Anna Croissant-Rust
Die Nann
Anna Croissant-Rust

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Die Kuchler-Moidl war in ungewöhnlicher Tätigkeit, etwas ganz Seltenes bei ihr, da sie in den paar Jahren, seit sie im ›Steinbock‹ in Steinach Dirne war, sich durch niemand in eine etwas beschleunigtere Gangart hatte versetzen lassen, schon aus Grundsatz nicht. Heute rannte sie die Stiegen auf und ab, was man eben bei ihrer etwas ›leibigen‹ Konstitution rennen heißen konnte. Heute paßte es ihr gerade, und sie, die sonst stets ein mürrisches Gesicht machte, wenn sie nicht gerade mit den Knechten im Hause oder mit einem Gaste schäkerte, kam jetzt aus dem Lachen nicht heraus. War's nicht laut, so war's leis, und prustete sie nicht heraus, so kicherte sie wenigstens.

Man rüstete sich nämlich im Steinbock zum ›Nikolo‹, und der Moidl war in diesem Jahre eine Rolle zugeteilt worden, die ihr eben diesen Mordsspaß machte, denn sie hatte sich was ausgedacht, was sie dem Michel, der sie halb zu Tod ärgerte, antun wolle. Das war ein wüster Kerl, der konnte einen bei der Arbeit sekkieren! Ihrethalben hätte er ruhig in Malsein bleiben können, sie hatte schon lange einen andern, und seine Bosheiten hätte sie gut entbehren können. Was konnte sie dafür, daß sie ihn nicht mehr mochte? Heute wollte sie's ihm aber heimzahlen, gerade in der Bauernstube vor allen Gästen! Ihr ging's wie den zwei ›Steinbockkindern‹, sie konnte die Zeit nicht abwarten, bis es endlich einmal anfing.

Die Privatzimmer waren für die Kinder gesperrt, aber es war ein Tuscheln drinnen, ein Hin- und Her-, ein Hinein- und Heraushuschen, ein Rauschen von Gewändern, ein unterdrücktes Kichern und, als Moidl 167 drinnen verschwand, auch ein Klirren von Ketten und ein tiefes, grunzendes Brummen.

Im Kinderzimmer herrschte dagegen feierliche Erwartung, die zwei Kinder wisperten nur leise miteinander. Es war wie an Weihnachten; war doch der Nikolo ein Vorbote des Christkindes und brachte eine solche Menge schöner und guter Dinge, daß die Kinder auf ihn warteten wie auf die Bescherung am Christabend. Nur hatte es diesmal seinen Haken. Ja, wenn der gräßliche ›Klaubauf‹ nicht dabei gewesen wäre, der schwarze, wüste Kerl, der all die Herrlichkeiten in seinem groben Sack verborgen hielt und sie nur dann herausgab, wenn man seine Gebete und Sprüche richtig aufsagte und wenn Mama und Kinderfrau bestätigten, daß das kleine Volk artig gewesen! War man bös, so reichte dieser abscheuliche Kerl dem Nikolo nicht etwa die schöne vergoldete Rute mit den Nüssen und Äpfeln dran, sondern eine ganz andre, eine ganz echte, gewachsene, derbe, schwarze, die man ordentlich spürte, die zwar der wilde, wüste Kerl nicht selbst auf einem tanzen ließ, weil das nur der Nikolo wagen durfte, aber er stand dabei, er rollte die Augen, fletschte die Zähne und klirrte mit den Ketten dazu, daß es gerade zum Fürchten war!

Das alles wußte der Franzele noch vom vorigen Jahre her, und erzählte es flüsternd der kleinen Berta, die mit aufgerissenen Augen, ganz rot vor Erregung, zuhörte.

Er natürlich fürchtete sich nicht, nein, gewiß nicht, das war nur so eine ›Hetz‹! Er und sich fürchten! Er ging doch schon in die Schule! Er würde dem ›Klaubauf‹ schon kommen, der sollte sich nur getrauen, ihn mit dem kleinen Finger anzurühren! Das Bertele, 168 meinte er, sei natürlich viel kleiner und hätte wohl eine Mordsfurcht, aber es solle sich nur nicht zu sehr ängstigen, er ließe ihm nichts tun, nur Courage!

