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Fünfzehntes Kapitel.

Der Dominus kam täglich. Über den Knaben war nun eine gelassene Müdigkeit gekommen, und er schien nicht unwillig. Wenn der Dominus oder Crispina ihn ermunterten, aufzustehen, versuchte er es zu tun. Es gelang ihm zwar, aber in der drückenden Sommerhitze sank er sofort wieder auf ein Pantherfell an der Schwelle und blieb dort liegen. Oder sie trugen ihn in den Park und legten ihn in das blumenübersprenkelte Gras zwischen die Lorbeerbäume. Stundenlang lag er dort. Er welkte sichtlich dahin.

Plinius und Martial besuchten ihn häufig, und Crispina zeigte ihren Sohn und versuchte nicht einmal zu verhehlen, daß die Zwillinge ihre Söhne waren, obwohl weder Plinius noch Martial jemals irgend eine Anspielung machten.

»Er kann nicht hierbleiben, edle Crispina,« sagte Plinius, »Der Knabe wird hier sterben. Gestatte mir, daß ich ihn in mein bei Laurentum gelegenes Landhaus führe!«

Allein Cäcilianus hörte ihn. Er stöhnte laut auf, schluchzte und bat flehentlich, man möge ihn hierlassen. Denn er wollte in der Nähe seines Brüderchens bleiben.

»Bei mir in meinem kleinem Landhaus bei Nomentum«, sagte Martial, »wäre er nicht allzu weit von ihm entfernt. Aber darin stimme ich mit meinem Freund überein: hier stirbt das Kind. Was meint Ihr, Dominus?« fragte der Dichter den Lavinius Gabinius, der soeben eintrat.

Der Entschluß wurde gefaßt, Martial, allein am Krankenbett des Knaben, sprach auf ihn ein. Er habe nicht genügend frische Luft in den engen Gärten des Palatium, hier könne er nicht genesen, hier müsse er sterben, noch bevor Cäcilius zurückgekehrt sei.

Der Dichter sprach mit großer Überredungskunst, behaglich, machte hin und wieder ein paar Scherze. Plinius, der sich dann näherte, sprach: »Cäcilianus! Wenn du mit Martial nach Nomentum gehst, um draußen in der frischen Luft zu genesen, will ich dir alles geben, um was du mich bittest, sofern ich deinen Wunsch erfüllen kann.«

Wie ein Kind antwortete der Knabe:

»Mein Brüderchen!«

»Das ist mir unmöglich,« sagte Plinius. »Bitte mich um etwas anderes! Denk dir etwas aus, was du gern haben möchtest.«

»Ich weiß nichts.«

»Denk dir etwas aus!« Plinius drang in ihn.

Der Knabe überlegte und sagte dann:

»Carpophorus!«

»Möchtest du Carpophorus ab und zu um dich haben?«

»Ja,« sagte der Knabe.

»Er wird zu dir kommen, Cäcilianus,« versprach Plinius.

Cäcilianus ließ sich hinüberbringen nach dem kleinen Landhaus des Martial, die Via Nomentana entlang. Er lag in einer kleinen Sänfte, die Plinius zur Verfügung gestellt hatte. Drüben blauten die Sabiner Berge. Die tiefe Sommerluft war warm, doch erfrischend. Über die Berge strich ein leichter Wind.

Das Haus war klein, aber behaglich und weinumrankt. Um ein kleines, niedriges Triklinium lagen zwei Cubicula, davor ein Atrium. Es war an einem Weinberg gelegen, der im Herbst üppig zu werden verhieß. Auf einem hügligen Rasenplatz weidete eine Ziege. Das Ganze war von einer kleinen Mauer umschlossen. Ein kleiner, grinsender Pan stand da, der das kleine Gütchen bewachte. Da war ein kleiner Gemüsegarten, und der Sklave des Dichters war gerade damit beschäftigt, ihn zu begießen, als sie anlangten: Martial, der Dominus, beide auf Mauleseln, und die Sänfte, von zwei Sklaven getragen, und darin der kranke Knabe.

Auf den Feldern ringsum ließen die Hirten ihre Schafe weiden.

»Cäcilianus!« Martial führte den Knaben hinein. »Sieh! Es ist hier nicht so prunkvoll wie bei dir, ich meine wie bei der edlen Crispina.«

»Es ist hier nicht so drückend,« meinte der kranke Knabe, der wohl bemerkte, daß Martial sich beinahe versprochen hatte.

»Wir sind hier sehr nahe bei Rom.«

»Nicht so weit wie in Laurentum,« sagte der Dominus.

Cäcilianus schaute sich um. »Nicht so weit?« sagte er zweifelnd.

Er legte sich erschöpft zur Ruhe. Auf der Bank vor dem Hause saß schlecht gelaunt der Dominus. Die Hände ruhten zwischen seinen Knien, der Kopf lag auf der Seite. Martial setzte sich neben ihn.

»Kommt, Dominus!« flüsterte der Dichter.

