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Achtes Kapitel

Inzwischen war es dunkler Abend geworden. Der Sklave brachte die zierliche Bronzelampe, korinthische Arbeit: ein Adler, der im Schnabel den Sonnenball trägt, gefüllt mit persischem Duftöl. «Ein gotischer Krieger steht draußen, Herr, er will dich allein sprechen. Er sieht sehr unscheinbar aus. Soll er die Waffen ablegen?» – «Nein», sagte Cethegus, «wir fürchten die Barbaren nicht. Laß ihn kommen.» Der Sklave ging, und Cethegus legte die Rechte an den Dolch im Busen seiner Tunika.

Ein stattlicher Gote trat ein, die Mantelkapuze über den Kopf geschlagen: er warf sie jetzt zurück.

Cethegus trat erstaunt einen Schritt näher. «Was führt den König der Goten zu mir?»

«Leise!» sprach Witichis. «Es braucht niemand zu wissen, was wir beide verhandeln. Du weißt: seit gestern und heute ist mein Heer von Regeta in Rom eingezogen. Du weißt noch nicht, daß wir Rom morgen wieder räumen werden.

Cethegus horchte hoch auf.

«Das befremdet dich?» – «Die Stadt ist fest», sagte Cethegus ruhig. «Ja, aber nicht die Treue der Römer. Benevent ist schon abgefallen zu Belisar. Ich habe nicht Lust, mich zwischen Belisar und euch erdrücken zu lassen.»

Vorsichtig schwieg Cethegus, er wußte nicht, wo das hinaus sollte. «Weshalb bist du gekommen, König der Goten?» – «Nicht um dich zu fragen, wie weit man den Römern trauen kann. Auch nicht, um zu klagen, daß wir ihnen so wenig trauen können, die doch Theoderich und seine Tochter mit Wohltaten überhäuft; sondern um grad und ehrlich ein paar Dinge mit dir zu schlichten, zu euren wie zu unserem Frommen.»

Cethegus staunte. In der stolzen Offenheit dieses Mannes lag etwas, das er beneidete. Er hätte es gern verachtet. «Wir werden Rom verlassen; und alsbald werden die Römer Belisar aufnehmen. Das wird so kommen. Ich kann's nicht hindern. Man hat mir geraten, die Häupter des Adels als Geiseln mit hinwegzuführen.»

Cethegus erschrak und hatte Mühe, das zu verbergen.

«Dich vor allen, den Princeps Senatus.» – «Mich!» lächelte Cethegus. – «Ich werde dich hier lassen. Ich weiß es wohl: du bist die Seele von Rom.»

Cethegus schlug die Augen nieder. «Ich nehme das Orakel an», dachte er.

«Aber eben deshalb lass' ich dich hier. Hunderte, die sich Römer nennen, wollen die Byzantiner zu ihren Herren – du, du willst das nicht.» Cethegus sah ihn fragend an.

«Täusche mich nicht! Wolle mich nicht täuschen. Ich bin der Mann verschlagner Künste nicht. Aber mein Auge sieht der Menschen Art. Du bist zu stolz, um Justinian zu dienen. Ich weiß, du hassest uns. Aber du liebst auch diese Griechen nicht und wirst sie nicht länger hier dulden als du mußt. Deshalb lass' ich dich hier. Vertritt du Rom gegen die Tyrannen: ich weiß, du liebst die Stadt.»

Es war etwas an diesem Mann, das Cethegus zum Staunen zwang. «König der Goten», sagte er, «du sprichst klar und groß wie ein König, ich danke dir. Man soll nicht sagen von Cethegus, daß er die Sprache der Größe nicht versteht. Es ist, wie du sagst: ich werde mein Rom nach Kräften römisch erhalten.»

«Gut», sagte Witichis, «sieh, man hat mich gewarnt vor deiner Tücke. Ich weiß viel von deinen schlauen Plänen, ich ahne noch mehr, und ich weiß, daß ich gegen Falschheit keine Waffe habe. Aber du bist kein Lügner. Ich wußte, ein männlich Wort ist unwiderstehlich bei dir: und Vertrauen entwaffnet einen Feind, der ein Mann.»