Währenddem klopfte es leise, dann lauter und immer lauter an der Türe, und ein eifriges Getrappel entstand vor der Schwelle und allerlei verdächtiges Geräusch dazu, die Türe ging auf, die Kinder drückten sich aneinander, Franzele war weiß geworden wie die Wand.

Da kam voraus ein großer hagerer Mann in einem weiten weißen Priestergewand mit Goldborten, einen dicken goldenen Strick um die Mitte gebunden, daß das Gewand in Falten herabfiel. Darüber hatte er einen langen violettroten steifen Seidenmantel. Sein weißer Bart reichte fast bis zu dem goldenen Strick herunter, und weiße lange Locken fielen über die Schultern; auf dem Kopf trug er eine hohe goldene Bischofsmütze, und einen hohen vergoldeten Krummstab hielt er in der linken Hand. Er sah gar freundlich drein und schaute die Kinder aus guten blauen Augen an, ganz wie die Augen des großen Zimmermädchens Ottilie waren sie, und die hatten sie doch so gern! Auch die Stimme klang ähnlich, nur rauher! Nein, da fürchtete sich das Bertele nicht. Ganz resolut trat sie vor und machte einen Knix, als sie gerufen wurde.

»D' Hand busseln!« raunte ihr die alte Kinderfrau zu, und gehorsam nahm sie die große Hand und küßte den weißen Handschuh.

»Kannscht a Kreizel machen?« fragte der milde Bischof.

»Ei ja woll!« entgegnete sie fröhlich und fuhr 169 kreuz und quer mit dem Daumen über Stirn und Mund und Brust.

»Und beten aa?«

»Woll!« und sofort hub sie an: »Lieber Jäsu mach miach fromm, daß iach zu dir in Himmel komm. – No oans?« fragte sie, im Bewußtsein, noch zwei auf Lager zu haben.

»Na na,« wehrte der leutselige Bischof ab, »es g'langt a so scho. Ischt sie brav g'wesen?« fragte er darauf die alte Kindsin.

»Schon, schon,« nickte die.

»Nit alleweil,« sagte danach jemand. Jesus! Die Mutter! Sie war auch da?! Dicht neben dem heiligen Mann stand sie, und in der dunkeln Ecke rührte sich jetzt auch etwas, etwas Dunkles, Zottiges, und ein Klirren kam von dorther – der Klaubauf! Nun hielt er auch noch die Tür weit offen, und draußen standen der Papa, die Gotl, die Kellnerin Julie, die Zimmerinnen, der Bauknecht, die Dienstbotenköchin, der Michel, die Dirnen und wer weiß noch, der ganze Flur war voll. Da sollte man es nicht mit der Angst kriegen!

Das Bertele wurde noch röter, die Bäcklein glühten wie die Bratäpfel, und die Augen glänzten, wie wenn die Tränen kommen wollten. Doch blieb sie tapfer und fest vor dem Heiligen stehen.

»Jach hab' vernommen, daß du diach niacht gern waschen laßt in der Fruah.«

»Wenn 's Wasser decht so naß ischt,« verteidigte sich die Kleine.

»Und 's Nasele lascht nit putzen!«

»Sell woll,« gab sie kleinlaut zu und fuhr zur 170 Bekräftigung sofort mit dem Ärmel über die kleine Stumpfnase.

»Laß mi 's sell nia niacht mehr sehn!« tadelte der Bischof, »und daß di du waschen laßt, a kloans Fack mag der Himmelvater nia niacht! Aber weil du sonscht brav g'wesen bischt, sollscht du die schönen Sachen haben, die wo das Chrischtkind mir für diach gegeben hat.«

Endlich kam also die Belohnung! Endlich! Das Bertele war schon nahe daran gewesen, aus Zerknirschung zu weinen. Woher er nur alles wußte? Es war ja wirklich so mit dem Waschen und mit der Nase!

