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Sechstes Kapitel.

Der Vorabend der Megalesia brach an. Nach zwei strahlenden Apriltagen war dieser Tag düster und schwül vom Scirocco gewesen, während der Azur sich hinter schwermütig herabhängendem Nebeldunst verborgen hielt. Die Luft war schwanger vom Regen, der nicht fiel.

Hinter dem flavischen Palast breiteten sich die weiten Gärten und Parks des Palatins, da wo um ein Jahrhundert später Septimius Severus seine eigenen Paläste erbaute, unter dem drückenden Nachthimmel. Kein Stern durchdrang diesen schwülen Nebel. Die Lorbeerhaine standen regungslos, geräuschlos, dunkel und mächtig da und warfen ihre Schatten auf die hier und dort verstreuten Wohnungen von Hofbeamten. Kein Geräusch, kein Lachen, keine Stimme erklang. Das war die Schwermut, die infolge der Gemütskrankheit des Kaisers sich aus dem Palast über den ganzen Palatin auszubreiten schien. Der große, geschlossene Palast selbst war völlig dunkel. Kaum, daß die Lampe der prätorianischen Palastwachen einen schwachen Schein verbreitete. Seit Jahren waren keinerlei Feste mehr veranstaltet worden, hatten keinerlei Banketts mehr stattgefunden in dem Triklinium mit den beiden Nymphaea, hatte sich das Gemüt des Domitianus stets mehr und mehr verdüstert, während er fast immer schwieg und sich verborgen hielt, um dann plötzlich in blinder Wut und unvermutet in Rachsucht auszubrechen. Seine Krankheit des Argwohns, des Verfolgungswahns voll von Gespenstern der Reue, voll beängstigender Larven und Lemuren, voll aufreizender Dämonen, die der Kaiser um seine ihn zu Boden drückende Weltmacht sich schlingen sah, lastete auf allem, auf allen, die ihn umringten, mit einer ewigen Angst. Die schlich in der Nacht durch den Palast und zum Palast hinaus wie ein sich weit ausbreitender Spuk. Die trieb durch die Gärten, die stieg gen Himmel und vermengte sich mit dem tief herabhängenden Nebel. Die umhüllte die Wohnungen, die kleinen Landhäuser, die hier und dort schimmernd zwischen den aufgetürmten Schatten lagen, alle dunkel und geräuschlos, weil der Kaiser kein Geräusch vertragen konnte und bei jeder Stimme erschrak.

Die Sohle einer Sandale knarrte fast unheilkündend in dieser Dunkelheit. Ein Mann ging durch den Park vom Palast kommend, machte vor dem kleinen Hause der Crispina halt, klopfte an die Tür. Die Tür zum Atrium wurde geöffnet.

»Bist du es, Crispinus?« fragte eine Frau.

»Ich bin es,« antwortete der Mann, während er das Atrium betrat und die Tür abschloß.

Bruder und Schwester, Crispinus und Crispina, standen einander in dem Dunkel gegenüber.

»Lavinius Gabinius wird auch sogleich kommen,« sagte Crispinus. »Ich habe ihm für den Wachtposten beim Septizonium einen Durchlaßschein geben lassen. Ich tue für dich, was mir nur möglich ist.«

Crispina war aufgeregt, rang die Hände.

»Glaubst du, daß ...«

»Was?« fragte rauh der Bruder.

»Nichts.«

»Was wird er tun wollen?« fuhr Crispinus schroff fort. »Was wird er tun können? Bekannt machen, daß du vor sechzehn Jahren mit einem Mimus zwei Kinder gehabt hast? Was kann uns das anhaben?«

»Der Kaiser ...,« flüsterte Crispina ängstlich.

»Der Kaiser! Der schert sich den Teufel darum.«

»Er hat seine Frau ...«

»Ja, seine Frau verstoßen, weil sie einen Histrio liebte. Er hat Domitia wieder zu sich genommen auf die heiligen Kissen seines Götterbettes, wie das Dekret lautete, und Paris wurde gekreuzigt. Was weiter? Dein Mimus ist im Ägäischen Meer ertrunken während eines Sturmes, und der Kaiser wird dir nichts anhaben, auch wenn er alles hören sollte. Diese keusche Anwandlung guter Sitten, die er hatte, nachdem Titus ermordet war, ist längst vorüber.«

»Und doch, der Skandal, wenn Lavinius ...«

»Damals«, sagte Crispinus, »habe ich den Knaben den Hals umdrehen wollen. Du wußtest es nicht. Du hast sie zu Syrakus dem Lavinius geschenkt, nachdem du sie drei Jahre lang verborgen

gehalten hattest aus Angst vor mir. Du brauchst keine Angst mehr zu haben.«

»Crispinus!«

»Mich gehen die Knaben nichts an. Ich bin doch der Günstling des Kaisers, auch wenn du Bastardzwillinge hast.«

»Er hat seine Launen. Wenn es bekannt wird, Crispinus, und er mich dann aus dem Kreise der Frauen der Kaiserin verjagt! Wohin soll ich, wenn ich den Palast verlassen muß? Geld habe ich nicht.«

Er lachte.

