren anführen, die, wenn sie für die Art vorteilhaft waren, vielleicht neue Naturtriebe durch die Naturauslese haben entstehen lassen. Aber ich bin mir wohl bewußt, daß diese allgemeinen Behauptungen ohne Anführung der einzelnen Thatsachen nur eine schwache Wirkung auf den Leser hervorbringen werden. Ich kann nur meine Versicherung wiederholen, daß ich nicht ohne zuverlässige Zeugnisse spreche.

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Ererbte Umwandlungen der Gewohnheit oder des Naturtriebs bei gezüchteten Tieren.

Die Möglichkeit oder sogar Wahrscheinlichkeit, daß Abänderungen des Naturtriebs im Naturzustande vererbt werden, wird durch eine kurze Betrachtung einiger Fälle bei der Zucht bestätigt werden. Wir werden so imstande sein, zu erkennen, welche Rolle Gewohnheit und die Auslese sogenannter von selbst geschehender Abänderungen bei der Ummodelung der geistigen Fähigkeiten unserer Haustiere gespielt haben. Es ist bekannt, wie sehr sich die Haustiere in ihren geistigen Eigenschaften abändern. Bei den Katzen gewöhnt sich die eine von Natur daran, Ratten zu fangen, die andere Mäuse; und diese Neigungen sind, wie man weiß, ererbt. Eine Katze brachte nach St. John immer Jagdvögel, eine andere Hasen oder Kaninchen nach Haus, und eine andere jagte auf sumpfigem Boden und fing beinahe allnächtlich Schnepfen. Es ließe sich eine Anzahl von merkwürdigen und verbürgten Beispielen dafür geben, daß mannigfaltige Schattierungen der Anlage und des Geschmacks und die sonderbarsten Kunstgriffe, die sich mit einem gewissen Geisteszustand oder gewissen Zeitabschnitten verbinden, ererbt sind. Doch wir wollen uns jetzt mit den uns vertrauten Hunderassen befassen. Man kann nicht bezweifeln, daß junge Wachtelhunde, wovon ich selbst einen überraschenden Fall gesehen habe, wenn sie zum erstenmal mithinausgenommen werden, zuweilen stehen oder sogar andere Hunde von hinten stellen; Spürhunde haben das Aufspüren, und die Schäferhunde die Neigung, um eine Schafherde herum statt auf sie zuzulaufen, sicher ererbt. Ich kann nicht einsehen, daß diese von den Jungen ohne Erfahrung und von jedem Tier beinahe in derselben Weise ausgeübten Thätigkeiten, die von jeder Rasse mit lebhafter Freude und ohne Kenntnis des Zwecks vollzogen werden – denn der junge Wachtelhund kann ebensowenig wissen, daß er steht, um seinem Herrn zu helfen, wie der Kohlweißling, warum er seine Eier auf ein Kohlblatt legt – ich kann nicht einsehen, sage ich, daß diese Thätigkeiten sich wesentlich von wahren Naturtrieben unterscheiden. Wenn wir einen jungen Wolf einer Art sehen würden, der ohne Gewöhnung, sobald er seine Beute aufgespürt hat bewegungslos wie eine Bildsäule dastände und dann in einer besonderen Gangart vorwärts schliche, und einen Wolf einer andern Art, der um ein Hirschrudel rasend herum statt darauf zu liefe und es nach einem entfernten Punkt triebe, so würden wir diese Handlungen sicher als Wirkungen des Naturtriebs bezeichnen. Die Naturtriebe der gezüchteten Tiere sind sicher weit weniger fest als die der wildlebenden, aber sie sind von einer weit weniger strengen Auslese beeinflußt und für eine unvergleichlich kürzere Zeit unter weniger feststehenden Lebensbedingungen übertragen worden.

Wie stark diese Triebe, Gewohnheiten und Anlagen der Haustiere sich vererben, und wie seltsam sie sich mischen, zeigt sich am besten, wenn verschiedene Hunderassen gekreuzt werden. So ist es bekannt, daß eine Kreuzung mit einer Bulldogge den Mut und die Zähigkeit von Windhunden für viele Geschlechter beeinflußt, und eine Kreuzung mit einem Windhund hat einer ganzen Familie von Schäferhunden die Neigung gegeben, Hasen zu jagen. Diese Triebe der Haustiere gleichen, wenn sie so durch Kreuzung erprobt werden, den Trieben der wildlebenden Tiere, die sich in ähnlicher Weise seltsam mischen und für einen langen Zeitraum Spuren der Triebe beider Eltern zeigen. Le Roy beschreibt z. B. einen Hund, dessen Urgroßvater ein Wolf war, und dieser Hund zeigte eine Spur seiner wilden Abstammung nur noch darin, daß er, wenn er gerufen wurde, nie in gerader Linie zu seinem Herrn kam.

Von den Naturtrieben der Haustiere hat man zuweilen wie von den Tätigkeiten gesprochen, die nur aus lang fortgesetzter Zwangsgewohnheit ererbt worden sind. Aber das ist falsch. Niemand würde jemals daran gedacht haben, einem Tummler das Tummeln zu lehren oder würde es ihm wahrscheinlich haben lehren können, während junge Vögel, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, diese Kunst verstehen, die sie von keinem anderen Vogel gesehen haben. Wir dürfen annehmen, daß irgendeine Taube eine unbedeutende Neigung zu dieser seltsamen Gewohnheit zeigte, und daß die lang fortgesetzte Auslese der besten Vögel in den folgenden Geschlechtern die Tummler zu dem gemacht hat, was sie jetzt sind. Nahe bei Glasgow giebt es, wie ich von Brent höre, Haustummler, die nicht achtzehn Zoll hoch anders als Hals über Kopf fliegen können. Man darf bezweifeln, ob irgend jemand daran gedacht hätte, einen Hund zum Stehen abzurichten, wenn nicht irgendein Tier von Natur eine Neigung nach dieser Richtung gezeigt hätte. Und das kommt bekanntlich, wie ich selbst einmal gesehen habe, gelegentlich bei dem echten Dachshund vor. Das Stehen ist nach der Meinung vieler wahrscheinlich nur das verlängerte Anhalten eines Tieres, das sich zum Sprung auf seine Beute anschickt. Wenn die erste Neigung zum Stehen einmal entwickelt ist, werden planmäßige Auslese und die ererbten Wirkungen der Zwangsabrichtung in jedem folgenden Geschlecht die Arbeit bald vollenden. Dazu kommt noch die unbewußte Auslese, da jeder Mensch, ohne die Rasse vervollkommnen zu wollen, Hunde, die am besten stehen und jagen, sich zu verschaffen sucht. Andererseits hat die Gewohnheit in manchen Fällen allein genügt. Kaum ein Tier ist schwerer zu zähmen als das Junge des wilden Kaninchens, und schwerlich ist eins zahmer als das Junge des zahmen Kaninchens. Aber man kann kaum annehmen, daß die Hauskaninchen bloß ihrer Zahmheit wegen oft ausgelesen worden sind. Daher müssen wir die Umwandlung von der äußersten Wildheit in die äußerste Zahmheit größtenteils wenigstens der Gewohnheit und der lang fortdauernden engen Gefangenschaft zuschreiben.

Im wilden Zustande vorhandene Naturtriebe gehen unter dem Einfluß der Zucht verloren. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür sieht man bei denjenigen Geflügelrassen, die niemals »brütig« werden, d. h. niemals das Bedürfnis haben, auf ihren Eiern zu sitzen. Nur die Vertrautheit mit unseren Haustieren hindert uns zu sehen, wie weit und wie beständig sich ihre geistige Anlage umgemodelt hat. Man kann kaum bezweifeln, daß die Zuneigung zum Menschen bei dem Hunde ein Naturtrieb geworden ist. Alle Wölfe, Füchse, Schakale und die Arten der Katzengattung, wenn sie zahm gehalten werden, sind aufs äußerste darauf erpicht, Geflügel, Schafe und Ferkel anzufallen. Diese Neigung hat sich bei Hunden, die aus Gegenden wie dem Feuerland und Australien, wo die Wilden dieses Haustier nicht halten, ganz jung mitgebracht worden sind, als unausrottbar gezeigt. Wie selten brauchen wir dagegen unseren gesitteten Hunden, auch wenn sie ganz jung sind, beizubringen, daß sie das Geflügel, die Schafe und Ferkel nicht anfallen sollen. Zweifellos fallen sie sie gelegentlich an und werden dann geschlagen, und wenn sie es sich nicht abgewöhnen, werden sie getötet, so daß die Gewohnheit und ein gewisser Grad von Auslese vermittelst der Vererbung wahrscheinlich zusammengewirkt haben, um unsere Hunde zu ziehen. Andererseits haben die jungen Küchlein ganz durch die Gewohnheit die Furcht vor Hund und Katze verloren, die ursprünglich zweifellos ein Naturtrieb bei ihnen war. Denn Kapitän Hutton hat mir mitgeteilt, daß die jungen Küchlein des Urstamms, des Bankivahuhns, wenn sie auch von einer gewöhnlichen Henne ausgebrütet werden, zuerst äußerst scheu sind. Ebenso steht es mit den jungen Fasanen, die man in England von einer Henne ausbrüten läßt. Die Küchlein haben nicht alle Furcht, sondern bloß diejenige vor Hund und Katze verloren; denn wenn die Henne durch Glucksen anzeigt, daß Gefahr im Anzuge ist, so flüchten sie sich in ihre Nähe, besonders die jungen Truthähne, und verbergen sich in Gras und Dickicht rundherum. Und das thun sie offenbar zu dem ihnen vom Naturtriebe eingegebenen Zwecke, der Mutter, wie wir es bei wilden, am Boden lebenden Vögeln sehen, zu ermöglichen, fortzufliegen. Aber dieser Naturtrieb, den die Küchlein bewahrt haben, ist unter dem Einfluß der Zucht nutzlos geworden, denn die Mutterhenne hat durch Nichtgebrauch die Flugkraft beinahe verloren.

Wir können daher schließen, daß unter dem Einfluß der Zucht Naturtriebe erworben worden und andere, die die Tiere im wilden Zustande besessen haben, teils durch Gewohnheit, teils durch die vom Menschen betriebene Auslese und Anhäufung eigenartiger geistiger Gewohnheiten und Thätigkeiten verloren gegangen sind. Diese traten zuerst infolge eines Zufalls auf, wie wir es bei unserer Unkenntnis nennen mußten. In einigen Fällen hat Zwangsgewohnheit allein genügt, um ererbte geistige Umwandlungen hervorzubringen, in andern ist sie wirkungslos geblieben und alles das Ergebnis planmäßiger wie unbewußter Auslese gewesen; aber meistens haben Gewohnheit und Auslese wahrscheinlich zusammengewirkt.

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Besondere Naturtriebe.

Wie Naturtriebe im Naturzustande durch Auslese umgemodelt worden sind, wird man vielleicht am besten verstehen, wenn man einige Beispiele betrachtet. Ich will nur drei auswählen, nämlich den Trieb, der den Kuckuck veranlaßt, seine Eier in die Nester anderer Vögel zu legen, den Trieb gewisser Ameisen, Sklaven zu halten, und das Vermögen der Honigbiene, Zellen zu bauen. Diese beiden letzteren Triebe sind allgemein und mit Recht von den Naturforschern als die wunderbarsten unter allen angesehen worden, die uns bekannt sind.

