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Zwanzigstes Kapitel

Mataswintha war inzwischen unangemeldet bei ihrem Gatten eingetreten.

Witichis hatte alle Gemächer, welche die Amalungen Theoderich, Athalarich, Amalaswintha bewohnt (sie lagen im Mittelbau des weitläufigen Palastes), unberührt gelassen und einige auch früher schon von ihm, wenn er die Wache am Hofe hatte, bewohnte Räume im rechten Flügel bezogen. Er hatte die Gold- und Purpurabzeichen der Amaler nie angelegt und aus seinen Zimmern allen königlichen Pomp entfernt. Ein Feldbett auf niedern Eisenfüßen, auf welchem sein Helm, sein Schwert und mehrere Urkunden lagen, ein langer Eichentisch und wenig Holzgerät standen in dem einfachen Gelaß.

Er hatte sich nach des Gesandten Entfernung, erschöpft, mit dem Rücken gegen die Tür in einen Stuhl geworfen und stützte das müde Haupt in beiden Händen auf den Tisch. So hatte er den leicht schwebenden Schritt der Eintretenden nicht bemerkt.

Mataswintha blieb, wie gebannt, an der Schwelle stehen. Sie hatte ihn noch niemals aufgesucht. Ihr Herz pochte mächtig. Sie konnte ihn nicht ansprechen: sie konnte nicht nähertreten.

Endlich stand Witichis mit Seufzen auf. Da sah er die regungslose Gestalt an der Tür stehen. «Du hier, Königin?» sprach er staunend und trat ihr einen Schritt entgegen. «Was kann dich zu mir führen?»

«Die Pflicht – das Mitleid» sagte Mataswintha rasch. «Sonst hätte ich nicht – ich habe eine Bitte an dich.»

«Es ist die erste», sagte Witichis. – «Sie betrifft nicht mich», fiel sie schnell ein. «Ich bitte dich um Brot für Arme, Kranke, welche –»

Da reichte ihr der König schweigend die Rechte hin.

Es war das erstemal: sie wagte nicht, sie zu fassen, und hätte es doch, o wie gerne, getan. So faßte er selbst ihre Hand und drückte sie leicht.

«Ich danke dir, Mataswintha, und bitte dir ein Unrecht ab. Du hast dennoch ein Herz für dein Volk und seine Leiden. Ich hätte das nie geglaubt: ich habe hart von dir gedacht.»

«Hättest du von jeher anders von mir gedacht: – es wäre vielleicht manches besser.»

«Schwerlich! Das Unglück heftet sich an meine Fersen. Eben jetzt – du hast ein Recht es zu wissen – brach meine letzte Hoffnung: Die Franken, auf deren Hilfe ich hoffte, haben uns verraten. Entsatz ist unmöglich: die Übermacht der Feinde durch den Abfall der Italier allzu groß. Es bleibt nur noch ein letztes: ein freier Tod.»

«Laß mich ihn mit dir teilen», rief Mataswintha, und ihre Augen leuchteten. – «Du? Nein; die Enkelin Theoderichs wird ehrenvolle Aufnahme finden am Hofe von Byzanz. Man weiß, daß du gegen deinen Willen meine Königin geworden... – Du kannst dich laut darauf berufen.»

«Nimmermehr!» sprach Mataswintha begeistert.

Witichis fuhr, ohne ihrer zu achten, in seinen Gedanken fort: «Aber die andern! Die Tausende! Die Hunderttausende von Weibern, von Kindern! Belisar hält, was er geschworen! Es ist nur eine Hoffnung noch für sie: – eine einzige! Denn – alle Mächte der Natur verschwören sich gegen mich. Der Padus ist plötzlich so seicht geworden, daß zweihundert Getreideschiffe, die ich erwartete, nicht rasch genug den Fluß herabgebracht werden konnten: die Byzantiner haben sie aufgefangen!