Und jetzt kam's aus der dunkeln Ecke vor, ein dickes schwarzes Ding in einer zerrissenen, haarigen Kutte mit einem weißgrauen Bart wie filziges Waldmoos, eine schwarze Kapuze über den Kopf gezogen, mit einem rußigen Gesicht und Zottelhänden; und erst wie die Augen rollten in dem schwarzen Gesicht! Wie der leibhaftige Tuifl sah er aus! Das schwarze Ding nahm grinsend und zähnefletschend den Sack von der Schulter, und der gute Bischof langte lauter schöne Sachen heraus. Zuerst eine goldene Rute mit Äpfeln und süßen Sachen daran; damit gab er der Kleinen einen leichten Schlag »fürs dreckete Nasele«, dann kam ein kleines Lamm mit einem schneeweißen lockigen Fell hervor, dem der Klaubauf auf den Kopf tippte, daß es »Mäh« schrie, dann ein Rührfäßchen, eine leuchtend rote Kapuze, ein großes Paket Lebzelten, eine Schachtel süßer Bonbons, akkurat wie an Weihnachten! Das Bertele hielt all die Herrlichkeiten mit beiden Armen an sich gedrückt und wollte sie der Kindsin durchaus nicht überlassen, doch die stieß sie: 171 »d' Hand busseln,« und den Kopf den schönen Sachen zugewendet, ›busselte‹ das Bertele den weißen Handschuh wieder.

»Wo ischt der Franzele?« fragte der gute Nikolo, aber er machte ein ernsthaftes Gesicht dazu.

Ja, wo war der Franzele?

Aus der hintersten Ecke, hinter dem Schrank, mußte ihn die Kindsin mit Gewalt vorziehen. Dort kauerte der stolze Kavalier seiner Schwester und wollte sich nicht einmal dem heiligen Mann vorstellen lassen. Schlotternd, die Augen voller Wasser, stand er vor ihm und getraute sich nicht einmal aufzuschauen.

»Mach's Kreiz!« herrschte ihn der Bischof an.

Er führte sogleich die Hand nach der Stirn, dem Mund und der Brust, aber alle fünf Finger zitterten.

»Tua d' Hand busseln,« mahnte die Kinderfrau und schob und drängte ihn vorwärts, er aber schob und drängte wie ein Bock nach rückwärts; denn je weiter er vorkam, desto näher rückte er dem fürchterlichen Klaubauf, der mit seinen großen weißen Zähnen und den rollenden Augen schrecklich anzuschauen war, gerade wie wenn er einen mit Haut und Haar verspeisen möchte, und der ihm mit einer verheißenden Gebärde eine große Rute zeigte, wobei er unaufhörlich mit den Ketten rasselte.

»Tua beten!« befahl der Heilige.

Franzele stotterte etwas heraus, schielte aber beständig nach der Rute, die viel zu langsam hinter dem breiten Rücken des Schwarzen verschwand.

»Ischt er brav g'wesen?«

Die Frage war an die Kindsin gerichtet. Sie schwieg.

172 »Decht amal, moanet iach schon?« Diesmal galt's der Mutter. Aber auch die schwieg; im Flur draußen kicherten alle.

»Jach habe gehört, daß du dein Schweschterl, das Bertele, zwickscht, daß du der Kindsin die Zunge herausreckscht, daß du die Moidl an die Wadeln stoscht mit die deinigen Absätz; iach habe gehört, daß du sogar der Mami niacht folgscht, daß du die Katze und den Feldi quälen tuascht, daß du die Ottilie geschlagen hascht und die Moidl angeschbieben, daß du dem Bertele seine Guterln zusammenissescht und daß du den Bergele vom Malseiner mit einem Zündhölzel gebrannt hascht, dafür sollscht du jetzt Prügel kriegen!«