»Ach, edler Martial!« klagte der Dominus endlich. »Welche schweren Zeiten für einen Dominus Gregis! Die Sommermonate schleppen sich nur hin. Und dann meine Zwillinge!«

»Eure Zwillinge, Dominus?«

» Meine Zwillinge, Martial, die vielleicht beide sterben werden. Wie lange ist Cäcilius nun schon beim Kaiser? Wie lange ist Cäcilianus schon krank? Ich weiß es nicht. Die Wochen schleppen sich hin. Mein Herz ist voller Sorge. Ich verdiene nichts mit meiner Grex. Jawohl, ich erhielt von Crispina für jeden Tag dreihundert Sesterzen. Aber wie es jetzt ist, da Cäcilianus nicht mehr bei ihr und Cäcilius in dem Palatium ist, das weiß ich nicht. Das ist eine verzwickte Sache, die ich einmal mit Labienus Postumus, meinem rechtskundigen Berater, besprechen muß. Seht! Einen Prozeß führe ich lieber nicht mit den Angesehenen. Aber doch, sollte dem Cäcilius beim Kaiser etwas zustoßen, dann, ja, edler Martial, dann ... Dazu die langen Sommermonate, in denen wir nicht spielen! Ich vermiete meine Komödianten zwar so viel wie möglich, aber wie soll ich die Zeit bis Oktober überstehen, wo wir nach Karthago reisen müssen? Vielleicht werde ich gar nach Karthago reisen müssen ohne meine Knaben, meine Zwillinge, die, edler Martial, mein Glück, meine Liebe, mein alles sind. Der Senex hat mich verlassen. Er ist Christ geworden. Clarus ist davongelaufen, und mein Kummer hat mich daran gehindert, ihn schnell genug verfolgen zu lassen. Ach! Das alles bedeutet Sorge und Verlust, Sorge und Verlust, edler Martial, für einen armen Dominus Gregis.«

Der Abend senkte sich sternenübersät auf die Felder herab. Der Dominus ritt auf seinem Maulesel langsam davon und verschwand über den weißen Weg in der Richtung nach Rom. Martial setzte sich in seinem Zimmer zum Schreiben hin bei der Lampe. Die Tür war weit geöffnet, und so sah er, wie Cäcilianus in seinem schmalen Bettchen lag und schlief. Am nächsten Morgen in der Frühe kam ein Reiter dahergetrabt, von einer Staubwolke eingehüllt. Riesengroß nahm er sich aus auf seinem großen Roß, und Martial, der im Gemüsegarten nach seinen Bohnen sah, erkannte Carpophorus. Der Jäger sprang ab und näherte sich, die Zügel des Pferdes in der Faust.

»Nun, berühmter Jäger,« sagte der Dichter grüßend, »auf den ich, um seine Tapferkeit und Kraft zu verewigen, mehr Epigramme schrieb als sonst auf irgend jemand, seid Ihr da?«

»Der edle Plinius, Herr ...«

»Richtig! Hat Euch wissen lassen, das Cäcilianus sich nach seinem großen Freunde sehnt. Da liegt er noch und schläft!«

Martial wies auf die geöffnete Kammer.

Der Jäger band sein Roß an den Zaun. Er näherte sich der Kammer. Gerade öffnete der Knabe die Augen.

»Du liebes Kind, mein süßer Knabe!« murmelte der Jäger zwischen seinen behaarten Lippen. »Mein Glücksbringer, mein Talisman! Ihm verdanke ich es, daß ich den numidischen Löwen besiegte und dem Tier den Rachen mitten durchriß. Ihm verdanke ich es, daß ich noch am Leben bin. Ich werde immer siegen, solange er lebt und mir nahe bleibt.«

»Carpophorus!« rief Cäcilianus.

»Hier bin ich,« sagte der Jäger und kniete vor dem Bett nieder. Er war unförmlich gebaut, mit roten Narben besät, gebräunt waren die muskelstrotzenden Arme, die viereckigen Knie, die seine lederne Gladiatorentunika bloß ließ, und in seinem kleinen kraushaarigen Kopf waren seine Augen dunkel und gut wie die eines treuen Tieres. Seine gewaltigen Hände, die einem Löwen den Rachen aufreißen konnten, griffen nach dem blonden Haupte des Knaben, der ihm ein Talisman war. Er umarmte ihn mit der liebevollen und zärtlichen Ehrfurcht seines Aberglaubens.

»Hast du nach mir gerufen?« fragte der Jäger.

»Ja, Carpophorus,« sagte Cäcilianus. »Plinius bat mich, ihm zu sagen, was ich mir wünschte, und Cäcilius konnte er mir nicht geben. Da habe ich um dich gebeten. Plinius ist ein mächtiger Herr. Ist es nicht so? Er vermag wohl beinahe soviel wie der Kaiser? Er sagte, er wolle die Viermänner bitten, ob du nach Nomentanum kommen dürftest.«

»Hast du Fieber, Kind?«

»Nein. Ich habe lange und gut geschlafen. Die Luft ist hier frisch, und es ist hier schön und alles weit. Ich werde aufstehen. Wir wollen auf die Hügel gehen. Ich will auf die Hügel gehen. Kann man von dort aus Rom sehen, Carpophorus, und den Park des Palatin und das Palatium?«

»Von dort aus nicht, mein guter Junge. Aber laß uns gehen, wenn du willst!«

Sie gingen. Sie ritten auf dem großen Rosse, Cäcilianus vorn, an Carpophorus gelehnt, die Hügel hinauf. Cäcilianus blickte gen Westen.