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Die Naturtriebe des Kuckucks. Manche Naturforscher nehmen an, daß der erwähnte Trieb des Kuckucks seine eigentlichste Ursache darin hat, daß er seine Eier nicht täglich, sondern in Zwischenräumen von zwei bis drei Tagen legt. Würde er also sein eigenes Nest bauen und auf seinen eigenen Eiern sitzen, so würden die zuerst gelegten eine Zeitlang unbebrütet bleiben müssen, oder es würden Eier und junge Vögel von verschiedenem Alter in demselben Neste sein. Wäre dies der Fall, so könnte der Vorgang des Legens und Ausbrütens länger dauern, als es dienlich ist, besonders da er zu sehr früher Zeit fortzieht, und die zuerst ausgekrochenen Jungen müßten wahrscheinlich durch das Männchen allein ernährt werden. Aber der amerikanische Kuckuck ist in dieser Lage, er baut sein eigenes Nest und hat zu gleicher Zeit Eier und nacheinander ausgebrütete Junge. Man hat behauptet, wie bestritten, daß der amerikanische Kuckuck seine Eier gelegentlich in die Nester fremder Vögel legt. Aber von Dr. Merrell aus Iowa habe ich neulich gehört, er habe einmal in Illinois einen jungen Kuckuck zusammen mit einem jungen Häher im Neste eines Haubenhähers gefunden. Da beide fast ganz befiedert waren, konnte ein Zweifel an ihrer Zugehörigkeit nicht aufkommen. Ich könnte auch verschiedene Vögel anführen, von denen man weiß, daß sie ihre Eier gelegentlich in fremde Nester legen. Nehmen wir nun an, daß der einstige Vorfahr unseres europäischen Kuckucks die Gewohnheiten des amerikanischen Kuckucks hatte und gelegentlich ein Ei in ein fremdes Nest legte. Wenn dem alten Vogel diese gelegentliche Gewohnheit entweder deswegen vorteilhaft war, weil er früher fortziehen konnte, oder aus irgendeinem anderen Grunde, oder wenn die Jungen mit Hilfe des mißleiteten Naturtriebs einer anderen Art kräftiger wurden, als wenn sie von ihrer eigenen Mutter aufgezogen worden wären, die, wie es nicht anders sein konnte, dadurch belastet war, daß sie Eier und Junge von verschiedenem Alter zu gleicher Zeit hatte, dann gewannen die alten Vögel oder die in Pflege gegebenen Jungen einen Vorteil. Und ähnliche Fälle würden uns glauben lassen, daß die so aufgezogenen Jungen die Neigung erben würden, der gelegentlichen abweichenden Gewohnheit ihrer Mutter zu folgen und ihrerseits ihre Eier in fremde Nester zu legen, und daß sie so beim Aufziehen ihrer Jungen mehr Erfolg haben würden. Durch einen fortgesetzten Vorgang dieser Art ist, glaube ich, der seltsame Naturtrieb unseres Kuckucks erzeugt worden. Kürzlich hat auch Adolf Müller mit genügender Sicherheit festgestellt, daß der Kuckuck hin und wieder seine Eier auf die bloße Erde legt, auf ihnen sitzt und seine Jungen versorgt. Dieses seltene Vorkommnis ist wahrscheinlich ein Fall von Wiederauftreten des langverlorenen ursprünglichen Naturtriebs des Nestbauens.

Man hat eingewendet, daß ich andere verwandte Triebe und Anpassungen des Körperbaus beim Kuckuck, die man als notwendig zugehörig bezeichnet hat, nicht erwähnt habe. Aber das Nachsinnen über einen Naturtrieb, der uns nur bei einer einzigen Art bekannt ist, ist in allen Fällen nutzlos; denn wir hatten bisher keine Thatsachen, die uns leiten konnten. Bis vor kurzem waren allein die Triebe des europäischen und des nicht schmarotzenden amerikanischen Kuckucks bekannt. Jetzt haben wir, dank Ramsays Beobachtungen, etwas über drei australische Arten erfahren, die ihre Eier in fremde Nester legen. Drei Hauptpunkte sind es, auf die man verweisen muß: Erstens legt der gemeine Kuckuck mit seltenen Ausnahmen nur ein Ei in ein Nest, so daß der große und gefräßige junge Vogel reichliche Nahrung erhält. Zweitens sind die Eier merkwürdig klein, nicht größer als die der Feldlerche, eines Vogels, der ungefähr nur ein Viertel so groß ist wie der Kuckuck. Daß die geringe Größe des Eies ein wirklicher Fall von Anpassung ist, können wir aus der Thatsache schließen, daß der nicht schmarotzende amerikanische Kuckuck Eier von richtiger Größe legt. Drittens hat der junge Kuckuck bald nach dem Auskriechen den Trieb, die Stärke und einen eigens geformten Rücken, um seine Pflegebrüder aus dem Nest zu werfen, die dann vor Kälte und Hunger umkommen. Das hat man kühn eine wohlthätige Einrichtung genannt, damit der junge Kuckuck hinreichende Nahrung erhält, und seine Pflegebrüder umkommen, ehe sie eigentlich Empfindung haben.

Wir kommen jetzt zu den australischen Arten. Obgleich diese Vögel gewöhnlich nur ein Ei in ein Nest legen, findet man nicht selten zwei und sogar drei Eier in demselben Nest. Beim Bronze-Kuckuck sind die Eier an Größe sehr verschieden, in einer Länge von acht bis zu zehn Linien. Wenn es nun für diese Art ein Vorteil gewesen wäre, noch kleinere Eier zu legen, als jetzt, um gewisse Pflegeeltern zu täuschen, oder, was wahrscheinlicher ist, um die Eier in kürzerer Zeit ausbrüten zu lassen (denn man behauptet, daß zwischen der Größe der Eier und der Brutzeit ein Verhältnis besteht), dann kann man unschwer annehmen, daß sich eine Rasse oder Art hätte bilden können, die immer kleinere Eier legte; denn diese würden sicherer ausgebrütet und die jungen Vögel eher aufgezogen worden sein. Ramsay bemerkt, daß zwei der australischen Kuckucksarten, wenn sie ihre Eier in offene Nester legen, eine entschiedene Vorliebe für solche zeigen, welche Eier enthalten, die den ihrigen an Farbe ähnlich sind. Die europäische Art zeigt offenbar einige Neigung zu einem gleichen Triebe, geht aber nicht selten davon ab, wie man daraus sieht, daß sie ihre matt- und blaßgefärbten Eier in das Nest des Zaunkönigs mit hellen grünlich-blauen Eiern legt. Hätte unser Kuckuck stets den oben erwähnten Trieb gezeigt, so würde er sicherlich zu denen hinzugefügt worden sein, die, wie man annimmt, alle zusammen erworben sein müssen. Die Eier des australischen Bronze-Kuckucks sind nach Ramsay in der Farbe außerordentlich verschieden so daß in dieser Hinsicht wie auch bei der Größe die Naturauslese jede vorteilhafte Abänderung gesichert und festgehalten haben mag.

Das Junge des europäischen Kuckucks wirft gewöhnlich in den ersten drei Tagen nach seinem Auskriechen die Jungen der Pflegeeltern aus dem Nest; und da es in diesem Alter höchst hilflos ist, so war Gould früher geneigt zu glauben, daß das Herauswerfen von den Pflegeeltern selbst geschähe. Aber er hat jetzt einen zuverlässigen Bericht über einen jungen Kuckuck erhalten, den man wirklich, während er noch blind und nicht einmal imstande war, den Kopf in die Höhe zu halten, seine Pflegebrüder herauswerfen sah. Einer von diesen wurde von dem Beobachter wieder ins Nest gesetzt und wiederum herausgeworfen. Was die Mittel betrifft, durch die dieser seltsame und hassenswerte Naturtrieb erworben wurde, so kann ich, wenn es, wie wahrscheinlich, für den jungen Kuckuck von großer Wichtigkeit wäre, nach dem Auskriechen möglichst viel Nahrung zu erhalten, keine besondere Schwierigkeit darin sehen, daß er stufenweise während aufeinanderfolgender Geschlechter das blinde Verlangen, die Stärke und den notwendigen Bau zum Hinauswerfen der Pflegebrüder erlangt hat. Denn die Jungen, bei denen solche Gewohnheiten und der Körperbau am besten entwickelt war, werden am sichersten aufgezogen worden sein. Der erste Schritt zu der Erwerbung des ihm eigenen Naturtriebes könnte bloße unbeabsichtigte Ruhelosigkeit bei dem jungen Vogel gewesen sein, als er etwas älter und kräftiger geworden war. Die Gewohnheit hat sich später verstärkt und ist auf ein früheres Alter übertragen worden. Ich kann darin keine größere Schwierigkeit sehen als darin, daß die unausgebrüteten Jungen anderer Vögel den Naturtrieb bekommen, ihre eigenen Schalen zu durchbrechen, oder daß junge Schlangen, wie Owen bemerkt hat, im Oberkiefer einen vergänglichen Zahn bekommen, um die zähe Eierschale zu durchschneiden. Denn wenn jeder Teil bei den einzelnen Geschöpfen in jedem Alter Abänderungen unterworfen ist und das Bestreben vorhanden ist, diese Abänderungen auf das entsprechende oder ein früheres Alter zu vererben, – Sätze, die nicht bestritten werden können, – dann könnten die Triebe und der Körperbau der Jungen ebenso sicher langsam umgemodelt werden, wie die der Alten. Und beide Fälle stehen oder fallen mit der ganzen Lehre von der Naturauslese.

Einige Arten des Molothrus, einer ganz anderen amerikanischen Vogelgattung, die mit unseren Staren verwandt ist, haben Schmarotzergewohnheiten wie der Kuckuck, und die Arten zeigen eine Abstufung in der Vollkommenheit ihrer Naturtriebe, die die Aufmerksamkeit fesselt. Die Geschlechter des Molothrus badius leben, wie Hudson, ein ausgezeichneter Beobachter, festgestellt hat, zuweilen in Schwärmen untereinander gemischt und zuweilen paarweise. Sie bauen entweder ein eigenes Nest oder nehmen das eines anderen Vogels in Besitz, indem sie gelegentlich dessen Nestlinge herauswerfen. Ihre Eier legen sie entweder in das so erlangte Nest oder bauen, sonderbar genug, ein anderes auf dessen Spitze. Sie sitzen gewöhnlich auf ihren Eiern und ziehen ihre Jungen auf, aber, wie Hudson sagt, ist es wahrscheinlich, daß sie gelegentlich schmarotzen; denn er hat die Jungen dieser Art alten Vögeln einer anderen folgen sehen und schreien hören. Die Schmarotzergewohnheiten einer anderen Art dieser Gattung, des Molothrus bonariensis, sind weit höher entwickelt als die der vorigen, aber noch weit davon entfernt, vollkommen zu sein. Dieser Vogel legt, so weit bekannt ist, seine Eier stets in fremde Nester; aber bemerkenswert ist, daß mehrere zusammen zuweilen ein unregelmäßiges, unordentliches eigenes Nest an merkwürdig schlecht passenden Stellen, z. B. auf den Blättern einer großen Distel, zu bauen beginnen. Soweit Hudson aber festgestellt hat, bringen sie es nie zu Ende. Sie legen oft so viele Eier, fünfzehn bis zwanzig, in dasselbe fremde Nest, daß nur wenige oder keine ausgebrütet werden können. Sie haben ferner die eigentümliche Gewohnheit, Löcher in die Eier der eigenen Art oder die der Pflegeeltern zu picken, die sie in dem mit Beschlag belegten Neste finden. Sie werfen auch viele Eier auf die bloße Erde, und diese gehen so zu Grunde. Eine dritte Art, der nordamerikanische Molothrus pecoris hat so vollkommene Naturtriebe wie der Kuckuck erworben; denn er legt niemals mehr als ein Ei in ein fremdes Nest, so daß der junge Vogel sicher aufgezogen wird. Hudson glaubt durchaus nicht an die Entwicklungslehre, aber die unvollkommenen Naturtriebe des Molothrus bonarienis scheinen ihn so überrascht zu haben, daß er meine Worte anführt und fragt: »Müssen wir in diesen Gewohnheiten nicht besonders geschenkte oder geschaffene Naturtriebe, sondern kleine Folgen eines allgemeinen Gesetzes der Abstufung sehen?«

