Felix Dahn
Fredigundis
Felix Dahn

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Fünftes Buch.

Erstes Kapitel.

Im wunderschönen Moselthal, dessen rebenumkränzte Gelände schon zwei Jahrhunderte früher Ausonius gepriesen hatte, im Gau Bidberg, nordwestlich von Trier, lagen dicht nebeneinander die Stammsitze von zwei alten, edeln Geschlechtern.

Seit den Tagen grauer Vorzeit, da zuerst hier die Uferfranken festen Fuß gefaßt und dem Römerreich den vielumstrittenen Boden abgetrotzt hatten, waren diese beiden Sippen hier eingewurzelt. Großen Grundbesitz hatten sie von dort aus in den Gebieten zwischen Maas, Mosel und Rhein allmählich hinzu erworben durch kluge umsichtige Wirtschaft, durch den freiwilligen Anschluß von kleinen Freien, die sich unter ihren starken Schutz und gerechten Schirm flüchteten vor den schweren Nöten der Zeit, endlich auch durch Landschenkungen der austrasischen Könige, die treue, ausgezeichnete Dienste in Krieg und Frieden diesen tapfern und geistbegabten Edelingen oft und oft zu lohnen alle Ursach hatten.

Nicht verwandt, aber verschwägert hatten die beiden Sippen durch ihr treues Zusammenhalten, das in Jahrhunderten nicht durch Zank gestört worden war, ihren Einfluß, ihre Macht gewissermaßen verdoppelt. Ein schmaler Grenzhag nur, nicht, wie sonst wohl, durch Graben und Pfahlwerk feindselig absperrend, trennte, von Norden nach Süden laufend, die beiden meilenlang nebeneinander hingestreckten Besitzungen.

Ein grüner Hag des Haselbusches, »der Frau Hasel,« wie der Volksmund sagte und sagt, bezeichnete den Strich, wo die Grenze endete und wendete zwischen den Arnulfingen und den Grimoaldingen, jene westlich, diese östlich: – so nannte man beide Sippen nach den ältesten Ahnherren, zu deren Gedächtnis die Namen Arnulf und Grimoald häufig wiederkehrten in den beiden Geschlechtern. Nach alter Überlieferung sollten aus dem Hause der Arnulfingen zur Heidenzeit wiederholt weise, weissagende Frauen, Priesterinnen der Berahta, wie die Uferfranken Frigga, die Himmelskönigin, nannten, hervorgegangen sein: vielleicht deshalb gaben sie ihren meist ganz helllichtblonden Töchtern gern den Namen Berahta oder Berthrada. Die Heidenzeit lag nun weit zurück; aber ein besonders eifriger Sinn für die Gottesverehrung, eine fromme Richtung auf das Heilige war dem Hause geblieben, das den Kirchen in Trier, zumal aber denen in Metz schon gar manchen tüchtigen Priester, den austrasischen Klöstern schon gar manchen klugen, herrschgewaltigen Abt gestellt hatte.

Die Sippe der Grimoaldinge, rotbärtig und rothaarig, war ungleich mächtiger an Gliedern, starkknochig, breiter an Brust und Schultern, aber zugleich hochragend: Männer, welche siebenmal ihres eigenen Fußes Länge maßen, waren nicht allzuselten: – aus ihren sehr großen, weit offenen, blauen Augen leuchtete freudiger, selbstvertrausamer Mut; gar mancher der Ahnherren war zum Herzog erkoren worden der Nachbargaue und hatte, den mächtigen Steinhammer schwingend, an der Spitze des Keils den Ansturm geführt gegen die Erzkohorten von Trier; und in jüngeren Zeiten hatte gar mancher Held dieses Hauses für die austrasischen Könige den Schild gehalten an der Thüringe Mark wider Avaren und Slaven.

Die beiden Herrenhäuser standen einander auf Rufes Weite nahe: auf dem Hügel hochragend die stolze Halle der Grimoaldinge, von mächtiger Eiche überschattet, an dem Ursprung einer Quelle, welche, zierlich in Stein gefaßt, hier mächtig aus dem roten Sandstein hervorbrach; im Thal unten, wo die Quelle allmählich zum kleinen Bach sich weitete in breiterem Rinnsal, die etwas bescheidenere Halle der Arnulfinge, in Haselgebüschen und Hagebuchen fast versteckt. –

Es war ein heiterer warmer Abend des Spätsommers.

An dem Haselhag der Grenze standen hüben und drüben zwei Knaben von etwa vierzehn und zwölf Jahren, gar eifrig beschäftigt, die gerade erst reifenden Nüsse zu brechen.

Der ältere, engelschön von Angesicht, mit lang flutendem, hellblondem Haar, schüttelte sie gar sorglich in einen Leinensack, den man ihm wohl zu Hause mitgegeben; der jüngere, ebenfalls schön, aber derber, von dunklerem, fast rot-bräunlichem, kurzkrausem Gelock, knackte viel mehr mit seinen weißen Zähnen auf als er in ein wohl zu gleicher Arbeit ihm über die Schulter gelegtes Lederbeutelchen schob; auch flogen seine blitzenden Augen überall hin, wo irgend ein Geräusch am Boden, im Busch, in der Luft ein Tierlein andeutete; nichts entging ihm: nicht die Eidechse im braunen Grase, nicht der Igel am Grabenrain, nicht der Häher im Busch, der scheltend zu Walde strich, ungern seine Nußweide den beiden Knaben räumend.

Neben der Thüre der Halle der Arnulfinge saß auf einer Holzbank, die um das ganze Gebäude lief, nur die breite Hauptthüre vorn und den schmalen Ausgang im Rücken freigebend, in stattlichem Gewand ein Mann von etwa sechzig Jahren, den die große Ähnlichkeit der Züge, das kluge graue Auge, das lang flutende, erst wenig ergraute blonde Haar als den Vater des älteren der beiden Knaben bekundeten. Vor ihm stand, fast sieben Fuß hoch ragend, ein etwa zwölf Jahre jüngerer Krieger, den Schild auf dem Rücken, den Speer in der Hand, die Erzhaube auf das rotbraune Gelock gedrückt, den langen braunen Mantel über der Schulter mit einer Spange befestigt.

»Setze dich zu mir, Freund Karl,« sprach der Ältere, zur Seite rückend. »Ich lasse dich noch nicht sobald. Mondelang warst du im Hofdienst fern in Metz, in Reims, – morgen willst du schon wieder fort in Friedens- und in Kriegsdienst – du mußt mir noch viel mehr, viel Genaueres erzählen von all' den grauenhaften Dingen, die sich zutragen in diesem unsel'gen Reiche der Franken. Hierher setze dich! Und versuche den Jungwein vom vorigen Jahr: er ist von dem Weinberg dort an der Mosel, den wir beide gemeinsam angelegt haben. Versuch! Es ist was Gutes, was unsere gemeinsame Arbeit da geschafft hat.« »Wie immer!« sprach der andere freundlich, mit volltöniger, metallreicher Stimme; »wie immer: dein Rat: du hast die Lage als so günstig erkannt . . .« –

»Und – auch wie immer – deine Kraft,« fuhr der andere fort, in einen zierlichen Holzbecher einschenkend. »Mein Wille erlahmte schon – so steinig erwies sich der Boden! Aber du, – mit manchem hartem Fluch: »beim Donnerhammer!« – den dir Sankt Martin vergeben mag! – du schwurst, Stein und Berg müsse deinem Willen weichen.« – »Und sie wichen, beim Donnerha . . . – Nun, kurz, sie wichen! Und trefflich ist der Wein. – Jetzt trinke du, Arnulf! Wo ist dein Becher?« – »Ein Becher genügt für uns beide; ich trinke dir zu, Karl: Ein Sinn und Eine That allzeit! – Nun hör', eh du von den Königen und dem Reich erzählst – was uns angeht hier, unsere Höfe, unser Eigen. Die Mönche des heiligen Maximinus in Trier bitten gar sehr, wir sollen ihnen Holz liefern aus unserm gemeinsamen Eichenschlag zu Echternach für ihren Dachbau.«

»Höre du,« rief der andere und schenkte sich wieder ein, »die betteln aber unablässig! Wir brauchen Eichenholz für neue Speere. Wir haben ihnen ja erst vorig Jahr die Eichelmast im ganzen Moselwald geschenkt!«

»Aber Karl! Mit den Eicheln können sie doch das Dach nicht flicken. Und es gilt dem heiligen Maximin, neben Sankt Urban dem besten Schutzpatron der Rebgärten. Es regnet ein ins Refektorium.« »Bah, der Heilige wird nicht naß, wenn's einregnet. Der ist oberhalb der Wolken. Nur der dicke Abt beim Schmausen.« – »Bedenke, viel haben uns die Heiligen von jeher geholfen.«

»Nun beim D– wollte sagen, bei Dionysius! Meinetwegen. Gottes Barmherzigkeit und Pfaffen-Begehrlichkeit gehn bis in Unendlichkeit. Amen.«

»Dann noch was! Da drüben über der Maas zwischen Lüttich und Tongern liegt das große Besitztum Heristal . . . –« »Jawohl! Das uns der Graf von Brakbant schon früher einmal angeboten hat.« »Der Eigentümer ist, hör' ich, des Hochverrats geziehen . . . –«

»Und schon geköpft! Auf Betreiben jener Teufelin. Der Fiskus hat das Gut eingezogen: er bietet's zum Verkauf . . . –« »Wenn wir beide zusammenlegen, bringen wir das Geld wohl auf.« »Ich mag nicht recht, Arnulf. Ich mag kein Allod haben unter Chilperich und – ihr! Laß uns zunächst unsere Güter hier abrunden, hier in der alten Heimat. Drüben über der Maas mögen unsere Söhne und Enkel einst sich ausbreiten, – falls wieder bessere Tage kommen in Neustrien. Auch haben wir genug zu thun, hier unsere kleinen Bauern zu schützen gegen Gewalt und Druck von Vornehmen, die es nicht so gut meinen mit den geringen Freien wie wir. Sieh, da kommen sie angesprungen von dem Haselhag her, unsere Buben. Mir scheint, sie zanken sich.« »Dann klopfen wir beide, denn beide haben dann Unrecht.« »Natürlich, mein Pippin mit einem Satz über die Hecke!« – »Während mein Arnulf wie ein kluges Kätzlein durch die Lücke schlupft. Was soll's, Pippin? Du bist ja ganz glührot!« »Vor Zorn,« rief der Jüngere, über die vier Stufen springend, die zur Thüre hinauf führten, während der rundliche Arnulf gar bedächtig Schrittlein für Schrittlein abmaß. »Ausraufen dürfen wir ja keinen Streit,« fuhr er eifrig fort, »leider . . . –« »Sei du froh,« mahnte sein Vater; »Arnulf ist älter und stärker.«

»Aber ich bin rascher.« »Und wilder,« schalt Herr Karl. – »Ich werd' ihm Herr! Ich zwing' ihn. Erst heut früh hab ich ihn ein wenig verhauen müssen.« – »Müssen? Warum?« – »Für Sankt Martinus.« »Ich litt für Sankt Petrus,« sprach Arnulf, etwas kläglich. »Ich hoff', er hat's gesehen und wird mir's lohnen.« »Etwa mit einem Gericht Forellen, du Leckermäulchen?« spottete sein Vater. »Was gab's, Pippin?«

