Felix Dahn
Fredigundis
Felix Dahn

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Erstes Buch

Erstes Kapitel.

Bei dem Dorfe Fleury, östlich von Rouen, sucht von Norden her in den stolzen, den königlichen Seinestrom eines schönflutigen Wildbachs rasche Welle ihren Weg.

Hastig, unberechenbar schießt sie dahin, launenhaft die Richtung wechselnd, wie in neckischem Spiel. Aber, fühlt sich die ungestüme Kraft stark genug, wandelt sie plötzlich das Spiel in drohenden Ernst: bösartig zerreißt sie jeden Widerstand auf ihrer Bahn, verschlingt sie alles Leben; »die Furieuse« heißt sie jetzt, »die Wut-Ach« nannten sie die Franken. Nah ihrer Mündung in die hier nach Westen biegende Seine erhebt sich auf dem linken Ufer jener kleinen Wildflut ein mäßiger Hügel; er trug damals das stattliche Herrenhaus, zu welchem die Ländereien weithin gehörten. Am Fuße des Abhangs lagen ein paar ärmliche Lehmhütten, der Unfreien traurige Heimstätten.

Es war ein heißer Sommernachmittag; weißgrau Gewölk zog langsam an dem dunstigen Himmel nach Nordwesten, stromabwärts, dem Meere zu. Drüben, auf dem rechten Ufer des Flüßchens, wo steilere Hebungen ansteigen, kletterten verstreut etliche Ziegen, aus kargem Sandboden salzige Halme rupfend. Da kam aus dem dichten Walde, der hier, auf diesem rechten Ufer, den Höhenzug krönte, ein Knabe von etwa sechzehn Jahren. Den dunklen Jägerhut zierten ihm die bunten Federn des Grauspechts; Bogen und Pfeilköcher trug er auf dem Rücken; aber die netzgestrickte Jagdtasche an seiner Seite war leer.

Unter den letzten Bäumen des Waldrandes – mächtigen, hochragenden Eichen – blieb er stehen. Er hielt nun die Hand vor die Augen – die blinkenden Wasserspiegel da unten blendeten –, er spähte so, vorgebeugt, über die vor ihm umher weidenden Ziegen hin. Kopfschüttelnd ging er weiter; er streichelte das nächste der magern Tiere, das er erreichte und sprach zu ihm; er schien es um etwas zu befragen. Und wieder schaute er ringsumher: dann ging er rasch bergab, dem Wildbach in der Tiefe zu. Der Boden war hier wellig, von langen Falten durchzogen. Der Knabe wollte eben eine tiefe Furche dieser Art überspringen, als er mit einem Schrei des Schreckens, als habe er auf eine Natter getreten, zurückfuhr.

»Fredigundis! du!« sprach er jetzt. »Ich suche dich überall und du . . .! Wie du mich erschreckt hast!« Er schwieg; stark klopfte sein Herz.

Ein helles, kicherndes Lachen schlug zu ihm empor.

In der dunkeln Furche niedergeduckt lag, auf beide Ellbogen gestützt, ein Kind von noch nicht vollen sechzehn Jahren, das langgestreckte, sehr schmale, blasse Gesicht ganz umrahmt und umflutet von prächtig rotem Haar; ein Paar graue Augen blitzten lustig und listig aus den vornüber gefallenen Locken; die Kleine lehnte das eirunde Kinn auf die Ballen der zarten, außerordentlich feinknochigen Händlein und blickte zu dem Erschrockenen empor, ohne sich zu regen. Plötzlich sprang sie auf die Füße, richtete sich hoch vor ihm auf – sie war klein für ihr Alter – und rief: »Schäme dich, Herrensohn, das Bettelkind hat dich überlistet.« Und siegesfroh, höhnisch, warf sie das rote Gelock in den Nacken mit einer raschen, leichten Bewegung, die ihr sehr wohl ließ. Dann strich sie langsam das Hemd von grauem Ziegenfell herab. Es war ihr einzig Gewand; viel durchlöchert und, wo es endete, unter den Knieen, ausgefranst. Der alte Gürtel, der es um die allzuschmalen Hüften zusammenhielt, hatte die Spange verloren; ein kleiner, starker Zweig von Wildrosen mit seinen festen Dornen mußte die Spangennadel nun ersetzen.

»Immer so bösartig,« sprach der Knabe mißbilligend, verweisend. Aber er brachte die ernsten, gutblickenden, dunkeln Augen nicht weg von diesem schmächtigen, weißen Gesicht; und seine Miene strafte den strengen Ton der Rede Lügen. »Du wirst es auch mit mir noch verderben,« schloß er, fast traurig. »Geh zu,« lachte sie und drehte ihm den Rücken. »Ich brauche dich nicht. Dich so wenig wie deinen Bruder.« – »Armer Prätextatus!« – »Wo ist er hin?« Blitzschnell hatte sie sich umgedreht. »Fort! – Fortgebracht! Nach Rouen! In ein Kloster.« – »Schade!« – »Nun recht, – das freut mich. Du vermissest ihn doch, den treuen Gespielen.« – »Gar nicht! – Aber er lehrte mich Lesen und Schreiben. Das muß ich lernen.« – »Warum?«