»So verdiene dir dein Geld in der Subura! Aber zünde erst einmal die Lampe an! Ich sehe hier nichts.«

Sie setzte eine Lunte in Brand und zündete den Docht einer der bronzenen Lampen an, die in einem Winkel neben einem Ruhebett stand. In dem kleinen Springbrunnen inmitten des Atriums sickerte ein dünner Wasserstrahl. Sobald die beiden schwiegen, tropfte er hörbar.

»Laß den Springbrunnen schweigen!« rief er nervös. »Das Geräusch macht mich wahnsinnig.«

»Wie ist Domitian heute?« fragte sie. Die Fontäne schwieg.

»Wie besessen!« sagte Crispinus und ließ sich auf sein Ruhebett fallen.

»Wie besessen?« wiederholte sie ängstlich.

»Er stöhnt, irrt durch den Palast, schaut hinter jeden Vorhang. Den an Nigrina verübten Mord haben wir vor ihm verborgen gehalten. Denn jeden Augenblick erschrickt er, verbirgt seinen Kopf in den Falten seines Mantels und strauchelt dann. Wir haben noch nicht den Mut gehabt, ihm etwas zu sagen. Aber es ist kein Leben mehr in dem Palast.«

»Ist kein Leben mehr,« wiederholte sie.

Schluchzend und stöhnend sank sie auf ein Kissen.

»So sei doch ruhig!« sprach er nervös. »Nimm es nicht so schwer! Sei leichtfertig wie ich!«

Allein er zitterte. In dem schwankenden Lichte des einen Dochtes der vielschnäbeligen, bronzenen Lampe blickte seine Schwester ihn an, um ihn zu durchschauen. Sie sah, daß er zitterte und bleich war ungeachtet seiner sorglosen Worte. Sie lebten von der Gunst des gemütskranken Kaisers, und seine Gunst konnte sich in jedem Augenblick wenden wegen eines Nichts, wegen einer Laune, eines Blickes, eines unrechten Wortes.

Er, Crispinus, der Ägypter, der von Memphis kam, ein Sklave, sagte man, aus Canopus, der Herkunft dieses Intriganten nicht ganz gewiß, hatte sich während all der Jahre in der Gunst des Kaisers zu behaupten gewußt. Er war es gewesen, der dem Kaiser den berühmten Steinbutt dargeboten, der in der Adria unweit Ancona bei dem Venustempel gefangen worden war, der Steinbutt, um dessentwillen das kaiserliche Konsilium in aller Eile zusammengerufen wurde, so daß seine Mitglieder, Männer senatorischen Ranges, herbeigelaufen kamen mit noch losem Gürtel und herabhängendem Mantel, um zu beratschlagen, in welchem Topf oder Kessel ein so ungeheuerlich großer Steinbutt gekocht werden solle. Dieses Geschichtchen, das immer wieder und wieder den Weg durch ganz Rom machte, hatte Crispinus seinen Ruf verschafft. Seit diesem Steinbutt schien er der Gunst des Domitian unwandelbar gewiß zu sein, zwang er jeden, der sich daran erinnerte, seine plebejische ägyptische Herkunft, seinen plebejischen ägyptischen Namen zu vergessen. Er war allmächtiger Favorit, er, Crispinus allein, der seltsam schöne Orientale, der blonde Orientale mit der matten, bernsteingleichen Gesichtsfarbe, der schlanke, mattbleiche, blonde Orientale, der Magier aller Wollüste und sinnlichen Phantasien, der entnervte Phantast, der während des warmen Sommers dünnere Ringe trug als im Winter. Eine merkwürdige Kraft war in diesem Körper aus lauter Nerven. Wie lange würde ihm die Gunst des Domitian erhalten bleiben? dachte seine Schwester, während sie ihn anschaute. Sie, eine Ägypterin von eigenartiger, rotblonder Schönheit gleich ihm, war eine noch junge Frau, schlank und feingliedrig, aber schon müde und gebrochen. Ägyptisch an ihr waren vor allem ihre langen, geschlitzten Augen, die sich dunkel, beinahe schwarz und tief umschattet von ihrer mattgoldenen Gesichtsfarbe abhoben. Sie glichen einander. Sie hatten beide dieses seltsam Exotische, dieses Müde und Entnervte. Beide warteten auf die Ungnade, die in jedem Augenblick um ein Nichts aus der drückenden, entnervenden Luft sich auf sie stürzen konnte. Leichtlebig? Nein, das waren sie nicht, weder er, noch sie. Er log, wenn er behauptete, er sei leichtlebig. Aber sie hatte trotz all ihrer Zweifel und Ahnungen das Bedürfnis, die Lügen ihres Bruders als Wahrheit hinzunehmen. Ihr Leichtsinn litt zu schwer, konnte nicht mehr leben unter den allzu drückenden Sorgen. »Crispinus,« sagte sie flehentlich, »glaubst du, daß ...?«