Ich habe nun um Hilfe an den Westgotenkönig geschrieben: er soll seine Flotte senden. Die unsre ist ja in Feindes Hand! Dringt sie in den Hafen, so kann darauf entfliehen, was nicht fechten kann und nicht sterben soll. Auch du kannst dann, wenn du es vorziehst, nach Spanien entfliehen.»

«Ich will mit dir – mit euch sterben.»

«In wenigen Wochen können die westgotischen Segel vor der Stadt erscheinen. Bis dahin reichen meine Speicher – der letzte Trost. Doch, das mahnt mich an deinen Wunsch: – Hier ist der Schlüssel zu dem Haupttor der Speicher. Ich trag' ihn Tag und Nacht auf meiner Brust. Bewahre ihn wohl: – er verwahrt meine letzte Hoffnung. Er schließt das Leben von vielen Tausenden ein. Es war meine einzige Mühewaltung, die nicht fruchtlos blieb. Mich wundert», fügte er schmerzlich hinzu, «daß nicht die Erde sich aufgetan hat oder Feuer vom Himmel gefallen ist, diese meine Bauten zu verschlingen.»

Und er nahm den schweren Schlüssel aus dem Brustlatz seines Wamses. «Hüt' ihn wohl, es ist mein letzter Schatz, Mataswintha.»

«Ich danke dir, Witichis – König Witichis –», sagte sie, verbessernd, und griff nach dem Schlüssel, aber ihre Hand zitterte. Er fiel.

«Was ist dir», fragte der König, den Schlüssel ihr in die Rechte drückend, – sie steckte ihn in den Gürtel ihres weißseidnen Unterkleides – «du zitterst? Bist du krank?» setzte er besorgt hinzu.

«Nein – es ist nichts. – Aber sieh mich nicht an so – so wie jetzt und wie heute morgen... –» – «Vergib mir, Königin», sagte Witichis, sich abwendend. «Meine Blicke sollten dich nicht kränken. Ich hatte viel, recht viel Gram in diesen Tagen. Und wenn ich nachsann, mit welcher Schuld ich all dies Unglück verdient haben könnte...» – seine Stimme wurde weich.

«Dann? O rede?» bat Mataswintha hingerissen. Denn sie zweifelte nicht mehr an dem Sinn seines unausgesprochenen Gedankens.

«Dann hab' ich, unter all den ringenden Zweifeln, oft auch gedacht, ob es nicht Strafe sei für eine harte, harte Tat, die ich an einem herrlichen Geschöpf begangen habe. An einem Weibe, das ich meinem Volk geopfert –.» Und unwillkürlich sah er im Eifer seiner Rede auf die Hörerin.

Mataswinthens Wangen erglühten: sie faßte, sich aufrecht zu halten, nach der Lehne des Stuhles neben ihr. «Endlich – endlich erweicht sein Herz, und ich – was habe ich ihm getan!» dachte sie, «und er bereut –»

«Ein Weib», fuhr er fort, «das unsäglich um mich gelitten, mehr als Worte es sagen können.» – «Halt ein!» flüsterte sie so leise, daß er es nicht vernahm. «Und wenn ich dich in diesen Tagen um mich walten sah, weicher, milder, weiblicher als je zuvor – dann rührtest du mein Herz mit Macht: und Tränen drangen in meine Augen.» –

«O Witichis!» hauchte Mataswintha.

«Jeder Ton deiner Stimme sogar drang tief in meine Seele. Denn du mahnst mich dann so ganz, so herzerschütternd an –»

«An wen?» fragte Mataswintha und wurde leichenblaß.

«Ach, an sie, die ich geopfert! Die alles um mich gelitten, an mein Weib Rauthgundis, die Seele meiner Seele.» Wie lange hatte er den geliebten Namen nicht mehr laut gesprochen! Jetzt überwältigte ihn bei diesem Klang die Macht des Schmerzes und der Sehnsucht: und in den Stuhl sinkend bedeckte er sein Gesicht mit beiden Händen.