»Dumme Frage! Nur die auch in die Ferne hin reden können – schmeicheln, befehlen, bitten, wollen in die Ferne hin – und geheim –, so daß nur der Vertraute es vernimmt und blindlings rasch es vollführt – nur solche Menschen machen sich gefürchtet und gewaltig.«

»Und willst du das werden? Du?«

»Die Bettelgundis, willst du sagen?« schrie das Kind und lachte dann höhnisch, grinsend, daß der halb offene Mund die schönsten, zierlichst gereihten, weißesten Zähne zeigte. »Die Bettelgundis genannt, weil mich die Großmutter anhielt, sobald ich schreiten konnte, jedem, der als Gast in reichem Gewand in das Herrenhaus zu euch hinauf ritt, nachzulaufen und Gabe zu heischen. Hui, viele Hiebe mit der Reitgerte trug ich davon, aber wenig Gaben! Bis ich größer wuchs –« fügte sie langsam bei und in seltsamem Stolze funkelten ihre Augen, »Jetzt streichen mir die stolzesten Männer gern, – recht gern! – im Vorüberreiten über das Feuergelock hin.«

Der Knabe furchte die Stirn: »Du darfst nie mehr betteln, wenn du mich lieb hast.« – »Ich hab' dich aber nicht lieb! Und nun bettel' ich erst recht. Das heißt, nicht die Frauen: – die geben mir bloß fromme Lehren; – nur die Männer bettel' ich an.« – »Ich verbiet's dir.« – »Ha, ha, Landerich, stolzer Herrensohn! Du bist nicht mein Muntwalt.« – »Nein, denn die Unfreie hat keinen. Aber dein Herr bin ich.« – »Dein Vater ist mein Herr, nicht du. Und schlecht geht es dir bei dem, erzähl' ich ihm, daß du mir gerade so nachläufst wie dein älterer Bruder gethan hat. Und daß ich nicht häßlich bin, – das weiß ich doch schon lang.« – »Du bildest dir doch nicht ein, – schön zu sein?« – »Noch bin ich's nicht: aber bald werd' ich's sein. Ich lag auf meinem Stroh in der Hütte und schlief; das heißt: sie meinten es – als deine Mutter, – sie war mir immer feind: bin froh, daß sie begraben ist! – kurz vor ihrem Tode die Großmutter aufsuchte, und drohte, sie und mich geißeln zu lassen, wenn sie Prätextatus nochmal in unsrer Hütte treffe. ›Denn‹ sagte sie – und nun gieb acht! – ›noch ist die kleine Natter ein mager, ein fast häßlich Ding: aber –‹; und hier funkelten wieder und blitzten Fredigundens Augen – ›mir ist: die wird einmal das verführerischeste Weib auf Erden. Man sollte sie vordem ins Feuer werfen.‹« – »Und das hast du alles . . . –?« – »Verstanden? Bin nicht so dumm. Warum hat mich Prätextatus geküßt? Warum läufst du mir immer nach? Bis zum Langweilen! Warum kann ich denn bei dir alles erlangen, was ich will? Hast du nicht sogar deiner Mutter aus der Truhe für mich den kleinen Silberspiegel . . . –? Bange nicht! Er liegt versteckt, wo ihn niemand findet. Und ich spiegle mich und meine weißen, nackten Glieder nur darin, wann mich niemand also spielen sieht.«

»Das ist Sünde.« – »Still! Was flattert dort über die Wiese hin?« Sie bückte sich und hob einen Stein auf. »Ein Vögelein!« – »Ist es nicht ein Rotkehlchen?« – »Freilich! Wie glänzt im Sonnenschein sein schönes Rot.« – »So? Auch du? Warte!« Sausend flog der Stein. Aufjammernd stürzte, schwer getroffen, der Vogel, und zappelte am Boden. Schon stand Landerich dabei. Schonend hob er das Tierchen auf: noch einmal zuckte das kleine, warme Leben in seiner Hand – und starb. Mit einem Sprung, wie eine Katze, war das Mädchen an seiner Seite, faßte den toten Vogel an einem der Flügelein und schleuderte ihn in hohem Bogen in die unten dahinschießenden Wellen.

»So!« – »Pfui, du Unholdin! Warum . .?« – »Dein dummer Bruder. Er lobte mein Haar. ›Nichts auf Erden‹, sagte er, ›hat schöneres Dunkelrot. Ausgenommen‹, fügte er bei, ›des Rotkehlchens Brust.‹ Da schwur ich zornig, alle Rotkehlchen zu töten, deren ich mächtig würde. Es soll nichts Schönres leben als Fredigundis.« – »Du bist abscheulich! – Ich gehe!« – »Das ist ja doch nicht dein Ernst! – Ich muß dir was sagen. Komm! Duck dich nieder in die Furche zu mir. Sonst sehn sie uns von der Herren-Villa aus. Komm, Landerich.« Und plötzlich sprang sie an ihm empor, umschlang seinen Hals mit beiden Armen und riß ihn zu sich in die Vertiefung herunter. Willenlos ließ er's geschehen.

