Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.

Als Cäcilius in der Frühe die Augen aufschlug, befand er sich in einem kleinen, zierlichen Kämmerchen, dessen eines Fenster zwischen Pfeilern hinaussah auf das Forum, das in der Tiefe lag, wie ein Tal von wimmelndem Marmor. Die Tempel, die Triumphbogen und Säulen, die Basiliken, die Denkmäler, alles schob sich dicht voreinander, und zwischen alles hindurch wimmelte gleich großen bunten Ameisen die Menge. Die Sonne fiel schräg in das kleine Zimmer, und vor Cäcilius, der auf seinem niedrigen Bett lag, stand Earinus.

Earinus war der junge Günstling des Kaisers und kaum einige Monate älter als Cäcilius. Er entstammte einem patrizischen Geschlecht. Er war ein sehr schöner Jüngling mit kurzen, braunen, lockigen Haaren und tiefblauen Augen. Er trug eine kurze hellblaue Seidentunika. Saphire blitzten in seinem Haarband, an seinen Fingern, an seinem Gürtel, an seinen Schuhspangen.

»Verzeiht mir, edler Earinus!« sagte Cäcilius und stand auf.

»Schliefst du noch?« fragte der junge Patrizier.

»Ja.«

»Warst du müde?«

»Ein wenig. Ich habe gestern spät und lange vor dem Kaiser getanzt.«

»Parthenius, der oberste der Cubicularii, hat mir gesagt, ich solle dich aufsuchen, Cäcilius. Ich wollte dich nicht wecken.«

»Die Sonne hat mich geweckt, Herr.«

»Vor dem Abend wirst du vermutlich nicht zum Kaiser befohlen. Wir werden heute zusammen sein.«

»Ja, Herr.«

»Nenne mich Earinus! Du bist blaß, Cäcilius. Hast du nicht gut geschlafen?«

»Ich habe geträumt,« sagte Cäcilius, indem er sich die Augen rieb. »Ich habe von meinem Brüderchen geträumt, es sei krank. Wir können nicht lange ohne einander sein, Herr.« »Nenne mich Earinus!«

»Das wage ich nicht, Herr. Ihr seid ein vornehmer Jüngling, ich bin nur ein kleiner Komödiant.«

»Der Sohn der Crispina?« fragte lächelnd Earinus.

Cäcilius blickte verlegen.

»Ich weiß nicht.«

»Es bleibt sich gleich,« sagte Earinus. »Ich will dein Freund sein für die Zeit, die du hier im Palatium verbringst. Auch ich fühle mich oft einsam. Welch schönes, blondes Haar du hast, Cäcilius!«

»Nein, lieber Earinus. Ihr seid schön mit dem kurzen, braunen Haar.«

»Ich habe meine Haare gerade abschneiden lassen. Ich habe soeben das Alter erreicht, in dem das üblich ist.«

»Wem habt Ihr sie geopfert, Earinus?«

»Dem Gotte Äsculap zu Pergamon in einer goldenen Kapsel. Martial hat ein Epigramm darauf gemacht und unser Statius ein Gedicht von mehr als hundert Versen.«

Cäcilius lachte. Er wusch sich und kleidete sich an. Es kam ein Sklave, der ihm behilflich war, die lange goldglänzende Histrionentunika anzulegen, die langen Bänder seiner vergoldeten Schuhe zu schließen und den vergoldeten Rosenkranz zu befestigen.

»Martial macht auf alles und auf jeden Epigramme,« sagte Cäcilius.

»Auf dich auch?«

»Auf mich und auf mein Brüderchen. Aber ich muß mein Haar lang tragen, weil ich ein Komödiant bin. Die Tonstrix der Gymnasium könnte mich sonst nicht frisieren.«

»Wie warst du schön, Cäcilius, in den Bacchides! Wie schön sahst du aus und wie gut spieltest du!«

»Aber mein Brüderchen auch, Earinus.«

»Ja, Cäcilianus auch. Höre, Cäcilius! Ich habe gehört, er sei krank.«

»Wie ich es träumte, wie ich es jede Nacht träume.«

»Wieviel Nächte schon?«

»Alle fünf Nächte, seit ich hier bin.«

»Ich habe mir gedacht, es sei gut, zu ihm zu gehen und ihm zu sagen, daß es dir wohl geht. Es geht dir doch gut?«

