Felix Dahn
Sind Götter?
Felix Dahn

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XVIII.

Als nun aber mein lieber Vater gestorben war, den ich selbst erschlagen hatte, weinte ich sehr, und lag die Nacht an der Seite des Todten.

Und als die Sonne wieder aufging, dachte ich nach, was ich nun thun sollte.

Zuerst wollte ich die Herde in das Kloster treiben, das wohl sechs Rasten entfernt lag, und den Mönchen alles erzählen und beichten, daß ich, obzwar ohne Wissen, meinen eigenen Vater erschlagen, und um Absolution bitten für mich und um ein christlich Grab für meinen lieben Vater.

Aber da kam es mir, daß die Mönche den Vater nicht mit christlichen Ehren begraben würden, da er ja als Heide gestorben: und auch mir nicht gestatten würden, ihn nach Brauch der Heidenleute zu verbrennen, da viel, was an die Heidengötter erinnert, dabei vorkömmt: und sie würden ihn wohl ungeehrt ins Meer werfen, wie sie schon einmal mit einem Heidenmann aus Sialanda gethan.

Da beschloß ich, von Allem zu schweigen und meinen lieben todten Vater den Priestern nicht zu verrathen.

Und also auch den Todtschlag konnte ich nun nicht beichten und mir nicht Rathes erholen über meine unschuldige Schuld.

Und war das der Anfang davon, daß ich meinen Sinn von den Mönchen und ihrem Glauben frei machte.

Und ich wußte ganz in der Nähe eine Felshöhle, welche nur mir bekannt war: denn sie hatte ganz schmalen Eingang und ich hatte sie nur entdeckt, weil ich einem Steinmarder nachgefolgt war, der da hineingeschlüpft: da fiel die Felsplatte um, welche den Eingang verbarg und viel Asche und Knochenreste fand ich in der geräumigen Höhle, die gerade nach dem Meere mündete: in grauen Tagen hatten wohl die alten Heidenschotten hier ihre Todten verbrannt; dorthin trug ich, nicht ohne viele Mühe, meinen lieben todten Vater, und setzte ihn aufrecht in die Höhle, das Antlitz gegen das Meer gewendet: die Wurzeln der Eichen und Eschen, die ober der Höhle rauschten, drangen durch das Gestein bis fast an sein Haupt herunter: ober ihm rauschte der Wald, vor ihm rauschte das Meer: dort habe ich meinen lieben Vater beigesetzt und die Felsplatte wieder vor den Eingang gewälzt.

Aber auch seinen Hammer, sein einzig Erbe, durft' ich nicht behalten: selbst wenn ich den Mönchen vorerzählt, ich hätte ihn gefunden oder von Seefahrern erhandelt – sie hätten mir ihn nicht gelassen: denn starke heidnische Siegrunen waren auf dem Schafte eingeritzt.

So legte ich denn auch den Hammer zur Rechten neben den Todten: »Bewahre ihn mir, lieber Vater,« sprach ich, »bis ich ihn einmal brauche: dann werde ich ihn holen.«

Von Stund an aber zog eine große Wandlung über meinen Sinn.

Was mich am meisten gefreut hatte, mit Wölfen, Bären und Lämmergeiern um meine Schafe kämpfen, das lockte mich nicht mehr.

Sondern die Frage, die meinen lieben Vater umgetrieben hatte bis zum Wahnsinn, ob Gott oder Götter sind und wie es geschehen mag, daß so Furchtbares geschieht, wie in dieser Geschichte sich begeben, von dem Gelübde auf den Bragibecher an bis zu dem Gräßlichen, daß der Sohn den eigenen Vater erschlägt, – dieses Grübeln ergriff mich und ließ auch mich nicht ruhen, wie meinen lieben Vater.

Und wie mein lieber Vater ehemals zu den Sternen blickte und zu den Heidengöttern flehte um Auskunft, so blickte auch ich zu den Sternen um Erleuchtung empor, betend zu Christus und den Heiligen.

Aber auch mir blieb der Himmel stumm.

Da sagte ich zu mir: »Hier auf der Schafweide und aus dem Meerrauschen und aus dem Licht der Sterne findest du die Antwort deiner Lebtage nicht, so wenig wie dein lieber Vater.

Aber in den Büchern der Mönche, den lateinischen, und den andern mit den krausen Runenschnörkeln, liegt alle heilige und weltliche Weisheit beschlossen.

Und wenn du sie lesen kannst, wird dir alles klar werden im Himmel und auf Erden.«

Und so nahm ich Abschied von meinem lieben Vater, blies meine Schafe zusammen und trieb sie nach dem Kloster.