Und mit einer Schnelligkeit, die wenig zu dem heiligen Gewand stimmte, hatte der Bischof den Buben gepackt, und sofort reichte auch der Klaubauf die Rute her, aber ehe sie noch auf die wohlgenährte Stelle niedergesaust war, die der Heilige sich sachverständig ausgesucht, und die den Vorzug hat, bei solchen Prozeduren gewöhnlich gewählt zu werden, fing Franzele ein Zetergeschrei an, das im ganzen Hause widerhallte und das gewiß die Gäste in der Bauernstube, in dem schönen, zirbengetäfelten Speisezimmer und im kleinen Andreas-Hofer-Stüberl hätten hören müssen, wenn es nicht zu voll und zu lebhaft dort gewesen wäre.

Die Rute erhielt der Franzele aber doch, wie er auch schrie und strampelte und brüllte und seine Absätze in gewohnter Weise die Schienbeine suchten.

»Es ist genug!« rief die mitleidige Mutter.

»Noch a bissele,« befahl der Vater, und das Gesinde reckte sich und schmunzelte, obwohl sie alle 173 wußten, daß die Prügel keine so heftigen waren, als sie schienen.

»Es g'langt schon!« rief bittend das Bertele dazwischen, »er ischt decht brav aa wieder!«

Nun hielt der heilige Nikolaus mit beifälligem Schmunzeln gegen das mitleidige Schwesterchen ein, stellte den Bockenden und um sich Schlagenden auf den Boden nieder und winkte den Klaubauf heran.

Jetzt riß aber der Franzele aus! Im Nu war er in seiner Ecke, und keines der Geschenke, die wegen des guten Lernens in der Schule und wegen des jeweiligen Bravseins für ihn aus dem Sack emportauchten, brachte ihn dazu, sein Gesicht von der Wand abzukehren und sein Heulen einzustellen.

Der Klaubauf legte die Sachen kettenrasselnd auf den Tisch und konnte sich nicht versagen, für die vielen Tritte mit »die deinigen Absätz« mit tiefer Baßstimme zum allgemeinen Gaudium zu sagen: »Ballscht du die Moidl no amal stoscht, kimm iach und hol' wieder alles z'samm.«

Dann verschwand auf einmal der ganze Spuk, und die Kindsin blieb allein mit dem heulenden Buben und dem gutherzigen Bertele, das dem Bruder zur Beschwichtigung gleich einen Lebkuchen anbot.

Als das Getrappel, Gerede und Gelächter auf den Gängen verhallt war, drehte Franz den Kopf vorsichtig herum, zog den Arm herunter, schielte nach dem Lebkuchen, ergriff ihn auch herzhaft und sprang mit Lachen auf. »I hab' mich decht nit g'fürchtet! Den Klaubauf schon gleich gar nit. Fallet mir ein! Du muaßt aber grad' so tun, sonst geben sie dir no mehrer Prügel!«

*

174 Das große Zimmermädchen Ottilie hat lachend ihr heiliges Gewand abgestreift, den langen Bart und die weißen Locken weggelegt und ist in ihr properes, helles Zimmermädchengewand geschlüpft, aber die Moidl gefällt sich so gut in der wüsten, zottigen ›Montur‹, daß sie nicht dazu zu bringen ist, sie abzulegen. Die alte schwarze Kutte ist ja beinahe wie die, die sie in der Räuberhöhle beim Voda, dem Kuchler-Anderl, getragen! Die saubere Wirtschaft in Malsein hatte ihr nie getaugt, und auch bei der hübschen Wirtin im Steinbock ist ihr gerade die Reinlichkeit ein Greuel, und wenn die Moidl einmal geht, geht sie nur deshalb; denn sonst sind sie recht gut, die Wirtsleute, wenn's auch schon manchen Strauß abgesetzt hat, weil sie von ihrer Natur nicht lassen kann und Wirt und Wirtin das gar nicht begreifen wollen.

Wie oft hat Moidl schon Heimweh gehabt nach dem Schmutz, der Zügellosigkeit und wilden Freiheit ihrer Heimat, und das haarige, zerrissene Gewand gibt ihr etwas von der Luft der Jugendzeit, der lauten und ungezügelten Roheit des Kuchlerhauses.

