Felix Dahn
Fredigundis
Felix Dahn

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Drittes Buch.

Erstes Kapitel.

Wenige Tage darauf schmückte sich festlich die schön an dem stolzen Seinestrom gelegene Stadt Rouen zur Feier der Krönung der neuen Königin.

Triumphierende Freude füllte Fredigundens Herz. Sie stand am Ziel.

Wünsche, Hoffnungen, Träume – oder sollte sie es Ahnungen nennen? – ja, heißgieriges Verlangen eines hohen glänzenden Glückes, waren in ihr aufgestiegen seit frühesten Tagen der Kindheit. Oft, wann sie über ihre Ziegen die Haselgerte schwang, hatte sie gespielt, sie führe das Scepter, wie die steinerne Königin dort in der Kapelle des Herrenhauses. Und wann sie sich um ihre roten Elfenlocken einen Kranz der schlichten Blumen schlang, wie sie auf kargem Sandboden oder am Wegrande sprossen, hatte sie gespielt, es sei ein Diadem, wie es das Bild der heiligen Kaiserin Helena trug in des Prätextatus' Legendenbuch. Und wann sie den langen, langen Sommertag mit ihrer kleinen Herde auf dem Geißenhügel verbrachte, dann hatte sie bald den Streit der um das Futter Hadernden, beide Parteien vor sich rufend, als Königin geschlichtet oder den starken Bock als ihren »Feldherrn« ausgesandt, die Ungehorsamen zu strafen.

Oder sie hatte auch wohl stundenlang auf dem Rücken gelegen, die Händchen unter dem Kopf, in einer Ackerfurche, und hatte in den hohen, hohen blauen Himmel hinaufgesehen, bis ihr die Augen übergingen, oder den Flug der Wolken verfolgt mit unbestimmten Wünschen nach Glanz und Herrlichkeit. In die nahe Stadt Rouen hatte sie nur einmal der Zeidler des Herrenhofes mitgenommen auf dem Leiterwagen, den Wachszins zu entrichten, den das Gut der Bischofskirche schuldete. Wie hatte sie gestaunt über all die Pracht und Herrlichkeit der Straßen, der weiten Plätze, der vielen hohen Steinhäuser, der Basiliken und Oratorien! Und da hatte sie die Gattin eines Herzogs in einer Sänfte vorübertragen sehen; deren blauer Mantel, silbergestickt, flutete über die Stangen des Tragstuhls. Ihr Leben hätte sie darum gegeben, – sie war zwölf Jahre damals – diese blaue Herrlichkeit nur eine Viertelstunde über den schmalen Schultern tragen zu dürfen! – Sie konnte sich's nicht versagen, über den weichen glänzenden Stoff, als der ihre Arme streifte, nur einmal liebkosend hinzustreichen mit der Hand – hei, hatte ihr der berittene Begleiter der hohen Frau mit der Reitgerte über die Hand gehauen! Tagelang hatte sie die roten Striemen brennen gefühlt.

Und jetzt!

Jetzt gehörte die ganze Stadt Rouen und ganz Neustrien ihr zu königlichen Rechten. Und einen Mantel hatte ihr Herr Chilperich fertigen lassen von dunkelroter schwerster Seide; der strotzte nicht von elendem Silber, nein, von funkelndem Gold: Hunderte von massiv goldnen Bienen, – der alte symbolische Königsschmuck der Merowinge –, waren, darüber hin verstreut, aufgenäht und mit edeln Steinen war er übersäet. Um ihren weißen Hals hatte er ihr einen Schmuck gelegt von siebenfachen Perlenschnüren – es stand ihr herrlich. Sie hatte vor wenigen Wochen diesen Schmuck an einer andern gesehen; das störte ihr die Freude des Besitzes nicht.

An dem Tage vor der Krönung überraschte Chilperich, der, zärtlicher als je zuvor, unaufhörlich seiner Königin nachschlich, dieselbe bei der Anlegung des ganzen Festgewandes. Von den freigelassenen und unfreien Frauen und Mädchen, die zu dem Palatium in Rouen gehörten, umgeben, saß sie in einem kleinen Gemach, das auf allen vier Seiten mit Metallspiegeln gleichsam getäfelt war.

»Hinaus, Herr König,« rief sie lächelnd und in geheucheltem Schreck, als er ihr plötzlich auf die weiße Schulter klopfte, – sie hatte sein Eintreten längst gesehen. – »Wie könnt Ihr Euch unter uns Mädchen wagen? Ich bin ja fast unbekleidet.« Aber Chilperich, statt zu gehen, jagte die Dienerinnen hinaus. »Ich helfe dir viel geschickter als diese plumpen Sklavinnen.« – Er legte ihr jetzt den dunkelroten Mantel um. »Wahrlich!« rief er bewundernd, »so schön warst du noch nie! Es ist, als ob solche Pracht deine natürliche Bekleidung wäre! – Wahrhaft königlich – wie wenn du nie etwas andres getragen hättest: – wie eine geborne Fürstin! Da sieht man's, was das für ein thörichtes Gerede ist von der Vererbung königlichen Blutes. Mein Gundelchen sieht aus wie eine Kaiserin – und ist doch ein Bettelkind, die Ziegenmagd, die Sklavengundel aus dem Kot und Abschaum des schlechtesten Volkes.«

Ein zorniger Blitz schoß aus den grauen Augen.

»Du brauchst mir das nicht nochmal zu sagen! Ich vergeß' es nicht! – Wer wird morgen die Konsekration an mir vollziehen? Der Herr Bischof . . . –?«

»Hei ja, ich vergaß! – Das ist ganz herrlich! – Der alte Bischof von Rouen liegt krank: so muß, als sein Stellvertreter, heran – ein alter Bekannter von dir – Prätextatus heißt er!« Hell auf lachte Fredigundis, daß das Gemach davon erdröhnte, sie patschte in die zierlichen kleinen weißen Händchen und hüpfte vor Freude in die Höhe. »Ha, ha, ha! Das ist ihm gesund.« – »Höre du, Gundelchen! Mach' mich nicht eifersüchtig. Ich weiß zufällig . . . –!« Sie hing schon an seinem Halse. »O du thörichter Schatz! O du mein dummer, kleiner, schöner Tyrann! Wenn ich den gewollt hätte, – als Ziegenmagd schon hätte ich ihn, mitsamt seiner Frommheit und Gelehrtheit, zum Liebsten haben können! Ich werde doch nicht so dumm sein, diesen meinen hübschen Kopf zu wagen, – nun vollends, da er eine Krone trägt? Nein! Denn ich kenne meinen Chilperich. Er selbst, als König, steht oberhalb jeder Pflicht, also auch oberhalb der ehelichen Treue. Mir aber würde er beim leisesten Verdacht mein rotes Gelock gar blutig roter färben lassen. – Nein, mein König und Gemahl! Fredigundis bleibt dir treu! Ich lebe gar zu gern. Kaiserin will ich nicht werden – die sollen wie die gefangenen Vögel gehalten werden in Byzanz! – So könnte ich mich nur verschlechtern bei einer Veränderung. – Ich hab' es weit genug gebracht im Leben. – Ich bleibe dir treu, Chilperich, und wär es nur aus – Klugheit. – Aber Prätextatus mich weihen! Das ist köstlich! Wo nur sein Bruder hingekommen sein mag? Der müßte mir den Krönungsmantel nachtragen. – Um eine Gunst bitte ich, Schatz. – Du hast auf heut' Abend eine Ratsversammlung deiner Großen anberaumt und dann ein Trinkgelage »nach Sitte der Franken« – das heißt: soviel Räusche als Gäste.« – »Du willst daran teilnehmen?« – »An dem Rate: gewiß. Ich werde niemals fehlen in deinen Staatsberatungen. – Aber laß mich, statt das Festmahl zu teilen, – es wird spät Abend sein – mit einer meiner Vertrauten in unscheinbarem Gewand umherwandern in dieser deiner guten Stadt Rouen. – Das ist ein groß Gelüsten von mir.« »Gelüsten junger – Frauen soll man nachgeben,« lachte der König, »sonst mißrät ihr Kind.« – »Ich habe mich schon als Bettelkind gern verlarvt, verkleidet und bin durch die nächsten Höfe gestrichen, allerlei erkundend und erlauschend, was ich dann oft brauchen konnte, die Leute im Scherz zu necken oder auch – im Ernst sehr zu quälen. Das ist nun für eine Königin noch ein viel höher Spiel. Ich erlausche so, unerkannt, Geheimnisse, die der König sicher nicht erfährt. – Sieh, zum Beispiel, uns ins Gesicht wagen die Bürger nicht zu mucken über unsere etwas geschwinde Heirat. Wer weiß aber, wie sie im stillen denken und untereinander reden? Laß mich auf Spähe gehen. – Du klagst, dein Königsschatz sei leer. Der edle Bruder Sigibert hat dir den zu Soissons genommen. Nun sieh: ertappe ich deine Unterthanen auf verräterischer Rede: – Einziehung der Güter ist, – das hab' ich mir gut gemerkt! – stets die erste Strafe bei Untreue. – Für Füllung deines Schatzes mußt du sorgen, Chilperich. Ein armer König ist kein König, ist ärmer als ein Bettler. Deine Treuen belohnen, in der Treue festigen, die Räte deiner Feinde, d. h. vor allem deiner beiden groben Brüder, die stets gegen dich zusammenhalten . . .« – »Gott verdamme sie! Das thun sie!« – »Insgeheim gewinnen, die Gesandten fremder Reiche bestechen, Soldkrieger halten, die nur von dir abhängen, allerlei durch sie erzwingen, ohne immer erst den Heerbann aller Neustrier aufbieten zu müssen . . .« –

»Sehr richtig! Die Schurken wollen dann auch drein reden, prüfen, ob der Beschluß der Gewalt gerecht, notwendig sei! Gegen meine Brüder wollen sie mir kaum mehr fechten.« – »Zu all dem gehört Geld, viel, sehr viel Geld! – Daß dein Schatz voll werde, dafür laß deine Königin sorgen. Ich will dir viel mehr Geld einbringen, erlisten und erraffen, als ich dir kosten werde an den paar Kleidern. – Laß mich nur gewähren, Chilperlein: wir wollen reich und mächtig werden wie kein Frankenfürst vor dir – und – hör es! – neben dir!« – »Welche Gedanken sprichst du aus!« – »Die deinen vielmehr als die meinigen. Ich bin nur ein Weib und zwar« – sie lachte häßlich – »aus dem Abschaum und dem Kot des Volkes . . . –« – »Vergieb! Ich will's nie wieder sagen!« »Nicht denken sollst du's mehr,« rief sie mit zornigem Blick. »Denn deine Fredigundis wird dir zeigen, daß sie deine Königspläne dir längst von der schönen Stirn gelesen hat und aus den kleinen, abgrundtiefen, grauen, falschen Augen, daß sie dieselben teilt im eignen plebejischen Herzen. Ja und kein Feldherr und kein Kanzler soll dir nützer sein, sie auszuführen, als dein Weib. Doch – es ist gefährlich, das auszusprechen! Aber es muß einmal, nur einmal, zwischen uns gesagt sein – fort mit dem dummen Guntchramn, fort mit diesem unerträglichen –« sie ward blutrot, wohl vor Zorn, im Gesicht und über ihren Nacken selbst ergoß sich Glut, als sie mit dem Füßlein stampfte – »mit diesem ganz unerträglichen Sigibert, der da den strahlenden Heldenjüngling spielt – wie man von Herrn Siegfried singt von Niederland. Fort mit beiden! Du, ihnen an Geist so überlegen, wie Lucifer zwei einfältigen Seraphknaben, – du mußt der Alleinbeherrscher sein dieses Reiches der Franken. Und daß du's werdest, – nicht durch das blödsinnige Dreinschlagen der Schwerter, – dazu laß mich helfen, dafür laß mich sorgen! – Das sei Fredigundens Dank, dafür, daß du sie aus dem Waldgraben, ja aus dem Schmutz der Unfreiheit auf den Thron gehoben!« Sie glühte: ihre Augen funkelten und blitzten, ihr voller Busen wogte, ihre feingeschnittenen Nüstern flogen: sie war schön, sehr schön, unwiderstehlich schön in diesem Augenblick.

Er umarmte sie heiß und strich über ihr Haar. »Horch, wie das knistert! Als ob es Funken sprühe. Hell sprühen sie im Dunkeln! Das soll ein Zeichen elbischer Zauberwesen sein. Und oft mein ich: du bist nicht recht geheuer, Fredigundis. Es ist etwas an dir, – wie wenn du von Dämonen stammtest.« – »Wie du selbst – wie der Merwinge Geschlecht.« »Nie,« fuhr er entzückt fort, »nie hab ich an Mann oder Weib mir so artverwandten Sinn und Geist, ja solche Gleichheit unsrer Art gefunden. Meine geheimsten Gedanken: – du denkst sie mit mir. Du sprichst sie aus, klarer, schärfer, unendlich kühner als ich selbst. – Winnoch hat recht: du bist mein guter Stern. Thu' was du willst; jetzt, heut', immerdar. Ich vertraue dir ganz, dir und deinem Rate will ich folgen. Du bist in Wahrheit meine Machtgenossin, du bist meines Geistes, meiner Gedanken Königin!«

 


 

Zweites Kapitel.

Spät am Abend dieses Tages wanderte die Königin, in unscheinbarem Gewand, nur von einer Freigelassenen begleitet, durch die Straßen und über die Plätze von Rouen. Viel Volks wogte hin und wieder, die Zurüstungen zu dem Krönungszuge zu mustern, der am folgenden Morgen von dem Palatium aus in die bischöfliche Kathedrale sich bewegen sollte. Da wurden hohe, mastähnliche Flaggenstangen eingerammt, Gerüste gebaut für allerlei Kampf- und Kriegspiele, auch ein »Circus« für ein Wettrennen, das der König zum besten geben wollte. Kränze und Blumengewinde, auch Teppiche und bunte Decken wurden nach romanischer Sitte von den Fensterbrüstungen und über die Säulenlogen der ersten Stockwerke ausgehängt.