»Was?«

»Daß, wenn Lavinius ...«

»Was?«

»Wenn die Angeber es jemals erführen ...«

»Daß du Zwillinge hast?«

»Der Kaiser ...?«

Wild erhob er sich und ballte seine feinen Fäuste über ihr. Sie kroch in sich zusammen.

»Hättest du die Luder doch bei ihrer Geburt erwürgt! Was nützt es jetzt, ängstlich zu sein? Lavinius hat sie schon seit mehr als zwölf Jahren bei seiner Truppe. Sie sind Komödianten.«

»Vor drei Jahren sah ich sie,« sagte Crispina aufstöhnend. »Damals tanzten sie.«

»Ich habe sie soeben gesehen,« sagte Crispinus.

»Wo?« fragte sie begehrlich.

»Im Theater.«

»Und wie?«

»Sie spielten, sie probten.«

»Wie sind sie?« fragte sie.

Er lachte.

»Dein mütterliches Herz regt sich wohl?« sagte er spottend. »Sie sind allerliebst. Sie machen dir alle Ehre und auch dem Manlius im Ägäischen Meer. Die Kinder deiner Liebe, deine Zwillinge, die Sprößlinge deiner Leidenschaft sind schön. Geh nur morgen selber hin und sieh, wie gut sie spielen!«

»Ja,« sagte sie mit einem matten, doch freudigen Lächeln.

Inmitten aller Angst war dies ein flüchtiger Ausblick auf etwas Freudiges, das morgige Fest, die Megalesia, das Theater und ihre Kinder, die sie sehen würde. Seit drei Jahren hatte sie sie nicht gesehen. Ob sie wohl ihrem Vater glichen, den sie wahnsinnig geliebt hatte und dem sie gefolgt war, als Titus noch lebte und herrschte, und als ihr Bruder, soeben erst aus Ägypten gekommen, versucht hatte, sich in Rom einen Weg zu ebnen zu Rang, Vermögen und Ansehen. Damals hatte er sie beinahe ermordet. Seitdem hatte sie sich immer wieder und wieder von ihm verkaufen lassen, um ihn zu versöhnen. Auch an den Kaiser. Er hatte sich gerächt. Jetzt waren die Jahre dahingerollt. Noch immer schaute sie ihn an, seiner merkwürdigen, gleichsam magischen Kraft unterliegend, die seine nervenvibrierende Schwäche ausströmte. Es ward an die Tür geklopft.

»Lavinius!« rief sie.

»Klopft ein Komödiant an der Crispina Tür?« fragte er lächelnd.

Sie selber öffnete. Drei verschleierte Frauen traten hastig ein, die mittlere entschleierte sich.

»Augusta!« schrie Crispina, während sie grüßend die Hände ausstreckte. Crispinus erhob sich.

Es war die Kaiserin Domitia. Mit ihr waren die jüngere Domitilla, das Kind von Domitians Schwester, und Fabulla, ihre Nichte, gekommen. Auch die beiden andern Frauen entschleierten sich. Fabulla war totenbleich.

»Der Kaiser ist wahnsinnig,« flüsterte Domitia. »Er gebärdet sich wie ein Besessener, er läuft durch die lange Spiegelgalerie auf und ab und schaut in jeden Spiegel, ob ihm nicht jemand folge.«

»Wir wagen nicht, im Palatium zu bleiben,« sagte Domitilla zitternd. »Wir haben um eine Ecke geschaut in der Spiegelgalerie. Diese Galerie, dieser Wahnsinn! Überall dieser Reflex des eigenen Bildes wie ein tausendfaches Gespenst!«

»Seit er das von meiner armen Nigrina gehört hat ...« rief Fabulla schluchzend aus.