Zuerst lacht sie wie verrückt, dann rennt sie schreiend die großen hellen Gänge auf und ab, wo die vielen Fremdenzimmer ihren Winterschlaf halten, rast wie eine Besessene über die Steintreppe hinunter, am Speisesaal vorbei und wieder zurück, jagt an der Bauernstube und dem altdeutschen Zimmer hin und her unter Gepolter und Geschrei und Gebrülle; dabei klirrt sie mit den Ketten, schlägt an die Türen und tut wie eine Besessene, daß alles von dem Spektakel aufgeschreckt wird und zusammenläuft.

Wie auf einen Schlag gehen alle Türen auf, erschreckte, neugierige, ratlose und böse Gesichter 175 kommen zum Vorschein, zuletzt lachen aber alle, als sie den brüllenden und tobenden Klaubauf erkennen.

»Die Moidl! Die Moidl!« schreien sie, und nun geht die Hetze erst recht an. Alles ruft ihr zu und feuert sie an, einige suchen sie aufzuhalten, alle aber lachen mit, stampfen und blöken, es ist ein Heidenspektakel, wie wenn das ganze Haus närrisch geworden wäre, daß der stattliche Wirt und die hübsche Wirtin ganz erschreckt herbeieilen, um Ruhe zu schaffen. Aber ihre Stimmen gehen im allgemeinen Jubel unter, es ist, als seien ihre Gäste auf einmal närrisch geworden, sie rasen mit der Moidl im Haus herum, die Stiege hinauf und wieder herunter, denn jetzt will Moidl den Michel suchen; mit Geschrei stürzt sie durch den langen Gang, da – am Ende des finsteren Ganges, in der Ecke – da! –

»Jesus! Maria!« Moidl stößt einen Schrei aus und will sich wenden, doch der Weg ist ihr schon versperrt.

Was ihr da entgegenkommt, ist der wirkliche Klaubauf, kein solcher, wie sie ihn nur gemacht, nein, ein Klaubauf mit Haaren über und über, mit wirklichen Hörnern, einer mit einer roten langen Zunge, mit Augen, wie Feuerräder so groß, und Ketten hat er – sie fühlt sie schon am Halse, eiskalt! Mit einem Wimmern, das dem eines kleinen Kindes gleicht, hockt sie sich auf den Boden nieder und beschützt Gesicht und Hals mit den Händen. Aber schon hat er sie bei dem einen Arm, und nun steht, wie hervorgezaubert, ein zweiter Klaubauf da, ganz so groß, ganz so haarig, ganz so fürchterlich wie der erste, und nimmt sie beim andern Arm; ein großer Korb taucht vor ihr auf, in den sie Moidl hineinheben wollen, aber die in ihrer 176 kindischen Angst kratzt und beißt ganz nach ehemaliger Kuchlerart, stößt und strampelt und erhebt solch ein Zetergeschrei, daß auch die Gäste, die bis jetzt noch in den Zimmern gesessen, erscheinen. Sogar die aus dem Andreas-Hofer-Stüberl kommen vor, die täglichen Stammgäste, der Steuereinnehmer, der Doktor, der Forstkommissär, der Ingenieur, aus dem Speisezimmer noch ein paar Fremde, Innsbrucker, die mit dem Zug gekommen waren, und dann noch ein paar Burschen aus der Bauernstube. Im Lichtschein, der aus der Stube dringt, erkennt die Moidl plötzlich Hansi, und in ihrer Angst ruft sie ihn an.

»Hansi! hilf mir decht! I bin ja die Moidl, i bin ja koa Klaubauf!« Ihre Stimme übertönt fast das allgemeine Gelächter. Nun bricht's erst recht los. Hansi hilft sie in den Korb hineinheben und hält sie, die sich wie verrückt gebärdet, darin fest, bis die zwei Klaubaufe unter Gejohl und Getrampel mit ihr fortziehen. Samt und sonders sind sie nun außer Rand und Band, selbst die alten Bauern werden lebendig und stimmen in den allgemeinen Lärm ein, als sie durch die Wirtsstube ziehen.