»Bist du unsinnig geworden, Irenäus,« sprach der Pförtner, als er mir und meiner blökenden Gefolgschaft das Thor erschloß, »daß du heimtreibst vor der Schurzeit? Sie werden dich wieder schlagen.«

»Ich war unsinnig,« rief ich entgegen, »doch nun will ich ein Buchgelehrter werden. Jetzt mag ein Anderer Wölfe scheuchen: ich lerne griechisch.«

Und so sagte ich auch dem guten Abt Aelfrik, vor den ich alsbald zur Bestrafung geführt wurde.

Dieser aber sprach:

»Leget die Ruthen zur Seite! Vielleicht ist aus dem Knaben, der immer ein heidnischer, weltlicher Saulus war, plötzlich ein Paulus geworden durch Gnade des heiligen Columban: er soll seinen Willen haben. Hält er aus, so war's ein Werk des Heiligen; läßt er nach im Eifer, so war's ein Spiel des Satans und er gehe wieder aus zu seinen Schafen.«

Ich aber schwieg und sagte nichts von dem Grunde, aus dem ich lesen lernen wollte.

Und ließ nicht nach im Eifer: und lernte Latein und Griechisch und las alle Bücher, die sie im Kloster hatten, die christlichen von den Kirchenvätern, was sie Theologiam heißen, und viele heidnische von den alten Weltweisen, was sie Philosophiam nennen.

Und merkte bald, daß oft in einem Kirchenvater das Gegentheil stand von dem andern Kirchenvater.

Und daß Aristoteles auf Plato schalt und daß Cicero alles zusammenreimen wollte und nicht konnte.

Und nachdem ich in drei, vier Jahren alle Bücher durchgelesen, welche sie im Kloster hatten, und mit allen Mönchen, die im Kloster waren, Nächte lang gestritten hatte, wußte ich nicht mehr von dem, was ich wissen wollte als an dem Tag, da ich meinen lieben Vater begraben hatte.

Der alte, gutmüthige, dicke Abt Aelfrik aber – er war aus edlem Geschlecht und früher Kriegsmann gewesen am Hofe des Schottenkönigs und hatte mich lieb – sagte mir oft:

»Laß das Grübeln, Fridgifa« – denn er nannte mich gern bei meinem Heidennamen, wenn wir allein waren – »du mußt glauben, nicht fragen. Und trink' manchmal zwischen durch gutes Ale oder Wein und sing' ein Lied auf der Harfe« – denn er hatte mich Harfe spielen gelehrt, wozu ich große Lust hatte und was er sehr liebte, und Alle sagten, gleich mir spiele niemand Harfe in ganz Schottland – »und vergiß auch nicht, manchmal im Klostergarten nach der Scheibe Lanzen zu werfen: das viele Bücherlesen verwelkt den Leib.«

Und ich gedachte, daß ganz ähnlich meines lieben Vaters letzte Worte gewesen: und oft und stahl ich mich hinaus zu meines lieben Vaters Hügel, holte den Hammer heraus, übte mich im Hammerwerfen bei Sternenschein und saß dann stundenlang vor der Höhle und hörte Wind und Wald und Woge rauschen.

Und war mir jetzt oft, als ob ich mit solchem Sinnen der Wahrheit näher käme als durch alle Bücher der Christenpfaffen und Heidenphilosophen.

Und ich glaube fast, ich bleibe nicht mehr lang in dem Kloster.

Zumal seit neulich ein Skalde aus Halogaland im Kloster einsprach und erzählte von dem Leben an dem Hofe König Haralds, von seiner herrlichen Königshalle, in welcher zwanzig Skalden wechselnd Harfe schlagen.

Und wie die kühnsten Helden stets gern in seine Gefolgschaft treten. Und wie Jahr für Jahr dort siegreiche Heerfahrt gehalten wird.

Und von Gunnlödh, seiner wunderschönen, goldgelockten Tochter, welche dem tapfersten Helden und dem besten Skalden das Goldhorn zutrinkt. – –

Seit dem steht mein Sinn nicht mehr auf Psalmensingen und Vigilien.

Aber freilich, leicht werden sie mich nicht aus dem Kloster lassen.

Denn weil ich gut latein und griechisch schreiben kann, läßt mich Aaron, der neue Abt, der Wälsche, welcher dem wackern friedliebenden Aelfrik nachgefolgt ist, unablässig Handschriften abschreiben, welche sie dann theuer verkaufen nach Britannien und bis nach Germanien hinein.