»Was?« fragte Crispinus. Die vier Frauen umringten den einzigen Mann in dem kleinen Atrium. Über ihnen lag drückend der schwüle, tiefhängende, sternenlose Himmel.

»Hat er es doch gehört?«

»Bangt er auch um sein eigenes Leben,« rief die Kaiserin, »will er keinen Menschen um sich haben, jagt er einen jeden davon, sogar Parthenius, sogar Satur.«

»Sogar Parthenius?« fragte Crispinus.

»Sogar ihn!« rief Domitia wütend. »Deine Kreatur!«

»Ich glaubte, er sei dem Kaiser wohlgefällig.«

»Wohlgefällig?« rief Domitilla. »Niemand ist ihm wohlgefällig. Wir Frauen vermögen nichts, und du erreichst nichts, obgleich du ein Mann bist. Das kann so nicht weiter gehen.«

»Es kann so nicht weiter gehen!« rief Domitia.

»Fabulla,« rief Crispinus, »warst du in der letzten Nacht bei Nigrina?« »Ich?« schrie Fabulla. »Nein!«

»Doch, doch! Du warst bei ihr, du bist jede Nacht bei ihr in den Carinae.«

»Nein!« schrie Fabulla. »Ich war nicht da.«

»Schrei nicht so laut!« rief Crispina ängstlich. »Bedenke doch!«

»Du warst da«, rief Crispinus drohend, »als sie ermordet wurde. Mit wem wart ihr da zusammen?«

»Ich war nicht da,« wiederholte Fabulla, sich zur Wehr setzend. »Ich weiß von nichts. Ich dachte mir schon, daß man glauben würde ...«

»Du warst da!« sagte die Kaiserin. »Du weißt darum!«

»Augusta!« rief flehentlich Fabulla. Sie warf sich auf die Knie. »Augusta, ich schwöre es Euch, ich war nicht da, ich war nicht bei Nigrina.«

»Jeden Abend bist du da,« sagte erbarmungslos Domitia.

»Jeden Abend!« rief Crispinus, der es, grausam wie er war, wie eine Erleichterung empfand, einen andern Menschen in Angst zu sehen.

»Ich war nicht da,« rief Fabulla.

»Schrei nicht so laut!« rief Crispina.

Crispinus zerrte Fabulla empor.

»Wo warst du wohl sonst?« fragte er rauh.

»Ich war ... ich war ...«

»Wo?«

»Wo?«

»Wo?« fragten die Frauen, sie umringend.

»Bei Galla!« Fabulla schrie es hinaus.

Die Frauen lachten, auch der Mann.

»Bei Galla!« schrien sie lachend. »Bei der alten Galla, bei der schmutzigen Lena?«

»In ihrem unterirdischen Fornix?« sagte lachend Crispinus. »In der gemeinsten Gegend des Summoeniums?«

»Ja!« schrie Fabulla alles eingestehend, um den Verdacht daß sie um den Mord der Nigrina wissen könne, von sich abzuwenden.

»Mit wem?« fragten die Frauen eindringlich. »Sag' mit wem?«

»Sonst glauben wir dir nicht,« sagte Crispinus, ebenfalls drängend. »Mit ...« Fabulla zauderte.

»Mit?«

»Colosseros!« rief sie aus. »Mit Colosseros.«

Sie richtete sich auf in Todesangst. Sie wollte alles sagen, um nicht noch langer verdächtigt zu werden. Schon sah sie das martervolle Kreuz sich erheben, sah, wie sie lebendig begraben ward, gleich der Vestalin Cornelia, die von Crispinus verführt und dann von ihm verraten worden war.

»Wer ist Colosseros?« fragten Domitia und Domitilla.

»Der kolossale Eros? Natürlich ein Gladiator!« rief Crispinus aus.

»Ja,« sagte Fabulla erleichtert. »Ja, ja, ein Gladiator.«

Die Frauen blickten einander alle drei keck an: Domitia, Domitilla, Crispina. Sie hatten mit Fabulla keine Geheimnisse voreinander in bezug auf ihre nächtlichen Streifzüge, ihre flüchtigen Leidenschaften, die sie nicht zählten. In der schwermütigen, stets düster drohenden Atmosphäre, die das Palatium erfüllte, die sich über den ganzen Palatin ergoß, empfanden ihre entnervten Sinne und Seelen das unwiderstehliche Bedürfnis, diesem drückenden Zauberbann zu entfliehen zu dem Leben, dem glühenden, blühenden Leben, dem tollen Leben, um nur vergessen zu können. Sie alle hatten ihre Geliebten. Vielleicht hatten sie auch wohl verstoßene Kinder. Alle vermuteten voneinander dergleichen Dinge. War doch Domitia monatelang von Domitian verstoßen gewesen wegen Paris, des Mimus, den der Kaiser hatte kreuzigen lassen. War Fabulla in dem Augenblick, da Nigrina ermordet wurde, in dem Kellerbordell der alten Galla mit diesem Colosseros zusammengewesen, dann ...