Verschiedene Vögel legen, wie schon bemerkt, hin und wieder ihre Eier in die Nester anderer Vögel. Diese Gewohnheit ist bei den hühnerartigen Vögeln nicht sehr ungewöhnlich und wirft auf den eigentümlichen Naturtrieb des Straußes einiges Licht. Bei dieser Familie vereinigen sich mehrere Weibchen und legen zuerst einige Eier in ein Nest und dann in ein anderes, und diese werden von den Männchen ausgebrütet. Dieser Naturtrieb kann wahrscheinlich durch die Thatsache erklärt werden, daß die Weibchen eine große Anzahl Eier legen, aber wie der Kuckuck in Zwischenräumen von zwei oder drei Tagen. Beim amerikanischen Strauß ist jedoch wie beim Molothrus bonarienis der Naturtrieb noch nicht vollendet worden; denn eine erstaunliche Anzahl Eier liegen auf den Ebenen zerstreut, so daß ich an einem Tage nicht weniger als zwanzig verlorene und verdorbene Eier auflas.

Viele Bienen schmarotzen und legen ihre Eier regelmäßig in die Nester anderer Bienenarten. Dieser Fall ist bemerkenswerter als der des Kuckucks; denn bei diesen Bienen ist nicht nur der Naturtrieb, sondern auch der Körperbau nach ihren Schmarotzergewohnheiten umgemodelt worden. Denn sie besitzen nicht die Einrichtung zum Blütenstaubsammeln, die ihnen unentbehrlich wäre, wenn sie für ihre Jungen Nahrung aufspeichern müßten. Einige Arten der Sphegidae (wespenähnlicher Kerbtiere) leben ebenfalls als Schmarotzer, und Fabre hat kürzlich gute Gründe für die Annahme nachgewiesen, daß der Tachytes nigra, obwohl er sich gewöhnlich eine eigene Höhle macht und sie mit betäubter Beute für seine Jungen füllt, doch, wenn er eine schon gemachte und von einer anderen Wespe ausgestattete Höhle findet, diesen Fang benutzt und für diesen Fall Schmarotzer wird. Hier, wie bei dem Molothrus oder Kuckuck ist es, wie ich finde, nicht schwer, einzusehen, daß die Naturauslese eine gelegentliche Gewohnheit zur bleibenden macht, wenn sie für die Art von Vorteil ist, und wenn das Tier, dessen Nest und Futtervorrat sie sich verräterisch angeeignet hat, auf diese Weise nicht ausgerottet wird.

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Der Naturtrieb des Sklavenhaltens. Dieser merkwürdige Naturtrieb wurde von Pierre Huber, einem noch besserem Beobachter als selbst sein berühmter Vater, zuerst bei der rotbraunen Ameise (Polyerges) entdeckt. Diese Ameise ist durchaus von ihren Sklaven abhängig; ohne deren Hilfe würde die Art sicherlich in einem einzigen Jahre erloschen sein. Die Männchen und fruchtbaren Weibchen thun keine Arbeit irgend welcher Art, und die Arbeiter oder unfruchtbaren Weibchen thun, so thatkräftig und mutig sie beim Fangen der Sklaven sind, keine andere Arbeit. Sie sind unfähig, ihre eigenen Nester zu machen oder ihre eigenen Larven zu füttern. Wenn ihnen das alte Nest nicht mehr paßt und sie auswandern müssen, so sind es die Sklaven, welche die Wanderung bestimmen und thatsächlich ihre Herren in den Kiefern tragen. So durchaus hilflos sind die Herren, daß sie nichts thaten, als Huber dreißig von ihnen ohne einen Sklaven, aber mit einem reichlichen Vorrat ihrer Lieblingsnahrung einschloß und ihnen ihre eigenen Larven und Puppen beigesellte, um sie zur Arbeit anzustacheln. Sie konnten sich nicht einmal selbst ernähren, und viele kamen vor Hunger um. Huber brachte dann einen einzigen Sklaven (Formica fusca) hinein, und dieser machte sich sofort an die Arbeit, fütterte und rettete die Überlebenden, machte einige Zellen, versorgte die Larven und brachte alles in Ordnung. Was kann außergewöhnlicher sein als diese wohlverbürgten Thatsachen? Wenn wir nichts von einer anderen sklavenhaltenden Ameise erfahren hätten, würde es hoffnungslos gewesen sein, darüber zu grübeln, wie ein so wunderbarer Naturtrieb entstanden sein könnte.

Bei einer anderen Art, der Blutameise, entdeckte Huber ebenfalls zuerst, daß sie Sklaven hält. Man findet diese Art in den südlichen Teilen Englands, und ihre Gewohnheiten sind von F. Smith vom Britischen Museum beobachtet worden, dem ich für Mitteilungen über diesen wie andere Gegenstände sehr verpflichtet bin. Obgleich ich den Feststellungen von Huber und Smith volles Vertrauen schenkte, war ich doch, als ich dem Gegenstand näher zu treten versuchte, von Zweifel erfüllt, wie man wohl jeden entschuldigen wird, der das Vorhandensein eines außergewöhnlichen Naturtriebes, wie des Sklavenhaltens, bezweifelt. Ich werde deshalb die Beobachtungen, die ich gemacht habe, ziemlich eingehend anführen. Ich öffnete vierzehn Nester der Blutameise und fand in allen einige Sklaven. Männchen und fruchtbare Weibchen der Sklavenart (F. fusca) finden sich nur in ihren eigenen besonderen Gemeinwesen und sind nie in den Nestern der Blutameise beobachtet worden. Die Sklaven sind schwarz und höchstens halb so groß wie ihre roten Herren, so daß der Gegensatz im Aussehen groß ist. Wenn das Nest eine leichte Störung erfährt, kommen die Sklaven hin und wieder heraus, sind wie ihre Herren sehr aufgeregt und verteidigen das Nest. Ist die Störung groß, und sind die Larven und Puppen einer Gefahr ausgesetzt, so arbeiten die Sklaven zusammen mit ihren Herren thatkräftig daran, sie in Sicherheit zu bringen. Es ist daher klar, daß die Sklaven sich ganz zu Haus fühlen. Während der Monate Juni und Juli beobachtete ich drei Jahre hintereinander mehrere Nester in Surrey und Sussex viele Stunden lang und sah nie einen Sklaven die Nester verlassen oder betreten. Da die Sklaven während dieser Monate an Zahl gering sind, dachte ich, sie könnten sich anders verhalten, wenn sie zahlreicher sind. Aber Smith teilt mir mit, daß er im Mai, Juni und August die Nester in Surrey und Hampshire zu verschiedenen Stunden beobachtet hat, und die Sklaven, obgleich sie im August in großen Mengen vorhanden waren, nie hat das Nest verlassen oder betreten sehen. Er betrachtet sie daher durchaus als Haussklaven. Andererseits kann man die Herren fortwährend Stoff für das Nest und allerhand Futter hereinbringen sehen. Während des Jahres 1860 traf ich jedoch im Monat Juli auf ein Gemeinwesen mit einem ungewöhnlich großen Sklavenbestand und beobachtete, wie einige Sklaven sich unter ihre das Nest verlassenden Herren mischten und denselben Weg zu einer großen schottischen Kiefer, die fünfundzwanzig Ellen entfernt war, entlang krochen, zusammen hinaufstiegen und wahrscheinlich Blatt- oder Schildläuse suchten. Nach Huber, der reichliche Gelegenheit zur Beobachtung hatte, arbeiten die Sklaven in der Schweiz beim Nesterbau gewöhnlich mit ihren Herren, und sie allein öffnen und schließen morgens und abends die Thüren, und, wie Huber ausdrücklich feststellt, ist es ihr Hauptgeschäft nach Blattläusen zu suchen. Dieser Unterschied in den alltäglichen Gewohnheiten der Herren und Sklaven in den beiden Ländern, hängt wahrscheinlich bloß davon ab, daß die Sklaven in der Schweiz in größeren Mengen gefangen werden als in England.

Eines Tages war ich so glücklich, Zeuge einer Auswanderung der Blutameise von einem Nest zu einem anderen zu sein. Es war ein höchst unterhaltendes Schauspiel zu sehen, wie die Herren ihre Sklaven sorgfältig in den Kiefern trugen, anstatt sich von ihnen tragen zu lassen, wie es bei der rotbraunen Ameise der Fall ist. Am nächsten Tag wurde meine Aufmerksamkeit durch etwa zwanzig der Sklavenhalter gefesselt, die denselben Fleck aufsuchten, wahrscheinlich nicht um Nahrung zu suchen. Sie näherten sich und wurden von einer freien Gemeinschaft der Sklavenart (Formica fusca) kräftig zurückgeworfen, indem manchmal drei von diesen Ameisen sich an die Beine der sklavenhaltenden Blutameisen klammerten. Die letzteren töteten ihre kleinen Gegner ruchlos und trugen ihre toten Körper als Nahrung zu ihrem Neste, das neunundzwanzig Ellen entfernt war; aber es gelang ihnen nicht Puppen zu bekommen, um sie als Sklaven aufzuziehen. Ich grub dann ein kleines Häufchen von den Puppen der Formica fusca aus einem andern Nest und legte es auf einen bloßen Fleck nahe dem Kampfplatz. Sie wurden eifrig ergriffen und von den Wüterichen weggetragen, die sich vielleicht nach alledem einbildeten, daß sie in ihrem letzten Kampfe siegreich gewesen wären.

Zugleich legte ich auf denselben Fleck ein kleines Häufchen von Puppen einer anderen Art, der Formica flava, die mit einigen von diesen kleinen gelben Ameisen noch an den Bruchstücken der Nester hingen. Diese Art wird, wie Smith beschrieben hat, zuweilen, wenn auch selten zu Sklaven gemacht. So klein die Art auch ist, so ist sie doch sehr tapfer, und ich habe sie andere Ameisen wütend angreifen sehen. In einem Falle fand ich zu meiner Überraschung ein freies Gemeinwesen dieser Ameise unter einem Steine hinter einem Neste der sklavenhaltenden Blutameise, und als ich zufällig beide Nester gestört hatte, griffen die kleinen Ameisen ihre großen Nachbarn mit überraschendem Mute an. Nun war ich begierig festzustellen, ob die Blutameisen die Puppen der Formica fusca, die sie gewöhnlich zu Sklaven machen, von denen der kleinen und wilden Formica flava, die sie selten fangen, unterscheiden können; und offenbar thaten sie dies sofort. Denn wir haben gesehen, daß sie sich der Puppen der ersteren hastig und augenblicklich bemächtigten, während sie sehr erschraken, als sie an die Puppen, ja nur an die Erde von dem Nest der Formica flava kamen, und schnell wegliefen. Aber ungefähr eine Viertelstunde später, kurz nachdem die kleinen gelben Ameisen fortgekrochen waren, bekamen sie neuen Mut und trugen die Puppen fort.