Es war gut. Denn so bemerkte er nicht, wie es blitzähnlich durch die Gestalt der Königin zuckte, ihr schönes Antlitz sich medusenhaft verzerrte. Doch hörte er einen dumpfen Schlag und wandte sich.

Mataswintha war zu Boden gesunken. Ihre linke Hand klammerte sich in die durchbrochene Rücklehne des Stuhls, an dem sie niedergeglitten war, während die Rechte sich fest auf den Mosaikboden stemmte. Ihr bleiches Haupt war vorgebeugt, das prachtvoll rote Haar flutete, losgerissen aus dem Scheitelband, über ihre Schultern: ihre scharf geschnittenen Nüstern flogen.

«Königin!» rief er hinzueilend, sie aufzuheben, «was hat dich befallen?»

Aber ehe er sie berühren konnte, schnellte sie wie eine Schlange empor und richtete sich hoch auf: «Es war eine Schwäche», sagte sie, «die jetzt vorbei: – leb' wohl!» Wankend erreichte sie die Tür und fiel draußen bewußtlos in Aspas Arme.

*

Unterdessen hatte sich das unheimliche, drohende Ansehen der ganzen Natur noch gesteigert.

Die kleine, rundgeballte Wolke, die Cethegus am Tage zuvor bemerkt, war der Vorbote einer ungeheuren, schwarzen Wolkenwand gewesen, welche die Nacht über aus dem Osten aufgestiegen war, jedoch seit dem Morgen unbeweglich, wie Verderben brütend, über dem Meere stand und die Hälfte des Horizonts bedeckte.

Aber im Süden brannte die Sonne mit unerträglich stechenden Strahlen aus dem unbewölkten Himmel. Die gotischen Wachen hatten Helm und Harnisch abgelegt: sie setzten sich lieber den Pfeilen der Feinde als dieser unleidlichen Hitze aus. Kein Lüftchen regte sich mehr. Der Ostwind, der jene Wolkenschicht heraufgeführt, war plötzlich gefallen. Unbeweglich, bleigrau lag das Meer: die Zitterpappeln im Schloßgarten standen regungslos.

Allein in die tags zuvor ebenfalls verstummte Tierwelt war Angst und Unruhe geraten. An dem heißen Sand der Küste hin flatterten Schwalben, Möwen und Sumpfvögel unsicher, ziellos, hin und her, ganz nieder an der Erde hinstreichend manchmal schrille Rufe gellend. In der Stadt aber liefen die Hunde winselnd aus den Häusern: die Pferde rissen sich in den Ställen los und schlugen, ungeduldig schnaubend, dröhnenden Hufes um sich; kläglich schrien Katzen, Esel und Maultiere, und von den Dromedaren Belisars rasten und schäumten sich drei zu Tode, in wütenden Anstrengungen, zu entkommen. –

Es neigte jetzt gegen Abend. Die Sonne drohte alsbald unter den Horizont zu sinken.

Auf dem Forum des Herkules saß ein Bürger von Ravenna auf der Marmorstufe vor seinem Hause. Es war ein Winzer und schenkte, wie der verdorrte Rebenzweig über seiner Tür zeigte, in seinem Hause selbst von seinem Gewächs. Er blickte nach dem drohenden Wettergewölk. «Ich wollte, es käme Regen», seufzte er. «Kommt nicht Regen, so kommt Hagel und zerschlägt vollends, was an Wachstum draußen die Rosse der Feinde noch nicht zerstampft haben.»

«Nennst du die Truppen unseres Kaisers Feinde?» flüsterte sein Sohn, ein römischer Patriot. Aber leise. Denn eben bog um die Ecke eine gotische Runde.

«Ich wollte, der Orkus verschlänge sie alle miteinander, Griechen und Barbaren! Die Goten haben wenigstens immer Durst. Siehst du, da kommt der lange Hildebadus, der ist der Durstigsten einer. Sollte mich wundern, wenn er heute nicht trinken wollte da die Steine bersten möchten vor Trockenheit.»

