Felix Dahn
Fredigundis
Felix Dahn

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Viertes Buch.

Erstes Kapitel.

Es ging gegen das Frühjahr; in dem Garten des Klosters der heiligen Genoveva zu Rouen sangen bereits die Amseln in der Abenddämmerung; die Schneeglöcklein sproßten auf sonnigen Wiesen. –

In dem für den Besuch von Fremden bestimmten Gemach saßen in ernstem Gespräch Merovech und der Bischof von Rouen. »Erzählet mir alles genau,« sprach der letztere. »Soll ich Euch wirksam meinen Rat, meinen Beistand leihen bei der edeln, tief gebeugten Frau, so muß ich alles wissen. Erwäget wohl, ernste Bedenken stehen Euerem Vorschlag entgegen: – soll ich ihn befürworten, soll ich ihn selbst durchführen helfen, so müßt Ihr mich voll überzeugen von der Ersprießlichkeit.«

»Ihr kennt den Verlauf der Dinge, ehrwürdiger Herr, bis zu Anfang des Winters. Als Herr Sigibert auf Euern Rat hin die Wahl zum König von Neustrien angenommen, da reistet Ihr aus dem Lager nach Haus und dann verschwandet Ihr in einem unbekannten Kloster. O wie hart vermißten wir Euch bald!« – »Ich eilte an das Sterbelager meines Vaters. Dann hatte ich ein Gelübde zu erfüllen, – ein Gelübde schwerer Buße. – Sagt, wie geschah die Unthat? Wie starb der edle Fürst?« – »Zu Vitry war's, nahe bei Paris. Die Tage sind kurz im Advent. Die Bischöfe von Neustrien, die bei der Feier nicht fehlen durften, – sie sollten den König segnen – kamen nur langsam vorwärts auf den schlechten Wegen. So war es später Nachmittag und bereits dunkel geworden, – der Schnee fiel in großen Flocken – als endlich auf dem weiten Brachfeld von Vitry, wo unser Heer, sofern es nicht vor Tournay lag, dann viele Tausende von Neustriern versammelt standen: die feierliche Erhebung auf den Schild begann. Frau Brunichildis – obwohl sie täglich ihrer schweren Stunde entgegensah, – ließ es sich nicht wehren, der Handlung beizuwohnen: ich hielt neben ihrer halbgeschlossenen Sänfte. Denn wenn ich auch nicht die Waffen führte wider meinen Vater, den Hofdienst der edeln Frau hatte ich nie aufgegeben. Der blutrote, düstre Schein der Pechfackeln spiegelte sich auf den Helmen und Brünnen und Schilden der Heerleute. Graf Theudulf von Le Mans, Herzog Drakolens Eidam . . .–« – »Und er selbst?« – »Er selbst erklärte, König Chilperich die Treue wahren zu wollen: er mißbilligte Theudulfs Schritt. Graf Theudulf von Le Mans also und Graf Leo von Beauvais fragten im Namen aller neustrischen Großen das versammelte Volksheer der Neustrier, ob sie Chilperich, der so oft der Königspflicht vergessen und der Freien Rechte gekränkt, noch länger dienen wollten? ›Nein!‹ riefen die Tausende. Weiter fragten die beiden Sprecher, ob sie an seiner Statt Herrn Sigibert zum König haben wollten? Brausender Jubel bejahte und nun ward der teure Oheim von zwanzig starken Armen auf den breiten Schild gehoben und, wie er oben stand und dem Volke den Eid seines königlichen Schutzwortes geleistet hatte, im Kreis umhergetragen unter freudigem Zuruf und unter dem Geklirre der aufeinandergeschlagenen Waffen. Vor der Sänfte der Königin sprang er von dem Schild herab: er trat an dieselbe heran, mit Frau Brunichildis zu sprechen.

Da drängten sich zwei schlecht gekleidete Männer durch das Volk, unbewaffnet, jeder eine Rolle in der Hand; sie knieten, der eine zu seiner Rechten, der andere zu seiner Linken nieder und reichten ihm mit stummer Bittgebärde jeder seine Bittschrift dar.

Der Kämmerer Charigisel und Graf Leo von Beauvais, welche ihm zunächst standen, wollten den Zudringlichen wehren. Doch Oheim Sigibert, mild-gütig wie er war, nahm den beiden Bittenden die Rollen aus der Hand: ›Soll ich die erste Bitte in Neustrien versagen?‹ rief er, winkte einem Fackelträger, ihm zu leuchten, und hob nun beide Hände mit beiden Urkunden in die Höhe gegen die Fackel hin.

Im selben Augenblick sprangen die beiden Knieenden auf – ich sah etwas blitzen, hörte einen gräßlichen Schrei, – der König brach zusammen.

Furchtbarer Lärm, tosende Verwirrung entstand. Als ich vom Roß gesprungen war und, um die Sänfte herumrennend, den König erreicht hatte, lagen außer ihm schon mehrere Männer tot niedergestreckt neben ihm.

Charigisel hatte den Mörder zur Rechten ergriffen, aber laut aufschreiend sank der Kämmerer zu Boden, sterbend; Graf Leo von Beauvais spaltete nun diesem Mann mit der Streitaxt das Haupt. Aber der andere hatte sich den Fäusten entrissen, die ihn hielten: er streifte nur leicht mit dem Dolch des Grafen Gesicht, riß dem Fackelträger die Leuchte aus der Hand, stieß sie in den Schnee, daß sie zischend verlosch und, bevor ihn Sigila und Theudulf, die mir später all' das berichteten, fassen konnten, war er in der Dunkelheit im Gewühl verschwunden. Graf Leo aber, obwohl ihm nur die Haut geritzt war, lag im Sterben.«

»Zaubergifte,« sprach Prätextatus schaudernd. »Eine Greisin auf unserem Hof an der Wutach braut solche für Pfeile gegen Wölfe. – Was fand man bei dem Mörder?«

»Nichts! die Rolle enthielt keine Bitte – einen Psalm. Sie hatten dem Oheim die Messer, hart neben der Brünne, rechts und links in die Achselhöhlen der beiden erhobenen Arme gestoßen. Er lebte nur noch so lang, bis Frau Brunichildis, im blutigroten Schnee sitzend – sie war nicht ohnmächtig geworden und hatte keinen Schrei ausgestoßen – sein Haupt auf ihren Schoß genommen hatte. Ich kniete neben ihr und hielt seine Hand. Er schlug nochmals das schöne Auge auf, er erkannte sie und mich: da nahm er meine Rechte, legte sie fest in Frau Brunichildis Hand und sprach: ›Dem vertraue ich dich an! – Dich und unser armes Kind. – Merovech – soll dein Schild – der ist dir treu vor allen! – soll unsres Kindes Vater sein.« – »Sind das – genau so – seine Worte?« – »Sie sind es. Fragt sie selbst. – Und seine letzten Worte waren es: er seufzte tief und starb.« – »Arme Frau! . . . Und der erschlagene Mörder, – wer war er?« – »Niemand kannte ihn. Das Messer in seiner Faust – ein Skramasachs – trug tiefe Runen, die niemand lesen kann. Und die Runen wie die Spitze sind ganz grüngelb gefärbt. Die Mörder hatten es nicht nur auf den König abgesehen und auf die beiden Getöteten. Sowie der König gefallen, war der eine auf Sigila, der andere auf Theudulf losgesprungen, die beide doch ziemlich ferne standen, und jeder hatte einen Stoß auf die Brust empfangen, den nur die starke Brünne abwehrte.« – »Und nun – nun folgte wohl rasch ein Umschwung aller Dinge?« – »Wie mit einem Zauberschlag! Die Neustrier, des eben gewählten Hauptes beraubt, zitterten vor meines Vaters Rache.« – »Mit Grund. Denn sie ward grauenhaft, so hör' ich.« – »Sie wandten sich an Oheim Guntchramn. Der wies sie ab: er habe Mühe genug, sein Burgund zu regieren. Da unterwarfen sie sich wieder meinem Vater.« – »Ist es wahr, daß er fünf Herzoge hat blenden lassen und elf Grafen? Und Herzog Drakolens Geschick – ist es wahr?« Merovech wandte sich schaudernd ab und schwieg.

»Man sagt,« fuhr Pratextatus fort, »Theudulf, sein Eidam, sei entkommen. Darauf habe Chilperich unter dem Vorwand, Drakolen kenne dessen Versteck, diesen und sein ganz Geschlecht geächtet, die unermeßlichen Güter eingezogen, drei der Söhne, die Frau, die beiden Töchter und den Gatten der anderen Tochter, die in seine Hand gefallen, – hat er ihnen – wirklich? – weil sie nicht sagen konnten oder wollten, wo sich Theudulf verborgen halte, allen nach der Folterung die Hände abhauen lassen und sie als Bettler . . .–« – »Laßt ab! Es ist alles wahr. Die Frauen und ein Sohn sind darüber gestorben. Drakolen und die andern drei Söhne sind noch nicht ergriffen, sie halten sich verborgen; man sucht sie überall. Ich flehe täglich zu den Heiligen, daß man sie nicht finde.« – »Drakolen, der in der Treue nie gewankt!« – »Wahrlich, Ergebung braucht es, starke Ergebung in die unerforschliche Weisheit des Herrn, bei solch' ungeheurem, unverdientem Elend nicht irre zu werden an der Vorsehung und ihrem Walten.« – »Herzog Drakolen, der glücklichste der Menschen!« – »Nun mag er zählen zu den elendesten auf Erden!« – »Und Frau Brunichild?«

»Sie rief Oheim Guntchramns Schutz an. Aber der erwiderte, die gotische Königstochter solle sich doch jetzt selber helfen oder von dem Gotenkönig, ihrem Vater, helfen lassen: er, mit Frauen niedrigen Standes vermählt, sei nicht würdig, ihr Beschützer zu sein. Chilperich habe ihm bereits die Teilung von Austrasien angeboten. Er wolle nun abwarten, ob Sigiberts Kind ein Mädchen sei oder ein Knabe. Ein Mädchen sei kein Erbe. Einem Sohn Sigiberts aber werde er Austrasien nicht bestreiten. Und einen Sohn gebar wenige Tage darauf Frau Brunichildis. So schön hab' ich sie nie gesehen, als da sie, unter Thränen lächelnd, den Knaben mir in die Arme legte und sprach: »Da ist er, den du schützen sollst.« Childibert ward er genannt. Bischof Germanus hat ihn getauft.

Einstweilen aber hatte – und das ist das Schlimmste! – Herzog Gundovald, das trotzige Haupt des trotzigen Adels von Austrasien, den schon Sigiberts starke Hand kaum hatte beugen und bändigen können, sobald er von dem Mord erfahren, auf eigne Faust seinen Frieden gemacht mit meinem Vater, diesen gegen schwere Summen Goldes aus Tournay abziehen und sich ganz Neustriens wieder bemächtigen lassen.«

»Und alle die Getreuen König Sigiberts vom Maas- und Moselland, und die von den Stämmen rechts vom Rhein? Ich weiß, er hielt gar viel von Karl und von Arnulf, den wackern Helden von der Mosel: – er wollte mit ihnen dem mächtigen Adel, diesem Gundovald vor allen, steuern. Was ist mit ihnen allen?«

»Die Stämme rechts vom Rheine kehrten um, und gingen nach Hause, sich selber zu helfen: – niemand wußte ja, wer Sigiberts entfallenen Königsstab aufnehmen werde – denn die Avaren sind in Thüringland und Bajuvarien eingebrochen. Auch jene Moselfranken kehrten heim, obzwar sie an der Regentschaft Gundovalds und seines Schwagers, des bösen Bischofs Egidius von Reims, wenig Freude haben: sie eilten über den Rhein, jene Unholde vertreiben zu helfen. – Mich sandte Brunichildis – o hätt' ich ihr doch diesmal nicht gehorsamt! – von ihrer, von ihres Knäbleins Seite, freilich mit heiligem Auftrag. Ich führte die teure Leiche des Oheims nach Soissons, wo ich ihn in der Basilika des heiligen Medardus, welche er selbst gebaut und sich zur Grabstätte bestimmt hatte, feierlich bestattet habe. Aber wehe, wehe! Während ich fern weilte, war Herzog Gundovald nach Paris geeilt, wo die Königin noch lag, und hatte, nachts mit Gewalt eindringend, das Knäblein von ihrer Seite geraubt. Vergeblich warf sich die königliche Frau, verzweifelnd, händeringend, vor des Räubers Füße; er lachte: ›ich mußte mich doch überzeugen, ob wirklich ein Speerlein, nicht eine Spindel, hier in der Wiege liegt. Ich seh', es ist ein Sohn. Ich erkenne dieses Kind als meinen König an. Aber nicht ein Weib, Frau Brunichildis, kann an des Kindes Statt das Königsschwert führen: das kann nur ein Mann. Ich will mich opfern, Euch die Mühe abnehmen. – Ihr zieht wieder heim ins schöne Gotenland! Auch kann ich mit meinen Freunden Euren Knaben viel besser schützen vor seinem gebornen Schützer – und, nach merowingischem Familienrecht – gebornen Mörder: seinem Oheim Chilperich, als Ihr oder auch als jener Merovech, dem ihn der sterbende König empfahl, der leider immer seinen Adel kränkend zurücksetzte.‹ In einem mitgebrachten Korbe trug der Herzog das Kind unter dem Mantel davon nach Reims.« – »Unselige Mutter!« – »Und doch war es Rettung für den Knaben! Denn schon am Tage darauf erschien in Paris – mein Vater.«

»Unmöglich! Er hat ja geeidet wie die beiden anderen Brüder, Paris nicht in Abwesenheit des andern – also nun Guntchramns – zu betreten!« – »Er soll auch lange gezögert haben. Sie hat ihn auch dazu gebracht.« – »Wer?« – »Das Weib! Diese verfluchte Fredigundis, die Höllenkonigin!« »Vergebet euren Feinden!« mahnte der Bischof, leise bebte seine Stimme. »Wie hat sie ihn beredet?«

»Ihr wißt, die drei Brüder haben geschworen bei dem heiligen Polyeuktus . . .–« – »Ich weiß! – Mir graut!« – »Bei Sankt Polyeuktus, Sankt Martinus und Sankt Hilarius, daß keiner der Brüder ohne die beiden andern durch ein Thor von Paris ziehen werde. Sie aber sagte: ›der jungen Brut der Schlange, der Gotin, kann man nicht früh genug den Kopf zertreten.‹ Und sie wußte ihn zu überzeugen, daß die drei Heiligen seinen Eidbruch nicht rächen könnten, falls er unter dem Schutze von noch mächtigeren Heiligen stehe. So gelobte er den beiden Apostelfürsten, Sankt Peter und Sankt Paul, jenem eine Basilika zu bauen in Tournay und diesem Zollfreiheit für sein Kloster zu Bordeaux: und wie er in Paris einritt, ließ er sich den linken Armknochen Sankt Peters reichen und trug ihn in der Hand, und wie er die Seinebrücke betrat, ein Kistchen mit Barthaaren Sankt Pauls, und trug es auf dem Sattel und rief unablässig: ›Herr Petrus und Herr Paulus! So wahr ihr größer seid als jene drei – ihr wißt schon, welche ich meine! – schützt mich vor diesen meinen drei Übelwollern im Himmel.‹ Das soll alles sie ihm geraten haben. Er aber erwiderte dem ehrwürdigen Bischof Germanus auf dessen Vorwürfe: ›Was wollt Ihr? Versteht Ihr so wenig, zu unterscheiden? Ich schwur, nicht durch ein Thor von Paris zu ziehen. Nicht wahr? Nun, hab ich das etwa gethan? Geht hin an das Thor Sankt Pauls: dortselbst ließ ich ein Stück der Mauer niederreißen: nicht durch das Thor, durch jene Mauerlücke bin ich eingeritten.‹ Und zornig tobte mein Vater, da er den Knaben nicht mehr fand. Er ließ Herzog Gundovald scharf verfolgen, aber ohne ihn einzuholen.