»Meinst du, ich sah es nicht, wie du, scheinbar um der Jagd willen, zu Walde gingst? – Aber nur mich,« fuhr sie nun eifrig flüsternd fort, »mich suchtest du auf dem Geißhügel. Und dann standest du – unter den Eichen – den Bogen gespannt, den Pfeil auf der Sehne: aber nicht auf die Rehe lauertest du, die gegen Abend aus dem Walde treten. In die Mark-Eiche hast du ein Frauenbild geritzt – mit langem, flatterndem Haar – leider hast du das Gelock nicht rot malen können –! Und in das Herz des Frauenbildes hast du gezielt! – Uralter Liebeszauber! Aber daneben hast du geschossen! Hi, hi!« – »Fredigundis! – Du bist . . .« – »Fredigundis. Und dann sah ich dich mich wieder suchen: – wie duckt ich mich und wie freut' ich mich, dich so arg zu erschrecken! Aber nun sei gut. – Versprich, mich vollends lesen und schreiben zu lehren – und ich schenke dir die Locke, um die du solange schon batest. Und ich lehre dich dafür« – nun flüsterte sie ganz sacht, leise bebten dabei die Nüstern ihrer fein gebogenen, schönen Nase – »die Zauberkünste meiner Ahnfrau. Nicht alle freilich!« – lachte sie gleich wieder höhnisch. – »Die besten behalt' ich für mich. Was hilft auch dir die Kunst, Männer wahnsinnig zu machen durch Spruch, Sud und Sang oder blind gehorsam?« – »Mein Vater wird nicht verstatten . . .« – »Der merkt es ja nicht! Gieb acht. Unter den Weiden – dort an der Wutach – ist ein Versteck, nur vom Fluß aus erreichbar. Ich schwimme wie eine Otter – so leise.« – »Aber die Fischer . . .« – »Fischen nur bei Tage. Wir kommen bei Mondlicht zusammen.« – »Und wenn du nun lesen und schreiben kannst . . . –?« – »Und die Zauberkunst der Ahnfrau dazu? Und wenn ich so schön geworden, wie deine Mutter – widerwillig! – geweissagt, – dann schlag' ich in meine lichten Hände und lasse meine Feuerlocken wallen und breite die Arme in die Nachtluft und rufe: »Kommt, ihr Dämonen, vor denen die Priester sich fürchten. Ich fürcht' euch nicht – ich rufe euch! Gebt mir die Fülle der Kleider und der Macht und der Schätze und der Lust und des Glanzes, gebt mir die Welt zu eigen und nehmt mich dafür hin mit Leib und Seele!« – »Höret sie nicht, ihr Heiligen da oben!« – »Ist nicht nötig! Wenn mich nur die Unheiligen hören da unten.«

»Fürchtest du denn nicht die Höllenpein? Arg sollen sie brennen, die Flammen. Und ewig – denke nur!« – »Das ist nicht so! Man muß nur recht, recht viel Gold haben. Die Höllenstrafen kann man abkaufen. Man kann den Heiligen allen Zorn wieder abschmeicheln, schenkt man ihnen was.« – »Ihnen! Sie wohnen über den Wolken, bei dem Herrn Christus. Sie brauchen nichts.« – »Aber ihre Kirchen auf Erden; die brauchen gar viel! Altardecken! Und goldne Schalen! Und Becher mit Edelgestein und viel, viel Wachslichter. Und breite Äcker, viele Höfe mit Unfreien und Zinsleuten und Herden. Aber auch den Armen kann man schenken und so die Heiligen bestechen.« – »Wer hat dich solches gelehrt?« – »Die Großmutter. – Und wir haben's ja selbst erlebt, in diesem Jahr! Weißt du's nicht mehr? Herzog Eulalius hat seine eigne Mutter ermordet. Er zahlte dem Bruder hundert Pfund Gold und kaufte so die Rache ab, er schenkte dem Herrn König einen Wald voll von Hirschen und ward der Strafe frei, dem Heiligen Martinus aber schenkte er drei Weingüter an der Rhone und für die Armen von Tours monatlich eine Speisung. Und alsbald erschien dem Bischof im Schlaf Sankt Martinus und sagte, er habe den Herrn Herzog von allen Strafen losgebeten bei dem Himmelskönig. So siehst du! Seit ich das gelernt, versteh' ich erst, was um mich her geschieht: es kommt alles nur auf Gold an, im Himmel und auf Erden. Darum ist arm sein, wie ich es bin, das elendeste Los. Im Staub bin ich geboren! Könnt' ich nicht gerade so gut als Königstochter geboren sein? – O stünd ich auf der Höhe oben bei denen, welche die andern treten können! O wär' ich so reich wie deine hochfahrende Mutter war! Dürft' ich nur einmal – nur einen Tag! – einen Festtag aber, wann alle Nachbarn in euer Bethaus kommen! – in ihrem goldgestickten blauen Kleide gehen und ihre breite Gürtelspange . . .« –

Da tönte ein greller Pfiff von jenseit des Flüßchens, von den Hütten her.