»Ja, Earinus. Ich bin kräftiger als mein Brüderchen. Ich werde nicht krank werden, obwohl ich etwas müde bin. Denn gestern habe ich sehr lange vor dem Kaiser tanzen müssen.«

»Das ist eine große Ehre,« sagte Earinus. »Es wird dir von großem Vorteil sein. Du hast hier alles: ein schönes Zimmer, schöne Kleider, einen Sklaven, der dich bedient. Sieh! Wie schön dieser Blick über das Forum!«

»Ja, Earinus. Aber ich bin daran gewöhnt, frei und mit meinem Brüderchen zusammen zu sein. Wir sind wohl Komödianten und Sklaven, aber doch frei. Hier bin ich gefangen.«

»Darfst du das Palatium nicht verlassen?«

»Nein, Earinus.«

»Ich werde Cäcilianus heute deine Grüße überbringen. Ich darf durch den Park gehen. Komm nun mit!«

Earinus streckte die Hand aus. Er lächelte. Er war schön wie ein junger Eros. Aus seinem Lächeln aber sprach eine unendliche Wehmut.

»Earinus!« sagte Cäcilius. »Du bist schön wie der Eros des Praxiteles, den wir in Hellas gesehen haben. Du lächelst ebenso wehmütig wie er.«

»Ich lächle nicht wehmütig,« sagte Earinus abwehrend.

»Komm mit!«

Die Knaben traten zusammen aus der Kammer. Sie gelangten in eine Galerie, auf die die Zellen der bevorzugten Sklaven mündeten. Die Galerie endete in einer Portikus, die über das Haus der Vestalinnen hinwegsah und mit ihren Säulen vor der Palastkaserne der Prätorianer aufragte. Diejenigen von ihnen, die keinen Dienst hatten, saßen rittlings auf den Bänken und würfelten.

»Wir,« flüsterte Cäcilius schalkhaft, »mein Brüderchen und ich, haben auch schon gewürfelt und getrunken.«

»Wo?«

»Bei der Pforte am Septizonium.«

»Ich nie.«

»Ihr, Earinus, seid auch ein Patrizier.«

Earinus lächelte geringschätzig. Die Jünglinge wanderten weiter, durch eine zweite Galerie, von der Treppenfluchten nach der Area Palatina, dem großen Platz vor dem Palast, führten.

»Ja!« sagte Cäcilius und deutete abwärts. »Dort wurden wir bedrängt vom Volke, das uns ausschalt. Es war Salutatio beim Kaiser gewesen, und ich war mit meinem Brüderchen zusammen.

Damals beschützte uns Martial, und wir bestiegen die Sänfte des edlen Plinius.«

Er sprach das alles so, als sei es eine Erinnerung, die weit, weit zurücklag.

»Komm!« sagte Earinus. »Gib mir deinen Arm! Ich will dir den ganzen Palast zeigen.«

Cäcilius nahm schüchtern des Earinus Arm. Sie stiegen die Treppe hinunter. Überall an den Treppen, oben, unten, an den Türen, am Ein- und Ausgang, standen Prätorianer. Es war wie eine verlassene Weite von Marmor und Mosaik, mit Gold aufleuchtend an den korinthischen Kapitellen und Architraven, an den Siegesgöttinnen auf Säulen von Porphyr, an den gelben und roten und weißen Palastmauern aus verschiedenem, edlem Gestein, und der ganze, weiße Platz glühte verlassen in der strahlenden Sonne. Und hier und dort und überall Prätorianer, deren Helme und Schilde und Speere den grellen Glanz zurückwarfen. Der Kaiser war immer krank, und seine Krankheit war ein Verfolgungswahn. Er blieb unsichtbar in seinem Palast und empfing niemand mehr. Es fanden keinerlei Begrüßungen und Audienzen mehr statt. Nichts schien sich zu ereignen in dem Palast, es schien niemand erwartet zu werden. Alle Prätorianer blickten von allen Emporen und Treppen herab auf die beiden Knaben, die Arm in Arm den Platz überschritten.

Denn sie alle kannten Earinus und jetzt auch Cäcilius. Sie ließen sie überall passieren und grüßten Earinus mit dem Speer oder blinzelten Cäcilius zu. Die drei monumentalen Tore des Palastes unter der ungeheuren Portikus waren geschlossen. Earinus führte Cäcilius durch ein kleines Seitentor links und ging mit ihm zwischen den Prätorianern hindurch.

