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Zwölftes Kapitel.

Es war dunkel, als die beiden Knaben sich am Tor bei dem Septizonium meldeten. Dort war eine Wache von Prätorianern, die würfelten und tranken. Es waren andere Soldaten und ein anderer Decanus als die, die sie damals geleitet hatten, als sie mit Martial in der Sänfte mitgekommen waren, aber der Decanus und seine Soldaten kannten sie vom Theater her.

»Wir waren doch geschminkt und trugen Perücken,« sagte Cäcilius.

»Und zwar sehr hohe Perücken,« sagte Cäcilianus.

Das machte nichts aus: der Decanus hatte sie trotzdem erkannt.

»Hier sind unsere Tesserä!« sagten die Knaben, indem sie zwei Marken aus Bronze vorwiesen, die ihnen der Dominus gegeben hatte.

»Wohin wollt ihr?« fragte der Decanus, der die Tesserä in Empfang nahm.

»Zur edlen Crispina.«

»Wollt ihr nicht ein Stündchen hier bleiben, um uns eine Saltatio vorzuführen?« fragte der Decanus scherzend.

Nein, nein! Sie müßten zur edlen Crispina.

»Decius!« sagte der Decanus zu einem der Prätorianer. »Geleite du die kleinen Herrchen zur edlen Crispina.«

Der Soldat wies den Knaben den Weg, ging mit ihnen durch die dunkelnden Parkanlagen.

»Wie düster ist es hier!« sagte Cäcilius.

»Ja. Es wird Nacht,« sagte Decius.

»Aber es ist hier auch sonst düster,« meinte Cäcilianus, »wegen all der dunklen Bäume. Es ist hier unheimlich still.«

»Man hört nichts,« sagte Cäcilianus, »außer seinen eigenen Schritten.« »Der Kaiser ist krank,« sagte Decius. »Alles muß hier still und ruhig sein.«

»Hört der Kaiser im Palast, was hier geschieht?«

»Was hier geschieht?«

»Würde er Musik hören?«

»Darf keine Musik gemacht werden?«

»Nur ganz leise,« sagte Decius.

»Flötenspiel?«

»Ja, Flötenspiel doch wohl?«

»Ja, das vielleicht.«

»Ist der Kaiser nicht freundlich?« fragte Cäcilius.

»St!« sagte Decius. »Wie kann man so fragen!«

»Darf Cäcilius das nicht fragen?« sagte Cäcilianus. »Ich wollte es auch gerade fragen.«

»Wir dürfen nicht so über den Kaiser reden,« sagte Decius flüsternd. »Aber wenn er nicht böse oder zornig wird, ist er so übel nicht.«

»Liebt Ihr den Kaiser?« fragte Cäcilius.

»Die Gladiatoren lieben ihn,« versicherte Cäcilianus. »Ich fürchte mich nicht vor dem Kaiser. Denn Carpophorus sagte, er sei sehr gut.«

»Ich fürchte mich auch nicht,« sagte Cäcilius.

»Hier wohnt die edle Crispina,« sagte Decius, indem er auf das Haus zeigte. Er klopfte an die Pforte zum Atrium. Ein Sklave öffnete.

»Die beiden kleinen Komödianten,« sagte Decius, »Cäcilius und Cäcilianus.«

»Tretet ein!« sagte der Sklave einladend.

»Decius,« sagte Cäcilius, »hast du morgen Tordienst?«

»Das weiß ich nicht!« sagte Decius. »Warum?«

»Ich wollte dich fragen, ob du ein Mittel wissest, um unsern Dominus ...«

Crispina war aus dem Hause getreten. Decius verschwand. Der Sklave verriegelte die Tür.

»Willkommen, Knaben!« sagte Crispina freundlich.

Sie war ihre Mutter, aber die Knaben verrieten nicht, daß sie es jetzt wußten, nachdem sie es anfangs nur vermutet hatten.

»Edle Domina!« sagten sie, indem sie sich verneigten.