Erschrocken fuhr die Kleine auf. »O weh, o weh!« jammerte sie. »Ich habe die Stunde des Heimtreibens, des Abendmelkens, verpaßt. Und nun erst wieder durch die Furt mit den verfluchten Tieren! Daß sie doch alle ersöffen! Jetzt geißelt mich der Großhirt wieder schwer! O, das thut so weh! Erwürgen möcht' ich ihn mit meinem Haar! – Ducke dich, bleib noch liegen! Sonst läßt auch dein Vater mich geißeln. Aber in der nächsten Mondnacht: – im Weidicht! Bring den Psalter mit. In dem lernt' ich lesen. – Vorwärts, des Donnerteufels Ingesind, ihr Ziegen! Vorwärts!«

 


 

Zweites Kapitel.

Die »Hütte des Ziegeners«, wie man sie im Herrenhof nannte, lag nah an dem Wildbach; das gar elende niedrige Gelaß, ganz aus Lehm, bloß von ein paar Balken zusammengehalten, hob sich nur wenig vom Boden; es schien zu verschwinden, sich zu verstecken unter dem mächtigen Stamm einer Stumpfweide, der seine knorrigen Äste mit den wehenden Blättern breitete oder vielmehr stützte auf das braune Moosdach; vielgeflickt war es und doch löcherig; nicht bloß arm, – verwahrlost, wie das Dach, sah das ganze Hüttlein aus; der Gatterzaun, der das winzige Gärtlein vor dem Eingang, von nur ein paar Schritten im Geviert, umhegte, lag an vielen Stellen zerbrochen, die Latten hingen lose herab in dem Weidengeflecht, das die Nägel ersetzen sollte; mit leichter Mühe hätte man sie zurechtschieben mögen; aber diese Mühe, so schien es, gab sich niemand.

Der für die Menschen bestimmte Wohnraum war eine einzige Stube, die zugleich als Küche diente; auf dem Herd, der schmalen Thüre gegenüber, glimmten oder schwelten, übel qualmend, ein paar Kohlen; neben dem Herd, auf dem aus Lehm gestampften Fußboden, lag eine Streu von Schilf, Weidenblättern und Waldmoos. Der gelbe Rauch zog langsam die Wände entlang, den Ausgang suchend durch eine schmale Luke, die das Fenster vertrat. Auf der Streu lag, die Füße verhüllt mit einem alten, schlimm enthaarten Wolfsfell, eine greise Frau; lange Strähnen grauen Haares hingen in ihr hageres Gesicht; mit halb geschlossenen Augen raunte sie leise mit sich selber, in den knochigen Fingern ein paar Streifen von Bast seltsam knüpfend und knotend.

»Wo sie nur wieder bleibt?« rief die Alte jetzt lauter, sich etwas aufrichtend auf einem Ellbogen und nach der halb offenstehenden Thüre blickend. »Die Schatten fallen länger. Was treibt sie wieder? Gutes gewiß nicht! Wie könnte sie auch! – He, Fredigundis!«

Da verfinsterte sich der Eingang einen Augenblick, mit einem Satz sprang die Gerufene über die Schwelle: »Da bin ich!« rief sie, schadenfroh lachend über den Schreck der Alten. »Wer mich ruft, der hat mich am Nacken.« – »Jawohl, wie üble Elben! – So spät! Der Großknecht wird dich wieder schlagen.« – »Nein! Der schlägt mich nie mehr. – Ich weiß was! Ich habe gerade was gelernt.« – »Was Böses: – weil's dich freut.« – »Du hast immer gedroht, du wirst mir nie sagen, wann ich kein Kind mehr bin, damit ich . . –« »Nicht noch frecher werde,« schloß die Alte. – »Eben hab' ich's erfahren. Der Großhirt packte mich mit der Linken und hob die Rechte, er schlägt gar grimmig. – Ich wollte mich losreißen, das Gewand fiel mir von der Schulter; da stockte er, ließ die gehobene Faust sinken und gab mich frei mit einem sanften – ja, denke dir nur! – einem fast kosenden Streich Er ging, mit sich selber redend, recht leise, aber ich habe Ohren wie ein Wiesel. »Sie ist kein Kind mehr, s'ist ein Weib. Und wie schön!« Hell auflachend schlug sie beide Hände zusammen und hüpfte auf einem Fuß, mit dem andern den flatternden Kittel in die Höhe schlagend. »Nun weiß ich's doch! Und alle, – aber auch alle! – sagen's! – Das heißt: alle Männer.« Und verschmitzt, triumphierend, blitzten die dunkelgrauen Augen.

»Ach,« brummte die Alte, »wird dir auch nichts helfen. Im Gegenteil! Schaden wird es dir, dich verderben, wie deine . . .– Ja, wenn du reich wärest! Vornehm geboren! Und dann nur ein Tausendteil so – bethörend! Dann –! Aber so! – Elend geboren, elend erwachsen, elend gelebt und elend gestorben: so wird es gehen. – Wenn ich dir nicht helfe!« schloß sie leise und knüpfte wieder an ihren Bastknoten.