»Ich sehe Rom nicht,« sagte er matt. »Ich sehe den Palatin nicht.«

»Es ist zu weit entfernt,« sagte der Jäger, »Komm, laß uns hier ruhen! Laß uns absteigen, Kind!«

Sie stiegen ab. Der Jäger band das Pferd an einem Strauch fest, und sie lagerten sich in das Gras. Das war am frühen Morgen, da die Sonne noch tief stand frisch vom Tau. Ringsum duftete es nach Pfefferminz und Majoran. Schwalben glitten vorüber an dem noch zarten, silberblauen Himmel. Cäcilianus hatte den Kopf an des Carpophorus Brust gelegt. Der Knabe weinte.

»Was ist dir, mein Junge?« fragte der Jäger.

»Ich bin krank.«

»Nein, nein.«

»Ich werde sterben.«

»Nein.«

»Doch, Carpophorus! Ich fühle es jetzt. In mir ist etwas zerrissen. Es tut mir immer weh hier in meinem Herzen. Wir sind eins, Cäcilius und ich. Er ist auch krank und stirbt dort, dort, weit weg, im Palatium. Ich möchte wohl gesund werden, aber ich fühle, daß ich es nicht kann. Es geht nicht. Ich bin so müde, ich bin so schwach. Ich werde schwindlig von all der Luft und dem Licht hier.«

»Nein! Du bist ein starker, gesunder Knabe, mein süßer Knabe, der genesen wird, genesen muß.«

Cäcilianus lehnte sich halb bewußtlos an den Jäger. Die Augenlider lagen wie verdeckt über seinen brechenden Augen. Er keuchte, gleich als liege ihm eine schwere Last auf seiner Brust.

»Göttlicher Herkules!« rief Carpophorus. »Rette ihn mir!«

Er schloß Cäcilianus wie ein Kind in seine Arme. Das Roß wieherte leise. Vom Wege her, der unten zwischen den grasigen Hügeln sich in staubigen Windungen allmählich verlor, ertönte ein Sang naher Stimmen. Es war eine zarte, heitere Hymne, die durch den jungen Morgen näher kam von Osten her, wo die noch keusch umflorte Sonne emporstieg. Es waren Stimmen, die harmonierten mit dem jungen Morgen in einer seltsamen Verheißung ungeahnter Seligkeiten. Der Jäger richtete sich höher auf und schaute sich um. Den Knaben drückte er fest an seine lederne Tunika, unter der sein Herz klopfte. Er schaute über die Hügel. Jenseits des Weges sah er eine Menschenmenge sich nähern. Es waren Männer, Frauen und Kinder, und es waren Hirten mit ihren Schafherden. Inmitten des Gesanges der Stimmen, der vielen Stimmen, blökten leise die Schafe der Hirten, die der Menge gefolgt waren. Es war wie eine große Herde von Menschen und Tieren, die leise singend, leiser noch blökend, über die Hügel am Wege sich näherten, der von dem Sabinergebirge nach Rom führte.

Der Jäger schaute um sich, während er voller Angst meinte, Cäcilianus an seiner Brust sei ohnmächtig geworden. Er sah, daß inmitten der Menschenmenge, die von den blökenden Schafen der Hirten umdrängt wurde, ein Greis ging. Er war groß und schlank und schien ein Seher zu sein. Er war sehr alt, und sein langes Haar hing silbergrau um sein bleiches, sanftes Antlitz. Er trug eine lange, weiße, graubestaubte Kutte, deren Saum durch den Staub schleifte. Aus seinen langsamen Bewegungen sprach etwas wie weibliche Zartheit. Er schien der Hirte jener Hirten zu sein. Seine Augen waren sehr groß, doch sehr sanft und jugendlich weiblich geblieben in dem noch kaum von Runzeln durchfurchten Antlitz. Sie leuchteten oft seltsam, seltsam heilig wie blaue Flammen, während rings um ihn die Stimmen sangen, die Schafe blökten, die Lämmer ihre Mütter umdrängten.

Sie näherten sich. Woher kamen sie? Wohin gingen sie? Der Jäger wußte es nicht. Jetzt sah er sie den Hügel herabsteigen dort drüben, um den Weg zu erreichen. Gewiß gingen sie nach Rom, gewiß begleiteten die Hirten die Menge, die diesen alten, weißhaarigen heiligen Mann umringte, ein Stück Weges nach Rom zurück. Menschen und Schafe stiegen den Hügel hinab, schlugen den Weg zwischen den Hügeln ein und gingen an dem Jäger vorbei, der dort im Grase saß mit einem ohnmächtigen Knaben in den Armen.

Auch der heilige Mann stieg hinab. Er stand nun auf dem Weg, und der Jäger sah, wie er ihm seinen blauen, seltsam heiligen Flammenblick zuwandte. Der blaue Blick des Sehers begegnete dem besorgten Blick des Jägers, der war wie der Blick eines riesenstarken Tieres. Er zauderte einen Augenblick. Rund um ihn sangen sie, blökten sie.