Ihr Atem ging vor Rührung etwas schwerer als sonst. Sie hatte den Vater der Knaben, Manlius, den Histrio, geliebt. Sie sahen ihm ähnlich, aber die Augen waren wie die ihrigen. Sie waren beide sehr schön, sehr blond, sehr zart und doch gesund, frisch und jung. Große Kinder waren diese Comoedi, die schon viel gesehen, geleistet, erlebt hatten und schon viel umhergezogen waren. Sie empfand das Bedürfnis, sie an sich zu drücken. Allein sie bezwang sich. Sie ließ sich auf die Ruhebank nieder. Hinter ihr brannten einzelne Dochte in den verschiedenen Öffnungen der hohen Bronzelampe. Die Dämmerung hing in dem Atrium. Oben schimmerte fern der Himmel, viereckig, nachtblau.

»Kommt her!« sagte Crispina.

Die Knaben näherten sich, stellten sich absichtlich etwas kindlicher, als sie sich fühlten.

»Werdet ihr schön tanzen, spielen und singen?« fragte sie.

»Dürfen wir singen, Domina?«

»Und spielen?«

»Ja. Das hört der Kaiser nicht. Es darf nur kein Lärm gemacht werden.«

»Alles ist hier so drückend!« sagte Cäcilianus.

»Ja,« sagte Cäcilius. »Als ob man nicht atmen könnte.«

Crispina schaute sie an. Ihr ganzes Herz flog ihnen zu. Plötzlich bezwang sie sich nicht mehr, sie nahm sie bei den Händen.

»Meine lieben Jungens!« sagte sie gerührt.

Sie knieten neben ihr nieder. Sie hieß sie zu ihren Füßen niedersitzen, und sie benahmen sich wie sehr artige Buben, ließen nicht merken, daß sie wußten. Sie fühlten nichts für diese Mutter. Im Grunde erschien sie ihnen ein wenig possierlich. Zahlte sie doch dreihundert Sesterzen jeden Tag, nur um sie eine Zeitlang bei sich zu haben!

Sie streichelte ihre blonden Köpfe, blickte in ihre Augen, die verschmitzt und schalkhaft funkelten im Lampenschein. Sie fragte sie allerlei: wo sie zuletzt gespielt hätten, bevor sie nach Rom gekommen, und ob sie das Theater des Pompejus schön fänden. Sie sagte ihnen, wie wundervoll sie gewesen seien als Bacchides. Sie küßte sie leidenschaftlich. Mutterliebe wallte in ihr auf zu diesen schönen Kindern, die sie an das Glück ihres Lebens erinnerten und deren seltsamer, halb kindlicher, halb perverser Jugend der Duft des Komödiantenlebens anhaftete.

»Kommt mit!« sagte sie.

Sie ging mit ihnen ins Innere des Hauses. Ihre Wohnung war einer jener zierlichen Pavillons, wie sie in den kaiserlichen Parks zur Bequemlichkeit der höheren Hofbeamten errichtet waren. Sie wohnte hier mit ihrem Bruder Crispinus, obgleich er meistens im Palatium selbst weilte. Zunächst betrat sie ein kleines, hübsches Triklinum, dessen Wände mit üppigen Rosenkränzen bemalt waren. An Einrichtung war nicht viel vorhanden: einzelne zierliche Schemel und Tische aus Zitronenholz, ein tanzender Faun aus Bronze, ein Teppich aus Sidon, babylonische Kissen. Sie ging mit ihnen durch einen schmalen Gang, zeigte die Türen.

»Hier schlafe ich,« sagte sie. »hier schläft der edle Crispinus. Und hier ist euer Zimmer.«

Überall waren die Bronzelampen angezündet. Es waren Schlangen, die sich um Baumzweige wanden, oder sich emporreckende schlanke Chimären, aus deren geöffneten Mäulern die brennenden Dochte flammten gleich Feuerzungen. Die Knaben dachten sogleich:

»Sie läßt uns nicht bei den Sklaven schlafen.«

Sie schliefen in der Tat nicht bei den Sklaven, die hinter dem anmutigen Häuschen ihre Kammern bewohnten, durch einen schmalen, langen Garten vom Hause getrennt. Crispina führte sie in ihr Gemach. Es war das Gemach für Gäste. Es war fensterlos, ging auf ein kleines Atrium hinaus. Die Wände waren wunderzierlich bemalt mit einer täuschenden Nachbildung von Meer, Himmel, Säulen, die zwischen den weißblühenden Kletterrosen in der abendlichen Dämmerung nur verschwommen sichtbar ward. Ein marmorner Delphin im Wasserbecken spie einen Wasserstrahl, während er mit seinem erhobenen Schweif einen Amor umschlungen hielt, der seine zarten Füße emporstreckte. Im Raume selber standen zwei niedere Betten mit feiner Leinwand, mit gestickten Kissen, mit Decken aus farbigem Bombyx. Auf dem Boden lag ein Pantherfell.

In den Bronzelampen brannten die Dochte. Auf einem roten Marmortisch schimmerte ein metallner Spiegel, den geschnitzte Geier trugen. An Haken aus Bronze hingen bunte Gewänder.

»Wählt hier aus!« sagte Crispina. »Kleidet euch um. In einer Stunde kommt die Kaiserin und dann müßt ihr tanzen und spielen.«

Die Knaben sahen sich um. In dem Nachtschimmer und dem Lampenschein machte sich eine bedrückende, vornehme und duftige Üppigkeit bemerkbar. Das Lampenöl duftete. Die Bombyxdecken fühlten sich so wolligweich an wie Schafpelz, aber sie waren aus Seide. Auf dem roten Marmortisch lagen zwischen vergoldeten Toilettegegenständen zwei vergoldete Rosenkränze.

»Müssen wir die tragen?« fragte Cäcilianus.

»Ja,« sagte Crispina.

Sie saß auf einem der Betten und sah lächelnd, wie die Knaben sich umschauten und fragten. Obwohl sie an alle diese Dinge gewohnt waren, stellten sie ihre Fragen doch mit einer gewissen Bescheidenheit. Sie fanden dies alles sehr schön, wie es für sie bestimmt war. Ein Sklave brachte Obst und Backwerk auf einer vergoldeten Schale, und sie aßen.

»Sollen wir uns umkleiden?« fragte Cäcilianus.

»Ja,« sagte Crispina. »Soll ich eine meiner Sklavinnen rufen?«

»Wir können es selber, Domina,« sagte Cäcilius.

»Ja, Domina, wir können es selber,« sagte Cäcilianus.

Sie entkleideten sich ganz gelassen vor der edlen Crispina, die ihre Mutter war. Sie standen nackt da und verwahrten ihre eigenen Kleider, nachdem sie sie sorgfältig zusammengelegt hatten. Crispina konnte ihre Augen nicht von ihnen wenden. Sie wuschen sich in einer bronzenen Schale. Die Lampenlichter warfen ihre glitzernden Spiegelungen über ihre blonde Nacktheit. Sie kämmten sich gegenseitig vor dem Spiegel. Ohne sich etwas dabei zu denken – denn sie waren Histriones – schminkten sie sich Augen und Lippen. Das war ihnen etwas ganz Selbstverständliches. Sie wollten zwischen den Gewändern, die dort hingen, eine Auswahl treffen.

»Bleibt lieber, wie ihr seid!« sagte Crispina.

»Dafür ist es zu kalt, Domina,« sagte Cäcilianus leicht erschauernd in der abendlichen Kühle.

Plötzlich näherte sie sich ihnen, umschlang sie beide mit ihren Armen. Sie war sehr verliebt in ihre Kinder, weil sie so schön waren.

»Ihr sollt euch nicht erkälten,« sagte sie mütterlich besorgt. »Kleidet euch an!«

Sie half ihnen selber beim Anlegen der Tuniken, die sie wählte. Es waren malvenfarbene, halbseidene, lange Tuniken, wie sie die Histriones in patrizischen Häusern trugen. Arme, Beine und Brust blieben frei. Sie selbst suchte die kleinen Schuhe, die dazu gehörten. Sie selbst knüpfte die Bänder um ihre Waden. Diese Knaben waren ihre Kinder, ihr Spielzeug, ihre Freude. Sie empfand für sie, was ein kleines Mädchen für seine Puppen empfindet, seine großen Puppen. Nun setzte sie ihnen die vergoldeten Rosenkränze auf.