Aufmerksam lauschte die Königin dem Geplauder der feststehenden Gruppen, den abgerissenen Worten der Vorübereilenden. Aber nichts Wertvolles vermochte sie zu erkunden. Es waren geringe Leute, die sich hier drängten, nur die Schaustücke, die Festrüstungen bestaunten, ohne ein Urteil abzugeben über die zweite überraschende Vermählung des Königs.

Doch fiel ihr auf, daß auf dem Hauptplatz, neben der Basilika des Bischofs, ein sehr stattliches Haus ungeziert blieb, während die viel bescheideneren Nachbargebäude bereits vollen Festschmuck anlegten. Schon wollte sie ihre Begleiterin, eine Zugehörige zu dem Palaste von Rouen, befragen, als sie aus der Menge heraus Fragen und Antworten vernahm, die ihre Neugier – nicht gerade angenehm – befriedigten.

»Wes ist das Haus, Gastfreund, das zu schmollen scheint?« fragte neben ihr ein Fremder einen Bürger. »Des guten Herzogs Drakolen.«

»Ist er hier?« – »Nein. Er soll König Sigibert als dessen Gast nach Reims begleiten.« – »Wird Herrn Chilperich wenig freuen! Der Herzog ist der mächtigste eurer Großen.« – »Und der wackerste, der tugendreichste. Er soll aber Herrn Sigibert viel mehr zugethan sein als unserm König.« – »Ei, Drakolen von Chartres ist ein Held. Er ehrt vor allem das Heldentum.« – »Da findet er freilich mehr zu ehren bei dem Austrasier.«

Mit gefurchter Stirne schritt Fredigundis weiter. –

Da hörte sie in ihrem Rücken hastige Schritte und eine jugendliche, ihr wohlbekannte Stimme rufen: »Bei meinem Schwert! Sie muß es sein! Diese Gestalt! Auch eine Locke des Haares stahl sich aus der Kapuze. – Und jetzt – von der Seite, ihre Wangen! – Ja, sie ist es.« Und nun vertrat ihr den Weg ein junger, schöner, hochaufgewachsener Mann in reichem Waffenschmuck. »Wirklich, Frau Fredigundis, Ihr seid es. – Wie schön sie ist, – auch im Sklavengewande!« sprach er schmerzlich flüsternd zu sich selbst. – »Wie, Ihr streift vermummt zur Nacht durch die Straßen?« – »Schweigt. Verratet mich nicht!« – »Und König Chilperich?« – »Er weiß es.« – »Daß Ihr allein? – Er sollte eifersüchtiger sein.« – »Schweigt doch still. Ihr verderbt höchstens Euch, nicht mich. Ich bin ja nicht allein. Die Freigelassene dort hört alles!« »Gleichviel,« flüsterte der Jüngling in kaum verhaltener Leidenschaft. »Ich gönne dich ihm nicht. Er paßt nicht zu dir.« – »Er scheint darin anderer Meinung, mein Herr Sohn!« – »Nenne mich nicht so! Ich bin älter als du.« – »Aber viel thörichter! – Unsinniger! Willst du dich und mich verderben? Schlage dir alle dummen Gedanken aus dem Sinn. Hörst du? – Für immerdar. – Ja, vielleicht,« lächelte sie, »hättest du mich aus dem Graben gegriffen am Waldrand, als ich da saß, eine Harrende, wartend auf – auf mein Geschick . . .« – »Auf deinen Verführer!« – »Wie du es nennen willst! – Es kam aber König Chilperich und nicht sein Sohn Theudibert.« – »Leider, leider!« – »Aber wahr! – Und nun – nun sei vernünftig, um uns beider willen – oder laß mich es sein für zwei.« – »Aber du sollst es wissen, daß ich dich liebe, du bethörendes Weib.« Sie lachte. »Bin weder blind noch taub. Noch vergeßlich – hast mir's oft genug gesagt.« – »Und du zürnst mir nicht deshalb?« Sie zuckte die Achseln. »Kann ein Weib darüber zürnen, daß es gefällt? Andere vielleicht. Ich nicht. Sei klug! Verbirg deine Thorheit vor ihm, – der nicht so duldsam ist wie deine schwache Stiefmutter. – Sei mir treu, diene mir! Bekämpfe meine Feinde, deren ich nur allzuviele habe. Schütze mich: – willst du, Lieber?« – Wie einschmeichelnd, wie zärtlich klang jetzt diese Stimme! »Gegen jedermann!« rief der Jüngling leidenschaftlich. »Gegen alle Teufel! Und muß es sein . . . – gegen alle Heiligen, Gott verzeihe mir.« – »Wird nicht nötig sein!« lächelte sie. »Nur gegen ein paar sehr böse Menschen, die der armen Hirtin diesen Glanz nicht gönnen.« – »Du bist zum Glanz geboren! Ja, ich will dir dienen. Auch das ist Glück! Mein Vater mag dich besitzen, – ich will jeden Wunsch ersticken in der Brust, der Sünde ist.« Sie sah ihn rasch an, ganz verstohlen: »Ob er das wohl können wird?« dachte sie. – »Ich – ich will nur, dein Schild, dein Schwert, dich verteidigen gegen alle! – Gebeut: – was soll ich thun?« Edel verklärte sich das begeisterte Antlitz des Jünglings.

»Für jetzt nur – mich verlassen! Du bist zu wild. Die Aufpasserin dort horcht schon lange. – Geht nun,« sprach sie lauter, »jung Theudibert. Euer Vater erwartet Euch im Palast. Grüßt ihn von mir und sagt ihm, die Stiefmutter sei mit Euch zufrieden.« Sie bot ihm lächelnd die Hand; er drückte sie leidenschaftlich und eilte davon.

Sie nickte seltsam lächelnd, wie sie ihm nachsah. – »Folge mir,« rief sie nach längerem Nachdenken der Freigelassenen zu. »Wir wollen noch über die Brücke gehen, in den Stadtteil auf dem rechten Ufer.«

Nachdem sie ein paar Straßen durchwandert, gelangten sie an die breite, stattliche Seinebrücke. Fredigundis, der Dienerin raschen Fußes voraneilend, machte Halt an einer breiten, nischenförmigen Ausmündung der hölzernen, oben gedeckten Brücke, die ein hochragendes Steinkreuz umgab; vor dem Kreuz brannte eine ewige Lampe. In deren mattem Scheine bemerkte sie alsbald eine verhüllte Frauengestalt, die ein Bündel an der Brust trug und über das niedrige, breite Brückengeländer hinweg in den schwarz dahinflutenden, leise gurgelnden Strom starrte.

»Es muß sein,« rief die Verhüllte plötzlich. »Herr Christus, sei mir gnädig!« Und sie schwang den einen Fuß über die Brüstung, drückte das Bündel fest an sich, küßte es und wollte, den andern Fuß nachziehend, sich in den Strom gleiten lassen.

Da sprang Fredigundis hinzu, faßte sie mit beiden Händen an den Schultern und riß sie zurück, daß sie zu Füßen des Kreuzes auf die Brücke rollte. »Halt!« rief sie. »Wer ist so dumm, zu sterben, ehe er muß?« Sie beugte sich über die Hingesunkene, – »Was seh' ich? – Rulla, Jugendgespiel!« – »Fredigundis! Du –! Warum ließest du mich nicht sterben. Samt meinem Kinde da!« – »Ich ahne! Dies Bündel hier? Dein Kind?« – »O laß mich sterben,« – »Nein, leben sollst du! Du und dein Kind! Komm mit in den Palast!« – »So ist es wahr? – In unser Dorf drang das Gerücht von einer neuen Königin Fredigundis. Manche glaubten – die Männer – du müßtest es sein. Also wirklich, du bist . . . –« – »Königin der Franken! – Aber für dich bin ich und bleib ich das Ziegengundelchen. Und nicht will ich des vergessen, wie oft die reiche Müllerstochter dem immer hungrigen Bettelkind ein paar gute Bissen zugesteckt hat. – Sei getrost! Ich will sorgen für dich und dein Kind da, das wohl keinen Vater hat?« Rulla schluchzte laut auf. »Komm nur mit mir. Gieb mir das Kind in die Arme. Ich muß das lernen,« lächelte sie. – »Gott segne dich! Du wardst ja gut, Fredigundis!« »Oh nein,« lachte sie jetzt, den Kopf schüttelnd und die kleinen weißen Zähne zeigend. »Es ist eitel Selbstsucht. Eine treue Seele, eine ganz ergebene, ganz abhängige, – wie ein treuer Hund, – das ist, ahnt mir, viel wert an einem Königshof. Komm, Rulla, wir wollen Freundinnen bleiben wie auf der Geißenhalde.«


Während den König tief in die Nacht hinein das Gelage bei seinen Großen fest und von der Seite seiner Königin fernhielt, saßen diese und die von dem Rande des Todes Zurückgerettete in vertrauter Zwiesprach; das Kind hatte Fredigundis mit hundert Koseworten und manchem Kuß seiner schlichten Hülle entkleidet und in weiche, warme Decken gehüllt; sie legte es, sich auf eine niedere Wandtruhe setzend, auf ihren Schoß und wiegte es sorglich hin und her, während die Mutter, ebenfalls in andere, reiche Gewandung gesteckt und wohl gespeist, auf dem von Teppichen bedeckten Estrich zu Fredigundens Füßen saß und zu ihr aufblickte, als sei das alles ein Traum und sie schaue in solchem Traumgesicht eine Heilige des Himmels, welche sie und ihr Kind ins Himmelreich entrückt habe; sie hielt die beiden Kniee mit beiden Händen umschlossen, richtete die großen braunen Augen, in welche immer wieder Thränen traten, bald auf die Königin, bald auf ihr gerettet Kind und führte manchmal den Saum von Fredigundens Gewand an die Lippen.

»Schau nur,« sagte diese, sich neugierig über das Kind beugend, »was es für liebe, kluge, vergnügte Augen hat! Braun, wie die deinen! – Und diese kleinen, zierlichen Fingerlein! Wie von Wachs! Und rosig behauchte, winzige Nägel daran! – Und ein Grübchen im Kinn. – Sieh, jetzt hat es mich wirklich angelacht! – Als ob es wüßte, daß . . .!«

»Oh Gott! Wenn ich denke! Ohne dich – ohne deine helfende Hand läge das süße Ding mit mir in dem Schlamme des schwarzen, des grausigen Stromes und triebe langsam gegen die See und uns beide benagten die Fische und ekles Getier. – Oh Herrin, Retterin!« rief sie leidenschaftlich, und sie warf sich vor ihr nieder und küßte ihre Füße. »Wie soll ich dir danken?«

»Gar nicht! Und nicht meinen rechten Fuß drücken. Er schmerzt noch – wovon? – Ein Scherben! – Ich werde aber doch nicht hinken morgen bei dem Krönungszug. – Nun: meine Geschichte habe ich dir erzählt seit jenem Augustgewitter: – von Landerich weiß man also gar nichts? Dummer Bub! Sich das so zu Herzen zu nehmen! – Das heißt, soweit meine Geschichte für dich paßt, mein frommes Schäfchen. – Nun ist's an dir. Zwar viel kann ich mir denken. – Aber nicht alles. – Du hast also dem großen Fischerssohn – allzu oft traft ihr euch hinter der Weißdornhecke in schwülen, brütenden Sommerdämmerstunden, wann der Sprosser sein heiß brünstig Lied wirbelte! – Du hast ihm allzuviel gegönnt, bevor dein Vater dich ihm vor den Gezeugen in das Haus gebracht als Eheweib. Das muß man nicht thun.«

»Ich bereue es nicht,« flüsterte Rulla erglühend, »ich thät's nochmal.« – »Sehr thöricht, Rulla.« – »Und – vergieb, oh Herrin – du selbst?« – »Das war ganz anders! Mich ekelte meiner Armut und des Ziegenhütens und des Hungerns und der vielen Schläge. Dem wollt ich entrinnen und reich werden und Kleider tragen wie – Landerichs Mutter! Haha! Nicht mit der Fußspitze rührte ich deren Staatsgewand jetzt an. So wollt ich Landerichs ›Schätze‹ gewinnen.« – »Du liebtest ihn nicht?« Fredigundis lachte nur und fuhr fort: »Da kam einer geritten, der strotzte von Gold. Schöner war er auch, viel schöner, als jener gute Junge. Und viel gewaltiger. Ich glaube, wäre der Höllenherr damals geritten gekommen in goldblitzendem Rotmantel, ich wäre auch zu ihm auf den Sattel gesprungen.« – »Er hat dich nicht geraubt, gezwungen?« – »Behüte!«

»Sieh, also auch du wardst sein, – lange bevor der Priester . . . –« – »Wie anders sollte ich ihn an mich binden?« – »Königin, mache dich doch nicht klüger, kälter und – böser als du bist. Du thatst es aus Liebe – wie ich.«

Aber Fredigundis schüttelte langsam, ganz ernsthaft, den Kopf und gab der Mutter das Kind zurück, die Falten ihres Kleides glättend. – »Du wirst doch nicht leugnen, – daß du den König liebst?« – »Still! Die Frage schon könnte den Kopf kosten.« – Sie lauschte. – »Aber die Antwort lautet: nein! Oder besser: ich glaub's nicht!« – »Wie! Du weißt das nicht?« – »Wie soll ich? Was ich so von andern Mädchen und Frauen sehe, höre, wie die, von heißem Blute fortgerissen, mit sehenden Augen, in Schmach und Verderben springen, – nein, das thät' ich, das könnt' ich nicht.«