Eines Abends suchte ich ein anderes Gemeinwesen der Blutameise auf und sah, wie eine Anzahl Tiere heimkam und ins Nest ging. Sie trugen tote schwarzgelbe Ameisen, woraus man sah, daß es sich nicht um eine Auswanderung handelte, und zahlreiche Puppen dieser Art. Ich entdeckte eine lange Reihe mit Beute beladener Ameisen, die ungefähr vierzig Ellen zurück bis zu einem dichten Haufen Heidekraut reichte, bei dem ich die letzte, eine Puppe tragende Blutameise auftauchen sah. Das verwüstete Nest konnte ich aber in dem dichten Heidekraut nicht finden. Das Nest muß indessen ganz in der Nähe gewesen sein, denn zwei oder drei schwarzgelbe Ameisen liefen in der größten Aufregung umher, und eine saß bewegungslos mit ihrer Puppe im Mund oben auf einem Heidekrautsproß da, ein Bild der Verzweiflung über ihr verheertes Heim.

Das sind die Thatsachen, die, wenn sie auch einer Bestätigung durch mich nicht bedurften, den wunderbaren Naturtrieb des Sklavenhaltens darthun. Sehen wir uns jetzt den Gegensatz an, der zwischen den durch Naturtrieb eingegebenen Gewohnheiten der Blutameise und der rotbraunen Ameise des Festlandes besteht. Die letztere baut ihr eigenes Nest nicht selbst, bestimmt nicht ihre eigenen Auswanderungen, sammelt kein Futter für sich und ihre Jungen, ja kann nicht einmal sich selbst erhalten. Sie hängt durchaus von ihren zahlreichen Sklaven ab. Die Blutameise andrerseits besitzt viel weniger Sklaven, im ersten Teil des Sommers sogar eine ganz kleine Anzahl. Die Herren bestimmen, wann und wo ein neues Nest gebaut werden soll, und wenn sie auswandern, tragen die Herren die Sklaven. In der Schweiz wie in England scheinen die Sklaven ausschließlich für die Larven sorgen zu müssen und die Herren allein auf die Sklavenjagd zu gehen. In der Schweiz arbeiten die Sklaven und Herren zusammen, indem sie das Nest bauen und Stoff dazu herbeiholen. Beide Teile, hauptsächlich aber die Sklaven, versorgen und melken, wie man es nennen kann, ihre Blattläuse, und so sammeln beide Nahrung für das Gemeinwesen. In England verlassen gewöhnlich nur die Herren das Nest, um Stoff zum Nesterbau und Nahrung für sich, ihre Sklaven und Larven zu sammeln, so daß die Herren in diesem Lande von ihren Sklaven viel weniger Dienste empfangen, als in der Schweiz.

Auf welchem Wege der Naturtrieb der Blutameise entstanden ist, wage ich nicht zu mutmaßen. Aber da Ameisen, die keine Sklaven halten, wie ich gesehen habe, Puppen anderer Arten wegzutragen pflegen, wenn sie nahe bei ihren Nestern verstreut sind, so ist es möglich, daß solche ursprünglich als Nahrung eingebrachten Puppen sich entwickelten. Die so unabsichtlich aufgezogenen fremden Ameisen werden dann ihren eigenen Trieben gefolgt sein und jede Arbeit gethan haben, zu der sie imstande waren. Wenn sich ihre Gegenwart für die Art, die von ihnen Besitz ergriffen hatte, als nützlich erwies, wenn es für diese Art vorteilhafter war, Arbeiter zu fangen als sie zu erzeugen, so konnte die ursprüngliche Gewohnheit, Puppen zum Futter zu sammeln, durch die Naturauslese, zu dem ganz anderen Zweck, Sklaven aufzuziehen, verstärkt und bleibend gemacht werden. Wenn der Naturtrieb einmal erworben und wenn er auch noch nicht einmal so weit gesteigert war, wie bei unserer englischen Blutameise, die, wie wir gesehen haben, weit weniger Nutzen von ihren Sklaven hat, als dieselbe Art in der Schweiz, so konnte die Naturauslese ihn vermehren und ummodeln – immer vorausgesetzt, daß jede Ummodelung für die Art nützlich war –, bis sich eine Ameise bildete, die in so verächtlicher Abhängigkeit von ihren Sklaven lebt, wie die rotbraune.

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Der Naturtrieb der Honigbiene, Zellen zu bauen. Ich will hier nicht auf Einzelheiten dieses Gegenstandes eingehen, sondern bloß eine kurze Darstellung der Schlüsse geben, zu denen ich gelangt bin. Stumpfsinnig muß der sein, der den ausgezeichneten Bau einer Wabe, der seinem Zwecke so schön angepaßt ist, untersuchen kann, ohne in bewundernde Begeisterung zu geraten. Wir hören von Mathematikern, daß die Bienen bei ihrem Bau eine höchst schwierige Aufgabe durch die That gelöst haben, indem sie ihren Zellen bei einem möglichst geringen Verbrauch des kostbaren Wachses die geeignete Gestalt gegeben haben, eine möglichst große Menge Honig zu halten. Man hat gesagt, daß ein geschickter Arbeiter mit passenden Werkzeugen und Maßen es sehr schwer finden würde, Wachszellen von der richtigen Form zu bilden, obgleich dies von einem Bienenschwarm, der in einem dunklen Stock arbeitet, ausgeführt wird. Was für Naturtriebe man auch immer annehmen mag, zuerst erscheint es ganz unbegreiflich, wie sie all die notwendigen Winkel und Flächen machen oder selbst bemerken können, ob sie richtig gemacht sind. Aber die Schwierigkeit ist nicht annähernd so groß, wie sie zuerst erscheint. Man kann, denke ich, zeigen, daß das ganze schöne Werk aus einigen einfachen Naturtrieben sich ergiebt.

Diesem Gegenstande nachzuspüren bin ich durch Herrn Waterhouse veranlaßt worden, der gezeigt hat, daß die Form der Zelle in enger Beziehung zum Vorhandensein der Nachbarzellen stände. Die folgende Ansicht kann man vielleicht für eine bloße Ummodelung dieser Lehre betrachten. Wir wollen das große Grundgesetz der Abstufung ins Auge fassen und sehen, ob uns die Natur nicht ihre Arbeitsweise offenbart. An dem einen Ende einer kurzen Reihe finden wir die Vorrichtungen der Hummeln, die ihre alten Puppenhüllen zur Aufbewahrung von Honig benutzen und ihnen zuweilen kurze Wachsröhren anfügen und ebenso getrennte, sehr unregelmäßige runde Wachszellen herstellen. Am anderen Ende der Reihe haben wir die Zellen der Honigbiene, die in einer doppelten Schicht angeordnet sind. Eine jede Zelle ist bekanntlich ein sechsseitiger Kant. Die Grundecken seiner sechs Seiten sind so gebogen, daß sie einen umgekehrten Spitzkant von drei Rauten einschließen. Diese Rauten haben gewisse Winkel, und die drei, welche die spitzkantige Grundlage einer einzigen Zelle auf einer Seite der Wabe bilden, fügen sich in die Verbindung der Grundflächen der drei Nachbarzellen der entgegengesetzten Seite ein. In der Reihe zwischen den außerordentlich vollkommenen Zellen der Honigbiene und den einfachen der Hummel haben wie die Zelle der mexikanischen Melipona domestica, die Pierre Huber sorgfältig beschrieben und abgebildet hat. Die Melipona ist in ihrem Bau ein Zwischenglied zwischen der Honigbiene und der Hummel, der letzteren aber näher verwandt. Sie bildet eine fast regelmäßige Wachsscheibe aus walzenförmigen Zellen, in denen die Jungen ausgebrütet werden, zu denen noch einige große Wachszellen hinzukommen, die den Honig aufnehmen. Diese Zellen sind fast kugelförmig, beinahe von gleicher Größe und in einer unregelmäßigen Masse zusammengehäuft. Am meisten Beachtung aber verdient, daß sie so nahe aneinander gelagert sind, daß sie bei völliger Kugelgestalt sich schneiden würden. Das ist aber nie möglich, da die Bienen ganz flache Wachswände zwischen den Kugeln, die sich schneiden möchten, ausbauen. Daher besteht jede Zelle aus einem äußeren kugelförmigen Teil und aus zwei, drei oder mehr flachen Oberflächen, je nachdem sie zwei, drei oder mehr Nachbarzellen hat. Wenn eine Zelle sich auf drei andere stützt, was, da die Kugeln beinahe von der gleichen Größe sind, sehr häufig und notwendig vorkommt, so sind die drei flachen Oberflächen zu einem Spitzkant vereinigt, und dieser Spitzkant ist, wie Huber bemerkt hat, offenbar eine rohe Nachahmung der dreiseitigen spitzkantigen Grundlage der Honigbienenzelle. Wie bei diesen, so fügen sich hier die drei ebenen Oberflächen einer jeden Zelle in den Bau der drei Nachbarzellen ein. Es ist klar, daß die Melipona durch diese Bauart Wachs und, was wichtiger ist, Arbeit spart. Denn die flachen Wände sind nicht doppelt, sondern von derselben Dicke, wie die äußeren kugelförmigen Teile, und doch bildet eine jede einen Teil von zwei Zellen.

Als ich diesen Fall überdachte, kam mir in den Sinn, daß, wenn bei der Melipona die Kugeln in einem gegebenen Abstand voneinander und in gleicher Größe hergestellt und symmetrisch in einer doppelten Schicht angeordnet worden wären, der sich ergebende Bau ebenso vollkommen wie die Wabe der Honigbiene gewesen wäre. Demgemäß schrieb ich an Professor Miller in Cambridge, und dieser Mathematiker hatte die Freundlichkeit, die folgende Berechnung, die nach seiner Mitteilung aufgestellt ist, durchzulesen, und erklärt mir, daß sie vollkommen richtig ist.

Nimmt man eine Zahl von gleichen Kugeln, deren Mittelpunkte in zwei richtungsgleichen Schichten liegen, und hat der Mittelpunkt einer jeden Kugel einen Durchmesserabstand × √2 oder einen Durchmesser × 1,41421 oder einen etwas geringeren Abstand von den Mittelpunkten der sechs umgebenden Kugeln derselben Schicht und der angrenzenden Kugeln der anderen richtungsgleichen Schicht, so wird, wenn man zwischen den einzelnen Kugeln der beiden Schichten Schnittflächen einschaltet, sich eine doppelte Schicht von sechsseitigen Kanten ergeben, die durch spitzkantige, aus drei Rauten gebildete Grundlagen vereinigt sind; und bei den Rauten wie den Seiten der sechsseitigen Kanten wird ein jeder Winkel genau ebenso groß sein, wie die in den Zellen der Honigbiene nach den genausten Messungen. Aber ich höre von Professor Wyman, der zahlreiche sorgfältige Messungen vorgenommen hat, daß die Genauigkeit der Arbeit der Biene sehr übertrieben worden ist, so sehr, daß, was auch immer die Grundform der Zelle sein mag, sie selten, wenn überhaupt jemals verwirklicht wird.

