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Fünftes Kapitel.

Am kommenden Morgen war vor dem Hause des Wäschers und des Sklavenhändlers großer Aufruhr, als die Caterva, diesmal in Gemeinschaft mit Cäcilius und Cäcilianus, ihre Wohnung verließ, um in den Thermen des Titus zu baden, dann zu essen, dann zu proben. Erstlich ging ein Aufruhr durch die Straßen, weil in der vergangenen Nacht in den Carinä ein Mord und ein Einbruch verübt worden war. Einzelheiten fehlten noch. Die Missetäter seien gefaßt, behauptete der eine. Sie seien geflohen, wußte ein anderer zu berichten. Ferner herrschte in der Caterva selber ungeheure Erregung, weil die Bacchides doch aufgeführt werden sollten. »Vielleicht die Bacchides und die Menächmi,« hatte der Dominus sehr entschieden erklärt, während der Sklavenhändler Autronius im Begriff war, einen Trupp von zwölf ausländischen Sklaven und Sklavinnen, meist Daker, zum Markte zu führen, und der Wäscher im weißen Widerschein seiner aufgehängten Togen auf der Schwelle seines Ladens erschien, um Lavinius Gabinius zu begrüßen. Inzwischen zog der Parasit den Dominus beiseite, und während die mit Marmorklötzen beladenen, von Mauleseln gezogenen Karren unter dem Peitschenknallen der Karrenführer vorüberrasselten, versuchte der Parasit, den Dominus in seiner seinen Weise zu überreden: ob es denn nicht wirklich besser sei, meinte der Parasit, wenn die Menächmi durchaus aufgeführt werden sollten, nicht noch ein zweites Stück des Plautus zu wählen, sondern zur Abwechslung ein Stück des Terenz, etwa den Phormio oder den Heautontimorumenos? Insgeheim noch immer wütend auf die Zwillinge, setzte er alles daran, ihnen das erfolgreiche Stück, die Bacchides, zu entreißen. In den Bacchides spielten sie die Zwillingsschwestern, die beiden Meretrices, und trugen ohne Masken stets den größten Beifall davon. Er zog den Senex hinzu, und beide ließen nun dem Dominus keine Ruhe, aus Groll und Mißgunst der Senex, der, obwohl noch jung, allzeit unter einer Maske spielen mußte, der Parasit aus Rachsucht, wenngleich er seine schöne Rolle in den Menächmi dennoch vielleicht würde spielen können. Nein, sagte der Dominus: Terenz hätten sie in Neapel überhaupt nicht gespielt, und Plautus sei viel besser einstudiert. Terenz sei so fein, meinte der Parasit, so kultiviert, so attisch und habe so wohllautende Titel: Heautontimorumenos. Jawohl, meinte der Dominus, Terenz und Plautus, beide seien Genies, Klassiker. Etwas Modernes gebe es nicht. Aber dennoch, die Zeit sei zu kurz, um Terenz völlig neu einzustudieren. Die Vorstellungen müßten doch erlesen sein. Sie sollten doch bedenken: in Rom während der Megalesia! Hinter den drei stießen sich die Zwillinge insgeheim an. Denn sie hatten die Verschwörung längst bemerkt, waren aber ihrer Bacchides durchaus sicher, fürchteten nicht das allergeringste mehr. An jedem Nachmittag würden die Bacchides geprobt, und jetzt würden sie sicherlich nicht mehr davonlaufen, selbst wenn der gnädige Domitian in höchst eigener Person sie in seiner kaiserlichen Sänfte zu sich entböte. Sie hielten sich ganz an ihren Dominus und würden ihre Sache jetzt nicht mehr verderben. Jetzt waren sie auf ihrer Hut. Sobald sie eine Gelegenheit witterten, den Senex und den Parasiten zur Seite zu schieben, gesellten sie sich zu ihrem Dominus mit süßen Wörtchen, umschmeichelten ihren Meister und versprachen, sehr schön zu spielen und zu sprechen. Cäcilius fragte und Cäcilianus fragte, ob es nicht hübsch wäre, wenn sie ihre Gesichter nach dem Vorbild der antiken Masken des edlen Plinius bemalten. Der Dominus bewunderte ihren Einfall. Sie waren doch wirklich Prachtknaben! Sie besaßen ein mehr als gewöhnliches Talent, das sie sicherlich von ihrem Vater Manlius, der ein Histrio gewesen, geerbt hatten. Er stimmte ihnen zu, allzeit im Banne dieser beiden. So blieben sie die ganze Zeit um ihren Dominus: Dominus hier und Dominus dort. In den Thermen verließen sie ihn nicht, scherzten und lachten, und alle blickten ihnen nach, weil sie in ihrer Nacktheit so schön waren im Wasser, und der Dominus war stolz auf sie und fühlte sich sehr gewichtig zwischen beiden. Ein alter Badender, halb kahl, mit grauem Haarkranz und dickem Bauche, der sich über seinem ständig herabrutschenden Badeanzug wölbte, winkte den Dominus zu sich heran, und die Capsarii sagten ihm, dies sei der steinreiche Sextilianus. Daher verfügte sich der Dominus zu ihm. Sextilianus bot dem Dominus zweihundertfünfzigtausend Sesterzen für die beiden Zwillinge, so er sie verkaufen wolle.