»Stehen die Wachen überall?«

»Ja,« sagte Earinus. »Überall. Aber du siehst, ich darf hindurch und du mit mir.«

»Aber ich darf die Treppe zum Forum nicht hinuntersteigen?«

»Nein.«

»Und nicht in die Parks?«

»Nein.«

Die Knaben waren nun in dem flavischen Palast. Cäcilius an des Earinus Seite sah die sonst von niemand geschauten Basiliken der kaiserlichen Rechtspflege. Er dämpfte seine Stimme. Es waren Unermeßlichkeiten aus Marmor von Numidien und Karystos, Wälder von Säulen, und aus der Ferne gesehen schien es so, als ständen überall, bei allen Toren, Prätorianer.

»Wie wunderschön das ist!« flüsterte Cäcilius. »Aber leer und drückend! Man kann hier nicht atmen, würde Cäcilianus sagen. Aber es ist schade, daß er es nicht sieht. Denn es ist schöner als irgend etwas in Alexandria.«

»Sieh!« sagte Earinus, als sie die Basiliken durchschritten hatten. »Dies ist das Triklinium, der große Speisesaal, den Martial die Cenatio Jovis, Jupiters Speisesaal, genannt hat.«

»Oh!« sagte Cäcilius bewundernd und blieb auf der Schwelle stehen zwischen den vier Prätorianern, die dort Wache hielten.

Leer und öde breitete sich der unabsehbare Saal unter seiner ungeheuren gewölbten domähnlichen Decke. Bei jedem Schritt der langsam vorwärts schreitenden Knaben änderte sich die Fernsicht zwischen den unzähligen, unzähligen Säulen. Zur Seite des nischenförmigen Throns, auf dem bei den Festmahlen der Kaiser lag mit seinen Günstlingen, umblühten zwei runde Nymphäa mit Lotus, Myrthe und Oleander die Wasserstrahlen, die von marmornen Delphinen hervorgespien wurden.

»Oh!« wiederholte Cäcilius. »Es ist genau so groß wie das Theater des Pompejus.«

»Ich glaube nicht,« meinte Earinus lächelnd.

»Ich glaube es auch nicht,« wiederholte Cäcilius, froh, etwas wiederholen zu können. Er war daran gewöhnt, daß er oder Cäcilianus ihre Worte gegenseitig wiederholten.

»Aber Martial hat doch gesagt ...,« sagte Earinus.

»Ja, in einem seiner Epigramme.«

»Daß er einer Aufforderung des Kaisers ...«

»Ja, des Kaisers den Vorzug geben würde ...«

»Vor einer Einladung Jupiters.«

»In den Olymp.«

Cäcilius meinte, Earinus sei ihm ein lieber Freund. Denn es war fast ebenso, als wenn er sich mit seinem Brüderchen den Palast ansähe. Doch Earinus war nicht sein Brüderchen, und sein Brüderchen war krank. Aber er, er wollte nicht krank werden.

»Wir wollen uns hier hinsetzen,« sagte Earinus.

Sie setzten sich in eines der Nymphäa zwischen den Rosen auf den Rand des Bassins.

»Ja!« – Earinus träumte laut – »Ich habe hier die wunderbarsten Feste erlebt. Noch vor einem Jahre. Da sprühten Düfte von oben herab und Rosen entrankten der Decke, die sich drehte. Nun ist das alles vorüber.«

»Entbietet der Kaiser dich häufig zu sich, Earinus?«

»Nein, nie mehr. Ich glaube, er weiß nicht mehr, daß ich lebe. Ich bin zwar stets in seinem Gefolge, aber er sieht sich nie mehr nach mir um. Und doch kann ich nicht fort aus dem Palast. Ich darf nicht fort. Es ist besser, daß ich bleibe. Denn meine Eltern sind arm.«

Earinus wurde sehr wehmütig. Aber er wollte es nicht zeigen. Als es im Nymphäum heiß zu werden begann von der stets höher steigenden Sonne, führte Earinus Cäcilius in sein eigenes Gemach, wo er mit ihm speisen sollte.

»Earinus!« sagte Cäcilius. »Wie lieb bist du zu einem armen kleinen Komödianten, der sein Brüderchen nicht bei sich hat!«

Earinus lächelte schweigend und lud Cäcilius ein, sich niederzulegen. Es war ein kleiner, runder Pavillon mit tiefschwarzen kleinen marmornen Säulen und feinen Fresken auf roter Wand. Da war ein Sigma, ein Bett zum Liegen in der Form eines S für zwei Genossen. Sklaven brachten zwei Tischchen, die sie in die Rundungen des S stellten.