»So hast du nie empfunden, daß es dich durchzuckte, vom Wirbel bis zur Sohle, kalt und heiß, bei des geliebten Mannes Anblick?« – »Ich glaub' . . . – Nein!« Die Antwort kam sehr zögernd. »Oder nur – Einmal.« – »Als König Chilperich aus dem Walde sprengte und dich ansah?« »Nein doch. Als . . . nun, – als ein ganz anderer an mir vorüberritt und mich gar nicht – sah: mein sowenig achtete wie der Pfütze unter seines Weißrosses Huf.« Sie sah wie träumend vor sich hin. – »Ja, damals durchzuckte es mich kalt und heiß. Ich erschauerte bis in den Grund der Seele. Das war der erste Mann, den ich je sah. – Denn Mann sein ist doch wohl Held sein?« Sie fragte das – verträumt – sich selbst, nicht die Freundin. –

»Oh Königin – das ist gefährlich,« flüsterte diese warnend, »Herr Chilperich soll furchtbar sein in Eifersucht. Er hat ein Mädchen, das ihn betrogen, von wilden Hengsten auseinanderreißen lassen, so sagt man.«

»Ja, das ist wahr! er selbst hat mir's erzählt: gleich damals – noch im Walde! Wohl zur Aufmunterung! Hinterher that's ihm leid. Sie war nämlich unschuldig gewesen.« – »Oh Herrin, hüte dich . . . –!« Fredigundis lachte und schüttelte die roten Locken. »Hab' keine Sorge! Ich sagte dir ja: mich reißt das Blut nicht fort. Herr Chilperich – er ist mir selbst viel zu ähnlich, als daß ich ihn lieben könnte. Jenen Einen aber, der mir es, – wie sagt ihr doch, ihr verliebtes Mädchenvolk? – der mir es angethan, – den« – sie drückte die Lippen fest aufeinander – »den muß ich unter die Erde wünschen – lieber heut als morgen. – Könnt' ich den tot zaubern oder tot beten, – ich müßt es thun, sogleich! Aber genug von mir. – Also: wie war's mit dem Fischerssohn?«

»Ach! Als er von mir erfuhr – wie, . . . – da wollte er die Hochzeit beschleunigen; er hatte auch schon seinen Vater wie meinen Oheim und Muntwalt halb herumgeredet. – Da – oh mein armer, mein süßer Rando! – Da verschlang ihn und seinen Nachen der tückische Seinestrom. – Mein Knabe hat seinen Vater nie gesehen! – Der Oheim warf mich vor die Thür. – Randos Vater gab mir einen Bettelsack und einen halben Laib Brot und einen Faustschlag mit auf den Weg. Ich irrte umher – ich suchte Arbeit, fand keine, – ich bettelte – die Hunde hetzten mich von den Bauernhöfen. – Ein Priester wollte sich meiner annehmen, wenn ich bereue, büße, meine sündige Liebe verwerfe: – das kann ich nicht! Ich kann nicht mein Herz verleugnen: ich thät's nochmal, sagte ich ihm. – Ich küßte mein Kind und lief vor dem strengen Mönch davon – ins Elend, zuletzt ins Wasser. Aber nur nicht ihn verleugnen! Es war so süß in seinen Armen!« – Sie brach in Thränen aus, aber ein Lächeln seliger Erinnerung spielte um ihren roten Mund. –

»Welche Dummheit!« Fredigundis sprang auf. »Man könnte dich fast beneiden um solchen – Wahn! – Doch nein, nein! Das ist nichts für mich. – Sage,« – sie kam immer wieder gar rasch von fremdem Geschick auf sich selbst zurück – »was hat man im Dorf, was hat meine Großmutter von meinem Verschwinden gesagt?« – »Die einen meinten, du seiest bei dem argen Gewitter umgekommen, in den Fluß geraten, oder im Walde von einem wilden Tiere zerrissen. Ein Köhler, der vor dem Unwetter in seinem kalten Meiler Schutz gesucht, meinte, er habe den Wildjäger mit einem Weib in flatternden roten Haaren vorübersausen gesehen: aber der Blitze Schein habe ihn zu grell geblendet: er habe des Weibes Züge nicht recht erkannt. Seitdem glaubte deine Großmutter fest, ein Dämon, ein Waldwicht habe dich geholt.« – »Aber als nun die Nachricht von einer Königin Fredigundis kam?« – »Wie gesagt, viele dachten an dich. Aber deine Großmutter, statt sich zu freuen, die tobte darüber und zerschlug sich die Brust und raufte ihr weißes Haar und bedrohte jeden mit dem bösen Blick und zehrendem Wort, der das behaupte. Man fürchtet ihre Künste, den versengenden Blick, – ihre Gifte wenigstens.« »Mit gutem Grund,« nickte die Enkelin. – »So schwieg man vor ihr. Auch ist der Name ja gar häufig in unserem Volk.« – »Ich will dafür sorgen, daß sich die Franken diese Fredigundis merken. – Gehe jetzt, Rulla! Ich höre die Gäste Herrn Chilperichs aufbrechen. – Bald wird er hier sein. – Schlaft ruhig, du und dein Kleiner – wie heißt er?« – »Rando.« – »Natürlich! Und morgen sollst du vom besten Platz aus, neben zwei Herzoginnen sitzend, des Ziegners Bettelkind die Krone tragen sehen.«

 


 

Drittes Kapitel.

Mißmutig erwachte am andern Morgen König Chilperich. –

»Wie ich geschlafen habe? Schlecht! Ganz schlecht!« erwiderte er auf die zärtliche Frage seiner Königin und sprang aus den Decken. »Mich schmerzt der Kopf! Das viele unnütze Trinken! Dieser Barbaren gute Meinung und gute Stimmung kann sich auch ihr König nur durch zahllose Becher ertrinken. – Und dann hab' ich schwer geträumt.« – »Wovon? Ich verstehe mich darauf, Träume auszulegen.« – »Das verbieten aber die Priester. Steht auch in der Schrift! Wenn ich nicht irre im Buche . . .–« – »Aber sie selbst deuten Träume. Wenn sie Kirchen und Klöster gestiftet haben wollen, dann erscheinen ihnen gar fleißig die Heiligen und geben ihnen Aufträge an den – Seckel des guten Königs! In den paar Tagen meiner Herrlichkeit hat der heilige Martinus mich schon mit vier solcher Aufträge beehrt durch Mönche und Diakone, denen er erschien. Wovon hast du geträumt?« – »Von: – ihr.« – »Ja, wie soll ich das raten? Von welcher? Allzugroß ist bisher die Zahl deiner Gespielinnen gewesen, oh böser Chilperich.« – »Von der jüngst – – Verstorbenen.« – »Von Toten träumen – das bedeutet Glück.« – »Ja, man sagt's. Aber an der Leiche stand drohend Frau Brunichildis und schwang ein nacktes Schwert und forderte zornig – die reichen Perlenschnüre zurück. Ich erschrak und gab sie ihr.« – »Das ist gut. Perlen bedeuten Schmerzen, Thränen, dem, der sie verlangt, Freudenthränen, dem, der sie unverlangt geschenkt erhält – wie ich.« – Wenig getröstet schlug Chilperich die Vorhänge auseinander, welche die Fensteröffnung schlossen, »O weh. Du hast kein Glück beim Himmel. Gestern noch schönster Sonnenschein – heute alles bewölkt – so schwül schon am Morgen, das giebt ein Gewitter.« – »Willkommen sei's! Bei Blitz und Donner gewannst du meinen Gürtel, bei Blitz und Donner gewinn' ich deine Krone. – Übrigens, wer wird auf Wetterzeichen achten? Meine Großmutter konnte Hagel hexen!« Lachend stieg Fredigundis aus dem Bett und rief durch einen Metallhammer ihre Dienerinnen, ihr beim Ankleiden behilflich zu sein.

Chilperich ging aus dem Gemach. »Wie sie die Mägde herum befehligt! Als sei sie von jeher von zwölf Händen bedient worden.« –

Als er zurückkam, fand er Fredigundis voll angekleidet; nur der dunkelrote Königsmantel fehlte noch; ihr Haar, mit Galsvinthas Perlen durchflochten, flutete auf ein prachtvolles Gewand von weißer Seide. Sie war zauberschön; sehr behaglich schlürfte sie aus einer großen Silberschale Milch.

Einigermaßen erheiterte sich bei dem Anblick seiner strahlend schönen Königin Chilperichs umdüsterte Stirn. »Verdruß! Nichts als Verdruß. Und Schwierigkeiten! Herzog Drakolen läßt sich durch einen Eilenden entschuldigen: er liege krank zu Chartres.« – »Das ist erlogen, lieb Männchen. Er reist mit – ihm. Wollte sagen: mit König Sigibert.« – »Woher weißt du –?« – »Genug, ich weiß es! Gieb acht: – der ist dir nicht treu.« – »Ich staune über dein Erraten; es ist wahr: er schwankt insgeheim wohl schon lang. Aber du kennst ihn ja nicht – wie –?« – »Du sollst doch nicht umsonst dein Seelenheil gewagt haben, als du der Hexe Enkelin gefreit.« – »Und daß von Sigibert, von der heißblütigen Gotin noch gar keine Antwort auf unsern, das heißt auf meinen Brief gekommen, das macht mich stutzig.« – »Laß ihnen doch Zeit! Die beiden können nicht so rasch denken, Schatz, und so klug schreiben wie wir.« – »Und Prätextatus . . .« – »Nun? Was mit ihm?« – »Macht Schwierigkeiten. Er weigert sich, dich zu konsekrieren,« – »Der Unverschämte! Er allein – von allen Priestern dieser Stadt – hat sich noch nicht bei mir gemeldet. – Befiehl ihm, König.« – »Ich kann nicht. Er stützt sich auf einen Kanon. Vor der Konsekration, einem heiligen Akt, müßtest du gebeichtet und Absolution empfangen haben,« – »Wenn's weiter nichts ist! So beicht' ich denn! Ihm will ich beichten. Schaff' ihn nur her.« Chilperich erschrak. »Nein, das thue nicht, Fredigundis!« – »Warum nicht?« – »Weil –! Weil –! Du weißt –, verschweigst du – wissentlich – eine Sünde und erlistest dir so die Absolution, – das ist eine Todsünde.« – »Ich werde ihm aber nichts verschweigen.« Er sah sie erstaunt an. »Wüßte ich's nicht gewiß,« – murmelte er – »fehlte ihr nicht noch heute das Büschel Haare, – ich würde irre. –«

»Nein!« sagte er laut. »Er hat durch seine Weigerung die Gunst verwirkt, dich konsekrieren zu dürfen. Ich habe schon einen Diakon gewonnen – ich versprach ihm, die Untersuchung niederzuschlagen wegen – wegen einer jungen Nonne, die – sehr plötzlich starb. Der weiht dich ohne Beichte und Absolution.«

Fredigundis schmollte. »Ich wäre aber gerade durch Prätextatus gern geweiht worden. Das wäre ihm recht geschehen. Und du lässest ihn dir trotzen – ungestraft?« – »Nein! Ich hab ihn vorläufig einsperren lassen im Kloster des heiligen Anianus. Ich bin übrigens ganz froh, einen Vorwand zu finden, nein zu sagen, falls sie ihn demnächst zum Nachfolger des Bischofs vorschlagen.« – »Gut, Männchen.« – »Ich kann ihm nicht in die Augen sehen, – vor ihr,« murrte Chilperich für sich.


Wenige Stunden darauf setzte sich der Krönungszug in Bewegung.

Das Volk drängte in dichten Massen, obwohl der Himmel sich verfinstert hatte und die schwer geballten Gewitterwolken sich jeden Augenblick zu entladen drohten. Schon pfiffen einige kurze Windstöße durch die Straßen, den Staub des Seine-Muschelkalks – es hatte sehr lange nicht geregnet – zu hohen Säulen emporwirbelnd und die Düsterheit, so unheimlich um die Mittagsstunde, noch mehrend. Leise rollte schon der Donner, als der Zug aus den Thoren des Palastes trat.

»Hörst du? Der Himmel grollt!« sprach Chilperich, der heute an Krone und Königsmantel schwer zu tragen schien. »So laß die Hörner schmettern, ihn zu übertönen. Vorwärts, König Chilperich, schreite rascher! – Du trägst die Krone schon: aber meine weiße Stirne brennt danach, sie dort am Altare zu empfangen. – Auf, Sohn Theudebert; Euer lieber Vater hört nicht, – er träumt! So gebt denn Ihr das Zeichen!«

Der Jüngling winkte mit der Rechten nach rückwärts: hell fielen Hörner und Trompeten ein. Fredigundis ergriff Chilperichs linke Hand und schritt stolzen Ganges aus; mechanisch begleitete ihre Schritte der Gemahl.

So ging langsam der Zug vorwärts; nur selten drang der leise murrende Donner durch das Geschmetter der Trompeten, das Psallieren der Priester und das Heilrufen des dichtgedrängten Volkes; kein Regentropfen fiel: es war erdrückend schwül. Chilperich sah sehr bleich; er wischte mit einem Schweißtuch wiederholt die Stirn. Fredigundis strahlte in Schönheit, in Stolz; huldvoll zwar, aber doch sehr vornehm dankte sie manchmal, mit kaum merklichem Nicken des leuchtenden Hauptes, dem ihr zujubelnden Volk. »Wie schön sie ist!« – »Wie zauberschön!« Unaufhörlich drang dieser Ruf an ihr Ohr; sie lächelte still vor sich hin.

Plötzlich gellte dicht in ihrer Nähe ein Schrei.

»Sie ist's! Wirklich! Sie ist es! Fredigundis, unselig Kind! Halt ein! Kehr' um! Laß von ihm! Du bist verloren!« Nur einzelne dieser Worte vernahm sie.

Denn alsbald entstand ein Getümmel an jener Stelle. Das Volk schalt und lärmte. Eine alte Frau ward zu Boden gestoßen. Ein Mann im Hirtengewand schützte sie vor der Menge, die über die Störung erbost war. Als er die Alte wieder aufgerichtet hatte und in eine Nebengasse fortführte, sah Fredigundis von der Seite der Greisin Züge.

