Felix Dahn
Sind Götter?
Felix Dahn

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XVI.

Da Halfred wieder erwachte, lag er auf dem Boden eines kleinen Botes, das im offnen Meere trieb.

Sein Hammer lag zu seiner Rechten: ein Krug Wasser stand zu seiner Linken: zwei Ruder lehnten am Hintergransen.

Halfred sprang auf, um sich zu sehen.

Da erkannte er, daß er alle Dinge zu seiner Linken nur schwer sehen konnte: er langte nach seinem linken Auge und griff in eine blutende Höhle: ein Splitter des Mastes hatte es ihm ausgeschlagen: auch bohrte ein stechender Schmerz durch sein Gehirn, der ihn, sagte er, nicht mehr verließ, so lange er lebte.

Er sah auf seinen Leib: in Fetzen hingen die zu Zunder verbrannten Kleider um ihn her. Ganz in der Ferne sah er ein Fahrzeug, das er als das Schutbot des Singschwans erkannte.

Der Singschwan selbst war verschwunden: aber im Süden lag eine Wolke von Qualm und Rauch über der See.

Das Bot, in dem Halfred stand, erkannte er als das Wasserbot des Singschwans: offenbar hatten die Segelbrüder den Halbtodten aus dem brennenden Schiff getragen und geborgen: sie hatten ihn den Göttern überlassen, die er leugnete und die sie glaubten, ob sie retten wollten oder verderben. Aber gemein wollten sie nichts mehr haben mit dem Mann, den der schwerste Fluch getroffen, der Irrsinn.

Denn irrsinnig war Halfred von Stund an, da er in die Flammen sprang und ihn der Mastbaum traf, bis kurz vor seinem Tode.

Daher konnte er mir auch nur wenig berichten von Allem, was in der Zwischenzeit mit ihm oder durch ihn geschehen.

Was er mir aber sagte, will ich hier getreulich niederschreiben.

Es müssen aber viele, viele Jahre ihm in solchem Irregang verstrichen sein.

Er sagte mir darüber, daß er nur noch vor Augen sah: wie Thora von dem Mastbaum stürzte und wie dann die Flammen ihr Haupt und Haar ergriffen.

Und daß er nur noch einen einzigen Gedanken denken konnte: »es sind keine Götter! wären Götter, müßt' ich sie erschlagen.

So muß ich alle Menschen erschlagen, welche an Götter glauben; denn ausgetilgt soll auf der Erde Name und Gedächtniß sein der Götter.«

Und wollte er nicht sterben, bis er den letzten Mann erschlagen, der noch an Götter glaubte.

Und so fuhr er überall auf seinem kleinen Schifflein umher, landete an Buchten und auf Eilanden, lebte vom Wild, das er erjagte oder von Hausthieren, die er auf dem Felde fand, von Wurzeln und wilden Beeren des Waldes, von Eiern der Seevögel und Muscheln der Düne.

Und oft gingen die Sturmwogen hoch über sein Bot und zerbrachen dessen Planken: aber es sank nicht und er ertrank nicht.

Und eines Tages sah er, daß er völlig nackt war: die letzten Zunderfetzen waren von ihm abgefallen: ihn fror; und als er im Wald einen Wolf traf, lief er ihm so lange nach, bis er ihn einholte, erschlug ihn mit seinem Hammer, zog ihm das Fell ab und schlang es sich um die Hüften.

Und so wandelte und fuhr er halbnackt im ganzen Nordland umher: und Niemand erkannte in dem irrsinnigen Berserker den Halfred Sigskald, den Sohn des Wunsches.

Und er sagte mir, wenn er auf Menschen stieß, waren ihrer viele oder wenige, so sprang er auf sie zu und rief sie fragend an:

»Sind Götter?«

Und wenn sie sagten: »Ja,« oder, wie die meisten thaten, gar keine Antwort gaben, so schlug er sie todt mit seinem Hammer; sagten sie aber: »Nein,« wie auch viele thaten – denn es war schon im ganzen Norden ruchtbar geworden, daß ein nackter Riese mit dieser Frage durch die Länder ging, den die Leute »Götterdämmerer« nannten – oder ergriffen sie die Flucht, so ließ er sie leben.

Und oft gaben ihm die Bauern und die Weiber aus Furcht Brod und Milch und andere Speise.

Aber es verbanden sich wohl auch viele Gehöfte, gegen ihn auszuziehen und ihn zu erlegen wie ein Unthier: aber sie konnten nicht Stand halten vor der Wuth und Kraft des Wahnsinnigen. Er erschlug die Kühnen: die Feigen flohen.

Er schlief fast gar nicht des Nachts: deßhalb konnten sie ihn auch im Schlafe nicht überfallen.

Als er einstmals in der Scheune eines Bauern übernachtete, der vorher mit all' den Seinen die Götter abgeschworen hatte, versperrten die Hofleute von außen mit mächtigen Balken die strohgefüllte Scheune und zündeten sie an; Halfred aber warf das Dach herunter, sprang durch die Flammen und die Pfeile, die an seinem Leibe nicht haften wollten, und schlug sie alle todt mit seinem Hammer.

Und währte dies Irrefahren viele Jahre.

Und ging Meersturm und Sonnengluth und Herbstreif und Wintereis über Halfreds halbnackten Leib hin.

Und sein Haar und Bart starrte wie eine Mähne um ihn her.

Aber nicht mehr dunkel, wie da er einst werbend in König Hartsteins Halle trat: sondern schneeweiß: in einer einzigen Nacht – der Nacht, da Thora gestorben – war sein Haar ihm weiß geworden.


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