»Dann hilf mir bald: ich werde ungeduldig.« – Sie hob den Deckel von einer alten Truhe aus rohem Tannenholz, die neben dem Herde stand und warf ihn heftig wieder zu. »Wieder nichts zum Abendbrot als den alten Ziegenkäse! Den mißratenen! Denn den guten behält der Großhirt für sich. Und mich hungert immer so heiß! Aber doch! Da geh' ich lieber hungrig schlafen, – wie schon so oft,« rief sie trotzig. »Und da droben, im Herrenhaus, da schmausen sie jetzt und schlürfen den dunkeln Wein, der mir durch die Adern glühte wie Feuer, als mir einmal Prätextatus davon gab. O wie ich sie alle hasse! Nein: beneide! – Ich bin schön, sagen alle, und muß hungern!« – Sie stampfte mit dem kleinen Fuß und sie weinte vor Zorn.

»Still, still, Liebling,« flüsterte jetzt die Alte. »Warte nur, bis es ein wenig dunkler geworden, dann streu' ich dir wieder den braunen Saft in die Wutach, wo die Forellen stehen unter den alten Weidenwurzeln; mit Händen dann magst du sie greifen. Aber bei Tage wag' ich's nicht mehr. Die Fischer haben gedroht, mich des Zaubers zu zeihen bei unserem Herrn Landbert.«

»Dein Zaubern! Wenn's nur was helfen wollte! Warum, wenn du zaubern kannst, verwandelst du nicht diese Spreu da in Gold und die Kohlen am Herd in Rubine?« – »Geduld, Kind, Geduld! – Ich kann doch nur einiges, nicht alles! Und dann: mit den Heiligen möcht' ich's doch auch so ganz nicht verderben.« – »Großmutter, das ist dumm. Gieb acht! Kannst du Gold, kannst du Schätze herzaubern, – freilich ist's arge Sünde! – aber haben wir das Gold, dann kaufen wir den Heiligen ja ihre Strafen ab: hast's mich selbst so gelehrt! Dann haben wir Gold auf Erden und doch das Himmelreich sicher. Aber du kannst nichts! Was knüpfest du da wieder?«

Zornig schleuderte die Alte den Bast auf die Kohlen, daß er hell aufflackerte und brannte und flink haschte sie das Mädchen am langen Haar; unsanft riß und raufte sie daran

»Ja, schrei nur und winsele! Mich bestechen sie nicht, deine weißen Schultern. Verdorben durch vorlaute Frage das ganze mühsame Werk vieler Stunden! Und alles für dich, undankbare rote Natter. Einen Liebesknoten, unter dem Gürtel zu tragen! Nun muß ich von neuem beginnen. Warte du – da!« – »Laß mich los oder –!« – »Hei, schlage doch zu! Schlage doch deine alte Großmutter, der du das Leben dankst.« Fredigundis hatte sich nun frei gemacht; »ich denke, das dank' ich – wie andre – Vater und Mutter,« höhnte sie. – »Deinem Vater!« schrie die Alte grimmig. »Ja, dem hast du freilich zu danken! Hast ihn nie gesehen!« – »Nicht seine Schuld, hast du mich gelehrt. Er ward gleich, nachdem er die Mutter geheiratet, in den ersten Tagen –« »Der –? Ja freilich – der! Ja, ja. In den ersten Tagen!« nickte die Greisin bösartig – »in den Krieg geschickt. Und kam nie wieder.«

»Auch meine Mutter hab ich ja nicht gekannt. Sie starb . . . –« – »Bevor du sie Mutter nennen konntest. Wohl ihr, daß sie starb.« – »Warum?« »Weil . . . – weil ihr erspart blieb zu sehen, wie bös, wie frech, wie unbändig du bist. Ihr hatte geträumt, wiederholt klagte sie's, kein richtig Menschenkind, rot fressend Feuer werde sie gebären. – Und so geschah's!« schloß die Alte. »Wie konnt's auch anders werden,« brummte sie nach. »O wär's doch so geschehen! Wär' ich doch rot fressend Feuer! Lustig und wild und heiß und stolz ist der Flamme lodernd Leben! Verderben den Feind, verzehrend umarmen auch den Freund, hoch emporlohen, gefürchtet und doch geliebt, und im höchsten Aufsteigen, im Sieg – verlöschen. Ha, eine Königin ist sie, die rote Flamme! – Und Fredigundis ist ein hungernd Bettelkind, eine unfreie Magd, von allen getreten, von keinem geehrt oder gefürchtet –! O wär ich tot! Ich will, ich will nicht leben in Niedrigkeit.« Und in Thränen ausbrechend des Zorns, der unbestimmten Sehnsucht, der Heißgier nach Genuß, griff sie in ihr reich flutend Haar und preßte es an die Augen. – »Horch! Schritte? Da kommt der Geschorene, der aus der Kapelle des Herrenhauses, auf unsere Hütte zugeschritten. Demut predigt er und Entsagen! Prätextatus hat ihm anbefohlen, meine Seele zu retten, sagt er. Ich kann's nicht mehr anhören! Mein ganzes Herz schreit dawider. Ich fahr' ihm an die Gurgel. – Fort! – Ins Freie! In die Nacht! In die Wildnis! Aber nur ins Freie!«

Mit einem wilden Sprung war sie draußen.

