Anna Croissant-Rust
Die Nann
Anna Croissant-Rust

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14

Als die Nann vom Begräbnis der Frau nach Hause kam, traurig und niedergeschlagen, empfing sie Binder mit unfreundlichen Worten. Sie war ihm zu lange ausgeblieben, er hatte sich mit den Kindern abgeben müssen und fühlte sich noch krank, das alles machte ihn böse und gereizt. Das Verletzende lag mehr im Ton als in den Worten, die er Nann gab.

Ungewohnt solchen Tones schaute die Nann den Mann zuerst groß an. Was war das gewesen? Sofort war auch ihr Trotz da. Sie warf den Kopf in den Nacken und rief ihm zu:

»Wenn du so anfangscht, weil die Frau tot ischt, so geah i glei. Koan Tag mehr blei i bei dir!«

Wenn sie etwas nicht vertragen konnte seit ihrer Kindheit, so war es Ungerechtigkeit. Gleich lehnte sie sich in heftigster Weise dagegen auf, so etwas machte sie halsstarrig und bockbeinig; so war's schon im Kuchlerhaus gewesen mit dem Vater, so war's mit der Dicken, und nun fing der Bahnwart wohl auch noch an? Die dicken Tränen standen ihr gleich in den Augen, und das Heimweh nach der Toten überkam sie, gerade seiner bösen Worte halber. Aber sie zeigte 204 es ihm nicht, sie schaute ihn gar nicht an und gönnte ihm den ganzen Abend kein gutes Wort, obwohl er gleich wieder einzulenken und sie zu beruhigen versuchte. Alles in ihr war Empörung, und erst des Nachts im Bett kam die Ratlosigkeit dazu. Sollte sie dem Binder kündigen? Wen hatte sie denn auf der Welt? Und wohin sollte sie gehen, wenn sie das kleine Wärterhaus verließ? Hatte sie nicht der Frau versprochen, zu bleiben und die Kinder nicht zu verlassen?

Das gab der Nann auf einmal eine große Zuversicht und auch eine ungewöhnliche Weichheit, der Gedanke an die Kinder, die keine Mutter mehr hatten und die ihr anvertraut waren; sie bemühte sich, von nun an ruhig und verständig zu sein und den Binder, der doch immerhin noch krank war, nicht zu reizen.

Einige Zeit ging es ganz gut, aber der Binder konnte den Groll und Unwillen, in die sich sein Schmerz um den Tod der Frau verwandelt hatten, nicht lange verbergen, zumal er durch die Untätigkeit und das Herumsitzen im Hause ohnehin gereizt und geärgert war.

Mit heftigen Reden klagte er Gott an, der es gerade auf ihn, den Ärmsten, abgesehen hatte, der gerade ihn quälen mußte, ihn, der so wie so sein ganzes Leben nur Elend und Not gehabt hatte.

Auch als er wieder gesund war, ging er in keine Kirche mehr und betete auch nicht mehr; aus den Kindern machte er sich gar nichts, ja sie waren ihm nur eine Last, und fing eines an zu schreien, konnte er ohne Grund sinnlos darauf losschlagen, daß die Nann sie ihm wegreißen mußte. Am liebsten hätte 205 er sie auch mit geschlagen, das stand deutlich auf seinem Gesicht, und die Nann duckte sich so manchesmal und wartete, daß er zuschlüge, aber er hielt doch noch an sich.

Es war, wie wenn mit dem Tode der Frau eine Roheit in ihm wach geworden sei und eine Auflehnung gegen sein ganzes Leben, die auch nur halbwegs einzudämmen alle Bemühungen der Nann nicht imstande waren. Und sie gab sich ordentliche Mühe, sie schluckte manches und versagte sich manches, nur um es dem Manne zu Dank zu machen. Natürlich fehlte es trotzdem da und dort, die Frau ging eben überall ab. Und das verhehlte ihr Binder keineswegs.

»Des ischt nix und 's sell ischt nix,« tadelte er oft, oder »des hat die Frau so g'macht und des so.«

»Und i mach's a so,« erwiderte gewöhnlich die Nann, »und wenn dir's nit paßt, Binder, sag's nur, ich bin so nimmer gern bei dir, mi' derbarmen grad' deine Kinder, und die Frau hat mir's auf die Seel' bunden, daß i sie nit verlass'.«

Gewöhnlich stimmte das den Mann weicher, er gab nach und ließ die Nann gewähren, ja er war sogar weniger mürrisch, aber bald saß er wieder auf der Ofenbank, ganz wie der alte Kuchler, und stierte in eine Ecke, oder er brachte die freien Stunden in Gries oder am Brenner zu und kam so hinters Trinken.