»Wünschest du, daß ich komme?« fragte der heilige Mann, seine Stimme kaum erhebend. Seine Stimme klang beinahe weiblich zart und so klar wie die eines Jünglings.

»Ja, heiliger Mann,« sagte der Jäger.

Da kletterte Johannes auf den Hügel hinauf, auf dem der Jäger saß. Die Menge verweilte auf dem Weg und sang.

»Was wünschest du?« fragte Johannes.

»Vielleicht bist du ein Arzt, heiliger Mann,« sagte der Jäger Carpophorus. »Dieser Knabe ist schon lange sehr krank, und ich wollte dich fragen, ob du ihn nicht zu heilen vermagst,«

Johannes stand nun vor dem Jäger und blickte auf Cäcilianus herab.

»Was fehlt ihm?« fragte der Apostel.

»Er schwindet langsam dahin, weil sein kleiner Zwillingsbruder beim Kaiser bleiben und er ihn entbehren muß.«

Der Blick der blauen Augen wurde unaussprechlich weich, und die alte, adrige Hand streckte sich langsam nach der Stirn des Cäcilianus aus. Der Knabe schlug die Augen auf und starrte wie geblendet in den blauen Glanz.

»Wer seid Ihr, Herr?« fragte er gleichsam in Verzückung.

»Ich bin«, sagte der Apostel, »einer, der dir gleich war, mein Kind. Ich verlor meinen großen Bruder, dessen Busenfreund ich war, obgleich er größer war als ich. Ich verzehrte mich, bis ich mich nicht mehr verzehrte, weil ich genas.«

»Genasest du, mein Herr, während du doch deinen Bruder, dessen Busenfreund du warst, verlorst?« fragte Cäcilianus.

»Ja.«

»Starb er, Herr?«

»Ja, er starb.«

»Ist Cäcilius auch tot?« fragte der Knabe.

Des heiligen Mannes Hand ruhte noch immer auf dem Haupte des Knaben. »Fürchtest du das, mein Kind?«

»Ja, Herr.«

Das Lächeln des Apostels wurde unaussprechlich sanft.

»Er lebt,« sagte er.

»Lebt er?« rief Cäcilianus.

»Er lebt,« wiederholte der Apostel. »Er lebt noch. Er wird leben, solange du lebst. Sei nicht ängstlich und besorgt! Mein Bruder lebt auch, wenngleich er menschlichen Tod starb in diesem Leben. Aber dein Brüderchen, mein Kind, lebt sogar noch das sterbliche Leben, das dir teuer ist. Verstehst du mich, mein Kind?«

»Ja, Herr. Ich verstehe Euch wohl. Ihr sprecht sehr schöne und tiefe Worte, aber ich verstehe Euch, weil ich ein kleiner Komödiant bin und gelernt habe, die Worte der Dichter zu begreifen. Ihr müßt wohl sehr schöne Dinge sagen, daß so viele Menschen Euch folgen. Sie wollen gewiß hören, was Ihr sagt, und verstehen Euch gewiß, wenn sie auch nicht alle etwas gelernt haben. Denn Ihr sagt die Dinge so herrlich schön. Alles, was ihr sagt, klingt sehr sanft, wie mit goldenen Glöckchen. Wenn Ihr nach Rom geht, will ich Euch gerne folgen. Ich bin jetzt bei Martial, und er ist sehr lieb und gut zu mir. Aber ich würde Euch gerne folgen. Wieder nach Rom, zu meinem Brüderchen! Herr, heiliger Mann, sagt! Darf ich Euch folgen?«

Die Hand ruhte noch immer auf der Stirn des Knaben.

»Kind!« sprach Johannes. »Folge mir nicht, weder nach Rom, noch nach irgend einem andern Ort, wohin mich der Kaiser verbannt! Bleibe hier mit deinem starken Freunde! Du sollst erst genesen und die Dinge des Lebens erhoffen, die deiner Jugend noch kostbar sind! Wer noch dahinsiecht um eines verlorenen Bruders willen, der muß erst, wie dem auch sei, diesen Bruder wiederfinden, und wessen Jugend noch auf Dinge des irdischen Lebens hofft, der hat noch Zeit zu reifen, bis das himmlische Leben ihm herrlicher erscheint. Wessen Herz noch für Rom schlägt, dessen Seele, du mein liebes Kind, ist nicht bereit, nach dem himmlischen Jerusalem sich zu sehnen, wohin wir alle streben. Wer noch die Schönheit liebt um ihrer selbst willen, der kann nicht mit mir der Wahrheit entgegen gehen. Bleibe und genese! Ich sage es dir, Knabe: dein kleiner Bruder lebt. Du wirst ihn wiedersehen.«

Cäcilianus, der sich erhoben hatte, war auf die Knie gesunken.

»Dank Euch, heiliger Mann,« sagte er, »für die Versicherung, die Ihr mir gebt! Ich glaube Euch. Ich glaube, daß Cäcilius lebt.«

Der Apostel machte eine Gebärde mit der Hand, als wolle er den Knaben und den Mann, den kleinen Komödianten und den Gladiator, segnen.