«Du ehrst mich, König der Goten.»

«Ich will dich warnen; weißt du, wer die wärmsten Freunde Belisars?» – «Ich weiß es: Silverius und die Priester.» – «Richtig. Und weißt du, daß Silverius, sowie der alte Papst Agapetus gestorben, den Bischofsstuhl von Rom besteigen wird?»

«So hör' ich.»

«Man riet mir, auch ihn als Geisel fortzuführen. Ich werd' es nicht tun. Die Italier hassen uns genug. Ich will nicht noch in das Wespennest der Pfaffen stoßen. Ich fürchte die Märtyrer.»

Aber Cethegus wäre den Priester gern los geworden. «Er wird gefährlich auf dem Stuhl Petri», meinte er.

«Laß ihn nur! Der Besitz dieses Landes wird nicht durch Priesterkunst entschieden.» – «Wohlan», sprach Cethegus, die Papyrusrolle vorzeigend, «ich habe hier die Namen seiner wärmsten Freunde zufällig beisammen. Es sind wichtige Männer.»

Er wollte ihm die Liste aufdringen und hoffte, die Goten sollten so seine gefährlichsten Feinde als Geiseln mitführen.

Aber Witichis wies ihn ab. «Laß das! Ich werde gar keine Geiseln nehmen. Was nützt es, ihnen die Köpfe abzuschlagen? Du, dein Wort soll mir für Rom bürgen.»

«Wie meinst du das? Ich kann Belisar nicht abhalten.»

«Du sollst es nicht: Belisar wird kommen, aber verlaß dich drauf, er wird auch wieder gehn. Wir Goten werden diesen Feind bezwingen: vielleicht erst nach hartem Kampf, aber gewiß. Dann aber gilt es den zweiten Kampf um Rom.»

«Einen zweiten?» fragte Cethegus ruhig, «mit wem?»

Aber Witichis legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihm ins Antlitz mit einem Auge wie die Sonne: «Mit dir, Präfekt von Rom!»

«Mit mir!» Und er wollte lächeln, aber er konnte nicht.

«Verleugne nicht dein Liebstes, Mann: es ist deiner nicht würdig. Ich weiß es, für wen du die Türme und Schanzen um diese Stadt erbaust, nicht für uns und nicht für die Griechen! Für dich! Ruhig! Ich weiß, was du sinnest, oder ich ahn' es: kein Wort! Es sei! Sollen Griechen und Goten um Rom kämpfen und kein Römer? Aber höre: Laß nicht einen zweiten jahrelangen Krieg unsre Völker hinraffen.

Wenn wir die Byzantiner niedergekämpft, hinausgeworfen aus unserm Italien, – dann, Cethegus, will ich dich erwarten vor den Mauern Roms; nicht zur Schlacht unsrer Völker, – zum Zweikampf: Mann gegen Mann, du und ich, wir wollen's um Rom entscheiden.»

Und in des Königs Blick und Ton lag eine Größe, eine Würde und Hoheit, die den Präfekten verwirrte.

Er wollte heimlich spotten der einfältigen Schlichtheit des Barbaren. Aber es war ihm, als könne er sich selbst nie mehr achten, wenn er diese Größe nicht zu achten, nicht zu ehren, nicht zu erwidern fähig sei. So sprach er ohne Spott: «Du träumst, Witichis, wie ein gotischer Knabe.»

«Nein, ich denke und handle wie ein gotischer Mann. Cethegus, du bist der einzige Römer, den ich würdige, so mit ihm zu reden. Ich habe dich fechten sehen im Gepidenkrieg: du bist meines Schwertes würdig. Du bist älter als ich, wohlan: ich gebe dir den Schild voraus!»

«Seltsam seid ihr Germanen», sagte Cethegus unwillkürlich: «was für Phantasien!»

Aber jetzt furchte Witichis die offene Stirn: «Phantasien? Wehe dir, wenn du nicht fähig bist, zu fühlen, was aus mir spricht. Wehe dir, wenn Teja recht behält! Er lachte zu meinem Plan sprach: ‹Das faßt der Römer nicht!› Und er riet mir, dich gefangen mitzuführen. Ich dachte größer von dir und Rom. Aber wisse: Teja hat dein Haus umstellt, und bist du so klein oder so feig, mich nicht zu fassen, – in Ketten führen wir dich aus deinem Rom. Schmach dir, daß man dich zwingen muß zur Ehre und zur Größe.»