»Nun ja! Zürnt nicht, Herr Arnulf! Aber er setzt immer Sankt Martinus, unseres Hauses Schutzherrn, herab gegen Sankt Peter. An dem hat er einen Narren gefressen. Und war doch Sankt Martinus ein Kriegsmann und der andere – ein elender Fischer.« »Er war ein Apostel,« mahnte der alte Arnulf, »das will sagen: im Gefolge des Herrn Christus.« »Und einen sauberen Gefolgsmann hat sich da der Herr Christus gekoren,« fuhr Pippin zornig fort. »Das mit dem Schwerthieb auf den Malchus, das hat mir zwar gefallen. Aber – mein Vater Karl, der jagte doch einen Gefolgen, der ihn dreimal vor Hahnenkraht verleugnet, mit einem Hahn um den Hals, als ehrlos aus seiner Schar.« –

Herr Karl gab ihm einen Schlag auf den Mund: – »Schweig! Ich wüßte mir zwar auch einen liebern Gesellen als den feigen Fischer. Aber Gottes Wege sind unerforschlich und sein Geschmack ist oft unbegreiflich. Wäre sonst Fredigundis im Glück und Brunichildis im Elend? Schweig' und glaube der heiligen Kirche. Meinst du, mir wird's immer leicht? Und doch: es muß sein! Beuge deinen Trotzkopf! – Und du,« lächelte Herr Karl und er strich dem Älteren über das glatt herabflutende Haar, »du hast so was vom Pfäfflein an dir: die Belehrsamkeit: – für die andern –! Und den starken Glauben an dein besser Wissen.«

»Ha freilich,« lachte Pippin. »›Er lernt Papst,‹ sagen wir Buben alle von ihm. Er heißt ringsum in allen Höfen: das Bischöflein.«

»Ja, ja,« sprach der Kleine und erhob verweisend den Zeigefinger! »Und ihr –? Ihr pufft mich und haut mich und folgt mir sowenig, wie die schlimmen Grafen dem Oheim folgen, dem Bischof zu Metz, wie er so oft klagen muß.« »Also ausraufen dürfen wir's nicht,« fuhr Pippin fort, »wie doch alle Nachbarssöhne raufen. Warum eigentlich nicht?« »Weil,« antwortete der alte Arnulf, »weil ihr lernen sollt von Kindheit an, daß ihr beiden zusammenhalten und nicht raufen müßt. Schaut um euch! Soweit ihr sehen könnt, gehört alles Land unsern beiden Sippen: als die Ahnen ins Land kamen, hatte jede nur ein paar schmale Hufen. Weil sie nie gerauft, – wie alle andern Nachbarn – sondern stets zusammengehalten und jeden kleinen Grenzstreit friedlich, jeder dem andern nachgebend, geschlichtet haben: deshalb haben wir alle die raufenden Nachbarn aus der Mark hinausgeschafft durch unsere Eintracht. Wollt ihr's nicht auch so machen?« »Gewiß!« sagte der kleine Arnulf und schlang den rundlichen Arm um Pippins Nacken. »Und zum Zeichen, daß ich's will, schenke ich dir mein Recht an dem Häher.« – »Oho, ich laß mich nicht beschämen!« »Was ist's mit dem Häher da?« fragte Karl, seinem Sohn den frisch geschossenen Vogel aus der Hand nehmend. »Wir schossen beide zugleich. Sieh, Vater, mein Pfeil hat ihm die Brust durchschossen, – da ist unsere Hausmarke am Schaft – siehst du den Hammer?« »Aber mein Pfeil,« sprach Arnulf, »hat ihm den Flügel durchbohrt. Siehst du das Sonnenrad daran? Unser Zeichen! Und zweitens: ich hab' ihn zuerst gesehen. Und drittens: er fiel auf unsre Seite der Hecke.« Da gaben die beiden Väter gleichzeitig jeder seinem Sohn einen leichten Nackenstreich; aber Karl zupfte auch noch den seinen am Ohre. »Merkt euch! Das Land hüben und drüben der Hecke ist beiden gemein,« sagte der alte Arnulf. »Zwei Hammerwürfe weit,« schloß Karl. »Hammerwürfe?« fragte Pippin. »Wenn ich aber weiter werfe als Arnulf? Mein Arm ist stärker!« – »Und sein Verstand! Drum haltet nur treu zusammen.« – »Dann werdet ihr die Starken zwingen.« – »Und die Klugen dazu.«

»Was wird nun mit dem Vogel?« fragte der alte Arnulf. »Wir werfen ihn in den Bach, da hat ihn keiner,« meinte Pippin. »Das wäre doch recht thöricht,« erwiderte rasch der kleine Arnulf. »Dann fangen ihn da unten die Söhne des Müllers auf, die halbheidnischen Schlingel.« »Weißt du was?« rief Pippin. »Ich schenk' ihn deiner Schwester Itta.«

»Nein, wir teilen die beiden Flügel: – sie schimmern so schön blau! – zwischen meiner Itta und deiner Berahta – sie flechten sie in ihre Haare: so sehen gleich alle Leute, daß auch die Mädchen zusammengehören wie wir.« »Ja,« sagte Pippin, »den Mädchen die Federn. Aber den Rumpf muß uns beiden Schwester Berahta braten, – den schmausen wir selbander. – Doch jetzt, Vater, bitte, bitte, deinen Speer! Und auch deinen schweren Schild, – laß sie dir doch abnehmen.«

»Und was hast du denn da im Gürtel stecken, oh lieber Nachbar Karl?« fragte Arnulf neugierig, sich auf den Fußspitzen reckend. »Ein Büchlein mit bunten Heiligenbildern und ein paar Sprüchen. Hab' dir's mitgebracht von Metz. Du lernst ja schon lesen, hör ich, bei der frommen Muhme, der Äbtissin. Und du, Pippin, Wildfang, Thunichtgut: – da, in der Manteltasche steckt auch was für dich. Weil du, als du mich heute früh zuerst gesehen, nicht gleich wieder schriest, ob ich dir noch immer keine Waffe mitgebracht! – da – zur Belohnung sollst du's haben – eine kleine Wurfaxt, gut zur Jagd.« –

Während die Knaben, voll von Freude und Dank, sich mit ihrem ›Mitgebrachten‹ beschäftigten, fragte nun der alte Arnulf seinen Freund aus über die Dinge, die er erkundet habe.

 


 

Zweites Kapitel.

»Sage vor allem,« forschte er, »wie steht es mit unsrer edeln Herrin, mit Frau Brunichildis? Wo weilt sie? Hast du nichts von ihr gehört?« – »Ich sprach sie selbst.« – »So warst du zu Rouen?« – »Nein, sie lebt nicht mehr dort. König Guntchramn hat zwar seinen Groll gegen die ›stolze Gotin‹ noch immer nicht ganz verwunden. Da er aber erfuhr, daß Fredigundis wiederholt Mörder ausgesandt habe gegen die trotz ihrer Ohnmacht noch immer tödlich gehaßte Feindin, hat er, gutmütig wie er ist, Chilperich gezwungen – unter Kriegsdrohung – der Schwägerin zu verstatten, die Klosterhaft zu Rouen und sein Reich zu verlassen. So wohnt sie nun bald in dieser, bald in jener königlichen Villa in Austrasien: – ich suchte sie auf in dem Gehöft Ponthion.« – »So läßt man sie noch immer nicht nach Metz an den Hof und zu ihrem Knaben?« – »Oh nein! Der böse Bischof von Reims . . .« – »Egidius! Wie kann der liebe Gott doch solchen Priester dulden?« – »Und der gewaltthätige Herzog Gundovald, beide von Fredigundens Zauberkünsten oder Gold bestrickt, beherrschen durch ihren Anhang immer noch Hof und Land. Aber ich hoffe,« schloß er, drohend die Faust erhebend – »ich hoffe, sie haben die längste Zeit geherrscht. Ich schlage los in Bälde.« »Noch nicht, Gevatter, noch nicht,« warnte Arnulf, griff nach der erhobenen Faust, zog sie sanft herab und suchte sie zu öffnen. »Wir sind noch zu schwach. Verfrüht würde der Streich mißlingen und nicht nur uns verderben . . . –«

»Was liegt an mir, kann ich mein Volk erretten?«

»Das Volk dazu würdest du verderben, ihm die letzte Hoffnung auf den Retter nehmen.«

Die beiden Männer in ihrem eifrigen Gespräch bemerkten nicht, daß die Knaben ihre Geschenke beiseite geschoben hatten und nun, auf der Schwelle des Hauses sitzend, dicht aneinandergeschmiegt, mäuschenstill, gierig lauschten auf jedes ihrer Worte: Pippin griff manchmal, wann ihn etwas erboste oder er den Vater zornig werden sah, nach seiner kleinen Streitaxt, die er in den Gurt gesteckt hatte, worauf jedesmal Arnulf sich beeilte, ihn geräuschlos durch Druck der Hand oder durch gelindes Streicheln zu beschwichtigen.

»Du hast – leider – recht. Wie immer!« – »Wie fandest du die hohe Frau?« – »In tiefster Sehnsucht nach ihrem Knaben, aber auch in tiefster Trauer um das arme Volk. Welch' königlicher Geist, welcher Verstand: – wie eines Staatsmannes, nicht eines schwachen Weibes. Und welche Liebe für ihr, für Herrn Sigiberts Land! Trauerschwer, langsam schleichen der hochgemuten Frau diese Jahre hin. Sie ist vereinsamt. Wer bleibt dem Unglück treu? Ihre und Sigiberts treuesten Anhänger sind ermordet.« – »Und Bischof Prätextatus, ihr Freund?« – »Der schreibt ihr oft aus seiner Verbannung. Sie wies mir seinen letzten Brief voll des echt christlichen Trostes – der Entsagung. Sie las mir dann auch ihre Antwort vor. ›Glaubet nicht,‹ schrieb sie ihm, ›daß ich murre wider Gott. Ich ergebe mich in seinen unergründlichen Ratschluß. Glaubet nicht, – ihr warntet davor! – ich rechte mit der Vorsehung darüber, daß jenes Weib in Macht und Herrlichkeit glänzt, an des Gatten Seite, indes ich . . . –! Ich rechte nicht, ich murre nicht. Aber heiß und brennend und bitter fließen in stiller Nacht die Thränen meines Sehnens nach meinem, nach seinem Sohn. Und das Herz blutet mir, seh' ich diesen Adel, den seine starke Hand bändigen wollte, die Krone überragen, das Land in frevlen Fehden zerfleischen, die armen Bauern zertreten. Diesem reichsverderberischen, volkzerstampfenden Adel noch einmal das Königsscepter, das Königsschwert weisen zu dürfen, – das ist, ich gestehe es, der Wunsch meiner Seele, nicht minder stark, als der, meinen Sohn bei mir zu haben, um ihn im Geiste seines Vaters zu erziehen. Denn Sigiberts Vermächtnis galt seinem Volk wie seinem Kind: und ich spüre etwas in mir von seinem Heldengeist, von seinem Eifer für die Königspflicht. Hatte ich doch nur um dieses Kindes und um dieses Volkes von Austrasien willen dem ungeliebten Mann, dem Sohn des Feindes, die unheilbringende Hand gereicht.‹« – – »Es ist gut, Karl, daß du das selbst gelesen in ihrem Brief an einen – andern.« – »Weshalb?« – »Weil er so völlig übereinstimmt mit deinen, mit unsern Gedanken und Wünschen . . . –« – »Und Plänen und Beschlüssen!« – »Daß es sonst aussähe, als wäre es dir nach dem Munde geredet.«

»Immer voll Mißtrauens, Arnulf! – Wahrlich, nicht läßt sie's bei Worten bewenden. Der Heldengeist ihres Gatten ist wirklich übergegangen auf sie. Vor kurzem hatten sich Gundovald und Lupus, der wackere Herzog der Champagne, der dem Hochfärtigen nicht in allem zu Willen, mit ihren Anhängern zu einer Zwiesprach bei Ponthion eingefunden. Aber bald ward die Zwiesprach zum Gefecht: – Pfeile flogen und Speere. Schon lagen Wunde und Tote umher. Plötzlich warf sich die Königin – nahe weilte sie auf dem Hofe Ponthion – mitten zwischen die kämpfenden Scharen, den Helm auf dem Haupte, das Schwert in der Hand; sie schlug dem bösen Grafen Ursio den auf Lupus gezückten Wurfspeer aus der Hand und rief! ›Frevelt nicht, ihr Franken! Zerfleischet euch nicht selbst und damit euer Reich.‹

Wohl schrie sie Ursio an: ›Weiche, Weib! Es genüge dir, daß du deinen Mann beherrscht hast . . . –‹ ›Jetzt aber,‹ fiel Gundovald ein, ›jetzt herrscht dein Sohn, und für ihn gebiete ich. Weiche, daß nicht unsrer Rosse Hufe dich zerstampfen.‹ Und er spornte den mächtigen Hengst gegen sie. Aber sie wich nicht, sie fiel dem Roß in die Zügel: ich sprang ihr bei und wirklich gelang es ihr . . . –« – »Das heißt wohl: – dir!«

Stumm, aber eifrig lachend nickte der kleine Pipin.