Dann schritt er den Hügel hinab und schlug den Weg gen Rom ein. Ihm folgten die singenden Menschen und die blökenden Tiere.

Cäcilianus, der neben Carpophorus stand, gewahrte Fabulla. Sie war unter den Frauen, die grüne Zweige trugen.

»Fabulla!« rief Cäcilianus. »Fabulla, hast du Cäcilius gesehen?«

»Ja,« rief Fabulla dem Knaben zu. »Er hat vor dem Kaiser getanzt. Er fiel in Ohnmacht und wurde in seine Kammer getragen.«

»Aber nicht tot? Nicht tot? Der heilige Mann versicherte mir ...«

»Nein. Nicht tot,« sagte Fabulla, »Denn ich sah ihn lebend.«

»Dann glaube ich sicher, daß Cäcilius lebt.«

»Du solltest«, sagte der Senex zornig, – er folgte mit den singenden Männern – »lieber dem heiligen Johannes glauben, der es dir versicherte, weil er es im Geiste gesehen hat, als Fabulla, die es nur mit den Augen sah.«

»Ich selbst sah es im Geiste,« antwortete Cäcilianus zornig. »Ich glaube auch dem Apostel. Er ist ein lieber Mann, ein lieber, heiliger Mann, viel liebenswerter, als du je werden wirst. Du wirst nicht einmal begreifen, was er sagt. Er spricht viel zu schöne dichterische Worte, als daß du ihn verstehen könntest. Aber ich verstehe ihn wohl.«

Der Senex wollte wütend antworten. Allein es schien, als besinne er sich eines besseren. Er ging den Hügel hinauf und sagte:

»Cäcilianus, ich begleite Johannes auf das Schiff, das ihn von Ostia nach Patmos führen wird. Ich werde dich nie wieder sehen. Lebe wohl und grüße Cäcilius!«

Er näherte sich dem verwunderten Knaben und küßte ihn auf die Stirn. Dann entfernte er sich. Alle entfernten sich, und langsam verhallte das Singen und Blöken.

Cäcilianus blickte Carpophorus an.

»Wie seltsam der Senex sich plötzlich benahm!« sagte Cäcilianus. »Die Christen sind so,« sagte der Jäger.

Aber der Knabe war sehr erregt.

»Wollen wir hinaufsteigen?« fragte er.

Sie stiegen den Hügel hinauf. Goldener sonnte der Morgen durch den tieferen Azur. Auf dem Rosse trabten sie über die Hügel.

»Es ist herrlich,« jauchzte Cäcilianus, »so an dich gelehnt auf einem Roß über die Hügel zu reiten, auf und ab, auf und ab. Es ist, als ginge es geradewegs in den Himmel.«

Der Jäger spornte sein Roß mit den Absätzen an. Ihr Ritt zeichnete sich vom Himmel ab wie der eines zottigen Zentauren, der einen blonden Knaben entführte.

»Bist du jetzt müde, mein Kleiner?« fragte der Jäger, als er sah, daß der Knabe die Augen schloß.

Er kehrte langsam um. Langsam ritt er über die Hügel zurück. Die Mitte des Tages war nicht mehr fern. Sie sprachen nicht mehr, und des Cäcilianus Blick war seltsam jedesmal, wenn er die Augen öffnete. Dann schloß er sie wieder ...

Als sie zurückkamen, fanden sie den Dichter im Kreise seiner Freunde. In zwei Sänften waren sie gekommen: Verginius Rufus mit Frontin und Juvenal, Plinius mit Quintilian, Tacitus und Sueton. Er empfing sie am Eingang des Gärtchens, wo der Priapus die Wache hielt mit seinem faunischen Lächeln und der naiv aufwärts strebenden Bewegung seines Phallos.

Der Jäger und der Knabe stiegen ab, und Plinius ging Cäcilianus entgegen.

»Wie geht es, mein Junge?«

»Gut, edler Herr, mit Verlaub,« sagte Cäcilianus, indem er seinem Beschützer den Saum der Toga küßte. »Ich bin mit Carpophorus über die Hügel geritten. Wir sind dem heiligen Manne der Christen begegnet.«

»Zur Tafel, Freunde, zur Tafel!« rief Martial einladend, während er in die Hände klatschte.

Sie legten sich nieder. Im Triklinium war Platz für sieben, wohl auch für acht. Der junge Sklave bediente, und Marcella trug die Speisen aus der Küche herauf.

»Es muß so gut gehen, wie es geht,« sagte Martial sich entschuldigend. »Das Tischtuch ist auf den Feldern gebleicht. Dieser Nomentaner ist von meinem eigenen Weinberg. Er liegt schon jahrelang im Keller. Hier, meine Gäste, ist die Vorspeise! Verginius Rufus, du, der du zweimal den kaiserlichen Purpur ausgeschlagen,

der du es aber nicht ablehnst, an der Tafel eines armen Dichters zu liegen, gestatte nur, daß ich dir meine stolze Dankbarkeit ausspreche, und bediene dich, du zuerst, von diesen Gerichten!«

Marcella, die junge Frau – die Freundin des Martial benahm sich sehr schicklich inmitten dieser vornehmen Gäste –, reichte Malven und Lattich und Porée und Minze herum. Aal folgte mit Schnittchen von harten Eiern. Zwischen den grünen Girlanden, die sich um die Säulen schlangen und den Ausblick auf Felder und weite Berge freiließen, sahen die Gäste den Gladiator und den kleinen Komödianten. Sie saßen auf dem Rande des Brunnens und plauderten wie zwei gute Freunde lächelnd miteinander.