Da gab es Blumen und Früchte und hellen, topasfarbenen Wein.

»Wenn Cäcilianus nur dabei wäre!« sagte Cäcilius.

Sie aßen, der junge Patrizier und der kleine Komödiant. Dann blieben sie allein, und Cäcilius schlief müde ein. Er lag da scheinbar getröstet, aber dennoch schmachtend in den Kissen und schlief, schlief.

Earinus neben ihm hatte einer bronzenen Hülle eine Buchrolle entnommen und las.

Cäcilius schien nicht erwachen zu wollen. Earinus blickte dann und wann zu ihm hin. Er schlief weiter. Der Mittag schleppte sich hin. Endlich erwachte Cäcilius.

»Ich habe geträumt,« sagte er sogleich.

Der Schlaf schien ihn nicht erquickt zu habe«. Er war müde und blaß, hing sich in Earinus Arm, glitt zu seinen Füßen nieder, legte seinen Kopf auf des Earinus Schoß und weinte still und lautlos.

Es begann zu dämmern. Draußen meldete sich ein Sklave, indem er mit einem bronzenen Klopfer an die Tür schlug.

Er erschien. »Edler Earinus!« sagte er. »Parthenius schickt mich. Der Kaiser läßt Cäcilius entbieten.«

»Er wird gehorchen,« sagte Earinus.

Der Sklave zog sich zurück.

»Cäcilius!« sagte Earinus. »Hast du gehört? Der Kaiser läßt dich entbieten.«

»Ja,« sagte Cäcilius matt.

Er stand auf.

»Ich werde dich hinführen,« sagte Earinus.

Er geleitete den kleinen Komödianten durch den Palast. Überall in den endlosen Gängen, Hallen, Sälen, Portiken dämmerte der im Schatten lagernde Fernblick mit den Glanzlichtern der Helme und Speere der Wache haltenden Prätorianer. Es war wie ein verlassener Gespensterpalast, riesenhaft weit für einen Fürsten, der nicht da war und doch überall bewacht wurde.

Plötzlich gewahrten die Knaben in einem Vestibulum Frauen, die miteinander flüsterten.

Es war die Kaiserin mit Domitilla, Crispina, Fabulla.

»Was gibt es?« fragte die Kaiserin ängstlich.

»Nichts, Augusta,« sagte Earinus. »Der Kaiser hat Cäcilius zu sich befohlen.«

»Zum Tanzen?«

»Zum Tanzen, Augusta.«

Crispina näherte sich ihrem Sohn.

»Cäcilius!« sagte sie. »Cäcilianus läßt dir sagen, daß er von dir träumt.«

Sie ordnete seinen vergoldeten Rosenkranz.

»Er sieht dich tanzen, vom Flimmer umhellt.«

»Edle Crispina!« antwortete Cäcilius. »Sagt dem Cäcilianus, daß ich von ihm träume und ihn in meinen Träumen krank sah, aber daß ich nicht krank bin und er auch nicht krank werde.«

Parthenius trat aus dem Wachtraum, der vor den kaiserlichen Gemächern gelegen war.

»Komm!« sagte er.

Cäcilius grüßte die Kaiserin, die Frauen. Jawohl, dachte er bei sich, die Kaiserin, die mit Paris ..., die hagere Domitilla, von deren Mutter Priscus und Verus, die Gladiatoren, sich mancherlei zu erzählen wußten, und Fabulla, die erst seine Rollen hatte spielen wollen und die nun Christin werden wollte. Dann die Mutter des Cäcilianus und auch die seine, Crispina, und Earinus.

Er ging auf Earinus zu, kniete nieder, küßte ihm die Hände.

»Komm!« befahl Parthenius nochmals.

Er stand auf und folgte Parthenius Treppen hinunter, viele Treppen hinunter, die er bereits alle kannte. Ein Traum war es, der sich wiederholte. Prätorianer standen an den untersten Treppenstufen und vor den niedrigen Pforten der unterirdischen Gewölbe. Eine dieser Pforten öffnete Parthenius.