»Nein, ihrem weisen Wort, ihrem Flehen gelang es, für diesmal das Blutvergießen zu hemmen. Aber freilich: – auf wie lange?« »Ich lobe sie!« sagte Arnulf. »Und ich glaube nun, sie meint es ernst. So wollen wir denn auch die hohe Frau in unsern verschwiegenen Bund ziehen, das arme Austrasien und das noch elendere Neustrien zu retten. Wir müssen König Guntchramn gewinnen: Burgund, wir Uferfranken und dann die Stämme auf dem rechten Rheinufer: die Hessen, Thüringe, Alamannen, Bajuvaren: – laß doch sehen, ob wir nicht stark genug sind, diese Ränkespinner in Metz zu stürzen und auch Neustrien zu erlösen von jenem Paar, das die Hölle vermählt hat.« »So gefällst du mir, Arnulf,« rief Karl. »Siehst du, auch deine Langmut bricht einmal.«

Pippin hatte die Streitaxt aus dem Gürtel gerissen und den Mund weit aufgethan zu lautem Ruf. Rasch hielt ihm der kleine Arnulf die Hand vor und flüsterte ihm ins Ohr: »Sei doch still! Merken sie uns, hören wir kein Wort mehr.«

»Laß doch sehen,« fuhr der große Arnulf fort, »ob nicht in diese schwüle, von Lastern vergiftete Luft, in dieses ganz verwelschte Leben dort im Süden und Westen ein frischer Wind von Nordosten fahren kann aus Alpen, Schwarzwald und dem Wasgenwald, der säubert, heilt und rettet.« – »Jawohl! Und ist es auch ein Sturm aus Ostnordost, der vieles über den Haufen wirft, was morsch ist, – desto besser! Freund Arnulf, glaube mir: – ich bin in diesem Jahre durch fast ganz Gallien gekommen, bis über die Loire, bis an die Pyrenäen hin: – viel, sehr viel ist faul in diesem Neustrien und Burgund. Aber nicht nur die Unterthanen, auch . . . –« – »Sprich leiser!« – »Bah, bis hierher greift sie nicht, die Mordkönigin. Ist ja niemand hier. Nur unsre beiden Buben: – und schau nur, wie eifrig die dort auf der Schwelle die Heiligenbilder mustern – auch der meine. Wundert mich fast von dem! – Kurz: ich meine, dies Königshaus der Merowingen . . . –« – »Sprich es nicht aus!« – »Herr Sigibert war der letzte, in dem der Ahnen Heldenkraft gelebt. Sein Knabe soll gar schwächlich sein, – er wird nicht alt, meinen die Ärzte. – Guntchramn ist ein dicker, wohlmeinender Schwätzer und Chilperich ist ein schlauer, aber sehr feiger Bösewicht. Das sind die Könige der Franken! Und dazu: – diese Fredigundis!« – »Erzähle! Was berichtet man von ihr? Hat der Tod all ihrer Söhne, diese greifbare Strafe der Heiligen, sie nicht erschüttert?« – »Vielleicht. Aber nur, um alles Böse in ihrem Herzensgrund noch wilder aufzurühren. So furchtbar, so erpicht, so hungrig nach Frevelthat war sie noch nie! Sie hasset alle Glücklichen, zumal Mütter, die stolz auf ihre Knaben sein dürfen. Es ist, als wolle sie ihren Verlust rächen an allen Menschen. Ich glaube lange nicht alles, was man von ihr sagt. Es ist in das Volk der Franken ein tiefes Grauen gedrungen vor der Unholdin: und wo irgend zwischen Wasgenwald und Pyreneus eine unheimliche That, ein rätselhafter Frevel, ein geheimnisvoller Mord geschieht, – da flüstert's bang in Halle und in Hütte: ›Fredigundis!‹ – Herrenlose Verbrechen: – ihr werden sie ohne weiteres zugesprochen. Die Mütter schweigen ihre wilden Buben mit dem Drohwort: ›Fredigundis kommt, die rote Königin ist nah!‹ Das Volk sieht kein Menschenweib mehr in ihr – eine Walandine. Mit Fledermausflügeln soll sie nachts ausfliegen aus dem Palatium, Säuglingen das Blut auszusaugen, aus solchem Blut sich wieder einen Sohn zu zaubern. Junge Bräute soll sie erdrosseln in der Brautnacht, schönen Mädchen fern über Berg und Thal hin die Haare abscheren mit einer Zauberschere, sich selbst zu schmücken. Ihre eigene Tochter soll sie tödlich hassen, weil sie – kein Knabe ist; schon soll sie das Kind haben morden wollen: sie ließ sie in eine Truhe nach goldnen Schätzen greifen und wollte ihr den schweren Deckel auf den Kopf fallen lassen. Der Vater hab' es mit Mühe verhütet. Das mag ja Fabel sein. Aber daß sie Herrn Sigibert ermorden ließ, der starb in seiner jungen Heldenherrlichkeit, dem Frühlingsgott der Ahnen gleich . . . –« – »Aber Karl! Unverbesserlicher! Du sollst ja nicht soviel von den Heidengöttern reden. Sonst kommen sie, diese argen Gewalten.«

Der alte Arnulf schlug ein Kreuz: – der junge Arnulf that ihm das eifrig nach.

»In dem Jahr, seit ihr die Kinder starben, hat sie, im Herzen gehärtet durch Wut des grimmigen Schmerzes, Woche für Woche die Greuel gehäuft. Es sträubt sich das Haar dem Hörer, dem Erzähler.« Er schauerte leise, schüttelte sich und trank einen Trunk aus dem Becher, den ihm der Freund reichte.

Atemlos, mit offenem Mund, unhörbar näher rückend, lauschten die beiden Knaben.

»Kaum waren,« hob Karl von neuem an, »die toten Kinder, unter großem Gepränge, bestattet, in Basiliken zu Paris und zu Soissons, als die Königin selbst schwer erkrankte, – sie fürchtete sehr, zu sterben. Da sprach sie zu ihrem Gemahl: ›Gar viele würden sich freuen, mein' ich, wenn ich stürbe, und lachen. Aber es soll doch geweint werden, wann Fredigundis stirbt. Wie that jener Herodes von Ascalon? Er befahl, daß nach seinem Tode die Vornehmsten der Juden geköpft werden sollten, auf daß groß Klagen sei im Volk bei seinem Begräbnis. Versprich mir, daß du meine geheimen Feinde – ich hab' sie alle aufgeschrieben – tötest, muß ich sterben.‹

Und er versprach es ihr. Aber sie starb nicht. Nun beschied sie die Knaben gar vieler Edeln zu sich – angeblich, wie es auch sonst Sitte ist, zu ihrer Bedienung: der Hof Secura galt aber nun als todbringend: – ›auch andere Mütter sollen weinen,‹ meinte sie. Und wirklich starben einzelne der so zum Hofdienst berufenen Knaben: ob an der Ruhr?

Darauf trug sie alles zusammen, was sie an ihre Söhne erinnern konnte: deren Gewände, – sogar die teueren, seidenen! – Spielzeug, Becher, Schmuck. Aber auch deren Hort: – denn die eifrige Mutter hatte für jeden der Knaben vom Tage der Geburt an einen kleinen Königshort, einen ›Thesaurus‹ angelegt und emsig gemehrt: – von allem eingezogenen Gut von Hochverrätern ward ein kleiner Betrag unter diesen Hort der vier Söhne verteilt. Vier zweispännige Karren brauchte sie, alles fortzuschaffen. Herr Chilperich, zu dessen stärksten Tugenden die Habgier zählt, soll große Augen gemacht haben, über diese heimlich eingehamsterten Schätze. Sie ließ alles verbrennen, die sonst so Raffgierige. Das Gold- und Silbergerät ließ sie umschmelzen im Hochofen, auf daß nichts in seiner alten Gestalt ihr die Knaben ins Gedächtnis rufe. Das könne sie nicht ertragen, – dann ergreife sie ein wilder Rausch der Wut. Denn diese Mutter, so weichmütig sie ist über den Tod ihrer Söhne: – die wahre Äußerung ihres Schmerzes ist doch die Wut der Rache.

Irgend einer ihrer Späher, die sie überall lauschen läßt, trägt ihr zu, ihre Söhne seien vergiftet worden, verzaubert von einem alten Weibe, von der Mutter eines Mädchens, des Türmers Tochter zu Soissons, deren Tod die Königin verschuldet. Was thut sie? Sofort läßt sie die Alte foltern, bis diese alles gesteht, ja gesteht, Chlodovech, der jenes Mädchen geliebt, habe sie dazu angestiftet. Das wird geschwind dem König hinterbracht, der sich über dieses Sohnes Tod noch nicht recht getröstet hatte. Freilich widerruft die Greisin alles, sowie sie von dem Stachelblock losgebunden ist. Es hilft ihr nichts, sie wird an einen Pfahl gekettet und lebendig verbrannt.

Darauf hinterbrachte ihr ein anderer Lauscher, Mummolus, der Graf von Paris, habe nach einem starken Trinkgelag unter guten Gesellen sich gerühmt, er kenne ein Kraut, dessen Absud heile unfehlbar die Ruhr, auch wenn der Kranke schon im Sterben liege. Er hab' es nur der Königin nicht gegönnt. Sofort ward er ergriffen. Gleichzeitig hatte sie alle alten Weiber zu Paris, die das Volk der Zauberkünste zieh, verhaften lassen. Denn sie wähnte ganz fest, durch Zauber seien ihre Knaben getötet. Diese Hexen hieß sie so lange foltern, bis sie alles gestanden hätten, was sie wüßten. Sie wußten nichts, die Armen. Da erfuhren sie, Graf Mummolus sei um dieses Argwohns willen auch gefangen. Nun sagten sie aus: – jawohl, der habe sie bestochen, die Knaben der Königin durch Zauber dem Tode zu weihen, indem durch Vertrag mit dem Höllenwirt deren Lebenskraft dann übergehe auf den Grafen. Die Königin ließ die einen erwürgen, die andern rädern oder lebendig verbrennen. Darauf ward der Graf gefoltert, stundenlang, die Hände gebunden, an einen Pfahl gehängt, dann wagerecht auf den Block gespannt und mit dreisträhnigen Riemen so lange gegeißelt, bis die Knechte ermüdeten.