Auch die Königin wäre wohl dem Tode nicht entgangen. Jedoch ich hatte ihr geraten, falls sie bedroht würde von irgend welchen Feinden, – daß mein Vater Paris betreten werde, das hätt' ich nicht erwartet! – rasch Asyl zu suchen in der Bischofskirche. Das erreichte sie, gerade noch bevor mein Vater über die Seinebrücke drang. Bischof Germanus vermittelte zwischen beiden. Unter furchtbaren Eiden sicherte ihr mein Vater das Leben, falls sie das Asyl verlasse, Paris räume und sich nach Rouen in dieses Kloster begebe. Sie willigte ein; ich erfuhr das Geschehene durch treue Boten und eilte von Soissons hierher.« – »Hier wird nicht lang Eures Bleibens sein. Euer Vater wird, sobald er erfährt, daß ich zurückgekehrt bin, hierher eilen, mich zu strafen. Sollte er seines Hasses gegen mich vergessen – sie wird ihn dessen schon erinnern! Auch Euch wird er nicht an der Seite, im Dienste seiner Feindin lassen.« – »Er schrieb mir schon: ›eine Königin ohne Palast braucht keinen Palastmeister.‹ Ich aber bleib' in ihrem Dienst – so oder anders – solang ich atme.«

»Die Königin erwartet Nachricht aus Toledo?«

»Jawohl. Sie rief ihres Vaters Waffenhilfe an, ihr den Knaben zurückzuholen aus der Hand des frechen Adels.« – »Die Scheu vor dem gotischen Heerbann hat wohl Euren Vater von manchem abgehalten?« – »Gewiß! Er sprach zu Brunichildis: ›Getrost! Ich halte diesmal meinen Eid: ich scheue mehr noch als den Zorn der Heiligen im Himmel den der Goten auf der Erde.‹« – »Er hat allen Grund. In wenigen Wochen können sie von ihrem Narbonne aus . . . – aber horch!« – »Da sprengt ein Reiter in den Hof.« – »Er springt vom Pferd.« – »Sigila ist's, der Königin Marschalk, den sie an ihren Vater entsendet hatte, die Tausendschaften der Goten aufzubieten.« – »Er eilt hierher.«

Im gleichen Augenblick trat die Königin aus dem Seitengemach zur Linken in den Saal, über und über in graue Trauergewande gehüllt, gebeugt, doch nicht gebrochen von der Trauer. Sie reichte beiden Freunden die Hand; das edle Antlitz war, jetzt durch den Ausdruck tiefer Trauer geweiht, noch schöner, als da die glückstrahlende Braut eingeritten war in Marseille. Der dichte silbergraue Schleier umrahmte scharf Stirn und Schläfe, keine Locke des braunen Haares zeigend: wahrlich mehr einer Nonne als einer Königin glich sie. Ein leichtes Rot flog, um gleich wieder zu schwinden, über die bleichen Wangen. – »Ich sah Sigila in den Hof reiten – hier ist er schon.«

Sie eilte ihm bis an die Thür entgegen: »O Vielgetreuer! Was bringst du mir vom Vater in Toledo? Wie siehst du so ernst!« – Tief traurig erwiderte der Gote: »Faßt Euch, hohe Frau, in Kraft: seinen letzten Gruß.« »Mein Vater! Auch er!« Sie wankte und glitt auf eine Ruhebank. – »Ich fand den Greis im Sterben. Die Wahl des Volkes – Ihr habt ja weder Bruder noch Vetter – berief ein neu Geschlecht. Hofft auf keine Hilfe von unserm Volke.« – »O mein Vater! Der Gatte gemordet! Der Sohn geraubt – und der Rächer: der Vater, gestorben! Von meinem Volke verlassen! O Sigila – was war des Vaters letztes Wort, sein letzter Rat?«

Der Marschalk zögerte – er warf einen Blick auf Merovech – dann trat er dicht an die Königin heran und flüsterte in ihr Ohr. Sie schüttelte das Haupt, auch sie warf einen schnellen Blick auf Merovech. Dann sprang sie auf. »Nein!« rief sie. »Das nicht. Das kann ich nicht! Sigiberts Witwe . . .« – Rasch trat Merovech vor sie und schlug die dunkeln Augen begeistert zu ihr auf: »– kann keinen zweiten lieben nach Sigibert. Ich weiß es, Königin! Aber dennoch ergreife, – ich flehe dich an vor diesen deinen nächsten Freunden – ergreife meine treue Hand. Gieb mir den Namen deines Gatten und damit das Recht, die Pflicht, deine, deines Kindes Sache zu führen. Niemals – ich schwör' es hier und will es wiederholen vor dem Altar des Herrn – niemals will ich gegen dich, gegen deinen Willen, ein Recht aus diesem Namen ableiten. – Aber die Pflichten gewähre mir deines Gatten, deines Beschützers. Deinen Gemahl kann kein Vater, kein König von deiner Seite reißen. Und hier schwör' ich dir: nicht rasten will ich und nicht ruhen, bis ich dein geraubtes Kind dir wieder an die Mutterbrust gelegt, bis ich sein ganzes Königserbe Austrasien ihm erstritten, bis ich im Geiste Sigiberts den Trotz dieses frevelvollen Adels gebrochen habe. O sieh, Königin: Sigiberts letztes Wort empfahl dich mir: deines sterbenden Vaters Rat war, – ich las es von des treuen Goten Lippen! – meiner Werbung nachzugeben. Hier der fromme Bischof, deines Gatten Beichtiger und Berater – o sprecht für mich, Bischof Prätextatus!« – »Ich rate Euch, edle Frau, schlagt diese treue Hand nicht aus. Ein Weib werden die Franken als Regentin, als Vormünderin des jungen Königs niemals dulden. – Was Ihr von andern Regenten zu fürchten habt, – Ihr habt es schon an Gundovald erfahren. Ein Merowing, ein Glied des Königshauses, wird den Austrasiern ein willkommener Regent sein. Aber nicht als Sohn Chilperichs: – nur als Euer Gatte und Beschirmer kann er Euer Recht verteidigen gegen jedermann. Und Ihr bedürft wahrlich des Beschirmers, nun, da Ihr auf der Goten Heerbann nicht mehr zählen könnt. Wo ist auf Erden ein Beschützer edler, reiner, treuer und –« flüsterte er in ihr Ohr – »uneigennütziger, selbstloser als dieser bescheidene Freund?« »Und gedenket,« rief Sigila, »noch schuldet Ihr der toten Schwester Rache. Ihr habt's geschworen! Dazu bedürft Ihr des Beistands.« »Und gedenket,« mahnte der Bischof, »Ihr habt dem edlen Gatten gelobt, mit ihm und wie er selbst dieses trotzigen Adels Übermut zu brechen, der des Volkes Recht mit Füßen tritt wie Euer mütterliches Recht: dazu braucht Ihr treuer, starker Helfer.«

Verwirrt, bestürzt sah die Verlassene vor sich nieder.

»Ich liebe ihn nicht! – Ich kann nicht einem andern mein Herz zu eigen geben, das ewig des einen ist. – Und die Kirche! Er ist mein Neffe. Sein Vater ist meines Gatten Halbbruder! Die Kirche verbietet solche Ehe.« – »In diesem Fall – in diesem merket wohl, Merovech! entbinde ich, kraft meiner bischöflichen Gewalt, von diesem Hindernis.« Sie sprang auf: »Laßt mich! Zwingt mich nicht! O Merovech! Willst du ein totes Herz?« »Ich will nur das Recht, dich zu schützen, dich und deinen Knaben!« rief er der Enteilenden nach.

 


 

Zweites Kapitel.

König Chilperich hielt freudig Hof in Soissons, seinem alten Königssitz: diese Stadt hatte ihm Herzog Gundovald als Regent von Austrasien zurückgegeben.

In dem reich geschmückten Frauengemache des Palatiums daselbst stand Frau Fredigundis vor zwölf tiefgründigen Truhen, griff hinein mit ihren weißen Armen und wühlte in dem Inhalt mit ihren zierlichen Fingern. Sie war unbeschreiblich vergnügt.

Denn es war eitel Gold und Silber, darin sie wühlte: manche der Truhen enthielten nur gemünztes Gold, andere kostbarsten Frauenschmuck jeder Art, dann Tafelgeräte, Schalen, Schüsseln, Geschirr, Frauengewänder und edle Stoffe für solche aus Byzanz, aus Spanien, aus dem Orient.

»Ha, das ist Wollust, Rulla,« lachte sie, die kleinen weißen Zähne zeigend, und zwanzig Armringe, die sie auf einmal aufgereiht hatte auf dem nackten rechten Arme, mit blitzenden Augen musternd. »Das ist wie Rausch! Rausch in Reichtum, Macht und Glanz und Herrlichkeit.« »Ich habe nicht gedacht, daß es soviel Geschmeide gebe auf dem ganzen Erdboden,« – staunte Rulla. »Woher diese neuen Kisten? Ich habe sie nie gesehen.«

»Das sind die Schätze, welche die Gotin aus Spanien mitgebracht, sowie die, welche ihr Er –: der Tote, mein ich – als Morgengabe geschenkt hatte. Mein Chilperlein hat sie in Paris erbeutet. So ist das Gut der beiden Schwestern, der beiden Königstöchterlein, nun hübsch wieder beisammen. Wie müssen sich die Perlen und Steine freuen, nun in Soissons wieder nachbarlich bei einander zu liegen, wie weiland in dem Gotenhorte zu Toledo! Schau, Rulla, manche Stücke sind offenbar ganz gleich, wie Zwillinge, gebildet worden. Sieh – nochmal sieben Schnüre schönster Perlen. Jetzt – die andern dazu genommen! – kann ich mir den Nacken bis zur Brust damit bedecken. – Und schau nur: das ist das weiße, goldgestickte Kleid, das die Gotin trug beim Einzug in Marseille – geschlagen hat mich um dieses Gewandes willen der Herr Kämmerer Charigisel: – jetzt schlägt er nicht mehr! – Einmal trag ich's – bei der Messe an dem nächsten Ostersonntag – dann, Rulla, schenke ich es dir. – Laß gut sein, danke nicht – das macht mir mehr Freude als dir! Schau nur, wie mein Samson auf die bunten Steine blickt! – Wahrhaftig, er greift danach, während sie deinen Rando auf dem Pfühl dort zu blenden scheinen, er steckt scheu den Kopf in das Kissen. – Da hast du eine Hand voll Solidi für Rando – da! Fang auf! Und gieb mir meinen Königssohn.« Sie nahm ihr das Kind ab: »Schau da, schau hinein, mein Söhnchen – das alles wird einmal dein Eigen! Und noch viel, viel mehr, gönnen die Heiligen deinem Mütterlein langes Leben. – Nach was greift er denn da? Wahrhaftig! – Es ist ein Diadem: Frau Brunichildens Krone! Die ist noch zu weit für dich – laß! – Nein? Nicht die Silberschale? – Die Krone muß es sein? Nun, du gefällst mir. Komm, Herr König von Neustrien, laß dich krönen.« Und sie steckte das Köpflein des Kindes einen Augenblick in den weiten Reif der Krone, und warf dann das Diadem klirrend in eine der Truhen.

»Ei, wie das klang, Liebling? Nicht wahr? Dahinein gucken? Ja, da ist noch mehr. Das gefällt dir so sehr? Nun komm, mein kluger kleiner König, du sollst in Golde baden.«

Und sie senkte das Kind in eine ganz mit Goldmünzen gefüllte Kiste, legte es wagerecht nieder und schaufelte mit beiden Händen die Goldscheibchen über seine nackten, zappelnden Beinchen. Lustig schrie der Knabe und patschte mit den Händen auf das Gold.

Ein Kuß auf ihren weißen Nacken erschreckte sie: Chilperich schlang den Arm um ihre Hüfte: »So ist's recht!« lachte er. »Junge Drachen soll man auf Gold betten, dann wachsen beide: Hort und Drache. – An diesem Sohne hoff ich Freude zu erleben. Er muß mir den Abtrünnigen ersetzen.« – »So ist das Gerücht . . . –?« – »Kein Gerücht mehr! Soeben erhalte ich einen Brief von Leudast, meinem Grafen aus Rouen. Es ist so. Er hat sich mit der Gotin trauen lassen.«

»Gar rasch hat sich der Witwe – Herrn Sigiberts Witwe! – Leid getröstet,« höhnte sie. – »Und weißt du, wer sie getraut hat? Der Bischof von Rouen selbst.« »Prätextatus!« rief Fredigundis wild. Ihr Auge funkelte. »Er wagt es! Diesem Bischof will ich die kanonischen Ehehindernisse abfragen!« drohte der König. – »Von Fredigundis kannst du ihm bestellen: – für ihn sei weiland das Hauptehehindernis gewesen, daß Fredigundis ihn verschmähte.«

Chilperich stellte sich höchlichst erstaunt: »Was hör ich? Der Freche! – Freilich! Er war der Sohn deines Hofherrn!« »Es ist nicht sein Verdienst,« hetzte sie, »daß Fredigundis für dich erhalten blieb.« »Nun, dann ist ihm die Liebe tüchtig in Haß umgeschlagen. Er ist dir bitter feind. Graf Leudast . . . –« – »Den Kopf herunter diesem Grafen! Warum schickt er nicht, statt seines Briefes, alle drei gebunden?«

»Weil sie alle drei Asylschutz gewonnen haben, in der Bischofskirche, während der Marschall Sigila Abenteurer wirbt, mit welchen sie dann auf Reims ziehen und das Kind dem Herzog Gundovald entreißen wollen. Mein Sohn soll an des Knaben Statt die Regentschaft in Austrasien führen.« – »Das wirst du doch nicht dulden?« – »Beileibe! Gundovald ist mein Verbündeter geworden. Ich hasse den abgefallenen Sohn, der meine Todfeindin zum Weibe nahm. Und gegen die Canones! Schon der Theolog in mir kann das nicht dulden. – Wenn ich nur wüßte, wie ich sie aus dem Asyl herausschaffe? Gewalt – gegen die Heiligen! – ist nicht meine Sache.« – »Laß mich nachdenken.« – »Aber nicht gar lange. Morgen früh brech' ich auf nach Rouen, – ein ungebetener Gast zur Nachhochzeit.«

»Gut. Die Nacht genügt mir. Wenn ich ein Kräuterbündlein der Großmutter unter mein Kopfkissen lege und der heiligen Genoveva, der Spenderin kluger Träume, eine Wachskerze gelobe, kommen mir immer, gegen Morgen, halb im Wachen, halb im Schlaf, die klügsten Einfälle.« »Ja, du hast freilich kluge Einfälle! Aber sie steigen wohl mehr aus dem Bilsenkraut und den Tollkirschen deiner alten Hexenmutter zu dir auf, als von der Heiligen zu dir nieder,« – lachte er im Hinausgehen. »Wer weiß?« lächelte Fredigundis still vor sich hin. – »Genoveva gilt als Ehestifterin. Ohne meine Morgenträume hätten weder ich noch Herr Merovech Hochzeit gehalten im Laufe von zehn Monden. – Nun, dieser Stiefsohn,« sprach sie jetzt laut, »nimmt mir die Mühe ab, zu träumen. Der richtet sich viel rascher selbst zu Grund als ich es könnte. – Bleiben die beiden andern. – Theudiberts Wunden sind zwar geheilt; aber sein Geist ist ganz verstört, zerrüttet. Für Chlodovech, diesen zorngemuten, jungen Stier, wird sich wohl auch der richtige rote Lappen finden. Ich brauche nicht weit zu suchen,« lachte sie, ihr Haar über die Schulter zurückwerfend. »Dies Haar und seine Trägerin haßt er ohnehin so hitzig, daß er – Nun? Was reißest du so weit die Augen auf, Rulla? – Glaubst du, mein Samson hier soll ein Viertel- oder Drittel-König werden? Dies Neustrien ist ohnehin so schmal! Austrasien ist groß, Burgund ist reich und soll, ach! so schön sein! Der dicke Guntchramn hat keine Söhne. Der kleine Childibert? – Bah, nicht alle Kinder beißen mit den zweiten Zähnen.«

 


 

Drittes Kapitel.

Wenige Tage darauf stand König Chilperich mit stattlichem Gefolg in Rouen vor dem Gitter des Bischofshauses, das, wie die Kirche selbst, mit der es das Dach gemeinsam hatte, Zufluchtsrecht gewährte.

Indessen er ungeduldig auf das Erscheinen der drei Asylgenossen wartete, überreichte ihm ein Bote eine zierlich verschnürte Rolle. Der König schnitt die Verschnürung mit seinem Dolch auf und sah hinein. Ein bittres Lächeln, ein sehr verachtendes, spielte um seinen feinen Mund. »Es giebt doch nichts Erbärmlicheres,« sprach er zu sich selber, »als erstens einen Menschen, zweitens einen Versemacher und drittens einen Priester. Da schickt mir dieser Venantius Fortunatus – der Busenfreund der heiligen Radegundis! Bischof von Poitiers will er werden! Wird es auch, wenn er so fortdichtet! – ein Lobgedicht auf mein Gundelchen. Wie hat er doch vor kurzem Brunichildis verherrlicht und die andre, die »bleiche Gotenlilie« – und Herrn Bruder Sigibert! Nun will ich meinen eignen Bart essen, wenn der nicht ahnt, nicht weiß – die Binsen im Schilfe flüstern es vom Rhein bis an den Ebro – und nur die Furcht vor mir hält die offene Anklage nieder. Er weiß es so gut wie ich, wer jener Jungfrau und meinem Bruder ihr junges Leben abgeschnitten hat – und dieser selbe »christliche Sänger«, wie sie ihn nennen, schreibt von meinem Gundelchen – da steht's! es ist unglaublich: – ›Sie verherrlicht das Reich durch ihre Sitten! Sie führt die Herrschaft mit dem Gemahl, in die Zukunft vorblickend in ihren klugen Ratschlägen, durch alle Tugenden ausgezeichnet, sie, die herrliche Fredigundis! Heiterer Tag strahlt von ihrem Antlitz, sie trägt mit dem Gatten die sonst allzuschweren Lasten der Krone, ihn durch Güte und Trefflichkeit fördernd, durch sie blüht die Ehre des Königshauses!‹ Und da – da steht es wirklich und wahrhaftig: – ›Deines Gatten frommer Glaube hat gesiegt.‹ Und hier: ›Das neidische Schicksal‹ (– giebt es ein solches neben Gott und den Heiligen? –) ›hatte die Freundschaft der Brüder gelöst‹ – (das heißt: jene Würgethat zu Baniacus!) ›Aber es hat Chilperich und Fredigundis nur nützen können – weil Gott eingriff: operante Deo!‹ – Da steht es geschrieben! So muß ich's wohl glauben. – Er weiß sich denn auch gar vor Freude nicht zu fassen, daß des Bruders Ermordung uns gerettet hat. Freilich, hohe Zeit war es, höchste Zeit. Winnoch hatte Recht: – sie ist mein Glück und meine Retterin! Nie werd' ich's ihr verraten, daß ich's weiß: das würde wie Blutgeruch aufsteigen zwischen unsern Küssen. Aber danken will ich's ihr, solang ich lebe, daß sie's gethan – beides gethan! – mich zu retten, ohne mein Wissen, ohne daß ich mein Gewissen belasten mußte. Ich hab' es nur gewünscht, lieber Gott, – nicht den Finger hab' ich dazu gerührt. Nur sie, nicht mich darfst du dafür bestrafen!