Crispinus bedauerte im stillen, daß es ihm vermutlich nicht glücken werde, den Verdacht auf Fabulla zu lenken. Falls ihm dies glückte, würde er sogleich in Domitians Gunst noch steigen. Denn der Kaiser werde den an Nigrina verübten Mord zweifellos rächen wollen, sei es auch nur, um sich selber die Beruhigung zu verschaffen, daß ein Mörder weniger sich in Rom umhertriebe. Die Angst vor Mördern beherrschte ihn völlig. Crispinus dachte darüber nach, was hier zu tun sei. Es war ihm, als wanke der Boden unter seinen Füßen.

Plötzlich wurde sehr zaghaft an die Tür geklopft. Die Frauen erschraken.

»Wen erwartest du?« rief Domitia nervös und unruhig. »Läßt der Kaiser mich etwa suchen? Was will er? Ich kann nicht in den Palast zurück. Ich fürchte mich.«

»Erwartest du jemand?« fragte Domitilla und wandte sich an Crispina.

»Ja,« gestand Crispina ein.

»Hier?« rief Domitia heftig aus, während sie angstvoll um sich schaute. »Auf dem Palatin? Einen Geliebten? Wenn jemals der Kaiser erführe, daß du hier einen fremden Mann empfängst, der nicht zum Palatium gehört, der sich in das Palatium einschleichen kann, um ihn zu ermorden!«

»Augusta, ich weiß Bescheid über den Mann, der da klopft,« sagte Crispinus.

»Ach du, du!« rief Domitia. »Glaubst du vielleicht, du seist heute in des Kaisers Gunst, seist noch in seiner Gunst, seit Nigrina ermordet wurde? Er wird sich rächen wollen, vielleicht sogar an dir.«

»An mir?« rief Crispinus entsetzt. »Was kann denn ich ...?«

»Warum nicht an dir? Warum nicht an dem ersten besten, an einem von uns, an mir? Wenn er nur seine Furcht bannen kann durch eine Bluttat! Ein Mord, den er nicht selbst verübt, macht Domitian toll.«

»Bei allen Göttern, Augusta!« bat Crispina flehentlich. »Sprecht leiser! Der Mann da draußen hört vielleicht.«

»Wie können wir fort?« fragte Domitilla. »Wohin?«

»O!« rief Domitia aus. »Ich kann nicht in den Palast zurück. Ich fürchte mich, ich fürchte mich.«

»Ich auch,« rief Domitilla.

Sie rangen die Hände.

»Kommt mit mir!« sagte Crispinus bleich. »Hier könnt Ihr nicht bleiben, Augusta. Wenn der Kaiser erfährt, daß Ihr auch nur eine einzige Nacht nicht im Pallatium geschlafen! Kommt mit!«

Das Pochen wiederholte sich. Einen Augenblick ertönte etwas wie ein metallener Klang, wie von einem Speer, der draußen auf die Steine gestoßen wurde.

»Vor der Tür stehen Prätorianer,« flüsterte atemlos Domitia. »Wie kann ich fliehen?«

»Augusta,« sagte Crispinus, »glaubet mir, ich weiß, wer da klopft. Es ist ein Prätorianer mit ...«

»Mit wem?«

»Mit wem?« wiederholte Domitilla und Fabulla. »Mit Lavinius Gabinius,« gestand Crispina ein.

»Wer ist das?«

»Der Dominus Gregis,« sagte Crispinus, »dessen Truppe morgen auftritt.«

»Die Megalesia!« rief Domitia. »Morgen ist der erste Tag der Megalesia! Der Kaiser wird nicht ins Theater gehen wollen. Es ist auch besser, daß er nicht geht. Crispina, was willst du mit diesem Dominus Gregis?«

»Augusta!«

»Sage es mir!«

»Er kommt, um ihr Bericht über ihre Zwillinge zu bringen,« sagte Crispinus rauh.

»Crispinus!« schrie seine Schwester.

Die Frauen begriffen. Sie lachten.

»Deine Zwillinge?« fragte spöttisch Domitia.

»Gehören sie zu seiner Grex?« fragte ebenso spöttisch Domitilla.