Cäcilius trat ein. Er wußte schon um dieses Phantom. Er befand sich in einer langen, langen Galerie. An den Wänden entlang waren hohe, breite Phengitessteine zu sehen, Rechtecke aus kappadokischem Spiegelstein gleich Kulissen, wie die Choragii sie auf einem Proszenium aufstellten, aber hier im Zickzack angeordnet. Die ganze Galerie entlang waren die hohen, breiten Phengitesspiegel in stets gleichem Zickzack angebracht. Cäcilius sah sein Bild sogleich von links und rechts, von vorn und von rückwärts zurückgeworfen, tausendmal zurückgeworfen.

Ganz hinten in der Galerie saß in einem Sessel ein Mann. Es war der Kaiser Domitian.

Er saß da zusammengelauert, leidend und starrte zu Cäcilius hinüber. Hinter ihm waren Prätorianer, und Crispinus stand hinter seinem Sessel und in den Phengitessteinen dort am Ende des Spiegelganges sah Cäcilius ihrer aller Rücken sich spiegeln.

Dann fing der Knabe an zu tanzen. Ihm war, als fühle er sich von Anfang schon todmüde. Die sonst so geschmeidigen jugendstarken Glieder waren ihm wie zerschlagen. Aber er dachte im stillen: was soll ich tanzen? Es mußte, sollte es dem Kaiser zusagen, jedesmal etwas Neues sein. Als er sein Bild von den schräg aufgestellten großen Steinrechtecken hier und dort und überall zurückgeworfen sah, täuschte eine seltsam überspannte Vision ihm vor, er sehe Wasser, dann meinte er, er werde wohl Narcissus tanzen können, der sein Spiegelbild im Wasser geschaut und sich in sich selbst verliebt hatte. Daher tanzte er seine Verliebtheit in sich selber und bildete sich gleichzeitig ein, es sei Cäcilianus, den er dort in den Spiegelsteinen auf sich zukommen und wieder zurückweichen sah, stets mit den ihnen beiden eigenen Gebärden. Allein es war nicht Cäcilianus, er selbst war es. Währenddessen tanzte er und spielte, als höre er die Nymphe verliebt rufen. Aber er verschmähte sie und lächelte sich selber in den Spiegelsteinen zu, die winkten wie seltsame senkrechte Wasserflächen, wie zickzackförmige Meeresspiegel, in denen Narcissus sein eigenes Bild sah ...

Er tanzte. Er wußte nie, wann er aufhören durfte. Denn der Kaiser machte keinerlei Bewegung, saß, ohne sich zu rühren, sprach kein Wort. Im Hintergrund der Galerie, die mit den schrägen Spiegeln nach dem Ende zu verlief, wo der Kaiser saß, verschwanden Crispinus und die Prätorianer vor des Cäcilius Blicken wie seltsame Schemen und Schatten, wie unwirkliche Spiegelbilder hinter der einen einzigen Wirklichkeit, dem Kaiser. Der saß dort deutlich sichtbar und rührte sich nicht und starrte, starrte.

Der Knabe tanzte. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn und tropften langsam hernieder. Er wiederholte in stets wechselnden Arabesken melodiöser Bewegung, in einem Rhythmus, den nur er in dieser musiklosen Stille hörte, dieselben Motive von der Verschmähung der verliebten Echo und Selbstverliebtheit, dachte währenddessen an Cäcilianus und sah ihn daliegen mit großen, hohlen Augen und Wangen. Ein Fieber der Mattigkeit durchzitterte seinen Körper, der immerfort, immerfort sich bewegte, bis ihn endlich ein Schwindel packte. Er fühlte, daß er zu schweben begann in seinem eigenen Tanz. Eine lautere, klare Schönheit war dieses Schweben. Der Kaiser starrte. Dann kam es Cäcilius in den Sinn, daß er sterben könne gleich Narcissus, daß dies das Ende sei, daß er dann einer Narzisse gleich wieder erblühen werde. Er spielte sein Sterben, und seine Mattigkeit kam ihm zu Hilfe. Er sank zusammen vor einem der Spiegel und fühlte, während seine letzten Gebärden leise verzuckten, wie die kalten Spiegelsteine an seinem zitternden feuchten Körper glühten. Dann brach er zusammen zwischen diesen Widerspiegelungen, die sein Zusammenbrechen vervielfältigten hinter ihm, vor ihm, über ihm, schloß die Augen und blieb liegen einer weißen Blume gleich.

