Felix Dahn
Fredigundis
Felix Dahn

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Sechstes Buch.

Erstes Kapitel

In dem königlichen Gehöft Chelles bei Paris war große Freude.

Denn der neugeborne Sohn Frau Fredigundens war, etwa zwei Monate alt, feierlich aus der Taufe gehoben worden. Der Vater gab ihm den Namen: »Chlothachar«. »Denn,« sprach er zu Fredigunden, die glückstrahlend alle Festlichkeiten an seiner Seite mitmachte, »mein Vater Chlothachar hat alle drei Reiche: Austrasien, Burgund und Neustrien, beherrscht; möge der Name ein gutes Vorzeichen sein für unsern Knaben. Und es sagen alle alten Leute, die meinen Vater in jungen Jahren gekannt, auch dieses Kind in der Wiege wieder – wie schon die süßen Knaben, die wir verloren, und die schöne Rigunthis – sei ruhig, Gundelchen! so schön (und so schlimm) wird sie keinesfalls, wie du! – sehe meinem Vater noch viel, viel mehr ähnlich als mir oder dir.« Am Abend spät nach der Tauffeier, als sich die Königin von der Tafel schon lange zurückgezogen hatte, trat Chilperich freudig an ihr Bett: »Schläfst du schon? Nein? Das ist recht! Höre! Frohe Botschaft,« rief er, »frohe Botschaft, Gundelchen.« »Nachricht von Metz?« ihre Augen leuchteten freudig auf. »Jawohl. Du weißt, bei der letzten Zusammenkunft war ausgemacht, – allzu gefährlich ist der Verkehr durch Briefe! – falls die beiden schlagfertig, nur das Eine Wort mir sagen zu lassen: ›Es geht dem Hamster an den Bau.‹ Nun, soeben kam ein Falkner von Herzog Gundovald an, der mir diese Losung meldete.« – »Das heißt also: am ersten Tage des Oktobermonats schlagen wir alle los?« – »Jawohl! Auf allen Seiten zugleich! Der arme, dicke Hamster zu Orléans! – Wird er erstaunen!«

»Bah, kein Mitleid mit dem. Er soll neuerdings ganz verdächtig oft Boten senden an das Gotenweib, an Herzog Lupus von Champagne, an – andre mehr! Während er uns auf die Nachricht von unseres süßen Knaben Geburt noch nicht die üblichen Glückwunschgaben geschickt hat! Sein ganzes Reich solltet ihr ihm nehmen!« – »Gönn' ihm die paar Städte da unten an der Rhone! Sie sind nicht der zwanzigste Teil seines Reichs.« – »Das andere erhältst alles du?« – »Gewiß! Und auch von Auster noch ein gutes Stück.« – »Was bedangen sich die beiden dafür aus?« – »Egidius nur Gold – sehr viel allerdings. Gundovald die Champagne von Reims, wo bisher Lupus waltete, als eignes Herzogtum.« »Ist viel,« meinte Fredigundis und verzog den schönen Mund.

»Hi, hi! Er hat's noch nicht,« lachte Chilperich. »Erst soll er die Arbeit thun. Dann, ist er entbehrlich geworden, er trinkt stark: – vielleicht . . .« »Ja, nicht alle Tränke sind gesund,« lächelte sie. »Und der Knabe –Childibert?« – »Wird zum Mönch geschoren.« Fredigundis zuckte die Achseln. »Wieder einmal Einer? Es soll schon manchmal ein Geschorner sich wieder haben die Haare wachsen lassen! – Nun, er soll schwächlich sein. – – Und das Weib, die Gotin? Soll sie auch diesmal am Leben bleiben?«

Chilperich stand auf; er schüttelte den Kopf. »Ei, Gundelchen, was hat sie dir zu Leide gethan? Kein Leben verfolgst du so unerbittlich. Warum?« »O,« sagte sie langsam, mit ihrem schönen Haare spielend, »ich habe viel an ihr zu rächen. Einen Stoß in den Schmutz bei ihrem Einzug in Marseille. Und . . . andres! Und vor allem, daß sie im Purpur, ich – im Sklavenstand, im Staub geboren bin.« – »Laß sie doch atmen, die unglückliche Witwe!« – »Warum ist sie Witwe? Wer befahl ihr, Herrn Sigibert zu heiraten? Wer befahl ihr, Herrn Sigibert auf uns zu hetzen, bis wir schier erlagen in Tournay? Hast du die Angst jener Nächte vergessen? Ich nicht! Und daß sie zum zweitenmal verwitwet ward – ist das meine Schuld? Ha so! Ich vergesse immer. Die Gotin ist nicht nur deine Schwägerin, – auch deine liebe Schwiegertochter! Deshalb dir doppelt wert!« »Du hast recht!« rief er zornig. »Straf' mich Gott, wenn ich ihr das vergebe.« – »Wer wird den Kriegsbefehl führen?« – »Dein Schützling Boso und Gundovald. Ihr Plan ist trefflich. Guntchramn wird, mitten im Frieden, so völlig überrascht, daß er gefangen ist, bevor er vom Angriff nur erfahren hat.« – »Dank für die Nachricht! Darauf läßt sich herrlich schlafen.« –

Und als die großen mehrtägigen Gelage vorüber waren, die auf das Tauffest folgten, nahm Chilperich von seiner Gemahlin auf ein paar Tage zärtlich Abschied, um in dem großen Königswald, dem Bannwald, der sich, gleich hinter Chelles beginnend, viele Meilen gen Osten hinzog, zu jagen. Immer wieder küßte er sie und schloß sie in die Arme. »So schön, so zauberschön bist du noch nie gewesen. Laß mich auch den Knaben nochmal sehn.« – »Nicht gern, Schätzlein. Er schläft. Und zumal im Schlafe soll man ihn nicht umhertragen.« – »Warum?« – »Wegen des bösen Blicks, der dann am schärfsten trifft; seine vier Brüder sind ohne Zweifel von meinen Feinden zu Tode gezaubert: – vielleicht durch bösen Blick. Sorgfältig hüte ich deshalb diese unsre jüngste Hoffnung vor jedem Fremden, vor jedem Lufthauch!«

»Nun, wie du meinst!«

»Sieh,« rief sie, »dieses Kind, dieser Knabe ist ja das Pfand, das ich von den Heiligen mir ausgebeten habe. Als – als jenes vierfache Unheil uns befiel, da ward ich einen Augenblick fast irr an meiner Lehre, worauf ich doch all' mein Leben und seine Werke gebaut. Am Ende, sagte ich mir – und das, das war die Verzweiflung! – Das könnt' ich nie ertragen, – dies Einzige nicht! – Am Ende hast du die Heiligen doch nicht bestechen können und diese vier Schläge sind ihre Strafen. Da war ich dem Allerletzten nahe. Schon hatt' ich mir einmal ein rasches Tränklein gebraut: – diesmal nicht für andere – aber: – mir versagte der Mut. An Dolch und Strick und Wasser konnt' ich schon gar nicht denken. Ich hatte mir den Trank mit Honig recht versüßt: – doch ich fand den Mut auch dazu nicht! Und welches Glück, daß ich so feige war.« – »Jawohl! Der Mut ist der Tugenden dümmste: er tötet seinen Herrn.« – »Bald darauf fühlte ich, daß Rigunthis ein Geschwister haben werde. Da hab' ich geradezu gewettet mit den Heiligen: wird's ein Knabe, meiner heißesten Wünsche Krönung, dann ist meine Rechnung richtig, dann soll's ein Zeichen sein, daß ich die Heiligen mir sicher weiß –! Du ahntest davon nichts – aber als du mir entgegenriefst ›ein Sohn‹ da . . . –« – »Da glaubte ich wirklich, du seist wahnsinnig geworden, so überschwenglich, so rasend war dein Jubel und dein Glück.« – »Verstehst du's jetzt, Männchen? Dieser Knabe bedeutet mir nicht nur im Leben das Frankenreich, – auch nach dem Tode das gesicherte Himmelreich, Soll ich ihn nicht hüten?« – »Du hast recht. Wie immer! Leb' wohl! Auf zwei kurze Tage.«

 


 

Zweites Kapitel

Alsbald ritt der König mit wenigen Begleitern aus dem großen Hofthor. Von dem steinernen offenen Pfeilergang aus, der mit schönen Rundbogen um das Hochgeschoß hinzog, grüßte sie ihn noch einmal, nachwinkend mit der weißen Hand.