»Es ist seltsam,« sagte Plinius, »und seltsam hat es mich berührt, was der kleine Kerl mir soeben sagte, daß er dem heiligen Manne der Christen begegnet sei. Dieser Aberglaube scheint sich wahrlich immer mehr und mehr auszubreiten. Wer ist denn dieser heilige Mann der Christen?«

»Es ist vermutlich«, sagte Verginius Rufus, »jener gewisse Johannes. Der Kaiser hat derzeit befohlen, man soll ihn in siedendes Öl tauchen.«

»Ist das geschehen?« fragte Sueton.

»Ich weiß es nicht,« antwortete der Greis.

»Ich entsinne mich,« sagte Juvenal. »Man sprach damals von einem Wunder. Jener Johannes entstieg dem Öl unversehrt, und viele Anhänger strömten ihm zu.«

»Ganz gewiß bilden diese Christen eine verwerfliche Sekte,« sagte Tacitus. »Sie müßten bestraft werden, wie es auch sehr oft geschehen ist. Aber daß man sie mit Pech bestrich und an die Pfähle band, um sie wie brennende Fackeln in seinem Garten umkommen zu lassen, wie Nero es befahl, das erregt doch mein Mitleid.«

»Warum schickt man sie nicht als Legionäre in die Legionen nach Moesien oder Pannonien?« meinte Frontin.

»Ich muß gestehen,« sagte Plinius, »daß ich nicht wissen würde, was tun, wenn es mir obläge, sie zu verurteilen. Was ich von ihnen weiß, ist, daß sie sich versammeln und ihren Christus anbeten unter göttlichen Ehren.«

»Er wurde unter Tiberius gekreuzigt,« meinte Tacitus. »Er hat sich zum König von Nazareth ausgerufen. Ein Rebell!« »Und ein Schwärmer,« sagte Plinius. »Vor allem ein Schwärmer, glaube ich. Aber ich bin der Ansicht, daß diese Schwärmerei unschädlich ist. Sie wird aussterben. Dessen bin ich gewiß. Was vermöchte wohl eine Sekte, deren feierlichste Zeremonie darin besteht, daß man ein einfaches Abendmahl mit Brot und Wasser zu sich nimmt?«

»Dann hoffe ich zum mindesten,« sagte Martial, »daß bei diesem einfachen Mittagmahl euch das Ziegenböckchen besser munden möge. Die kleinen Kohlköpfe, meine verehrten Freunde, sind sehr lange gedämpft worden in Laserpicum nach dem Rezept des ägyptischen Wirtes aus der Subura. Wollt ihr mir das freundlichst verzeihen? Ich aß sie dort einmal bei Nilus. Die Komödianten wissen davon zu erzählen. Sie mundeten dort wenigstens köstlich und Marcella bereitete sie so zu, wie die Mutter des Nilus es sie lehrte. Sueton, Ihr seid zu jung, um so mäßig zu sein. Wisset, daß es nichts anderes mehr gibt als den berühmten Schinken, den ich Euch schon zweimal vorsetzte! Aber sollte unser Cäcilianus – er sieht wirklich schon besser aus – uns nicht etwas singen oder tanzen können? Cäcilianus!«

Der Dichter rief den Knaben. Der näherte sich.

»Was wünscht Ihr, Martial?«

»Deine Wangen, mein Knabe, beginnen sich schon zu röten von der frischen Luft.«

»Man erzählt sich,« flüsterte Quintilian dem Plinius zu, »meine beiden fürstlichen Schüler, die Großneffen des Domitian, seien christlichen Neigungen hingegeben.«

»Das hörte ich auch schon,« sagte Plinius.

»Und Fabulla?« sagte Juvenal.

»Cäcilianus!« sagte Martial. »Komm! Du sollst uns etwas singen und tanzen. Was wird es sein?«

Der Knabe lächelte verlegen und müde.

»Nun, nun, du sonst so kühner Comoedus der höheren Pallatia!« sagte Martial scherzend. »Warum so schüchtern? Sonst fürchtest du dich doch nicht so leicht. Sage uns eine Ekloge des Vergil her, seine zweite Hirtenerzählung auf den schönen Alexis zum Beispiel, und begleite sie mit einer einfachen Saltatio!«

Auch die andern Gäste ermunterten den kleinen Komödianten.

Er kannte natürlich seinen Vergil. Er kannte das berühmte Gedicht. Er begann das Schmachten des Corydon, der nach seinem Alexis feuriges Verlangen trägt, zu deklamieren. Aber plötzlich brach er in Schluchzen aus.

»Was ist dir, mein Junge?« rief Martial und stand auf, während die Gäste mitleidig beobachteten. »Traf ich keine geschickte Wahl? Dumm, dumm bin ich, Cäcilianus, daß ich gerade diese zweite Ekloge wählte!«

»Ich kann nicht, Herr,« schluchzte Cäcilianus.