Aber der tapfere Mann – du kennst ihn, Arnulf? Von den Wendenkriegen! – stieß keinen Schrei aus, gestand nichts: hatte er doch nichts zu gestehen als eine Berühmung im Weinrausch! – Und als die Henker ermattet von ihm abließen, sprach er, ›sagt der Frau Königin, alles was ihr mir angethan, hat mir keinen Schmerz bereitet.‹ Da erschrak dies Weib. Sie rief: ›Nun sieht man, daß er der allerstärkste Zauberer ist, wenn er solche Qualen nicht spürt. Laßt ab von ihm. Er könnte uns verderben.‹ Aber gleich darauf erlag er schweigend seinen Wunden.«

»Ja,« fragte Herr Arnulf, »steht denn kein Rächer auf im Volke? Allzuwild nur üben sonst unsere Franken die Blutrache! – Des Mummolus Bruder, der Marschalk Bertfrid zu Cambray, ist doch ein kraftvoller Mann!« »Und so wie er des Bruders Ermordung vernommen, legte Bertfrid seine Waffen an, ließ satteln und ritt mit seinen Gefolgen nach Compiègne, wo damals das Königspaar Hof hielt; er hatte beim Aufsteigen geschworen, beim Heile seiner armen Seele, den Bruder zu rächen oder zu sterben.

Er drang mit seinen Getreuen bis zum König selbst und schwur vor diesem stolz und drohend er werde nicht ruhen und rasten, bis Chilperich sein Weib wegen dieser That vor das Gericht der Franken stelle. Und Chilperich – er hält nicht stand, der feige Fuchs, sieht ihm ein Mann drohend ins Auge – Chilperich erschrak und versprach, sie vor Gericht zu stellen. Er lud ihn zum Mahle, das schlug der Marschalk aus. Aber als der im Hofe just zu Pferde stieg, trat die Königin selbst, in vollem Schmuck und Prunk, mit ihren Frauen, einen Becher Weines in der Hand heran und sprach, Bertfrid, ob auch ihr Feind, solle ihr doch nicht die Schmach aufbürden, aus dem Königshofe zu reiten, ohne des Königs Gast geworden zu sein; er möge doch diese Weigerung, die schwerste Kränkung für den König, seinen Herrn, aufgeben und einen Trunk von ihr annehmen.«

»Und er trank, der Unselige, der Unsinnige?«

»Er zögerte; da lächelte sie: ›Du traust dem Abschiedstrunke Fredigundens nicht? Wohlan, ich trinke dir zu.‹ Und sie trank vor seinen Augen aus dem Becher, dann sagte sie: ›der Wein ist allzustark für Frauenmund‹ und aus einem kleinen Glase trank sie rasch gleich darauf: – Wasser, wie es schien. Und lächelte und bot nun ihm den Becher. Er aber – sein Falkner sagte mir's, der stand dabei – er hatte die Königin im Leben noch nie gesehen: – er starrte wie in Verzückung auf ihr schönes Antlitz, – nahm und trank. Der Thor! Wie er zum Hof hinausritt, fiel er aus dem Sattel: ›Fliehet, reitet, reitet,‹ rief er noch seinen Gefolgen zu, ›auf daß die Schlange nicht auch euch verderbe.‹ Und voller Entsetzen jagten die andern davon: der treue Falkner aber sprang vom Gaul und hielt seines ächzenden Herrn Haupt in seinem Schos, bis er im Tode verstummte. Fredigundis aber rief frohlockend vor allem Hofgesinde, das zahlreich den Hofraum füllte: ›da sehet, ihr frommen Franken, die Gerichte Gottes! Da sehet, wie Gott aus Einem Becher Leben trinken läßt und Tod. Der ungerechte Ankläger, der eine arme kinderlose Frau verfolgt mit falscher Bezichtung, der trinkt sich das Verderben, während meinen Leib jetzt lang entbehrtes Wohlgefühl durchströmt.‹

»Das ist unglaublich!« staunte Arnulf. »Das ist ja doch nicht möglich.‹ –

»Bei Gott, lehrst du gern, ist alles möglich: sollte nicht auch sehr viel möglich sein bei – dem andern? Ich habe bisher nicht oder doch nur halb geglaubt, daß die Unholdin zaubern kann durch Bundvertrag mit den Untern. Nach diesem Streich, den Hunderte von Menschen mit angesehen, glaub' ich's und mir graut, sprech' ich des Weibes Namen.«

Beide Männer schwiegen: – den lauschenden Kindern sträubte sich leise das Haar.

 


 

Drittes Kapitel.

Nach einer bangen Weile fuhr Karl fort »So lastet wie Albdruck dieser Unholdin Schreckgewalt über dem ganzen Frankenreich. Der vornehme Edeling in seiner Halle zu Soissons, der den Goldbecher zum Munde hebt, weiß nicht, ob er nicht den Tod trinkt aus Fredigundens Hand; der arme Fischer an der Küste der Bretonen, dessen Boot plötzlich der Südsturm in das Weltmeer treibt, nennt den verderblichen Wind ›das Wetter Fredigundens‹; die Winzerin an der Rhone, welche ihren blühenden Knaben auf einmal am Fieber dahin siechen sieht, nennt das Fieber zitternd ›Fredigundensneid‹, jeder Erschlagene, den man im tiefen Walde findet, – von Fredigundens Mordboten gilt er getroffen. Wie eine feuerrote Wolke des Verderbens schwebt sie über den Häuptern des bebenden Volkes: – keiner weiß, ob nicht ihn der nächste Blitz trifft, der tödlich daraus herniederfährt.«

Er hielt inne, erschöpft, tief ergriffen; auch sein Freund schwieg, erschüttert. Die beiden Knaben aber waren leichenblaß geworden: – sie starrten mit weit offenen Augen auf den Erzähler: – ein leises Frösteln rieselte durch ihre Glieder. Als die Hauskatze, die unhörbar herangeschlichen war, mit einem Satz auf jung Arnulfs Schos sprang, fuhren beide Kinder in jähem Schreck zusammen: – Pippin aber griff an seine Waffe. »Ich dachte, sie packt mich, – sie hat mich schon!« flüsterte klein Arnulf. – »Ich auch! Ich wollt' ihr just den Schädel spalten.«

»Das kann, das darf nicht so fortgehen,« rief endlich der alte Arnulf ernst und feierlich. »Wer soll's wenden? Ich wüßte nicht, wer? Noch weiß ich: wie.« – »Der König! Weiß er denn um alle diese Frevel? Ein Mann ist kaum so maßlos, so ruchlos böse wie ein Weib. Und seine Königspflicht! Weiß er darum?«

Karl zuckte die Achseln. »Wer kann das entscheiden! Ich glaube nicht, daß er von allem weiß.« – »So muß man ihm die Augen öffnen, muß es ihm sagen.«

Eifrig nickte jung Pippin Beifall, als ob er selbst bisher mitgesprochen hätte in der Unterredung der Väter.

»Das kostet den Kopf,« meinte Karl ruhig. »Wer wagt es, dies Weib bei ihm zu verklagen, das ihn so völlig beherrscht, seine Sinne berauscht – sie soll schöner werden von Jahr zu Jahr! – und seinen Verstand meistert. Wer bisher gegen sie auftrat von jenem mutigen Chlodovech an, – alle, alle büßten's mit dem Tode.« »Wo weilt er zur Zeit?« »Zu Chelles bei Paris.« »Und sie selbst – sie ist doch eine so fromme Christin . . . –«

Höchst erstaunt riß klein Arnulf die runden Augen noch weiter auf.

»Sie beichtet doch. Daß nicht längst ihr die Absolution versagt, die Ausstoßung aus der Kirche verkündet ist?« – »Man sagt, der ehrwürdige Bischof von Paris, Germanus, habe sie exkommuniziert. Er starb auffallend geschwind. Sein Nachfolger, Herr Ragnemod, braucht viel Geld zu seinem üppigen Leben. Und man flüstert: versagt der ihr gleichwohl die Absolution, so läßt sie kommen Herrn Bertchramn von Bordeaux oder Herrn Egidius von Reims, die beide ganz in ihrer Schönheit Netzen liegen sollen.« – »So sollte kein Bischof, kein Abt ihr Gewissen erschüttern, sie zur Reue bringen können? Wahrlich, das wäre ein Versuch, den die Heiligen segnen, unterstützen müßten.«

»Freilich, freilich,« flüsterte klein Arnulf vor sich hin.

»Man müßte ihr« – fuhr dessen Vater fort – »aber aus einem reinen unbefleckten Herzen, das für sich keine Vorteile sucht! – man müßte ihr einmal im Namen der Heiligen tief ernst in das Gewissen reden, ihr sagen, daß die Heiligen die Gaben aus ihren blutigen Händen verschmähen. – Fände sich nur eine reine Seele, opfermütig bis in den Tod . . .« – Karl schüttelte das Haupt: »Das freilich gehörte dazu! Nicht lebend käme der Bekehrer von ihrem Hofe hinweg.« – »Wer weiß, ob nicht die Heiligen durch den Mund gerade eines Schwachen ein desto stärkeres Wunder thäten und die Sünderin plötzlich bekehrten, wie Paulus auf dem Wege nach Damaskus.« – »Gott mag's also fügen! Denn unerträglich ward dies Joch der Schrecknisse. Wüßte König Chilperich, was Männer wie du und ich und andere wackere, zumal auch drüben überm Rhein, geheim im Herzen zu planen gezwungen sind: – wenn's nicht bald besser wird, das ganze Königshaus zu stürzen, – vielleicht brächte es ihn doch dazu, seiner Königin zu wehren. Denn schon grollen schwer die Herzöge da drüben: Irnfried, der Thüring, Lantfried, der Alamanne, auch die mächtigen bajuvarischen Agilolfinge: sie und ihre Vater haben sich den Merowingen gefügt als siegreichen Heldenkönigen: – von einem bösen teuflischen Weib aber oder von einem Knaben, in dessen Namen ein paar ruchlose Höflinge befehlen, werden sie sich, glaub' ich, nicht lange mehr beherrschen lassen. Es gärt, es grollt, es brütet unter allen Stämmen, die noch nicht verwelscht sind, von der Marne bis an die Donau, von der Maas bis an die Unstrut. Finden sie ein Haupt und einen Arm, denen sie vertrauen, dann werden sich diese Starken nicht mehr beugen des großen Chlodovech entarteten Enkeln.« – Stolz, mit leuchtenden Augen sprang der Kräftige auf. »Karl,« mahnte der andere, sich langsam erhebend, »birg deine Gedanken in tiefster Brust. Gut, daß dich niemand hörte, als ich.«

Jung Pippin aber und jung Arnulf tauschten bedeutungsvolle Blicke: warnend hob klein Arnulf das Fingerlein gegen den ungestümen Freund.