Nun rief sie nach Rulla. Statt ihrer trat eine andere Dienerin ein und sprach: »Rulla ist bereits fortgeritten.« – »Wohin?« – »Das mußt du wissen, Königin. Du hast sie entsendet,« Ein schallender Schlag auf die Wange war die Antwort. »Würd' ich dann fragen? – Was ist mit ihr?«

»Ich traf sie vor kurzem,« erwiderte zitternd die Gezüchtigte, »wie sie mit Rando auf ihrem Maultier aus dem Hinterthürlein des Gartens ritt. ›Wohin?‹ fragte ich. ›Fort‹ sprach sie leise. ›Die Königin!‹«

Fredigundis schob die Dienerin zur Seite und eilte in das kleine Gemach, in welchem Rulla und deren Knabe schliefen.

Alles war darin unverändert, nur die Schmucksachen und Kleider, welche die Herrin beiden geschenkt hatte, lagen und hingen, sorgfältig aufgereiht, sämtlich nebeneinander. Auf einer Truhe lag ein zusammengefalteter Zettel; die Königin nahm ihn, riß ihn auf und las: »Mein Beichtiger, o geliebte Herrin Fredigundis, ein neuer, den ich erst kürzlich aufsuchte, hat mir auferlegt, dich zu fliehen, wenn mir meine und meines Kindes Seele teuer sei. Ich seh' es ein. Arger Thaten viele wußte ich von dir, mehr ahnte ich. Vergebens bat ich dich gar oft, vom Bösen abzustehen: umsonst. Ich gehe ins Elend mit meinem Knaben. Das ist hart. Härter noch ist, dich verlassen. Denn ich danke dir meines Kindes Leben wie das meine. Aber die Seele, die unsterbliche, geht vor. Ich danke dir für alles noch einmal, ich küsse deine Füße. O Fredigundis!« –

Finster zog diese die dunkelroten Brauen zusammen, während sie den Zettel in kleine, ganz kleine Stücke zerriß. »Hm,« flüsterte sie, »Wie dumm ich bin! Das thut mir – beinah – weh. Ich war an sie gewöhnt, wie an ein treues Tier aus der Kinderzeit. Undankbare! – Nein: ich weiß, es ward ihr schwer. – Thörin denn! – Als ob ich nicht vortrefflich stände mit den Heiligen. Ins Elend rennen! Wie unsinnig!« –

Und sie ließ sich den Säugling bringen; aber sie fühlte sich so seltsam bewegt, daß sie das Kind nicht an die Brust legen konnte, nicht wollte. Sie übergab es wieder den Dienerinnen. Sie ging raschen Schrittes im Gemach auf und nieder. »Thörichte Pfaffen,« murmelte sie. »Was wissen sie von meinem Guthaben bei den Heiligen. Wenn ich nur rechne . . . –«

Da meldete ein Diener, ein Graf aus Austrasien bitte um Gehör. Es sei dringend. Es gehe nicht ihn an, sondern die Königin in Person und den König. Es sei sehr wichtig. »Erwünschte Arbeit!« rief Fredigundis und die Falten glätteten sich auf ihrer Stirn. »Bringt andre Gedanken. Laß ihn die Waffen ablegen, führ' ihn herein und geh.«

Sie schritt noch einmal durch das Gemach; sie warf einen langen Blick durch das Fenster auf die Straße, auf welcher der König in den Wald geritten war: »Ich wollte, er wäre zurück,« sagte sie, nachdenklich. »Ich weiß nicht, warum? Aber . . . –«

Der Vorhang des Eingangs rauschte: sie wandte sich: zwischen den Vorhängen stand, hochaufgerichtet, in reichem Gewand, ein Mann, aus dessen bleichen, edeln Zügen sie eine Erinnerung grüßte, für welche ihr doch der Name fehlte.

Der Mann, das Auge fest auf sie gerichtet, wankte: er griff in die Vorhänge, nach den Pfeilern des Eingangs: »O ihr Heiligen,« – brachte er hervor – »schützet mich! Wie schön ist sie geworden!« Der abermalige Sieg ihres so oft erprobten Reizes gab ihr die Freude, die Überlegenheit wieder. Sie lächelte sehr anmutvoll: plötzlich fand sie auch den fehlenden Namen: »Landerich!« rief sie, rasch einen Schritt näher tretend, »alter Freund! Willkommen!« Und sie streckte ihm beide Hände entgegen: ihre Augen blitzten unheimlich: sie weidete sich an der fassungslosen Erregung des stattlichen Mannes. »Landerich!« wiederholte sie, hell, übermütig lachend, und noch einen Schritt näher gleitend wollte sie eine Hand auf seine Schulter legen.

Aber rasch trat der Gast zur Seite: abwehrend hielt er ihr den rechten Arm entgegen.

Sie stutzte. Ihre Brauen zogen sich wieder zusammen: kalt und höhnisch lächelte sie jetzt: »Ah! Der Nachbarssohn trägt nach! Noch immer? Das ist lang! Er ist noch immer böse, weil ich damals, bei dem Stelldichein am Waldesrand, nicht – noch, noch länger wartete! Ja, das merke dir für dein nächstes Stelldichein: – wer sein Mädchen harren läßt, der muß die Folgen tragen, verliert es die Geduld. Hei, wärst du damals rechtzeitig gekommen, – wie vieles wäre doch anders! Aber ich danke deiner Saumsal! Ihr danke ich die Krone von Neustrien.« »Und die Verdammnis,« stöhnte Landerich auf. »Das laß du doch meine Sorge sein. – Aber, warum eigentlich hast du mich damals – ich sollte ja doch dein ›Weib‹ werden! – auf dem Waldweg! Ohne Priester! – Es schien dir doch sehr damit zu eilen! – Warum hast du mich warten lassen?« – »Warum? Ich betete für dich – im voraus – um Verzeihung für die Sünde, zu der ich dich verleiten wollte.« Hell auf, schallend, lachte Fredigundis. »Da hat es mein Merowing schlauer gemacht! Er raffte mich fort, die reife, rote, süße Beere, die er am Waldstrauch nickend fand – harrend, verlangend des Pflückers – und, nachdem er mich geraubt – dir und mir selbst mich geraubt: aber ich wehrte mich nicht gar lange! – nachher hat er für die süße Sünde gebetet und den Heiligen geschenkt: mein ganz Gewicht – ohne Kleider – in Wachs! Lache doch, Landerich! Warum lachst du denn nicht?«

Und sie hüpfte auf ihn zu und wollte ihn höhnisch am Barte zausen. Aber sie erschrak: über sein schönes, edles Antlitz zuckte es wie Grauen und Abscheu: – Abscheu, trotz des Verlangens, das – sie fühlte es wohl – den starken Mann durchrieselte.

»Laß, laß ab von mir, o Königin.«

Allein sie hatte keine Lust, von ihm abzulassen. Schon um die ernste, finstere Stimmung zu verscheuchen, in welche sie Rullas »Abfall« versetzt, gab sie sich ganz der Freude hin, die ihr stets der Anblick eines durch ihren Reiz Entzündeten gewährte. Und daß dieser Mann, den sie so tödlich gekränkt, nach alledem und nach so vielen Jahren, noch immer nicht sich von ihr reißen konnte, das erfüllte sie mit sehr angenehm kitzelnder Schadenfreude.