Daraus können wir sicher schließen, daß, wenn wir die Naturtriebe, die die Melipona schon besitzt, und die an sich nicht sehr wunderbar sind, ein wenig ummodeln könnten, diese Biene einen ebenso wunderbar vollkommenen Ball aufführen würde, wie die Honigbiene. Wir müßten annehmen, daß die Melipona das Vermögen hat, ganz kugelförmige Zellen von gleicher Größe zu bilden. Und das würde nicht sehr erstaunlich sein, wenn wir daran denken, daß sie es ja schon bis zu einem gewissen Grade thut, und daß viele Kerbtiere vollständig walzenförmige Gänge ins Holz bohren, offenbar indem sie sich um einen festen Punkt drehen. Wir müßten annehmen, daß die Melipona alle ihre Zellen in wagerechten Schichten anordnet, wie sie es schon mit ihren walzenförmigen Zellen thut, und wir müßten schließlich annehmen, was am schwierigsten ist, daß sie einigermaßen genau beurteilen kann, in welchem Abstand von ihren Mitarbeitern sie beim Bau der Kugeln sich aufhalten muß. Aber jetzt schon kann sie die Entfernung so weit abschätzen, daß sie ihre Kreise so beschreibt, daß sie sich einigermaßen schneiden, und dann vereinigt sie die Schnittpunkte durch vollkommen flache Wände. Durch solche Ummodelungen der Naturtriebe, die an sich nicht sehr wunderbar sind, kaum wunderbarer, als die, welche einen Vogel anleiten, sein Nest zu bauen, hat, glaube ich, die Honigbiene durch die Naturauslese ihre unnachahmlichen Baumeisterkünste erworben.

Aber diese Lehre kann durch einen Versuch geprüft werden. Dem Beispiele von Tegetmeyer folgend, trennte ich zwei Waben und legte einen langen, dicken, rechtwinkligen Wachsstreifen dazwischen. Die Bienen begannen sofort kleine runde Vertiefungen darin auszuhöhlen, und als sie diese kleinen Höhlungen vertieften, machten sie sie immer weiter, bis sie sich in flache Becken verwandelten, die dem Auge vollkommen richtig als Teile einer Kugel erschienen und ungefähr vom Durchmesser einer Zelle waren. Es war höchst fesselnd zu beobachten, daß, wo auch immer mehrere Bienen diese Becken nahe bei einander auszuhöhlen begonnen hatten, sie ihre Arbeit in solcher Entfernung voneinander angefangen hatten, daß zu der Zeit, wo die Becken die oben erwähnte Weite erhalten hatten (d. h. ungefähr die Weite einer gewöhnlichen Zelle) und an Tiefe ungefähr ein Sechstel des Durchmessers der Kugel einnahmen, von der sie einen Teil bildeten, die Ränder der Becken einander schnitten. Sobald dies geschah, hörten die Bienen mit dem Aushöhlen auf und begannen auf den Schnittlinien zwischen den Becken flache Wachswände aufzubauen, so daß jeder sechsseitige Kant auf der gekerbten Ecke eines glatten Beckens aufgebaut wurde anstatt auf den graden Ecken eines dreiseitigen Spitzkants wie bei den gewöhnlichen Zellen.

Ich stellte dann in dem Bienenstock statt eines dicken rechtwinkligen Stückes Wachs einen dünnen, schmalen, messerbreiten, mit Zinnober gefärbten Streifen auf. Die Bienen begannen sofort nahe bei einander auf beiden Seiten kleine Becken zu höhlen, in derselben Art wie vorher. Aber der Wachsstreifen war so dünn, daß die Boden der Becken, wenn sie bis zu derselben Tiefe wie bei dem vorigen Versuch ausgehöhlt worden wären, von den entgegengesetzten Seiten ineinander gebrochen wären. Die Bienen ließen das jedoch nicht zu, sondern stellten ihre Aushöhlung zur rechten Zeit ein, so daß die Becken, sobald sie ein bischen vertieft worden waren, flache Boden bekamen. Und diese flachen Boden, die aus dünnen, kleinen Platten roten Wachses, der unbenagt geblieben, gebildet waren, lagen, soweit das Auge erkennen konnte, genau in der gedachten Schnittfläche zwischen den Becken auf den entgegengesetzten Seiten des Wachsstreifens. An einigen Stellen waren nur kleine, an anderen große Teile einer rautenförmigen Platte auf diese Weise zwischen den gegenüberliegenden Becken geblieben; aber die Arbeit war wegen des unnatürlichen Zustandes der Dinge nicht sauber ausgeführt worden. Die Bienen mußten beinahe mit derselben Schnelligkeit rund herum genagt und die Becken auf beiden Seiten des roten Wachsstreifens vertieft haben, so daß es ihnen gelungen war, flache Platten zwischen den Becken zu lassen, indem sie in der Schnittfläche mit der Arbeit aufhörten.

Wenn man in Betracht zieht, wie biegsam dünnes Wachs ist, sehe ich keine Schwierigkeit für die Bienen, bei ihrer Arbeit auf beiden Seiten eines Wachsstreifens zu bemerken, wenn sie das Wachs zu der richtigen Stärke fortgenagt haben, und dann ihre Arbeit einzustellen. Es ist mir vorgekommen, als ob es den Bienen bei den gewöhnlichen Waben nicht immer gelingt, auf den entgegengesetzten Seiten mit genau derselben Schnelligkeit zu arbeiten. Denn ich habe halbvollendete Rauten am Grunde einer gerade begonnenen Zelle bemerkt, die auf einer Seite ein wenig vertieft waren, auf der, wie ich vermute, die Bienen zu schnell ausgehöhlt hatten, und auf der entgegengesetzten Seite gewölbt waren, wo die Bienen weniger schnell gearbeitet hatten. Bei einem gut ausgeprägten Beispiele legte ich die Wabe in den Bienenstock zurück, erlaubte den Bienen für eine kurze Zeit weiterzuarbeiten und prüfte die Zelle noch einmal. Ich fand, daß die rautenförmige Platte vollkommen vollendet und vollkommen flach geworden war. Bei der außerordentlichen Dünnheit der kleinen Platte war es ganz unmöglich, daß sie das durch Wegnagen der gewölbten Seite hätten bewirken können, und ich vermute, daß die Bienen in solchen Fällen, auf entgegengesetzten Seiten stehend, das nachgiebige und warme Wachs (was sich nach meinen Versuchen leicht thun läßt) in die geeignete Zwischenebene stoßen und biegen und es so flach machen.

Aus dem Versuche mit dem zinnoberroten Wachsstreifen können wir sehen, daß, wenn die Bienen für sich eine dünne Wachswand bauen würden, sie ihre Zellen in der geeigneten Form machen könnten, indem sie in der geeigneten Entfernung voneinander stehend in derselben Schnelligkeit aushöhlen und sich bemühen, gleiche kugelförmige Höhlungen herzustellen, aber niemals zugeben, daß die Kugeln zusammenstoßen. Nun machen die Bienen, wie man es deutlich sehen kann, wenn man den Rand einer werdenden Wabe prüft, eine Umwallung oder einen Rand um die ganze Wabe und nagen diesen von entgegengesetzten Seiten weg, indem sie bei der Vertiefung jeder Zelle immer im Kreise arbeiten. Sie machen nicht die ganze dreiseitige spitzkantige Grundlage einer jeden Zelle zu gleicher Zeit, sondern nur jene eine rautenförmige Platte, welche auf dem äußeren wachsenden Rande steht, oder die beiden Platten, wie es eben kommt, und sie vollenden nie die oberen Ränder der rautenförmigen Platte, bevor die sechsseitigen Wände begonnen sind. Einige dieser Aufstellungen unterscheiden sich von denen, die der mit Recht berühmte ältere Huber gemacht hat; aber ich bin von ihrer Genauigkeit überzeugt, und würde, wenn ich Raum hätte, zeigen, daß sie mit meiner Lehre übereinstimmen.

Hubers Behauptung, daß die allererste Zelle aus einer Wachswand mit nicht ganz gleich gerichteten Seiten ausgehöhlt wird, ist, soweit ich gesehen habe, nicht genau richtig, da der erste Anfang immer ein kleiner Wachsmantel gewesen ist. Aber ich will hier nicht auf Einzelheiten eingehen. Wir sehen, eine wie wichtige Rolle das Aushöhlen beim Bau der Zellen spielt. Es würde jedoch ein großer Irrtum sein, wenn man annähme, daß die Bienen nicht eine rohe Wachswand in der richtigen Lage, d. h. in der Schnittfläche zwischen zwei anstoßenden Kugeln bauen können. Ich habe mehrere Proben, die deutlich zeigen, daß sie es können. Sogar in dem rohen Umwallungsrand oder der Wachswand um eine entstehende Wabe kann man manchmal Einbuchtungen bemerken, die in der Stellung den Ebenen der rautenförmigen Grundplatten der künftigen Zellen entsprechen. Aber die rohe Wachswand muß in jedem Fall die letzte Glättung erhalten, indem sie auf beiden Seiten reichlich weggenagt wird. Die Art, in der die Bienen bauen, ist sonderbar. Sie machen immer die erste rohe Wand zehn- bis zwanzigmal so dick, wie die außerordentlich dünne vollendete Zellenwand, die schließlich bleibt. Wir werden verstehen, wie sie arbeiten, wenn wir annehmen, daß Maurer zuerst eine breite Cementwand aufführen und dann beginnen, auf beiden Seiten nahe dem Boden gleichmäßig fortzunehmen, bis eine glatte, sehr dünne Wand in der Mitte zurückbleibt, wobei die Maurer immer den fortgeschnittenen Cement oben aufhäufen und am oberen Rand der Wand frischen Cement hinzufügen. So werden sie eine dünne Wand bekommen, die stetig aufwärts wächst, aber immer von einer riesenhaften Mauerkrone gekrönt ist. Von allen Zellen, sowohl von den gerade angefangenen wie von den fertigen, die so durch eine starke Wachskrone gekrönt sind, können die Bienen sich versammeln und über die Wabe kriechen, ohne die Zarten sechsseitigen Wände zu verletzen. Diese Wände sind, wie Professor Miller so freundlich war für mich festzustellen, von sehr verschiedener Dicke. Nach dem Durchschnitt von zwölf Messungen, die nahe dem Rande der Wabe ausgeführt worden sind, sind sie 1/352 Zoll dick, dagegen sind die rautenförmigen Grundplatten dicker, nahezu im Verhältnis von 3:2, da sie nach einundzwanzig Messungen eine mittlere Dicke von 1/229 Zoll haben. Durch die oben erwähnte sonderbare Bauart wird der Wabe bei der alleräußersten Wachsersparnis dauernd Festigkeit gegeben.