»Ruhig!« rief Cäcilius, der selbst leise kicherte, wie Cäcilianus kicherte.

»Nicht lachen!« sagte Cäcilianus warnend.

Sie kicherten beide und preßten die Fäuste vor den Mund.

»Wie findest du unsere Mutter?« Cäcilianus hielt sich den Magen und krümmte sich.

»Wie hat sie uns geküßt und beim Anziehen unserer Schuhe geholfen!«

»Ach! Ich ersticke vor Lachen.«

»Nein! Wie kann man so lachen!«

»Hier ist es dumpfig.«

»Nur das kleine Stückchen Himmel ist da oben sichtbar.«

»Aber es ist schön hier.«

»Ja! Schön wohl, aber atmen kann man hier nicht.«

»Kann man hier nicht. Wie findest du nur ...?«

»Unsere Mutter?«

Sie brachen wieder in ein helles Gelächter aus, das sie zu unterdrücken versuchten. Plötzlich standen sie hochaufgerichtet da und lachten nicht mehr.

Crispina öffnete die Tür.

»Die Kaiserin ist da mit Domitilla und Fabulla. Kommt!«

Sie winkte ihnen.

Sie schritten ernst hinter ihr her. Sie waren sofort wieder die gedungenen Komödianten, die tanzen und spielen mußten. Crispina führte sie in das Triklinium.

»Hier sind sie, Augusta!« sagte Crispina, indem sie auf die Knaben wies.

Die Frauen saßen auf Ruhebänken und Schemeln. Sie waren der unerträglichen Düsterkeit des Palatium entflohen. Sie wußten, daß Crispina ihre Söhne erwartete.

»Wissen sie etwas?« fragte Domitia lachend.

»Nein, Augusta,« sagte Crispina.

»Wissen sie nichts?« flüsterten Domitilla und Fabulla.

»Nichts,« wiederholte Crispina.

Sie setzte sich zwischen die andern in den anmutig geschlossenen kleinen Raum, der nach dem Atrium hinausging. Crispina befahl den Knaben zu tanzen. Sie tanzten und spielten die Flöte. Abwechselnd begleiteten sie einander auf ihren Doppelflöten. Es war eine Nacht von schwankendem Licht, ohne Mond, ohne Sterne. Eine dunstige Luft lagerte über den Gärten. In dem Grau der Atmosphäre, die das Atrium einhüllte, tanzten die Knaben. Sie wußten, wie sie hier tanzen mußten, ganz anders als bei dem vornehmen Plinius. Sie durchschauten sofort die Menschen. Hier, vor der Kaiserin, die den Histrio Paris geliebt hatte, vor dieser hageren Domitilla mit den fieberheißen Augen, vor Fabulla, die sie nie vergessen konnten, wie sie auf einem Knie des Colosseros geschaukelt hatte und sie beide auf seinem andern Knie, vor ihrer eigenen Mutter, die sie verschenkt hatte, als sie drei Jahre alt waren, tanzten sie anders. In dem engen, zierlichen Innenhof auf dem Palatin, in dieser grauen Nacht, die schwer lastete und die entnervte besonders durch den nie aussetzenden Gedanken an den Kaiser im Palatium, tanzten sie vor diesen Frauen anders, als damals, da sie in dem sonnigen Landhaus an der See das klassische Spiel von Hero und Leander gespielt hatten. Sie flöteten nun mit den Lippen sehr leise, kaum hörbar und tanzten zusammen ihren aufreizendsten Kordax, der attischen Ursprungs war und in Kleinasien von Knaben und Mädchen in Spelunken und Kneipen getanzt wurde. Es war ein langsames, sinnliches, schleppendes Bewegen sich windender Glieder, während ihre Finger stets verschlungen blieben und ihre Flöten mehr Sehnsucht stöhnten, als daß sie eine Melodie bliesen. Aus ihren malvefarbigen, langen Tuniken leuchteten ihre Knie bei jedem Stoße hervor, und ihr Tanz war durch das Sichwinden und Beugen und Drücken und Schütteln obszöner und zweideutiger, als wenn sie völlig nackt in der Sonne getanzt hätten. Unter ihren vergoldeten Rosenkränzen schmachteten ihre Augen. Schließlich wirbelten sie wie in einer einzigen Spirale, die verzitterte, und standen dann wieder still einer in den Armen des andern.