Von weitem her hatte sich Crispinus durch die lange Spiegelgalerie genähert. Langsam kam er daher voller Furcht, der Knabe könne tot sein. Er dachte an den Dominus, an den Vertrag, an die zweihundertfünfzigtausend Sesterzen. Er stieß mit dem Fuß gegen den kleinen Tänzer. Der rührte sich nicht. Er lag da matt, gleich einer Narzisse, die an einem Ufer dahinwelkt.

Crispinus beugte sich herab. Seine Hand betastete den Sohn seiner Schwester voll ängstlicher Sorge um das eigene Wohl. Der Knabe lag bewußtlos da, in kaltem Schweiß gebadet.

Hinten in der Galerie hatte sich der Kaiser erhoben. Auch er kam nun daher durch die lange Galerie. Links und rechts schaute er in den Spiegel, während er sich langsam näherte, voller Argwohn, gequält von dumpfem Verfolgungswahn. Als er Cäcilius erreicht hatte, sagte Crispinus:

»Göttlicher Augustus! Der Knabe ist ohnmächtig.«

Der Kaiser antwortete nicht. Er stieß selber mit dem Fuß gegen den kleinen Tänzer. Der rührte sich nicht. Dann ging der Kaiser schweigend, doch mit einem geringschätzigen Lächeln, das Crispinus galt, langsam weiter. In den Spiegeln vor sich schielte er verstohlen nach dem Günstling, der einst den Steinbutt ... Dann verschwand Domitian zwischen zwei Spiegeln hinter einer geheimen Tür. Er verschwand, gleich als sei er in dem Spiegelstein selber verschwunden.

Crispinus winkte den Prätorianern, die bei dem Sessel stehen geblieben waren.

»Hebt den Knaben auf!« sagte er. »Tragt ihn in sein Zimmer!«

Mit seinem eigenen Mantel bedeckte er Cäcilius. Die Prätorianer hoben den bewußtlosen Knaben auf und trugen ihn die Spiegelsteine entlang. Es schien, als sei in ihrer Widerspiegelung eine flüchtige Bewegung hängen geblieben von melodiösem Tanz und blumenzartem Dahinwelken.

 

Etwa um die nämliche Stunde erschien Earinus, von Crispina geführt, an des Cäcilianus Krankenlager und sprach:

»Cäcilianus! Cäcilius läßt dich grüßen und läßt dir sagen, daß es ihm gut geht.«

Cäcilianus lag bleich, mit einem Schatten um die großen Augen wie stets, auf seinem Bett, und es schien, als wolle ein nie weichendes Fieber ihn verzehren. Er schlief kaum, er aß kaum, er rührte sich nicht. Er sagte jetzt nur mit seiner matten Stimme:

»Wenn Cäcilius nicht tot ist, so ist er krank. Ja, Cäcilius ist krank. Er hat getanzt zwischen allzuviel Geflimmer.«

»Cäcilius läßt dir sagen, Cäcilianus,« fuhr Earinus fort, »du mögest stark sein und essen und aufstehen.«

»Ja,« antwortete mit matter Stimme der Knabe. »Du dürftest nicht mehr krank sein, wenn er zurückkommt.«

»Nein,« sagte Cäcilianus aufstöhnend und weinte.

Earinus ging, Crispina pflegte ihren Sohn. Sie pflegte ihn mit ihren Sklaven, Sklavinnen, gleich als sei er ein kranker Prinz. Er lag in seiner kleinen Kammer, die auf das zierliche Atrium hinausging, während der Delphin den Amor mit seinem geringelten Schweif umschlungen hielt und seine Springbrunnenstrahlen ausspie in der wasserdurchrauschten, duftenden, durchsonnten Üppigkeit des verfeinerten Patriziers. Wenn Crispina ihn so daliegen sah, meist schweigend, regungslos, bleich und mit starrem Blick, während ein Flötenspieler auf der Schwelle zart die Flöte blies, während Obst und Gebäck und schneegekühlte Erfrischungen auf einem Dreifuß neben seinem Lager standen, während sie selbst seine blonden Haare bürstete und mit Duft besprengte, hatte sie ihren Sohn sehr lieb, so wie ein kleines Mädchen ihre Puppe liebt. Aber zugleich dachte sie immerfort an die zweihundertfünfzigtausend Sesterzen, die in dem Vertrag erwähnt waren.

 


 << zurück weiter >>