Hildebad hatte die nächste Wache abgelöst und schlenderte nun langsam heran, den Helm im linken Arm, die lange Lanze lässig über der Schulter. Er schritt an der Weinschenke vorbei, zum großen Befremden ihres Herrn, bog in die nächste Seitengasse und stand bald vor einem hohen und dicken Rundturm – er hieß Turm des Aetius –, in dessen Schatten oben auf dem Walle ein schöner, junger Gote auf und nieder schritt. Lange, hellblonde Locken rieselten auf seine Schultern: und das zarte Weiß und Rot seines Gesichts wie die milden, blauen Augen gaben ihm ein fast mädchenhaftes Ansehn.

«He, Fridugern», rief ihm Hildebad hinauf, «huiweh! Blitzjunge, hältst du's noch immer aus auf diesem Bratrost da oben? Und mit Schild und Panzer – uf!»

«Ich habe die Wache, Hildebad!» sagte der Jüngling sanft.

«Ach, was Wache! Glaubst du, bei dieser Schmelzofenhitze wird Belisar stürmen? Ich sage dir, der ist froh, wenn er Luft hat, und verlangt heute kein Blut. Komm mit: ich kam dich zu holen – der dicke Ravennate auf dem Herkulesplatz hat alten Wein und junge Töchter: laß uns beide zu Munde führen.»

Der junge Gote schüttelte die langen Locken, und seine Stirn faltete sich. «Ich habe Dienst und keinen Sinn für Mädchen. Durst habe ich freilich: – schicke mir einen Becher Wein herauf.»

«Ach, richtig, bei Freia, Venus und Maria! Du hast ja eine Braut über den Bergen am Danubius! Und du glaubst, die merkt es gleich, und die Treue sei gebrochen, wenn du hier einer Römerdirne in die Kohlenaugen guckst. O lieber Freund, bist du noch jung! Nun, nun, nichts für ungut. Mir kann's ja recht sein. Bist sonst ein guter Gesell und wirst schon noch älter werden. Ich schicke dir vom roten Massiker heraus: – da kannst du dann allein Allgunthens Minne trinken.»

Und er wandte sich und war rasch in der Schenke verschwunden. Bald brachte ein Sklave dem jungen Goten einen Becher Wein; dieser flüsterte: «All Heil, Allgunthis!» und leerte ihn auf einen Zug. Dann nahm er die Lanze wieder auf die Schulter und ging auf der Mauer auf und nieder, langsamen Schrittes. «Von ihr sinnen und träumen darf ich wenigstens», sagte er, «das wehrt kein Dienst. Wann werd' ich sie wohl wiedersehn?» Und er schritt weiter: und blieb dann gedankenvoll im Schatten des mächtigen Turmes stehn, der schwarz und drohend auf ihn niedersah. –

Bald nach Hildebad zog eine Schar andrer Goten vorbei. Sie führten in der Mitte einen Mann mit verbundenen Augen und ließen ihn zur porta Honorii hinaus. Es war Prokop, der vergeblich noch die festgestellten drei Stunden gewartet hatte. Es war umsonst: keine Botschaft vom König kam, und mißmutig verließ der Gesandte die Stadt. Des Präfekten feiner Plan war, so schien es, an der schlichten Würde des Gotenkönigs gescheitert.

Und noch eine Stunde verging. Es war dunkler, aber nicht kühler geworden. Da erhob sich vom Meere plötzlich ein starker Windstoß aus Süden: er schob die schwarzen Wolkenballen mit rasender Eile nach Norden. Sie lagerten jetzt dicht und schwer über der Stadt.

Aber auch das Meer, der Südosten, ward dadurch nicht frei. Denn eine zweite, gleiche Wolkenmauer war dort emporgestiegen und hatte sich unmittelbar an die erste geschlossen. Der ganze Himmel über Meer und Land war jetzt ein schwarzes Gewölbe.

Hildebad ging, weinmüde, nach seinem Nachtposten an der porta Honorii: «Noch immer auf Wache, Fridugern?» rief er dem jungen Goten hinauf. «Und noch immer kein Regen! Die arme Erde! Wie sie dürsten muß! Sie dauert mich! Gute Wache!»