»Wie die Knaben tanzen!« sagte die Kaiserin. »Ich könnte ihnen die ganze Nacht zusehen.«

Domitia, Domitilla, Crispina flüsterten miteinander. Ob sie es wohl wagen dürften, sich zu verkleiden, um sich in den berüchtigten Stadtvierteln zu zerstreuen?

»Es ist gewiß erheiternder als auf dem Palatin,« sagte Domitilla. »Was meinst du, Fabulla?«

Aber Fabulla war wie umgewandelt. Sie saß meist still und in sich gekehrt neben den andern. »Du kennst diese Gegenden, liebe Nichte,« sagte die Kaiserin hochmütig. »Du bist oft genug mit Nigrina dort gewesen. Du solltest uns hinführen! Verstehst du mich?«

»Ich komme nie mehr dorthin,« sagte Fabulla beinahe wehmütig.

»Warum?« fragte Crispina.

»Weil es mir keine Befriedigung verschafft. Ich bin traurig in letzter Zeit, wegen Nigrina, wegen allerlei.«

Sie war auch traurig wegen ihrer dahingeschwundenen Zukunftsträume, weil sie nicht Schauspielerin werden konnte. Zugleich fürchtete sie, daß Domitian, mit dem sie einmal davon gesprochen hatte, sie nun zwingen könnte, die Bretter zu betreten.

»Wohin gehst du des Abends?« fragte die Kaiserin.

»Ich gehe hin und wieder in die Katakomben, um den heiligen Mann der Christen zu hören.«

»Es ist einer angekommen,« sagte Domitilla, »der in siedendes Öl getaucht worden ist.«

»Der ist es,« sagte Fabulla.

»So führe uns zu dem heiligen Manne!« befahl Domitia.

»Gern,« sagte Fabulla.

»Wir haben dunkle Mäntel,« sagte Domitilla. Sie hatten sich bereits erhoben und griffen nach ihren Mänteln. Um zu vergessen, was sie quälte, was sie im Palatium ängstigte, suchten sie stets wieder neue Erregung.

»Ich bleibe lieber zu Hause,« sagte Crispina.

»Mutterfreuden!« meinte Domitilla spöttisch.

»St!« flehte Crispina.

Aber die Frauen lachten, und die Zwillinge hatten gehört. Sie ließen es sich aber nicht anmerken, sondern saßen, ihr Kichern bezwingend, artig auf dem Rande des kleinen Nymphäums.

Domitia, Domitilla, Fabulla machten sich auf, in dunkle Mäntel gehüllt. Crispina blieb allein mit ihren Söhnen.

»Kommt her!«,sagte sie, nachdem sie sich hingesetzt.

Sie kamen und hockten zu ihren Füßen nieder.

»Ich bin froh, daß ihr hier seid,« sagte sie. »Erzählt mir von euren Streifzügen!«

Sie fingen an zu erzählen. Crispinus trat durch das Tor, durch das Atrium. Sie erhoben sich.

»Ich glaubte die Kaiserin hier zu finden.«

»Sie ist zu den Christen gegangen mit Domitilla und Fabulla.« »Fabulla, ja, das weiß ich. Die wird noch Christin. Hast du deine Söhne bei dir?«

»Bei allen Göttern, Crispinus!« sagte Crispina flehentlich auf Griechisch. »Sei vorsichtig!«

Aber die Knaben wandten sich bescheiden ab.