Elendes Menschengewürm, verdienst du Besseres, als getreten zu werden? Euch verachten ist der Weisheit Anfang, euch lieben ist der Thorheit Gipfel, euch beherrschen durch eure eigne Schlechtigkeit ist des Klugen Recht. Was seh ich denn, wenn ich um mich her blicke? Dieser Adel, befleckt von seinen Lüsten, vom Mittag an besoffen, tierisch in seiner plumpen Kraft, treulos ohne Geschicklichkeit, tapfer ohne Zweck. Und diese Priester! Heuchler oder Dümmlinge. Oder beides zugleich. Oder – denn es giebt auch ehrliche, die nicht dumm sind – Schwärmer: diese sind dann unheilbar verrückt! – Das ist die Welt, in der ich stehe. Soll ich sie nicht verachten und, soweit ich irgend kann, genießen und beherrschen?« Er drückte sein Siegel auf das Wachs, das die Rolle verschlossen hatte und gab sie dem Boten zurück. »Der Frau Königin,« sprach er, »Hi, hi! Ich laß ihr sagen, sie solle ja nicht lachen, wann sie es liest.«

Kaum hatte der König diesen Bescheid erteilt, als aus der dichten Menge des Volkes, das ihn umdrängte, ein kläglicher Ruf an sein Ohr drang: »O Herr König Chilperich! Hilf mir! Rette mich! Befreie mich von meinen Feinden!« Der König stutzte. »Die Stimme kenn' ich, mein' ich! – Ihr Klang hat sich mir tief eingeprägt . . . – aber warum? Seit wann? – Wer ruft meine Hilfe an?« – »Ich, o Herr! Winnoch! Euer getreuester Knecht! Der Einsiedler von –« – »Ah ja! Der Weissager! Der so richtig geweissagt hat. Laßt ihn los, ihr Priester und ihr Klosterknechte.« – »O, Herr König! Der neue Bischof –« – »Herr Prätextatus?« – »Jawohl, der! Er hat mich in meinem Turme zur Nacht überrascht – überfallen wollt' ich sagen! Er fand den Wein bei mir, den Ihr, Herr König, mir doch selbst geschenkt hattet. Er hat mich zu schwerster Kirchenbuße verurteilt.« – »Herr König,« sagte einer der Priester, »der Klausner ist ein Lügner!« – »So? Mir hat er die Wahrheit gesagt!« – »Der Herr Bischof fand ihn völlig betrunken.« – »Ei was! Wenn's weiter nichts ist! In vino veritas! – Ich werde bei dem lieben Herrn Bischof ein gutes Wort für ihn einlegen. Der Mann hat Verdienste um den Staat. Warum ist er gebunden mit Stricken?« – »Er wehrte sich gegen den Diakon, der ihn ins Kloster abholen wollte. Wir mußten ihn binden.«

Chilperich trat hinzu und schnitt ihn eigenhändig los. »Nicht fortlaufen. Bleibe! Hier, hinter meinen Kriegern.« – Er wandte sich wieder zu dem Boten: »Und dem frommen und edeln Sänger Venantius Fortunatus zu Poitiers schickt – er läßt sich immer gern was schenken für seine Frömmigkeit und für sein Lob! – eine neue Harfe. Ich laß ihm sagen, ich besorge, die Saiten der alten seien ihm gesprungen, als er diesen Hymnus auf Frau Fredigundis sang. Sag's ihm; aber sag' ihm auch, ich erwarte jetzt bald die früher schon bestellte Grabschrift für die selige Galsvintha. Er kann die für meinen armen Bruder gleich auf dasselbe Pergament schreiben! Halt! Schickt ihm auch eine Schüssel mit Aalen, seinen Lieblingsfischen: glatt und fett und durch die Finger gleitend wie er selbst. Er ist ein Schleckmaul, der entsagungsvolle Sänger. Läßt sich gern von Frau Radegundis süße Nonnenherzchen aus Quitten bereiten und gleich darauf dichtet er dann: – so süß wie er gegessen! Ah! Mich ekelt dieser Frommen. Da kommt Herr Prätextatus. Der ist ehrlich: – darum gehört er in den Himmel, nicht auf die Erde.«

Hinter dem Gitter erschienen nun der Bischof und einige Priester. Sie neigten sich vor dem König.

»Ei,« rief dieser lächelnd, »da seid Ihr ja, ehrwürdiger Bischof. – Wundert mich, daß Ihr, ein so mutiger Bekenner, Asyl gesucht habt. Euer Gewissen muß nicht das reinste sein.«

»Ich suchte nicht Asyl, ich suchte nur mein Haus auf; daß dies Asyl gewährt, kann ich nicht ändern.«

»Hi, hi,« lachte Chilperich. »Echt theologisch und dialektisch! Liebe diese Wissenschaft. Freue mich immer, wenn auch andere sie pflegen.« »Daß es nicht Dialektik, wie Ihr sagt, Herr König, werdet Ihr sogleich sehen.« Er winkte, das Gitter ward durch einen Ostiarius von innen aufgeschlossen, und Prätextatus trat heraus auf die Stufen, welche zu der Basilika hinanführten.

Einen Augenblick schien es, als ob der König wie ein rasches Raubtier vorschnellen wolle auf den nunmehr Schutzlosen: es zuckte wie Wetterschein über sein Gesicht, seine feinen Nüstern flogen. Aber er bezwang sich. Hinter dem Gitter wurden Brunichildis und Merovech sichtbar.

»Ah, unser schönes Brautpaar! – Das bleibt noch vorsichtig in seinem Gitterkäfig, durch welchen der böse Staat seine Griffe nicht wagen darf! – Sagt, Herr Bischof, wart Ihr es nicht, der Herrn Sigiberts Bedenken, meine Krone anzunehmen, durch frommen Zuspruch weise überwand?« »Jawohl, Herr König,« – er trat die Stufen hinab, trat dicht an Chilperich und flüsterte ihm ins Ohr: »Ihr wißt, weshalb ich Euch für unwürdig halte, ein christlich Volk zu beherrschen. Ihr habt – wissentlich – die Mörderin Eurer Gemahlin zur Ehe genommen.« »Und Ihr?« zischte Chilperich ebenso leise. »Was thut Ihr? Oder vielmehr, was unterlaßt Ihr? Ihr unterlaßt die Anklage, weil Ihr meine Ehefrau, Eure Königin – liebt! Noch immer liebt in sündhafter Glut.«

Prätextatus erbleichte.

»Nun denn, junges Paar, meinen Glückwunsch! Nachträglich: – da Ihr meine Zustimmung vorher nicht für nötig erachtet habt. Ich bin also, wie ich euch schrieb, bereit, – um endlich den Frieden herzustellen in unserem Hause – eure Verbindung gelten zu lassen und euch nicht zu trennen, wenn wirklich ein Bischof die Entbindung von dem kanonischen Verbot erteilt hat. Ist dem so?« »Ich habe sie erteilt,« sprach Prätextatus. »So? – Ich habe euch ferner versprochen, auf daß ihr sicher das Asyl verlassen möget, euch nichts zuleide zu thun, und Merovechs Zug gegen Gundovald zu unterstützen. Ich wollte selbst das Knäblein auslösen – mit vielem Golde, – der Herzog aber gab mir's nicht. – Und auf daß ihr völlig vertrauen mögt, versprach ich euch, bei den Reliquien der größten Heiligen meine Worte zu beschwören. Wohlan, hier werden sie schon gebracht.« Aus seinem Gefolge traten vier Priester hervor, welche eine Reliquienkiste trugen, ganz ähnlich der, bei welcher die Eide zu Marseille waren geschworen worden. »Lies ab, Diakon, die Namen der hochheiligen Pfänder.«

Ein fünfter Priester trat hinzu, kniete nieder vor der geschlossenen Lade, küßte sie und las ab, was in goldnen Buchstaben auf dem Deckel der Kiste geschrieben stand: »die Kiste birgt das Stirnbein des heiligen Amantius, Bischofs von Rodez, die Schwurhand des heiligen Winwaloc, Abtes von Landévennec, das blutige Büßerhemd des heiligen Bischofs Conogan von Quimper: wer, diese Heiligtümer berührend, schwört und den Schwur bricht, den soll treffen der Fluch von Data und Abira und keine Fürbitte aller Heiligen soll ihn losbitten können von der ewigen Pein.« »Ihr habt gehört?« sprach der König. »Nun sollt ihr sehen.« Ein leises Grausen ging durch die Versammlung.

Damit schloß er die Kiste auf mit einem kleinen Schlüssel, den er aus dem Wehrgehänge zog, schlug den Deckel etwas in die Höhe und steckte die rechte Hand in die Öffnung. »Alle meine Zusagen werd' ich erfüllen und für den Fall der Untreue soll mich der angedrohte Fluch treffen, so wahr ich hier die Hand lege auf die Reliquien der genannten Heiligen.«

Tiefes Schweigen folgte.

Er zog die Hand aus der Kiste, der Deckel fiel zu. Aus dem Gitter hervor traten Merovech und Brunichildis, Hand in Hand, auf die Stufen, welche zu beiden Seiten von den Kriegern des Königs besetzt waren. Schon standen sie auf der dritten Stufe, als Chilperich gellend schrie: »Packt sie, Graf von Rouen. Greift sie alle drei, die Verräter!« Er selbst legte die Hand auf Prätextatus' Schulter. Der Graf von Rouen und vier seiner Krieger ergriffen den waffenlosen Merovech und die Königin.

Ein Murren, eine Bewegung des Entsetzens ging durch die Reihen der Priester und der Bürger. »Herr König, denkt an das Heil Eurer Seele!« mahnte Prätextatus.

»So hältst du Wort mein Vater?« rief Merovech in seinen Ketten. Brunichildis schwieg: aber sie richtete aus ihren dunkeln, voll aufgeschlagenen Augen einen Blick so unsäglicher Verachtung auf Chilperich, daß dieser die Wimpern senkte.

»Hi, hi!« lachte er gleich darauf. »Ich habe weder Wort noch Schwur gebrochen. Hat ein Bischof von dem Hindernis entbunden? Bist du ein Bischof? Nein, du bist es nicht! Hab' ich, der Herr der Stadt Rouen, diese Wahl bestätigt? Das that nur Herr Sigibert, dem Rouen zu Rechte nie gehört hat. – Und die Heiligen? Sie werden mir nichts zuleide thun. Seht her, ihr Dummköpfe. Wohl ist es die rechte Kiste: – aber sie ist leer! Ich habe vorher die Reliquien herausgenommen!«

Und er nahm die Kiste in beide Hände, und stürzte sie um, der Deckel hing, an zwei Goldketten hin und her schwankend, zur Seite. Nichts fiel heraus. –

»Holzboden, nicht die heiligen Pfänder, berührte meine Hand, während ich eidete. – Fort mit den Gefangenen! Trennt sie! Das Weib in das Kloster der heiligen Chrothechildis nach Beauvais! Den Pseudobischof und meinen abgefallenen Sohn in zwei verschiedene Kerker, hier in dieser Stadt. – Morgen sollen sie ihr Schicksal erfahren. – Jetzt, Graf Leudast, zum Mahle! Mich hungert. Und noch mehr: – mich dürstet. Die Spannung, die Erwartung macht die Kehle trocken. – Ein Eilbote sofort an die Königin! – Wen wähl' ich? – Sie versprach reichen Botenlohn, falls mein – nein: ihr Anschlag gelungen! Ich wäre nie drauf gekommen, auf einen leeren Schrein zu schwören. Wem gönn' ich diesen reichen Lohn? Ei dir, Winnoch, frommer Klausner! Du hast es längst um sie verdient – mit deiner Weissagung.«


Am andern Morgen war König Chilperich sehr guter Dinge.

Er hatte, nach reichlichem Mahl im Hause des Grafen Leudast, vortrefflich geschlafen und erwachte mit der angenehmen Erinnerung, gestern drei Gegner auf Einen Schlag in seine Gewalt gebracht zu haben. Während des Frühstücks überlegte er, was er nun mit den Überlisteten anfangen solle?

Er war so heiter! Er verlangte heute nicht nach Blut. »Die Gotin,« sprach er zu sich selbst, »lasse ich vorläufig, wohlbewacht, im Kloster! Später kann man sie nach Spanien heimschicken. Welch schönes, wahrhaft königliches Weib! Nur zu herb, zu streng, um zu berauschen. – Wie sie mich ansah! Ich mußte an die bleiche Jungfrau denken, wie die auf dem zerwühlten Bette vor mir lag. – Nein! Ich mag nicht noch mehr Tote – tote Weiber! – aus diesem Geschlechte sehen. Fredigundis hat zwar recht schmeichlerisch, recht kosig gebeten, die gefangene Feindin ihr zuzuführen. Aber ich mag nicht! – Ich fürchte: in ihrer Nähe würde die Gotin nicht lang am Leben bleiben. Und das – das will ich nicht! Ob wohl die Goten reiches Lösegeld für sie zahlen? – Meinem Herrn Sohn aber, – dem will ich das Handwerk legen, in Staatshändel einzugreifen. Regent von Austrasien! Behüte! Er taugt nicht dazu. Ins Kloster taugt der weiche Schwärmer. Und ins Kloster soll er. Ich laß ihm die langen Königslocken, die Merowingenlocken, scheren. Mönch soll er werden und für seine Feinde beten! – Und Prätextatus? – Gestern Abend hatt' ich schon seinen Tod beschlossen. – Verdient hat er ihn reichlich um mich –! Aber dann ergellen alle drei Frankenreiche von dem Geschrei der Bischöfe, Priester und Mönche! Das dringt bis nach Rom! Einen Bischof hinrichten! – Auch muß ihn erst eine Synode von Bischöfen absetzen: so haben sie's gar klüglich festgestellt in ihren Canones, die soviel schlauer gedacht sind als unsere ungeschlachten Volksrechte. So sehr sie untereinander eifern und zanken, die Herren Bischöfe, – gegen den König halten sie doch fast immer zäh zusammen. Natürlich: eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus. Da könnte ich lange warten, bis einer abgesetzt würde. Ich sperre sie deshalb immer lieber ein, an unschädlichen Orten. Dann können sie meinethalben Bischöfe sein – im Gefängnis! – Zwar, er könnte ja – ohne Richtbeil – zufällig sterben? – Allein es ist noch was andres zu erwägen. – Gundelchen, Gundelchen: ich möcht' es in deiner Gegenwart gar nicht denken – aus Furcht, deine alldurchdringenden grauen Augen möchten es lesen hinter meiner Stirn. – Aber es ist wohl klüger, diesen Prätextatus – irgendwo – in Verbannung – leben zu lassen, gleichsam in Bereitschaft zu halten – gegen mein Gundelchen selbst. Er – er allein weiß von jener Würgethat. Er klagt sie nicht an: – sonst hätt' er's längst gethan. Und wagt er's unberufen, so kann er ja immer rasch – am Fieber sterben. – Wird aber meine kluge Königin einmal gar zu übermütig: – ich fürchte sie fast ein wenig! – die Drohung mit dem einzigen, der um ihre That weiß, kann dann recht diensam sein. Tritt er auch nicht als Kläger auf, – sein Zeugnis weigern vor Gericht, falls andre klagen, das erlaubt ihm sein priesterlich Gewissen nicht. Frau Fredigundis, du beherrschest mich schon allzu mächtig. Du zwingst alle: es muß doch etwas geben, wodurch man auch dich bezwingen kann. – Nicht just an Einem Haar« – lachte er – »aber an jenem Büschel roter Haare, hi, hi, Prätextate, hängt dein Leben!«

 


 

Viertes Kapitel

So freudig die Königin von Neustrien im Palatium zu Soissons die Botschaft des Klausners aufgenommen hatte, so wenig zufrieden war sie mit der später eintreffenden Nachricht über des Königs Beschlüsse. Sie furchte die schöne weiße Stirn.

Ungeduldig ging sie in dem Frauengemach auf und nieder, nur manchmal im Vorübergleiten an dem goldenen kleinen Bette Halt machend, in welchem ihr Knabe schlummerte, und ihm die Mücken verscheuchend: katzenbehend erhaschte sie auch die schnellste stets auf den ersten Griff, und zerdrückte sie.

»Welche Weichmütigkeit, welche Schwäche hat meinen Fuchs befallen! Mir die kleine Bitte versagen, die geborne Königin, die Königstochter, in Fesseln vor die Ziegenmagd zu stellen! Auf die Kniee hätt' ich sie vor mir brechen lassen, mit Gewalt! – Und sie am Leben lassen, die Bluträcherin für Schwester und Gemahl! – Und den Priester, der mich geliebt hat – mich! – und sich wieder von mir los und ledig gemacht hat! – So ledig, daß er meine Todfeindin beschützt, mit meinem Stiefsohne traut. Nach Jersey hat er ihn verbannt: – soll eine Insel sein. Weiß gar nicht, wo? – Und Merovech verschonen, den Abtrünnigen! In das Kloster Calais bei Le Mans hat er ihn geschickt. – Sollte wirklich das Vaterblut in Chilperich sich regen? (– Warte, du Stechmücke, hab' ich dich? Wolltest Merowingenblut vergießen? Ja, ja! Der Fuchs hütet sein Junges doch nicht so eifrig wie die Füchsin. –) Das darf nicht sein! Drei Stiefbrüder hast du, mein Sohn, mein süßer, rotlockiger Samson: um drei zu viel! Nun warte nur, armes Büblein! Des einen werden wir wohl bald . . . Theudibert! – Ihr seid's?« Sie eilte dem Eintretenden entgegen. »Strafe mich Sankt Dionysius, wenn ich nicht gerade Euer dachte.«

Schwer verändert war der Jüngling seit den Tagen von Tournay. Hatten ihn die Wunden so erschöpft? Tief lagen die Augen in ihren Höhlen, unruhig zuckten seine Lippen. Die langen Merowingenlocken, die tief dunkelbraun das edle Antlitz umrahmten, ließen es noch bleicher, fahler erscheinen.

»Ich aber, ich denke dich – jede Stunde – jeden Augenblick; Tag und Nacht. – Und senkt wirklich der Schlummer diese brennenden Lider . . . dann träum' ich dich. Oh nein! Hebe nicht schelmisch drohend den Finger! Es ist zum Sterben ernst, kein Spiel. Es ist nicht mehr bloß die Sünde, der verbrecherische Durst nach des Vaters Eheweib, was mich umtreibt, friedlos, ruhlos, rastlos, bei Sonnenschein und Sternenstrahl. Es ist die Schande, die Ehrenschmach, der Eidbruch, darein du mich gestürzt hast!« »Ich?« sagte sie, höchst erstaunt. »Ja du, unselig Weib! Der gütevollste, edelste Sieger war gegen mich Oheim Sigibert gewesen! Oh, als ich hörte, in jener Nacht zu Tournay, er sei tot, da fiel mir erst mein Eidbruch erdrückend schwer aufs Herz. Wär' er am Leben geblieben, – ich hätte seine Kniee umfassen und ihn bitten können, bis er mir verziehen. Aber ach, er war damals schon tot! Er sah vom Himmelsfenster zürnend, verachtend nieder, als ich, von deinen falschen Augen, von deiner verführerischen Stimme Klang bezwungen, Eid und Ehre brach und gegen seine Krieger das Schwert hob. Die Strafe folgte rasch. Mein Arm hatte kein Mark, mein Schwert keine Schneide. Sofort, vom ersten Speer, der flog, war der Eidbrüchige getroffen. Und auch jetzt . . . – geheilt ist die Wunde lang! – aber mein Arm hat kein Mark, mein Herz hat keinen Stolz, meine Seele hat keinen Schwung mehr. ›Da geht der Ehrbrüchige, der Eidfrevler‹: – so hör ich's rauschen im Wind, im Geflüster der Menschen. – Und grause Gedanken gegen dich steigen auf in mir! Mein Herz sagt heimlich ja dazu, wenn der Bruder, wenn das Volk dich blutiger Thaten zeiht. Mörderin? Warum nicht? Hast du mir doch den Frieden und die Ehre gemordet. Und dazwischen durch, durch beides, das Grauen, ja den Haß, diese wahnsinnige Lust an deiner gleißenden Gestalt: – so gleißt die Schlange in verderblicher Schönheit! Du lockst mich an und tötest mich.«

»Du rasest,« sprach sie sehr ruhig. »Wann hätt' ich dich angelockt? Hab' ich dir je . . . –?« – »Nichts hast du mir gewährt oder versprochen. Nie! Aber gelacht, gespielt hast du! Und wenn mich dein spottend Wort fortgeschickt hat, dann lächelten deine unwiderstehlichen Augen: ›Komm wieder!‹«

»Welche Anklage! Das soll dein Vater wissen.« – »Gewiß! – Und richten soll er zwischen dir und mir.« Fredigundis erbleichte. »Sobald ich ihn wiedersehe, – ich ziehe jetzt in den Krieg gegen die Kelten in der Bretagne, die sich noch nicht wieder unterworfen, – sag' ich ihm alles. Keine Schuld meiner wahnsinnigen Gedanken werd' ich ihm verschweigen: – aber auch nicht dein falsches, bald laut verstoßendes, bald leise lockendes Spiel. O nein, du hast mir nichts gewährt; aber den Brand in mir hast du unablässig genährt. Und daß du der Fluch bist unseres Hauses, wie Chlodovech sagt, das ist wahr. Und das soll der Vater hören, auch aus meinem Mund. Dann wird er mir das Haupt abschlagen lassen und dein Haß wird gesättigt sein.« Er wankte, er tastete nach dem nächsten Pfeiler, sich aufrecht zu halten.