In den Häusern war es unleidlich schwül: denn der Wind kam aus den heißen Sandwüsten Afrikas.

Die Leute drängten sich, geängstigt von dem drohenden Aussehen des Himmels, hinaus ins Freie, zogen in dichten Haufen durch die Straßen oder lagerten sich in Gruppen in den Vorhallen und Säulengängen der Basiliken. Auf den Stufen von Sankt Apollinaris drängte sich viel Volk zusammen. Und es ward, obwohl erst Sonnenuntergangszeit, doch völlig dunkle Nacht.

*

Auf dem Ruhebett in ihrem Schlafgemach lag Mataswintha, die Königin, mit todesbleichen Wangen, in schwerer Betäubung. Aber ohne Schlaf. Die weitgeöffneten Augen starrten in die Dunkelheit.

Nicht eine Silbe hatte sie auf Aspas ängstliche Frage gesprochen und zuletzt die Weinende mit einer Handbewegung entlassen.

Unwillkürlich kehrten in ihrem eintönigen Denken die Worte wieder: Witichis – Rauthgundis – Mataswintha! Mataswintha – Rauthgundis – Witichis!

Lange, lange lag sie so, und nichts schien den unaufhörlichen Kreislauf dieser Worte unterbrechen zu können.

Da plötzlich fuhr ein roter Strahl grell und blendend durch das Gemach, und im selben Augenblick schmetterte ein furchtbarer Donnerschlag, ein Donner, wie sie ihn nie vernommen, grollend, knatternd, prasselnd, krachend über die bebende Stadt.

Der Angstschrei ihrer Frauen schlug an ihr Ohr: sie fuhr empor. Sie setzte sich aufrecht in dem Ruhebett. Aspa hatte ihr das Obergewand abgenommen. Sie trug nur noch das weißseidene Unterkleid: sie warf die wallenden Wogen ihres Haares über die Schultern und lauschte.

Es war eine bange Stille. Und noch ein Blitz und noch ein Donnerschlag.

Ein Windstoß riß heulend das Fenster von Milchglas auf, das nach dem Hofe führte. Mataswintha starrte in die Finsternis hinaus, die jetzt jeden Augenblick von grellen Blitzen unterbrochen wurde. Unaufhörlich rollte der Donner, selbst das furchtbare Geheul des Sturmes überdröhnend. Der Kampf der Elemente tat ihr wohl. Sie lauschte begierig, auf die Linke gestützt und mit der Rechten langsam über die Stirne streichend.

Da eilte Aspa herein mit Licht. Es war eine Fackel, deren Flamme in einer geschlossenen Glaskugel brannte.

«Königin, du... – Aber, bei allen Göttern, wie siehst du aus! Wie eine Lemure. Wie die Rachegöttin!»

«Ich wollte, ich wäre es», sagte Mataswintha – es war das erste Wort seit langen Stunden – ohne den Blick vom Fenster zu wenden.

Und Blitz auf Blitz und Schlag auf Schlag. Aspa schloß das Fenster. «O Königin, die Frommen unter deinen Mägden sagen: das sei das Ende der Welt, das da komme, und der Sohn Gottes steige nieder auf feurigen Wolken, zu richten die Lebendigen und die Toten. Hu, welch ein Blitz! Und noch kein Tropfen Regen. Nie hab' ich solch ein Unwetter gesehen. Die Götter zürnen schwer.»

«Wehe, wem sie zürnen. Oh, ich beneide sie, die Götter. Sie können hassen und lieben, wie's ihnen gefällt. Und zermalmen den, der sie nicht wieder liebt.»

«Ach Herrin, ich war auf der Straße: ich komme gerade zurück. Alles Volk strömt in die Kirchen mit Beten und Singen, den Himmel zu versöhnen. Ich bete zu Kairu und Astarte – Herrin, betest du nicht auch?»

«Ich fluche! Das ist auch gebetet.»