»Was ist dort?« fragte Chilperich, der, in tiefes Sinnen versunken, die Augen auf den Boden gerichtet, neben ihr ging. »Nichts! Eine Besessene wohl. – Wir sind zur Stelle – gieb doch acht! – die Stufen!« Der König war über die unterste Stufe des Domes gestolpert. Fredigundis hielt ihn ab vom Straucheln. Stets einen Schritt, eine Stufe voran stieg sie hinauf.

Als sie auf der Freiplatte vor der Basilika standen, schoß der erste Blitz aus dem schwarzen Gewölk: ein hellkrachender Donnerschlag folgte unmittelbar darauf und heller Feuerschein. In dem Glockenturm, der neben dem Dome stand, hatte es gezündet: die Glocke, die früheste im Frankenreich, war eine kostbare Seltenheit damals! Sie ward von außen durch Hammerschläge gerührt und hätte nun die Krönung mit feierlichem Zeichen begrüßen sollen: sie gab statt dessen einen furchtbaren Klang von sich; sie stürzte, vom Strahle gestreift, aus ihrem hölzernen Gerüst, schlug die Lattendecke des Turmes durch, fiel, furchtbar erdröhnend, wie schreiend und wie stöhnend, auf den Marmorestrich des Turmbodens und zersprang hier in hundert Stücke. Entsetzt schrie das Volk auf und wollte auseinanderstieben, konnte aber nicht, so dicht gedrängt standen die Haufen.

»Bleibt!« rief Fredigundis mit lauter, befehlender Stimme, »bleibt, freudige Franken! Ihr seht, es brennt nicht mehr: der Regen hat bereits gelöscht. – Vorwärts! dem Dom ist nichts geschehen: – in den Dom!« Und sie zog Chilperich an der Hand in das weitoffene Doppelthor hinein. Sie hatte recht. Der plötzlich nach jenem ersten Blitz herniederflutende Regen hatte den Brand des Turmdaches sofort gelöscht. Das Paar schritt nun an den Hauptaltar, von Chorknaben mit brennenden Wachskerzen geleitet; die schwangen dabei Rauchfässer und sangen eintönige, aber sehr süß melodische Weisen.

Nachdem der Diakon, welcher den Bischof und den Archidiakon vertrat, ein kurzes Gebet über das Paar gesprochen, schickte er sich an sie zu segnen. Schon erhob er feierlich beide Hände, da scholl von dem Eingang her ein Getön streitender, zankender Stimmen. »Halt! Ihr stört jetzt! Wartet bis nach der Krönung!« – »Nein! Wir können nicht warten! Platz! Gebt Raum! Im Namen König Sigiberts.«

Bei diesem Wort wichen die Höflinge zurück, die den Eindringenden den Weg versperrt, und alsbald standen auf der untersten Stufe des Altars zwei vollgewaffnete Männer, die, – der Staub und Schmutz auf ihren Reitermänteln und an ihren Knieriemen zeigten es, – nach langem, scharfem Ritt wohl soeben von den Rossen gesprungen waren; statt der Speere trugen sie lange weiße Stäbe in den Händen.

»Halt' ein, du Priester!« rief der eine von ihnen mit lauter Stimme.

»Hör' uns, König Chilperich,« schloß der zweite.

Unbeschreibliche Verwirrung entstand in den Reihen der Höflinge rings um den Altar. Einen flammenden Zornesblick warf Fredigundis auf die beiden Störer. »Wer sind die Frechen?« fragte sie tonlos. »Nieder mit ihnen, mein Sohn Theudibert!« Dieser fuhr ans Schwert. Aber der König rief: »Charigisel! – Sigila! – Das sind die Boten Sigiberts.«

Da stieß Theudibert das halbgezückte Kurzschwert in die Scheide zurück.

»Ja, und Frau Brunichildens,« rief Sigila, der Gote. »Und also sprechen sie zu dir, König Chilperich: ›Laß, laß ab von diesem Weibe! Steh' ab von dem Frevel, sie mit der Frankenkrone zu schmücken. Du weißt es nicht, bethörter Fürst, aber vernimm es jetzt – und vernehmt es all, ihr Franken – dieses Weib hier ist eine Mörderin: die Mörderin der Königin Galsvintha.‹«

Laut auf schrie alles Volk – der Diakon stürzte hinweg von dem Altar. Chilperich wankte und hielt sich aufrecht an einer der Altarsäulen: er sah auf Fredigundis. Diese war sehr blaß geworden: aber hoch aufgerichtet stand sie da.

»Und der Beweis?« fragte sie mit lauter stolzer Stimme. »Ja, der Beweis für solch fürchterliche Anklage?« rief Theudibert, vortretend. »Der Beweis?« wiederholte Chilperich sich ermannend, aufgerichtet durch Fredigundens ruhigen Trotz. »Dir, o Bruder unseres Herrn, nicht jenem Weib antworten wir,« sprach Charigisel. – »Der Beweis ist voll erbracht!« »Sofort nach Empfang deines Briefes,« fuhr Sigila fort, »flog Frau Brunichildis, trotz ihres tödlichen Wehs, gefaßt wie eine Heldin, allein, an den Ort der That. König Sigibert war auf der Jagd abwesend, er folgte erst am dritten Tag. – Sie selbst untersuchte, prüfte alles, vernahm alle Leute, auch die beiden gefangenen Landkrämer. Diese hatten, – selbst auf der Folter – jede Schuld geleugnet. Nun forderte die Königin sie auf, nachzuweisen, wo sie den Tag über gewesen. Sie fingen damit an, daß sie am frühen Morgen Villa Amica aufgesucht und dort den Bewohnern allerlei verkauft hätten!« –

Charigisel fiel ein: »Auf die Frage, was, sagten sie: unter anderem der stolzen Herrin der Villa ein Paar Bastschuhe, wie sie sonst nur Bäuerinnen tragen.«

Um Fredigundens Lippen zuckte es leise: es war wohl Hohn.

»Frau Brunichildis,« ergänzte Sigila, »ließ den in dem Gang vor dem Schlafgemach gefundenen Bastschuh bringen, ihnen vorlegen – sie erkannten nicht nur den Schuh . . . –« »Ein Bastschuh sieht aus wie der andre,« lachte Chilperich. »Wohl!« erwiderte Charigisel. »Aber sie führten deren noch mehrere Paare mit sich und sie wiesen an dem gefundenen das gleiche Abzeichen nach, – die gleiche Hausmarke ihres Heimathofes – wie an ihrem ganzen Vorrat.«

Theudibert warf einen raschen Blick auf Fredigundis. Diese fühlte den Blick, wie sie tausend Augen auf sich gerichtet wußte.

»Und darauf hin,« sprach sie ruhig, »hat die Gotin die von ihr bestochenen Angeber freigelassen, nicht wahr? Und auf das Zeugnis von zwei gebrandmarkten Landfahrern –« »Noch mehr!« rief Sigila. »Die Freigelassene Suavigotho, die das verhüllte Weib in der Mordnacht in dem Gange traf, hat, noch bevor sie an Herrn Sigibert gesandt ward, durch Zufall die Herrin von Amicavilla an deiner Seite reiten sehen, o König. Sie will beschwören, daß diese jenem Weib höchst ähnlich sah.« »Höchst ähnlich!« lachte Chilperich gezwungen. »Es war fast ganz finster in dem Gang! Und jenes Weib soll eine Kapuze übers Gesicht gezogen haben.« »Deshalb,« sprach Charigisel, »verlangen auch König Sigibert und Frau Brunichildis nicht die sofortige Bestrafung jenes Geschöpfes; sie verlangen nur, daß du sie auslieferst.« – »Mein Weib!« »Unsere Königin!« rief Theudibert. »Zu gerechtem Gericht,« erklärte Charigisel weiter, »vor den vereinigten Hofgerichten der drei Reiche, unter König Guntchramns Vorsitz. Dort soll sie den Unschuldseid schwören mit zweiundsiebzig Eidhelfern nach unserem salischen Recht.«

»Ich bin bereit,« sagte Fredigundis kalt.

»Niemals!« rief Chilperich und legte, wie beschützend, den Arm auf seines Weibes Schulter. »Das zeugt von schlechtem Gewissen. Weigerst du das,« drohte Sigila . . . – »So wisse, daß dir König Sigibert Krieg ansagt!« – »Krieg, von dem er nicht ablassen wird, bis er gerecht Gericht erzwungen hat über die Mörderin.« – »Krieg, bis du die Schätze der Gemordeten herausgegeben, die du mit frevlem Vorwand vorenthältst.«

»Und da wir wissen, daß du gar oft versprichst, was du zu halten nicht gedenkst . . . –« – »Und daß du wahrscheinlich den Rächer mit eiteln Reden hinzuhalten suchen würdest . . .–« – »So wisse: König Sigibert hat schon seinen Heerbann aufgeboten, seine gerechten Wünsche zu erzwingen.« – »Und schon brauset er heran mit Brunichildis, der Bluträcherin, auf tausend raschen Rossen ihrer Gefolgschaft . . . –« – »Schon hat ihnen deine feste Stadt Chartres die Thore geöffnet. –«

»Drakolen, der Hund, der Verräter. Die Augen brenn' ich ihm aus,« schrie Chilperich außer sich.

»Der Herzog Drakolen war fern; allein treu gedenkend seines schweren Eides zu Marseille, wird er nicht eher für dich kämpfen, bis du die Mörderin vor ein frei Gericht gestellt.« – »Dein eigner Sohn Merovech . . . –« – »Der Abtrünnige! Er kämpft wohl für seine Muhme gegen seinen Vater!« – »Nein! Aber auch er gedenkt des feierlichen Racheschwures. Nicht eher, bis über dieses Weib gerichtet ward, wirst du sein Antlitz wiedersehen.« »Es sei denn, ich komme und hole ihn mir aus dem Zelt der Gotin,« drohte der König grimmig.

»In wenigen Tagen,« schloß Charigisel, »pochen sie an die Thore von Rouen, die Richter, die Rächer. – Jetzt, wenn du willst, – fahre fort, wo wir dich unterbrachen; der Priester ist vor Entsetzen geflohen: – dieses Weib ist mit Mordblut gesalbt, ist verflucht von allen Guten: – willst du es krönen zu deiner Königin, Herr Chilperich?« – »Reiß' ihm doch die Zunge aus,« mahnte Fredigundis. Aber Chilperich richtete sich hoch auf: er hatte sich gefaßt und gesammelt. – »Sie tragen die weißen Stäbe fränkischer Königsboten: – unverletzbar sind sie. Steigt wieder zu Roß, ihr Herren, und sagt meinem Bruder: ich werde Weib und Land zu schützen wissen gegen jene Rachewütige und gegen seinen Raubeinfall. Und meldet auch, was ihr zuletzt in diesem Dom gesehen. Knie nieder, meine Gattin.« Damit nahm er die Krone von dem Altar, drückte sie fest auf der knieenden Fredigundis Haupt, küßte diese auf die Stirn und sprach: »Ich brauche keines Priesters Hand dazu, steh auf nun, Königin der Franken.«

 


 

Viertes Kapitel.

Noch im Laufe des Krönungstages räumten Chilperich und die Seinigen Rouen.

Die von allen Seiten einlaufenden Nachrichten ließen keinen Zweifel, daß Sigibert in der That alsbald mit überlegener Macht vor den Thoren dieser Stadt stehen werde. Man mußte weiter östlich, im Herzen von Neustrien, eine sichere Stellung suchen, von hier aus den Heerbann aufbieten und den Widerstand ins Werk setzen.

Die neue Königin konnte sich nicht des großen Festmahles freuen, welches die Stadt zu ihren Ehren veranstaltet hatte. Hals über Kopf mußten die Kostbarkeiten des Palastes zusammengepackt werden; mit überraschender Sicherheit, Einsicht und Ruhe leitete Fredigundis diese Arbeiten ihres Gesindes. Sie war damit fertig, lange bevor Chilperich seine schwankenden Anordnungen getroffen hatte. Sie trat zu ihm, ihre Hilfe anzubieten.

»Hast du dir auch Geiseln geben lassen von der Stadt?« fragte sie. »Nein! Was sollen Geiseln? Die Stadt kann sich aus eigener Kraft nicht halten. Sie muß – vorübergehend – in des Feindes Hände fallen.« – »Gleichviel! Man kann sie doch dafür bestrafen, das heißt, die Geiseln nur um hohe Summen auslösen lassen. Wir werden viel Geld brauchen in diesem Kampf.« – »Du hast Recht wie immer. Aber – Gewalt? Wir haben wenige Gewaffnete bei uns. Ein Kampf in den Straßen . . . –« – »Nichts davon! Ich werde die angesehensten Bürger, die reichsten! – in den Palast entbieten, – unter irgend einem Vorwand, . . . laß sehen, . . . ich hab es schon! Ich muß ihnen ja doch danken für das angebotene Festmahl! – Ich werde sie hier festnehmen und dir gebunden ausliefern.« Und so geschah's. Unter strömendem Regen zog gegen Abend der König mit den Seinen zu dem Nordthor hinaus auf der alten Römerstraße, die nach Amiens führte.

Gegen Mitternacht erreichte man eine Sigibert gehörige Villa. Hier ward übernachtet. Die Leute derselben ahnten nichts von Feindseligkeiten zwischen den beiden Brüdern: sie waren sehr erstaunt, als sie sofort ergriffen und gebunden wurden. Am frühen Morgen des folgenden Tages wurde die fluchtartige Reise fortgesetzt.

Als Fredigundis auf das Pferd gehoben ward, befahl sie, das ganze Gehöft anzuzünden. Die Bewohner desselben wurden als Gefangene mitgeführt an ihrem scharrenden Rappen vorbei; dann folgten die Geiseln von Rouen, drohende Blicke warfen diese auf die Königin. Sie achtete es nicht; aufmerksam musterte sie die Schar.