»Eigentlich,« fuhr sie fort, von ihm zurücktretend und ihn mit prüfendem Blick messend vom Scheitel bis zu den Sohlen, »eigentlich müßte ich dir sehr böse sein.« – »Ihr – mir?« – »Jawohl! Was fiel Euch bei, Herr Graf, König Chilperichs Dienst und Reich zu verlassen, sonder Urlaub? Wißt Ihr nicht, daß dafür allein Anklage wegen Hochverrats erhoben werden, der Kopf Euch abgeschlagen werden konnte? Wäre schade um diesen Kopf! Ihr seid viel hübscher, stattlicher, kraftgedrungener geworden, Graf, als man dem weichen Knaben damals ansah an der Wutach schilf'gem Ufer. Nein, im Ernst! Wie konntet Ihr meines Herrn Schwagers, – den jetzt der Himmelsherr unter seinen schönsten Engeln hat –, Herrn Sigiberts, Dienst suchen? War er doch mein schlimmster Feind! Und ich – ich hätte Euch soviel nützen mögen am Hofe Chilperichs! Zu meinem Kämmerer, ja zum Wächter meines Schlafgemaches – cubicularius, nicht? – hätt' ich Euch längst gemacht. Statt dessen werdet Ihr Graf im äußersten Nordosten und schlagt Euch jahrelang mit Wenden herum und Avaren! Was suchtet Ihr in diesen vielen Schlachten?«

»Den Tod! Oder das Vergessen! Beide mieden mich! Immer und immer wieder, am einsamen Wachtfeuer, in der schweigenden Nacht des Wendenwaldes, in dem Fieber der brennenden Pfeilwunde, im wachen Traum über den Avarensumpf hinschweben, wie ein Irrlicht, – immer wieder sah ich dich, deine gleißende Zaubergestalt. O wie betete ich zu der heiligen Jungfrau, deine sündige Schöne vergessen zu können, deinen Namen nicht mehr vor mich hinflüstern zu müssen – selbst in der Kirche. Umsonst! Stets standest du vor meiner Seele.« Er hielt schweratmend inne.

Tief befriedigt weidete sie sich an seiner Erregung.

»Jetzt weiß ich, warum. Und ich danke der heiligen Jungfrau für alle Qualen dieser Jahre: denn ich litt sie – um dich, um deine Seele zu retten vor dem ewigen Verderben.« Gelangweilt wandte sie jetzt den schönen Kopf. »Du willst mir wieder predigen? Wie schon damals – auf der Ziegenhalde? Höre, das spare dir! Und zumal heute. Ich habe heut' schon schriftlich genug davon gehabt. Brauch's nicht auch mündlich noch. Und es hilft nicht.« – »Es muß helfen.« – »So? Muß es? Soll ich vielleicht die Krone niederlegen und, wie Sankta Radegundis, die unaussprechlich langweilige, in eine Klosterzelle gehen? – Seh' ich aus wie eine Nonne, Landerich?« rief sie; und mit rascher Wendung das Haupt schüttelnd, ließ sie das Gewoge ihres prachtvollen Haares über ihre weißen Schultern fluten.

»Höre mich an!« sprach er streng. Aber er senkte dabei die Wimpern, ihren Anblick auszuschließen. »Ich mag nicht!« rief sie übermütig. »Siehst ja so ernst aus, als kämst du selbst aus einer Büßerzelle. Wo kommst du eigentlich jetzt her?« – »Vom Grabe deiner Großmutter.« »Ist sie endlich tot?« lachte die Königin. »Glaubte schon, sie habe sich mit einer ihrer Kesselbrühen unsterblich gezaubert, die alte Sudhexe.« – »Undankbare! All' diese Jahre hast du sie nie gesehen.« – »Nein. Könige lieben es nicht, daran gemahnt zu werden, daß ihrer Königinnen nächste Spindelmagen alte Bettelweiber sind.– Übrigens schickte ich ihr einmal – die dumme Rulla drängte mich dazu! – Geld, ziemlich viel Geld. Was that die Wahnsinnige? Sie warf's dem Boten ins Gesicht, sagte, ich sei die Tochter des Teufels und sie wolle nie mehr von mir hören. Den Willen that ich ihr! – Gern auch noch!« –

»Höre aber nun ihr letztes Wort.« – »Ich mag nicht.« – »Du mußt! – Es ist doch hier niemand, der lauschen könnte?« Ängstlich schlug er die Vorhänge des einzigen Einganges auseinander. So furchtbar ernst klang seine Rede, so verzweiflungsvoll war der Ausdruck seines Antlitzes, daß sie doch stutzig ward. »So rede! Aber mach's kurz!« – »Zerschmetternd kurz. Fliehe von König Chilperich: – denn du bist seine Schwester!«

 


 

Drittes Kapitel

Einen Augenblick fuhr sie zurück. Sie erbleichte, aber sie wankte nicht: »Das – das ist – –« sie wollte sagen: »Nicht wahr.« Aber sie sah in Landerichs Augen, und sie konnte es nicht sagen. Noch einen Augenblick stand sie starr vor Staunen und Schreck.

Dann sprang sie hoch in die Höhe, schlug die Hände laut patschend zusammen und frohlockte: »Ha, so bin ich denn auch von königlichem Blut, – wie die Gotin! Bin eine Königstochter! Vom Merowingenstamm! Kein Bettelkind! Zu Thron und Krone geboren! Das – ja, das macht mir die eigne Art erst klar. Ich glaub' es! Ja! Ja! Ich seh' ihm, ich bin ihm ja so ähnlich in gar vielen Stücken. Er sagte es oft selbst. Aber wie kann das zusammenhängen? Hei, und unsre Kinder! – Alle Leute sagen's: – sie sehen alle aus wie König Chlothachar. Der also ist ihr Großvater von Mutter wie von Vater Seite her.« Mit Blitzesschnelle jagten diese Gedanken, diese Schlüsse durch ihr Hirn. Und rasch, wie sie ihr aufstiegen, sprudelte sie die Worte hervor.

»Entsetzliche! Und andres fällt dir hierbei nicht ein? Blutschande! Dein Bruder dein Gatte! Du darfst ihn nie mehr wiedersehen!« »Oho!« sagte sie, sehr langsam und sehr kühl. Aber eiskalt fiel es ihr doch aufs Herz. »Die Heiligen? Die dürfen mir dafür nichts thun. Ich wußt' es ja nicht!« – »Aber jetzt weißt du's! Flieh! Sofort!« »Oho! Sachte!« wiederholte sie und ließ sich, von der Erschütterung nun doch überwältigt und von dem Kampf widerstreitender Antriebe, langsam auf eine Ruhebank gleiten. »Gemach. – Wie würde denn das alles werden, wenn es bekannt würde? Laß sehen! Mein süßer Sohn – er heißt also wie mein Vater: – welche Fügung der Heiligen!« – aber sie zitterte doch an allen Gliedern, als sie das sagte – »mein Chlothachar – er könnte dann wohl nicht . . . –« – »Nie darf er die Frankenkrone tragen! In Blutschande gezeugt! Und du – du mußt sofort verschwinden. Der König darf dich niemals wiedersehen.« »So?« sagte sie gedehnt. »So? Das ist also deine Meinung?« Sie rang nach Fassung. Sie suchte leise, zitternd nach einem Ausweg.

»Aber – um Gotteswillen –! Kann's eine andre Meinung, – andre Lösung geben? Graut dir denn nicht in tiefster Seele vor Gemahl, vor Kind und Krone?« »Gar nicht!« rief sie und versuchte aufzustehen. Jedoch die Knie versagten ihr; sie mußte sitzen bleiben. »Ganz und gar nicht! Denn: – es ist ja alles nicht wahr!« lächelte sie nun mit stechendem Blick.