Sie trat dicht an ihn heran und strich ihm mit der kühlen Hand die dunkeln Locken aus der brennenden Stirn. »Mein Haß! Thörichter Knabe! Wenn ich dich haßte, hätte ich nicht längst dich und deinen – Wahnsinn bei deinem Vater verklagt? Hab' ich das je gethan? Hab' ich dir nicht gesagt, kein Weib wird grollen, weil es schön gefunden wird? Es ist wahr, – ich schulde dir noch Dank dafür, daß du in jener Nacht der äußersten Not das Schwert zogst für mich und für mein armes Kindlein dort. Wohlan! Nimm heute diesen Dank!« – Sie holte eine Phiole aus einem in die holzgetäfelte Wand eingelassenen Schrank. »Das war für dich bestimmt, sobald ich wußte, daß du in den Keltenkrieg ziehen würdest. Ich kenne deinen ungestümen Mut, der dich, wie dort in Tournay, immer zuerst an des Keiles Spitze in die Speere führt. Sieh, – ich bangte für dein Leben. Glaubst du noch, Theudibert, ich hasse dich?« »Wär' es möglich?« stammelte der Jüngling. »Dieser Trank?« – »Es ist kein Trank, es ist eine Zaubersalbe, von meiner Ahnfrau. Salbe dir Antlitz damit und Leib – vergiß auch nicht die Stelle, wo Herrn Siegfrieds Nacken das Lindenblatt bedeckt hatte . . . –« – »Kein Feind sieht jemals meinen Rücken!« »Und sei getrost: nicht Eisen, nicht Stein wird dann dich versehren. Aber,« fügte sie nachlässig bei, »natürlich, wer auf Zauber baut, darf nur auf Zauber bauen. Trägst du die Brünne darüber, so schützt der Zauber nicht.« Theudibert entriß ihr die Phiole: »O, Fredigundis! Ich kann, – ich kann es noch nicht glauben, daß dir mein Leben, dies arme, ehrlose Leben teuer ist. Ich zweifle – ach, ich zweifle an dir. Schickst du mich nicht in den sichern Tod? Aber Dank dir, heißen Dank auch dann für deine Gabe. Sie bringt Entscheidung. Meinst du es treu, so werd' ich, will ich leben. Und willst du meinen Tod, – du selbst! – so soll dein Wille an mir geschehen. – Horch! Die Hörner unten im Hofe rufen. Mein Streitroß wiehert! Ich komme! – Habe Dank, Königin, für Leben oder Tod.«

Er stürmte aus dem Gemach. – Das Kind in dem Bettlein war unruhig geworden; es schrie.

Fredigundis sah erst dem Enteilenden nach: »Dieser Wahnsinn war ja im stillen höchst gefährlich geworden! Es ward hohe Zeit, ihm ein Ende zu setzen! – Still, mein Liebling, still, mein süßes Leben! Da bin ich schon! Komm an der Mutter Brust! Still, stille doch! Ja, du sollst ja haben! Da, trinke nun, Herzchen!« Und sie summte vor sich hin, lächelnd auf das Kind herabschauend: »Du bist ein kleiner Königssohn, wirst bald ein großer werden. Dein Vater trägt nur eine Kron', dir soll'n drei Kronen werden.«

 


 

Fünftes Kapitel.

Wenige Wochen darauf verabschiedete sich König Chilperich zu Soissons, wohin er einstweilen von Rouen zurückgekehrt war, von seiner Königin, um einer Versammlung seiner Bischöfe im Süden seines Reiches, in Châteaudun, beizuwohnen.

Vor allem galt es der Besserung der Kirchenzucht, die vielfach daniederlag. Aber der König wollte nicht bloß Vorschläge seiner Bischöfe genehmigen, – er wollte auch an sie richten Fragen und Vorschläge mancherlei Art, die seinen regen Geist beschäftigten. War er doch ein gar eifriger Theologe, wohlbelesen in der Bibel und in den wichtigsten Kirchenvätern; die scharfsinnigen Unterscheidungen, die feinen Schattierungen der Lehrmeinungen, die bestrittenen Punkte in gar manchen Dogmen reizten seinen grüblerischen, freilich mehr noch spielerischen Verstand. Es war ihm dabei weit weniger um das richtigste Ergebnis zu thun, als um die feinste scharfsinnigste Beweisführung. So sprach er denn zu Fredigundis, die den Gemahl nie gern auf längere Zeit aus den Augen ließ: »Gönne mir doch diese harmlose Freude an – Worten und Wortgefechten. Wie meine plumpen Franken ihre derben Glieder im Ringkampf üben und messen und sich brüsten, wenn einer den andern in den Staub geworfen hat, daß dem Besiegten die Knochen krachen, so vergnügt es und ergötzt mich, in geschmeidigen Wendungen der Gedanken den Kontra-Disputator zu überwältigen, ihn zu zwingen, die Überlegenheit meines scharfen und raschen Geistes anzuerkennen.

Damit dir inzwischen die Zeit schneller verstreicht, bis ich in deine weißen Arme zurückkehre, hab' ich dich ja feierlich vor allen Hofbeamten zu meiner Stellvertreterin bestellt, dir vor ihren Augen meinen Siegelring gegeben. Regieren! Herrschen! Das ist ja doch des Ziegendirnleins höchste Herzenswonne, – vielmehr als Küssen! Wär ich ein Ziegenhirt, – wer weiß, ob du mich liebtest? – Ja, auch unser Kind – gewiß, du bist eine treffliche, nur allzuzärtliche, allzubesorgte Mutter –! Aber auch unser Kind liebst du doch vor allem so heiß, – ich möchte sagen: so gierig – weil es ein Knabe, ein Erbe meiner Macht und Krone, nach meinem Tode deine Stütze wird, dein Werkzeug – unterbrich mich nicht! Ich mach' es dir nicht zum Vorwurf. Bin ich doch mehr als zwanzig Jahre älter denn du. Wieder heiraten wirst du als Witwe nicht: – das heiße Wallen des Blutes ist dir fremd: – aber durch deinen Sohn ganz ebenso Neustrien beherrschen wie jetzt durch deinen allzu gefügigen Mann, das willst du. Laß doch! Ich schelte ja nicht darüber. Befinde mich ganz wohl in meinen Fesseln. Nur sollst du wissen: ich sehe diese Ketten. Noch einen Kuß! – Der jüngste Sohn des flüchtigen Herzogs Drakolen, der letzte, der uns noch fehlte, ward gestern gefangen eingebracht. Laß ihn foltern, bis er seines Vaters Aufenthalt angiebt, dann wie den andern: – Kopf ab! – Noch einen letzten Kuß. – So! – Nun zu den frommen Bischöfen.«


Nachdem in der Basilika des heiligen Cäsarius zu Châteaudun die Geschäfte der Synode beendet waren, forderte der König einzelne der Bischöfe und Äbte, denen er besonderes Vertrauen zuwendete oder mit deren Scharfsinn er sich gerne maß, auf, noch zu verweilen, um einige Fragen zu beantworten. Er wandte sich zunächst an den Bischof von Paris.

»Was denkt Ihr, ehrwürdiger Vater Germanus, von der kleinen Abhandlung über die heilige Dreieinigkeit, die ich neulich der Versammlung überreichen ließ? – Was habt Ihr dabei zu lächeln, Herr Felix von Nantes?« rief er giftig und wandte sich schnell gegen einen mittelgroßen Herrn, der aus kleinen Augen ziemlich spöttisch auf den König sah. »Ich kenn' Euch schon! – Ihr seid einer von jenen Kelten! »argute loqui« – geistreich plaudern, sagt schon Cäsar von euch. Man wird schwer mit euch fertig! Aber ich – ich werde auch mit Euch fertig.« »Ohne Zweifel, o Herr,« antwortete dieser sehr ruhig, leise nickend. – »Und dabei verzieht Ihr schon wieder diesen übermütigen Mund! Warum werd' ich auch mit Euch fertig und Eurem überklugen Kopf?« – »Weil Ihr ein unwiderleglich Beweismittel zur Verfügung habet, wider jeden noch so feinen Kopf.« »Hi, hi, Ihr meint den hübschen Trugschluß, den ich neulich erfunden?« schmunzelte der König, geschmeichelt. – »Weniger.« – »Nun was denn?« – »Ihr führt die Widerlegung stets bei Euch.« – »Was denn? Was denn?« – »Eure Streitaxt, Herr, mit der Ihr jeden Kopf und Einwand niederschlagen könnt.« Chilperich lachte. »Ihr habt meine Abhandlung auch gelesen, Herr Felix? Und Euer Eindruck?« – »War Staunen.« – »Nicht wahr? Die gelehrten Citate –!«

»Weniger. Ich staunte über die Wege Gottes. Der Ahnherr war ein heidnischer Meerwicht, ein Wasserdämon. Der Enkel schreibt über die Dreieinigkeit! – Aber eins verrät noch Euren Ursprung in dieser Abhandlung.« – »Nun was?« – »Die Wäßrigkeit! – wollte sagen: Das Salz.«

Der König lupfte leicht die Streitaxt, die an seinem Gürtel hing. »Herr Bischof, hütet Euch! Dies Argument wiegt wirklich schwerer als Euer Witz. – Sprecht Ihr, Bischof Germanus – Ihr habt verstanden? Ich neige in der Lehre der Dreieinigkeit ein wenig zu Sabellius und zu Eutyches. Ich sage, man soll in der Trinität nicht Personen unterscheiden, sondern sie schlechthin ›Gott‹ nennen. Denn Gott, wie einen fleischlichen Menschen, ›Person‹ nennen, ist unwürdig. Ist ja doch der Vater zugleich der Sohn und der Sohn und der Vater zugleich der Geist. Und also, so will ich – hört es wohl, ihr Herren! – daß fortab gelehrt werde in meinem Reich.« Aber Germanus schüttelte das ehrwürdige Haupt. »Diesen Irrglauben mußt du aufgeben, Herr König und dem folgen, was die Apostel lehren.« »Die Apostel! Die Apostel!« eiferte der König. »Das sind mir die Rechten! Der eine war ein Fischer, der andere ein Zöllner. Die hatten von Dialektik keine Ahnung.« – »Nein, aber den heiligen Geist hatten sie,« sprach Germanus. »In Gestalt einer Taube!« sagte Herr Felix. »Und du, o König, hast nur die Taube Fredigundis.«

»Hüte dich, Herr Felix! Die versteht nicht soviel Spaß wie ich.« »Auch Sankt Hilarius von Poitiers,« fuhr der Bischof von Paris fort, »und Sankt Eusebius sind dir hierin entgegen.« – »So? So? Das ist – sehr – sehr feindselig von diesen beiden, daß sie gegen mich sind. Aber freilich, ich habe ihnen nie soviel geschenkt wie ich zum Beispiel Sankt Dionysius zugewendet habe. Und Poitiers gehört ja Guntchramn! Natürlich hält da Sankt Hilarius wider mich. – Das ist Parteilichkeit! – Ich werde aber die Sache klügeren Heiligen vorlegen.« So schloß er ganz giftig. – »Und meine Verse? Euch, Herr Bischof von Nantes, schickte ich sie vorgestern. Ich versuchte darin Sedulius nachzuahmen. Habt Ihr das wohl bemerkt?« – »Nein, o Herr. Wie konnte ich das ahnen?« – »Wieso?« – »Nun, Sedulius war ein Unterthan. Er hielt sich an die Gesetze der Metrik gebunden. Ihr aber, Herr . . . –!« – »Nun?« – »Ihr steht als König oberhalb der Metrik. Wenigstens, so sagte ich mir stets beim Genusse der Gedichte. Und wenn ein Vers um einen Fuß zu kurz war oder auch keinen Kopf hatte, dann dachte ich Eurer Streitaxt: ›er hat sie ihnen eben abgehauen,‹ sagte ich mir; Strafe verdienen sie ja auch; denn schlecht genug sind sie.« Der König drohte mit dem Finger, aber er lachte. »Nun, und was sagt Ihr zu meinem Buchstabenedikt? Vier neue hab' ich erfunden! Für langes o, wie im Griechischen – für the, für ae, für vi! Schon werden die alten Handschriften in der Bücherei zu Soissons mit Bimstein radiert und hiernach umgeschrieben. Und in allen Schulen, in allen meinen Städten, werden die Knaben schon hiernach unterrichtet.«

»Unrecht!« meinte der Bischof von Nantes. »Ich hätte – an Eurer Stelle – nur die eignen Verse mit diesen neuen Buchstaben geschrieben.« – »Warum!« – »Erstens wäre dadurch die Lesung erschwert worden. Ein König dichtet doch nicht für alle. Dann wäre es das einzige Mittel, ihnen Eigenartigkeit zu sichern.« – »Ihr seid aber sehr keck, Herr Bischof.« – »Denn die Verse, welche nicht falsch, waren früher allerdings – von Sedulius. Freilich, das ist lange her! Ihr habt sie offenbar von ihm geerbt. Du hast, wie mit Bewußtsein neue Buchstaben und neue Glaubenslehren, o großmächtiger König, so unbewußt neue Versarten erfunden.« – »Wie meinst du das, Bischof?« – »Nun, jene Verse von sieben oder auch oft fünf Füßen, die du – allzubescheiden – mit dem gewöhnlichen Namen Hexameter bezeichnest.« – »Bischof, hüte dich. Nicht nur meine Verse, auch meine Unterthanen haben manchmal einen Fuß zu wenig, wenn sie mich erzürnten.« »Oder gleich gar einen Kopf!« nickte Herr Felix.

»Nun sollt ihr aber euern Scharfsinn in anderen Dingen erproben. Ihr wißt, ich arbeite angestrengt an der Bekehrung meiner Juden. Wäre eure Sache, ehrwürdige Herren, eure Sache.« »Ich hatte auch schon mehrere halb gewonnen,« sagte der Bischof von Nantes zögernd. »Aber . . . –« – »Nun aber?« – »Sie fürchten Euch allzusehr, Herr König.« – »Wieso?« – »Sie fragten, ob sie im Himmel auch Euch treffen würden? Als ich erwiderte, bei Euren vielen Tugenden werde das wohl nicht zu vermeiden sein, erklärten sie, den andern Ort vorzuziehen. Thöricht! Da Ihr ihnen ja doch im Himmel nicht noch einmal Schätze abpressen oder Steuern aufjochen können werdet.«

»Führt die Hebräer herein, die Halsstarrigen!« gebot der König. Alsdann erschienen, von Gewaffneten begleitet, drei graubärtige Juden in der Basilika; sie warfen sich demütig vor dem König nieder, der auf einem erhöhten Sitze Platz genommen hatte und küßten ihm die goldgestickten Fußriemen. Chilperich aber sprach: »Rede, Priscus, du bist der Beste von den dreien in dialektischer Kunst. Wenn ich dich widerlegt habe, wirst du dann deine Hartnäckigkeit aufgeben und die heilige Taufe annehmen?«

Der Jude seufzte: »O großmächtiger König, fange doch lieber gleich mit dem Ende an. Zweimal schon hast du mit mir gestritten: beidemale hast du behauptet, du habest mich widerlegt: beidemale, weil ich's nicht einsah, hast du mir abgenommen zur Strafe meiner Verstocktheit einen großen, grausam großen Haufen Geldes. Nimm mir heute gleich das Geld und laß mich ziehen in Frieden! Denn warum? Es ängstigt mich, mit dir zu streiten; du schlägst manchmal mitten in der Dialektik mit den Fäusten drein. Und das bringt mich alten Mann in den Schweiß des Todes.«

»Das ist nur deine Schuld!« sprach Chilperich. »Wenn du meine Gründe nicht anerkennst – ein elender Jude, seines Königs Gründe! – Soll mich das nicht aufbringen? Glaubst du also noch immer nicht, daß Jesus Gottes Sohn und selbst Gott ist?« – »Gott meiner Väter! Bedarf Jehova eines Eheweibes? Kann Gott, der ein Geist, ein Kind zeugen? Wie soll ein andrer Gott sein neben ihm? Hat er doch gesagt – Ihr glaubt so gut wie wir an seine Offenbarung – im V. Buch Mosis, Kapitel 23, Vers 39: »Sehet ihr nun, daß ich allein Gott bin und ist kein Gott neben mir?« – »Ich sage dir aber, Christus ist geistig gezeugt und ist nicht neben Gott, sondern in Gott.« – »Wo steht das im Alten Testament?« – »Nicht im Alten, aber im Neuen!« – »Gott du gerechter! Ich schlage dich mit dem Alten, an das auch du glaubst: – wie darfst du mich schlagen mit dem Neuen, an das ich nicht glaube?«

Der König gab ihm einen leichten Schlag mit einem Stabe, den er in der Hand trug und rief: »Verfluchter Jude! Ich kann dich schlagen, womit ich will! Das merke dir. Dafür bin ich König! Das ist ja eben deine Sünde, daß du an das Neue Testament nicht glauben willst. Willst du jetzt – gutwillig – einräumen, daß du überwunden bist?«

»O Herr,« jammerte der Alte, »ich sagte es ja vorher! Bitte, da nehmt diesen Beutel. Es ist wieder soviel darin, wie bei dem ersten Male.«

Chilperich riß ihm den Beutel aus der Hand. »Hebe dich hinweg aus meinem Angesicht!« Der Alte ward mit seinen beiden Genossen abgeführt. »Habt ihr jemals eine solche Halsstarrigkeit gesehen? Ja, diese Juden! Härter als Demant. – Aber der Herr verstockt sie zum Vorteil frommer Könige. Vielmehr den rechtlosen Juden als Franken und Römern kann ich abnehmen an Steuern. Und deshalb segnet der Herr auch deren Thun: sie erwerben wie die Bienen: nicht für sich – für mich. Das ist ihre gerechte Strafe. Jedoch – ihr habt das wohl bemerkt ihr Herren, – zumal Ihr, Herr Bischof von Nantes – ich wollte gar nicht mit meinen stärksten Beweisgründen auf ihn eindringen.«