Wie eine Alte machte ihm dann die Nann Vorstellungen, redete ihm zu, zankte und schalt sogar.

»Hast recht, Madel!« sagte er oft ganz weinerlich, »aber du versteahst 's decht nit, bist no viel z'jung, was woaßt du!«

206 »Des woaß i aber, daß du nie koan Rausch g'habt hascht und nie so z'wider warscht; g'rad weil i so jung bin, sollscht di schamen.«

In seinem halben Dusel fing er manchmal zu heulen an und versprach der Nann alles mögliche, ganz, wie wenn sie eine vernünftige, erwachsene Person gewesen wäre, aber sehr lange hielt er seine Versprechungen nicht.

Gegen das Frühjahr hin wurde es besser, obwohl er die Kinder noch nicht gern um sich haben mochte. Seit er nicht mehr so viel in der Stube hocken mußte, seit Tür und Fenster wieder offen standen und das kleine Wärterhaus förmlich durchleuchtet war von der Sonne und er mit der Nann das Gärtchen zu bebauen anfing, war er nicht mehr so wild und finster; mürrisch und wortkarg blieb er ja, aber die wüsten Reden und das ewige Tadeln ließ er.

Jetzt hatte sich die Nann ganz schön hineingefunden, alles allein zu machen, und sie setzte ihren Ehrgeiz darein, das kleine Haus blank zu halten. Ganz wie ihre Mutter, konnte sie nicht genug Blumen ziehen, und Binder brummte oft über die Zeit, die sie dabei verlor.

Groß war die Nann geworden, ihre Wangen fingen an rot und rund zu werden, und ihr lichtes Kraushaar wurde dichter und unbändiger und flog ihr ums Gesicht, wenn sie bei ihrer Arbeit im Bergwind draußen stand.

Am liebsten trug sie alles hinaus und arbeitete draußen. Da war's ihr am wohlsten, und war Binder nicht in der Nähe, so sang und schrie sie über die Berge hin und die Kinder schrien mit ihr. Oft 207 beugten sich erstaunte und neugierige Gesichter aus den vorbeieilenden Zügen und schauten nach dem großen barfüßigen Kinde, das sich im Sonnenschein und in der Freiheit nicht helfen konnte vor lauter Lebenslust und jubilieren mußte.

Manchmal kam auch die ganze ungenossene Kinderfreude über die Nann, und sie konnte mit den zwei Kleinen über die Hänge rollen, sie haschen und necken und plagen, ganz wie wenn sie auch noch ein Kind wäre; sie machte ihnen Puppen aus alten Lumpen, mit denen sie dann alle drei an Sonntagen, wenn Binder nicht da war, ernsthaft und wichtig spielten. Denn er durfte nichts wissen davon, daß die Nann noch spielte, arbeiten sollte sie, sich um alles kümmern, er sah doch, daß es da und dort fehlte!

Einmal hatte er zugehört, wie die Nann dem größeren Kinde dieselben Dinge erzählte, die er selbst der Nann im ersten Winter erzählt hatte. Die Züge und ihre Geschichten hatten ja längst den ursprünglichen Reiz für die Nann verloren, sie sah gar nicht mehr nach ihnen hin, sie dachte an nichts, wenn sie vorüberfuhren, sie war das alles längst gewöhnt. Nun aber, weil die Kleine oft unartig und unruhig war, besonders an Regentagen, und sie das Kind im Zimmer halten wollte, kamen ihr die alten Sachen alle wieder; nur vergrößerte sie sie, putzte sie auf, es wurden beinahe phantastische Märchen daraus, und das Kind sah mit einer Art von scheuer Ehrfurcht den Zügen nach.

»Verzähl decht koane solchen Sachen,« tadelte sie der Bahnwart.

»Aber Binder, du hast sie mir ja selber verzählt!«

208 »Decht nit aa so! Des ischt a verrucktes Zeug!«

Dasselbe sagte er, als er sie einmal beim Märchenerzählen belauschte. Die Nann war so vertieft, daß sie ihn gar nicht bemerkte. Die Rückerinnerung an Hansi und Rosele, überhaupt an Malsein, machte sie erregt, sie erzählte weiter und weiter, sie dachte an gar nichts sonst mehr, ließ sich nur von den Wogen tragen und schaukeln; sie verliebte sich förmlich in ihre eigenen Geschichten, die sie so lange vergessen hatte und die jetzt alle wieder zum Vorschein kamen, die einen schnell und eilends, die andern scheu und zögernd; aber alle erschienen sie ihr neu und anders, und sie konnte kein Ende finden, sie nach allen Seiten zu drehen und zu wenden.