Da ergrimmte Cethegus. Er fühlte sich beschämt. Jenes Ritterliche war ihm fremd, und es ärgerte ihn, daß er es nicht verhöhnen konnte.

Es ärgerte ihn, daß man ihn mit Gewalt nötige, daß man seiner freien Wahl mißtraut habe. Wütender Haß gegen Tejas Mißachtung wie gegen des Königs brutale Offenheit loderte in ihm auf. All diese Eindrücke rangen in ihm, er hätte gern den Dolch in des Germanen breite Brust gestoßen. Fast hätte er vorhin aus soldatischem Ehrgefühl im vollen Ernst sein Wort gegeben. Jetzt durchzuckte ihn ein davon sehr verschiedenes, unschönes Gefühl der Schadenfreude. Sie hatten ihm nicht getraut, die Barbaren, sie hatten ihn gering erachtet: nun sollten sie gewiß betrogen sein! Und mit scharfem Blick vortretend faßte er des Königs Hand. «Es gilt», rief er.

«Es gilt», sprach Witichis, fest seine Hand drückend.

«Mich freut es, daß ich recht behielt und nicht Teja. Leb' wohl! Hüte mir mein Rom. Von dir fordre ich es wieder in ehrlichem Kampf.» Und er ging.

«Nun», sprach Teja draußen mit den andern Goten rasch vortretend, «soll ich das Haus stürmen?»

«Nein», sagte Witichis, «er gab mir sein Wort.»

«Wenn er's nur hält!»

Da trat Witichis heftig zurück. «Teja! Dich macht dein finstrer Sinn ungerecht! Du hast kein Recht, an eines Helden Ehre zu zweifeln, Cethegus ist ein Held.»

«Er ist ein Römer. Gute Nacht!» sagte Teja, das Schwert einsteckend.

Und er ging mit seinen Goten andren Weges.

Cethegus aber warf sich diese Nacht unwillig aufs Lager. Er war uneins in sich. Er grollte mit Julius. Er grollte bitter mit Witichis, bittrer noch mit Teja. Am bittersten mit sich selbst.

*

Am folgenden Tage versammelte Witichis noch einmal Volk, Senat und Klerus der Stadt bei den Thermen des Titus. Von der höchsten Stufe der Marmortreppe des stolzen Gebäudes herab, die von den Großen des Heeres besetzt war, hielt der König eine schlichte Ansprache an die Römer. Er erklärte, daß er auf kurze Zeit die Stadt räumen und zurückweichen werde. Bald aber werde er wiederkehren.

Er erinnerte sie der Milde der gotischen Herrschaft, der Wohltaten Theoderichs und Amalaswinthens, und forderte sie auf, Belisar, falls er heranrückte, mutig zu widerstehen, bis die Goten zum Entsatz wieder heranrückten: der Römer wieder an die Waffen gewöhnte Legionäre und ihre starken Mauern machten langen Widerstand möglich.

Zuletzt forderte er den Eid der Treue und ließ sie nochmals feierlich schwören, daß sie ihre Stadt auf Leben und Tod gegen Belisar verteidigen wollten. Die Römer zögerten: denn ihre Gedanken waren jetzt schon im Lager Belisars, und sie scheuten den Meineid.

Da scholl dumpfer feierlicher Gesang von der Sacra Via her: und an dem slawischen Amphitheater vorbei zog eine große Prozession von Priestern mit Psalmengesang und Weihrauchschwang heran. In der Nacht war Papst Agapet gestorben, und in aller Eile hatte man Silverius den Archidiakon, zu seinem Nachfolger gewählt.

Langsam und feierlich wogte das Heer von Priestern heran: die Insignien der Bischofswürde von Rom wurden vorausgetragen: silberstimmige Knaben sangen in süßen und doch weihevollen Weisen.