»Natürlich,« lächelte Herr Felix. »Welcher Nachteil für Euch, hätte er nachgegeben! So aber, ist Ebbe im Schatz, habt Ihr nur wieder ein Vekehrungsgespräch mit ihm anzuberaumen.« – »Hört einmal, Herr Bischof, Ihr habt mich ja – in einem Brief – einen Tyrannen gescholten und mich einem sehr bösen König von Syrakus verglichen?«

»Letzteres ist ein Lob. Der war auch sehr geistreich. – Übrigens war ja der Brief nicht an Euch gerichtet: – ich lobe Euch nicht in das Antlitz hinein! – Wie kamt Ihr denn zu dem Brief?« – »Meine Sache! – Gesteht, bin ich – für einen Tyrannen! – nicht sehr langmütig, daß ich Euch solche Bosheiten reden lasse? Woraufhin wagt Ihr soviel, Herr Felix?« – »Sehr einfach. Ich bin – leider! – Euer Unterthan Ihr könnt mich köpfen lassen für Worte, die ich nicht gesprochen: also will ich doch – vorher! – sprechen, was mich freut. – Auch weiß ich, daß ich Euch unentbehrlich bin.« – »Ihr könntet irren! – Warum?« – »Die Honigreden Eurer Höflinge verderben Euch den Magen: – Ihr braucht dawider manchmal das bittre Salz meiner Wahrheiten.« »Es ist was dran,« lachte Chilperich. »Des Scherzes, Herr König, ist's nun genug,« sprach Bischof Germanus. »Ich glaube auch,« meinte Felix, »der Herr König hat genug daran bekommen.« »Nun laßt Euch in vollem Ernst fragen,« fuhr der Bischof von Paris fort, »ob Ihr jene ketzerische Meinung von der Dreieinigkeit festhaltet?« »Freilich! freilich! Habe Monate zu dem Studium gebraucht.« »Es ist merkwürdig,« staunte Felix, »daß Euch Eure Freundinnen, Eure Verse und Eure andern Laster noch soviel Zeit lassen.« »Dann werden wir Bischöfe,« sprach Germanus sich erhebend, »zu erwägen haben, ob Ihr nicht durch solche Ketzerei thatsächlich bereits von der Gemeinschaft der Kirche ausgeschlossen seid. Wir werden uns vorläufig des Verkehrs mit Euch enthalten müssen.« »Aber,« rief Chilperich, »ich habe euch alle auf heute Abend zum Festmahl geladen in den kleinen Palast!«

»Schade,« sagte Felix, Germanus folgend im Hinausschreiten. »Das müßt Ihr nun alles allein verzehren. Bis Ihr Euren Irrtum verworfen habt, werden wir mit Euch Becher und Schüssel nicht teilen.« – Damit wandelte er mit den übrigen Bischöfen langsam hinaus. »Wart', Bretone!« sprach Chilperich ihm nachsehend. »Ich werde dir die Standhaftigkeit schwer machen.«

 


 

Sechstes Kapitel.

Am andern Morgen hielten die Bischöfe lange Beratung über die neue Irrlehre des königlichen Theologen, natürlich in Abwesenheit desselben.

Dieser wußte, daß der Bischof von Nantes, von Germanus, dem Vorsitzenden, beauftragt, den Bericht darüber erstattet und mehrere Stunden sowohl hierüber als über andere Gegenstände Vortrag gehalten habe; es war ein sehr heißer Julitag, ein austrocknender Wind blies den Staub durch die Straßen. Der König hatte Befehl gegeben, den Bischof, sobald er die Sitzung verlasse, in den Palast zu führen. Erschöpft, mit gerötetem Gesicht und heiserer Kehle, trat der ein. »O, Herr Felix!« rief der König, ihm huldvoll entgegeneilend. »Wie müßt Ihr doch trocken sein im Halse. Ich habe nicht Weisheit zu reden gehabt diesen ganzen Morgen und bin so durstig! Nun, ehe wir von Geschäften, von dem Ergebnis Eurer Verhandlungen sprechen, – setzt Euch und trinkt. Ich weiß, Ihr macht Euch nicht viel aus dem Essen: – Ihr erachtet es wohl zu derb und verdummend für Euern feinen und scharfen Geist? – Aber Ihr seid im ganzen Reich berühmt als ein gar vornehmer, geschmackvoller und höchst erfahrungsreicher Kenner edler Weine: hier hab' ich Euch nun vom besten Gazatiner bereitstellen lassen: und, da Ihr ihn nicht ungemischt trinkt, wie wir Barbaren, Quellwasser dazu in eisgekühlten Krügen. Nur noch einen kleinen Rest davon birgt mein Keller hier. Den wollen wir teilen.«

Und eigenhändig goß ihm der huldvolle Fürst in einen schönen Bronzebecher das würzig duftende Naß, sich selbst einen bescheideneren Pokal füllend. »Hi, hi!« lachte er für sich. »Entweder trinkt er mit mir: dann, – ich weiß schon durch meine Horcher an der Thüre: sie haben mich exkommuniziert, bis ich widerrufe, – dann ist er selbst exkommuniziert, weil er mit mir den Trunk geteilt. – Oder er muß Durst leiden, elend! – Wie jener alte König. – Tantalus hieß er wohl.«

Den Bischof reizte offenbar der kühle, der würzige Trank, Er blinzelte mit den kleinen Augen und sagte: »Ja, Herr König, wenn das unter uns zwei Trinkern bliebe?« – »Gewiß! Ich verrate nichts.« – »Wer weiß! Und ich meine, Ihr habt schon wieder einen Lauscher aufgestellt hinter jenem Vorhang, – wie in der Kirche.« »So? Habt Ihr den bemerkt?« lächelte Chilperich verlegen. »Aber diesmal irrt Ihr – hinter jenem Vorhang lauscht niemand. – Trinkt immerhin mit mir.« Der Bischof griff nach dem Henkelkrug und goß Wasser in einen Becher. »In einer Stunde,« schmunzelte der König für sich, »weiß es die ganze heilige Synode.

»Ich trau' Euch nicht recht,« sprach der Bretone, den Becher, den er schon leicht erhoben, wieder auf den Tisch setzend. »Ich fürchte Eure Späher.« »Nun, so sehet selber,« rief Chilperich, »daß hier niemand steckt.« Er eilte auf den Vorhang zu und schlug ihn zurück.

»Ja, das wohl!« Wieder faßte er den Becher, führte ihn an die Nase und roch daran. »Aber dort! Hinter der geschlossenen Thür des Vorgemaches – durchs Schlüsselloch?« – »Auch dort nicht!« rief der König. – »Bitte, überzeugt mich. Es könnte ja ohne Euer Wissen jemand . . . –« Chilperich durchschritt das Vorgemach, öffnete die Thür, die in den Gang führte, trat in den Gang hinaus und bewegte von außen, vom Gang aus, den geöffneten Thürflügel hin und her, zum Zeichen, daß da niemand verborgen sei. Nun schloß er die Thüre wieder und wollte durch das Vorgemach zurückeilen. Als er aber an den Vorhang des Innengemaches gelangt war, da stand der Bischof dicht vor ihm mit lustig glänzenden Augen. »Dank, Herr König,« sprach er: »Heil, wer den Durstigen tränkt! Der Wein war wirklich herrlich. In Eurer Abwesenheit durfte ich ihn ja trinken. Ich habe gleich Euren Becher auch geleert. Wirklich: köstlich! Lebet wohl, Herr König. Euer Wein ist viel besser als Eure Theologie!«

Verdutzt sah Chilperich dem Bischof nach, der mit einer tiefen Verneigung an ihm vorüber durch die Thüre glitt. Dann lachte er und strich seinen roten Bart. »Der ist nicht übel, dieser Pfaff! – Widerrufen? – Warum nicht? Haben sie doch beschlossen, wie mein Lauscher berichtet, ausdrücklich in der schriftlichen Aufforderung an mich auszusprechen, daß meine Abhandlung ganz außergewöhnlichen Scharfsinn und in einem Laien ganz außerordentliche Kenntnis der heiligen Schrift darlege. Das ist mir genug, daß die Hochfärtigen das eingestehen mußten. Im übrigen ist mir's ja gleich.«

Und so ließ er denn, sowie er das Schreiben der Synode empfing, sofort erklären, daß er seine Meinung zurücknehme und sich der Lehre der Bischöfe unterwerfe. –

Fröhlich und guter Dinge saß er darauf mit denselben beim Mahl und erzählte selbst lachenden Mundes, wie ihn der kluge Herr von Nantes überlistet.

Da brachte ihm ein staubbedeckter Bote ein Schreiben: er las es und erbleichte. Er sprang vom Sitz auf: »Das Mahl ist aus, ihr Herren! Zu Pferd, zu Pferd! Die Königin meldet mir: mein Sohn Theudibert ist im Gefecht gegen die Kelten gefallen. Mein Sohn Merovech ist auf dem Weg in das Kloster entsprungen und mit Gewaffneten nach Austrasien entkommen, den Knaben Childibert zu befreien. Mein Sohn Chlodovech aber hat sich wider die Königin-Regentin erhoben und zieht gegen sie auf Soissons! Zu Pferd! zu Pferd!«

 


 

Siebentes Kapitel.

In einem Walde südlich von Soissons auf dem linken Ufer der Aisne lagerte ein Häuflein von Kriegern; am Eingang des Gehölzes waren Wachen ausgestellt.

Auf der alten Römerstraße im Innern des Gehölzes, nah einem kleinen Quell, brannte ein Feuer, an dem ein frisch erlegter Hirsch gebraten ward; auf ihren Kriegsmänteln lagen drei wohlgewaffnete Männer, offenbar die Führer der kleinen Schar, an der vom Wind abgekehrten Seite des Feuers. Die Nachtluft ging in den hohen Waldbäumen, die von dem roten Glast des flackernden Feuers wechselvoll beleuchtet, phantastische, schwarze Schatten warfen. Weder Mond noch Sterne standen am Himmel: durch die Büsche rauschte hier und da ein aufgescheuchter Vogel; ein Roß wieherte, manchmal klirrte eine Waffe: sonst war alles still. –

»Wird uns das Feuer nicht verraten, Marschalk?« fragte einer der Männer. »Schwerlich: das Gehölz ist dicht. Der Schein dringt nicht bis auf das freie Feld.« »Und wenn auch, Merovech,« fiel der dritte ein. »Ich bin so hungrig und erschöpft, nach meinem scharfen Ritt. – Nachdem ich den Hirsch aufgetrieben und gefällt, mußte ich mir ein hastig Mahl gönnen. Reiche mir das Trinkhorn! Leider ist nur Quellwasser drin! O König Chlodovech, großer Ahnherr, schau herab aus dem Himmel und sieh, wie zwei deiner Enkel, gleich landflüchtigen Ächtern, gleich Pferdedieben, sich im Walde verbergen müssen auf ihrem eigenen Erbe! Wie ein Wilderer hab ich diesen Hirsch erlegt in meines eigenen Vaters Bannwald. Und meinem Bruder da hat der Vater das lange Königshaar der Merowingen verschnitten mit eigener Hand. Aber getrost, Merovech, es wächst dir schon wieder. Der Stamm ist lebendig: jung Grünholz treibt rasch: es schlägt wieder aus. Doch sagt, als wir plötzlich, vor dem Wald, auf euch stießen – wir wähnten, es seien Verfolger, Feinde – wo kamt ihr her? Und wie gelang dein Entkommen?«

»Dem wackern Gotenhelden hier, dem Marschalk, dank' ich die Freiheit. Er hatte erkundet, wann und auf welcher Straße ich von Rouen in das Kloster gebracht werden sollte unter starker Bedeckung. Seine kleine Schar – gotisches Gefolge und Hausdiener der Königin – war viel schwächer, aber sein Mut ersetzte die Zahl. Im ersten Anlauf sprengten sie meine Wächter auseinander. O nie hab ich so erfreut eine Waffe ergriffen, wie das Schwert, das mir der Treue in die Hand drückte. Wir eilten nun nach Osten zurück, um nach Austrasien zu entkommen.«

»So war der erste Plan,« meinte Sigila, mit dem Weidmesser die Hirschkeule anstechend. »Der Braten ist gar! Ihr müßt schon, o Herr, den Marschalk auch als Truchseß walten lassen.« – »Und als Kämmerer des Schatzes! Der ganze Hort zählt hundert Schillinge,« lachte Chlodovech, auf seine Ledertasche schlagend. »Und als Mundschenk!« schloß Sigila und schöpfte wieder mit dem Trinkhorn aus dem Quell. »Das laßt euch nicht anfechten, ihr Königssöhne. Als Herr Dietrich von Bern landflüchtig im Walde hauste mit seinen Gesellen, ging es ihm nicht besser – und doch ward er schließlich aller seiner Feinde Meister.«

»Hätten wir nur den dritten Bruder noch bei uns – den tapfern Theudibert!« – »Sag doch genau, Chlodovech, wie war es, daß er fiel? Wir wissen ja nur das eine, daß er uns verloren ist.« – »Wie er fiel? Als ein Held. Warum er fiel? Durch elende Tücke der verfluchten Mörderin! Wir führten im Auftrag des Vaters ein kleines Heer von Neustriern, – die Mannschaften von Tours, Poitiers, Bayeux, Le Mans und Angers – wider den Keltenhäuptling Waroch, nördlich der Loire, in der Bretagne. Des Bruders ganzes Wesen war schon seit Monden verändert, verstört. Die Wunden, die er zu Tournay davontrug, zehrten wohl an seinem Leben: er zeigte während unseres Zuges gar seltsames Gebahren. Meist hing er, stumm vor sich hinbrütend, im Sattel, wie verträumt. Oder er redete mit sich selbst; wie er auch nachts im Schlaf oft wirre Worte sprach: – ich verstand sie nicht! Mir fiel auf, daß er keine Brünne trug unter dem Mantel. Als wir die Loire überschritten hatten und uns der Vilaine näherten, hinter der wir die Kelten verschanzt wußten, schwirrte schon manchmal aus dem Hinterhalt in dem sumpfigen Buschwald, durch den unser schmaler Weg – eine lange Kette von Furten! – sich hindehnte, ein Pfeil auf unsern Heereszug. Ich mahnte Theudibert, doch nun endlich Brünne und Schild zu tragen. Er lachte seltsam und sprach: ›ich stehe unter dem Schutz einer ganz besondern Heiligen.‹

Und als wir nun die Vilaine durchritten und durchwatet hatten und auf Vannes zogen, stießen wir alsbald auf dem rechten, dem westlichen Ufer des Flüßchens, auf die Feinde. Theudibert führte den Oberbefehl; er gebot mir, mit der Hauptmacht langsam zu folgen. Er selbst griff an mit den Reitern von Bayeux; die Kelten hatten vor dem Rand eines dichten Waldes auf steiler Höhe starke Verhaue errichtet aus gefällten Baumstämmen. Zu Pferd war da nicht beizukommen. Theudibert ließ seine Leute absteigen und führte sie zu Fuß den kahlen Hügel hinan. Tollkühn, ja wie ein Wahnsinniger, eilte er weit der vordersten Reihe voran. Ein Hagel von Pfeilen und Schleudersteinen schwirrte aus dem Waldversteck den Unsrigen entgegen. Und sofort, auf dem halben Wege schon, als der allererste, fiel Theudibert.

Ich sah ihn stürzen, jagte den Hügel hinan, sprang ab und richtete ihn auf; sein Mantel war ganz durchlöchert, sein Leib war ganz gespickt von Pfeilen. Der Unselige war – zu diesem Angriff! – nur vom Helme bedeckt, ohne Brünne und Schild, vorangestürmt. ›O Bruder,‹ rief ich, ›du hast den Tod gesucht.‹ – ›Oder der Tod mich,‹ antwortete er mit seltsamem Lächeln. ›Meine Heilige gab mir eine Zaubersalbe: – unter der Brünne schütze sie nicht – nur bei vollem Glauben an ihre Kraft. – Dieser Glaube,‹ – nun lachte er schrill – ›ich hab ihn wohl nicht stark genug geglaubt. Sie hat mich in den Tod geschickt! Ich danke ihr.‹ – ›Wer? Wer? Bruder?‹ fragte ich. ›O Fredigundis!‹ seufzte er noch und lag tot in meinen Armen.

Ich sprang auf, der Schmerz um den Bruder, die Wut gegen die Mörderin gab mir wilde Kraft. – Ich stürmte, den Unsrigen voran, den Waldverhack. Die Kelten flohen, am andern Tage schickten sie Gesandte, unterwarfen sich und stellten Geiseln. Die sandte ich, der Pflicht gemäß, dem Vater und führte dessen Heer zurück über die Loire bei Tours. Dann aber raffte ich zusammen, was ich von meinen Gefolgen, Vassen, Freigelassenen, Knechten – meinen eigenen und des Bruders – auftreiben konnte und so will ich die Walandine zu Soissons überraschen, bevor der Vater sie schützen kann.« – »Du darfst sie nicht morden,« warnte Merovech.