Die junge frische Wirtin ist dem Hexensabbat gegenüber ganz ratlos, während ihr Mann über die allgemeine Narretei lachen muß.

»Sowas war noch nie da!« sagt sie, »das hab' ich noch nie derlebt.«

Aber soviel sie auch den Kopf schüttelt, der Rumor wird immer ärger.

»Die Moidl! die Moidl!« schreien sie und schließen sich dem Zuge an. Der eine hält ihr sein Bier hin, der andre neckt sie, der zupft sie am Ärmel und jener versucht ihr die Perücke vom Kopf zu reißen.

177 Immer toller wird's, die Klaubaufe rasseln mit ihren Ketten drein und schwenken sie über Moidl, die jungen Burschen schreien ihr unter Gelächter ihr ganzes Sündenregister ins Gesicht, ihre Keckheit, ihren Wankelmut, ihre Grobheit, und Moidl läßt alles über sich ergehen; geduckt sitzt sie im Korb und wimmert vor sich hin wie ein kleines Kind. Sobald sie aber in der Küche sind, hört sie auf zu weinen, sie sitzt drinnen wie eine lauernde Katze. Und alle die Frauenzimmer dort kreischen vor Vergnügen, daß die Moidl so verhöhnt wird. Sie umringen den Korb, den die zwei schwarzen Ungetüme auf die Erde stellen, sie sticheln und foppen die Moidl, das Küchenmädchen bringt einen großen Arm voll Hobelspäne, das sehen die andern und holen sich auch davon, im Nu ist der Korb bis oben herauf voll, im Nu ist aber auch die Moidl heraußen, über und über voll Hobelspäne; ihr kindisches Geschluchz ist in ein Wutgeheul ausgeartet, und eh' sich's jemand versieht, ist sie dem Küchenmädchen, ihrer ärgsten Feindin, in den Haaren und treibt sie in die Flucht.

Die andern verschanzen sich, denn die Moidl rast wie eine Wütende. Sie reißt sich das Klaubaufgewand Stück für Stück herunter, und mit flammendem Gesicht, mit Augen, die wie die Augen einer bösen Katze leuchten, die schwarzen Haare wirr und zerzaust, sprühend vor Zorn, steht sie in der Küche, und nun hat sie auf einmal die Männer auf ihrer Seite.

Der ganze Schwarm, der sie verhöhnt hat, die alten und jungen Bauern, die Burschen und Knechte, nehmen sie in die Mitte und ziehen mit ihr in die Wirtsstube zurück. Da mag nun die hübsche Wirtin sagen, was sie will, sie mag der Moidl befehlen, die 178 Bauern geben sie nicht heraus, und der Moidl fällt's nicht ein, etwa gar zu gehen. Selbst als ihr gesagt wird, sie müsse sofort aus dem Haus, wenn sie nicht folge, widerstrebt sie. Sollte ihr einfallen!

Sie ist so im Taumel drinnen und die Bauern sind alle so außer Rand und Band, daß nichts zu machen ist mit ihnen. Die Moidl sitzt triumphierend als einziges ›Weiwets‹ unter den Männern und wirft herausfordernde Blicke nach dem kleinen Fenster, das in die Küche geht, und dessen Vorhang immer und immer wieder gehoben wird, weil dahinter stets ein paar auf der Lauer stehen.

Eine unbändige und zügellose Lustigkeit ist über die ganze Stube gekommen. Von Zeit zu Zeit taucht ein verwundertes Gesicht im Türrahmen des Andreas-Hofer-Stüberl auf, der eine und andre Stammgast schüttelt lachend den Kopf über die Bauern, die er noch nie so gesehen hat, und beruhigt die zornige Wirtin, die um die Ruhe ihrer Gäste besorgt ist, und die dem allgemeinen Trubel gern wehren möchte.