»Du brauchst auch nicht, Knabe, du brauchst auch nicht!« riefen Verginius Rufus, Plinius und die andern.

»Ich kann nicht«, schluchzte Cäcilianus, »ohne mein Brüderchen!«

»Nach dem du« – Martial winkte ihn zu sich heran – »beinahe das gleiche Verlangen trägst wie Corydon nach Alexis. Komm Kind, setze dich her, so die erlauchten Gäste es gestatten!«

»Dank Herr!« Cäcilianus weigerte sich weinend. »Ich darf nicht mit Euch an der Tafel sitzen.«

»So nimm von dieser Pastete, nimm, von diesem verzuckerten Obst, und hier, nimm diesen großen Becher voll Nomentaner, der während des zweiten Konsulats des edlen Frontin aus meinen Trauben gepreßt wurde, vor vielen Jahren schon, nicht wahr, Frontin?«

Marcella versorgte den Knaben mit Leckerbissen und trug sie ihm zu dem Brunnen, wo Carpophorus wartend saß.

»Der arme Knabe!« sagte Marcella.

Cäcilianus hatte sich weinend wieder auf den Brunnenrand gesetzt, und der Jäger drückte ihn zärtlich an sich.

»Du hast nicht Alexis,« sagte Marcella, die als eines Dichters Freundin mit Vergil wohl vertraut war, neckend, »aber du hast doch Carpophorus.«

»Ich zähle nicht, nicht wahr?« sagte der Jäger scherzend, während er den Knaben zum Trinken nötigte.

Cäcilianus trank ein wenig, wehrte dann ab und lehnte sich plötzlich erschöpft, mit geschlossenen Augen an seinen Freund. Es hatte geschienen, als sei er dank der silbernen Morgenluft, dank dem Ritte mit Carpophorus und den Worten des heiligen Sehers der Christen etwas aufgelebt. Doch jetzt hatte ihn die Erinnerung an seine Kunst seine Entbehrungen wieder bitter empfinden lassen. Er lag da wie ein Kranker, während die breite, tierzähmende Hand des Jägers über seine Locken hinstrich mit einer so zärtlichen Gebärde, daß es die Gäste rührte. »Was habe ich getan!« rief Martial reuevoll aus. »Wer konnte denken, daß der Knabe wirklich so krank sei!«

»Er stirbt,« sagte Verginus Rufus, »wenn es noch lange dauert.«

»Er ist jung,« meinte Juvenal.

»Er ist jung und ein gesundes, starkes Kerlchen wie sein kleines Brüderchen,« sagte Frontin. »Aber die Knaben sind eins, weil sie Zwillinge sind und noch niemals getrennt waren. Ihr, Verginius Rufus, oder Ihr, Plinius, solltet Crispinus bitten ...«

»Ich?« sagte Plinius. »Das wäre ein Grund für den Kaiser, Cäcilius noch länger zu behalten.«

»Er tanzt nicht mehr vor dem Kaiser, wie ich höre,« sagte Martial. »Der ist auch krank. Und Crispinus ...«

Er sprach von dem Vertrag, den Crispina unterschrieben hatte. Er sprach von den zweihundertfünfzigtausend Sesterzen, die Crispina dem Dominus zu zahlen hätte, wenn ...

»Eine mütterliche Laune,« sagte Tacitus.

»Was für ein verabscheuungswürdiger Hof!« sagte Juvenal.

»Unsere Zeit wird vielleicht dereinst kommen,« flüsterte Tacitus.

»Besonders, wenn wir bedenken ...,« sagte Frontin.

Sie beugten sich vor, flüstertet. Immer wieder plötzlich und ganz unerwartet wurden Würdenträger, die nichts als Auszeichnungen verdient hätten, zum Tode verurteilt. Die tyrannischen Dummheiten, wie die Verbannung der Philosophen eine gewesen war! Die wahnsinnigen Dekrete, eingegeben vom Verfolgungswahn!

»Bin ich geborgen,« fragte ironisch Verginus Rufus, »obwohl ich mehr als achtzig Jahre zähle, obwohl ich zweimal bereits mich weigerte, Kaiser zu werden?«

»Bin ich es?« fragte Plinius.

Sie alle dachten dasselbe: daß ihr Freund zu reich sei, um geborgen zu sein.

»Eine seiner Launen kann auch mich treffen,« sagte Quintilian.

»Uns alle,« flüsterten sie.

»Am Hof scheint etwas zu brüten,« flüsterte Frontin.

»Eine Verschwörung?« fragten sie, sich vorneigend.

Frontin nickte. »Die Kaiserin!« flüsterte er kaum hörbar mit den Lippen. »Habt acht!« Er blickte flüchtig zu dem Jäger hinüber.