»Am liebsten schlüg' ich ihn ihr schon ab, den bösen, schönen Kopf. Aber nein! Ich will nicht für immer mich vom Vater scheiden. Ich bringe sie gefangen zu Oheim Guntchramn. Der soll ein gerecht Gericht über sie halten lassen; wird sie freigesprochen, stell' ich mich selbst dem Vater.« »Freigesprochen!« rief Sigila. »Auch Galsvinthas, meiner jungen Herrin, Mord schreit um Rache gen Himmel.« – »Und fehlt es auch noch an Beweis, – das ganze Volk der Franken nennt sie des Oheims Mörderin.«

»So hilf mir, Bruder Merovech, zieh mit mir auf Soissons.« – »Ich kann nicht, Bruder. Mich bindet eidlich Gelübde. Ich that's, da mir der eigene Vater die Königslocken schor, da ich in meinen Fesseln vor ihm stand: ›Wenn ich je die Freiheit wieder erlange, – mein erstes Werk soll sein, Childibert, das gefangene Kind, zu befreien und seiner trauernden Mutter in die Arme zu legen.‹ Gott hat mich wunderbar befreit: – nun muß ich mein Gelübde halten. Ich eile nach dem Norden, dem Nordwesten, wo ich auf meinen Gütern bei Thérouanne viele Vassen wohnen habe. Sie biet' ich auf und ziehe dann durch den Kohlenwald und die Ardennen nach Austrasien, den Ort erforschend, wo der Knabe Sigiberts verwahrt wird; denn sein Aufenthalt wechselt gar oft. Das Kind zu befreien, muß meine erste That sein.«

»Das darf ich nicht schelten! Aber thöricht ist es, unsere schwachen Häuflein, nachdem sie ein glücklicher Zufall zusammengeführt, wieder zu trennen. Doch ich rüttle nicht an deinem frommen Sinn. Auf, ihr Genossen, zu Pferd! Wir dürfen uns nicht lange Rast gönnen. Zur Nacht noch, in der Dunkelheit, müssen wir Soissons erreichen, soll unser Anschlag gelingen.«

»Wie könnt Ihr hoffen,« fragte Sigila, »die starke Feste mit so kleiner Schar zu gewinnen?« »Hei,« lachte Chlodovech vor sich hin. »Das ist zwar ein zartes Geheimnis. Aber« – er spähte sorgfältig umher, ob niemand lausche – »euch beiden kann ich's schon vertrauen. Das Palatium, wo die Unholdin hauset, ist unmittelbar an das Südthor angebaut. Das Südthor hat einen alten Thorwart, einen Freigelassenen unserer armen Mutter Audovera; er haßt die rote Hexe gründlich. Und der Alte, der hat eine junge Tochter. Die Tochter, die hat ein heißes Herz. Dies Herz, das hat mich gar lieb. Und es wäre heute nicht die erste Nacht, daß sie mir das Mauerpförtlein aufthut, das in ihre Kammer führt. – Ein verschwiegener Bote hat ihr mein Kommen für heute Nacht voraus verkündet. Bin ich erst im Palatium: – dann wehe Fredigundis!«

Damit sprang der Ungestüme auf, auch Merovech und Sigila erhoben sich. Bald waren die beiden Scharen im Sattel: sie ritten aus dem Wald ins Freie und gemeinsam noch über die alte Römerbrücke über die Aisne; hier gabelte sich die Straße: die Brüder drückten sich noch einmal schweigend die Hände: dann trennten sie sich. Chlodovech mit den Seinen eilte geradeaus auf Soissons zu, Merovech und seine Begleiter bogen ein in die nordwestlich führende Straße.


Ganz nahe vor den Thoren von Soissons lag, seitab der Straße, ein kleineres Gehölz. In diesem befahl Chlodovech den Seinen, abzusteigen; er ließ die Rosse anbinden und überwies sie der Obhut von wenigen seiner Getreuen; mit den übrigen, etwa dreißig Männern, eilte er in größter Stille an das Südthor der Stadt, die in tiefem Schweigen, in Nacht und Dunkel gehüllt, vor ihnen lag.

Nur in dem obersten Stockwerk des Turmes, welcher das Thor überragte, brannte die Pechfackel des Turmwarts. Chlodovech befahl der Hälfte seiner Leute, in den Gräben zu beiden Seiten der alten Römerstraße zurückzubleiben. Mit der andern Hälfte eilte er an das Thor.

Alles still. Bloß durch die Ritzen des Holzladens an der kleinen Kammer oberhalb des Mauerpförtleins glomm mattes Licht. Sie wachte, sie erwartete ihn.

Er gebot seinen Begleitern, links und rechts von dem Pförtchen sich seitab zu halten, bis er sie leise mahnen werde, einzudringen. Er trat nun dicht vor das schmale Thürlein und schlug sacht die Hände zusammen – ein – zwei – dreimal.

Sofort erscholl antwortend ein leiser Handschlag. Der Schlüssel drehte sich von innen, ohne zu knarren, in dem frisch geölten Schloß: – ein klein wenig öffnete sich die Pforte: schwaches Licht eines Handlämpchens drang durch die Öffnung aus dem dahinter gähnenden Steingang. Rasch schritt Chlodovech über die Schwelle: im Nachtgewand stand vor ihm die jugendliche Gestalt; das Haupt verhüllt, das Öllämpchen in der weißen Hand, sie nickte ihm schweigend zu: Chlodovech trat einen Schritt in den Gang hinein, dann wandte er sich um, die Genossen hereinzurufen.

Da flog die Thüre klirrend in das Schloß, der Schlüssel ward umgedreht, vier Männer sprangen von links und rechts aus den Seitenmündungen des Ganges auf den Überraschten und packten seine beiden Arme: die jugendliche Gestalt aber schlug die Kapuze zurück – prachtvolles Rotgelock flutete auf ihre Schultern – und ihm mit der Lampe in das Antlitz leuchtend, lachte Fredigundis: »Willkommen, Herr Sohn! – Jetzt fehlt nur noch Merovech!«

 


 

Achtes Kapitel.

Die Regentin lag in ihrem kleinen Gemach im Palatium zu Soissons anmutig hingegossen auf der Ruhebank, ihren Knaben an die weiße Brust drückend. »Trink,« sagte sie, »saug' und trink, mein kleiner Held! Du kannst gar nicht genug von der Mutter in dich aufnehmen für einen künftigen König. Dein Vater, der geborne König, hat, obzwar ein höchst verschmitzter Dialogiker – oder wie das Ding heißt? – viel zu wenig Königshärte in seinem schlaffen Herzen. Sollst du ein großer, das heißt ein furchtbarer König werden, zu dem die zitternden Völker aufblicken, wie zu der blitzzüngelnden Wetterwolke, dann mußt du nicht nach ihm, mußt nach dem im Staub gebornen Mütterlein arten. Wart, Chilperlein, schwacher Weichling, ich will dir regieren helfen.«

Rulla trat ein und meldete: »Die beiden Männer, die du bestellt hast.« – »Laß sie eintreten!« – »Soll ich nicht das Kind . . .?«

»Nein! Was schadet's, daß sie sehen: die Königin ist eine gute Mutter?« Rulla ging. In das Gemach schritten Winnoch der Klausner, und ein andrer Mann, beide reich gekleidet und wohl gewaffnet mit Brünne, Kurzschwert und Langschwert. »Nun,« lachte Fredigundis, ohne sich zu regen, »frommer Bruder! Ist es nicht besser, Frau Fredigundens Vertrauter sein als ein Heiliger? Verspürt Ihr Sehnsucht aus den ambra-duftenden Gemächern meines Palatiums hinweg nach Eurem einsamen Turm? – Wo es übrigens auch gar nicht übel geduftet haben soll nach – Wein! Ist es besser, dumme Bauern durch Weissagungen um ein paar Eier betrügen, als Frau Fredigundens Vorhersagungen zu erfüllen mit dem Skramasachs?«

Der ehemalige Klausner trat einen Schritt vor: »oh Frau Königin – meine Königin – dich anschauen – das ist die Himmelsseligkeit! Mag ich's in der Hölle büßen ewiglich, wie ich dir gedient.«

Zornig trat der andre vor und griff an den Dolch: »Schweig, Pfaff, sonst stech' ich dich nieder. Wie darfst du so reden? Hast du wie ich einen Bruder verloren im Dienste dieser allberückenden Frau? Hast du dein Leben eingesetzt für die meeresgrundtiefen, meergrauen Augen wie ich? Pah! Daß du den jungen Chlodovech überwältigen halfst im Gang? Das ist was Rechtes! Hast du einen Frankenkönig ermordet – für sie?«

»Verzeihung, Bladast,« lächelte Fredigundis. »Aber das thatest du damals nicht für mich, für meine grauen Augen, wie du sie, – häßlich! – schiltst: sie sind doch eher bläulich, glaub' ich, nicht? – sondern um dein verwirktes Leben zu retten und das deiner greisen Eltern.«

»Davon schweige, Königin,« rief der Mann wild. »Das könnte mich . . .! Ach nein, auch das kann mich nicht mehr heilen. Du hast mit arger, mit ärgster Bosheit mich und den Bruder – brave, wackere Menschen waren wir, der Bischof in Tournay hat es selbst gesagt! – dahin gebracht, zu morden, um die Eltern und uns selbst vor deinen Folterbänken zu retten. – Des Bruders letztes Wort, – ich hört' es wohl! – als er fiel bei der That, war ein Fluch über dich. Ich hatte ihn geliebt, diesen Bruder, fast wie die weißhaarigen Eltern, – und hatte gelebt in Treue und Manneswackerheit. Und doch! Schon als ich in Tournay zuerst dich sah, als du das Gräßliche den Eltern drohtest und uns zu dem Morde drängtest, der uns der Hölle überliefert, schon da hat mich deine berückende Schöne vergiftet. Und als ich zu dir zurückkam und dich haßte wegen meiner That und wegen des armen Bruders und dir fluchen wollte wie er – und wie du da lächelnd mir diese langen, schmalen Finger hinhieltst, – da . . .! Bei allen bösen Geistern, zerfleischen laß ich mich, Glied für Glied, um Einen Kuß auf diesen kleinen weißen Fuß.« Er trat vor. Der Klausner folgte ihm, einen glühenden Blick auf Fredigundens Gestalt werfend.

Ruhig schob sie ihr Busentuch zurecht, nahm das Kind auf den Schos und sagte eisig: »Pfählen laß ich euch, rührt ihr mich jemals an. Kein Wort der Art will ich jemals mehr hören. Ich kann's ja nicht hindern, daß ihr Augen habt und daß ich – wirklich – viel schöner bin als andere Weiber. Aber – behaltet's für euch. Bedenkt es stets: ich bin Feuer. Wer mich anrührt, verbrennt. Andern Lohn – Gold – sollt ihr haben, soviel ihr wollt, soviel König Chilperich den freien Franken abpressen kann. – Nun gebt acht! Mein Gemahl setzt, nachdem er erfahren, daß Herr Chlodovech gut aufgehoben ist bei mir, seinem dritten lieben Sohne nach, ohne ihn finden zu können. Aber er ist von Weichmütigkeit befallen über den Verlust seines tapfern Theudibert. Er will Chlodovech, der mich, – die Königin! – gefangen vor den Burgunden schleppen wollte, nicht hinrichten, nur zum Mönch scheren und in ein Kloster stecken. Leider wachsen den Merowingen die abgeschornen Haare wieder: – wir haben's erlebt!« »Königin,« sagte der Klausner, »du hast ja deinen Feind unten im Kerker. Laß mich hinunter und . . .« – »Nein, mich laß den Mann erwürgen,« rief Bladast, »der dir ans Leben wollte. Und laß mich dafür nur den Saum deines Mantels küssen . . . –« – »Nichts da! Den Mantel hat mir, wie alles, was ich habe, Herr Chilperich geschenkt. Und wenn die Heiligen auch dereinst leider schwere Arbeit haben werden müssen, mich wegen anderer Sünden loszubitten, – aber sie werden's gerne thun: sind reich vorausbezahlt! – Untreue gegen Chilperich soll nicht darunter sein.« »Du bist von Stein,« murmelte Bladast, »daß solche Glut des Bittenden dich nicht erweichen kann. Du bist von Stein!«

»Ich glaube – ja. Wenigstens von denen, die da leben . . .! Aber: nicht ihn umbringen. Herr Chilperich hat noch den ersten Sohn Frau Audoverens nicht ganz verschmerzt. – Es käme zu Tage, daß ich, gegen des Königs Gebot, ihn tötete. Er muß das selbst vollbringen.« »Wie wirst du das bewirken?« staunte Bladast.

»Kennst du das Kurzschwert, den Skramasachs, dort auf dem Tisch?« – »Er ist Chlodovechs! Ich selbst nahm ihm die Waffe ab in dem Thorgang.« – »Nimm sie mit in den Kerker . . . in deinem Gürtel. Und dieses Schreiben. Lies nur! Es ist unverschlossen.« – »Im ausdrücklichen Auftrag des Herrn Königs Chilperich. Chlodovech soll so lange gefoltert werden, bis er verrät, wohin sich sein Bruder Merovech gewendet hat. – Ja, das wissen wir ja schon!« – »Aber Er weiß nicht, daß wir's wissen. Laß ihn das lesen. Zeig ihm hier das Siegel seines Vaters auf dem Schreiben.« – »Woher konntest du . . .?« – »Ich führe Herrn Chilperichs Königsring. Bringe mir das Schreiben wieder zurück. Sag' ihm, in einer Stunde würden ihn meine Folterknechte abholen, und verlaß ihn.« – »Und das Kurzschwert?« – »Bist du aber langsam von Gedanken –! Das Kurzschwert verlierst du! Du läßt es – geräuschlos – auf das Stroh des Kerkers fallen und gehst.« – »Du bist . . –« – »Ich weiß schon, wie ich bin. Geh, Bladast. Es eilt. Der König, – er sucht Merovech: – vergeblich wie wir wissen! – in der Champagne von Reims – aber er kann jede Stunde hier eintreffen. Und du, Winnoch, wirf dich auf das rascheste Roß im königlichen Marstall, fliege zu den Leuten von Thérouanne und sag' ihnen: – aber nur mündlich! kein Schreiben läßt du dir abbringen! – die rückständige Grundsteuer ist ihnen erlassen, thun sie in allem, wie ich ihrem Abgesandten riet. Gehorchen sie aber meinem sanften Rate nicht, so schick ich ihnen den Schatzmeister mit zwanzig Fronboten und lasse sie pfänden und von Haus und Hof treiben ins Elend. Höre – noch eins. In der Nähe von Thérouanne irgendwo steht mit starker Schar Herzog Boso: – auch ein Verehrer meiner roten Haare!« »Jawohl!« sprach Bladast grimmig. »Ich kenn' ihn nur zu gut. Ich sah es, wie er in der letzten Vesper das Auge nicht von dir brachte. Du hast der Verehrer viele, Feuerkönigin.« – »Dank den Heiligen: – ja! Aber alle verehren mich mit gleichem Erfolg. Das mag euch trösten: zur Eifersucht hat keiner von euch Ursach! Dem Herzog sage, Fredigundis läßt ihn bitten, im rechten Augenblick in Thérouanne nicht zu fehlen. Er haftet mir dafür, daß Merovech und Sigila – hörst du? Auch der! Der frech-stolze Gote! ich schulde ihm noch was! – nicht mit dem Leben entrinnen: – sie dürfen sich nicht etwa ergeben und vor den König gebracht werden. Des schwachen Vaters Auge soll den Sohn nicht mehr sehen.« – »Ich verstehe.« – »Fort mit euch! Macht eure Sachen gut.« – Die beiden neigten sich und gingen. –

»Rulla,« rief die Königin, »nimm mir den Knaben ab. Ich muß in die Kapelle des heiligen Medardus und beten, daß meine Pläne gelingen; er wird schon dazu helfen. Hab' ich ihm doch das Gewicht klein Samsons in eitel Gold gelobt, sobald mein Knabe der einzige Sohn Herrn Chilperichs geworden. Hilf mir das Haar aufbinden.« Während Rulla ihr behilflich war, sprach sie mit leisem Grauen: »O Königin, ist es wahr . . .?« – »Horch, wie mein Haar wieder knistert. Das bedeutet Gelingen! – Was soll wahr sein?« – »Daß du zaubern kannst? Alle Leute sagen's. Und deine Großmutter galt im ganzen Gau als –«

»Hexe, willst du sagen? Ja, sie kannte und konnte mehr als andre. Und ich – ich kann mehr als sie!« – »Also hast du wirklich – der ganze Palast behauptet es – deinem Erdspiegel es abgefragt, daß in jener Nacht der arme Königssohn des Thorwarts Töchterlein besuchen wolle?« – »Nein, Närrchen. Zwar wäre es besser, dich in dem Wahn zu lassen: denn die Furcht vor Fredigundis ist aller Weisheit Anfang in Neustrien. Aber du dauerst mich in deiner Dummheit. Nein, ich brauche keinen Zauber, wenn sich meine Feinde selbst verraten. – Höre! Du weißt, das eitle junge Ding hatte Haare, ähnlich den meinigen, nur – natürlich! – lang' nicht so schöne. Aber doch recht ähnliche. Herr Chilperich lobte einmal ihre Haare. Schon das gefiel mir nicht sonderlich. Nun sind mir, wie du weißt – unter dem Druck der schweren Krone – ich bin ja nicht von Jugend auf an die goldne Last gewöhnt: auch,« lachte sie, daß die kleinen Zähne glänzten – »trage ich die Krone vielleicht allzuhäufig! – die Haare ein wenig ausgegangen.« – »Ja, zumal an der linken Seite, am Ohre,« sagte Rulla, »ganz seltsam!« – »Ich weiß, ich weiß. Oh, thu' mir nicht so weh!« – Das kleine Füßlein stampfte. – »Nun, ich befahl der Dirne, sich ihre Haare kurz abzuscheren. Ich wollte – nur für öffentliche Aufzüge oder bei dem Empfang fremder Gesandten: denn mein Fuchs ist nicht zu täuschen! – ihre Flechten zwischen die meinen binden. Ich versprach der Sklavin, der erbärmlichen, noch Geld dafür. Kannst du dir solche Frechheit vorstellen? – Sie weigerte sich!« – »Das kann ich mir gut vorstellen. Hätte mein braunes Haar auch keiner Königin gegeben und für keine Summe Geldes. Denn mein Rando liebte es und lobte es so sehr und streichelte es so oft.« Fredigundis sah ihre Dienerin mit großen Augen an: »Nichts dümmeres an einem Mädchen, als die Liebe, – wie ihr's nennt. Macht aus den Weibern Thörinnen. Jede Laune des Geliebten wird ihr Evangelium. Und oft ihr Verderben. – So hier. Ich bat. Ich! Die freche Magd weigerte sich nochmal! Da riß mir die Geduld. Vier Fäuste hielten das Püppchen, das jammerte und sich drehte und heulte, und ich selber – eine Wollust war mir's! – schnitt der Schreienden das ganze Haar so dicht am Kopf ab, daß sie aussah wie ein frisch geschornes Lamm! Als die letzte Locke zur Erde rieselte, schrie sie wütend: »Oh mein Geliebter, wie hast du dieses Haar geliebt! Aber Geduld, bald rächt er die Schmach.« Ich stutzte: ich sah ihr ins Auge: da erschrak sie und sank, schreiend vor Furcht, vor Reue über das entflohene Wort in Ohnmacht. Rasch weckte sie meine scharfe Schere: das unterste Ohrläppchen schnitt ich ihr ab. Ächzend fuhr sie auf. Sie wollte nichts gestehen. Auch auf der Folter hielt sie tapfer aus – wollte sich die Zunge abbeißen, um nichts verraten zu können – schreiben kann sie ja nicht. Ich merkt' es: denn ich stand dabei . . .« –

»Oh Königin!«

»Ja, es ist arg. Ich thu's nicht wieder, – wenn ich's vermeiden kann. Ich zwängte ihr ein Tuch zwischen die Zähne. – Zuletzt gestand sie alles: des Buhlen Namen, den Plan, die bestimmte Nacht. Ich ließ sie einsperren bis alles gelungen war. Dann gab ich sie frei.« – »Die Arme! Was ward aus ihr? Ich will für sie . . .« – »Überflüssig! Als sie erfuhr, daß er gefangen, hat sie sich vom Turme herabgestürzt. – Nun in die Kapelle!«

 


 

Neuntes Kapitel.