«Oh, welch ein Donnerschlag!» schrie die Sklavin und stürzte zitternd in die Knie. Der dunkelblaue Mantel, den sie trug, glitt von ihren Schultern. Der Blitz und Donner war so stark gewesen, daß Mataswintha aus den Kissen gesprungen und ans Fester geeilt war.

«Gnade, Gnade, ihr großen Götter! Erbarmt euch der Menschen!» flehte die Afrikanerin.

«Nein, keine Gnade! Fluch und Verderben über die elende Menschheit!

Ha das war schön! Hörst du, wie sie unten heulen vor Angst auf der Straße? Noch einer, und noch ein Strahl! Ha, ihr Götter, wenn ein Himmelsgott oder Himmelsgötter sind – nur um eins beneid' ich euch –: um die Macht eures Hasses, um euren raschen, geflügelten, tödlichen Blitz! Ihr schwingt ihn mit der ganzen Wut und Lust eures Herzens, und eure Feinde vergehn: und ihr lacht dazu: der Donner ist euer Gelächter! Ha, was war das?»

Ein Blitz und ein Donner, der alle früheren übertraf, zuckte und krachte. Aspa fuhr vom Boden auf.

«Was ist das für ein großes Haus, Aspa? Die dunkle Masse uns gegenüber? Der Blitz hat wohl gezündet: – brennt es?»

«Nein, Dank den Göttern! Es brennt nicht! Der Blitz hat sie nur beleuchtet. Es sind die Kornspeicher des Königs.»

«Ha, habt ihr fehl geblitzt, ihr Götter?» So schrie die Königin. «Auch die Sterblichen führen den Blitz der Rache.»

Und sie sprang vom Fenster hinweg – und das Gemach war plötzlich dunkel.

«Königin – Herrin – wo bist – wohin bist du verschwunden?» rief Aspa. Und sie tastete an den Wänden. Aber das Gemach war leer: und Aspa rief umsonst nach ihrer Herrin.

*

Unten auf der Straße wogte nach der Basilika von Sankt Apollinaris hin ein frommer Zug.

Ravennaten und Goten, Kinder und Greise, sehr viele Frauen: Knaben mit Fackeln schritten voran, hinter ihnen Priester mit Kreuzstangen und Fahnen. Und durch das Brüllen des Donners und durch das Pfeifen des Sturmes scholl die alte, feierlich ergreifende Weise:

dulce mihi cruciari, parva vis doloris est:
malo mori quam foedari: major vis amoris est.

Die Antwort aber des zweiten Halbchors lautete:

parce, judex, contristatis, parce peccatoribus,
qui descendis perflammatis ultor jam in nubibus.

Und der Bittgang verschwand in der Kirche. Auch die nächsten Aufseher der Kornspeicher schlossen sich dem Zuge an.

Auf den Stufen der Basilika, gerade der Tür der Speicher gegenüber, saß das Weib im braunen Mantel: still und furchtlos im Aufruhr der Elemente, die Hände nicht gefaltet, aber ruhig im Schoß liegend. Der Mann in der Sturmhaube stand neben ihr.

Eine gotische Frau, die in die Kirche eilte, erkannte sie im Schein eines Blitzes. «Du wieder hier, Landsmännin? Ohne Obdach? Ich habe dir doch oft genug mein Haus angeboten. Du scheinst fremd hier in Ravenna?»

«Ich bin fremd. Doch hab' ich Obdach.» – «Komm mit in die Kirche und bete mit uns.»

«Ich bete hier.» – «Du betest? Du singst nicht und sprichst nicht?»

«Gott hört mich doch.» – «Bete doch für die Stadt. Sie fürchten, es komme das Ende der Welt.»

«Ich fürchte es nicht, wenn es kommt.»

«Und bete für unsern guten König, der uns Brot gibt alle Tage.» – «Ich bete für ihn.»

Da tönte der waffenklirrende Schritt von zwei gotischen Runden, die sich an der Basilika kreuzten.