»Übrigens,« fuhr Karl fort – »hat wirklich der Verlust aller Söhne das Gift dieser roten Otter um soviel tödlicher gemacht, – vielleicht nimmt ihre Wut nun wieder ab, wenn . . . –« – Was meinst du?« – »Ich begreife die Heiligen nicht immer.« – »Gewiß nicht! Drum muß man glauben und blind vertrauen! Aber Demut ist nicht deine stärkste Tugend, mein Karl.« – »Der Donner schlag' in die Demut, wenn die Heiligen so ungerecht walten! Gar manche wackre Frau harrt umsonst auf Mutterglück und diese böse Katze kitzt so oft, daß man jeden neuen Wurf ersäufen sollte. Sie erwartet schon wieder ein Junges. Die Heiligen müssen an diesem Gewächs starke Freude haben, daß es so viele Früchte trägt.«

»Lästre nicht, Karl! Vielleicht, wie du andeutest, ist es ein Knabe und ihre Wut läßt nach.« – »Wenn die Heiligen so schwach sind, daß sie eine Teufelin nur mildern können, indem sie ihr den Willen thun, dann bin ich lieber, denn ein Heiliger im Himmel, ein Mann auf Erden: – ich thät's nicht!«

Pippin nickte so eifrig mit dem Kopf, daß klein Arnulf sich im Gewissen gedrungen sah, ihm einen erheblichen Schlag mit dem Heiligenbüchlein auf diesen Kopf zu geben, während gleichzeitig sein Vater seufzte: »O Karl, mein Gevatter! Allzuviel Heidentum steckt noch in dir. Das kommt von den vielen alten Sagen und Liedern, die du dir von jedem Harfner, der des Weges zieht, vorsingen läßt.«

»Ich habe nun eben meine Freude dran. Mein Kämmerer kann schreiben; er hat mir schon gar manche Sage aufzeichnen müssen aus dem Munde der Harfner.«

»Erwisch' ich diese Sammlung,« drohte Arnulf, »so werf ich sie ins Feuer. Und wirklich morgen schon willst du, kaum von Metz eingetroffen, wieder fort?«

»Es muß sein! Ich erwarte heute noch einen Boten vom Grafen Lupus von Champagne. Er hat mir schon zu Metz sagen lassen: vielleicht sei der Apfel reif zum Fall. Es ist etwas im Werk: mit Guntchramn von Burgund und mit Frau Brunichildis gegen Gundovald: – noch weiß ich Näheres nicht. Die Beschlüsse sollen erst gefaßt werden, – wann gewisse Briefe eingetroffen.« – »Wo?« – »Auf einer geheimen Zusammenkunft, bei der du, Arnulf, nicht fehlen darfst,« – »Ich werde nicht fehlen, – schon um zu mäßigen und zu warnen.« – »Allein auch falls ich, falls wir beide nicht zu jener Beratung aufbrechen: – ich muß doch fort!«

»Wohin?« – »Ins Feld! Du weißt, der tapfere Graf Landerich, der vor Jahren aus Chilperichs Reich in Sigiberts Dienste trat . . . –« – »Jawohl, durch wackere Thaten schwang er sich noch gar jung zum Grafen auf.« – »Er ward – vor vielen Wochen schon – schwer verwundet von einem Avarenpfeil und ging, Genesung zu suchen, in seine alte Heimat bei Rouen. Seitdem dringen diese greulichen Wölfe im Bunde mit ihren lieben Helfern, den Slaven . . . –« – »Ja, die wimmeln und stehlen wie die Ratten! Diese Art meiner Nächsten – verzeih mir's Gott! – kann ich nicht lieben wie mich selbst.« – »Beim Donnerhammer! – Nichts da, Sankt Dionysius! – Zu diesem Wunsch gehört der rotbärtige Ahnherr meines Hauses.« – »Aber Karl!«

»Siehst du,« flüsterte Pippin mit einem Rippenstoß dem kleinen Arnulf zu, »siehst du? Ich habe recht! Vom Donnergotte stammen wir.« – »Vom Donnerteufel, sag'. Sei still und horche!«

»Mit einem Axtstreich möcht' ich sie all' verschlagen!« rief Karl. »Sie dringen nun so frech über unsere Ostmark, daß sich der Bajuvarenherzog, der greise Garibald, ihrer kaum erwehren mag. Er ließ mich bitten, eilends an Landerichs Statt neben ihm den Grenzschutz zu übernehmen.« – »Da mußt du freilich ziehen. Und Sankt Martinus möge dich beschirmen.« – »Ja, wohl der Siegspender mit Mantel und Speer!«

 


 

Viertes Kapitel.

Am andern Morgen ganz früh – mit Tagesanbruch war Herr Karl mit wenigen Gefolgen hinweggeritten – glitt Pippin, nachdem er auch vom Wipfel des hohen Eichbaumes aus des Vaters Helm nicht mehr zu sehen vermochte, an dem Stamm herunter wie ein Eichhörnchen, schritt voll Eifers über seinen Hof, öffnete die Pforte in dem Pfahlgeheg der Hofwehre und lief durch den Baumanger, der daran sich schloß, hügelabwärts auf die Haselhecke zu, hinter welcher das Land und das Haus der Arnulfingen lag.

Erstaunt blieb er plötzlich stehen; er sah Arnulf durch die Heckenlücke schlüpfen und ihm hurtig entgegenlaufen, viel schneller, als des Rundlichen und Behäbigen Gewohnheit war.

»Arnulf! Dick Bischöflein! Schon wach? Ich wollte warten, bis du herunterkämst. Bist sonst nicht ein Frühauf.« Aber Arnulf machte ein sehr ernstes Gesicht und sprach: »Ich wache schon seit der ersten Hahnenkraht.« »Ich auch,« erwiderte Pippin. »Ich hatte nämlich einen Traum.« – »Ich auch,« – »Oder vielmehr! ein Traumgesicht.« – »Eine Traumerscheinung: – ich auch.« – »Nachdem sie verschwunden war . . . –« – »Konnte ich nicht mehr einschlafen,« – »Und der Heilige . . . –« – »Der mir erschienen, der heilige Martin hat mir einen Auftrag, auch an dich, gegeben.« – »Die heilige Jungfrau und Sankt Petrus wollen, daß du mich begleitest.« –

Da schwiegen beide Knaben.

Schauer frommer Ehrfurcht durchrieselten sie: sie erbleichten beide und sahen sich mit großen Augen an: sie fühlten, daß ihnen beiden die Himmlischen genaht waren. Leises Grauen, aber doch auch süßes, vertrauensseliges Ahnen, eine heilige Wonne, wie sie nur der feste Glaube reinen, jugendlichen Herzen gewährt, erfüllte ihr ganzes Wesen mit überschwenglicher, mit verzückender Seligkeit: sie zitterten: Thränen traten ihnen in die Augen.

Arnulf fand zuerst die Sprache wieder: »O, lieber Bruder, hier ist ein Wunder –! Ein Doppelwunder ist geschehen! – An uns thörichten Kindern ward solche Gnade des Himmels offenbar! – O laß uns knieen, anbeten und danken.«

Und beide sanken in das tauige Gras der Wiese: – sie waren ganz allein, kein Mensch war so früh bei der Arbeit auf dem Felde – und in die frische, kühle Morgenluft empor stieg der Schall der hellen, reinen Kinderstimmen.

»Lieber Himmelsherr,« betete Arnulf, »und du, Jungfrau Maria da oben über jenem Goldgewölk: – ich danke euch, wir danken euch auf den Knieen für eure Gnade, eure Wunderthat an uns.«

»Ja,« rief Pippin lauter, fester: seine Stimme zitterte nicht, wie die seines älteren Freundes – »ich danke dir, Sankt Martinus! Und höre mein Wort, meinen Schwur: ich erfülle dein Gebot – oder ich sterbe darüber. Nicht kehr' ich zurück zum Vaterhaus, bis ich die That gethan.«

Arnulf sah ihn freudig an: »Du Wackerer: – das war dein tapferer Mut –! Wohlan: ich will nicht hinter dir zurückstehen! Höret auch mich, Jungfrau Maria und Sankt Petrus mit dem Schlüssel: ich schwöre wie er: – ich erfülle euer Gebot oder sterbe dabei: nicht kehr' ich zurück zu dem lieben Vater, bis die That gethan. – Siehst du, Pippin? Siehst du nicht? – Immer goldiger goldig wird das Gewölk über uns: – dort ist gewiß der Himmel offen und die Herrlichkeit Gottes leuchtet daraus hervor. – Siehst du nicht daraus winken, sich neigend, eine weiße Gestalt?«

»Nein,« antwortete Pippin ehrlich und sprang auf, »Seh' nichts als Wolken. Nun aber höre . . .« – »Nein, höre du!« – »Nein, ich will reden. Du – du machst es wie der Pfarrer in der Predigt: – hörst sobald nicht auf, wann du einmal angefangen. Also. – Solang ich lebe – und das ist doch nun schon sehr lang! – hat mir nicht Sang noch Sage das Herz so pochen gemacht wie gestern, was der Vater erzählte von dem schönen bösen Weibe.« – »Und von des armen Volkes großer Not: Und wie keiner von den Großen des Reiches helfen könne oder wolle. Wie . . . –« – »Wie aber doch wohl geholfen werden könne, wenn einer ein reines Herz habe . . . –« – »Und einen kühnen Mut. Und schon wie das gesagt ward, dacht' ich: ›Mut hätt' ich wohl. Wenn ich nur wüßte, was thun?‹ Und den Abend über brachte ich das Grauen nicht aus mir: – ich ließ sogar den kalten Hirschbraten stehen und trank nur die Milch; denn ich war ganz heiß.« – »Und ich betete nach dem Abendsegen noch lang zu Sankt Peter und zur heiligen Jungfrau, daß sie das Frankenvolk erretten möchten von diesem argen Königspaar.« – »Ich – ich vergaß – leider! – das Abendgebet vor lauter Gedanken an die Not der Franken. Und ich mußte mir immer wieder vorsagen des Vaters Spruch, ›des Helden höchster Hort und sein Stolz ist sein Stamm: freudig fällt er für sein Volk . . .–‹« – »Du, du! Aber den Nachsatz sage nie mehr. Er ist heidnische Sünde.« – »Aber so schön! ›Daß er in Walhalls Wonnen erwache!‹ – Weißt du, was das bedeutet? Nein? Ich auch nicht. Aber schön klingt's, hat auch der Pfaff von Trier große Fasten darauf gesetzt, wer's sagt.« »Pippin, du mußt nun fasten!« mahnte Arnulf ernstlich und hob den Zeigefinger. »Fällt mir gar nicht ein! – Hab's ja nur dir zur Erinnerung gesagt! – Also: und zuletzt dachte ich mir noch, wenn mir Sankt Martinus, unseres Hauses Schutzherr, nur sein grauweißes Roß leihen wollte, das durch Wolken und Lüfte sprengt, und seinen Speer: – ich würde Herrn Chilperich schon finden. Und so schlief ich ein.« – »Ganz ähnlich wie ich. Nur daß ich vorher ordentlich betete. Und alsbald erschien mir im Traum . . . –« – »Nein! mir erschien im Traum Sankt Martinus, ganz wie er in deinem Heiligenbuch gemalt ist: auf weißem Roß, den Goldhelm auf dem Haupte, mit dem wehenden, grauen Rauschebart, den dunkelblauen Mantel um die Schultern und den Speer in der Hand: ›Steh' auf,‹ sprach er, ›mein Sohn! Dich hab' ich auserkoren zu großem Werk. Zieh deines Vaters Weißroß, Wittchen, aus dem Stall‹ – du weißt? auf dem ich am liebsten reite! So gut kennt er meine Neigung, der liebe Schutzherr! – ›und reite auf und davon. Deinen Freund Arnulf nimm mit dir: – denn er ist klügern Rates voll als du.‹« – »Hat er das wirklich gesagt?« fragte Arnulf eifrig. »Nun, da siehst du's!« – »Hinter dir soll er sitzen und dir nicht widersprechen in der Wahl der Waldwege: denn solches verstehst du am besten.‹« »Nun ja!« meinte Arnulf, ziemlich geringschätzig.