Eine Woche später schritt König Chilperich kopfschüttelnd in seinem Gemach in dem Palatium zu Soissons auf und nieder; Fredigundis lehnte auf dem Ruhebett und schien ganz vertieft in Urkunden, die, dicht gehäuft, in einer reich verzierten Erzvase vor ihr auf dem teppichbedeckten Estrich lagen. »Ei, ei!« sprach Chilperich vor sich hin. »Beide tot. Vielmehr: alle drei tot! Sei's um Merovech! Hab' ihn nie gemocht! War Sigibert mehr zugethan als mir. Und diese Ehe! Welche Auflehnung gegen den Vater!« – »Und welche Sünde gegen die Heiligen!« meinte die Königin, ohne von ihren Pergamenten aufzublicken. »Des eignen Oheims Witwe zur Frau nehmen! Blutschande! Gräßlich!«

»Ich glaube doch, ich hätte ihm zum zweitenmal das Leben geschenkt. Da schneidet mir der Unsinnige die Wahl ab! Ich grolle fast den Leuten von Thérouanne. Und wer weiß, ob sie nicht anfangs im Ernst, und nicht nur zum Scheine, sich ihm anschließen wollten?« Fredigundis zuckte die Achseln. »Wohl möglich! Strafe sie! Wie war es doch?«

»Winnoch, der zufällig in der Nachbarschaft weilte, erzählt, die Leute dort hätten meinen Sohn, der in der Nähe auf seinen Gütern die Vassen aufbot, zu sich rufen lassen mit dem Versprechen, sich ihm anzuschließen. Aber freilich haben sie alsbald, sowie er mit Sigila . . . –« – »Der hochmütige Gote! – Ich gedenke noch, wie ich ihn zuerst sah.« – »Wo war das?« – »Gleichviel! – In Marseille! Neben Herrn . . . Sigibert!« – »Also, wie Merovech mit seinen vornehmsten Begleitern, etwa zwölf Helmen, in das kleine Palatium in der Vorstadt Thérouanne – es hat hohe steinerne Mauern und nur Ein Thor – eingeritten war, da warfen sie von außen das Thor hinter ihm zu und umlagerten ihn. Dein Günstling, Herzog Boso, tauchte plötzlich in der Stadt auf mit seiner Schar und übernahm den Oberbefehl. Jene wollten sich durchschlagen! aber bei dem Ausfall, den sie machten, wurden die meisten gefangen. Nur mein Sohn und Sigila gelangten in den Palast zurück. Da sahen sie zu, wie die Gefangenen gar grausam hingerichtet wurden.« – »Du sorgest wohl bang,« fiel Fredigundis ein, ohne aufzublicken, »um deinen Ruhm, der erfindungsreichste Henker in deinem Reiche selbst zu sein? Das Augenausstechen, das du so liebst, ist auch nicht sänftlich. Und hast du vergessen, wie du Herrn Sigiberts Mundschenk hast alle Gelenke mit weißglühenden Eisen verbrennen und Stück für Stück die Glieder mit Zangen abreißen lassen?«

»Der Hund hatte gesagt,« erwiderte Chilperich giftig, »ich könne gar nicht von Merowingenblut sein: – wegen meiner Feigheit.« »Du bist just kein Held, Schätzlein,« sagte sie umblätternd. »Nein, denn nur Thoren brauchen den Arm, wo die Zunge ausreicht. Heldentum – wie oft schon sagt ich's! – ist eine barbarische Dummheit. Aber diese Bären wollen's nicht begreifen. – Nun, dein Schützling Boso ließ vor meines Sohnes Augen dessen gefangenem Falkner Grindio Hände, Füße, Ohren und Nase abhauen, seinen Schildträger Gailen flochten sie aufs Rad und hingen ihn hoch auf, Chucilio, weiland Bruder Sigiberts Pfalzgraf, hieben sie nach vielen Martern in Stücke. Da ergriff wohl Merovech und Sigila ein Grauen; man sah, wie sie auf dem flachen Dach des Hauses, wo sie all' das mit angeschaut, erst miteinander redeten, dann die Skramasachse widereinander selbst zückten, sich einander durchbohrten und dann, Brust an Brust sinkend, starben.«

»Wie rührend! – Ich habe beider Leichen Frau Brunichildis senden lassen in ihre Klosterzelle. Der Landsmann mag sie Spaniens gemahnen. Und des Hochzeitzugs in Marseille! Und ihren zweiten Mann mag sie neben ihrem ersten bestatten lassen. Bin begierig, ob einer Lust hat, der dritte zu werden; sie sterben rasch, die Gatten Brunichildens.« – »Wie gesagt: sei's um Merovech! – Jedoch daß meinem tapfern Theudibert – infolge eines Gelübdes, heißt es, ging er ohne Brünne in den Kampf: Chlodovech sollte Näheres davon wissen – nun dieser ungestüme, aber kraftvolle Junge, dieser Chlodovech, auch gefolgt, – das ist ein Schlag! Ich hätte ihm das Leben gelassen. Wie hat er nur den Dolch bei sich verbergen können? Der Kerkermeister fand ihn schon tot. Selbstmord bei beiden! Sie werden's büßen im Jenseits.« »Ich habe Messen für sie lesen lassen,« sagte Fredigundis und nahm eine neue Rolle auf. »So hörte ich: – mit Rührung! Ja, für tote Stiefsöhne bist du eine gute Mutter. Im Leben . . . . .? Nun, es ist gut, daß du gegen den Einen nicht zu zärtlich warst. Aber nun habe ich nur den Einen Sohn und Erben. Wenn er uns stürbe!« – »Er sieht nicht danach aus. Hörst du ihn lachen da drüben? So laut! So fröhlich! Er ist bei den Heiligen gut angeschrieben: muß es sein! Dank all meinen – nicht bloßen Gebeten! das sind Worte! Darauf giebt man auch im Himmel nicht viel! – dank meinen Geschenken.« – »Der einzige Erbe!« Chilperich seufzte. »Männchen, komm her! Leih mir dein Ohr,« lächelte sie, die berückenden schwimmenden Augen zu ihm aufschlagend. »Ich sage dir ein Wort des Trostes.« Er beugte sich zu ihr nieder, sie faßte seinen Kopf mit den weißen Händen und flüsterte ihm in das Ohr. »Hi, hi! Mein Gundelchen! Das ist ja herrlich! Das kann freilich ein Trost werden.« Und er küßte sie zärtlich auf den Nacken.

»Aber,« fuhr sie fort, »ich bin dir nicht nur die Mutter eines Geschlechts von Königen: ich bin auch dein bester Reichskanzler! Oder Schatzmeister: denn zumeist Dein Schatz bedarf der Stärkung. Ich habe in diesen Wochen, da du mir die Regentschaft übertragen hattest, eifrig gearbeitet, – mit deinen Kämmerern und allein – habe mir die alten Steuerlisten vorlegen lassen aus den Archiven und die Rechnungen, die Steuerbeträge der letzten Jahre damit verglichen. Freue dich, Herr König von Neustrien! Viele Millionen Solidi von Steuerrückständen habe ich entdeckt.« »Das wäre!« rief Chilperich funkelnden Auges. – »Es ist so. – Und was noch viel mehr wert: ich habe gefunden, daß in gar vielen Städten durch Nachlässigkeit, auch wohl Bestechung der Grafen, seit Jahren viel geringere Steuersätze erhoben werden, als dir gebühren. –« – »Die Schurken! Die Augen laß ich ihnen ausstechen.«

»Leider sind sie meist schon tot. – Daraus folgt also, daß du ständig, auch künftig, auf viel höhere Einnahmen zählen kannst. Hier die Zusammenstellung.«

»Gundelchen!« frohlockte der König, »du bist Gold wert! Buchstäblich!« Gierig durchflog er die hingereichte Rolle: »Das ist ja herrlich! Fast in allen meinen Städten. In Bordeaux, Limoges, Cahors, in Angers, Rouen, Cambray, in Beauvais, und hier in Soissons selbst. – Aber was seh ich? Du hast ja überall in der Richtigstellung der Rechnung die Kirchen, die Klöster vergessen mit ihrem ungeheuren Grundbesitz und ihren Hintersassen! Zieht man auch sie heran, – nach zweifellosem Recht! – so erhöht sich ja diese meine neue Einnahme fast noch um ein Drittel.«

»Nicht vergessen!« sprach Fredigundis ernst. »Absichtlich übergangen. Wir wollen gegen sie nicht Gebrauch machen von unserem Recht. Ich bitte dich sogar, ihnen die bisher entrichtete Grundsteuer zu erlassen.«

»Fällt mir nicht ein! Warum denn?«

»Ja, siehst du, Männchen, Kirchengut gehört den Heiligen. Mit diesen dürfen wir's nicht verderben. Es mußte so manches geschehen und wird – ich seh es kommen! – wohl auch künftig noch geschehen müssen, was – nun, was der heiligen Fürsprache dringend bedarf.« »Ach was!« rief Chilperich. »Ich habe genug gethan für die Heiligen; sie müßten ja unersättlich sein.«

»Nein, ich bitte dich,« mahnte sie dringend. »Es könnte mich sonst die ganze Arbeit reuen. Ich gebe dir gar die Rollen nicht, versprichst du nicht . . . –«

»Oho, Empörerin!« rief Chilperich lachend, raffte die sämtlichen Urkunden aus dem Erzgefäß und eilte damit zur Thüre. »Heute noch schicke ich die Steuerboten aus. Und die Bischöfe und Äbte sollen sich wundern. Sie besteure ich, nicht die Heiligen im Himmel.« Seufzend, sehr unzufrieden sah ihm Fredigundis nach.

»Rulla,« rief sie gegen das Nebenzimmer gewendet, »bringe die Mirakel und hilf mir wieder bei der Arbeit.«

Alsbald brachte die Dienerin in einer ähnlichen Erzvase einen hochgehäuften Stoß von Zetteln verschiedener Größe, bald von Pergament, bald von Papyrus. Sie setzte sich auf einen Schemel neben dem Ruhelager und las, schrieb und verteilte die Zettel auf einem niedrigen Tisch nach Anweisung ihrer Herrin. »Ich bin dir so dankbar, Königin, daß du mich alsbald hast lesen und schreiben lehren lassen. So kann ich dir doch in manchen Dingen nützlich sein. Nur bin ich noch nicht rasch genug mit der Rohrfeder.«

»Andere sind geschickter, – aber du bist verschwiegen und treu,« sagte Fredigundis und strich über das hübsche Gesicht, das reiche Haar der Dienerin. »Seltsam! Ich glaube, dich hab' ich lieb. Es rührt sich etwas warm in meiner Brust, wann ich dich anschaue. Das kenn' ich sonst nicht, – nur etwa für meinen Sohn. Es thäte mir weh, wenn du von mir ließest.« –

»Königin, dir dank' ich, daß mein süßer Knabe lebt. Wie könnt' ich! . . . –« – »Du mahnst mich an die Kinderzeit. Weißt du noch, wie wir in die Brombeeren gingen selbander? Oder an der Wutach die weißen Wasserrosen brachen – barfuß.«

»Ja! Du warst immer recht wehleidig dabei, wenn dich nur ein Dorn ritzte, Fredigundis.« – »Ich kann es nun einmal nicht leiden, wenn was unsanft rührt an mein lieb, weiß, weich Fleisch.« Sie küßte ihren eignen vollen Arm. »Lieber noch so viel Wohlbehagen! – Nun an die Arbeit. Was schreibt Herr Felix von Nantes?« – »Er bedaure, aber in seinem Sprengel sei in diesem Jahr kein Wunder vorgekommen.« – »Er paßt schlecht auf! Er glaubt nicht leicht.« – »Ausgenommen das eine, daß der Herr König zwölf Monate lang keinen habe köpfen lassen.« – »Er soll seinen eigenen Kopf hüten.« – »Venantius Fortunatus schickt dir aus Poitiers – in Ermangelung von Mirakeln – neue Verse.«

»Weg damit!« – »Ungelesen?« – »Ins Feuer! Oder nein, ich gebe sie dem König. Der hat ja, außer schädlicheren Leidenschaften, auch die für Dichter und Verse.« – »Du magst sie nicht, die Lieder? Ich habe meine Freude an den alten Sängen.« – »Weil du dumm bist, Rulla; deshalb hast du auch so ein liebeheißes Herz! – Nein! Ich hasse die Dichter. Auch die alten Sagen und Lieder, die sie erfinden. Es sind ja lauter Lügen! Nun hab' ich gar nichts gegen das Lügen! Durchaus nicht! Dann muß aber doch ein Vorteil dabei herauskommen!

– Und dieser Venantius, der meines Mannes Verse schön findet! Der elende Heuchler! Hier wieder! Da höre nur:

›Du, ein sugambrischer Mann, von dem Stamme von Helden entsprossen,
    Wie dir beredt aus dem Mund strömt das latinische Wort!
Welcher Meister bist du des Worts in der eigenen Mundart,
    Der du im römischen Vers selber uns Römer besiegst.‹

Welche Unverschämtheit des Lobes! Wenn Chilperich das liest, er muß sich ja schämen. Aber freilich, Dichter können mehr an falschem Lob einsaugen und ertragen als der Schwamm an Wasser! Noch mehr fast als Könige! Dieser Venantius! Und die heilige Radegundis, seine . . . –« – »Aber Königin! Sie ist steinalt! Und heilig bei lebendem Leibe.« – »Langweilig ist sie, unsäglich! Und dumm! Schreibt mir – ich sage: mir! – lange Briefe über die Eitelkeit von Macht und Kronenglanz! – Weiter. Dort die lange, lange Liste. – Die ist gewiß von Herrn . . . –« – »Gregor von Tours.«

»Natürlich! Spare die fromme Einleitung! Zähle gleich die Mirakel auf und die Heiligen.« – »Nur den Schluß der Einleitung höre!« – »In Gottes Namen.« – »Und wenn es also auch sehr löblich ist, daß du, oh Königin, dir von allen Bischöfen, Äbten, Klausnern und Klausnerinnen und anderen Religiosen alle Wunder und Gerichte der Heiligen, die im Laufe des Jahres in allen drei Frankenreichen geschehen, aufzeichnen und einsenden lässest, um danach deine Verehrung und deine Geschenke an die verschiedenen Heiligen abmessend einzurichten, so muß ich dich doch vermahnen, daß die guten Werke dir nicht helfen werden, ohne den rechten lebendigen Glauben.« – »Schon recht! – Nun lies die Mirakel ab und schreib auf.« – »›Großes Hagelwetter bei Chartres: ein Winzer rief Sankt Solemnis an, als die ersten Schloßen fielen – sein Rebgarten allein blieb verschont.‹ Soll ich schreiben: Sankt Solemnis gut gegen Hagel?« – »Nein! Hagelschutz? – Nicht der Mühe wert!«

»Eine Frau, Papianilla, sollte vergiftet werden im Frühtrunk von einem verschmähten Liebhaber. Sie opferte am Abend vorher dem heiligen Amabilis von Riom einen Kelch; er erschien ihr im Traum, warnte und rettete sie.« – »Das schreib' auf! – ›Sankt Amabilis von Riom gut gegen Gift‹« – »Sankt Bibian von Saintes erschien frommen Leuten, die ihm eine Kapelle gebaut in seiner Stadt, und warnte sie vor der Ruhr, die tags darauf ausbrach und viele Leute, zumal Kinder, hinraffte in der Saintonge. Die Frommen flohen und nur ihre Familie blieb völlig verschont.« – »Das schreib auf – sofort! ›Sankt Bibian – Ruhr.‹ Dann weiß ich's schon. Weiter!« – »Ein übles Vorzeichen ist der Vogel Corydalus, den die Franken Haubenlerche nennen. Er flog in eine Kirche in Arvern, flog über das ewige Licht, – dasselbe erlosch. Bald darauf schlug der Blitz in die Kirche.« – »Bah, der Vogel kann durch seinen Flügelschlag das Lämpchen ausgelöscht haben. Immerhin: – schreib: ›Haubenlerche vorverkündet Blitz‹« – »Am Grabe Sankt Julians zu Arvern genas ein Kind, das schwer am viertägigen Fieber litt, durch Ausstreuung des Staubes von dem Grabe.« – »Eilig! Mein Samson hatte neulich solchen Anfall. – Halt! Vergiß nicht, heute noch nachzusehen in unserm großen Verzeichnis: – da war ein Heiliger, wie hieß er doch? – Eine Frau hatte einen Feind. Sie konnte ihm nichts anhaben. Da betete sie ihn tot bei jenem Heiligen: – es kostete daneben nur noch eine Stiftung von Wachskerzen; sieh nach! – Weiter.« – »Der heilige Vincentius hat in Paris bei der großen Feuersbrunst, die alle Häuser an der Seinebrücke in einem Flammenmeer begrub, ein ganz aus Holz gebautes Hüttlein verschont, weil sein Bild daran geschnitzt war.« – »Schreib auf! Ich fürchte mich sehr vor Feuer. Der König ließ einen lebendig verbrennen: – er war unschuldig, wie sich dann ergab. Gott könnte das etwa einmal durch Feuer rächen wollen.« – »Der heilige Lupicinus hat einen auf Befehl des Grafen Gehängten, der ganz tot war und lange schon tot am Galgen hing, auf Gebet des Abtes von Javols wieder auferweckt von den Toten.«

»Was?« rief Fredigundis aufspringend. »Das ginge mir gerade noch ab! Ein höchst überflüssiger Heiliger! Ja, ein gemeinschädlicher, ein Reichsfeind! Da hätte man mit aller Kunst und Mühe einen Feind glücklich ins Grab geschafft und dieser unverschämte Heilige erlaubte sich, – gegen des Königs Blutbann! – in des Königs Gebiet! – Wunder zu thun und den Toten wieder aufzuwecken? Den Namen streichst du mir aus! Ganz dick, daß ihn kein Mensch mehr lesen kann. – Horch! Samson ruft nach mir. Ich komme, mein süßes Lämmchen.«

 


 

Zehntes Kapitel

Und im folgenden Jahre erhielt das Lämmchen Samson ein Geschwister.