»Geah! sei mir still! Es ischt für niacht heut!« schreien die Burschen.

Der ernsthafte, stattliche Wirt hat das auch schon längst eingesehen; er kennt seine Leute, so etwas muß selbst vertoben. Er überläßt also die Stube dem tollen Trubel.

Sie schreien nach Wein, immer einer lauter als der andre, sie reden durcheinander, daß kein Wort zu verstehen ist, sie hauen auf den Tisch, und alle wollen sie bei der Moidl sitzen.

Es ist, als ob diese fauchende, glühende, hastig atmende Wildkatze, der die Aufregung noch in allen Gliedern steckt, ein Element trunkener Freude und 179 toller Lustigkeit in ihnen wecke, das bis jetzt unter ihrer derben Schwerfälligkeit geschlafen hat.

Sie trösten Moidl über den Abschied, den sie eben bekommen, jeder verspricht ihr, sie mitzunehmen, sie lassen sie trinken und stoßen mit ihr an, und als Michel, der längst abgesetzte Liebhaber und triumphierende Klaubauf, erscheint und seine Lorbeeren einernten will, spielt er ganz die Rolle des begossenen Pudels. Ja, sie zwingen ihn fast, der Moidl Abbitte zu leisten, sie verhöhnen jetzt ihn, wie sie vorhin die Moidl höhnten, sie finden es selbstverständlich, daß er der von ihr Gefoppte ist.

Doch Moidl, der ihr Erfolg zu Kopf steigt, will nur den Hansi; wenn sie einmal die Auswahl hat, warum soll sie nicht einen Jungen und Reichen und Schönen nehmen? Wenn er auch spröd tut und mehr verlegen wie geschmeichelt aussieht, das wird sich schon machen! Vorderhand weiß er allerdings die Auszeichnung nur dadurch zu erwidern, daß er Moidl immerfort einschenkt und selbst eifrig dem Roten zuspricht. Natürlich merkt er bald, daß die andern Burschen ihm die Gunst der Dirne neiden, besonders Michel, den seine Niederlage noch giftiger als gewöhnlich gemacht hat. Es dauert gar nicht lange, so fängt's mit Necken an, der eine stichelt, das sei wohl eine alte Sache von Malsein her, und Hansi hätte nur alles geheim gehalten, aber der Moidl dauere es wohl zu lange, und sie möchte heiraten.

»Des muaß 'm Malseiner seine Schwiegertochter geb'n,« ruft der Michel von dem andern Tisch herüber.

»Aus 'm guaten Haus ischt sie ja!« schreit ein Kamerad Hansis.

180 »Da langt der Malseiner mit zwoa Händen zua,« stachelt Michel wieder an.

»Geh, sei still!« erwidert ein dritter, »der Hansi getraut sich doch nit, das dem Malseiner zu sagen, nit amal der Malseinerin.«

»Jesses,« sagt der erste wieder, »der Alte holat glei den Stecken.«

»Hansi, verkriech di, dein Alter will di hauen!« schreit Michel in das allgemeine Gelächter hinein.

Es ist, wie wenn alle, die sonst Hansis Freunde und Kameraden sind, ihm auf einmal zeigten, daß im Grund ihres Herzens sich der Neid festgesetzt hätte, weil er der hübscheste und stärkste Bursche im Tal ist, und einer der reichsten dazu, der, nach dem sich die Dirnen gern die Hälse ausreckten und die Augen ausschauten – – jetzt neideten sie ihm sogar die Gunst dieses verachteten Geschöpfes!

Da sollte einer nicht wütig werden! Und gerade die Geschichte mit dem Vater war ein wunder Punkt bei Hansi. Der Malseiner hielt ihn wirklich knapp und ließ ihm seinen eignen Willen nicht hingehen, nur daß die Mutter manchmal vermittelte. Nichts hätte ihn mehr wurmen können als die Sticheleien auf das Verhältnis zu seinem Vater, nichts ihn mehr zum Widerstand reizen können.