Sie kehrte der Hütte den Rücken und rannte dem Wind entgegen, beide Arme ausbreitend, als wollte sie ihn umfangen; weit flatterte hinter ihr nach das rote Haar.

 


 

Drittes Kapitel.

Zwei Monate waren ins Land gegangen.

Ein warmer Tag neigte schwül zu Ende. Schwarze, drohende Wolken hatten sich lange schon im Süden dicht emporgeballt; aber die Luft schien müde; kein Windhauch regte sich. Aus der Ziegnerhütte schlüpfte behutsam heraus Fredigundis; leise, ganz leise ließ sie die Thüre einfallen, lauschend. Noch einen Augenblick hielt sie an. Alles blieb ruhig. Sie nickte und schritt nun rasch gegen den Wildbach hin; in der Linken trug sie ein kleines Bündel; es war ein altes Gewandstück, dessen vier Zipfel sie oben zusammengeschnürt hatte.

Ernsthafter war heute der Ausdruck ihrer Züge, fest zusammengenommen, wie nach gefaßtem schweren Entschluß.

Als sie in der Richtung nach dem Ufer um eine dichte Hecke bog, hob sie erschrocken den schönen Kopf: – sie spähte scharf. »Du bist's, Rulla,« sagte sie dann ruhig. »Schon wieder einmal wartend, hinter der Hecke.«

Ein großes starkes Mädchen mit dunkelbraunem Haar und schwarzen Augen richtete sich nun auf aus dem Heckengraben, in welchem es sich versteckt hatte; sie war auch hübsch, sehr hübsch sogar, diese üppige, strotzende Braune von neunzehn Jahren mit den vollen sinnlichen Lippen; und sie war besser gekleidet, zumal viel sorgfältiger war ihr Gewand in stand gehalten – kein Riß, kein Loch wie in dem Rock der Ziegenhirtin – und doch! Gegenüber Fredigundis sah sie aus wie eine dralle Magd vor einer Königin sehr böser, aber sehr schöner Geister.

»Verrate mich nicht,« klang es ängstlich. »Dein Oheim, der reiche Müller, mag sein Mündel selber hüten! Bewahre! Mich freut's, wenn die freigeborenen Mädchen, die wohl anständigen, es ärger treiben als die Sklavin, die Ziegenmagd. – Aber ich – an deiner Stelle – ich thät's nicht. Warum thust du's?« – »Weil ich muß.« – »Warum mußt du?« – »Das Blut! Das Blut zwingt mich. Es reißt mich fort. Wenn ich weiß, er, mein Rando, steht hinter der Hecke hier, – er wartet auf mich, wenn ich denke, wie er mich empfängt, in die Arme schließt, als wollte er mich erdrücken – dann muß ich! Es reißt mich fort – bei Tag oder Nacht! Aus dem Gebet, von der kranken Mutter Lager – ich muß!«

Fredigundis verzog die schöne Lippe. »Du bist dumm. Er kann dich ja heiraten, der Fischersohn.«

»Das wird er auch! Sowie er den Brautschatz zusammengespart hat.« – »Nun also!« – »Aber – einstweilen –!« – »Nun?« – »Er liebt mich so heiß? Er kann's nicht erwarten.«

»Aber du?« »Ich! – Ich noch weniger! Ich vergehe um ihn!« Ganz leise kam es heraus. Und das glühende Geschöpf drückte den vollen, üppigen Arm vor beide Augen und seufzte – vor Liebe. – »Siehst du, Rulla, das eben nenne ich dumm!« – »Dumm! Weil du nicht weißt, was es ist, einen Mann lieben, – einen Mann lieben müssen, – wie das brennt!« »Nein!« lachte die andre, das Haar lustig schüttelnd. »Freilich nicht! Habe noch keinen Mann gesehen.« – »Ei, wenn das Landerich hörte –!« – »Ist das ein Mann? – Und dein Fischer – mit den plumpen roten Händen!« – »Mach, daß du weiter kommst, willst du ihn schelten. Zwar, ich bin froh, daß du nichts von ihm wissen willst. Er ist dir lange nachgelaufen.« – »Wie alle!« – »Aber er hat's eingesehen: du hast keine Seele, kein Herz, ja auch nicht einmal Blut und Verlangen. Er hat mir's gesagt: halb wahnsinnig war er um dich. Er wollte dich küssen – nur einmal –, mit Gewalt und dann mit dir in die Seine springen. Allein – die Heiligen haben ihn gerettet und damals statt deiner – mich ihm in den Weg geschickt. Dann hat er's eingesehen: du bist nicht geheuer: du bist von den Elbischen. Er hat gesagt, man sollte dir mit deinen eignen roten Haaren einen Mühlstein um den Hals binden und dich in die Seine werfen, wo sie am tiefsten rinnt. Du habest nur daran deine Freude, zum Spiel die Männer zu entzünden. Ich glaub's. Du bist eiskalt. – Du kannst gar nicht lieben.«

»Vielleicht!« sprach Fredigundis langsam, sinnend. »Vielleicht hat er recht! Und doch, – wenn du wüßtest, – wohin ich gehe! – Leb wohl Rulla, braune, heißblütige Rulla, Nachbars Kind vom Wildbachufer. Ich glaube fast, ich habe dich gern. Du wärst die einzige dann! Aber es ist wohl nur eine Gewohnheit. – Leb wohl, Rulla.« –

»Wohin willst du? Fort? Ganz fort? – Bleibe!«

Und bestürzt, in warmer Liebe, reckte sich die Große, über die Hecke hinwegzusehn.