»Wo ist Prätextatus?« fragte sie den König, als der Zug der Gefesselten an ihr vorüber war. »Im Gefängnis.« – »Wo? In welchem?« – »Nun, im Kloster zu Rouen.« Sie furchte die Stirn. »Das ist nicht wohlgethan, mein König. Mußtest ihn mitführen.«

Chilperich schwieg. »Sie weiß gar nicht,« dachte er, »wie sehr sie auch hierin recht hat. Aber mir ist es unleidlich, ihm – neben ihr – in die Augen zu sehen.«

Zu Amiens ließ Chilperich seine Gemahlin unter dem Schutze Theudiberts zurück; er selbst eilte nach seinem nahen Hofe Baisu, wohin er die Aufgebote der nächsten neustrischen Städte beschieden hatte. Als wenige Tage darauf Theudibert im Auftrag des Vaters Fredigundis aufforderte, auch Amiens zu räumen und ihm noch weiter nach Norden zu folgen, stieß er auf heftigen Widerstand. »Wieder fliehen? Abermals weichen vor –! Warum denn? Erkläre mir doch, mein tapferer Sohn, was ist denn so Unwiderstehliches an diesem blondgelockten Schwäher, daß ihr ihm nicht standhalten wollt?« – »Wir können nicht! Wir müssen noch weiter zurück.« – »Erkläre mir das. Ich verstehe mich schlecht auf Schlachten und Krieg.« Theudibert zeichnete vor ihren Augen mit der Scheide seines Schwertes in den mit Sand bestreuten Weg des Gartens, in welchem sie wandelten. »Unsere Lage, Königin, ist übel, sehr übel. König Sigibert faßt uns von zwei Seiten. Sieh, hier im Osten ist sein Hauptland, Austrasien. Er hat die Stämme, die dort hausen, meist noch Heiden, aufgeboten: die Uferfranken von der Maas und Mosel, – Herr Karl und Herr Arnulf, erprobte Helden, führen sie –, die Hessen von der Lahn, die Thüringe von der Unstrut, die wilden Alamannen vom Neckar, die grimmen Bajuwaren von dem Inn: sie alle ziehen über Metz, Reims und Soissons von Osten gegen uns; Sigibert selbst aber, der von Chariberts Erbschaft manche Gebiete in der Provence, auch in Aquitanien, Tours, Poitiers und andere Städte, erhalten, drängt mit Ungestüm von Süden her uns nach! Schon soll Rouen – siehst du? hier etwa liegt es – sich ihm geöffnet haben.« – »Und alles Land südlich von Rouen?« – »Und westlich von Rouen ist uns verloren. Die Kelten in Bretannia, stets ein unsicherer Besitz, haben sich wieder einmal erhoben, sobald die Nachricht von diesem Krieg sie erreichte; sie haben des Vaters Grafen aus Nantes, Angers, Vannes und Rennes vertrieben, die eingebornen Häuptlinge ihrer Gaue haben Sigibert gehuldigt.« – »Sie werden ihm hoffentlich ebenso treu bleiben wie uns.« – »Herzog Drakolen von Chartres hat erklärt, erst wieder fechten zu wollen für den Vater, nachdem er dich vor Gericht gestellt: sein Eidam, Graf Theudulf von Le Mans, folgte seinem Beispiel.«

Fredigundis zog ein Schreibtäfelchen hervor. »Theudulf heißt der? – Die Liste wächst! Drakolen, Sigila, Charigisel – jetzt Theudulf.« – »Was thust du, Königin?« »Ich zähle. – Ich gedenke stets in meinem Nachtgebet meiner Feinde – und Freunde! – Merovech? Bah, überflüssig! Meiner Stiefsöhne vergesse ich ohnehin nicht.« lächelte sie. »Weiter. –« – »König Sigibert hat auch Etampes und Meaux genommen.« »Ist er überall zugleich?« zürnte sie. – »Seine Königin Brunichildis hilft ihm mit dem ganzen Eifer der Rache. In Helm und Brünne reitet sie einher. –« – »Das thu' ich nicht. Sind mir zu schwer. Und stehen mir schlecht. Ich hab's versucht. Der Helm bedrückt mein Gehirn. Das brauch' ich sehr. Und mein Rat wiegt schwerer als mein Arm. – Auch bin ich weichlich, das ist leider wahr. – Jede kleine Wunde thut mir gleich sehr weh – weher als andern, mein' ich fast. Ich kann auch kein Blut sehen, nicht einmal von Tieren.« – »Und doch warfst du neulich einen Stein nach einem kleinen Vogel.« – »Das ist ein Haß-Gelübde. Die muß man halten. – Hat nun das gotische Mannweib irgend etwas erreicht in seiner Verlarvung?« – »Oh ja! Sie hat Beauvais mit Sturm genommen.« – »Sie! Zugesehen wird sie haben. –« – »Nein. Den ersten Anlauf schlug Bruder Chlodovech, der sich in die Stadt geworfen, zurück. Bei dem zweiten Angriff eilte die Königin an die Spitze der Ihrigen: – sie war die erste in dem eingeschlagenen Thor: sie ward verwundet.« »Wo? Im Gesicht?« Rasch, freudig kam die Frage. »Im Arm. Der Pfeil mußte tief herausgeschnitten werden.« – »Hör' auf! Wie gräßlich! – »Sie zuckte dabei nicht mit der Wimper.«

»Woher weißt du das alles?« – »Graf Leo von Beauvais, den sie gefangen hat, stand dabei; sie hat ihm dann selbst die Wunden verbunden und ihn freigegeben gegen seinen Eid, in diesem Feldzug nicht mehr zu fechten.« – »Erzwungener Eid. Gilt nicht.« Theudibert sah sie erstaunt an. »Doch, Königin! Er mußte ihn ja nicht schwören; schwor er ihn, muß er ihn halten. Sie entließ ihn: – er ist ganz bezaubert von ihrer Huld und Herrlichkeit. Er eilte zum Vater, ihn zu bewegen, Frieden zu machen.« – »Fünftens: Graf Leo von Beauvais! – Bald ist das erste Täflein voll.« – »Kaum entkam Bruder Chlodovech aus der eroberten Stadt. Er warf sich nach Noyon. Hier belagert ihn das Heer der Königin, während Sigibert auf Amiens zieht. Du bist hier nicht mehr sicher. – Du sollst heute noch aufbrechen nach Arras, allein: ich darf dich nicht mehr begleiten. Ich muß . . . –«

»Endlich ins Feld, dem Feind entgegen! Nicht mehr deinem Vater und deiner Stiefmutter fliehen helfen! Man sagt, du bist trotz deiner Jugend König Chilperichs bester Feldherr: allzulang hast du mein rot Gelock und meinen kleinen Fuß bestaunt. Hinaus zum Kampf! – Bring mir das Haupt dieses unwiderstehlichen Schwähers,« – hier sprühte das graue Auge Blitze, aber gleich darauf lächelte sie berückend, – »und nimm dafür einen mütterlichen Kuß.«

Des Jünglings Antlitz überflogen Gluten, er fuhr empor – aber schwer erseufzend schüttelte er das Haupt. »Ich darf nicht fechten wider Oheim Sigibert. Du weißt, ich focht schon einmal gegen ihn in sehr – ungerechtem Auftrage des Vaters. Er nahm mich gefangen. Nicht einen Strohhalm gab man damals für mein Leben. Merowingische Oheime lieben es, ihre Neffen zu morden, wann diese noch als Kinder um ihre Kniee spielen. Und ich, – ich war Kriegsgefangener, gefangen bei treulosem Einfall in sein Reich! Er pflegte mit eigener Hand meiner Wunden, er gab mich frei – nur gegen den Eid, nie mehr das Schwert gegen ihn zu führen.«

Heftig wollte Fredigundis entgegnen: aber sie sah den tiefen Ernst in des Jünglings Augen und bezwang sich. »Es ist noch zu früh,« sagte sie sich.

»Der Vater sendet mich daher, weil ich nicht fechten darf, in wichtigstem Auftrag« – »An wen?« – »An Oheim Guntchramn von Burgund, der mich von jeher meinen Brüdern vorzog.« – »Wie andre Leute mehr, mein Lieblingssohn.« – »O schweig, und spiele nicht! – Gelingt es mir, ihn für dich – will sagen – für den Vater zu gewinnen, so ist noch Hoffnung.« – »Und wenn nicht?« – »Keine mehr! Des Vaters ganzes Reich ist ja fast schon in Feindes Hand, von größeren Städten sind nur noch unser Arras und Tournay: und – du vergissest wohl! – die Hauptmacht Sigiberts, die schrecklichen Austrasier, die Riesen aus dem inneren Germanien, sind ja erst im Anzug von Osten her. Tritt nicht der König von Burgund vermittelnd ein, sind wir verloren. Ich werde ihn bitten, sein Heer von Langres bis Melun – siehst du, so! – aufzustellen, den Austrasiern in der Flanke: – das muß sie abhalten, die Marne zu überschreiten – und also drohend Sigibert Frieden aufzulegen.« – »Ich merke, ich verstehe nichts von Krieg,« sagte sie unwillig. »Ich sähe dich aber lieber kämpfen, tapfrer Theudibert, als Bündnisse erbitten. Komm bald zurück und bring das Glück mit dir, das uns verlassen hat.« – »Das Glück? Das Glück bist du.« – »Gieb acht –! Laß meine Hand los – du thust mir weh« – sie stieß einen leisen Schrei aus – »meine Finger sind gar zärtlich.« – »Leb wohl! Du bist wie die Flamme: – nichts ist so schön und nichts ist so verderblich.« – Er eilte stürmisch aus dem Garten. –

Lange sah ihm Fredigundis nach. »Das muß ein Ende finden. Bald! Er ist zu ungestüm. Chilperich hat schon Verdacht geschöpft – vielleicht auch gegen mich. Das wäre noch schöner! – Gestürzt, geköpft werden ganz unschuldig, um einen Stiefsohn, der mir fast verhaßt. – Ist sein Schwert wirklich nicht zu verwerten gegen ihn – den All-Besieger! – rasch fort dann mit dem Thoren! Ich habe dir's geschworen, du süß Geschöpflein unter meinem Herzen: Du sollst nicht lange leiden unter Stiefbrüdern.«

 


 

Fünftes Kapitel.

So reißend waren die Fortschritte der Feinde, daß die Königin auf dem Wege nach Arras von eilenden Boten ihres Gemahls aufgefordert wurde, über diese Stadt, die auch gar bald bedroht sein werde, hinaus gleich bis nach Tournay zu ziehen. Auch Noyon sei schon gefallen: Chlodovech, vorher aus diesen Mauern entwischt, wolle unter den Wällen von Arras eine Feldschlacht wagen an der Spitze der von Chilperich einstweilen gesammelten Kräfte. –

Die fluchtartige Reise von Rouen bis Tournay hatte die junge Frau angestrengt, sie konnte schon lange nicht mehr reiten. In der Sänfte ward sie über die Zugbrücke getragen, die über die Schelde in die enge, schmutzige, unwirtliche Burg Tournay führte, die eben fast nur Feste, keine Stadt, war und in dem alten, schmalen, turmähnlichen Palatium sehr wenig Behaglichkeit darbot. Rulla pflegte mit liebender Sorgfalt die Herrin. Die Dienerin und das übrige Gefolge hatten den Mut sinken lassen. Fredigundis nicht: sie richtete ihre Begleitung auf.

»O Herrin,« hatte Rulla nach dem Einzug in Tournay gejammert, »einem Grabgewölbe gleichen diese hohen, dunkeln Mauern. Eine üble Vorbedeutung!« – »Du meinst für die schwere Stunde, die mich erwartet? Sei ruhig, Nachbarskind. Die Großmutter hat mir geweissagt, ich werde viele Söhne gebären: so kann ich unmöglich bei der Geburt des ersten sterben.« – Geraume Zeit – schon waren es Wochen und Monde, und mehr als acht Monde, seitdem Sigibert Frau Brunichildis sich vermählt – gelangte gar keine Nachricht von den Dingen draußen nach Tournay: das schien ein gutes Zeichen, das Vordringen der Feinde mußte zum Stehen gebracht sein.

Und also war's. Es war Winter geworden: Schnee und Eis und der Zustand der Straßen machten die Fortführung des Krieges den Angreifern unmöglich: Winterfeldzüge waren jener Zeit fremd. – Und überraschend traf in einer Nacht der König in Tournay ein: »Rasch, man wecke die Königin,« rief er. »Führt mich schnell zu ihr. Wir haben gesiegt.« »Zu guter Stunde,« rief ihm Rulla entgegen, »kommst du, Herr König, mit dieser Nachricht. Die Königin hat dir soeben einen Sohn geboren.«


Chilperich stand am Bette Fredigundens, sie legte ihm das Kind in die Arme, ihr Auge strahlte vor stolzer Wonne.

»Ein prächtiger Thronerbe!« rief er. »Graue Augen! Und welche Fülle von roten Haaren! Im Siege geboren. Ich hätte Lust, ihn, seinem Oheim zu Ehren, Sigibert zu nennen.« Fredigundis zuckte. »Nicht doch! – Samson soll er heißen, weil er seine Feinde zerschmettern wird. Nicht wahr? Ich sagte es dir: es ist ein Sohn. – Aber was ist's mit dem Siege?«

»Chlodovech, der wackere Junge, – er liebt dich nicht, aber auch nicht Brunichildis, wie der andre, das ist auch was wert! – hat Sigiberts Vorhut, die sich allzukeck vorgewagt, überfallen und zurückgeworfen. Nun beschränken sich die Feinde darauf, Arras zu umschließen, das sich wacker wehrt unter meinem tapfern Herzog Boso. Chlodovech will demnächst die Stadt entsetzen in offener Feldschlacht. Mich trieb die Sehnsucht, die Sorge um dich hierher, als mein eigener Siegesbote dir's zu melden. Und denke dir nur, was uns Bruder Sigibert hat anbieten lassen: er lebte von jeher –, und seine Gotin bestärkt ihn darin wohl – mehr in den Vorstellungen der alten Sagenkönige, wie Dietrich von Bern etwa, denn wie ein Fürst der jetzigen Franken. Höre nur, was ihm nun wieder einfällt! Um das Blut der Krieger, das an vielen Orten zugleich fließe, und das Elend des Volks, das unter langem Kampf schwer leide, zu sparen, schlägt er vor, ich solle ein Schlachtfeld wählen, auf dem unsere Heere an Einem Tag, auf Einen Schlag den Streit entscheiden sollen. Das sei alte Heldensitte unserer Ahnen! Ich ließ ihm sagen, ich sei aber kein Ahn, sondern ein Enkel. Fällt mir gar nicht ein! Gewiß verlöre ich jene Schlacht und damit die Schätze und alles. Nein, nein! Wir führen den Krieg fort ohne solche Thorheiten der Sage!«


Aber die Freude sollte von kurzer Dauer sein.