Da kam sie beim Binder gut an! Er jagte sie aus der Stube an die Arbeit und verbot ihr, dem Kinde solch dummes und ›derlogenes‹ Zeug in den Kopf zu setzen.

»Wenns Arbeten aa so gang bei dir,« schalt er.

Die ganze Art Nanns, zu arbeiten, etwas anzufassen, etwas hinzustellen oder zu reichen, bekam etwas Aufreizendes für Binder. Sie machte alles anders wie andre Leute; es sah alles anders aus, wenn sie's in die Hand nahm, zierlicher, feiner, eben anders, und dagegen empörte er sich. Es kam ihm wie eine Anmaßung vor, wie eine Überhebung von der armen Dirne. Wie sie nur die Füße setzte und den Kopf trug! Anders, ganz anders wie alle Kinder ihres Alters, anders wie die Dirnen und Frauen, die er kannte, mehr wie die »Herrischen« und doch nicht so, das mußte ihr von der Mutter her im Blut stecken, und es wurde ärger, je älter sie wurde. Er verwies es ihr oft mit barschen Worten, ja, er konnte 209 ihr nicht mehr zuschauen, er hätte ihr auf die Finger schlagen müssen, die alles so absonderlich anpackten.

»Wenn i decht nit anders kann!« erklärte ihm die Nann.

»So lern's.«

Daß sie es nicht lernte, erschien ihm als richtige Verstocktheit, und er hatte jeden Tag seinen Ärger über ihren dummen Stolz und ihren Eigensinn.

»Du hast dein' Stolz nötig!« sagte er ihr immer.

»I bin decht nit stolz,« wehrte die Nann ab, »warum soll i denn stolz sein!«

»Du bischt es halt und woaßt es nit; hättscht halt in an Schloß auf die Welt kemmen sollen und nit in der Räuberhöhl'!«

Solche Reden kränkten die Nann mehr als sein Zanken. Konnte sie denn dafür, daß sie so und nicht anders war? Konnte sie sich ändern, wenn sie sich vor etwas ekelte, das dem Binder Spaß machte?

Das Erzählen konnte sie lassen, wenn es sein mußte, aber ihre Finger vermochte sie doch nicht zu zwingen, so und so zu tun, und ihren Kopf nicht anders zu halten und ihre Füße nicht so zu setzen, wie es der Binder haben wollte! Was hatte er denn nur? Es sah sie ja keiner, war denn das nicht einerlei da heroben? Fort kam sie ja wunderselten, und es verirrte sich kaum einer hinauf, es mußte denn ein Bergsteiger sein, der den Weg abwärts verfehlt, oder ein Holzknecht, der pfadlos den Berg herunterkam, um schneller in Gries oder am Brenner zu sein. Was zu holen war, schleppte der Bahnwart herbei, und ihr war's recht so, sie wußte ihn nicht gern allein bei den Kindern; ging sie je einmal, so erhoben die ein solches Zetergeschrei, daß sie gern zu Hause blieb.

210 Was hätte sie auch unten suchen sollen? Die Leute waren ihr alle fremd, in die Kirche kam sie nicht, weil der Bahnwart am Sonntag fortwollte, die Glocken hörte sie herauf, so betete sie eben zu Hause.

»Nann, was tuascht?« fragte dann oft das größere der Kinder.

»Beten tua i.«

»Wie tuascht beten?«

»A so!« Nann nahm das Kind auf den Schoß und wollte es lehren, das Kreuz zu machen. Ein paarmal probierte die Kleine geduldig, dann wurde sie ungeduldig, hielt Nanns Hand fest und greinte eigensinnig: »Nit! nit!« Warf sich wohl auch ungestüm an ihre Brust und schlang die kleinen Arme so plötzlich um den Hals, daß sie beide umfielen und zu lachen begannen.