Aber Fredigundis war schon verschwunden. Aus dem Uferschilf, von der Furt her, blitzte nochmal ihr leuchtend Haar.


Rasch hatte sie jene Furt, über die künstlich gelegten und befestigten Schreitsteine wie die Bachstelze leicht und sicher hüpfend, durchschritten; nochmal warf sie einen scheuen Blick auf die Ziegnerhütte zurück; dann rannte sie, wie um sich selbst zu zwingen, den steilen Berg der Geißenhalde hinauf, ohne auch nur einmal Halt zu machen. Auf der Höhe angelangt blieb sie stehen und schöpfte tief Atem; aber sie schaute nicht mehr um. Dann ging sie langsamer auf den Wald zu; an dem Saume desselben machte sie Halt, mit den Augen suchend.

»Das ist die Mark-Eiche. Da ist die Mädchengestalt eingeritzt mit dem flatternden Haar. Die Fratze! Und das soll ich sein! – Hier soll ich auf ihn warten. Ich! Auf ihn, – auf den Werber! Aber freilich – er muß erst bei dem Diakon im Herrenhause die Vesper beten – eh' er davon kann – zu mir!« Sie warf ihr Bündel unter die Eiche. »Da liege, Fredigundens ganze Aussteuer und ganze Mitgift! Ein gestohlener Spiegel, ein paar bunte Fetzen, ein paar Zaubersprüche und Zaubergeräte der Alten.«

Sie ließ sich leise zu Boden gleiten und lehnte den Kopf an den Stamm der Eiche, nun hinüberblickend nach der andern Seite des Baches.

»Staunen wird sie, die Ahne! Und schelten! Und fluchen: ›Bei allen übeln Wichten!‹ – Eh was! Sie muß sich drein finden. Wie lange kann sie noch leben? – Und bin ich reich, – aber sehr reich –! geworden, schenke ich ihr vielleicht einmal etwas – aber werd' ich reich werden? – Fürs erste einmal sicher nicht! – Erst muß der Hofherr da drüben tot sein. – Bah, ist auch schon alt! – Und Landerich muß dann das Erbe haben. – Prätextatus erbt ja nicht mit. Hat sich ja zum Priester oder gar zum Mönch machen lassen! Aus Gram? Um die Ziegenmagd seines Vaters! Oder zur Buße? Weil er mich geküßt, da er fast noch ein Knabe war und ich ein Kind! Der Thor! – Landerich muß mir freilich sicher bleiben. Ganz sicher! Ei« – sie warf das Haupt in den Nacken. »Er wird schon! Er kommt mir nicht mehr los vom Angelhaken! – Aber vorher: manches Jahr der Entbehrung – der Verborgenheit: er will mich einstweilen unterbringen in waldverstecktem Jägerhaus eines Freundes, eines Forestarius des Herrn Königs. Das kann lange währen! – Und langweilig wird es werden, sehr! – Denn zur Kurzweil – als einzigen Besuch – nur Landerich. – Aber wann sein Vater tot, dann, Fredigundis! – Dann zieh' ich gleich seiner Mutter blaues Festkleid an – es liegt noch in der Truhe, sagte er. – Und vor allem: ich halte dies Leben nicht mehr aus! Not, Hunger, Schmutz, die Zaubersprüche der Alten, die nichts hervorzaubern! – Und Landerich ist nicht mehr abzuwehren. – Ich glaube fast, ich hab's zu arg gemacht, ihn zu entzünden,« lachte sie. »Brauchte keinen Liebesknoten dazu! Nur immer ›Nein‹ sagen! Und ihn dabei anschauen als wäre es ›Ja‹. – Was er eigentlich von mir will? – Ich weiß es nicht! – Sein Weib soll ich werden, sagt er, vor Gott, bis ich dereinst es vor den Menschen werden könne. Und dabei küßte er mich – bis zum Wehe thun; ich wehrte ihm nicht mehr stark – und er fragte: ›Glühst du denn nicht ganz von innen?‹ Ich mußte lachen. – Denn ich dachte gar nicht an ihn! An den Goldbecher seines Vaters dacht' ich, der in der Halle auf dem Eckbrett prangt, und ob ich dann wohl täglich daraus trinken würde? – Aber er drohte, davonzulaufen in die weite Welt, wenn ich ihn nicht endlich ›erhöre‹ –, was immer das nun auch bedeuten mag. Und lesen und schreiben und alles was er lehren kann an Wissen, das hab ich von ihm gelernt. Und so versprach ich denn, heut' abend unter der Mark-Eiche auf ihn zu warten. Und sein Weib zu werden heute noch. Und mich dann von ihm in jene Försterhütte flüchten zu lassen, viele Stunden weit. Und jetzt sitze ich also hier, unter der Eiche. Und warte.«

Sie war müde, sie schloß die Augen.