»Zwillinge!« rief Fabulla. »Bei der Grex des Lavinius Gabinius? Ich kenne sie, ich habe sie gesehen, ich habe deine Zwillinge gesehen.«

»Gesehen?« rief Crispina aus.

»In ...,« flüsterte Fabulla erfreut, weil sie wieder Boden gewann, »in der Taberne des Nilus. Dort saßen sie.«

»Ihre Zwillinge?«

Die Frauen lachten laut auf.

»Zwillinge! Crispinas Zwillinge!«

»Ich bekomme niemals Zwillinge,« schrie Fabulla. »Törin, die du warst! Die alte Galla weiß, wie man sie nicht bekommt.«

»Augusta!« bat flehentlich Crispina. »Ich flehe dich an.«

»Fürchte dich nicht, Crispina!« sagte Domitia lächelnd, während Domitilla und Fabulla aus vollem Halse verächtlich lachten. »Wir werden niemand etwas von deinen Zwillingen sagen. Aber wie kommen wir fort von hier? Hier vorbei?«

»Ja,« sagte Crispinus, indem er auf eine Tür wies.

Die drei Frauen lachten, vergaßen ob solch belustigender Überraschung all ihre Angst, stürzten auf die Tür zu. Crispina faltete flehentlich die Hände.

»Augusta! Sagt dem Kaiser niemals ...«

»Es hat nichts zu bedeuten, Crispina,« meinte Domitia lächelnd, indem sie sie beruhigte. »Ich werde dem Kaiser nichts sagen. Was würde es ihn kümmern? Zwillinge!« »Zwillinge!« wiederholten die Frauen lachend, während sie sich durch die Tür drängten.

Sie waren mit Crispinus gegangen. Crispina öffnete bleich die Tür, an der es geklopft hatte.

»Domina!« sagte der Prätorianer, dessen Speer sie hatte klirren hören. »Hier ist Lavinius Gabinius, den ich von der Pforte am Septizonium bis zu Eurem Hause habe geleiten müssen.«

»Führe ihn herein!«

Lavinius Gabinius trat ein. Der Prätorianer sagte:

»Ich werde im Park auf ihn warten, um ihn zurückzugeleiten.«

Crispina schloß die Tür.

»Domina!« sprach höflich grüßend der Dominus.

Crispina blieb einen Augenblick stumm. Sie mußte erst zur Ruhe kommen. Ihr Blut wogte. Sie setzte sich auf eine Bank, Endlich sprach sie:

»Lavinius!«

»Domina?«

»Ich habe Euch zu mir bitten lassen, um Euch zu fragen ...«

»Was, Domina?«

»Nach den Kindern.«

»Es geht ihnen gut, Domina.«

»Ich habe sie seit drei Jahren nicht gesehen.«

»Als sie im Mimus tanzten. Sie sind gewachsen seither. Es sind schöne Knaben. Sie spielen die ersten Frauenrollen. Domina wird sie sich morgen sicherlich ansehen?«

»Ich weiß nicht,« erwiderte Crispina zweifelnd.

»Aber der Hof wird doch kommen? Der Kaiser?« fragte Lavinius besorgt. »Am ersten Tag der Megalesia!«

»Nichts ist sicher,« erwiderte Crispina ausweichend. »Der Kaiser ist krank, und die Kaiserin, Lavinius ...«

»Domina?«

Sie richtete sich plötzlich zornig hoch auf.

»Ließ es sich nicht vermeiden, daß du nach Rom kamst?«

»Domina, die Ädilen forderten mich auf. Ich war in Neapel. Ich bin drei Jahre in Kleinasien, in Ägypten gewesen. Ich konnte es nicht ablehnen. Ich bin bekannt, berühmt. Domina, was habt Ihr zu fürchten?«

»Wissen sie?«

»Was sollten sie wissen? Sie wissen nichts. Sie denken gar nicht darüber nach, glauben, Findlinge zu sein, gestohlene Kinder.« »Sind sie schön?«

»Wie nur Eure Söhne es sein können, Domina.«

»Gleichen sie ihrem Vater? Ihr könnt Euch seiner doch noch entsinnen?«

»Ob ich mich des Manlius entsinnen kann, Domina? Sie gleichen ihm und auch Euch.«

»Wenn auch der Hof nicht gehen sollte, ich komme doch, um sie zu sehen. Aber, Lavinius ...«