Die Schwierigkeit, den Zellenbau zu verstehen, scheint auf den ersten Blick dadurch vergrößert zu werden, daß eine Menge von Bienen zusammen arbeiten. Nachdem eine Biene eine kurze Zeit an einer Zelle gearbeitet hat, geht sie zu einer anderen, so daß, wie Huber festgestellt hat, ungefähr zwanzig Tiere am Beginn der ersten Zelle arbeiten. Ich war imstande diese Thatsache wirklich zu zeigen, indem ich die Ränder der sechsseitigen Wände einer einzigen Zelle oder den äußersten Rand der Umwallung einer entstehenden Wabe mit einer ganz dünnen Schicht geschmolzenen roten Wachses bedeckte. Ich fand stets, daß die Farbe von den Bienen aufs feinste verbreitet war, – so zart, wie es nur ein Maler mit seinem Pinsel hätte thun können, – indem die kleinsten Teile des farbigen Wachses von der Stelle, wo es hingelegt worden war, weggenommen und in die werdenden Ränder aller Zellen umher verarbeitet worden waren. Die Arbeit des Baus scheint eine Art Rechnungsausgleich zwischen vielen Bienen zu sein, die alle vom Naturtriebe veranlaßt sich in gleiche Entfernung voneinander stellen, alle versuchen, gleiche Kugeln herzustellen und dann die Schnittflächen zwischen diesen Kugeln auszubauen, oder unbenagt zu lassen. Es wäre in der That von Wert, in schwierigen Fällen z. B. wenn zwei Teile der Wabe im Winkel zusammentreffen, aufzuzeichnen, wie oft die Bienen dieselbe Zelle niederreißen und in verschiedener Weise wieder bauen, wobei sie manchmal zu einer Form zurückkehren, die sie zuerst verworfen hatten.

Wenn die Bienen einen Platz haben, auf dem sie sich in richtigen Stellungen zum Arbeiten hinstellen können, z. B. auf einem Holzspan, der sich gerade unter der Mitte einer nach unten gehenden Wabe befindet, so daß die Wabe über der einen Oberfläche des Spans aufgebaut werden muß, so können sie die Grundlagen der Wand eines neuen Sechsecks an die genau richtige Stelle legen, so daß es hinter den anderen fertigen Zellen hervorsteht. Es genügt, daß die Bienen in der Lage sind, in den richtigen Abständen voneinander und von den Wänden der zuletzt vollendeten Zellen sich hinzustellen. Dann können sie, indem sie gedachte Kugeln schlagen, eine Zwischenwand zwischen zwei Nachbarkugeln aufbauen. Aber soweit ich gesehen habe, nagen sie niemals Wachs weg oder geben den Winkeln einer Zelle ihre endgültige Größe, bis sie einen großen Teil von dieser Zelle wie von den Nachbarzellen gebaut haben. Diese Fähigkeit der Bienen, unter gewissen Umständen eine rohe Wand an ihren richtigen Platz zwischen zwei eben begonnenen Zellen hinzustellen, ist insofern von Wichtigkeit, als sie auf eine Thatsache Licht wirft, die auf den ersten Blick die vorige Lehre umzustürzen scheint, nämlich darauf, daß die Zellen am äußern Rande der Wespenwaben manchmal genau sechsseitig sind. Aber ich habe hier keinen Raum, mich auf den Gegenstand einzulassen. Auch scheint mir keine besondere Schwierigkeit darin vorzuliegen, daß ein einzelnes Kerbtier, wie eine Wespenkönigin, sechsseitige Zellen macht, wenn sie abwechselnd an der Innen- und Außenseite von zwei oder drei zugleich begonnenen Zellen arbeiten muß und dabei immer im richtigen Abstand von den Teilen der Zelle, die sie gerade begonnen hat, steht, Kugeln oder Walzen herstellt und Zwischenflächen aufbaut.

Da die Naturauslese nur durch die Anhäufung von unbedeutenden Ummodelungen des Baus oder des Naturtriebs wirkt, von denen jede für das Geschöpf unter seinen Lebensbedingungen nützlich sein muß, so kann man mit Recht fragen, eine wie lange und allmähliche Aufeinanderfolge von umgemodelten Bautrieben, die alle auf den jetzigen vollkommenen Bauplan hinzielten, den Vorfahren der Honigbiene hätte von Nutzen sein können. Ich denke, die Antwort ist nicht schwer: Zellen, die wie die der Biene oder Wespe gebaut sind, gewinnen an Festigkeit und sparen dabei viel Arbeit, Raum und Baustoff. Wir wissen, daß die Bienen oft in Not sind, genügenden Nektar für die Bildung des Wachses zu bekommen, und Tegetmeyer hat mir mitgeteilt, daß durch Versuche bewiesen worden ist, daß ein Bienenstock für die Absonderung eines Pfundes Wachs zwölf bis fünfzehn Pfund trockenen Zucker verbraucht, so daß von den Bienen eines Stockes eine verschwenderische Menge flüssigen Nektars gesammelt und verbraucht werden muß, um das für den Bau ihrer Waben nötige Wachs abzusondern. Überdies müssen viele Bienen während des Vorgangs der Absonderung viele Tage lang unthätig bleiben. Ein großer Honigvorrat ist unumgänglich notwendig, um einen großen Stock während des Winters zu ernähren, und die Sicherheit des Stockes hängt bekanntlich hauptsächlich davon ab, daß eine große Anzahl Bienen ernährt wird. Daher muß die Wachsersparnis, die durch beträchtliche Ersparung von Honig und der zum Einsammeln nötigen Zeit erzielt wird, für das Gedeihen jeder Bienenfamilie wichtig sein. Natürlich kann das Gedeihen der Art von der Anzahl ihrer Feinde oder Schmarotzer oder von ganz anderen Ursachen abhängen und so von der Menge Honig, die die Bienen sammeln können, gänzlich unabhängig sein. Aber nehmen wir an, daß dieser letztere Umstand, wie es wahrscheinlich oft geschehen ist, bestimmte, ob eine unserer Hummel verwandte Biene in irgendeinem Lande in großer Zahl leben könnte, und setzen wir ferner den Fall, daß das Gemeinwesen überwinterte und folglich einen Honigvorrat gebrauchte, so kann in diesem Fall kein Zweifel sein, daß es für unsere gedachte Hummel ein Vorteil wäre, wenn eine leichte Ummodelung ihrer Triebe sie dahin führte, ihre Wachszellen so nahe zusammen zu bauen, daß sie sich ein wenig schnitten; denn eine gemeinsame Wand auch nur zweier anstoßender Zellen würde ein wenig Arbeit und Wachs sparen. Daher würde es für unsere Hummeln ein fortgesetzter Vorteil sein, wenn sie ihre Zellen immer regelmäßiger, näher zusammen und zu einer Masse vereinigt bauten, wie die der Melipona; denn in diesem Falle würde ein großer Teil der begrenzenden Oberfläche jeder Zelle dazu dienen, die anstoßenden Zellen zu begrenzen, und viel Arbeit und Wachs würde erspart werden. Aus demselben Grunde würde es wiederum für die Melipona vorteilhaft sein, wenn sie ihre Zellen näher zusammen und in jeder Beziehung regelmäßiger als jetzt baute; denn dann würden, wie wir gesehen haben, die kugelförmigen Oberflächen ganz verschwinden und durch ebene ersetzt werden, und die Melipona würde eine so vollkommene Wabe machen, wie die Honigbiene. Über diese Stufe der Vollendung in der Baukunst könnte die Naturauslese nicht hinausführen; denn die Wabe der Honigbiene ist, soweit wir es zu erkennen vermögen, in der Ersparung von Arbeit und Wachs durchaus vollkommen.

So kann, wie ich glaube, der wunderbarste aller bekannten Naturtriebe, der der Honigbiene, dadurch erklärt werden, daß die Naturauslese zahlreiche, allmähliche, leichte Ummodelungen einfacherer Naturtriebe benutzt hat. Die Naturauslese hat die Bienen in langsamer Abstufung dazu geführt, in immer größerer Vollendung eine doppelte Schicht gleicher Kugeln in einem gegebenen Abstande voneinander auszuführen und das Wachs in den Schnittflächen aufzubauen und auszuhöhlen. Die Bienen wissen natürlich nicht mehr davon, daß sie ihre Kugeln in einem bestimmten Abstande voneinander bilden, als sie wissen, welches die verschiedenen Ecken des sechsseitigen Kants und der rautenförmigen Grundplatten sind. Die bewegende Macht für den Vorgang der Naturauslese ist die Erbauung von Zellen von der gehörigen Festigkeit und von der geeigneten Größe und Gestalt für die Larven gewesen, und sie ist mit einer möglichst großen Ersparnis von Arbeit und Wachs ausgeführt worden. Der einzelne Schwarm, der so bei der geringsten Arbeit und der geringsten Honigverschwendung zur Wachsabsonderung die besten Zellen baute, gedieh am besten und übermittelte seine neu erworbenen Spartriebe neuen Schwärmen, die ihrerseits die beste Aussicht gehabt haben werden, im Kampf ums Dasein erfolgreich zu sein.

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Einwände gegen die Anwendung der Lehre von der Naturauslese auf die Naturtriebe. Geschlechtlose und unfruchtbare Kerbtiere.

Gegen die oben mitgeteilte Ansicht von der Entstehung der Naturtriebe hat man eingewendet, daß »die Abänderungen des Körperbaus und des Naturtriebes gleichzeitig hätten geschehen und einander hätten genau angepaßt werden müssen, da eine Ummodelung in dem einen ohne eine unmittelbar entsprechende Umwandlung in dem anderen verhängnisvoll gewesen wäre«. Das Gewicht dieses Einwandes beruht ganz und gar auf der Annahme, daß die Umwandlungen der Naturtriebe und des Körperbaus unvermittelt geschehen. Als Beispiel wollen wir die Kohlmeise (Parus maior) heranziehen, auf die schon in einem früheren Kapitel hingewiesen worden ist. Dieser Vogel hält oft auf einem Ast den Samen der Eibe zwischen seinen Füßen und hämmert mit seinem Schnabel darauf los, bis er zu dem Kern gelangt. Was für eine besondere Schwierigkeit würde nun vorhanden sein, wenn die Naturauslese all die geringfügigen, bei den einzelnen Vögeln vorkommenden Abänderungen der Gestalt des Schnabels erhalten würde, die diesen immer mehr befähigten, die Samenkörner zu öffnen, bis einer entstände, der hierzu ebenso tauglich wäre, wie der des Nußhackers, und wenn zu gleicher Zeit Gewohnheit, Zwang oder von selbst geschehende Abänderungen des Geschmackes den Vogel dazu brächten, immer mehr ein Körnerfresser zu werden. In diesem Fall nimmt man an, daß der Schnabel durch die Naturauslese nach der Umwandlung der Gewohnheiten oder des Geschmacks, aber in Übereinstimmung mit ihr langsam umgemodelt wird. Wenn aber die Füße der Kohlmeise sich durch die Wechselbeziehung zu dem Schnabel oder aus einer anderen unbekannten Ursache abändern und größer werden, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß solche größeren Füße den Vogel dazu veranlassen würden, immer mehr zu klettern, bis er den merkwürdigen Klettertrieb und das Klettervermögen des Nußhackers erreichte. In diesem Falle führt, wie man voraussetzt, eine allmähliche Umwandlung des Körperbaus zu umgemodelten, vom Naturtrieb eingegebenen Gewohnheiten. Nehmen wir noch einen Fall. Wenige Naturtriebe sind merkwürdiger als der, der die Steinschwalbe der östlichen Inseln Englands dazu führt, ihr Nest ganz aus verdicktem Speichel herzustellen. Einige Vögel bauen ihre Nester aus Schlamm, den sie vermutlich mit Speichel anfeuchten, und eine der Steinschwalben Nordamerikas macht ihr Nest, wie ich gesehen habe, aus Stöcken, die sie mit Speichel, manchmal sogar mit ganzen Schichten dieses Stoffes aneinander leimt. Ist es denn nun sehr unwahrscheinlich, daß die Naturauslese aus den einzelnen Steinschwalben, die immer mehr Speichel absonderten, zuletzt eine Art hervorgebracht hat, deren Naturtriebe sie dazu führten, andere Stoffe unbeachtet zu lassen und ihr Nest ausschließlich aus verdicktem Speichel herzustellen? Und ebenso ist es in anderen Fällen. Man muß jedoch zugeben, daß wir bei vielen Fällen keine Vermutung darüber aufstellen können, ob sich zuerst der Naturtrieb oder der Körperbau abgeändert hat.