»Ich möchte schlafen,« sagte sie gähnend. »Es ist so schwül. – – Ein leiser Wind hebt sich in den Bäumen.« – Sie reckte die Hand empor. »Südwind ist's. Der macht noch viel heißer. – Und der bringt das aufgeballte Gewölk von da drüben her – wie rasch es naht . . . .! Ich kann von hier die Thüre sehn, aus der er treten, den Pfad, den er einschlagen muß. Er kommt noch nicht . . . .

Er kommt noch nicht. Oh, wenn er doch gar nicht käme! – Seltsam! – Ich sollte ihm zürnen, dem Bräutigam, der säumt, zur Braut zukommen. Ach! Und ich wollte, er käme gar nicht, der Bräutigam! Ei ja! Ich nehme mein Bündel wieder auf und laufe zurück zur Ahne und sage, das Gewitter – denn jetzt kommt's mit Macht! – hat mich aufgehalten. – Oh je, wieder in der Ziegenhütte! Und wieder Hunger und Öde und – eitel nichts! Komm, Bräutigam! – Oh hießest du doch nicht Landerich! Aber wie sollte er heißen, mir zu gefallen? Keiner gefällt mir! Ich kann vielleicht wirklich nicht lieben! Rulla mit den glühenden Wangen hat wohl recht.

Hei, das Wetterleuchten! Das war schaurig schön! Ein Wink, ein stummer, des Donnerherrn, des roten, ein Götterzeichen, sagt die Ahne: ein Teufelszeichen, sagt der Diakon. – Wie der Wind jetzt heult und pfeift! Staub wirbelt auf der Geißenhalde empor! Wie der Sturm den Rauch niederdrückt über den Dächern im Dorf! – Hui, jetzt Blitz und Donner! – Und horch! Was war das? Fern im Wald hinter mir. Ein Hornruf? Ein Jäger? Im Bannwald jagen bei solchem Unwetter? Das ist der wilde Jäger wohl, der im Gewittersturme jagt! Hei, der wäre mir gerade recht, der starke Buhle! Komm, roter Donnerkönig, oder wer du auch bist, der im Gewitter dahinrast über mir: – Wildjäger, Rotjäger, Rotkönig, komm! Hier harrt eine Braut eines Bräutigams. Komm!

Da! Blitz auf Blitz! Und der Donner jetzt ganz nah! Ist es der Sturm, was mich so wild macht, so berauscht, so freudig? Oh, wüchsen mir Flügel, durch die Lüfte mich zu tragen – zu ihm. Ja, zu wem denn?«

»Hei, hilf Sankt Martinus!« kreischte sie und sprang auf mit Entsetzen: ein furchtbarer Schlag krachte über ihrem Haupt, in langhin rollendem Donner sich entladend.

Sie sah zitternd empor. »Die Eiche brennt! Der Blitz! Er schlug in unser Brautbett, Landerich! – Und horch! Gewiß, gewiß, das ist ein Horn! Ein Jagdhorn! Es naht! Er naht! Ein Reiter! aus dem innersten Wald! Auf rotem Roß! Rot flattert im Sturmwind sein Mantel. Rot aus dem Jägerhut fluten die langen Locken. Ja, es ist der rote Dämon des Blitzes! Schützt mich, ihr Heiligen! – Oder nein, schützt mich nicht: er hat meinen Ruf gehört – der Bräutigam ist 'kommen.«

Und vor ihr hielt ein Reiter, der mit dem rechten Arm weit vom schnaubenden Rotroß herab nach ihr griff. Sie schmiegte sich zitternd an den nächsten Baum. Der brennende Eichenwipfel beleuchtete grell beide Gestalten.

Regungslos stand das Mädchen, an den Stamm geduckt, und starrte auf den stolzen Reiter, seine reiche Tracht, seinen blitzenden Goldschmuck: nie hatte sie solche Pracht geschaut. »Wer bist du?« fragte sie bebend, aber sie konnte das Auge nicht von ihm wenden. »Wer ich bin? Dein Herr! – Wer du bist? Ich frag' es nicht, denn du bist zauberschön! Ich bin ein Jäger und du – meine Beute! Willst du nicht? Muß ich dich zwingen!« »Ich will!« rief sie leidenschaftlich und sprang von dem Baume weg auf ihn zu. Rasch hatte er nun die schlanke, fast noch kindliche Gestalt um die Hüfte gefaßt und vor sich in den Sattel gerissen. Er breitete seinen langen roten Flattermantel um sie und jagte mit ihr davon in den dichten Wald unter lohendem Blitz und hell nachprasselndem Donner.

 


 


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