Endlich nahte die Sänfte des Papstes: offen, breit, reichvergoldet, einem Schiffe nachgebildet. Die Träger gingen langsam, Schritt für Schritt, nach dem Takt der Musik, von ringsum drängendem Volk umwogt, das nach dem Segen seines neuen Bischofs verlangte.

Silverius spendete unablässig denselben, mit seinem klugen Haupte rechts und links nickend.

Eine große Zahl von Priestern und ein Zug von speertragenden Söldnern schloß die Prozession. Sie hielt inne, als sie in die Mitte des Platzes gelangt war.

Schweigend, mit trotzigen Augen, sahen die arianischen, gotischen Krieger, die alle Mündungen des Platzes besetzt hielten, den stolzen, prachtentfaltenden Aufzug der ihnen feindlichen Kirche, indes die Römer die Ankunft ihres Seelenhirten um so freudiger begrüßten, als seine Stimme ihre Gewissenszweifel wegen des zu leistenden Eides lösen sollte.

Eben wollte Silverius seine Ansprache an das versammelte Volk beginnen, als der Arm eines baumlangen Goten, über die Brüstung der Sänfte hereinlangend, ihn an dem goldbrokatnen Mantel zupfte.

Unwillig ob der wenig ehrerbietigen Störung wandte Silverius das strenge Gesicht, aber uneingeschüchtert sprach der Gote, den Ruck wiederholend: «Komm, Priester, du sollst hinauf zum König.»

Silverius hätte es angemessener gefunden, wenn der König zu ihm heruntergekommen wäre, und Hildebad schien etwas dergleichen in seinen Mienen zu lesen. Denn er rief: «'s ist nicht anders! Duck' dich, Pfäfflein!»

Und damit drückte er einen der die Sänfte tragenden Priester an der Schulter nieder: die Träger ließen sich nun auf die Knie herab, und seufzend stieg Silverius heraus, Hildebad auf die Treppe folgend.

Als er vor Witichis angelangt war, ergriff dieser seine Hand, trat mit ihm vor, an den Rand der Treppe, und sprach: «Ihr Männer von Rom, diesen hier haben eure Priester zu eurem Bischof bezeichnet. Ich genehmige die Wahl: er sei Papst, sobald er mir Gehorsam geschworen und euch den Eid der Treue für mich abgenommen hat. Schwöre, Priester!»

Nur einen Augenblick war Silverius betroffen.

Aber sogleich wieder gefaßt, wandte er sich mit salbungsvollem Lächeln zu dem Volk, dann zum König. «Du befiehlst?» sprach er.

«Schwöre», rief Witichis, «daß du in unsrer Abwesenheit alles aufbieten wirst, diese Stadt Rom in Treue zu den Goten zu erhalten, denen sie so viel verdankt; in allen Stücken uns zu fördern, unsre Feinde aber zu schädigen. Schwöre Treue den Goten.»

«Ich schwöre», sagte Silverius, sich zu dem Volke wendend. «Und so fordre ich, der ich die Macht habe, die Seelen zu binden und zu lösen, euch, ihr Römer, umstarret rings von gotischen Waffen, auf, im gleichen Sinne zu schwören, wie ich geschworen habe.»

Die Priester und einige der Vornehmen schienen verstanden zu haben und erhoben unbedenklich die Finger zum Schwur. Da besann sich auch die Menge nicht länger, und der Platz erscholl von dem lauten Ruf: «Wir schwören Treue den Goten.»

«Es ist gut, Bischof von Rom», sprach der König. «Wir bauen auf euren Schwur. Lebt wohl, ihr Römer! Bald werden wir uns wiedersehen.» Und er schritt die breiten Stufen nieder. Teja und Hildebad folgten ihm.

«Jetzt bin ich nur begierig...» – sagte Teja.

«Ob sie es halten?» meinte Hildebad.

«Nein. Gar nicht. Aber wie sie's brechen. Nun, der Priester wird's schon finden.»

Und mit fliegenden Fahnen zogen die Goten ab zur Porta Flaminia hinaus, die Stadt ihrem Papst und dem Präfekten überlassend, während Belisar in Eilmärschen auf der Via Latina nahte.


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