Nann dachte sich dann: ›Ach was! hat noch Zeit, verstehst es so nit!‹

Jedoch die Kleine, der dies Hinundherfahren über das Gesicht in keinem Zusammenhang mit dem Beten zu stehen schien, fing hartnäckig immer wieder an: »Wie tuascht beten? So sag, Nann.«

»Zum Himmelvater bet' i.«

»Wo ischt er?«

»Da oben, wo die Sonne scheint.«

»Und wo no'?«

»Da überall, wo mir sein, im Wald und da ummer!« Die Nann zeigte über die Wiese weg in die Ferne.

Das verstand das Kind eher; es hielt die Hand vor die Augen, gerade wie es die Nann machte, und schaute in die Weite.

211 »I siech ihn nit,« sagte es endlich.

»Aber er sieht di, er woaß es, ob du brav bischt.«

Das klang so ähnlich wie die Märchen, die die Nann oft erzählte, aber ganz zufrieden war das kleine Mädchen doch nicht.

»Zu wem sagt er's?«

»Zu mir.«

»I hab' nia nicht g'hört.«

»Du muascht warten, bis du so groß bischt wie i.«

»Kimmt nachher aa die Mutter wieder?«

Es war das erstemal, daß das Kind von der Mutter redete, und die Nann sah es erstaunt an.

»Wer sagt des?«

»Der Voda; er sagt, wenn i brav bin, kimmt amal die Muatter wieder.«

Die Nann nahm das Kind in die Arme, es tat ihr weh, nur daran zu denken, daß sie die Kleine einmal einer andern überlassen müßte.

»Ja, ja, wenn du groß bischt,« beschwichtigte die Nann sich und das kleine Mädchen. –

*

Wenn die Kinder schliefen und Binder auf der Strecke war, band die Nann gewöhnlich die Geiß los und trieb sie auf die Raine hinaus, um sie zu hüten. Wohl hätte sie drinnen arbeiten sollen, sie wußte das, sie wußte auch, daß der Bahnwart zanken würde, aber es kam immer im Frühjahr und Sommer über sie, sie war unlustig zur Arbeit; sie konnte dafür stundenlang stillsitzen, jetzt, wo sie sich selbst überlassen war, die Knie hochgezogen und die Arme darumgeschlungen. So schaute sie über Berg und Tal und sah alles und sah nichts. Eine süße Erschlaffung, 212 wie ein klarer und doch wirrer Traum, kam über sie, und dann fing's wieder da drinnen an zu brennen, eine richtige Sehnsucht, wenn sie an den Gletschern vorbei durchs Himmelblau immer weiter und weiter schaute und immer mehr Berge sah, immer mehr, immer einer hinter dem andern auftauchte und der eine wie im Goldglanz, der andre wie Silberflimmer schillerte, – dort tanzten wahrhaftig die saligen Fräulein, man sah ja ihre Schleier wehen, und dort blühten die Rosen von König Laurins Zaubergarten, und wo die Berge sich senkten, da, wo's gegen das breite Sterzinger Moos ging, da hockte der tückische Zwerg, den Hansi so gern hatte, der, der die Wägen und Karren festzunageln wußte und nun in die Zirogenwand verbannt war, wo er ewig heulen mußte.

Manchmal aber lag sie nur dort und schaute in die Ferne und in den Himmel, an dem schneeweiße kleine Wolken wie verschüchtert zogen, und die graue Ferne lockte sie; sie wußte nicht, was es war, so schwer und weh wurde ihr ums Herz, und sie konnte sich nicht losreißen, konnte nicht aufstehen, sie mußte liegenbleiben und in die Weite starren.

Manchmal kam ihr auch ein richtiges Heimweh; ein Verlangen, jemand zu haben, der sich um sie bekümmerte, der gut zu ihr sprach, so wie Binder früher zu seiner Frau gesprochen, so wie Hansis Mutter mit ihm geredet, eine Mutter, der sie alles hätte sagen können, auch alles, was da drinnen so unklar, so schwer und so bang war und sie quälte und ihr doch wieder so süß erschien, daß sie es nicht abschütteln mochte – stundenlang blieb sie oft liegen, ganz im Banne der fremden Macht.

213 Hörte sie dann Binders Stimme, sprang sie sofort auf; sie wußte, sie hatte unrecht getan, und er würde sie zanken; mit gesenktem Kopf kam sie zu ihm, mit Augen, die ganz dunkel aussahen wie Kuchleraugen, mit einem trotzigen Zug um den Mund, und ließ alles über sich ergehen.