Zweifellos könnte man viele Naturtriebe, die sich sehr schwer erklären lassen, gegen die Lehre von der Naturauslese ins Feld führen. Man kann Fälle vorbringen, bei denen sich nicht sehen läßt, wie der Naturtrieb entstanden sein mag, andere, bei denen man nichts von dem Vorhandensein von Zwischenstufen weiß. Bei einer dritten Klasse sind die Naturtriebe so unwichtig, daß schwerlich die Naturauslese auf sie eingewirkt haben kann, bei einer vierten sind die Naturtriebe bei solchen Tieren fast ganz dieselben, die auf der Stufenleiter der Natur soweit voneinander getrennt sind, daß die Gleichheit sich nicht aus der Vererbung von einem gleichen Vorfahren erklären läßt, und wir infolge dessen annehmen müssen, daß sie sie unabhängig voneinander durch die Naturauslese erworben haben. Ich will hier nicht diese einzelnen Fälle erörtern, sondern mich auf eine besondere Schwierigkeit beschränken, die mir zuerst unüberwindlich und für meine ganze Lehre in der That verhängnisvoll zu sein schien. Ich meine die Geschlechtlosen oder die unfruchtbaren Weibchen in den Gemeinwesen der Kerbtiere. Denn der Naturtrieb und der Körperbau dieser Geschlechtlosen unterscheidet sich oft sehr von denen der Männchen und der fruchtbaren Weibchen, und doch können sie, da sie unfruchtbar sind, ihre Art nicht fortpflanzen.

Der Gegenstand darf mit Recht auf eine ausführliche Erörterung Anspruch erheben, aber ich will hier nur einen einzigen Fall, den der Arbeiter oder unfruchtbaren Ameisen, behandeln. Die Entstehung der Unfruchtbarkeit bei den Arbeitern bietet eine Schwierigkeit, indessen keine größere als irgendeine andere überraschende Ummodelung des Körperbaus. Denn man kann zeigen, daß mehrere Kerbtiere und andere Gliedertiere im Naturzustande gelegentlich unfruchtbar werden. Leben nun diese Kerbtiere gesellig, und hat das Gemeinwesen einen Nutzen davon, daß jährlich eine Anzahl Tiere geboren werden, die zum Arbeiten, aber nicht zum Zeugen fähig sind, so sehe ich keine besondere Schwierigkeit darin, daß die Naturauslese das erreicht hat. Aber diese vorläufige Schwierigkeit muß ich übergehen, die Hauptschwierigkeit liegt darin, daß sich die Arbeiter-Ameisen von den Männchen wie von den fruchtbaren Weibchen im Körperbau, z. B. durch die Gestalt der Brust, das Fehlen der Flügel und zuweilen der Augen, wie im Naturtrieb sehr unterscheiden. Soweit der Naturtrieb allein in Betracht kommt, gäbe die Honigbiene ein besseres Beispiel für eine wunderbare Verschiedenheit zwischen den Arbeitern und den voll ausgebildeten Weibchen. Wenn eine Arbeiter-Ameise oder ein anderes geschlechtloses Kerbtier ein gewöhnliches Tier geworden wäre, so hätte ich unbedenklich angenommen, daß es alle seine Merkmale langsam durch die Naturauslese d. h. dadurch erworben hat, daß einzelne Tiere mit geringfügigen nützlichen Ummodelungen geboren wurden, die die Nachkommenschaft erbte, daß diese sich wieder abänderte und wieder ausgelesen wurde, und so fort. Aber in der Arbeiter-Ameise haben wir ein Kerbtier, das sich von seinen Eltern sehr unterscheidet, jedoch ganz unfruchtbar ist, so daß es die erworbenen Ummodelungen seines Körperbaus oder seines Naturtriebes nicht auf eine Nachkommenschaft übertragen kann. Man kann mit Recht fragen, wie es möglich ist, diesen Fall mit der Lehre von der Naturauslese in Einklang zu bringen.

Wir wollen zuerst daran erinnern, daß wir sowohl bei unseren Zuchterzeugnissen wie bei den Geschöpfen im Naturzustände unzählige Beispiele von allen möglichen Verschiedenheiten einer ererbten Bildung haben, die zu einem gewissen Alter und zu einem der beiden Geschlechter in Beziehung stehen. Wir haben Verschiedenheiten, deren Vorkommen sich nicht nur auf eins der beiden Geschlechter, sondern sogar auf den kurzen Zeitabschnitt beschränkt, während dessen das Fortpflanzungssystem in Thätigkeit ist: ich erinnere an das Hochzeitsgefieder vieler Vögel und an die hakenförmigen Kiefern des männlichen Lachses. Wir haben sogar bei verschiedenen Rassen Rindvieh geringfügige Verschiedenheiten in den Hörnern, die in Beziehung stehen zu einer künstlich hervorgebrachten Unvollkommenheit des männlichen Geschlechts. Denn die Ochsen gewisser Rassen haben, im Vergleich zu der Länge der Hörner der Bullen und Kühe dieser selben Rassen, längere Hörner, als die Ochsen anderer Rassen. Deshalb kann ich darin keine große Schwierigkeit sehen, daß irgendein Merkmal zu der Unfruchtbarkeit gewisser Mitglieder von Gemeinwesen von Kerbtieren in eine Beziehung tritt. Die Schwierigkeit liegt darin, zu verstehen, wie solche in Wechselbeziehung zu einander stehenden Ummodelungen des Baus durch die Naturauslese langsam angehäuft worden sein können.

Diese Schwierigkeit scheint zwar unüberwindlich, sie verringert sich aber oder verschwindet, wie ich glaube, wenn man sich erinnert, daß die Auslese bei der Familie ebenso gut wie bei dem einzelnen Geschöpf angewandt werden und so zu dem gewünschten Ziele kommen kann. Rindviehzüchter wünschen, daß das Fleisch ordentlich mit Fett durchwachsen sei. Ein Tier mit solchem Merkmal ist geschlachtet worden, aber der Züchter ist mit Zuversicht wieder zu demselben Stamm gegangen und hat Glück gehabt. Eine solche Zuversicht kann man in das Vermögen der Auslese setzen, daß eine Rindviehrasse, die stets Ochsen mit außerordentlich langen Hörnern hervorbringt, wahrscheinlich dadurch entstehen konnte, daß man sorgfältig achtgab, welche einzelnen Bullen und Kühe bei der Paarung Ochsen mit den längsten Hörnern zeugten. Und doch würde kein Ochse jemals seine Art fortgepflanzt haben. Ich lasse ein besseres Beispiel aus der Wirklichkeit folgen. Nach M. Verlot bringen einige Spielarten der doppelten jährigen Levkoye, infolge einer langen und sorgfältigen in richtigem Grade betriebenen Auslese stets eine verhältnismäßig große Anzahl von Sämlingen hervor, die doppelte, ganz unfruchtbare Blüten tragen; aber sie bringen gleichfalls mehrere einfache fruchtbare Pflanzen hervor. Diese, die allein die Spielart fortpflanzen können, mögen mit den fruchtbaren Ameisen-Männchen und -Weibchen, die doppelten unfruchtbaren Pflanzen mit den Geschlechtlosen desselben Gemeinwesens verglichen werden. Wie bei den Spielarten der Levkoye, so ist bei den geselligen Kerbtieren die Auslese auf die Familie, nicht auf die einzelnen Vertreter angewandt worden, um ein nützliches Ziel zu erreichen. Wir können daher schließen, daß leichte Ummodelungen des Körperbaus oder des Naturtriebs, die in Beziehung zu der Unfruchtbarkeit gewisser Mitglieder des Gemeinwesens standen, sich als vorteilhaft erwiesen; infolge dessen gediehen die fruchtbaren Männchen und Weibchen und übertrugen auf ihre fruchtbare Nachkommenschaft die Neigung, unfruchtbare Mitglieder mit denselben Ummodelungen hervorzubringen. Dieser Vorgang muß sich lange Zeit hindurch wiederholt haben, bis die Verschiedenheit zwischen den fruchtbaren und unfruchtbaren Weibchen derselben Art so überraschend groß wurde, wie wir sie bei vielen geselligen Kerbtieren sehen.

Aber bis zu dem Gipfel der Schwierigkeit sind wir bis jetzt noch nicht gekommen, zu der Thatsache nämlich, daß sich die Geschlechtlosen mehrerer Ameisenarten nicht nur von den fruchtbaren Weibchen und Männchen, sondern auch untereinander, manchmal in fast unglaublichem Maße unterscheiden und auf diese Weise in zwei oder sogar drei Abteilungen zerfallen. Überdies gehen die Abteilungen gewöhnlich nicht ineinander über, sondern sind vollkommen abgegrenzt, da sie so verschieden voneinander sind, als wären sie zwei beliebige Arten einer Gattung oder noch eher zwei Gattungen einer Familie. So giebt es in der Gattung Eciton geschlechtlose Arbeiter und Krieger mit außerordentlich verschiedenen Kiefern wie Naturtrieben, beim Cryptocerus tragen die Arbeiter-Ameisen nur einer Abteilung eine wunderbare Art Schild auf dem Kopf, dessen Nutzen ganz unbekannt ist, beim mexikanischen Myrmecocystus verlassen die Arbeiter der einen Abteilung niemals das Nest, sie werden von den Arbeitern einer anderen Abteilung gefüttert und haben einen riesig entwickelten Unterleib, der eine Art Honig absondert. Dieser vertritt die Stelle des Honigs, den für unsere europäischen Ameisen die Blattläuse absondern, die von ihnen in Gefangenschaft gehaltenen Milchkühe, wie man sie nennen könnte.

