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Spiele

Eins unserer liebsten Spiele war das Reifenspiel, und es war Ziel löblichen Ehrgeizes, einmal seinen Reifen von unserem Hause bis zur nächsten Querstraße, der Sophienstraße, hin und zurück zu treiben, ohne daß er von einem der vielen Fußgänger umgestoßen wurde. Am schönsten konnte man diesen Sport in den Hallen der Nationalgalerie treiben. Unverständig erschienen uns nur die Erbauer, die offenbar den Standpunkt des Reifenspieles in seiner Bedeutung noch nicht genügend erfaßt hatten, da sie rücksichtslos genug gewesen waren, die schönen Asphaltbahnen durch störende Stufen zu unterbrechen, die aus den Säulengängen zu den Fahrwegen hinabführten. Dagegen war es eine angenehme Unterbrechung des Reifenspieles, unter der großen Granitschale umherzukriechen, die vor dem alten Museum aufgestellt ist, oder dem Panther Fell oder Schwanz zu streicheln, mit dem die Amazone auf der Treppe des Museums zu kämpfen hat.

So verhältnismäßig nahe auch Nationalgalerie, Altes Museum und Lustgarten waren, so selten kamen wir doch dorthin. Kinder haben für die Größe der Gebäude sowie für die Länge der Straßen einen anderen Maßstab als Erwachsene. Die Länge des Körpers gibt hier wohl die Grundlage aller Längenmaße. So spielt sich Kinderleben in der Regel nur in der unmittelbarsten Nachbarschaft der Wohnung ab – eine Tatsache, die jeden, der gesunde Kinder für unser Volk erstrebt, zwingen müßte, für Heimstätten einzutreten, bei denen unmittelbar aus der Wohnung ein Garten erreichbar ist.

Unser langgestrecktes, finsteres Gebäude lud namentlich in den Dämmerstunden zum Versteckspielen ein. Einst fragte mich eine meiner Töchter: »Hast du auch als Junge gerufen ›Anschlag vor mir?‹« Sie hatte das mit Verwunderung auf der Straße gehört. Ich mußte lachen. Natürlich! Ein Berliner Junge kannte auf der Straße grundsätzlich nie den vierten Fall. Er brauchte immer den dritten – allerdings auch dann, wenn er richtig war. Beim Versteckspiel helfen sich die Berliner Jungens und Mädels, indem sie nicht rufen »für mir«, sondern »vor mir«. Wer gewagt hätte zu rufen: »Anschlag für mich«, wäre einfach unmöglich gewesen; man hätte ihn für krank oder für geziert gehalten, oder aber, was ja zutreffend gewesen wäre, für jemand, der nicht einmal »berlinisch« reden könne. Ein besonders beliebter Ort war der Heuboden, weniger natürlich zur Freude des Kutschers Friedrich, der mit seinem langen, roten Bart immer dann auftauchte, wenn wir es uns dort am behaglichsten eingerichtet hatten. Von diesem Heuboden konnte man durch ein kleines Fenster mit einigen Schwierigkeiten auf das Dach der Kegelbahn in Kellers Garten klettern; kroch man dann dieses Dach entlang, so kam man zu dem Ast eines Baumes, mit dessen Hilfe man endlich in den Garten gelangen konnte – ein etwas umständlicher Weg, der aber dadurch, daß sowohl die Eltern als auch Herr Keller vor ihm warnten, natürlich seinen besonderen Reiz auf uns ausübte.

Im Winter, wenn wir nicht auf dem Hofe und auf der Straße sein konnten, war das Kriegsspiel beliebt. Am Feierabend oder Sonntags, wenn die langen Hobelbänke leer waren, wurden unsere Bleisoldaten vorgenommen. Jeder bekam die gleiche Anzahl, und dann wurde entweder mit Erbsen aus kleinen Kanonen geschossen oder mit »Murmeln« versucht, die gegnerischen Streitkräfte umzuschieben. Waren die Hobelbänke besetzt, so wurde auch, nicht immer zur Freude der Mutter, der Fußboden dazu in Anspruch genommen, sei es bei uns oder bei Fritz Veits großen Schwestern. – Sonntags sahen wir wohl einen sogenannten Guckkasten an, den Vater hergestellt hatte. Man erblickte allerlei Wunder der Welt. Die blaue Grotte von Capri sehe ich noch vor mir. Daneben waren Schlachtenbilder von 1870/71 bevorzugt.

In jedem Jahre ging es auf den Weihnachtsmarkt. Er bedeckte noch den ganzen Schloßplatz und den ganzen Lustgarten, und seine Schätze waren den Augen eines kleinen Menschenkindes unermeßlich. Das erste, was man erbettelte, war eine Knarre oder ein »Walddeibel«. Die Freude des Weihnachtsmarktes wäre nur halb gewesen, wenn man sich selbst nicht nach Kräften an der Hervorbringung des allgemeinen Lärms beteiligt hätte.

Alle Brettspiele lernte ich früh und brachte es in ihnen zu einiger Fertigkeit. Vaters liebstes Spiel war Schach. Von meinem siebenten bis neunten Jahre habe ich wohl täglich mit ihm spielen müssen. Oft mußte die Partie abgebrochen und auf den nächsten Tag verschoben werden, wenn Vaters so karg bemessene Freizeit vorüber war, ohne daß wir im Spiele zu einer Entscheidung gekommen waren. Mit acht und neun Jahren hatte ich einen gewissen Ruf als Schachspieler, und es kam ziemlich häufig vor, daß Fritz Keller von seinem Vater heraufgeschickt wurde: unten wäre ein Gast, der von mir gehört hätte; ob ich nicht hinunterkommen und mit ihm Schach spielen wolle.


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