»Fredigundis! Belüge dich nicht selbst. Du hast es ja selbst als wahr gefühlt, beim ersten Hören.« – »Das war . . . Scherz. – Erzähle deine Fabel! Sie macht mir Spaß.« – »Du weißt, daß ich nicht fable. Dein bleiches Antlitz verrät dein wahr Gefühl. – Höre. Ich kam – vor Monden – schwer verwundet in die alte Heimat. Ich suchte Heilung für den Leib in dem alten Erbsitz! – ach und ich suchte für die sieche Seele – deine Spuren dort: am Fluß, auf der Ziegenhalde, im Walde. Wirklich genas ich allmählich. Deine Großmutter – gleich hatte ich sie aufgesucht – fand ich sehr schwach, sehr krank und wie von namenloser Angst zu Boden gedrückt. Ich meinte manchmal – sie, – sie sei nicht bei gesundem Geist.« – »Aha! Und auf die Fieberrede einer Verrückten hin . . . –?« – »O nein, dieser Trost – richtiger, ich seh' es: diese Ausflucht – bleibt dir nicht! Oft sagte sie mir, ein fürchterlich Geheimnis quäle sie. Aber sie dürfe nicht sprechen: das eben sei die Qual dabei. Als sie ihr Ende herannahen fühlte, beschwor sie mich, ihr den Diakon zu holen, der in der Nähe der Anianuskirche wohnt. Er kam, sie beichtete. In äußerster Verstörung eilte der Priester zu mir und beschwor mich, im Namen der Sterbenden, im Namen aller Heiligen an ihr Lager zu eilen, ihren letzten Auftrag entgegenzunehmen. Der Mann sank in Ohnmacht, nachdem er das ausgerichtet. Ich fand sie völlig klar und ruhig. Und erleichtert von furchtbarem Gewissenskampf, den sie getragen Jahre, jahrelang, seit deiner unseligen Hochzeitsfeier zu Rouen.« »Mach's kürzer,« herrschte sie ihn finster an. »Wohlan, sehr kurz. – Du weißt, erst wenige Tage vor deiner Geburt sind deine Mutter und deine Großmutter aus der Nähe von Paris, wo sie auf der Villa eines Großen als unfreie Mägde gelebt hatten, auf jenen Hof verkauft worden, der damals dem König Chlothachar gehörte, später durch Tausch auf meinen Vater überging. Dein Vater – das heißt der Arme, der dafür galt! – war freilich ein freier Mann gewesen und er hatte deine Mutter loskaufen wollen von ihrem Herrn, um sie zu heiraten, loskaufen mit fast all' seinem Vermögen. Nahezu die ganze, aber freie Scholle hatte er deshalb versilbern müssen.« – »Weiter! Ist gleichgültig!« – »Deine Mutter soll sehr schön gewesen sein . . . –« – »Doch lange nicht wie ich, sagte die Ahnin oft.« – »Am Tage, da in der kleinen Kapelle des Dörfleins bei Paris der Priester den wackern Francio und seine Fredigardis traute, kam plötzlich – zufällig, so glaubte man – König Chlothachar, der wilde, heißblütige, angesprengt mit seinem Jagdgefolg. Er sah das Paar, das, soeben eingesegnet, die Kapelle verließ. Vom hohen Rappen schaute er hernieder auf die Hochzeitsleute. Plötzlich rief er Francio herbei und fuhr ihn an: ›mein Heerbann ist schon unterwegs gegen die Kelten! Was säumst du noch hier, träger Bauer? Ergreift ihn! Führt ihn in Fesseln dem Heere nach! Sofort!‹ Und flugs war der Neuvermählte auf ein Roß gebunden und fortgeschleppt in sausendem Ritt. Die junge Frau aber ward zum Dienst des Königs in dessen Jagdhaus befohlen. Nie hat man Francio wiedergesehen. Ein paar Tage darauf erschien sie wieder in der Hütte der Mutter. Sie klagte über Gewalt; die Alte wollte verzweifeln vor Wut und Weh, aber der König hatte Mutter und Tochter ihrem Herrn abgekauft und befahl nun beiden, auf das damals noch dem König gehörige Gut an der Wutach zu ziehen, das seinen Jagden näher lag. Knechte des Königs führten die beiden Weiber dorthin. Nach acht Monden dann wardst du geboren. Deine Mutter aber kam dabei zu sterben. Da gestand sie der Alten, – im Angesicht des Todes – daß alles verabredet war. Nicht Zufall und nicht Gewalt. Schon ein paar Wochen vor der Hochzeit mit Francio hatte der König sie beim Jagen im Walde gefunden. Und sie – deine Mutter . . . –«

»Auch im Walde? Beim Jagen? – Wie seltsam! Nun? Was stockst du?« mahnte Fredigundis, welche den Kopf vorgestreckt, die beiden flachen Hände auf den beiden Knieen ruhend, durstig jedes Wort seiner Erzählung aufgesogen hatte. »Deine Mutter ward lieber als das Eheweib eines wackern Mannes, der ihr all' sein Gut geopfert und sein Leben geweiht, eines Königs – Dirne!« »Ja, ja,« sagte Fredigundis. »Hab's schon verstanden. So was mag geschehen. Weiter.« – »Weiter? – Jetzt gestand deine Mutter im sterben ihre Schmach, ihre Schuld: der König hatte sie ja vergessen! – Nie war er an die Wutach gekommen; sie erbettelte ihrer Mutter Verzeihung und nahm ihr einen furchtbaren Eid ab, solang sie lebe das Geheimnis ihrer Schmach und deiner sündigen Herkunft keinem Menschen zu verraten.« – »Und die Alte plaudert's dem Pfaffen aus und dir . . . –« – »Sie hatte geschwiegen, nur zu treu geschwiegen! Geschwiegen auch, da sie ihre Enkelin des eignen Bruders Eheweib werden sah!« – »Wohlan! Das große Unheil, daß ich unter Krone ging, war doch einmal geschehen. Warum schwieg sie nicht bis in ihr Grab?« – »Weil ihr die Gewissensqual das Herz abdrückte! Vor dem Sterben hat sie beichtend gefragt, was die größere Sünde sei, diesen Eid zu brechen oder ihn zu halten? Der Diakon sagte ihr, das einzige Mittel, die Schuld des jahrelangen Duldens dieser Todsünde zu sühnen, sei: zu sprechen und dich so aus des Bruders Armen zu reißen. Er, der arme Priester, wagte es nicht, vor Fredigundis, die schreckliche, zu treten mit solchem Wort. Mir solle sie's entdecken und mir den Auftrag geben, dich zu retten. Sie that's. Sie flehte mich an, dich zu erretten; ich versprach's und sie starb getröstet. Und spornstreichs eilte ich hierher und . . . –«

Fredigundis stand rasch auf. Sie hatte nun ihren Entschluß gefaßt; sie war ganz gelassen.

»Und alles das hast du erlogen. Kein übler Einfall! Aber du hättest nicht vorher gestehen sollen, daß du mich noch immer liebst. Kein übler Einfall, mich von des Gatten Seite hinwegzuzwingen, in irgend einen Versteck! Vielleicht in jenes Waldhaus, he? wohin ich schon damals gebracht werden sollte? – Du würdest dich dann wohl bald einfinden und die schöne Büßerin trösten.« Entsetzt starrte Landerich sie an: »Fredigundis – welche Selbstbelügung! Jeder Ton deines Mundes verrät es: – du weißt es – du weißt es so gut wie ich, der ich die Qual der Sterbenden sah – denn du siehst meine Qual! Du fühlst es: alles ist wahr. Du bist des eignen Bruders Weib! Und du willst . . .–« – »Es bleiben! Ja denn! – Ich wußte es ja nicht. Ich ward es ohne Schuld. Und jetzt dem Glanz entsagen, meinen Knaben brandmarken, enterben? Nein!«

»Und du gestehst mir das ein?« – »Warum nicht, da uns niemand hört? Ja! Was soll ich dir unnütz lügen? Ja, ich glaub' es, ich fühl' es: es ist so. Aber wage es,« – und funkelnden Auges, drohend, trat sie auf ihn zu – »wag' es, noch Einer Seele davon zu sprechen. Dann – ich deutete dir vorhin meine Verteidigung an, die dich zerschmettert; wag' es! Und Chilperich erfährt, daß du mir soeben deine sündige Gier nach seinem Weibe verraten. – Meinst du, er wird mir dann nicht glauben, daß du das Ganze erlogen hast, mich von ihm zu trennen? Meinst du, er wird schwanken zwischen dir und Fredigundis? Hättest du sechs Köpfe, er schlüg' dir sie alle ab, ehe er eine Locke hergiebt dieses roten Haares.« – »Und – du – wolltest – sein Weib bleiben!« – »Ich sagt's schon dreimal.« – »Nun denn! Dank sei den Heiligen im Himmel: es giebt ein Mittel, dich zu zwingen.« Und im Augenblick war er verschwunden. Sie starrte vor sich hin. »Welch' Mittel kann er meinen?«

Sie mußte es denken, mußte sich immer wieder fragen.