»Domina?«

»Sagt mir ehrlich! Wollt Ihr Geld oder warum seid Ihr nach Rom gekommen«?«

»Geld, Domina?«

»Dann hättet Ihr Euch verrechnet. Ich besitze kein Geld. Ich lebe hier von der Gnade des Kaisers. Im übrigen weiß jetzt ein jeder um meine Kinder, sogar die Kaiserin.«

»Domina, wie sollte ich wohl Geld wollen? Warum? Die Zwillinge, die Ihr mir vor mehr als zwölf Jahren schenktet, sind Sklaven, die ihr Geld wert sind, wenngleich ich ihnen eine kostspielige Erziehung habe zu teil werden lassen.«

»Ich meinte ...«

»Ihr meint, ich wolle Euch belästigen, weil ich mit den Knaben nach Rom gekommen bin? Ich bin ein Künstler, Domina, ich denke nur an meine Kunst, an meine Truppe, an unser Spiel. Ihr habt Lavinius Gabinius falsch beurteilt.«

»Weil ich Euch davon in Kenntnis setzte, daß nun doch ein jeder« – sie atmete tief auf – »es weiß.«

»Ausgenommen sie selber.«

»Laßt sie es nicht wissen!«

»Ich werde es ihnen nicht sagen. Sie denken mit keinem Gedanken an ihre Mutter.«

»Denken sie nicht?«

»Wie sollten sie wohl? Was kann eine Mutter sie kümmern? Ich war ihnen allzeit ein Vater.«

»Seid Ihr gut zu ihnen, Lavinius?«

»Allzu gut, Domina. Ein Komödiant erhält hin und wieder Prügel, wenn er schlecht spielt. Sie sind niemals geprügelt worden.«

»Weil sie gut spielen?«

»Sie spielen gut, aber dennoch würden sie manchmal Prügel verdienen.« »Und dann erhalten sie ...«

»Keine Prügel.«

»Ich werde morgen kommen, um sie zu sehen.«

»Selbst wenn der Hof ...«

»Nicht kommt, Lavinius.«

Sie suchte in dem Gürtel ihrer Stola, fand die Börse, die sie bereits zu sich gesteckt hatte und noch vor einem kurzen Augenblick nicht hatte hergeben wollen, weil Crispinus absichtlich alles verraten habe.

»Domina!«

»Hier sind tausend Sesterzen. Nehmt sie! Bleibt gut zu den Kindern, zu meinen Knaben, die ihrem Vater gleichen!«

»Sie sind fein und zart gebaut wie Ihr.«

»Aber dennoch ...«

»Gewiß, dennoch gleichen sie dem Manlius, und seine Begabung haben sie geerbt.«

Eine Sandale knarrte. Durch die Seitentür trat plötzlich Crispinus.

»Du jagst mir einen Schreck ein,« sagte Crispina zitternd.

»Der Kaiser ist ruhig«, sprach er flüsternd, »in seinem Gemach. Die Kaiserin, Domitilla und Fabulla haben sich in ihren Gemächern eingeschlossen. Ich bleibe hier, Crispina.«

»Hier?«

»Hier fühle ich mich sicherer. Wenn er mich entbieten läßt, müssen sie mich suchen, und währenddessen kann ich entfliehen. Wenn er mich nicht entbieten läßt, werde ich ihn morgen begrüßen, weil dann keinerlei Gefahr mehr besteht. Wisset wohl, Lavinius, daß es einem jeden bekannt ist, daß meine Schwester ...«

»Edler Crispinus, wie ich der Domina bereits sagte, Ihr braucht nicht zu fürchten, daß ... Wir in unserm Kreise denken nicht so, wie Ihr hier denkt, hier, im Palatium auf dem Palatin. Wir sind Histriones, müßt Ihr wissen, und haben andere Sorgen, wenigstens ich. Ich verdiene mein Geld auf andere Weise. Die Domina gab mir tausend Sesterzen.«

»Doch?« rief Crispinus. »Warum?« fragte er seine Schwester mit rauher Stimme.

»Allein,« fuhr der Dominus fort, »ich habe kein Anrecht auf dieses Geld, hier ist es, edler Crispinus.«

Crispinus riß ihm die Börse aus der Hand.

»Ich gab sie ihm,« sagte Crispina flehentlich, »für die Kinder.«

»Du gabst ihm die Kinder selbst, bevor ich ihnen den Hals umdrehen konnte.«

»Sicherlich war das ein schönes Geschenk,« sagte Lavinius würdevoll. »Aber um der Kunst willen wäre es schade gewesen, ihnen den Hals umzudrehen.«

»Ich werde sie mir morgen ansehen,« sagte Crispinus.