»Und wenn i möcht',« schreit er, »da kannt's aa a Diandl von der Räuberhöhl' sein, mein'twegen, i fürchtet mi nit!«

Wie sie alle lachten!

»Was?« schreit er wieder, noch erboster, und schlägt mit der Faust auf den Tisch, »wenn i oane mag, und war' sie a Kuchlerdirn, so müaßten mir 181 liaber Vater und Mutter aus 'm Haus, eh i nachgebet!«

»O je, o je,« ruft Michel dazwischen, »des sell wissen mir alle. Du heierscht decht di, wo dir dein Voda aussersucht.«

»Was tua i? Wen heirat i?« erwidert Hansi, diesmal aber weniger laut, er ist nüchtern geworden, »jetzt merkt's euch, jetzt ischt es mei Ernst, mei heiliger Ernst, i nimm die, die i mag, und wenn sie so arm ischt wie a Bettelloderin, und wenn si alles am Kopf stellt! So, jetzt kennt's mi!«

Moidl schaut den Hansi mit offenem Maul an; sie fühlt dumpf, daß ihr Spiel verloren ist, daß sie alles, was Hansi spricht, nichts angeht, wenn er auch von einem Kuchlermadl redet, er meint ganz etwas andres. Gewiß wird er jetzt gehen, die Burschen haben ihn zu sehr geärgert! Er hört ja gar nicht mehr auf ihre Stichelreden und ihr halb verlegenes Lachen. Jetzt ist es aus, schon langt er den Mantel herunter und macht ein so böses Gesicht dabei, daß sie sich nicht getraut, ihn aufzuhalten.

»Zahlen!« ruft er, und im Nu ist die Kellnerin, ein blitzsauberes, aber blutarmes Mädel, das nie gewagt hätte, an den Malseiner Hansi zu denken, an seiner Seite und läßt ihn nicht aus den Augen. Wenn der nur etwas sehen, wenn der nur etwas merken würde!

Aber nein, da geht er, sagt ein mürrisches »Gute Nacht« und tut, wie wenn gar nichts vorgefallen wäre.

Während die alten Bauern die Köpfe schütteln über die Jungen, die sich heutzutage alles erlauben und ohne Zucht sind, und etwas murmeln wie»no, 182 er werd's schon sehgn,« sitzen die Burschen und Moidl ziemlich verlegen und einsilbig herum, und erst nach und nach kommt das Gespräch durch Michel wieder auf den Hansi; doch ehe es noch recht im Zug ist, kommt der Hansi wieder zurück und mit ihm ein ganz junger Bursche, den er unterwegs getroffen.

»Der Bahnwart geht ab, der Binder, oberhalb Gries,« sagt er, »seit um a viere schon. Er ischt fort um an Dokder, die Frau liegt im Sterben, und der Mann kimmt nit z'ruck. Geht aaner um an Dokder, er kann glei jetz mit'n Zug aufferfahr'n – die Nann, die scho zwoa Jahr oben ischt, soll's 'n Führer vom Güterzug ang'schafft haben; – wer geaht mit den Binder suchen? Sein koane Grieser da?«

Fünf, sechs Burschen springen auf, alles ist jetzt vergessen, sie wollen alle zusammen helfen und mit Hansi gehen.

Dem Leithner ruft er noch zu: »Sag's 'm Voda, wenn i epper nit hoamkemmen sollt',« und eh' noch alle in der Wirtsstube wissen, um was es sich handelt, sind die Burschen schon in der Winternacht verschwunden. Ein paar Bauern eilen ihnen nach, und die noch zurückbleiben, trinken auch schnell aus; es wird leerer und leerer in der Stube, in der zuletzt niemand zurückbleibt wie Moidl und Michel und der Bauknecht, der den zweiten Klaubauf gemacht hat. Der geht auch, als er sieht, daß Wirt und Wirtin kommen, damit er nicht noch etwas abkriegt von dem Gewitter, das nun wohl losbrechen mag. 183

 


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