»Meinst du etwa, die Knaben verstünden nicht griechisch?« fragte Crispinus lachend. »Sei unbesorgt! Ich sage nichts mehr.«

Dann sprach er flüsternd über den Kaiser. Er, Crispinus, sei in Ungnade gefallen. Der Kaiser empfange ihn zwar noch, aber ...

»Oh!« rief er aus. »Wenn ich mir doch noch einmal einen Steinbutt oder etwas Ähnliches ausdenken könnte! Aber mir will nichts, nichts mehr einfallen.«

Sie flüsterten und sprachen zusammen. Jeden Augenblick konnte sie die Ungnade treffen. Selbst wenn ihnen Domitian das Leben ließ, besaßen sie nichts, standen sie auf der Straße.

Die Knaben saßen auf dem Rande des kleinen Nymphäums.

»Cäcilius!«

»Cäcilianus?«

»Ich langweile mich grenzenlos. Ich wollte, ich wäre bei Nilus mit den Gladiatoren.«

»Dreihundert Sesterzen jeden Tag.«

»Nun ja! Ich langweile mich dennoch gräßlich bei deiner Mutter.«

»Ich auch. Gräßlich. Ich kann hier nicht atmen bei deiner Mutter.«

»Es ist hier drückend.«

»Schrecklich drückend.«

»Ich bin müde vor Langweile.«

»Ich auch vor Langweile.«

»Wir wollen deine Mutter fragen, ob wir zu Bett gehen dürfen.«

»Ja. Wir wollen deine Mutter fragen, ob wir zu Bett gehen dürfen.«

Sie standen bescheiden auf und traten näher.

»Domina!«

»Domina!«

»Was gibt es, ihr Knaben?«

»Gestattet uns, Domina, daß wir...«

»Daß wir uns zurückziehen, Domina.«

Sie durften sich zurückziehen. »Zwei schöne Steinbuttchen!« hörten sie Crispinus noch sagen.

Aber es machte keinen Eindruck auf sie, weil sie sich langweilten und müde waren vor lauter Langweile.

»Wie lange sollen wir bleiben?« fragte Cäcilianus.

»So lange wie möglich. Dreihundert Sesterzen jeden Tag.«

»Dreihundert Sesterzen jeden Tag,« wiederholte schmachtend Cäcilianus, während seine Arme schlaff herabsanken.

Sie waren nun in ihrem schönen Zimmerchen, schauten sich um, schauten einander an.

»Es ist doch schön.«

»Ja, das ist es.«

»Wenn man nur einmal hinausgehen dürfte!«

»Was ist dort hinter der Mauer des Atriums?«

»Sehen wir einmal zu!«

Sie liefen an dem marmornen Delphin vorbei, der in seinem geringelten Schweif einen Amor hielt. Der streckte die Füßchen in die Luft. Sie wanden sich an der niedrigen Mauer empor.

»Gib acht auf deine schöne Tunika!« sagte Cäcilius.

»Ist mir gleichgültig,« meinte Cäcilianus.

Sie wanden sich empor und starrten hinaus.

»Ein kleiner Gang,« sagte Cäcilius.

»Ja, ein kleiner Gang.«

»Ein schmaler, kleiner Gang.«

»Ein ganz schmaler, kleiner Gang.«

»Und hinter dem Gang?«

»Ich denke, der Park.«

»Ich denke auch, der Park.«

Sie dachten dasselbe. Schwupp, saßen sie auf der Mauer in ihren malvefarbigen Tuniken und mit den vergoldeten Rosenkränzen auf den blonden Köpfen. Schwupp, waren sie in dem kleinen Gang. Krr ...

»Deine Tunika zerreißt,« sagte Cäcilianus.

»Das ist mir gleichgültig,« meinte Cäcilius.

Der kleine Gang war gewiß für die Küchensklaven bestimmt. Schwupp, saßen sie auf der gegenüberliegenden Mauer. Schwupp, waren sie wieder unten, im Dunkeln, im dichten Gras.

»Der Park, glaube ich,« sagte Cäcilius.

»Ich glaube es auch,« sagte Cäcilianus.