»Ich finde es nicht. Bah, gleichviel. Aber ich hätte ihn nicht so offen abweisen sollen! Gewinnen muß ich ihn. Das wird, denk ich, nicht allzuschwer werden.« Sie holte einen kleinen Silberspiegel aus einem Geschmeidekasten hervor und warf einen Blick hinein. »Sein eigen Geschenk! Noch von der Wutach her!« – Befriedigt legte sie den Spiegel nieder. »Er kann das Haus noch nicht verlassen haben. Ich such' ihn auf!«

 


 

Viertes Kapitel

Ganz nah an die Königsvilla reichte im Osten der Königswald, so daß man oft am Abend die Rehe aus dem Waldsaum der hohen Buchen hervor auf die schöne Wiese treten sah.

So hatte König Chilperich nicht weit zu reiten gehabt, bis das Weidwerk beginnen konnte. In wenigen Stunden hatten Jagdspeer und Pfeil einen stattlichen Hirsch, einige Rehe und einen ganzen Haufen von Federwild zur Strecke gebracht. Etwa eine Meile waldeinwärts stand neben einem schmalen Brünnlein, das aus dem dichten Moose quoll, ein kleines Jagdhaus, in dem man übernachten wollte, am folgenden Tage ganz früh beim Morgendämmer das Jagdwerk wieder aufzunehmen und tiefer in den mächtigen fast eine Tagereise weit gen Osten sich erdehnenden Wald einzudringen: denn dort, im sumpfigen Innern sielte in dichten Rotten das Schwarzwild. Auf der Waldblößung vor dem Jagdhaus war ein lustig Feuer angezündet, einen Teil der Beute zu braten; geschäftig mühten sich die Knechte an Rost und Spieß.

Die sinkende Sonne drang mit warmem Strahlenguß noch einmal durch die hier ziemlich gelichteten Buchen, die schlanken Stämme vergoldend und auf dem hohen Grase in wechselnden Lichtern spielend. König Chilperich ging in einiger Entfernung von dem Feuer und dem Jagdgesind unter den Bäumen auf und nieder. Er war sehr vergnügten Herzens. Der sonnige Herbsttag war so schön gewesen! Das scharfe Reiten im Walde hatte ihn erfrischt. Wiederholt hatte sein Pfeil scharf getroffen: – den schweren Wurfspeer zu schleudern überließ er stärkern Armen. Er war so recht zufrieden mit Gott und der Welt, mit dem Gejaid, mit seinem schönen Weibe, mit seinen zitternden Unterthanen, und am meisten mit sich selbst.

Er rieb sich im Auf- und Niedergehen vergnügt die kleinen weißen Hände. »Ich hab' es doch – nach mancher Fährlichkeit, schlimm sah es damals aus zu Tournay! – recht weit gebracht. Dank diesem meinem klugen Kopf und meinem keckgemuten Gundelchen. – Wie konnte ich je daran denken, sie zu verstoßen um jener bleichen Seufzerin willen! Freilich, damals kannte ich noch nicht den Geist, die Kraft, die in meinem Weiblein mit den zarten Gliedern steckten: – auch wohl erst wuchsen, reiften in diesen Jahren. – Wenn nun vollends der Plan mit Egidius und Gundovald gelingt, dann wird unser kleiner Chlothachar nicht mehr viel Mühe haben, alle drei Frankenreiche in seiner Faust zu versammeln. Ja, ja, vielleicht erleb' ich noch, wie Fredigundens Sohn an der Spitze meiner Heere den Rest von Austrasien und von Aquitanien sich holt. Warum nicht? Fünfzehn – zwanzig Winter kann ich doch recht leicht noch leben. Hi, hi! War nie so dumm, durch die Mühen schwerer Feldzüge meines Leibes Kraft zu brechen.

Eigentlich hat das Gundelchen recht! Eine Stadt Bruder Guntchramn lassen ist auch genug. Söhne hat der nicht. Das ist gut. Und der Knabe Childibert: – sicherer aufgehoben als im Kloster – ich meine: sicherer für meinen Chlothachar! – wäre er freilich droben bei seinem Vater im Himmelreich. Nun – wir wollen sehen! – Jetzt – angenehm steigt mir der Ruch des Wildbrets in die Nase! – jetzt zum Abendimbiß! Und vom besten Gazzetinerwein! Wird mir das munden nach dem Ritt! – Was giebt es da?«

»Herr König,« meldete der Jagdmeister, »ein Reitersmann; er bringt dir wichtige Nachricht. Er suchte dich in Chelles: er sagt, er hab' es sehr eilig, – er komme von der Frau Königin. Sein Roß brach zusammen, wie er absprang.«

»Führ' ihn her. – Doch – man kann nie wissen! – Laß ihn vorher Speer und Schwert ablegen.«

Der Ankömmling neigte sich tief vor dem König und wies auf die nahestehenden Diener desselben.

»So geheim? Nun, tretet zurück, ihr Leute. – Redet! Wer seid Ihr? Was bringt Ihr?« Und der König begann wieder, unter den Bäumen auf- und niederzugehen, der Ankömmling folgte seinen Wendungen.

Plötzlich fuhr Chilperich zusammen: er blieb stehen.

»All' ihr Heiligen!« rief er. – »Und sie – sie ließ Euch – nach dieser Mitteilung! – aus der Villa reiten?« – »Scharf ward ich verfolgt! Aber mein Roß war besser. Mein Eifer, Euch allein zu sprechen, war brennend.« – »Und – Ihr sagt: – sie glaubt es selbst?«

»Sie weiß es: – wie Ihr es jetzt – mit Grausen! – wißt. Ich seh's Euch an –: Ihr glaubt es! Was werdet Ihr beschließen? Bedenkt: – es ist die Sünde des schärfsten Himmelsfluchs. Ihr müßt Euch trennen von ihr!«

»Das wird sich finden. – Aber« – er schritt wieder voran, dann blieb er plötzlich stehen. »Vor allem: – es ist ja natürlich all' nicht wahr! – aber – wer – außer Euch, Graf Landerich, weiß davon?« – »Nur der Priester, den das Beichtgeheimnis bindet.« »So? Das ist gut!« flüsterte Chilperich, riß das Schwert aus dem Wehrgehäng und führte einen tückischen Stoß auf Landerich. Schwer getroffen stürzte dieser auf den Rücken: Chilperich bog sich über den Gefallenen und höhnte: »Wer wird jetzt noch mich trennen von Fredigundis!« »Gott! Durch mich!« rief Landerich, sprang mit letzter Kraft noch einmal auf und stieß den Dolch, den er im Gürtel verborgen trug, mit aller Kraft dem König in die Brust: dann sank er wieder um; mit gellendem, mit gräßlichem Weheschrei brach Chilperich zusammen. –

Die Begleiter des Königs sprangen hinzu: sie sahen den Ankömmling tot, Chilperich sterbend.