Kaum hatte die junge Mutter, die jetzt schöner war als je zuvor, – Chilperich wich nicht von ihrer Seite – den Säugling an der Brust, die ersten Schritte durch die Halle gewagt, als Eilboten dem Königspaar berichteten, Chlodovech sei bei Arras geschlagen und fliehe mit den Trümmern seines Heeres nach Tournay. Arras werde hart bedrängt. Bald kam Chlodovech mit seinen Scharen nach; nur ein Teil derselben konnte Aufnahme finden; die Vorräte in der Festung reichten nicht gar weit.

Trotzig weigerte sich Chlodovech, Fredigundis und sein Stiefbrüderlein zu sehen. »Die rote Hexe ist schuld an all' unserm Unheil!« schalt er.

Chilperich wollte ihn zwingen mit Gewalt, aber Fredigundis lächelte: »Laß doch, Schätzchen! Willst du deinen einzigen Feldherrn, unseren besten Verteidiger, einsperren? – Geduld! – Der Trotzkopf steht längst auf der Liste meiner Feinde, für deren Bekehrung ich täglich bete und plane. Aber wo bleibt Theudibert, mein zärtlicherer Sohn?«

Gerade noch bevor die Sieger von Arras heranrückten – schon streiften ihre Reiter bis an die Thore – und Tournay umlagerten, gelangte der Ersehnte in die Festung. Er brachte schlechten Trost, üble Nachrichten. König Guntchramn hatte jede Hilfe abgeschlagen. Theudibert überbrachte außer diesem mündlichen Bescheid einen Brief seines Oheims an seinen Vater.

»Es ist wahr,« sagte Chilperich, das Schreiben durchfliegend, »ich hab ihm manche Stadt wegzuschnappen versucht da unten an der Rhone. Er schreibt, ich sei wohl aus Angst vor dem Blonden verrückt geworden, daß ich ihm zumute, mir zu helfen? ›Ich würde,‹ schließt er, ›mit dem Blonden zusammen dir deine roten Haare zausen, hätte mich nicht seine Gotin gekränkt. Die hochfahrende Königstochter hat auch über mich die Nase gerümpft, weil ich mir gern Frauen und Mägdelein von niederem Stande geselle, die nicht so anspruchsvoll sind, wie Königstöchter, und leichter zu wechseln.‹ – Nämlich: unser Dicker zu Orléans ist bei aller Frömmigkeit doch auch ein Freund von weißen Gliedern, wie . . .« – »Wie die gelehrtesten Theologen – von Merowingen-Blut.« »Er sagte,« berichtete Theudibert, »er finde die Forderungen Sigiberts und Brunichildens ganz gerecht. Warum sich Fredigundis nicht stelle, falls sie schuldlos sei?«

»Weil ich nicht will,« fuhr Chilperich auf. »Das hast du ihm doch gesagt?« »Gewiß, mein Vater,« erwiderte Theudibert, der kaum das Auge von Fredigundens Antlitz trennen konnte, »Und ich machte ihm einen Vorschlag, den er Oheim Sigibert empfehlen wollte.« – »Welchen Vorschlag?« – »Es genügt nicht, daß Frau Fredigundis schwört . . . –« – »Ich bin bereit dazu, ich sagt' es längst,« Chilperich sah sie zornig an: »Ich verbiet' es dir aber.« – »Auch zweiundsiebzig unbescholtene freie Franken müßten als Eidhelfer schwören, daß sie ihren Eid für rein und nicht für mein halten und . . . –« »Du meinst,« fragte Fredigundis, »das arme Hirtenkind findet nicht so viele Männer, die ihm glauben?« Ihr wehmütig Aussehen dabei, ihre rührende Stimme wirkten wie Zauber auf den Jüngling.

»Deshalb – statt des Eides, – schlug ich vor gerichtlichen Zweikampf.« Sein Auge leuchtete, seine Wange glühte, seine Brust hob sich mächtig.

Fredigundis hatte Mühe, ihre Freude zu verbergen. Aber Chilperich rief unwillig: »Unsinn! Ich bin kein Mann des plumpen Schwerterschlags!« – »Du nicht Vater! – Aber . . . –« – »Nun, wer sonst als der Muntwalt ficht für ein Weib?« – »Ein freiwilliger Kämpe.« – »Und wer wollte das . . . –?« – »Ich; wenn ich darf, wenn sie es annimmt – im Gottesgericht – für sie!« – »Ich nehm' es an!« – Blitzschnell fuhr Chilperich, der starr auf seinen Sohn geschaut hatte, herum. »So willst du seinen Tod?«

Ein peinliches Schweigen entstand.

Bestürzt sah Theudibert auf seinen Vater. Dieser ward blutrot und biß die Lippe. Fredigundis fand zuerst ein Wort: »Wie meint das mein Gemahl?« Ganz kühl kam die staunende Frage heraus.

»Nun weil . . . – weil! – Der Junge ist Sigibert nicht gewachsen.« – »Aber Gott giebt dem Recht den Sieg!« rief Theudibert mit flammendem Blick auf die ruhig Lächelnde. – »Und sein Eid?« »Bezieht sich nur auf Krieg,« fiel Fredigundis rasch ein. – »Wie lautet die Wortfassung?« fragte Chilperich, in dem die Neigung zu dialektischen Unterscheidungen erwachte. – »Nie mehr im Krieg das Schwert gegen ihn zu heben.« – »So kämpfe auch hier, in Tournay, gegen ihn – mit der Streitaxt,« rief Fredigundis. »Nicht übel,« lachte Chilperich. »Aber vom Gottesgericht will ich nichts mehr hören. Das merkt euch beide! – Ein merkwürdig Geschöpf,« murmelte er. – »Ich muß ergründen, worauf gestützt sie also umzuspringen wagt mit Gott und seinen Heiligen, mit Eid und mit Ordal. – Was sagte Bruder Guntchramn noch?« – »Er habe Oheim Sigibert geschworen, solange dieser lebe, nicht mehr gegen Austrasien zu handeln.« »Wer lebe?« fragte Fredigundis rasch. – »Nun, Oheim Sigibert.« – Fredigundis nickte nachdenklich. –

»Und der ist der Jüngste von uns!« rief Chilperich in komischem Verdruß. – »Geh nun, mein Sohn. Suche den Trotzkopf Chlodovech zu besserer Sitte zu bringen gegen diese schöne Frau. Geh, ich habe mit der Königin zu reden.« –

Mit einem erstickten Seufzer neigte sich der Jüngling und ging. Der Vater sah ihm nach. »Sage, Gundelchen, hast du keine Schwester?« lachte er dann. – »Wie du weißt: nein. Dank den Heiligen!« – »Warum willst du keine?« – »Nicht wahr, eine jüngere, womöglich? Dann würdest du ihr ebenso den würdigsten Mann in deinem Reich aussuchen, wie dein Vater zuliebe der einen Schwester gethan, und sie neben mir heiraten.«

Chilperich schmunzelte wohlgefällig. »Hi, hi! Nein, aber meinem Herrn Sohn Theudibert würd' ich sie geben! – Nun, einstweilen ist es ganz gut so . . . – ich bin deiner ja sicher.« – »Ja. Du weißt, ich lebe gern. Jetzt erst recht.« Sie drückte den Säugling an den schönen Busen. – »Wenn er doch seinen Eid leichter nähme, etwa so leicht, wie du Eide nimmst, Gundelchen.« – »Was willst du damit sagen?« fragte sie sehr ruhig.

»Nun, ich meine ja nicht gerade eigene!« – so wich er aus. – »Aber fremde! Das mit der Streitaxt gefiel mir.«

Ganz langsam sprach nun die junge Mutter: »Auch einen eigenen Eid zu brechen oder wissentlich Falsches zu schwören, würde ich mich nicht besinnen, falls der Einsatz, der Gewinn hoch genug.« – Erschrocken sah sie Chilperich an: »Höre du, das ist seltsam! Du bist so wehleidig im Leben: – du schreist bei einem Nadelstich – und die brennenden Höllenstrafen, die ewigen? Die scheust du nicht?« – »Die kauf' ich ab. – Ja, ja! Es ist ganz ersprießlich, Männchen, daß wir auch einmal solche Dinge bereden! Nicht schon wieder küssen, du Unersättlicher! Gieb acht! – Du bist ein gelehrter Theolog und Dialogiker« – »Dialektiker!« – »Das ist mir all Eins! Ich bin ein ungeschultes Weib. Aber ich habe mir aus den Einrichtungen der heiligen Kirche allmählich – als Kind schon fing ich an, die Großmutter half dabei! – eine Lehre gezogen, die ist ohne Zweifel streng folgerichtig. Und die hebt ihren gläubigen Bekenner hoch über alle Schranken, welche die thörichte Menschheit mit Höllenfurcht einpferchen. Gieb acht, mein Schätzchen. Es ist Fredigundens beste Gabe, und viel mehr wert als diese Schönheit, welche – leider! – einmal welken wird. Also merke! – Das Allerschrecklichste wäre, wenn mit dem Tod alles aus wäre.« – Sie schauderte, Frost schüttelte sie, sie bedeckte die Augen mit den Händen. »Gewiß! Aber das ist doch nicht der Fall . . . –«

»Manchmal – in schlafloser Nacht – beschleicht mich dieser Gedanke. Er würgt mich. Er drückt mir vor Angst die Kehle zusammen: ich muß schreien. Kalter Schweiß bricht mir aus. Ich will leben. Ich muß leben! Leben! Auch ohne Seligkeit will ich leben, wie jetzt! Vernichtung! Nicht mehr sein! Ich, die ich ›Fredigundis‹ zu mir sage, – dieses liebe Ich da drinnen, das ich so gern habe, das sollte nicht mehr sein! Das ist Verzweiflung! Das ist unerträglich!« – Sie sprang auf und riß das Kind von der Brust. Es schrie heftig. »Aber Fredigundis!« Er nahm ihr das Kind ab und wiegte es leise summend auf den Knieen. – »Beruhige dich doch! – Das Kind!«

Sie war raschen Schrittes auf und nieder durch die Halle gestürmt. Ihr Herz klopfte so stark, daß ihr Busentuch zitterte. – Nun blieb sie stehen. »Verzeih! – Es ist das einzige, was ich fürchte.« – Sie öffnete die Thür in das Nebenzimmer. »Rulla, nimm den Kleinen. – Er soll jetzt nicht die Milch . . . dieser Schrecknisse trinken.«

Als die Dienerin mit dem Kinde verschwunden war, setzte sie sich nieder. »Das – das könnte mich einmal wahnsinnig machen! – Aber –« nun lächelte sie schon wieder – »es ist ja nicht so! Die Seele ist unsterblich, so lehrt die heilige Kirche. Nicht gerade alles glaub ich, was sie lehrt . . . –« »Ich aber!« sagte Chilperich ernsthaft. »Man muß. Unglaube ist Sünde. Ich mag nicht in die Hölle.« – »Aber das – von der Unsterblichkeit – glaub' ich, weil das Herz schreiend, brünstig, ja nochmal: – schreiend! danach verlangt, wie die Brust nach Luft, nach Atem.«

Chilperich sah ruhig vor sich nieder: »Ersticken, erstickt werden, muß doch arg sein.«

Fredigundis hatte es nicht gehört; sie fuhr fort: »Also die Seele ist unsterblich. Warum? Weil ein Gott lebt, der unsterblich ist und dem ersten Menschen seinen unsterblichen Atem in die Nase geblasen hat. Wäre kein Gott, so wären keine unsterblichen Menschen.«