»Und nicht ruhen sollst du, bis du den schlimmen König, Herrn Chilperich, findest und sollst zu ihm dringen durch Wasser und Wälder, durch Turm und Thor, unaufhaltbar, und sollst zu ihm sprechen, triffst du ihn allein oder inmitten seiner Gewaffneten: ›Höre mich, Herr König! Denn Sankt Martinus, der mir im Traum erschienen, sendet mich zu dir. Ich soll dir aufdecken alle Frevel‹ – hier zitterte leicht die helle Knabenstimme – ›deines üblen Weibes Fredigundis, die sich das Frankenvolk erzählt, und soll dich warnen: der Speer Sankt Martinus ist wider dich gezückt! Siehe, schon fliegt er gegen dich und dein Geschlecht. Vermorscht ist euer Haus! Alle Völker des Nordens werden sich erheben wider dich. Von Ostnordosten, von den Alpen, vom Schwarzwald und vom Wasgenwald wird ein Sturm wehen und niederwerfen wird er euern Thron.‹ So sollst du sprechen. Nun eile, Pippin, denn es drängt die Zeit.‹ Und er verschwand, davonsprengend auf seinem Weißroß, durch die Wolken.« Der Knabe schwieg: sein Auge loderte in Begeisterung: er riß die kleine Streitaxt aus dem Gürtel: »Ich aber, ich sterbe, oder ich vollbring's!«

Mit atemloser Spannung hatte Arnulf ihm gelauscht. Nun faßte er Pippins Hand und sprach feierlich: »Hier wäre Zweifel Sünde. Denn höre nun, was mir im Traum gefügt ward. Mir erschien die heilige Jungfrau – wunderhold war sie zu schauen – etwa wie deine Schwester Berahta, nur noch viel, viel schöner! – vom goldnen Haare ganz den himmelblauen Mantel überflutet – und seltsam: einen blauen Häherflügel trug sie im Gelock! – sie schwebte auf Gewölk dicht an mein Lager. – An ihrer Seite aber schritt Sankt Peter im weißen Langbart, den großmächtigen schweren Himmelsschlüssel in der Hand. Und der Heilige sprach zu mir: ›Steh auf, mein Sohn! Dich hab' ich auserkoren zu großem Werk. Deinen Freund Pippin nimm mit dir: – denn er ist rascher mit der That als du; und ihr gehört zusammen wie Seele und Leib.‹ Sankt Petrus aber fiel ein: ›der Leib aber soll der Seele dienen immerdar.‹ ›Wie der Graf,‹ fuhr die Jungfrau fort, ›dem Bischof folgen soll.‹«

»Das hat sie gesagt? Wirklich? – Was versteht so eine Jungfrau vom Grafenamt!«

»Petrus nickte dazu mit dem Kopf; ›und nicht ruhen sollst du,‹ sprach die Heilige, ›bis du die Königin Fredigundis gefunden hast, und sollst zu ihr dringen durch Wald und durch Wege, durch Thor und durch Turm und sollst zu ihr sprechen, triffst du sie allein oder inmitten ihrer Frauen: ›höre mich, Frau Königin. Denn die heilige Jungfrau mit Sankt Petrus, die mir im Traum erschienen, senden mich zu dir. Ich soll dich warnen: kehre um auf deinen bösen Wegen. Bereue, büße, bessere dich.‹ ›Siehe, – sollst du sprechen:‹ fiel der Heilige ein, – ›Sankt Peter hebt drohend gegen dich den heiligen Schlüssel: nie thut er dir die goldne Pforte auf, wirst du nicht von Stund' an eine andre und büßest, allem Glanz entsagend, deine Frevel in stiller Klosterzelle.‹ Sprach's und faßte die Hand der Gottesmutter, die sich noch gar lieblich zu mir neigte, und führte sie hinweg von meinem Lager. Ich aber erwachte mit hochklopfendem Herzen und konnte nicht mehr einschlafen und konnte kaum erwarten, bis es tagte, auf daß ich dich aufsuche. O, Freund Pippin – Großes ist an uns geschehen: wir wollen's verdienen: – durch Gehorsam.«

»Gewiß,« rief Pippin, »und durch Kühnheit! Ich will's ihm schon deutlich sagen, dem bösen Chilperich. Und ich kann reiten ohne weiteres – mein Vater ist fern! – Ich kann ihn gar nicht fragen – mein Mütterlein, wie deines, ist lange tot: – und die Schwestern haben mir nichts drein zu reden. Aber du? – Dein Vater läßt dich gewiß nicht fort, sagst du es ihm: denn gefährlich ist es wohl ein wenig.«

»Drum sag' ich's ihm gar nicht.«

»Höre du, ist das recht gethan? Du weißt doch, wüßte er's, – er litt es nicht.«

»Das hab' ich mir hin und her gesagt in bangen Zweifeln, da ich mich viele Stunden schlaflos wälzte. – Aber ich hab's zuletzt ausgefunden. Ich muß gehen. Die Heiligen wollen's. Zu bloßer Kurzweil wahrlich geh' ich nicht: – vielleicht in den Kerker, in den Tod. Sag' ich's, kann ich nicht gehen. Er sperrt mich ein. Also darf ich gehen, ohne es zu sagen.« – »Aber du sollst doch thun nach deines Vaters dir bekanntem Willen: – du kennst ihn ohne Frage.« – »Gewiß. Gott gebietet: ›geh!‹ Ein Mensch – ob auch mein Vater, – gebietet: ›bleibe!‹ Also geh' ich: Denn: ›man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.‹«

»Eia, Arnulflein, du findest doch stets ein Schriftwort, wie du's gerade brauchst. Manchmal mein' ich, du bist schon Bischof von Metz, wozu dich ja die Muhme auferzieht. Also: wir reiten! Sofort! Geh zurück und rüste dich zur Fahrt. Die Knechte sind noch nicht an der Arbeit. Ich führe Wittchen aus dem Stall. Im Erlenbusch, dort, wo die große alte Straße nach Westen zieht, erwart' ich dich. Und alle guten Wegeholdlein . . .–« – »Pfui! Der Engel, der Tobias geleitet hat, sei unser unsichtbarer Pfadgesell.«

 


 

Fünftes Kapitel.

Der Abend fand die beiden Knaben schon ziemlich weit von der Heimat.

Sowie der kühne Ritt begann, hatte Pippin die Leitung mit sichrer Hand übernommen; so willig er sonst wohl dem Reiferen sich fügte, – hierbei duldete er keine Einsprache und Arnulf erkannte auch bald, wie viel geschickter jener alle auftauchenden Schwierigkeiten angriff.

In den ersten Stunden hatte Pippin den gewöhnlichen offenen Weg, die vortreffliche Römerstraße eingehalten, die, immer noch wohl erhalten, von Trier über Verdun und Châlons an der Marne nach Paris führte. Und in diesen ersten Stunden mußte Wittchen, die starke Stute, welche die leichte Last kaum spürte, weidlich laufen; der kleine Reiter schonte Sporn und Gerte nicht. Aber um Mittag etwa lenkte er von der Heerstraße ab in einen Waldpfad.

»Warum?« fragte Arnulf. »Hier kann das Roß lange nicht mehr so gut ausgreifen. Der Weg ist schlecht, die Zweige hängen links und rechts herein.«

»Warum?« wiederholte Pippin; er holte eine Kürbisflasche unter dem braunen Mantel hervor. »Das ist doch klar. Da trink' – aber nicht zu viel auf einmal – 's ist von dem starken Jungwein: sonst fällst du mir herunter dahinten. – Die ersten Stunden wurden wir nicht vermißt: – da konnte ich's wagen, auf der offenen Straße zu reiten, um rasch recht weiten Vorsprung zu gewinnen. Aber wenn ich beim Mittagessen fehle –, das ist wider die Natur! Da fangen sie an, zu suchen. Zunächst suchen sie mich bei dir. Fehlen wir beide, – so geht nun erst recht ein eifrig Herumstöbern los.« »Mein armer Vater!« seufzte Arnulf; »aber er wird sich schon . . . –!« – »Höre Bischöflein, jetzt werde mir nicht weichmütig! Du hast dir's ja vorher zurecht gelegt in deinem klugen Gewissen.« – »Ja, wohl. Aber doch!« – »Jetzt giebt's kein Aber mehr! Ich lasse dich nicht mehr umkehren: – da kämen sie bald auch mir auf die Spur! Hiebe setzt es freilich, – tüchtige! – haben sie uns erst wieder. Aber vorher muß doch unser Werk vollendet sein. Alsbald werden sie auf allen Straßen uns nachsetzen – sie wissen ja nicht, wohin wir uns gewendet haben! – Natürlich reiten sie auf den großen Heerstraßen; denn auf allen Seitenwegen können sie doch nicht folgen. Bald können sie nun so weit sein, daß sie uns auf der offenen Straße sehen würden. Daher jetzt: in den Busch! Sowie es dunkel ist, reit' ich wieder was Wittchen laufen kann auf der Breitenstraße.« – »Ein Glück, daß dein Vater den Aufenthalt des bösen Paares nannte. Wie wirst du aber den Weg finden bis nach Paris? Das ist weit.«

»Kinderleicht! Immer nach Westen! Immer geradeaus! Auch fragt man die Leute auf der Straße.« – »Es sind aber viele Flüsse. Wie kommen wir darüber?« –»Teils auf Brücken. Die Herren Könige halten die gut im stand; denn sie erheben fleißig Brückenzoll.« – »Heilige Jungfrau! Und wir haben kein Geld!« – »Doch, doch. Einen ganzen Haufen! Horch, wie das klingt.« Und er schüttelte eine Ledertasche, die ihm am Gürtel hing. »Um Gott, Pippin! Woher? Du hast's doch nicht . . . –?« »Gestohlen?« lachte der andre. »Bei Leibe! – Pfui, Wittchen, nicht scheuen! Siehst du denn nicht? Es war nur ein Reh, das knackend durch die Büsche brach! – Ich fand neulich, im Walde, auf der Fuchsjagd – der Bau hatte eine gar so weite Mündung, fiel mir auf, schürfte eifrig nach – tief vergraben, ein ehernes Gefäß, halb verrostet und zerbrochen, und darin so viele Gold- und Silbermünzen – einen ganzen Helm voll! Ich zeigte sie gestern gleich dem Vater. Der schenkte mir den ganzen Fund: – so ist's mein wohlgewonnen Eigen. – Er sagte mir, das sei viel besseres Geld als heutzutage geprägt werde; also müssen die Leute ja froh sein, zahlt man damit. – Jetzt weißt du was? Nun machen wir Mittag. Wittchen muß rasten. Und ich bin auch hungrig. Und an diesem klaren muntern Waldbach wird sich's lieblich liegen. Hop, Bischöflein, Hop!«

Er sprang rasch herunter und gab Arnulf die Hand, der sich schon langsam herabgleiten ließ. – »So, Wittchen,« sprach Pippin und band das Roß mit einem langen Strick, den er aus der Satteltasche zog, mit einem Hinterfuß unten an einen schmalen Erlenstamm. »Besseres Futter als dieses duftige Waldgras hat das Roß des wilden Jägers selber nicht.«

Arnulf bekreuzte sich: »Schweig doch von dem! Hier! Mitten im Wald!« »Ich fürcht' ihn nicht,« lachte Pippin. »Er soll den Mutigen hold sein. Komm! Nimm! Kalten Hirschbraten! Meine Schwester Berahta, die viel Sparsame, die strenge Hausfrau, die wird schelten, findet sie die große Fleischschüssel in der Speisekammer leer. Ha, ich möcht' ihre großen Augen staunen sehn,« lachte er. »So nimm doch und iß!« – »Danke.« – »Hungert dich denn nicht?« – »O ja! Beträchtlich!« – »Nun, aber . . . –?« »'s ist Feiertag heut'. Da eß ich kein Fleisch.« – »Was? Was?« – »Ich hab' es dem heiligen Petrus versprochen.« – »Was hat jetzt der davon, wenn dir flau im Magen wird?« – »Das verstehst du nicht, Weltkind.« – »Aber das versteh' ich, daß du mir nicht vor Hunger vom Sattel fallen darfst.« – »Hui, sah'st du da im Bach die Forelle huschen?« rief Arnulf eifrig.