Man wird sicher glauben, daß ich von dem Grundgesetz der Naturauslese zu viel halte und ihm zu sehr vertraue, wenn ich nicht zugebe, daß solche wunderbaren und sicher festgestellten Tatsachen die Lehre mit einem Schlage vernichten. Bei dem einfachen Beispiele der geschlechtlosen Kerbtiere, die alle einer Abteilung angehören, und deren Verschiedenheit von den fruchtbaren Männchen und Weibchen nach meiner Meinung die Naturauslese herbeigeführt hat, können wir nach dem ähnlichen Fall gewöhnlicher Abänderungen schließen, daß aufeinanderfolgende, geringfügige, nützliche Ummodelungen zuerst nicht bei allen Geschlechtlosen in einem Nest, sondern nur bei einigen wenigen entstanden. Und da die Gemeinwesen erhalten blieben, deren Weibchen die meisten Geschlechtlosen mit der vorteilhaften Ummodelung hervorbrachten, so bekamen schließlich alle Geschlechtlosen diese Merkmale. Nach dieser Ansicht müßten wir gelegentlich in einem Neste geschlechtlose Kerbtiere finden, die Abstufungen im Körperbau zeigen. Und das kommt auch vor, und wenn wir bedenken, wie wenige geschlechtlose Kerbtiere außerhalb Europas genau untersucht worden sind, ist es sogar nicht selten der Fall. F. Smith hat gezeigt, daß die Geschlechtlosen mehrerer englischer Ameisen sehr verschiedene Größe und manchmal sehr verschiedene Farbe haben, und daß die letzten Formen durch Tiere, die man demselben Nest entnommen hat, aneinander gegliedert werden können. Ich selbst habe vollkommene Stufenreihen dieser Art verglichen. Es trifft sich zuweilen, daß entweder die größeren oder die kleineren Arbeiter zahlreich sind, oder daß beide, große wie kleine zahlreich sind, dagegen die mittelgroßen nur wenige Vertreter aufweisen. Die rotgelbe Ameise hat größere und kleinere, nebst einigen wenigen mittelgroßen Arbeitern. Wie Smith beobachtet hat, haben die größeren Arbeiter einfache Augen (ocelli), die man trotz ihrer Kleinheit deutlich unterscheiden kann, während die Augen der kleineren Arbeiter sehr unvollkommen entwickelt sind. Nachdem ich mehrere Exemplare dieser Arbeiter sorgsam zerlegt habe, kann ich versichern, daß die Augen weit unvollkommener entwickelt sind, als sich einfach aus der verhältnismäßig geringeren Größe erklären läßt, und ich bin vollkommen überzeugt, wenn ich es auch nicht als sicher hinzustellen wage, daß bei den mittelgroßen Arbeitern der Zustand der Augen genau die Mitte hält. Wir haben also hier in demselben Neste zwei Körperformen unfruchtbarer Arbeiter, bei denen nicht nur die Größe, sondern auch die Sehwerkzeuge verschieden sind, die aber durch einige wenige Vertreter einer Zwischenform aneinander gegliedert werden. Ich möchte noch eine Abschweifung machen und Folgendes hinzufügen. Wären die kleineren Arbeiter für das Gemeinwesen am nützlichsten gewesen und die Männchen und Weibchen fortgesetzt ausgelesen worden, die immer mehr kleinere Arbeiter hervorbrachten, bis es nur solche gab, so hätten wir eine Ameisenart bekommen, deren Geschlechtlose fast denselben Zustand wie die der Myrmica hätten. Denn die Arbeiter der Myrmica haben nicht einmal die Anfänge von Augen, obwohl die Männchen und Weibchen gut entwickelte Augen haben.

Ich möchte noch einen anderen Fall anführen. So zuversichtlich erwartete ich, gelegentlich Abstufungen von wichtigen Bildungen zwischen den verschiedenen Abteilungen von Geschlechtlosen derselben Art zu finden, daß ich die mir von Smith angebotenen zahlreichen Exemplare der westafrikanischen Treiberameise (Anomma), die aus demselben Neste stammten, mit Vergnügen annahm. Der Leser wird sich vielleicht von der Größe der Verschiedenheit bei diesen Arbeiter-Ameisen am besten ein Bild machen können, wenn ich nicht die wirklichen Maße, sondern ein genau ausgeführtes Beispiel gebe. Die Verschiedenheit war ebenso, als wenn wir eine Anzahl Handwerker ein Haus bauen sehen, von denen ein Teil fünf Fuß vier Zoll, der andere sechszehn Fuß groß wäre. Aber wir müßten noch dazu annehmen, daß die Köpfe der größeren Handwerker nicht dreimal, sondern viermal, und die Kiefern fünfmal so groß wären wie die der kleineren Arbeiter. Überdies ist bei Arbeiter-Ameisen von verschiedener Größe die Gestalt der Kiefer, die Form und die Zahl ihrer Zähne erstaunlich verschieden. Wichtig für uns ist aber die Thatsache, daß die Arbeiter, wenn sie auch in zwei Abteilungen von verschiedener Größe geordnet werden können, unmerklich ineinander übergehen, ebenso wie es die sehr verschiedene Bildung ihrer Kiefern thut. Über diesen letzteren Punkt spreche ich aus voller Überzeugung, da Sir J. Lubbock mit der Leuchtkammer für mich Zeichnungen der von mir zerlegten Kiefer verschieden großer Arbeiter-Ameisen angefertigt hat. Bates hat in seiner fesselnden Schrift: »Betrachtungen eines Naturforschers über die Amazonen« ähnliche Fälle beschrieben.

Auf Grund dieser Thatsachen glaube ich, daß die Naturauslese, indem sie auf die fruchtbaren Ameisen oder die Eltern einwirkte, eine Art bilden konnte, die regelmäßig Geschlechtlose hervorbrachte, die alle entweder groß waren und eine gleiche Kieferform besaßen, oder klein waren und sehr verschiedene Kiefer hatten. Schließlich, und darin besteht die Hauptschwierigkeit, könnte sie eine Anzahl Arbeiter-Ameisen von einer Größe und Bildung und zugleich eine andere von ganz anderer Größe und Bildung hervorbringen, nachdem zuerst eine Stufenreihe wie bei der Treiberameise gebildet worden war, daraus aber durch das Überleben der Eltern, welche sie erzeugten, die äußersten Formen in immer größerer Anzahl hervorgebracht worden waren, bis schließlich keine Mittelform mehr erzeugt wurde.

Das regelmäßige Auftreten zweier oder sogar dreier verschiedener weiblicher Formen bei gewissen malayischen Schmetterlingen, eine Erscheinung, die fast ebenso verwickelt ist, wie die von uns angeführte, hat Wallace, das Auftreten zweier sehr verschiedener männlicher Formen gewisser brasilischer Krustentiere Fritz Müller beinahe in derselben Weise erklärt. Aber dieser Gegenstand braucht hier nicht erörtert zu werden.

Ich habe jetzt erklärt, woher nach meiner Meinung die wunderbare Erscheinung ihren Ursprung hat, daß in demselben Nest zwei genau abgegrenzte, sehr voneinander und von der Elternform verschiedene Abteilungen unfruchtbarer Arbeiter vorhanden sind. Wir können sehen, wie nützlich ihre Erzeugung für ein geselliges Gemeinwesen von Ameisen nach demselben Grundgesetz gewesen sein mag, nach dem die Arbeitsteilung für den civilisierten Menschen von Nutzen ist. Die Ameisen arbeiten indessen mit ererbten Naturtrieben und ererbten Werkzeugen oder Geräten, während der Mensch mit erworbener Erfahrung und selbstgefertigten Werkzeugen arbeitet. Aber ich muß gestehen, daß ich bei allem meinem Glauben an die Naturauslese niemals angenommen hätte, daß dies Grundgesetz eine so bedeutende Wirkung gehabt habe, wenn mich nicht die geschlechtlosen Kerbtiere zu diesem Schluß gebracht hätten. Deshalb habe ich diesen Fall etwas länger, aber durchaus nicht eingehend genug behandelt. Erstens wollte ich die Macht der Naturauslese zeigen, und dann ist es die bei weitem ernsteste besondere Schwierigkeit, der meiner Lehre begegnet ist. Der Fall ist auch sehr belehrend, da er beweist, daß bei Tieren wie bei Pflanzen eine beliebig große Ummodelung durch die Anhäufung zahlreicher, geringfügiger, von selbst geschehender Abänderungen bewirkt werden kann, die irgendwie nützlich sind, ohne daß die Übung oder Gewohnheit ins Spiel kommt. Denn eigentümliche Gewohnheiten, die auf die Arbeiter oder unfruchtbaren Weibchen beschränkt sind, konnten, solange sie auch befolgt werden mochten, unmöglich die Männchen und fruchtbaren Weibchen beeinflussen, die allein Nachkommen hinterlassen. Ich bin überrascht, daß bisher niemand diesen Fall der geschlechtlosen Kerbtiere als Beweis gegen die wohlbekannte Lehre von der Vererbung von Gewohnheiten angeführt hat, die Lamarck aufgestellt hat.

* * *

Zusammenfassung.

Ich habe mich bemüht, in diesem Kapitel in der Kürze zu zeigen, daß die geistigen Eigenschaften unserer Haustiere sich abändern, und daß die Abänderungen vererbt werden. Noch kürzer habe ich zu zeigen versucht, daß die Naturtriebe sich im Naturzustand ein wenig abändern. Niemand wird bestreiten, daß die Naturtriebe für jedes Tier von der höchsten Wichtigkeit sind. Daher liegt keine wirkliche Schwierigkeit darin, daß die Naturauslese bei der Umwandlung der Lebensbedingungen leichte Ummodelungen des Naturtriebs, die irgendwie nützlich sind, bis zu einem gewissen Grade anhäuft. In vielen Fällen haben wahrscheinlich Gewohnheit oder Gebrauch und Nichtgebrauch eine Rolle gespielt. Ich behaupte nicht, daß die in diesem Kapitel aufgeführten Thatsachen meine Lehre irgendwie bedeutend stützen; aber keiner der schwierigen Fälle stürzt sie nach meiner sorgfältigsten Überlegung um. Dagegen sind die Thatsachen, daß Naturtriebe nicht immer durchaus vollkommen, sondern Irrungen ausgesetzt sind, daß sich kein Naturtrieb aufweisen läßt, der zum Besten anderer Tiere erzeugt worden ist, wenn auch die Tiere aus den Naturtrieben der anderen Nutzen ziehen, daß der Satz: »Die Natur macht keine Sprünge,« die Grundlehre der Naturgeschichte, sich auf die Naturtriebe wie auf den Körperbau anwenden läßt und nach den vorhergehenden Ansichten leicht erklärlich, sonst aber unerklärlich ist, geeignet, die Lehre von der Naturauslese zu stärken.

Diese Lehre wird auch durch einige wenige andere Thatsachen, die sich auf den Naturtrieb beziehen, gestützt, wie durch das gewöhnliche Vorkommen eng verwandter, aber verschiedener Arten, die, wenn sie getrennte Teile der Erde bewohnen und unter sehr verschiedenen Bedingungen leben, doch oft beinahe dieselben Naturtriebe behalten. Wir können z. B. nach dem Gesetz der Vererbung verstehen, wie es kommt, daß die Drossel des tropischen Südamerikas ihr Nest mit Schlamm füttert, in derselben eigentümlichen Weise, wie es unsere englische Drossel thut, wie es kommt, daß die Hornvögel in Afrika und Indien denselben außergewöhnlichen Naturtrieb haben, eine Höhlung im Baum zu verkleben und ihre Weibchen einzukerkern, wobei sie nur ein kleines Loch lassen, durch das die Männchen sie und ihre ausgebrüteten Jungen füttern, wie es kommt, daß die männlichen Zaunkönige (Troglodytes) in Nordamerika »Hahnennester« bauen, um darin sitzend zu schlafen, wie die Männchen unserer Kitty-Zaunkönige, eine Gewohnheit, die derjenigen irgend eines anderen bekannten Vogels ganz unähnlich ist. Schließlich mag es kein logischer Schluß sein, aber für meine Phantasie ist es weit befriedigender, solche Naturtriebe wie die des jungen Kuckucks, der seine Pflegebrüder aus dem Neste wirft, der sklavenhaltenden Ameisen, der Larven der Schlupfwespen, die sich von den lebenden Körpern der Raupen nähren, nicht als besonders geschenkt oder erschaffen, sondern als kleine Folgen eines allgemeinen Gesetzes anzusehen, das zum Fortschritt aller organischen Wesen führt, indem es vervielfältigt, abändert, die stärksten leben und die schwächsten sterben läßt.

 


 


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