Einen Augenblick standen sie sprachlos, fassungslos vor Entsetzen.

Da rief einer, ein geringer Knecht: »O weh, weh über uns! Er ist ermordet! Uns alle, die wir mit ihm waren, wird sie – als seine Mörder – zu Tode foltern, die Walandine! die Blutsaugerin! Flieht! Rettet euch! Flieht vor Fredigundis!«

»Flieht! Rettet euch vor Fredigundis!« wiederholten alle. Und so betäubend wirkten dieser Name und seine Schrecken, daß alle, alle zwölf Begleiter, in sinnloser Angst auf ihre Rosse sprangen und davonjagten nach allen Richtungen: – nur fort, fort von der Stätte des Mordes.


Stille ward's nun vor dem Jagdhaus.

In der Ferne verhallten die Hufe der eilenden Rosse. Das Feuer brannte noch einmal hoch, hell lodernd auf: – dann brach es in sich zusammen und erlosch.

Das Roß des Königs wieherte einmal: – dann ward alles still, ganz still.

Die sinkende Sonne warf nun fast schon wagerecht ihre Strahlen gegen die Stämme der Bäume; hoch auf dem Wipfel einer einsam stehenden Buche hob eine Amsel ihr Abendlied an, feierlich flötend, fromm, wie um Gott dem Herrn zu danken für den wunderschönen, hellen, warmen Tag, der sie in den Sommer zurückgetäuscht hatte.

Ein verspäteter Schmetterling, der schöne, breitflüglige Schillerfalter, der die stillen, sonnigen Waldwiesen liebt, schwebte mit langsamem Flügelschlag über die beiden Gestalten hin, ließ sich dicht neben ihnen auf dem dunkelblütigen Akelei nieder und sog den süßen Saft.

Sonst alles still, kein Laut ringsum.

Ein Rotkehlchen huschte durch den Wildrosenbusch, unter welchem Landerich lag; neugierig kam es näher und näher und sah ihm in das bleiche Gesicht; nun wandte es sich nach dem andern – es hüpfte im hohen Grase näher: – da zuckte der andere mit allen Gliedern: – verscheucht, hastig floh das Vögelein. –

Nun wieder lag alles still. – –

Endlich spitzte der Hengst des Königs die Ohren, wandte den Kopf nach Osten und wieherte hell. Aus dem Walde her scholl ein Wiehern zur Antwort. Hufschläge näherten sich. Bald nahte auf der großen Heerstraße, die den Wald durchschnitt, in gemächlichem Trab ein weißes Roß; es trug zwei Knaben.

»Da ist schon die Lichtung, Arnulf, da steht auch das Jagdhaus, von dem uns der Bauer gesagt, – Nun sind wir bald in Chelles. – Halt, was ist das?« – »Zwei Männer schlafen im Grase.« »Nein,« rief Pippin, abspringend. »Der hier ist tot. Er blutet am Hals – erstochen.«

»Und der hier,« sprach Arnulf, der schon auf dem Rasen kniete – »in dem reichen, goldgestickten Gewand, – der – ist der auch tot?« Da ächzte es: »Nein! Ich lebe! – Rettet mein Leben! – Königlich wird es euch gelohnt!« »Wer bist du?« fragten beide Knaben zugleich. »König Chilperich von Neustrien – Wasser! gebt mir Wasser! – Ruft meine Leute: – wo sind sie?«

»Du bist allein!« sprach Arnulf schauernd, ließ sich bei ihm nieder auf den Rasen und legte des Stöhnenden Haupt auf seine Knie, während Pippin schon wieder kam mit der Sturmhaube voll Wassers aus der Quelle. Er besprengte des Ächzenden Antlitz damit. Arnulf flößte ihm, mit der Hand schöpfend, ein paar Tropfen in den Mund.

»Dank!« Er schlug die grauen Augen auf. »Ruft sie – ruft Fredigundis!«

»Laß ab in deinen Gedanken von der Teufelin,« sprach Arnulf feierlich, »willst du deine Seele retten.« »Ja, laß ab von Fredigundis,« sprach Pippin, »wenn du wirklich König Chilperich bist.« »Er ist es ohne Zweifel,« sagte Arnulf. »Sieh nur die goldnen Bienen auf dem Wehrgehäng und die langen Königslocken: – kein andrer Franke darf sie also tragen.«

»Laß ab von Fredigundis,« sprachen beide Knaben zugleich.

Chilperich seufzte. »So weiß man's schon im Volk? Die Kinder sagen's schon? O wehe – weh unserem Erben Chlothachar! O, ihr Heiligen!«

»Die Heiligen, König Chilperich,« rief Pippin feierlich, und das Grauen des Knaben vor dem Anblick des von Blut überströmten steigerte die erschütternde Gewalt, seiner Worte – »die Heiligen selber sprechen zu dir. Sankt Martinus ist mir im Traum erschienen. Er redet so zu dir aus meinem Munde: ›weh dir, stößt du nicht von dir Fredigundis.‹« – »O, o! Die Heiligen senden die Kinder gegen mich!« – »Dein Reich zerfällt; dein Haus verliert die Krone! Wisse: schon erheben sich von allen Seiten edle, tapfere Männer wider dich und deine blutige Gewalt. Verdammt bist du auf ewig, – ob du nun noch genesen, ob du sterben magst – stößt du nicht von dir Fredigundis. Denn du weißt wohl, wes Geschwister sie ist.« »O! O! Die Kinder wissen's schon! Die Kinder!« schrie er und schloß die Augen wieder. »Ein Geschwister der Teufel!« fuhr Pippin fort. Aber der Wunde hörte es nicht. »Horch,« mahnte Arnulf aufspringend und das bleiche Haupt in das Gras sinken lassend. »Von dorther: – von Westen! Pferde! Rufe! Klirrende Waffen! Komm! Laß uns lauschen.« Beide Knaben sprangen hinter die hohe Hecke von Wildrosen zu Häupten des Königs.

Auf die Waldblöße sprengte nun, weit voran einigen Dienern, auf schaumbedecktem Rappen die Königin Fredigundis.

Entsetzen lag auf ihren Zügen. Lang nachflatternd flog hinter ihr das rote Haar, den Jagdhut hatte sie auf dem rasenden Ritt verloren. Sie sprang – ohne Hilfe – aus dem Sattel, die Mähne des Rosses fassend und an seinem Halse niedergleitend; sie flog über die Lichtung, an dem erloschenen Feuer vorbei. Landerich sah sie zuerst. Sie beugte sich auf ihn nieder. »Tot? Gott sei Dank!« – Nun sah sie den König auf der andern Seite liegen, ein fremdes, weißes Pferd stand neben ihm und beschnupperte ihn, sich manchmal widerwillig wendend von dem Blutgeruch. »Chilperich!« rief sie neben ihm niederknieend, »Mein Gemahl! Wach auf! Ich will dich pflegen, – will dich retten! Schlag nur noch einmal die Augen auf: – dann zaubere ich dich gesund. Höre mich, Chilperich!« Laut schrie sie in sein Ohr.

Aber der König regte sich nicht.