»Jawohl! Da! Noch eine! Ein ganzes Rudel . . . –!«

»Jetzt ist mir schon geholfen! Hamen und Schnur trag' ich immer bei mir. – Rasch! Hilf mir dort die schlanke Erle biegen! Das Weidmesser her! – Ein herrlicher Angelstock! Flugs bind' ich die Schnur daran. Fang Heuschrecken, Pippin. Bücke dich! Tummle dich! Und dort die Mücken mit dem langen blauen Leib. Darauf beißen sie am besten. Eile dich! Fang! Schnell! Fang!«

Pippin that's, im Schweiße seines Angesichts den Heuhupfern und Fliegen nachspringend, bis er keuchte. Als er mit einer Handvoll zurückkam, lagen schon zwei Forellen zappelnd auf der Waldwiese. »Rasch, Pippin, gieb frischen Köder! Und schlage Feuer. Da! In meiner Tasche sind Stein und Zunder. Hui! Schon wieder eine! Welch' große! – Geschwind! Neuen Köder her! Und schneide vier spitze Weidenstäbe. Und fülle Wasser in deine Sturmhaube. Und blase in die Glut.« –

»Höre,« sagte Pippin und stemmte beide Arme in die Hüften: »Nichts kannst du doch so prächtig als befehlen!« – »Besser als du gehorchen! – Brennt noch nicht? Da, Nummer vier! Die beißen!« – »Hör' auf und hilf mir kochen. Es ist ja genug. Aber freilich: ich vergaß! Du bist ja ein gewaltiger Fischer. Du hast die Geduld dazu und das stille, behutsame Wesen. Mir ist's zu langweilig. Ich jage lieber. Du aber bist . . . –«

»Erst Forellen fischen – später Menschen! Mein Schutzherr war auch Fischer und hat es so gemacht. Von einem heil'gen ›Jäger‹ hab' ich noch nie gehört.«

»Aber desto mehr vom wilden . . . –« – »Schweig, sag' ich! Da rauscht schon was durch die Wipfel.« Scheu, geduckt sah er empor. »Am Ende –!« – »Ein Reiher ist's, den wir von seinem Fischplatz verscheucht. Ein glücklicher Angang wegfährtigem Mann.« Bald waren nun die Fische gesotten, die den Hungrigen trefflich mundeten; auch die Kürbisflasche ging hin und her.

»Ich sage dir,« sprach Pippin, »die Geschorenen hätten's gar nicht nötig, die alten Götter so gar schlecht zu behandeln.« – »Sind üble Wichte, allzumal, sind Dämonen: Frau Berahta und Frau Vrene. Und der Sassenot der Ostfalen und der Schwertherr der Schwaben und die Hollefrau der Thüringe und die drei Jungfrauen der Bajuvaren. Und der rote Donnerteufel und vor allen: der wilde Herr Wotan.« – »Ei, du kannst sie aber gut auswendig!«

»Gewiß. Wir lernten in Trier bei der Muhme eine Formel, ihnen allen abzusagen.« – »Schon recht. Aber am Ende der Dinge, wann Not an Mann geht, dann werden deine unwehrhaften Heiligen recht froh sein um die vertriebenen Althelden. Denn außer Sankt Martin mit Mantel und Speer sind sie nicht große Kämpfer, die Heiligen.«

»So? Und Sankt Georg? Und Erzengel Michael? Übrigens, was braucht's da viel kämpfen? Sankt Peter hebt den Schlüssel und zaubert alle Feinde tot.« – »Ja, wenn's wahr wäre! Aber es geht nicht ohne Fechten. Ein alter Harfner – sei ruhig! er ist getauft, kein Heide, er kam aus Bajuvarenland, – hat mir erst neulich vorgesungen in der Halle das Lied vom Mudspilli, am Ende der Dinge, wann die Sünde der Menschen überhand genommen, himmelschreiend.« – »Du! Am Ende ist's schon so weit? Kann noch Ärgeres geschehen als geschieht von dem bösen Paare, wider das wir ausgesandt sind?« – »Das wäre recht! Da erlebt ich ihn und föcht' ihn mit, den großen Kampf! Also: da wird der Antichrist auf Erden herrschen und Kirchen und Klöster verbrennen und die Frommen verfolgen. Da wird der Himmelsherr – der neue – Elias auf die Erde senden mit vielen tausend Engeln, die Frommen zu erretten und den Antichrist und die Teufel alle zu besiegen. Und wird da entbrennen der allergrößte Kampf. Denn die Teufel werden die Altriesen losbinden, die lange gefesselt lagen: den Höllenhund, und den großen Drachen in dem Meersee. Und viele andere. Und werden die Feuerriesen Flammen schleudern über die ganze Welt: – es brennt da die alte Erde, in Lohe glüht der Himmel, die Gewalt des Feuers fährt über die Menschen, da mag nicht Freund dem Freunde helfen vor dem Feuer, wann der breite Glutregen alles verbrennt. Elias – wer mag der Degen sein?« – »Er fuhr auf feurigem Leiterwagen gen Himmel.« – »Er und der Antichrist kämpfen Mann gegen Mann. Elias tötet den Feind, stirbt aber selbst an seinen Wunden; und nun gewinnen Riesen-Wolf und Riesen-Wurm die Überhand; die Englein weichen. Da gedenket der neue Himmelsherr des alten Himmelsherrn, den er vermöge seiner stärkern Zaubermacht in einen hohlen Berg entrückt hat mit seinen besten Helden. Und er gedenkt, wie der alte Himmelsherr mit den Seinen weiland jenen Riesen so heldenhaft widerstritt. Und er entsendet einen Engel, der bläst in ein gellendes, gellendes Horn; auf springt der hohle Berg, auf fahren zu ihren Waffen die Althelden: – nicht tragen sie es nach dem neuen Himmelsherrn, daß er sie gestürzt und solange gefangen gehalten, treu wie Heiden sind und großgemut. Und wie sie die alten Feinde sehen, den Wolf und den Wurm, da entbrennt ihnen neu die alte Kampfeswut: und sie fahren heraus von dem Berg mit all' ihren tapfern Gesellen in die Riesen; und der alte Himmelskönig mit Mantel und Speer – ganz wie Sankt Martinus: wie mag das kommen?«

»Er hat sie vermutlich dem Heiligen gestohlen,« meinte Arnulf trocken.

»– Erlegt den Höllenwolf und der Donnerherr erschlägt mit dem Steinhammer den Meerdrachen und die Engelein fassen sich nun wieder ein Herz und endlich werden alle Unholde erschlagen. Und oben, über dem Regenbogen, sitzt neben dem neuen Himmelsherrn, versöhnt und ohne Groll, der alte Himmelskönig und neben Elias, der auch wieder da ist, sitzt der Donnerherr und neben dem Herrn Christus Paltar, der aufersteht von Hel Jahr für Jahr, wann Frau Ostara in die Lande zieht; und sie reden beide davon, wie schaurig es war unter der Erde. Und Michael und Ziu, der Schwertherr, vergleichen ihre guten Klingen und prüfen im Wettkampf, welche die bessere sei und hauen sich dabei wackre Wunden. Die Jungfrau Maria und Frau Berahta führen, abwechselnd waltend, die himmlische Wirtschaft: bald giebt es Manna, bald Eberbraten. Und die Seelen all' der tapfern Althelden, die neben den Engeln gekämpft im letzten Kampf, sind erlöst aus der Entrückung und teilen fortab der Seligen Halle.«

Arnulf sprang auf und griff sich eine neue Forelle aus der Sturmhaube. »Du, der Harfner aus Bajuvarenland, der das gesungen hat, – der war verrückt.«

»Ein wenig, ja. Mir schien es auch. Es sind ihm die Alten und die Neuen durcheinander gekommen. Er lebt unter den Neuen und kann von den Alten nicht lassen. Aber gefallen hat mir's doch, weil's so wild dabei hergeht.«

»Man muß nicht glauben,« sprach Arnulf, mit vollen Backen essend, »was im Munde der Leute lebt von solchen alten Geschichten; ist meist nicht wahr! Das hab' ich jüngst erfahren an deiner Schwester Berahta; du weißt: ich spielte von je mit ihr am liebsten unter allen Nachbars Kindern, das heißt: unter den Mädchen; sie hört so gut zu, erzähle ich ihr die Heiligengeschichten, die ich gerade erst von der Muhme zu Metz gelernt. Biltrud nun, mein junges Bäslein, trägt lange schon darüber Eifersucht. Und vor Monden, als wir uns wieder einmal ein wenig gestritten hatten, Biltrud und ich: – es war, als Frau Ostaras Häsin die roten Eier gebracht hatte, wie die Heiden sagen: aber es ist nicht wahr: die Hühner legen sie, die Schaffnerin färbt sie und die Kirche weiht sie: – da rief Biltrud ganz giftig: ›Ei ja, schenke doch nur all' deine Eier der blonden Berahta! An der hast du ein sauberes Gespiel! Hat einen Plattfuß, einen Schwanenfuß, wie alle Mädchen von jener Sippe. Ein Erbstück ihrer Ahnin, die eine heidnische Wasserminne war, ein übles, siegzauberndes, schwanenflügliges Weib.‹ Ich sagte, nein. Aber ich wußte es doch nicht recht. Und es machte mich scheu. Denn vor allem, was von den Heidenwichten stammt, graut mir. Und ich glaubte es beinahe, daß Zauber an ihr hafte. Denn ich muß an deine Schwester Berahta viel mehr denken als ich will, viel öfter als an alle andern Gespielen. Nun, vor ein paar Tagen, als der Wolkenbruch den kleinen Sauerbach so mächtig geschwellt und den Steg fortgerissen hatte, – ich fischte Forellen und sie ging mit und trug den Fang im Schilfkorb – da – wir mußten hinüber, – zog sie die Schuhe unverzagt aus und patschte mit mir durch die Furt. Mir schlug das Herz, wie sie es that: und es graute mir davor, auf ihre Füße zu schauen. Aber es litt mich doch nicht anders: – ich mußte scharf hingucken. Und siehe da: keine Spur! Sie hat vielmehr ein wunderhübsches kleines Füßlein.«

»Hätt'st mich gefragt, hätte dir's längst sagen können,« lachte Pippin. »O, das hätt' ich nicht über die Lippen gebracht – zu keinem Menschen. Aber nun bin ich so froh im Herzen, daß nichts Ungeheures ist an Berahta. Denn, weißt du's: Bischöfe dürfen auch heiraten.«

 


 

Sechstes Kapitel.