Aber Frau Fredigundis tobte vor Zorn, als Rulla ihr das Kind in die Arme legte. »Was?« schrie die schöne Königin. »Ein Mädchen? Ein elendes, unnützes Mädchen? Deshalb mondelang all die geringere Schönheit und die Sorge und Beschwer? Was thu' ich mit einer Tochter? Entweder sie wird nicht so schön wie ich: – das ärgert mich. Oder sie wird schöner als ich: – das ärgert mich noch viel mehr. Ich brauche keine Töchter. Söhne will ich haben, das Reich zu erben!« Begütigend sprach Chilperich: »Nun, man kann auch Töchter brauchen in Königshöfen zu Verschwägerungen mit Nachbarreichen; solche bringen reichen Muntschatz dem verlobenden Vater ein und machtstärkendes Waffenbündnis.« Das leuchtete der jungen Mutter ein; sie tröstete sich einigermaßen, obwohl sie das Töchterlein – Rigunthis ward es getauft – nicht im entferntesten so zärtlich liebte, wie ihren Knaben. Sie gelobte den Heiligen reiche Geschenke dafür, daß ihre künftigen Kinder auf die Speer-, nicht auf die Spindelseite fallen sollten. Und siehe da: die Heiligen schienen mit sich reden zu lassen. Denn drei Kinder, welche sie in den folgenden sechs Jahren gebar, waren sämtlich Söhne; sie erhielten die echt merowingischen Namen Chlodobert, Dagobert und Theuderich.

Und nun glich nichts im ganzen Frankenreiche dem Stolze Fredigundens, wann dieselbe bei öffentlichen Aufzügen, bei den großen Bittgängen in die Kirchen, welche die Königin zu begleiten nie versäumte, sich ihre vier Knaben nachtragen ließ. Sie steckte ihnen Blumen, aber auch Goldstücke in die winzigen Händlein, die sie dann auf den Altären der Heiligen niederfallen lassen mußten.

Es waren schöne Kinder, alle: blühend, gesund, strotzend, und in den Zügen so echt merowingisch, wie in den Namen: sie sahen beiden Eltern, aber, wie alte Hofleute rühmten, noch viel mehr dem Vater des Königs, Herrn Chlothachar, ähnlich. –

Auch das kleine Fräulein Rigunthis ward sehr schön; sie war des Vaters Liebling, der gar zärtlich mit ihr that.

»Die Söhne,« so erklärte er seiner Gemahlin, »sind zwar notwendig, aber sie erinnern mich immer daran, daß sie einmal an meiner Statt herrschen werden in Neustrien. Und diese Mahnung ist leidig. Welcher König kann seinen Nachfolger lieben? Sie gemahnen mich und die andern stillschweigend – gesprochen darf nie davon werden in meiner Gegenwart! – an König Chilperichs Tod. Kann's nicht hindern. Aber es verdrießt mich, zu denken, daß König Chilperich einmal nicht mehr lebt.«

Die warme Vorliebe des Vaters für die Kleine war der Mutter anfangs nicht erfreulich. Allein bald versöhnte sie sich mit dieser Schwäche; denn sie erleichterte ihr die Durchführung eines Planes. Es war zwischen Chilperich und Leovigild, dem neuen König der Westgoten in Spanien, eine Verschwägerung verabredet worden: Leovigilds Sohn, Rekared, sollte mit Chilperichs Tochter von Audovera, der kleinen Basina, die kurz vor Audoveras Verstoßung war geboren worden, verlobt werden. Sowie Fredigundis es erfuhr, arbeitete sie darauf hin, daß das Kind Basina in ein Kloster – nach Poitiers – gebracht wurde, zur Erziehung zunächst, womöglich aber für immer: – während Fredigundens Töchterlein an Basinas Stelle mit dem westgotischen Königssohn verlobt werden sollte. Gar bald hatte sie dies dem Gatten, der die rotlockige Rigunthis so gern auf den Knieen schaukelte, abgeschmeichelt.

So vergingen Jahre und Jahre. –

Stolz und in Freuden herrschte Königin Fredigundis an Chilperichs Seite; ihr Wille geschah in ganz Neustrien.

Gar gerne hätte sie freilich diesen Willen auch über Austrasien und Burgund gebreitet. Und wiederholt trieb sie ihren unkriegerischen Gemahl dazu an, bei günstiger Gelegenheit zu versuchen, bald Herrn Guntchramn zu Orléans, bald der Regentschaft, die für den Knaben Childibert zu Metz die Herrschaft führte, ein paar Städte zu entreißen.

Allein diese Versuche scheiterten im wesentlichen und hatten nur die Folge, daß König Guntchramn sich näher zu seinem Neffen Childibert hingezogen fühlte gegenüber dem argen Bruder Chilperich, dessen wiederholte treulose Angriffe ihn als gemeinsamen Feind der beiden andern Reiche erscheinen ließen. Doch schwankten diese Verhältnisse vielfach, da in Austrasien eine mächtige Adelspartei, geführt von Herzog Gundovald und Bischof Egidius von Reims, von Chilperichs Gold und Fredigundens Ränken gewonnen, zu Neustrien, nicht zu Burgund, neigte.

Nachdem so viele Jahre Königin Fredigundis in ungetrübtem Glanz der Herrscherherrlichkeit sich gesonnt hatte, geschah es, daß in einem heißen Sommer – im August – eine furchtbare ruhrartige Seuche ausbrach in Südgallien, die viele Menschen und zumal viele Kinder dahinraffte. Von Marseille aus verbreitete sich die Krankheit, man hielt sie – mit Recht oder Unrecht – für höchst ansteckend, rasch nach Norden und Osten.

Sobald die ersten Todesfälle in ihrer Nähe vorkamen, ward Fredigundis von namenloser Angst für ihre Kinder befallen. Rasch floh sie mit ihnen aus dem Süden in den Norden von Chilperichs Reich. Aber die Seuche schien ihr folgen zu wollen; vergeblich flüchtete sie von Angers nach Le Mans, von Le Mans nach Chartres, von Chartres nach Etampes, von Etampes nach Paris: – die Krankheit flog hinter ihr her. Das schien so augenfällig, daß die geängsteten Menschen, im dumpfesten Aberglauben befangen und längst erfüllt von geheimem Grauen vor dieser fürchterlichen Königin, darin die verfolgende Rache der Heiligen sahen.

Vergeblich suchte Chilperich zu Paris durch glänzende Feste, durch Wettrennen und Wagenkampf, die er in hölzernen Schranken abhielt, die Leute zu beschäftigen, zu beschwichtigen. Als auch hier die Seuche eindrang, erinnerten sich die Pariser, daß ja der König ohnehin nur durch schweren Eidbruch in ihren Mauern weilte; sie erblickten in der Heimsuchung die Strafe der Heiligen und erhoben wüstes Geschrei, als König und Königin wieder in dem Cirkus erschienen.

Chilperich erschrak: auch Fredigundis; beide verließen eilig den Festplatz und zur selben Stunde die Stadt; aber Fredigundis befahl zum Abschied den berittenen Bogenschützen, die ihre und ihrer Kinder Sänften begleiteten, bei dem Vorbeireiten an der Rennbahn unter das versammelte Volk zu schießen; viele wurden getötet oder verwundet. Tag und Nacht ununterbrochen eilten sie nach Norden. Die Königin gönnte sich und den andern keine Rast, bis sie die Oise überschritten hatten; über Flüsse, wähnte man, dringe die Krankheit nicht so leicht nach. Sie befahl, die Brücken abzubrechen und ließ die Furten bewachen. Kein Mensch durfte, ihrem Zuge folgend, die Oise überschreiten.

So gelangten sie in stetem Hetzen nach mehreren starken Tagereisen nach der königlichen Villa Secura, der besonders gesunde Luft und Lage nachgerühmt wurden. Kaum hier angelangt, erkrankte Theuderich, der jüngste Knabe, ebenso Rullas Sohn: – diese Mutter wich nicht von dessen Lager. Fredigundis aber brachte rasch ihre andern Knaben in ein benachbartes Gehöft; das Töchterlein führte Chilperich an der Hand ihr nach: sie hatte nur für die drei Knaben Sorge getragen. Sie war nicht zu bewegen, an das Bett des Erkrankten zurückzukehren: – sie könnte dort die andern anstecken, sagte sie, und – – sich selbst.

Doch lag sie unaufhörlich auf den Knieen vor den Heiligen in der kleinen Kapelle des Dörfleins und machte so reiche Gelübde, daß Chilperich staunend bemerkte, wieviel seine Königin an Sondergut an sich gerafft habe in diesen Jahren.

Durch eine Kette von dreißig Dienern und Mägden ward dafür gesorgt, daß sie stündlich Nachricht von dem am Bette des Kranken weilenden Arzt erhielt, ohne daß doch ein Bote, der jenes Haus betreten, in ihre Nähe kam.

Am zweiten Tage meldete der Arzt, er habe nur noch wenig Hoffnung. Fredigundis schrie auf; sie ließ ihm sagen, sie rate ihm, zu hoffen: denn sie habe geschworen, er solle ihr Kind nicht überleben. Am Tage darauf starb Theuderich: – das Weh und die Wut Fredigundens kannten keine Grenzen: – in derselben Stunde ward der Arzt enthauptet. Ein Ersatzmann ward verschrieben, nicht aus Paris, wo die Seuche nun heftig herrschte, sondern aus dem noch unberührten Norden, aus Arras. Am Abend desselben Tages wurden alle drei Knaben von der Seuche ergriffen. – Fredigundis wollte abermals von den Kranken fliehen, deren Pflege dem Arzt und den Dienerinnen überlassen. Aber Chilperich erklärte, er werde bleiben: – nur Rigunthis ließ er fortbringen nach Cambray. »Und du bleibst auch,« befahl er. »Die Mutter gehört noch enger zu ihren kranken Kindern als der Vater.«

Grollend und schmollend gehorchte sie; »es ist ein Unsinn!« knirschte sie. »Wie wird die Gotin, wie wird Schwager Guntchramn frohlocken, werden sie unser aller auf einmal ledig.« –

Nachdem ihr aber einmal die Flucht abgeschnitten war, gab sie sich eifrig – nur allzu aufgeregt – der Pflege hin. Sie peinigte den Arzt mit endlosen Fragen; einmal ließ dieser, hart bedrängt, das Wörtlein fallen, vielleicht sei das Übel, da es allen Arzeneien trotze, »ein geheimes Gift« – »innere Blattern« –, »erzeugt durch Zauber«. »Gewiß ist es das!« schrie sie auf, »gewiß! Und wider Gift hilft nur Gegenzauber. Die Gotin hat's gebraut. Weh ihr, bleib ich am Leben!« »Die Angst macht dich rasend,« schalt Chilperich. »Die Schwägerin weilt zur Zeit bei Metz, – viele hundert Stunden von uns.« – »Weißt du nicht, daß man auch in die Ferne zaubern, Schlangengift in ferne Feinde hinein beten kann? Wer weiß, was sie alles der heiligen Eulalia – der Goten Schutzpatronin – gelobt hat? Heilige Eulalia, höre mich! Wieviel es auch sei – hilf mir – geh' über zu mir: – und ich gelobe dir das Doppelte.« – »Laß ab –! Sonst lohnt es bald nicht mehr, König sein mit einem leeren Schatz.«

Sie holte nun ihre Zettelchen hervor, die sie dereinst in einem seidenen Fetzen aus der Ziegenerhütte mitgenommen; sie kochte Kräuter und Wurzeln, mischte Pulver von zerstoßenen Steinen mancher Art und von zerriebenen Knochen verschiedener Tiere, auch verbrannte Tierhaare und gab es den Kindern ein: – der Arzt wagte keinen Widerspruch. Sie lag auf den Knieen vor den Betten, achtete fieberhaft, ob keine Besserung eintrete, rief alle Heiligen an, deren Namen sie wußte, – dazwischen durch auch wohl irgend einen alten, zum Dämon gewordenen Gott – und verdoppelte die Gelübde.

Chilperich fiel ärgerlich ein: »Nun laß gut sein! Jetzt haben Sankt Martinus und Sankta Genoveva, – diese beiden wenigstens, – genug. Wenn sie helfen wollen, können sie's dafür auch schon thun.« Aber es ward nicht besser mit den Kranken. Der brennende Schmerz in den Nieren, das heftige Fieber nahmen zu: Genick und Kopf wurden schwer; der Auswurf nahm plötzlich gelbe oder grüne Farbe an.

»Siehst du das Gift? Das gelbe Gift der Gotin?« schrie Fredigundis, raufte ihr Haar und zerschlug die Brüste. »Das ist das gelbe Gift der Kupferotter! Dagegen hilft nur – die Ahne sagte es – frisches Kinderblut, von Säuglingen!« Und sie befahl dem Arzt, den noch gesunden Kindern der Bauern in den Nachbardörfern Blut zu entziehen, einen großen, großen Kessel voll.

Gern gehorchte der Arzt sonst allen ihren Weisungen: – er hatte schon bei dem ersten Gegenzauber dem König bemerkt: nun habe er doch keine Verantwortung mehr – Chilperich hatte seltsam gelächelt: »Du denkst an deinen Vorgänger und – Vorangänger.« Aber jetzt wagte der Arzt doch Einspruch: »O Königin,« mahnte er – »ob soviel Blut deinen Kindern hilft, ist doch ungewiß: – aber gewiß ist, daß jene Säuglinge nach Verlust von soviel Blut sterben.« Ein Faustschlag in das Antlitz war die Antwort: »Was thut's, ob alle Bauernkinder in Neustrien hin werden, wenn die drei Königssöhne dadurch gerettet sind? Gehorche, Knecht!«

Und der Arzt that, wie ihm befohlen war.

Mit gewaffneten Dienern der Königin drang er in die Häuser der Bauern und zapfte den Kindern soviel Blutes ab, als Fredigundis begehrte, unter den Flüchen der schreienden Mütter; mit Gewalt mußten die Väter von der Abwehr zurückgehalten werden.

Dann ließ er den Knaben der Königin zur Ader und sie selbst spritzte ihnen das Blut der gesunden Kinder ein.

Wenige Stunden darauf starb der kleine Dagobert. Zorn löste nun die Sorge der Mutter ab. »Was?« schrie sie. »Die Knaben sterben mir? Und Rigunthis bleibt gesund! Die Königskinder sterben und Rullas Kind, obwohl erkrankt, bleibt leben? Undankbare Heilige!«

Als aber noch vor Mitternacht auch Chlodobert, ihr vorletzter Knabe, der Krankheit erlag, da schlug der Zorn wieder um in äußerste Angst. Wie Chilperich, rasch herzugerufen, eintrat, hielt er eine Pergamentrolle in der Hand; er legte sie auf das Bett des toten Kindes, während er der Stirne desselben den letzten Kuß ausdrückte. Fredigundens Blick fiel auf die geöffnete Rolle. »Die Steuern der Kirchen zu Soissons . . .« – sagte sie, gedankenlos ablesend. Aber plötzlich schrie sie auf. »Das ist's! Das ist's, Chilperich! Deine sündhafte Habgier! Wie hab' ich dich gewarnt, dich gebeten, die Heiligen unbesteuert zu lassen! Sie wollen's nun einmal nicht! Sie vertragen's übel, wie die Franken. Aber die Franken müssen gehorchen, weil wir die stärkeren sind. Die Heiligen jedoch, die können sich rächen. Und sie haben sich gerächt – furchtbar. Fort mit der Sündenliste!« Und bevor Chilperich es hindern konnte, warf sie die lange Steuerliste in das Feuer des Herdes, an welchem der Arzt und sie allerlei Arzneien sotten.

»Was thust du?« schalt Chilperich auffahrend. »Das Werk mühevoller Arbeit!« – »Ins Feuer damit! Schon lange thun wir allerlei Böses und die Gnade der Heiligen ließ uns doch leben. Denn viel haben wir ihnen geschenkt! Aber nun verlieren wir die Kinder. Warum? Der Heiligen Zorn straft die schuldigen Eltern in den unschuldigen Kindern, wie ja die heilige Schrift lehrt. Wir häuften Schätze aus dem Kirchengut für unsere Söhne: – siehe, nun haben die Heiligen sie uns fast alle genommen, diese Söhne. Mit dem Fluch des Himmels sind sie belastet, unser Hof voll Prunkes wie ein Kaiserhof, unsere Keller voll Weines, unsere Speicher voll Getreide, unsere Schatzkammern mit Gold, Silber, Edelsteinen, Geschmeiden gefüllt, – die vielfach den Kirchen gehörten oder gekauft sind mit Kirchengeld. Kostbareres besaßen wir – die Knaben! und verloren sie bis auf einen. Hört es, ihr Heiligen im Himmel: laßt ihr mir den letzten Sohn, meinen Samson, am Leben, das Kind der Schmerzen von Tournay, so sollen alle Steuerlisten der Kirchen dieser nachfolgen in das Feuer. Ja,« schrie sie, »ja,« da Chilperich einsprechen wollte, »er muß, er soll! Verlaßt euch drauf, er wird. Er soll mich nicht mehr küssen, bis er's gethan hat.«

Schwächer und schwächer atmete der Knabe. Da riß ihn Chilperich plötzlich aus den Pfühlen und Kissen, hob ihn in die Höhe, wo in der Wand ein kleines Bild des heiligen Medardus eingelassen war, hielt den Fiebernden dem Heiligen vor die Augen und sprach: »Rette ihn, Sankte Medarde! Rett' ihn vor dem Tode und er soll sein Leben lang dein eigen sein, ein Mönch in deinem Kloster zu Soissons.«

Aber Fredigundis fiel ihm in den Arm und zerrte denselben herunter: »Was thust du, Chilperich? Nein! Niemals! Was hilft mir ein Mönch, der weder Schwert führen noch Krone tragen kann? Sankt Medardus kann ihn auch so retten, wenn er will. Und er soll es, bei dem Zorne Fredigundens.« Sie stampfte mit dem Fuße, nahm dem Vater das Kind aus den Armen und legte es wieder auf das Bett.

Als aber die Morgensonne in das Gemach schien, da war auch Samson eine Leiche.

Mit wildem Geheul stürzte sich Fredigundis über das Lager. »Wehe, wehe!« schrie sie, »nun ist die letzte Hoffnung meines Lebens hin! Wer wird mich nun schützen Wider meine vielen Feinde, wann Chilperich – er ist soviel älter als ich – gestorben ist?«

Und sie warf sich auf die Erde und schlug um sich und tobte und schrie und schalt auf die Heiligen, solange Kraft des Atems in ihr war. Eine Drohung gegen den Arzt war ihr letztes Wort.

Dann sank sie ohnmächtig an der Leiche zusammen. Der Arzt wollte ihr beispringen. Chilperich aber winkte ihm hinweg.

»Mach', daß du fortkommst! Ich könnte dein Leben kaum beschützen vor ihr. – Ei, ei,« sprach er, das Haupt leise schüttelnd, »sie denkt weit voraus! Über meinen Tod hinaus! Man soll aber nicht denken an König Chilperichs Tod. Und nur als Schützer liebt sie ihre Kinder? Beinahe graut mir selbst vor meinem Gundelchen.«

 


 


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