»Wenn aber kein Gott wäre und doch Menschen, was dann?« fragte Chilperich. »Siehst du, das nennt man Kasuistik.« – »Wäre kein Gott, und wären doch Menschen, dann wären die Menschen sterblich, etwa wie die Tiere oder die Pflanzen, die vergehen.« – »Wie wären dann aber Menschen entstanden?« »Das weiß ich nicht,« rief sie, ungeduldig über diese Fragen. »Ist mir auch ganz gleich. Da – ohne Zweifel – Gott lebt, ist also die Seele unsterblich. Nun handelt sich's darum, daß es ihr nach dem Tode ewiglich so gut geht wie möglich. Das zu erreichen giebt es zwei Mittel: entweder alle Gebote Gottes und der Kirche erfüllen. Dabei lebst du elend wie ein Hund . . . –« »Oder wie ein Heiliger,« meinte Chilperich, »was aber hierin dasselbe.« – »Alle klugen Menschen lachen dich aus, trinken und küssen und lachen und listen und herrschen über die Güter der Erde, während du dich elend kasteist, jeden Wunsch, dessen Erfüllung allein das Leben des Lebens wert macht, unterdrückst und der Fußschemel der Weltlinge bist. Und – gieb acht, das ist noch das Ärgste dabei! – giebst du dir auch alle Mühe, – du kannst doch nicht alle Gebote erfüllen, alle Sünde meiden. Schon wegen der Erbsünde! Es müssen doch Christus und die Heiligen dich losbitten bei dem Himmelsherrn. Auf deren guten Willen bleibst du also doch angewiesen, auch bei dem elendesten, wollte sagen: frommsten Leben. Oder: – das ist der andere Weg! – Du lebst nach deines Herzens Gelüsten, genießest, was dich freut, beherrschest durch Gewalt und List – und Falscheid – davon gingen wir ja aus! – die dummen Menschen – und hinterher kaufst du dir der Heiligen Fürbitte. Nur eben reich mußt du sein, um den Heiligen viel schenken zu können. Je reicher du bist, je kühner darfst du also sündigen.« Chilperich schüttelte den Kopf. »Die Priester lehren aber . . .–«– »Allerlei! Ich weiß wohl! Sie sagen auch, die Werke ohne den Glauben thun's nicht. Nun gut: ich glaube ja! Sie sagen ferner: ›Du mußt die Sünde bereuen!‹ Nun gut: ich bereue ja, sobald ich sie – genossen! Es ist mir leid, daß es Sünde ist, wäre es nicht Sünde, wär's mir – wirklich! – lieber, weil wohlfeiler. Und ausdrücklich hat mich unser Priester gelehrt: und hätte Einer Vater und Mutter gemordet, und tausend Falscheide geeidet – die Fürbitte der Heiligen kann ihn losbitten. Nur gewinnen muß er sie. Er kann sie aber gewinnen, stiftet er Klöster und beschenkt er die Heiligen und ihre Kirchen reich genug. Man kann ja – wenn man Königsschätze hat – so unermeßlich schenken, daß sich die Heiligen bitter schämen müßten in ihre undankbaren Herzen hinein, ja daß es schreiend ungerecht wäre, bäten sie ihren Wohlthäter, ihre Gönnerin nicht los. Siehst du, Männchen? Auf diesen festen Bau – nicht ein Steinchen, kannst du herausbröckeln mit deiner ganzen Dialogik . . .« – »Dialektik!« – »Das ist mir gleich. – Auf diese unerschütterlichen Sätze habe ich all' mein Handeln gegründet. Bis zur Frankenkönigin und Mutter eines Kronerben hab ich's damit gebracht vom Ziegenhüten aufwärts. Dadurch hoff' ich zu herrschen über die Menschen, alle meine Feinde unter meine Füße zu treten und nach freudigem Leben doch an der Hölle vorbeizuhuschen und den Heiligen ihre Gnade so sicher abzukaufen wie dem Syrer ein Stück Seide, das ich ihm bar nach seiner eigenen Preisforderung bezahlt. Man muß nur, wie gesagt, so reich schenken, daß es eine sündhafte, eine unverschämte Habgier der Heiligen wäre, zu erklären, es lange immer noch nicht – und die dürfen sie nicht begehen, dafür sind sie ja heilig!« –Chilperich sprang auf und küßte seine Frau auf die weiße Stirn. »Überzeugend! Unvergleichlich! Ein Stümper bin ich in Vergleich mit dir. Das nenn' ich einmal praktische Theologie. – Aber höre du! Eins ist mir doch bedenklich. Wenn sich solche Weisheit einmal gegen mich wendet . . –« »Aber Chilperich, dummes Männchen!« lachte sie und zauste ihn am roten Krausbart. »Du bist der starke, der einzige Ast, auf dem ich klein rot Eichhörnlein keck und lustig mich wiege – unter mir der Abgrund voll ungezählter Feinde, die Tiefe, aus der nur du mich emporgerissen: – werde ich den Ast zernagen, der allein mich trägt? Nein, deine Feinde sind die meinigen allerwege. Was soll mich von dir hinweglocken? Macht und Glanz kann mir nur von dir kommen.« »Aber eine andere Liebe?« forschte er. »Ich bin dreiundvierzig Jahre – du . . . –« – »Darüber sei ganz ruhig. Frage Rulla. Die kennt mich. Ich bin nicht verliebter Art. Wär' ich's, hätt' ich nicht gewartet, bis du kamst, mich zu holen.«

 


 

Sechstes Kapitel.

Am folgenden Tage schlossen die Belagerer die Festung von der Landseite her ein, nur der Verkehr auf der Schelde blieb noch frei: die Feinde verfügten nicht über Schiffe. Chilperich beeilte sich, solange diese Straße noch einigermaßen offen war, Boten, die zur Nacht über den Fluß schwammen, nach allen Richtungen auszusenden, um seinen Gesandten entgegenzueilen, die er schon vor Monaten ausgeschickt hatte zu den Langobarden in Italien, zu dem Kaiser in Byzanz. Ja, die heidnischen Avaren, die Sachsen und Friesen hatte er gegen reiche Schätze erkaufen wollen, dem Bruder in den Arm zu fallen.

Schon war der Hunger eingekehrt unter der Bevölkerung. Chlodovech wollte die Frauen und Kinder, die nicht Wehrfähigen überhaupt aus der Burg treiben: aber auf der Landseite wurden dieselben von den Belagerern zurückgewiesen und gleich am zweiten Tag der Einschließung sperrten diese den Fluß oberhalb und unterhalb der Stadt durch hölzerne Wehren so wirksam, daß Schiffe nicht mehr verkehren konnten. Auch Schwimmern ward es nun sehr schwer, zu entkommen. Ärgerlich berichtete Chilperich diese Verschlimmerung ihrer Lage seiner Königin. – »Seltsam ist, . . .« – schloß er, nachdenklich und die Finger der linken Hand auseinanderspreitend – »Aha,« unterbrach seine Gattin. »Jetzt kommt ein Stück Kasuistik!« – »Oder doch Meditation. – Seltsam ist: der Mensch kann auch zuviel von einer Tugend haben.« – »Gewiß. Zum Beispiel Großmut. Oder Tapferkeit.« – »Liebe zu den Eltern ist doch eine Tugend? Zugegeben? Gut! Diese Tugend führt heute zwei wackere Söhne an den Galgen. Lebt da hinter der Basilika des heiligen Aper von Toul ein steinaltes Ehepaar, freie Franken, haben ein Gütchen vor der Stadt an der Schelde. Sonst haben sie nichts. Hungern schon elend seit vielen Wochen. Denn die Basilika muß ihre knappen Vorräte zunächst den eigenen Unfreien und Freigelassenen spenden, zu deren Ernährung sie das Gesetz verpflichtet. Die Alten wurden krank vor Hunger. Nun haben sie zwei Söhne. Die konnten den Jammer nicht mehr mit ansehen. Sie brachen nachts in die Basilika, wo die Brote aufbewahrt werden unter dem Altar – bei den Reliquien: – denn jetzt sind die Brote wichtiger und beinahe so kostbar wie die Gerippe der Heiligen. Auf dem Rückweg stießen sie auf Priester; da diese Lärm machten, erschlugen sie den einen, verwundeten den andern, flohen zu ihren Eltern und brachten ihnen allein das entwendete Brot. Nicht einen Bissen davon haben sie für sich genommen,« – »Woher weiß man das?« – »Weil sie das Haus gleich wieder verließen, die Wache auf den Wällen zu beziehen. Dort wurden sie, – der Verwundete hatte sie erkannt, – verhaftet, wie die Alten in der Hütte, die Hehler und Verzehrer der Deube. Die gestanden alles. Nun wird es ihnen übel ergehn. Die Priester der Basilika bestehen auf ihrem Recht: Erbrechung, Schändung des heiligen Altars! Auch ist ein Fingernagel der heiligen Genoveva dabei in Verlust gegangen. Sie müssen wohl alle vier sterben.«

Da stürmte Chlodovech in das Gemach; er warf nur einen Blick auf die Königin: »Ich muß Euch leider sehen – Frau Fredigundis! Die Not zwingt. Bald werden wir wohl ohnehin alle in Einem Kerker liegen! Schlimme und schlimmere Nachrichten alle Tage! Herzog Gundovald, der die Belagerer befehligt, hat deine rückkehrenden Gesandten aufgefangen, die du zu den Langobarden und nach Byzanz geschickt: er hielt sie aber nicht zurück! – Er sandte sie herein. Denn die Langobarden lassen dir sagen, du habest ja das Gold behalten, das sie dir für Waffenhilfe gegen die Byzantiner vorausbezahlt, und habest nichts dafür gethan. Und die Byzantiner . . –« »Kann mir schon denken,« unterbrach Chilperich verdrießlich. »Die sagen wörtlich dasselbe – aber ganz wörtlich!« rief Chlodovech. »Als ob sie's verabredet hätten. Erstaunlich!« »Dabei ist gar nichts zu staunen,« brummte Chilperich. »Ich hatte es eben mit ihnen genau gemacht wie mit den Langobarden.« – »Auch deine Boten an die Friesen und Sachsen sind zurück, und von Gundovald selbst in unsere Thore geschickt. Die Friesen haben deine Gesandten gar nicht angehört. Und die Sachsen gaben zur Antwort: »Krieg von Bruder gegen Bruder sei den Göttern der verhaßteste Greuel.« – »Die frechen Heiden! Wollen einen frommen christlichen König belehren? Ein Jahr lang hab' ich Moralia studiert.«

»Bloß der Chan der Avaren . . .–« – »Was ist mit ihm? Woher weißt du . . . ?« – »Der Bote, den du zu ihm gesandt, ist unvermerkt vom Feinde zurückgekommen – er tauchte unter der Schelde durch. Der Avare will dir beispringen, wenn . . . –« – »Nun was?« – »Wenn du ihm Sigiberts thüringische Lande bis an den Main gewinnen hilfst.« – »Mit Freuden!« – »Mit Freuden? Die Thüringe sind Germanen wie wir.« – »Aber nicht meines Reichs.« – »Es sind schon viel Christen darunter.« – »Denen mag also der Herr Christus helfen. An ihn glauben sie, nicht an mich.« – »Ach Vater! Bis die Avarengäule über den Rhein schwimmen, sind wir in Tournay längst verloren. Die Vorräte schmelzen zusammen . . . –«

Da eilte Theudibert herein; gegen seine Art suchte sein Auge diesmal nicht zuerst Fredigundens, sondern des Vaters Blick. Tiefe Trauer lag auf seinen Zügen. »O Vater!« rief er, »Unheil über Unheil.«

»Was giebt es schon wieder?« fragte Chilperich unwillig. »O Vater! Ich hatte oft gewarnt, die Königsstrenge nicht ins Maßlose zu übertreiben, ins Grausame hinein. Jetzt geht die Aussaat deiner Thaten auf.« – »Verfluchter Prediger! Was ist geschehen?« – »Die freien Franken fast aller deiner Gaue haben getagt und Beschlüsse gefaßt und Gesandte geschickt an Oheim Sigibert und haben ihm – deine Krone angetragen.« »Was?« schrie Chilperich außer sich. »Die Treuverräter! Ich lasse sie alle blenden. – Bah, sie stehen eben unter seinem Druck. Er hat sie gezwungen.« – »Nein, Vater. Auch die Städte, die Gaue, die keiner seiner Krieger bedroht. Sie haben erklärt, du habest oft das Recht der Freien gekränkt, habest dein Königswort gebrochen, und ungezählte Grausamkeiten verübt gegen Männer und – Gewalt gegen Weiber. Sie seien dir Treue nicht mehr schuldig. Ihn, den tapfern und milden und gerechten Herrn, wollten sie sich zum König kiesen, wenn er ihre Huldigung annehmen wolle.« »Hi, er wird schon wollen, der Blonde!« lachte Chilperich grimmig. »Er erbat sich Bedenkfrist.« – »Der Heuchler!« – »Er befragte seinen Beichtiger – den Bischof von Rouen . . .« – »Den alten, vom Schlage gerührten?« – »Nein! Weißt du's noch nicht? Der Alte ist gestorben: an dessen Statt ist Prätextatus, von Sigibert aus der Haft befreit, von Klerus und Volk von Rouen zum Bischof erkoren. – Er ist des Oheims Berater in geistlichen und . . . –« – »Wie es scheint, auch in sehr weltlichen Dingen! Hätt' ich ihm doch damals, solang ich ihn noch hatte, den weisen Kopf herabgeschlagen! Um allzuviel weiß dieser Priester.« – »Prätextatus gab den Ausspruch ab: nach dem, was er von dir wisse – zumal in Rücksicht auf Fredigundis und deine Weigerung, sie vor Gericht zu stellen – seiest du unwürdig, über ein christlich Volk zu herrschen und der Oheim thue kein Unrecht vor Gott und Menschen, wenn er dir das Reich nehme, das sein sieghaft Schwert und des Volkes freie Wahl ihm gewonnen. So erklärte der Oheim seine Zustimmung. Und demnächst soll er nun von deinem ganzen Volksheer, soweit es nicht hier in Tournay eingeschlossen liegt, – auch Arras hat sich ihm ergeben – feierlich zum König von Neustrien ausgerufen und auf den Schild erhoben werden.«

»Und wo – wo ist – wo steckt – er?« So schrill scholl diese Frage, daß die drei Männer betroffen sich wandten. Fredigundis hatte geschwiegen während all' dieser Meldungen. Sie war nur geräuschlos mit raschen, kleinen Schritten in dem Gemach auf- und niedergegangen, manchmal plötzlich stehen bleibend. Jetzt war sie dicht vor Theudibert getreten; sie war sehr blaß: ihre feinen Nüstern zuckten, sie hatte die langen, schmalen Finger der beiden Hände fest ineinander gedrückt.

»Im Hofe Vitry bei Paris. Dort soll, nach uralter Frankensitte, die feierliche Erhebung auf den Schild geschehen. Graf Theudulf von Le Mans, der Eidam Herzog Drakolens, und Kämmerer Charigisel werden vor allem Volk den Vorschlag laut verkünden.«

»Wohin? wohin, Fredigundis?« rief der König. »Du verläßt mich mit deinem klugen Rat in dieser schweren Stunde?«

»Der Knabe! – Samson! – Mir ist, ich hör' ihn mahnen! – Die Mutter muß – für ihr Kind – sorgen!« Sie war verschwunden.