»Her mit dem Hund!« knirschte sie. »Wie war's? Erzähle! Lüge nicht! Das Mark quetsch' ich dir aus den Knochen.« Gebunden an beiden Händen führten zwei Diener den Jagdmeister herzu; die Kniee schlotterten dem Mann; die Todesangst verzerrte seine Züge. »Bei Gottes Treue! Wie ich sagte, war's. Ich war so entsetzt, wie ich den König stürzen sah – daß ich – o Königin: . . . wir fürchten dich so sehr!« – »Jetzt sollt ihr Ursach haben.« – »Ich floh! – Aber kaum im Sattel, gedachte ich doch der Pflicht, dich herzuholen zu dem Toten.« »Er ist nicht tot! Er darf nicht tot sein!« schrie sie und rüttelte den Regungslosen am Arme. »Ich sprengte auf Chelles zu. Da traf ich schon den ersten deiner Diener. Er fragte, ob wir nicht einen Reiter gesehen, der dir aus der Villa entsprungen sei und den du selbst verfolgest? Bevor ich Antwort fand, warst du zur Stelle und ich sagte dir . . –«

»Deine schurkische Feigheit! Wartet! Brennen sollt ihr alle zwölf, die ihr euren König so elend verlassen! – Helft, ihr andern! Richtet den Wunden auf, mit dem Rücken gegen jenen Stamm. So! Nun rasch!« Sie riß sich einen Fetzen ihres weißen Mantels ab und verstopfte die Wunde: sie erschrak, als sie deren Tiefe erkannte. Plötzlich schlug der König die Augen groß auf; er heftete sie starr auf sie.

»Er lebt! Er wird leben!« frohlockte sie. Er aber sprach heiser: »Du – bist – Fredigundis? Nicht?« – »Ja, mein Gemahl. Ich bin's, dein Weib und deine . . . –« – »Nein! Nicht meine, des Teufels Schwester bist du.« Entsetzt sprang sie empor: »Du, mein böser Geist. – Winnoch log. Um deinetwillen muß ich jetzt schon sterben! Die blonde, bleiche Braut! – Und Bruder Sigibert und –! Wo ist der Engelknabe? Hör' es, Engelknabe! Und bestell' es den Heiligen: so« – er stieß mit der Hand vor sich hin – »so stoß ich sie von mir: – Fluch über Fredigundis!« Und er zuckte am ganzen Leibe: ein Strom von Blut schoß ihm aus dem Mund, er sank vornüber zusammen. Er war tot.

Laut auf kreischte Fredigundis und sprang weg von ihm. Das Blut hatte sie über und über befleckt. »Blut! Blut! O wie grausiges Blut! – Er ist tot! Eine Leiche! – Fort! Ich kann sie nicht sehen. – Auf! – Eilt zurück nach Chelles! – Chlothachar ist König von Neustrien! – Ich ergreife die Regentschaft.«

Da rauschten die Büsche und daraus hervor traten, vom letzten Abendrot beleuchtet, die beiden Knaben; der eine schritt dicht vor sie hin, richtete die unschuldigen, großen, blauen Augen streng auf sie und sprach mit heller reiner Stimme:

»Weh dir! Du bist die Königin Fredigundis: – mir sagt's das Grauen und dieses Sterbenden Verfluchung. Mich senden die Heiligen zu dir: die heilige Jungfrau und Sankt Petrus, und also sprechen sie zu dir durch meinen Mund: ›Kehr' um auf deinen bösen Wegen! Glaube nicht, daß du die Heiligen bestechen kannst. Sankt Peter hebt drohend gegen dich den Himmelsschlüssel. Nie thut er dir die Pforte auf, wirst du nicht von Stund' an eine andere. Bereue, allem Glanz entsagend, büße in stiller Klosterzelle. Bessere dich.‹«

Sprachlos vor Staunen, entwaffnet durch die furchtbaren Worte aus Kindermund, trat sie einen Schritt zurück: »Wer seid ihr?«

Aber Arnulf fuhr unerbittlich fort: »Deinen Gemahl haben die Heiligen noch gebessert, da schon der Tod ihm auf dem Herzen saß: – er folgte unserer, das heißt des heiligen Martinus Mahnung: er hat dich noch von sich gestoßen, bevor er starb. Er hat bereut! Nun bereue auch du, wirf deine blutige Krone fort und büße bis ans Ende.«

»Frecher Bube!« schrie Fredigundis. »Sendling meiner Feinde! Ich will dir . . . –«

»Schau mir ins Auge, Königin Fredigundis. Glaubst du, ich lüge? Glaubst du, ich folge menschlicher Anstiftung? O nein: mich schickt der heilige Gott des Himmels selbst.« Und mit leuchtendem Auge trat er dicht vor sie hin: »Gehorche! Gott ist es, der aus mir spricht zu dir: – zum letztenmal dich warnend.« Und beschwörend hob er die Rechte wider sie.

Sie trat nochmal zurück, sie zitterte an allen Gliedern, sie knickte einen Augenblick zusammen. »Unsinn!« rief sie dann grell. – »Die Heiligen sind für mich. Ich weiß es ja! – – Greift die traumtollen Schwärmer. Greift sie, sag ich! Zwar der König ist tot: ich seh's. – Aber tot liegt vor mir – im rechten Augenblick! – auch Landerich

Die Diener hatten des engelschönen Knaben Worte gehört, seinen Cherubblick geschaut: sie zagten – sie zögerten. »Wollt ihr gehorchen, Hunde? Oder am Marterblock verenden?« schrie Fredigundis wütend.

Zwei der Knechte traten nun auf die Knaben zu.

Pippin sprang schnell vor seinen Genossen, seine Streitaxt blitzte und des vordersten Speer flog ins Gebüsch: »Wagt es, uns anzurühren! Sankt Martinus schwebt ob unsern Häuptern.«

Allein die beiden jungen Helden waren doch verloren, wenn nicht Hilfe kam. Hellauf wieherte plötzlich Wittchen, schnupperte gegen Osten hin in die Luft, schlug dann lustig ein paarmal mit dem Schweif und trabte davon auf jenem Waldweg. Aber nur, um gleich wieder, noch lauter wiehernd, zurückzulaufen: und dicht hinter dem klugen Tiere schollen Hufschläge von mehreren Rossen, Fackeln blinkten durch die nun schon dämmerdunkeln Büsche und eine Schar von dreißig wohlgewaffneten Reitern sprengte auf die Waldblöße. »Der Vater!« Pippin wandte der Königin den Rücken und sprang an dem vordersten Reiter hinauf. »Der Vater!« rief Arnulf und hatte schon des zweiten Reiters Hand geküßt. »Unsere Aufträge haben wir erfüllt,« rief Pippin. »Jetzt, Vater, schlage zu, soviel du willst,« »Daran soll's nicht fehlen!« antwortete dieser, gab ihm aber vorläufig nur einen kosenden Wangenstreich, während Arnulf seinen Sohn sogar auf die Stirne küßte.

Dann aber schoben sie die Knaben zur Seite, sprangen von den Rossen und schritten, mit Schrecken im roten Licht ihrer Fackeln die Leichen des Königs und des Grafen Landerich erkennend, auf die Königin zu, die sich hinter ihre Knechte gestellt hatte.

 


 

Fünftes Kapitel

»Du,« sagte Pippin ganz erstaunt zu Arnulf, »das geht aber glimpflich ab! Da sieht man's, daß uns die Heiligen schützen! Ich hatte mich auf sehr, sehr harte Hiebe gefaßt gemacht. Hat Sankt Martin den Vätern aufgedeckt, daß er uns fortschickte?« »Nein,« schmunzelte Arnulf. »Das hat ein viel kleinerer Heiliger gethan.« – »Wer?« – »Ich! Weißt du, – ich bracht' es nicht übers Herz, den guten Vater so ganz im Dunkeln zu lassen. Konnte ja meinen, wir seien ermordet! So schrieb ich denn auf ein Zettelchen, daß uns die Heiligen zu hohem Werk entsendet haben.«– »Ausplaudrermaul! Weibermaul!« Und er gab ihm einen tüchtigen Rippenstoß.

»Das Zettelchen steckte ich in den Becher, aus dem der Vater den Abendtrunk nimmt. Mehr schrieb ich nicht: – namentlich nicht, wohin sie uns gesendet.« – »Warum hast du mir's aber nicht vor dem Aufbruch gesagt?« – »Weil du's nicht gelitten hättest.« – »Und nicht nachher?« – »Weil du mich gehauen hättest.« »Sehr wahrscheinlich,« lachte Pippin. »Eigentlich muß ich dir noch danken – denn sonst . . . –« – »Hätten uns die Väter beide – sehr – gehauen! Aber komm nun weiter vor, daß wir hören, was da geschieht und geredet wird. Die Königin scheint sehr böse.« Sie schlichen leise heran und lauschten der Unterredung.