»Bedenkt, edler Crispinus,« sagte Lavinius ruhig, »daß sie meine Sklaven sind!«

»Deine Sklaven?«

»Die Domina hat mir ihre Kinder als Sklaven überlassen, nicht wahr? Sie schenkte sie mir, aber als Sklaven. Das steht ganz deutlich in der Verzichturkunde. Ihr entsinnt Euch dessen doch wohl?«

»Warum?« fragte Crispinus.

»Aus keinem bestimmten Grunde,« sagte Lavinius, indem er sich unterwürfig verneigte und mit dem Arm eine abwehrende Bewegung machte.

»Du glaubst doch nicht etwa ...?«

»Ich glaube nichts, edler Crispinus. Mein armer Kopf ist ganz erfüllt von der morgigen Vorstellung. Bedenkt doch nur, die Eröffnung der Spiele an den Megalesia! Ganz Rom, auch der Hof, wie ich hoffe, und die Domina und Ihr ...«

»Es ist durchaus nicht zu fürchten, daß ...,« flüsterte Crispina dem Crispinus zu.

»Ich fürchte auch nicht,« antwortete der Bruder flüsternd.

»Gib ihm das Geld zurück!«

»Das Geld? Tausend Sesterzen?«

Sie lachte verächtlich.

»Patrizier!« sagte sie spöttisch.

Er erblaßte.

»Komödiantendirne,« schalt er, »die ihre Kinder als Sklaven verschenkt!«

»Du würdest sie verkauft haben, wenn du gewußt hättest, daß sie noch lebten, als ...«

»Du hattest kein Recht.«

»Ihr Vater lebte noch.«

»Als ein Infamis, als Nichtbürger, als ein Rechtloser, ein Histrio!«

»Recht!« rief sie spöttisch aus. »Was gilt das Recht in unserer Zeit? Du möchtest wohl gar dem Lavinius noch einen Prozeß anhängen? Ich kam dir zuvor. Gib Lavinius das Geld!« »Ich bin ja kein Patrizier.«

»Sklave aus Canopus!« schalt sie.

Wutschnaubend ballte er die Fäuste hoch über ihr.

Lavinius wehrte ihn mit theatralischer Gebärde ab.

»Edler Crispinus! Domina!« sprach er. »Streitet Euch nicht meinetwegen oder um der Knaben willen! Wir sind Histriones und nicht würdig, von Euch beachtet zu werden. Ich bin davon überzeugt, daß ihr, Crispinus, ihnen niemals etwas Böses antun werdet. Nun vergönnt mir, daß ich mich entferne! Es ist spät, und morgen muß ich schon vor der dritten Stunde alles bereit haben. Bedenkt doch, der erste Tag der Megalesia!«

»Gib ihm das Geld!« sagte Crispina.

Aber schon hatte sich Lavinius höflich mit schwungvollem Gruße zurückgezogen, als die Tür plötzlich geöffnet ward. Der Prätorianer stand draußen. Sein Ohr hatte er gegen den Pfosten gelegt, um zu lauschen. Er war ärgerlich, weil er nur undeutliches Schelten hatte vernehmen können.

Bruder und Schwester waren allein. Haßerfüllt schauten sie einander an.

»Ich bleibe hier,« sagte er, »wenn der Kaiser mich nicht entbieten läßt.«

»So bleibe!« sagte sie mit matter Stimme.

Er folgte ihr zum Atrium hinaus. Sie betraten das Innere des kleinen Hauses. Auf der Schwelle noch blieb er stehen. Seine Sandalen knarrten. Er erschrak nervös und horchte hinaus.

»Stimmen!« sagte er flüsternd.

Auch sie lauschte ängstlich. Die Nacht war schwül und drückend.

»Ihr, edler Martial?« hörten sie die Stimme des Lavinius Gabinius verwundert sagen.

»Ihr, Lavinius Gabinius?« hörten sie darauf Martial verwundert antworten. »Zu dieser Stunde in den Gärten des Palatins? Du Schalk, sicherlich liebst du eine Frau vom Palatin! Ein Histrio, der eine Patrizierin liebt! Warte nur, ich werde ein Epigramm auf dich dichten! Ich? Ich gehe zum Kaiser. Ich wurde zu ihm entboten. Wenn er sehr traurig ist und genug hat von seinen Narren, läßt er mich rufen, auf daß ich ihn zerstreue. Ja, Lavinius, wir Dichter sind oftmals Narren, und Narren sind oftmals Dichter. Vale, Lavini!«

»Vale, Martialis! Auf morgen im Theater des Pompejus!«

»Auf morgen im Theater des Pompejus! Lavini Gabini, vale!«


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