«Ei, so donnre, bis du springst», schalt der Führer der einen Schar, «aber brumme mir nicht in meinen Befehl.

Haltet an. Wisand, du bist's? Wo ist der König? Auch in der Kirche?»

«Nein, Hildebad, auf den Wällen.»

«Recht so, da gehört er hin! Vorwärts, Heil dem König.» Und die Schritte verhalten.

Da kam ein römischer Lehrer mit einigen seiner Schüler vorbei. «Aber Magister», mahnte der jüngste, «ich dachte, du wolltest in die Kirche? Warum führst du uns sonst aus dem Hause ins Freie bei diesem Unwetter?»

«Da sagte ich nur, um euch und mich aus dem Hause zu bringen. Was Kirche! Ich sage dir, je weniger ich Dächer und Mauern um mich weiß, desto wohler ist mir. Ich führ' euch auf die große, freie Wiese in der Vorstadt. Ich wollte, wir hätten Regen. Wäre der Vesuvius nahe genug, wie in meiner Heimat, ich dächte, Ravenna werde heut' ein zweites Herculaneum. Ich kenne solche Luft, wie sie heute – ich traue nicht!» Und sie gingen vorüber.

«Willst du nicht mit mir gehn, Frau?» sprach der Mann in der Sturmhaube zu der Gotin. «Ich muß sehen Dromon, unsern Gastfreund, jetzt zu treffen: sonst kommen wir diese Nacht wieder nicht unter Obdach. Ich kann dich nicht allein lassen im Dunkeln. Du hast kein Licht bei dir.»

«Siehst du nicht, wie mir die Blitze leuchten? Geh' nur, ich komme nach. Ich muß noch was zu Ende denken –, zu Ende beten.» Und die Frau blieb allein. Sie preßte beide Hände fest gegen die Brust und sah gegen den schwarzen Himmel: leise nur bewegten sich ihre Lippen.

Da war es ihr, als sähe sie in den Hochgängen, Galerien und Oberhallen des gewaltigen Holzbaues der Speicher, die in dunkeln Massen ihr gegenüber lagen, aus dem steinernen Rundbau des Zirkus ragend, ein Licht auftauchen und hin und wieder, auf und abwärts wandeln. Es mußte wohl eine Täuschung durch die Blitze sein. Denn jedes frei getragene Licht hätte der Wind in den nach außen offenen Galerien verlöscht.

Aber nein: es war doch ein Licht.

Denn in regelmäßigen Zwischenräumen wechselte sein Aufleuchten und sein Verschwinden, wie wenn es hastigen Schrittes entlang den Gängen mit ihren verdeckenden Pfeilern und Halbmauern getragen würde. Scharf sah die Frau nach dem wechselnden Licht und Schatten... – –

Aber plötzlich – o Entsetzen – fuhr sie empor.

Es war ihr: als sei die Marmorstufe, auf der sie gesessen, ein schlafend Tier gewesen, das jetzt erwachend, sich leise regte, lebendig wurde – und schwankte, stark, – von der Linken zur Rechten. –

Blitz und Donner und Sturm ruhten auf einmal.

Da scholl aus den Speichern ein schriller Schrei. Hell aufflammte das Licht und verschwand plötzlich.

Aber auch die Frau auf der Straße stieß einen leisen Angstruf aus. Denn jetzt konnte sie nicht mehr zweifeln: die Erde bebte unter ihr! – Ein leises Zucken: und plötzlich zwei, drei starke Stöße, als hebe sich wellenförmig der Boden von der Linken zur Rechten.

Aus der Stadt her tönte Angstgeschrei. Aus den Türen der Basilika stürzte in Todesangst die laut kreischende Schar der Beter. – Noch ein Stoß! – Die Frau hielt sich mit Mühe aufrecht.

Und fernher, von der Außenseite der Stadt, scholl ein gewaltiges dumpfes Krachen, wie von massenhaft stürzenden, schweren Lasten.

Ein furchtbares Erdbeben hatte Ravenna heimgesucht.


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