»Wohl kenn' ich diese eure Namen,« sprach die Königin, »als Namen meiner Feinde. Aber frohlocket nicht über meines Gatten Ermordung! Und auch das Gotenweib soll nicht frohlocken. Mit fester Hand nehm' ich ihn auf, den Königsstab, der Herrn Chilperichs Hand entfallen ist. Und nicht gelinder wahrlich als er werd' ich regieren für meinen verwaisten Knaben. Wer weiß, ob nicht die Gotin jenen Mörder aus Austrasien gesendet hat?«

»Das glaubst du selbst nicht,« sprach Arnulf ruhig.

»Sie soll sich hüten! Wer weiß, ob nicht auf sie und ihre Gönner demnächst auch ein Schlag herniederfährt, der . . . –« »Du meinst,« unterbrach Karl lebhaft, »die Verschwörung, die am ersten des nächsten Monats losbrechen sollte wider König Guntchramn und den Knaben Childibert?«

Fredigundis zuckte leicht.

»Diesen Schandplan hat König Guntchramns Wachsamkeit entdeckt und mein gutes Schwert hat ihn durchhauen. Gegen deinen Freund, Bischof Egidius von Reims, hegte der König von Burgund schon lang Verdacht; er ließ den Boten greifen, den der Bischof an deinen Feldherrn Boso durch Burgund nach Rouen gesendet: die Briefe, die er trug, verrieten alles. Rasch rief der König treue Männer, darunter meinen Nachbar Arnulf hier und mich, zu einer Besprechung nach Trier. Auf dem Wege gegen die Avaren erhielt ich die Botschaft, kehrte flugs um und holte meinen Freund Arnulf ab. Sofort waren wir entschlossen, zuvorzukommen. Bischof Egidius ist gefangen, Herzog Gundovald, der sich grimmig wehrte in seinem festen Haus im Wavregau, fiel durch mein Schwert. Wir holen Frau Brunichildis aus der Villa Calma hier in der Nähe und geleiten sie an den Hof nach Metz zu ihrem Sohn.«

»Sie, die hohe Frau, wird fortab herrschen an seiner Statt in Austrasien unter meinem Rat,« fuhr Arnulf fort.

»Und unter meinem Schild,« schloß Karl.

Sprachlos, fassungslos hatte Fredigundis all' das angehört. Sie war daran, zu erliegen, zusammenzubrechen unter den hageldicht auf sie fallenden Schlägen des Schicksals. Aber noch einmal raffte sie sich auf, die stumme Wut gab ihr Kraft und, mit einem Blicke tödlichen Hasses Karl musternd, sprach sie: »Nicht lange, wähn' ich, und Euer Schild wird ganz wo anders als zu Metz gebraucht werden!«

»O, gegen die Avaren, meint Ihr, Königin? Die Euer Gatte wieder einmal mit rotem Golde gekauft und auf unsere Ostlande gehetzt hatte? – Ihr staunt, daß ich auch dieses weiß? Zurückgeworfen sind von Herzog Garibald und seinen tapfern Bajuvaren die Horden der Avaren und Slovenen. Ein ungeheures Schlachten ist geschehen am Donaustrom: viel Tausende dieser Unholde sind gefallen und ersäuft, bei ihrem toten Chagan fand man sehr viel neustrisch Gold und König Chilperichs Briefe.« Fredigundis stöhnte laut. »Ja, Frau Königin!« fuhr Arnulf fort. »Die Welt hat sich gewendet in diesen Tagen: die Not, die zitternde Angst der Völker vor Euch und ihm, – sie sind gebrochen: es tagt! Ein neues Licht geht auf vom Osten her über die verzweiflungsvolle Nacht in diesem Reich der Franken. Gott hat Wunder gethan in diesen Wochen. Als Tag um Tag solche Nachrichten eintrafen, erschauerten wir in Ehrfurcht. Denn wir hörten die Stimme des Herrn aus den Wolken: »Wehe Chilperich und wehe Fredigundis!«

Hochaufgerichtet trat er auf sie zu; da schlug sie beide Hände vor die Augen, sie taumelte und mit schrillem Aufschrei brach sie zusammen. Bestürzt wichen ihre Diener zur Seite. – Keiner wagte, sie aufzuheben; sie zagten, an den Leib der Zauberin zu rühren.

Da drängte sich der kleine Arnulf durch die Reihe der Männer: – er hatte gesehen, daß ihr Kopf auf einen alten Markstein aufgeschlagen war. Er kniete neben sie, strich mit seinem Mantelzipfel das hervorrieselnde Blut von ihrer Schläfe und bettete ihr Haupt sanft auf einer kleinen moosbekleideten Erhöhung, »Was thust du?« schalt Pippin. »Sie hätte dich vor kurzem gern gemordet!«

»Eben darum,« ermahnte Arnulf. »Wie spricht der Herr? ›Ich aber sag' euch: thuet wohl denen, welche euch Böses gethan.‹«

Inzwischen hatte Karl den alten Arnulf beiseite gezogen und leise mit ihm geflüstert: »Welch Glück, stünde sie nie wieder auf! Wie mahnt doch der alte Warnspruch?«

»Lieber, nicht laß dir
Entschlüpfen die Schlange,
Faßtest du fest sie unter dem Fuß:
Tritt zu und zertritt sie!
Bald sonst beißt sie dich bitter!«

»Du willst sie doch nicht töten?«

»Nein! Aber einsperren, wo sie nicht mehr schaden kann.«

»Nicht also, Karl. Wir sind nicht ihre Richter. – Auf, ihr Männer, wieder in den Sattel. Wir reiten noch die Nacht durch: rechts geht der Weg ab von Chelles zur Villa Calma. Mit Sonnenaufgang begrüßen wir Frau Brunichildis als Austrasiens Herrscherin.«

Da traten sein Sohn und Pippin an die beiden Männer heran. »Vater,« sagte Pippin, »strafe mich lieber gleich. Das Warten darauf ist das ärgste.« »Du warst gar nicht erstaunt, Vater,« meinte der kleine Arnulf, »als du uns fandest?« »Als wir, die Väter, selber suchten,« sprach Karl, »nicht die Knechte, war eure Spur bald gefunden. Die Leute auf dem Wege gaben uns Bescheid von den zwei Knaben auf dem weißen Roß. Und als wir an eine gewisse Brücke kamen, wo sich zwei bitterböse, davongelaufene Buben, mit uralten Römermünzen des Kaisers Julian zahlend, für Elben ausgegeben hatten . . . –« »Oder gar für Engel,« fiel der alte Arnulf drohend ein. »Da wußten wir, wer diese lieben Englein waren.« – »Bald errieten wir, wen ihr suchtet.« – »Und das beflügelte unsere Eile.«

»Vater – die Strafe,« mahnte Pippin, etwas ängstlich. »Strafe,« sagte dieser und gab ihm einen zweiten Backenstreich, »hättet ihr nur verdient, weil ihr euern Vätern von eurem Vorhaben nichts gesagt.«

»Vater– sag' offen –: hättet ihr uns dann ziehen lassen?«

Karl schwieg. Aber Arnulf sprach für beide: »Ich fürchte: nein; und das wäre unser Unrecht gewesen; denn nun, nachdem Gott so sichtbar hier gewaltet, ist es zweifellos, daß euch die Heiligen wirklich erschienen sind. Kommt, besteigt wieder Wittchen. Ihr geht mit zur Königin Brunichildis und an den Hof zu Metz. Dort sollt ihr, unter eurer Väter Augen, lernen, klug gehorchen erst . . .« – »Und,« schloß Karl und hob seinen Knaben auf den Gaul »und später: klug befehlen.«


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