Hatte den Binder das ganz besondere Wesen, ihre von den andern unterschiedliche Art zu arbeiten, überhaupt etwas anzupacken, stets ärgerlich gemacht und zum Widerstand gereizt, so brachte ihn ihre offenbare Faulheit oft so weit, daß er zuschlug. Nie sagte die Nann etwas oder klagte gar, ja, sie arbeitete lieber bis tief in die Nacht hinein, um alles wieder gutzumachen. Aber immer kam die Versonnenheit wieder über sie, der Geist der Träumerei – »die welsche Faulheit von der Mutter her«, wie Binder sagte; immer ließ sie wieder die Hände sinken, immer lag sie draußen am Rain oder saß im Winter zusammengekauert am Ofen und schreckte erst zusammen und hatte ein böses Gewissen, wenn sie den Bahnwart hörte.

Sie holte wohl alles wieder nach, was sie nur konnte, aber dies Verbergenmüssen, dies Versteckspielen wurde ihr schwer und machte sie unsicher. –

An einem heißen Sommertage kam wie von ungefähr der Michel in das Bahnwarthaus geschneit. Er war droben auf der Padauner Alm gewesen, hatte dem Senner Brot und Speck gebracht und Käse dafür mitgenommen. Es war ihm bei der Gluthitze, weil er sich oben ›verplauscht‹ hatte, eingefallen, ohne Weg und Steg den fast kahlen Berg herunterzulaufen, direkt in das Bahnwärterhaus hinein. Binder war auch da, als er schweißtriefend und 214 keuchend ankam, und rückte ihm bereitwillig den Stuhl zurecht: die Nann brachte kalte Milch und Brot aus dem Keller, denn der Michel in seiner Mordshitze hatte gleich um Milch geschrien.

Nun saßen sie in dem halbdunkeln Zimmer, das voll grüner Lichter war von den Blumenstöcken an den Fenstern, und der Michel sah den Binder zufrieden an, noch mehr aber die Nann, die ab und zuging in ihrem sauberen weiß und blauen Leibchen, ganz Gesundheit und Frische, die kleinen Schweißperlchen unter dem krausen Haar auf der Stirne.

»Herrgott, Binder!« schrie auf einmal der Michel und klatschte ihm dabei freundschaftlich auf das Bein, »du wirscht mir decht nit die Nann heiraten wollen? Wenn i sie für mi aufg'halten will?!«

Binder riß die Augen auf und betrachtete aufmerksam den Michel, wie wenn etwas nicht richtig bei ihm wäre.

»Die Nann? Gelt, du bischt verruckt? Sie ischt ja no a Kind.«

»Ja, schau sie nur an!« lachte der Michel, und die zwei Männer betrachteten die Nann aufmerksam, die noch immer dort stand, wie wenn sie ihren Ohren nicht traute.

»Sie waar mir lieber als die Moidl,« erklärte der Michel, »da geh her, Madl! Schaut sie nit aus, wie wenn sie achtzehne waar'?«

Aber die Nann schlug ihm auf die ausgestreckte Hand, und ehe er sich noch erhoben hatte, sie zu fangen, war sie mit rotem Kopf zur Türe hinaus, war über die Stiege gesprungen und hatte sich in ihre Kammer eingeschlossen.

215 Den Binder heiraten! Den Binder, den sie bis jetzt fast wie einen Vater angesehen, der ihr Dienstherr war und in ihren Augen ein alter Mann! Diesen wüsten, groben Kerl, der das Gutsein ganz verlernt hatte und sie und die Kinder schlug?

Um keinen Preis der Welt hätte sie sich von diesem rotbärtigen struppigen Kerl küssen lassen, von ihm, dessen Stiefel sie schon mit Widerwillen putzte! Dieser abscheuliche Michel!

Die Nann hätte gerad' hinausheulen mögen vor Zorn über den frechen Kerl, was fiel denn dem ein, sie so zu necken? Sie war doch noch ein Kind!

Ganz langsam ging sie auf den kleinen Spiegel zu. – Sah sie denn wirklich aus wie achtzehn Jahre?

Nie hatte sie an so etwas gedacht, wenn sie sich in dem kleinen Scherben anschaute. Ja, ob sie gut gezopft, ob ihr Gesicht rein wäre, ob die kleine Brosche am Sonntag richtig steckte, deshalb hatte sie hineingesehen. Sie freute sich wohl auch, wenn ihr die blonden Ringeln in die Stirne hingen, oder freute sich, wie weiß und rot ihre Haut war, wie dunkelblau ihre Augen mit den schwarzen Brauen und wie rot der Mund, sie fand immer, daß ihr da ein hübsches Diandl entgegenschaute, und war stets darauf aus, sauber und nett auszusehen.