Sie versuchten zu atmen. »Man kann auch hier noch nicht atmen,« sagte Cäcilianus. »Was ist das nur?«

»Ich will es dir sagen,« flüsterte Cäcilius. »Es ist der Kaiser.«

»Glaubst du?«

»Ja.«

»Ich glaube auch, daß es der Kaiser ist.«

»Er ist dort im Palatium.«

»Das ist immer geschlossen.«

»Und finster.«

Sie liefen um die Mauer des kleinen Landhauses herum, erkannten dann den Weg zwischen den Steineichen und Tamarisken. Es mutete sie wie ein Abenteuer an, daß sie allein in den Parks des Palatium waren.

»Denk nur, wenn wir plötzlich dem Kaiser ...«

»Begegneten?«

Sie zitterten und freuten sich doch wieder über die Furcht, die ihnen die Langweile verscheuchte.

»Wir wollen gehen!«

»Ja, wir wollen ...«

Sie wußten, wohin, ohne es einander zu sagen. Zur Pforte des Septizonium.

Sie gingen. Wenn sie nur jetzt keinem Menschen begegneten! Wahrhaftig, Schritte! Wer kam da? Sie wollten sich verstecken.

»Wer versteckt sich dort?« rief eine bekannte Stimme,

»Martial!« riefen die beiden.

»Ihr Taugenichtse! Was treibt ihr hier?«

Sie sagten es ihm und sagten ihm auch, daß sie glaubten, ersticken zu müssen und daß sie sich zu sehr langweilten.

»Nehmt euch in acht!« sagte Martial warnend. »Wenn ihr hier etwas tut, was ihr nicht tun dürft! Springt schnell wieder über die Mauer, ihr kleinen Schlingel!«

»Wir müssen die Prätorianer sprechen,« sagte Cäcilius.

»Um vom Dominus auszurichten, daß er uns morgen abend dort bei ihrer Wache treffen will.«

»Seid nur vorsichtig! Valete!«

»Vale, Martialis!«

Martial eilte weiter, da er zum Kaiser entboten war. Die Knaben eilten durch den Park abwärts.

Sie kamen an das Tor, das noch nicht geschlossen war. Draußen saßen die Prätorianer auf einer Bank. Darunter waren einige, die sie kannten. Es war der Decanus vom letzten Mal.

»Gute Nacht, Decanus!«

»Wollt ihr doch einmal einen Becher Wein mit uns trinken? Hei! Wie schön sie aussehen!«

»Kann ich ein Stück Brot erhalten?« fragte Cäcilianus, der auf dem Tisch ein Soldatenbrot liegen sah.

»Prätorianerbrot?« fragte einer der Soldaten.

»Ach ja.«

»Ach ja.«

Sie setzten sich in ihren malvefarbigen Tuniken rittlings auf die Bank. Das rote Lampenlicht spielte in den goldenen Rosen an ihren Schläfen. Sie bissen herzhaft in ein Stück Soldatenbrot und tranken den etwas sauren Wein. Er mundete ihnen trefflich. Sie begannen zu würfeln. Einige Denarii hatten sie in der Tasche.

»Ihr braucht nicht zu bezahlen, wenn ihr verliert,« sagte der Decanus.

Sie fragten, ob sie jeden Abend auf einen Augenblick kommen dürften, und baten den Decanus, er möge dem Dominus Bescheid sagen lassen bei Nilus oder in dem Hause des Wäschers, daß er sie hier jeden Abend werde sehen können. War die Wache nicht stets die gleiche? Gleichviel, sie kannten nun fast sämtliche Prätorianer der Leibwache. Es sei doch wohl gestattet? Oder nicht? Ob der Decanus es tun wolle?

Der Decanus versprach es.

»Aber, ihr Kerlchen, sobald wir Schritte hören im Park oder draußen auf der Straße, wie der Blitz ins Haus! Hört ihr? Morgen nicht mit goldenen Rosen auf dem Kopf. Aufgepaßt! Heute Nacht erwarten wir keine Geringere als die Kaiserin selbst, die mit Fabulla und Domitilla davongegangen ist.«

»Aber nur zu den Christen,« sagte Cäcilianus.

 

 


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