»So,« rief Pippin aufspringend. »Nun wieder in den Sattel.« – »Gleich! Erst das Nachtischgebet.« – Er murmelte einige lateinische Worte. Pippin kratzte aus mit dem linken Fuß und rief gen Himmel blickend: »Danke, lieber Gott! Deine Fische waren sehr gut. Und des Vaters Wein war noch besser! – Ei, was murmelst du denn da ins Wasser hinein?«

Arnulf aber sprach leise, sich neigend, gegen den Bach:

»Wogende Welle,
Fließende Flut,
Fischers Freude!
Neck oder Nixe,
Wer immer hier wohne –:
Dir diene mein Dank.
Für jede fließende Flosse,
Die der Fischer fing,
Die gütig du gönntest,
Sollen dir sieben, sollen dir siebzig
Wimmelnde wieder erwachsen.«

»Hm,« meinte Pippin, das Roß losbindend, welches ihn mit freudigem Wiehern begrüßte. »Neck oder Nixe? – Die hab' ich auch noch in keinem Heiligenverzeichnis nennen hören.«

Arnulf errötete. »Ja, ich weiß wohl. Es sind heidnische Elben. Aber – Sankt Petrus muß mir's schon verzeihen. So oft ich auswerfe in seinem Namen: – nicht Eine Flosse! Und dieser uralte Fischerspruch hilft jedesmal. Und fischen ist nun einmal meine Freude – kann's nicht lassen. Weißt du,« fuhr er ganz eifrig fort, »du mußt deshalb nicht gering denken von Sankt Petrus als Fischer. Aber weißt du, – er war ja nie hier im Land. Er ist gut für den großen Meersee und für den Jordan. Hier aber sind ganz andere Fische, von deren Fang er nichts versteht. Und hier walten noch, wie in der Vaterzeit, die alten Wasserelben in den Wellen: so darf's der Fischer mit denen nicht verderben.« »O,« meinte Pippin, »ich hab' nichts dagegen. Nur bitt' ich mir aus, wann ich morgen – der Braten Berahtas geht stark zu Ende! – unser Mahl erjage, daß ich dann auch meinen Weidspruch sprechen darf.« – »Hilft er sehr stark?« – »Immer!« Arnulf kratzte sich hinter dem Öhrlein. »Ja, morgen möcht' ich freilich schon, daß wir Fleisch hätten. – Weißt du: – thu's, wann ich's nicht höre.« – Nun sprang Pippin in den Sattel und half dem dicken Arnulflein hinauf. »Höre,« lächelte er, als der saß, »gar seltsam siehst du aus, mit deinem mächtigen breitrandigen Hut aus Schilfrohr . . . –« – »Das ist ein echter Fischerhut! Gegen die stechende Sonne auf dem Wasser.« – »Und mit der langen Angelrute aufrecht hinter deinem Rücken. Mein Köcher und Bogen lassen sich doch besser bergen unter dem Mantel.« – »Dafür ist der lange Stab auch nicht nur zum Fischen nutz! Sankt Peter führt den Stab, mit dem er die Seelen hütet, wie ein treuer Hirt. Vorwärts, sag ich!« Und er gab Wittchen einen Schlag. Aber Wittchen nahm das übel, fuhr zusammen, schlug heftig aus und hätte den hinteren Reiter abgeworfen, wenn der nicht rasch mit beiden Armen den vorderen umfaßt hätte. »Siehst du?« warnte der, »Nüfelchen! Das kommt von der Überhebung! Was hast du mein Pferd zu schlagen? Laß du hübsch die Leitung mir.« »Bis wir wieder aus jeder Gefahr sind – in Gottes Namen,« seufzte der andre, ein wenig gedemütigt. –

Gegen Abend, sobald es dunkel ward, bog Pippin aus dem Waldweg auf die große Straße. Als sie an die Brücke der Maas gelangten, fanden sie diese gesperrt durch wagerechte Querbalken, die in die beiden Brückenpfosten links und rechts eingefügt waren.

Laut stieß Pippin ins Hifthorn. Alsbald erschien der Brückenwart und sein Gehilfe, die auf dem westlichen Ufer in einer Mühle hausten. Mit Staunen betrachteten die Männer die beiden schönen lichtlockigen Knaben auf dem weißen Roß. »Du, Herr,« raunte der jüngere, der Gehilfe, »die beiden sind nicht geheuer, mein' ich. Zwei Knaben allein, auf Einem Roß: – wie leuchten ihnen Augen und Haar! – ob es nicht Elben sind?« – »Was Elben! Übrigens: Elben oder Landfahrer: zahlen sie nicht das Pontatikum, so kommen sie nicht herüber. Was seid ihr?« fragte er. »Das hast du nicht zu fragen, Knecht,« erwiderte Pippin. »Du bist nur Brückenwart, nicht Markwächter.« – »Wohin wollt ihr?« Pippin wollte auch hierauf nicht antworten.

»Zu König Chilperich und Königin Fredigundis,« rief aber Arnulf laut. »Siehst du?« meinte der junge Gehilfe. »Die sind nicht geheuer! Die Königin verkehrt mit übeln Wichten, mit Waldherrlein und –« »Weh euch,« fuhr Arnulf fort, »haltet ihr uns auf! Wir ziehen im Dienst von höheren Gewalten.« »Ich bringe dem König wichtige Botschaft,« schloß Pippin. – »Schon recht! Aber erst zahlen.« – »Gewiß! Was macht der Zoll?« – »Einen halben Silbersolidus für jeden Kopf und einen Viertelsolidus für das Pferd.« »Bah,« lachte Pippin, den Lederbeutel hervorziehend, »mit solchem Bettelgeld giebt man sich da nicht ab, wo wir zu Hause sind.« »Hörst du, hörst du?« mahnte der Gehilfe. »›Elben acht' ich auf Erden an gelbem Golde die reichsten,‹ sagt der alte Merkspruch von den Göttern, Riesen und Elben.«

Aber auch der alte Graubart staunte, als er in dem weit geöffneten Beutel alles glitzern sah von seltsamen schweren Goldmünzen fremden Gepräges. Pippin nahm eine Handvoll heraus und warf sie dem Alten in den hingehaltenen Hut. »So! Das wird reichen! Für dich und Kind und Kindeskind.« »Merkst du's?« flüsterte der Gehilfe. »Auf Elbengold liegt Heckezauber: es schwindet nicht, es blüht und wächst.«

Einstweilen hatte der andre die schweren vorn in Eisen gefaßten Balken mit einem Hakenschlüssel aus der Sperre gelöst und schob sie langsam zurück; während Wittchen behutsam auf das glatte Brückenholz trat, griff der Alte mit einem finstern Blick an den Skramasachs, den er im Gürtel trug. »Was Elben! Hilflose Kinder sind's! – Ich hätte Lust, ihnen Gold und Leben zu nehmen . . . –« Aber Arnulf hatte die leise Handbewegung bemerkt und den bösen Blick: »Mord,« rief er mit heller Stimme, »Mordgedanken seh ich hinter gefurchter Stirn. Wehe dir, Wegwart! Wir ziehen heiligen Weges, von den Unsichtbaren gehütet.« Der Alte erschrak, er trat zur Seite: sein Gehilfe sank ins Knie und streckte mit abgewandtem Gesicht abwehrend die Hände gegen Arnulf. Pippin aber gab Wittchen den Sporn und blitzschnell sprengte das Rößlein über die dröhnende Brücke. »Du,« lachte Pippin, »das hat geholfen! Weiß Gott, für wen die uns halten. Aber weshalb hast du die Heiligen nicht genannt?« »Wohlweislich,« schmunzelte der. »Sahst du nicht? Der Alte trug ein Kreuz, der Junge aber das Hammerzeichen am Halse: der eine glaubt mehr an die Engel, der andere mehr an die Elben: ich wählte die Worte – für beide bedrohlich.« –

Als es ganz finster war, näherten sie sich abermals einem Wasserlauf, einem Nebenfluß der Maas. Pippin wußte, daß eine Brücke, – ohne Zollrecht – auch über dieses Gewässer führe und tröstete damit seinen Freund, der nicht gern im Dunkeln sich einer Furt anvertraut hätte. Plötzlich hielt Pippin das Pferd an und lauschte nach rückwärts: »Hörst du nichts?« – »Doch! Ich meine.« – »Jawohl! Ferne Hufschläge! Mehrere Reiter! Wahrscheinlich unsere Verfolger. Sieh, eine Fackel taucht dort aus dem Gehölz.« – »Was thun?« – »Vorwärts! Unter die Brücke!« Und vorwärts jagte das Roß; bald war die Brücke erreicht; beide sprangen ab und führten vorsichtig das Pferd unter den ersten Bogen, es so stellend, daß es von der Straße her völlig durch die Wölbung der Brücke verdeckt war; sie kauerten beide unter dem Bauch des Tieres auf der Erde.

Näher und näher kamen die Hufschläge; die Lauschenden hörten lautes Rufen.

»Sie rufen uns, unsere Namen,« flüsterte Pippin.

»Das sag' ich dir, heiliger Petrus,« flüsterte Arnulf, »ist mein lieber Vater dabei und ruft mich – dann! – dann, glaub' ich, folg' ich meinem Vater!« »Kann's nicht loben,« brummte Pippin; »aber ich bin doch recht froh, daß meiner nicht dabei sein kann!« Nun hatten die Reiter die Brücke erreicht: »Arnulf! Pippin! Arnulf! Pippin!« riefen sie in die Nacht hinaus. »Es ist nur der Großknecht,« hauchte Arnulf erfreut. »Der kann lange schrei'n.« »Und unser Müller. Der ist ein wenig viel dumm!« flüsterte Pippin. »Es ist umsonst,« sprach einer der beiden Reiter und leuchtete mit der Fackel über die ganze Brücke hin. »Hier sind sie auch nicht,« bestätigte der andere. »Sie können auch noch gar nicht so weit gekommen sein.« – »Doch wohl! Wittchen läuft flink.« – »Man sah auch nirgend eine Rossesspur.«

»Nur Eine – manchmal, wo die harte Straße weicher war. Aber dieser Eine Reiter ritt von West nach Ost.« – »Kehren wir um.« – »Ja, es ist so nicht geheuer an dieser Brücke. Es solle hier ein grauser Mord geschehen sein. Seit dem . . .« – »Horch, das war ein Seufzer!« – »Ein Stöhnen unter der Brücke her!« – »Fort!« – »Rasch fort!« Und sie jagten zurück des Weges, den sie gekommen.

Als Pippin lachend das Pferd unter der Brücke hervor und wieder auf die Straße führte, kniete Arnulf nieder und betete gar feierlich: »Ich danke dir, heiliger Petrus, auch für das neue Wunder.« – »Was für ein Wunder? Die Dummheit des Müllers ist schon ein altes.« – »Sankt Peter hat offenbar doch Wittchens Spur umgekehrt.«

»Nein, Nülflein!« lachte Pippin aus vollem Halse. »Dieses Wunder hab' ich selbst gethan. Ich habe Wittchen die Hufe verkehrt aufgenagelt. – Vorwärts! Jetzt, Wittchen, sollst du tüchtig laufen. Schau, der liebe Herr Mond taucht dort aus dem dunkeln Tannenwald:

Eia, Eia, lieber Lichtherr,
Laß dein lindes Licht uns leuchten!
Wegfährtig Wandernder Wegetrost!«

 


 


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