»Die Scharen,« fuhr Theudibert fort, »die bisher vor Arras festgehalten waren, sind im Anrücken gegen uns.« »Wider solche Übermacht ist dann Tournay nicht mehr zu halten,« rief Chlodovech. »Und wer zog uns diesen ganzen Strom von Unglück zu? Das rote Weib!«

»Ich wollte das letzte nicht sagen vor – ihr! Herzog Gundovald verhandelte mit mir vor dem Scheldethor. Er hat mir all das berichtet, die Briefe gewiesen; die Grafen, die Arras bezwungen, sprach ich selbst. Er bot im Namen Sigiberts uns Männern allen freien Abzug unter Sicherung des Lebens: nur sie, – nur Fredigundis müßten wir vor Gericht stellen.« »Niemals!« rief Chilperich. »Und wir Söhne müßten auf das Erbe des Vaters verzichten, nicht?« schrie Chlodovech, »Sigibert als König von Neustrien anerkennen? – Niemals! O Vater, siehst du noch nicht ein, daß dieses Weib« – Aber Chilperich war schon fort: er war Fredigundis nachgeeilt.

»Ja Bruder, es ist wahr,« sprach langsam, fast feierlich Theudibert, »sie ist unser Verderben. Aber uns retten, indem wir sie opfern, – das kannst auch du nicht raten.« Chlodovech zuckte ungeduldig die Achseln. »Horch! die Türmer blasen! Die Feinde gehen zum Sturme vor.« Er zog das Schwert. »Ich eile auf den Wall.« »Und ich?« rief Theudibert in tiefem Schmerz. »Ich, statt zu fechten, eile in die Kirche, zu beten. – Ich weiß kaum, was ich beten soll. – So elend bin ich in der Seele.«


Am Abend dieses Tages stand Fredigundis in der Krypta der Burgbasilika vor dem geöffneten Reliquienschrein. Zwei Männer knieten vor demselben und legten die Schwurhände auf die Heiligtümer darin; nur trübes Licht verbreitete eine Ampel in dem gruftähnlichen, nach Moder riechenden Raum.

»Steht auf! Ihr habt geschworen. Nun hört auch meinen Schwur« – und sie ergriff mit der kleinen weißen Hand einen Totenschädel und hob ihn in die Höhe: »laßt ihr das geringste unerfüllt an eurem Eide, so laß ich euren Vater und eure Mutter Glied für Glied mit glühenden Zangen zerreißen, so wahr ich hier in die Augenhöhlen Herrn Apers, dieses großen Heiligen, greife. Ja, hört noch mehr. Beim Leben meines Knaben schwör ich's euch: das ist mir das Höchste. Nun werdet ihr es wohl glauben. – Geht nun sofort! Ich hab' euch frei Geleit erwirkt bei Herzog Gundovald als Überbringern meiner Bittschrift an . . . ihn. Hier sind meine Briefe an ihn und an sein . . . Weib, in welchem ich ihrer beider Gnade anflehe. Zeigt sie Herzog Gundovald! – Und hier« – sie blickte scheu um – »hier sind die beiden Messer. – Hütet euch aber! – Das Gift in den eingeritzten Runen ist furchtbar: – ritzt ihr euch nur die Haut mit diesen Skramasachsen, seid ihr tot, rettungslos. – Und merkt euch die Namen der andern: – Sigila, Charigisel, Theudulf! Werdet ihr ergriffen, so trefft euch rasch noch selbst: dann seid ihr schmerzlos tot. – Entkommt ihr aber mit dem Leben, so will ich euch reich und mächtig machen vor allen Franken.«

 


 

Siebentes Kapitel.

Noch einige sehr schwere Wochen gingen hin über die in Tournay Eingeschlossenen.

Immer drückender ward der Mangel; Seuchen brachen aus in der hungernden Bevölkerung; auch die Besatzung war auf das Notdürftigste beschränkt; alle Pferde der Reiter waren längst geschlachtet und verzehrt. Die verstärkte Macht der Belagerer bedrängte Tag und Nacht, sich ablösend, die Verteidiger der Wälle, die Hunger und Wachen entkräfteten.

In den letzten Tagen hatten die Feinde einen Holzturm gebaut, der die äußere Umwallung an der niedersten Stelle überhöhte, und denselben, trotz aller Gegenanstrengungen der Verteidiger, auf seinen Rädern so nahe an die Mauer geschoben, daß nur noch der schmale und nicht tiefe Festungsgraben, dessen Wasser – aus der Schelde – längst von den Belagerern abgeleitet worden war, mit Reisig ausgefüllt zu werden brauchte: dann konnte man von dem Turm aus die Fallbrücke auf die Zinnen werfen; dies war für den nächsten Morgen vorgesehen. –

Gegen Mitternacht erschien Chlodovech vor dem König oben in der Hochburg. »Vater,« sprach er kurz, »du mußt wissen, was bevorsteht. Ich wage einen Ausfall, den letzten. Gelingt es, den Turm in Brand zu stecken oder umzustürzen, so ist noch ein kurzer Aufschub gewonnen. Mißlingt es, so fällt sofort die Stadt; die Burg ist dann auch nicht zwei Tage mehr zu halten.« »Ich will diesen letzten Ausfall führen,« sprach der König entschlossen. – »Nein, Vater, du mußt des Befehls in der Burg walten; all unsere Grafen sind wund oder krank oder – übergelaufen. Und Bruder Theudibert zählt ja nicht.«

Aber als Chlodovech um Mitternacht in aller Stille seine kleine Schar an dem Ausfallpförtlein ordnete, trat Theudibert zu ihm, in vollen Waffen.

»Was willst du, Bruder?« »Mitkämpfen,« klang es tonlos zurück. – »Und dein Eid? – Hast du dem Gezisch jener Schlange gelauscht, du dürfest mit der Streitaxt . . . –? – Aber nein: du führst das Schwert.«

»Ich verschmähe diese jämmerliche Ausflucht, obwohl auch der Vater sie empfahl. Ich lüge mir nichts vor. Ich breche meinen Eid.« – »Oh Theudibert, thu's nicht! Warum thust du's?« »Warum?« Er lachte bitter. »Weil ich muß. Sie – sie warf sich mir zu Füßen, das Kind im Arm, die Rechte flehend nach mir ausgestreckt – vom roten Haar umflutet: – sie bat, sie jammerte, sie weinte, ich solle ihr helfen. – Ich muß.« »Thu's nicht, Bruder! Denk der Ehre! Thu's nicht! Ich sorge,« sprach Chlodovech, »der Eidbruch schadet uns viel mehr bei den Heiligen, als dein Schwert, so tapfer ich es weiß, uns nützt gegen die Feinde. – Aber ich fürchte: es ist doch alles gleich. Auf mit dem Thor! Und drauf!« –

Heiß, aber kurz war das Gefecht.

Die Hoffnung, die Feinde zu überraschen, schlug fehl: Überläufer hatten den geplanten Ausfall verraten. Der Turm schien leer – nur von wenigen Wächtern behütet. Jedoch kaum waren die Ausfallenden auf schmalen Balken – einer Art Notbrücke – über den Graben gelaufen und in die Nähe des Turmes gelangt, als plötzlich aus dessen oberen Stockwerken Geschosse auf sie niederhagelten, aus dem Dunkel des Grabens überall Krieger auf bereit gehaltenen Leitern an die Notbrücke emporkletterten, aus den Zeltreihen hinter dem Turm die Hauptmacht hervorbrach. –

Der Lärm des nächtlichen Kampfes schreckte Fredigundis aus schweren Träumen. Sie riß ihr Kind aus den Decken neben ihrem Bett und flog aus dem Schlafgemach in den großen Saal.

Hier kam ihr schon Chilperich entgegen, ein nacktes Schwert in der Hand. »Alles ist verloren! Der Ausfall mißlungen! Chlodovech gefangen! Die Unterstadt in Feindes Hand! Theudibert ward blutend in die Burg getragen.« – »Aber diese, die Burg? Sie ist –?« – »Noch nicht genommen. Doch sie fällt morgen bei Tagesanbruch. Fällt sie durch Sturm – wer weiß, wer dann verschont wird im Kampf – nach dem Kampf! Es ist vorbei! Ich habe beschlossen, mich zu ergeben.« »Chilperich!« rief sie entsetzt. Todesangst stieg ihr ans Herz, wie wachsende, würgende Flut. »Das wirst du nicht! Du bist so klug – erfinde, ersinne.«

»Hier ist nichts mehr zu ersinnen. – Mein Bruder wird mein, wird unser Blut nicht vergießen.« – »Das deine nicht! Aber – das meine gewiß! – Gewiß! – Oh ich Unselige! – Und jene beiden Boten! Keine Nachricht! – Sie sind gewiß . . . verunglückt!«

»Wovon redest du? – Es bleibt nichts übrig als . . . –« »Nein!« schrie Fredigundis. »Töte mich! – Da – du hast ja ein Schwert in der Hand. Aber laß mich nicht lebend in seine, – in Galsvinthens – wollte sagen: in Brunichildens Hände fallen. Nur das nicht! Sie werden mich foltern, mich verstümmeln! – Oh weh! – Es giebt so grausige Dinge. Ich sah ein Weib mit abgeschnittener Nase – schauerlich war's zu sehen! Und ach meine Augen! Sie werden mich blenden! – Wie du, Chilperich, so viele geblendet hast! – Töte mich! – Ich bin zu feig! Ich bring es nicht über mich.« –

»Du rasest! Spring nicht in den Tod, aus Furcht vor dem Tod! Aber horch! Das sind Axtschlage.« »Was bedeuten sie?« schrie sie, sich ängstlich an ihn klammernd. – »Sie stürmen schon die Burg selbst. Laß mich! Ich muß eilen, die Übergabe zu erklären.«

»Nein, nein, ich laß dich nicht von meiner Seite. Schütze mich! Du bist mein Gatte: du mußt mich schützen« – sie zerrte an ihm – »mich und das Kind!«

Der Säugling, verstört durch ihr lautes Rufen und ihre wilden Bewegungen, brach in Geschrei aus.

»Ah, und du, armes Geschöpf!« Sie sank mit dem Kind auf dem Arme in die Kniee. »Du mein Liebling auf der ganzen Erde – du mein Stolz, meine Hoffnung? Auch du sollst in des Übermüt'gen Hände fallen und . . .–« – »Sei ruhig, Sigibert mordet keine Kinder!« »Aber sein Knecht wirst du sein, solang du lebst! Geduldet bald, bald doch wieder gestoßen und zurückgeschoben hinter – ihren Kindern! – seinem Blut! Um deiner Mutter willen geschmäht, verachtet! – Nein!« – wie rasend sprang sie auf. »Nein! Nein! Das sollst du nicht! Das spar' ich dir – aus Liebe! Aus echter Mutterliebe. Mir selbst kann ich nichts zuleide thun – es thut gewiß so weh!« – klagte sie. – »Ich fürchte mich so vor den scharfen Spitzen. Aber dich – dich kann ich erlösen von dem drohenden Elend. Hinab mit dir, mein süßes Kind!«

Und sie faßte es plötzlich mit beiden Händen an dem Knöchel des einen Fußes und sprang damit gegen das offene Saalfenster, von welchem man turmhoch in die Schelde hinuntersah. »Wahnsinnige!« rief Chilperich, fiel ihr in den Arm, entriß ihr das Kind und übergab es Rulla, die auf das Geschrei ihrer Herrin herzugelaufen war. »Dein eigen Kind! Was ist noch vor dir sicher?« –

»Ach, leider nur ich selber,« stöhnte sie. »Ich kann's nicht selber thun. Chilperich! Wenn du alles wüßtest – du ließest mich nicht lebend in jene Hände fallen. – Die beiden Boten, die ich mit Flehbriefen ausgesandt, – sie sind gewiß ergriffen! – Oh! – Ich beschwöre dich, durchstoße mir die Brust! – Aber rasch! – Und bitte, nur Einen Stoß,« Und sie riß das Hemd von der Schulter und warf sich vor ihm auf beide Kniee und rief: »hierher! hier ist das Herz.« Unwillig herrschte er ihr zu: – »Ich morde keine Weiber! – Horch! Was ist das? Ein Heroldruf? Nochmal! – Das Stürmen schweigt! Die Unsrigen antworten. – Was geht dort vor? – Wer kommt! – Wie? – Was sehe ich? – Herzog Gundovald, einen weißen Stab in der Hand!«

Der Herzog, eine hochragende Kriegergestalt, in vollen Waffen, trat langsam, zögernd ein. Nicht Siegesfreude lag auf seinen Zügen: – vielmehr tiefer Ernst. »Was bringst du, Herzog?« rief Chilperich.

Fredigundis raffte sich vom Boden auf und bedeckte ihre Brüste mit der Hand und dem breitwallenden Haar: – sie hatte nicht die Kraft oder die Besinnung, ihr Hemd wieder nach der Ordnung umzuthun: starr heftete sie die grauen Augen auf den Feind, an dessen Wort ihr ganzes Schicksal hing. – »Den Frieden, König Chilperich. – Der Krieg ist aus. – Vor dem letzten Thore deines Burghofs traf mich die furchtbare Nachricht: die Kunde, König Sigibert – ist tot.« – »Ah, ah!« schrie Fredigundis und sprang vom Boden auf. – »Tot!« rief Chilperich. Das Schwert fiel ihm aus der Hand. »Wo? Wie?« – »Ermordet, zu Vitry, bei der Erhebung auf den Königsschild.« »Dank dir, Gott!« jubelte Fredigundis, riß ihren Knaben aus den Händen Rullas und hob ihn hoch empor. »Oh all ihr Heiligen! – Ich danke euch! Ihr hörtet mein heißes Flehen. – Hei, mein süßer Knabe! Du bist gerettet! Nun wirst du doch noch Krone tragen.«

 


 


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