»Ein Spion?« fragte Sueton,

»Nein,« sagte Frontin. »Ein braver Kerl. Der große, starke Freund dieses Knaben dort, aber der bevorzugte Gladiator, Bestiarius und Lanista des Kaisers. Die Gladiatoren hassen ihn nicht.«

»Er hat es verstanden, sie an sich zu fesseln,« sagte Martial. »Oftmals schenkte er in der Arena nach einem Zweikampf beiden Kämpfern das Leben und verlieh ihnen dann die Rudis, das Abschiedsgeschenk für sie und ihr Ehrenzeichen. Sie sind ihm alle zugetan.«

»Die Prätorianer sind uneinig,« flüsterte Frontin.

»Und?« fragten Tacitus und Juvenal begierig.

Frontin machte eine flüchtige Bewegung der Unwissenheit, Marcella reichte die verzuckerten Früchte herum.

»Die Zeiten«, sagte Martial ein wenig düster, »sind zu geselligem Tafeln nicht angetan. Vergebt mir, meine Freunde! Der Lauch war zu bitter, die Eier zu hart, der Aal zu weich, das Ziegenböcklein ein Ziegenbock, Vater von zwanzig Böcklein, und die Kohlköpfchen waren bei Nilus viel mehr vom Laserpicium durchduftet. Marcella! Du hast sie zu lange geschmort. Der Nomentaner war nicht aus der Amphora, die ich bereitgestellt hatte und datiert nicht von des Frontin zweitem Konsulat. Das Kind dort habe ich noch kränker gemacht, indem ich es bat, gerade die zweite Ekloge des Vergil herzusagen. Freunde, Freunde, verzeiht mir und laßt uns hoffen, daß der weitere Tag günstiger verlaufen möge, als er bis jetzt bei eurem Freunde Martial verlief! Es ist nur ein Gutes dabei: der Schinken ist aufgezehrt, und ein neuer kann auf dem Velabrum gekauft werden. Und dann: hoffen muß man immer, und vielleicht bringt schon die nächste Minute uns die allergünstigsten Nachrichten.«

Pferdegetrampel erklang. Die Gäste schraken empor. Nur am Brunnen, wo Carpophorus und Cäcilianus saßen, blieb der Knabe mit geschlossenen Augen liegen. Aber der Jäger rief:

»Edler Martial, ein Bote vom Palatium!«

An der Tafel erhoben sich alle mit einem Ruck. Die fürchterliche Spannung verließ sie nie mehr. Bei Priapus, der am Gartentor Wache hielt, war der staubbedeckte Bote abgestiegen. Martial ging ihm entgegen.

»Was wünscht der Kaiser?« fragte der Dichter bleich.

»Daß Marcus Valerius Martialis ungesäumt bei Hofe erscheine.«

»Er wird gehorchen,« sagte der Dichter.

Martial kehrte lächelnd zu seinen Gästen zurück.

»Es ist wieder nichts anderes, als was schon einmal war,« sagte er scherzend und umarmte voller Rührung Plinius. Aber seine Stimme klang plötzlich sehr ernst, als er dem Plinius ins Ohr flüsterte:

»Fliehe, Freund, bevor es zu spät ist! Wir fürchten zu viel für Euch.«

»Ja,« sagten alle und drangen in ihn.

»Wohin?« lachte Plinius. »Warum? Solange er herrscht, wird er mich in seinem Reiche zu finden wissen. Wenn es sein muß, nun wohl, meine Freunde! Dann muß es eben sein. Nein, Martial, ich fliehe nicht. Seltsam! Mir sagt eine Ahnung, daß ich länger leben werde als er. Aber geht, bester Martial, und benutzt meine Sänfte! Marcella, rufe die Träger herbei!«

Hinter dem Häuschen standen die Sänften. Marcella hatte die Träger mit Speise und Trank versorgt. Alsbald erschien des Plinius Tragstuhl, und Martial hüllte sich in seine Toga. Er nahm Abschied von seinen Gästen. Er lenkte seine Schritte zu dem Brunnen, wo der Jäger mit dem Knaben saß.

»Wie geht es ihm?« fragte er den Jäger,

Noch immer fuhr der Jäger dem Cäcilianus sanft streichelnd mit der Hand über die Locken.

»Nicht besser, Herr, glaube ich, obwohl er diesen Morgen, besonders nachdem ihm der heilige Mann der Christen gesagt hatte ...«

»Besser schien?«

»Ja, Herr.«

Martial führte seine Hand an die Stirn. Er dachte nach und sprach dann wie zu sich selber:

»Ja, ich will darum bitten. Ich will darum bitten.«

Er neigte sich über Cäcilianus.

»Cäcilianus! Cäcilianus!«

»Cäcilianus!« sagte der Jäger.

Die welken Augenlider öffneten sich. »Cäcilianus!« sagte Martial. »Ich werde den Kaiser bitten.«

»Um was, Herr?« fragte der Knabe matt.

»Ob Cäcilius zurückkehren darf.«

Der Knabe schluchzte auf vor Glück. Er ergriff des Martial Hände.

»Martial!« rief er seiner Ehrerbietung völlig vergessend.

Der Dichter bestieg die Sänfte. Die Freunde im Garten winkten ihm nach zum Abschied. Der sonnigblaue Nachmittag begann sich im Westen purpurn zu färben und über dem Sabinergebirge schimmerten violette Umrisse, von denen sich Schafherden, die heimwärts getrieben wurden, einem dichten Nebel gleich weiß abhoben.

 


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