Sie schob den kleinen Spiegel hin und her, betrachtete sich von allen Seiten, wahrhaftig, sie konnte nicht finden, daß sie anders aussah als sonst, – nur wenn sie genauer zusah, jawohl, für siebzehn konnte man sie wohl halten. War sie nicht groß und stark geworden, hatte dicke Arme und eine runde Brust bekommen? Deshalb wurde sie aber doch noch nicht 216 sechzehn, und bis jetzt war's ihr nie eingefallen, an einen Mann zu denken, ans Heiraten schon gleich gar nicht.

Es war ihr ja noch viel lieber, über die Raine zu kollern, den Berg hinaufzulaufen und Blumen zu suchen, im Gras zu liegen und den Himmel anzuschauen, zu juchzen und zu singen!

Dieser abscheuliche Michel! Sie mochte dem Binder gar nicht mehr unter die Augen gehen, sie schämte sich und wich ihm aus, wo sie nur konnte.

Auch er war anders, karger in Worten, kürzer, wenn auch nicht unfreundlicher, und auch er vermied es, mit ihr zusammen zu sein. Es war etwas zwischen ihnen, und die Nann fragte sich oft: ›Ja, was ist denn anders, seit der Michel so dumm geschwätzt hat?‹ Der Binder war kein andrer, sie war keine andre, und er konnte doch auch nicht denken, daß etwa sie heiraten wollte!

Sie mußte ja lachen, wenn sie nur daran dachte!

Und doch war sie unruhig, sie hatte eine förmliche Angst vor dem Bahnwart, sie zitterte vor ihm, obwohl er sie fast gar nicht beachtete, ja, sie hatte schon einmal des Nachts davon geträumt, daß der Binder mit einem ganz lachenden Gesichte, mit seinem guten früheren Gesichte, zu ihr gekommen sei, um sie bei der Hand zu nehmen und nach Gries in die Kirche zu führen.

An einem Sonntage saß sie vor dem Hänschen auf der Bank, als sie seinen Schritt hörte. Schon wollte sie aufstehen und ihm aus dem Weg gehen, als er schon neben ihr saß. Und nun kam's beinahe so, wie sie geträumt hatte. Er rückte ihr immer näher, bis er dicht bei ihr saß; er legte seinen Arm um sie, 217 und die Nann saß ganz steif da und dachte nur immer: ›Jetzt wird's kommen,‹ ohne daß sie es wagte, sich zu rühren. Es kam auch; zwar Worte machte er nicht viel, er zog nur die Nann ganz dicht zu sich heran und sagte ihr ganz leis, fast heiser, ins Ohr:

»Nann, willscht du mi nit?«

Der Nann schlug das Herz, daß sie fast nicht antworten konnte, sie machte gar keinen Versuch, von ihm loszukommen, schüttelte nur immer den Kopf.

»Na, Binder, na, i mag di nit,« konnte sie endlich sagen.

»Du magscht mi aa nit heiraten?«

»Na, laß mi aus!«

Aber der Mann hielt sie zu fest, sie konnte sich nicht rühren.

»No a Jahr oder zwoa,« sagte er, »und jetzt a so –«

Aber die Nann hatte sich mit aller Kraft frei zu machen gewußt; sie gab ihm einen Stoß, sie war voller Angst und Zorn, im ärgsten Aufruhr. Wie wenn er sie verfolge, lief sie von ihm weg, der Stiege und ihrer kleinen Kammer zu. Sie riß die Fenster auf und schloß die Türe ab, und nun begann in aller Hast ein Kramen und Suchen und Packen, bis sie ihr Bündel beisammen hatte. Dann war sie auch gleich die Treppe hinunter, wie gejagt, und stand vor ihm mit vor Aufregung weiß und rot gefleckten Backen.

»I muaß gehen, Binder,« sagte sie, »des siehgst, glei muaß i gehen, i fürcht mi. Und dank' dir Gott für alles, die Kinder –«

Die Nann konnte nicht mehr weiter reden, so würgte sie's im Halse. Aber keinen Augenblick wollte 218 sie länger verweilen und lief von ihm fort den Pfad hinunter gegen Gries zu. Hinter sich hörte sie das Geschrei der Kinder, die ihr nachlaufen wollten und die Binder mit drohenden Worten ins Haus zurücktrieb.

 


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