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Erster Ehrgeiz

Wie verschiedene Ziele doch der Ehrgeiz sich in verschiedenen Lebensaltern setzt! Eine Zeitlang bestand unter uns ein stark ausgeprägtes Streben nach Ehre darin, die dicksten Schnitten zu haben und diese – Schnitten ist natürlich kein Berliner Ausdruck, es muß Stullen heißen! – Stullen nicht von der Mutter direkt zu holen, sondern sie möglichst umständlich zu erhalten. Am stolzesten war man, wenn man sie vom Fenster im zweiten Stockwerk durch eine Schnur hinuntergelassen erhielt. Das geschah natürlich erst, wenn das viele Geschrei: »Mutta, ich habe Hunga!« eben so unausstehlich wurde, daß die Vielgeplagte sich entschloß, in dieser umständlichen Art die soziale Frage ihres Jüngsten zu befriedigen. Einmal allerdings mußte ich meine Vesperstulle mit herunternehmen. Ich stand in der offenen Tür der Werkstatt. Die Gesellen ruhten wohl. Vater war noch an seiner Hobelbank beschäftigt. Ich war höchst unzufrieden, weil die Stulle nicht meinen Ansprüchen auf Dicke genügte. Immer wieder hob ich sie beschwörend in die Höhe: »So ne olle dünne!« Ich wagte damit gar nicht, meinen Spießgesellen unter die Augen zu kommen. Zunächst wollte Vater gut zureden; aber als mein Geklöne nicht aufhörte, sah er sich um: »Ist denn hier keine Latte?« – ein Zauberwort, darob ich sofort mit Mutters Stulle verschwand. Ich habe sie dann voller Scham auf der dunklen Treppe rasch verschlungen. Später hat der Ehrgeiz etwas andere Ziele gesucht.


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