Und Aaron ist mir scharf auf der Spur, weil ich ihm nicht den rechten christlichen Eifer zu haben scheine.

Und wüßte er, daß ich auf diese Pergamentblätter, auf welche ich zum siebenzehnten Male die Schrift von Lactantius: » de mortibus persecutorum« abschreiben soll, nächtlicher Weile die Geschichte meines lieben Vaters aufgeschrieben habe, – es ginge nicht ab ohne viele Tage Fasten und einige Schock Bußpsalmen.

Neulich drohte er mir gar, »Einen« geiseln zu lassen, der abermals zu spät zur Hora käme.

Das war aber ich: denn ich hatte gerade den Kampf auf dem Singschwan zu schreiben begonnen und konnte mich nicht gleich davon losmachen, als das Horaglöcklein rief.

Aber ehe Halfred des Sigskalds Sohn Geiselschläge auf dem Rücken duldet, eher schlage ich Aaron todt und alle seine wälschen Mönche.

Aber zum Todtschlagen brauche ich andres Ding als diesen Schreibgriffel. –

– – – So weit hatte ich geschrieben bis Carfreitag.

Lange kam ich nicht mehr dazu, weiter zu schreiben. Denn es wird Aarons und seines Anhangs – es sind viele seiner wälschen Landsleute mit ihm aus Rumaburg gekommen: – Haß und Neid und Mißtrauen immer größer: er hat mir verboten, des Nachts zu schreiben.

Nur bei Tage und in der Bücherei, nicht mehr in meiner Zelle, soll ich schreiben und die Abschrift des Lactantius auf dem dazu bestimmten Pergament ihm zum Pfingstfest abliefern bei Strafe von sieben Tagen Fasten.

Mein Ingrimm wächst gegen diesen Pfaffenzwang.

Nur selten und verstohlen komme ich noch zu diesen Blättern. Auch zu meines lieben Vaters Hügel kann ich nur noch sehr schwer gelangen: sie spüren meinen einsamen Wanderungen nach.

Es kommt wohl bald zu offnem Streit. Ich schaffe mir auf alle Fälle sicher Gewaffen.

– – – Mit Mühe habe ich gestern Abend im Aermel meiner Kutte meines lieben Vaters Hammer in das Kloster gebracht. Im äußern Klosterhof habe ich ihn verborgen: wo aber, das vertraue ich nicht einmal diesen Blättern. Ich sinne viel nach über die Frage meines lieben Vaters und ich glaube, bald finde ich das Rechte.

– – – Drei Tage konnte ich gar nicht schreiben. Der Skalde vom Hofe König Haralds war wieder zu Gast im Kloster.

Er mußte mir Alles erzählen von dem Leben an jenem Hofe. Es ist ganz wie zu meines lieben Vaters Tagen. Freilich sind König Harald und alle seine Hofleute Heiden und ihre Heerfahrten gehen meist gegen die christlichen Könige und Bischöfe. Aber das macht meinen Sinn nicht wanken, der fest entschlossen ist. Er erzählte mir viel von Gunnlödh.

In zwanzig Nächten fährt ein Schiff König Haralds wieder in den Hafen von – –

– – Ich weiß jetzt Antwort auf Halfreds Fragen.

Heidengötter sind nicht.

Aber der Christengott ist auch nicht, der, allmächtig, allgütig, allwissend, den Vater durch den Sohn erschlagen ließe.

Vielmehr geschieht auf Erden nur was nothwendig ist: und was die Menschen thun und lassen, das müssen sie so thun und lassen: wie der Nordwind Kälte bringen muß, der Südwind Wärme: und wie der geworfene Stein zur Erde fallen muß – warum muß er fallen? Niemand weiß es, aber er muß. Und er glaubt vielleicht, er fliege frei. –

Der Mann aber soll nicht seufzen, grübeln und verzagen, sondern sich freuen an Hammerwurf und Harfenschlag, an Sonnenschein und Griechenwein und an Frauenschöne.

Denn das ist eine Lüge, daß es Sünde sei, ein schönes Weib zu begehren.

Sonst müßten die Menschen aussterben, wenn Alle so fromm wären, kein Weib mehr zu begehren.

Und die Todten sind todt und nicht mehr lebendig!

Sonst wäre der Schatte meines lieben Vaters längst mir erschienen auf mein inständiges Anrufen.

An was allein aber der Mann glauben soll, – das werde ich später noch sagen.

Ohne Furcht soll er leben und ohne Wunsch soll er sterben.

In diesem Kloster aber bleibe ich nicht länger mehr, als –


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