»Das wird nicht gehen,« riefen Cäcilius und Cäcilianus gleichzeitig, von ihrer Unentbehrlichkeit überzeugt. Dennoch war das Angebot gut. Ein gewöhnlicher Sklave von Wert kostete bei weitem noch nicht hunderttausend Sesterzen. Allein der Dominus wußte rasch und geschickt auszurechnen, daß ihm die Zwillinge in der Caterva nicht weniger einbrachten, und sagte dem Sextilianus, daß er sie nicht entbehren könne, namentlich jetzt nicht, während der Megalesia. Ob er sie dann wenigstens einmal zu einem Vortrag senden wolle, während eines Banketts? Nein, nein, flüsterten die Zwillinge dem Dominus zu. Nein, lieber Dominus, das könnten sie nicht, sie müßten noch die Bacchides proben und morgen auftreten, Tag für Tag auftreten. Vielleicht doch nicht jeden Tag, meinte der Dominus, wenn die Menächmi ... Also doch die Menächmi? fragten flüsternd die Knaben, während sie den steinreichen Sextilianus, der zweihundertfünfzigtausend Sesterzen für sie geben wollte, mit dem Ellbogen fortstießen. Abwechselnd die Menächmi und die Bacchides? Nun gut, aber in den Menächmi dann auch die Rolle der Erotium, die reizende Dirnenrolle, die einmal von Cäcilius und das andere Mal von Cäcilianus gespielt werden sollte. Clarus, der seine Rolle gestern geprobt habe, werde doch besser in einer Matronenrolle verwendet. Denn er habe nicht den Tonfall der Meretrix. Ob der Dominus das nicht auch finde? So umschmeichelten sie den Dominus, der, obwohl er immerfort das autoritative Runzeln seiner Brauen zeigte, in allem nachgab unter einer Bedingung: daß sie niemals mehr einen ganzen Tag davonlaufen und ihn in Unruhe zurücklassen dürften ... Ein Mord, ja, ein Mord und ein Diebstahl in den Carinä. Die Erregung war allgemein. In Rom war man nicht sicher. Die Viermänner sorgten durchaus nicht für die nächtliche Sicherheit. Allerhand Gesindel trieb sich des Nachts zwischen den Säulen der Portiken herum. Das waren die Columnarii, wie sie die Römer bereits nannten, Diebe und Mörder, und während der Nacht wimmelte es von ihnen in der Subura in all den Kneipen, Tabernen, Bordellen. Ja, sagten die Knaben, während sie tüchtig aufschnitten: in der vergangenen Nacht habe es, als sie an der Portikus Octaviae vorübergekommen seien, dort geradezu gewimmelt von Columnarii, von lauter Mördern und Dieben. Der eine Trunkenbold, den sie gesehen und ausgeschimpft hatten, ward in ihrer Phantasie zu einer Bande von Strolchen und Räubern. Sie erzählten, wie man hinter ihnen hergewesen sei und wie sie gekämpft hätten, und die Badenden umringten sie. Sie spielten auch hier Komödie, hingen sich jeder an einen Arm des Dominus, damit alle sähen, wie gut sie mit ihm standen, und der Dominus fiel darauf hinein, glaubte in der Tat, daß sie Gefahr gelaufen, fluchte, weil sie so unvorsichtig seien, beschwor sie, nie mehr allein durch die große Stadt zu irren. Ein Mann ermordet? Ja, ein Mann. Nein, eine Frau. Plötzlich hörten sie auf der Schwelle der Thermen, die sie soeben verließen, um in einer nahen Taberne im Stehen einen Honigkuchen und saure Milch zu genießen, wer in der vergangenen Nacht in der Carinae ermordet worden sei. Es war Nigrina. Wer? Nigrina? Die Schwertfechterin. Man wisse ja schon. Sie pflegte im Kolosseum aufzutreten gegen einen Bären oder einen Tiger, hin und wieder auch gegen einen andern Schwertfechter oder eine Schwertfechterin, und sogar die Kerle hatten Achtung vor ihr. Sie war eine Patrizierin und die Frau eines Senators, der schon seit langem aus irgend einem Grunde vom Kaiser verbannt worden war. Nun hatte man sie ermordet? Nigrina, die mit Fabulla ...? fragten die Knaben. Ja, natürlich. Sie. Die Knaben begannen philosophisch auseinanderzusetzen, daß solche hochgestellte Frau nicht unter das Volk gehöre. Das nehme immer ein schlechtes Ende. Sie tuschelten miteinander darüber, aber doch etwas benommen von dem Eindruck. Denn wenn es wirklich Negrina sei, so könnten sie beide noch von Glück sagen, daß sie bei ihren nächtlichen Abenteuern und heimlichen Aufforderungen noch immer heil davongekommen. Vor den Tabernen bei den Thermen, die bestürmt wurden von den Badenden, welche die saure Milch aus den rohen Näpfen schlürften, besprach die Caterva, besprachen alle Frühstückenden den Vorfall. Nein, es sei nicht Nigrina, hörten sie nun wieder behaupten. Wer es dann wohl sei? Crispina, die Ägypterin, die Schwester des Crispinus, des Günstlings des Kaisers. Der Dominus erschrak flüchtig, als er hörte, daß es Crispina sei. Crispina, die Mutter der Zwillinge, die derzeit mit Manlius, dem Histrio ... Aber es sei nicht Crispina, es sei überhaupt kein Mord verübt worden. Doch, doch! Also dennoch die Bacchides? Die verdammten Schlingel bekamen immer ihren Willen. Die Komödianten hörten auch einen Zwist zwischen Clarus und Cäcilianus:

»Du bist nur ein Bengel, der Matronen spielen kann,« sagte Cäcilianus hochmütig. »Nur mein Brüderchen oder ich können Erotium spielen.«

»So? Bin ich nur ...?« gab Clarus wütend zurück. Er war schon über zwanzig, seine Stimme begann schon zu männlich zu werden. Er mußte sie nach der Höhe überanstrengen.

»Ja! Du hast eine Stimme wie ein Kerl,« meinte Cäcilianus verächtlich, und Clarus wurde rot vor Zorn. Allein der Senex winkte ihn zu sich heran, und sie tuschelten miteinander, während sich jetzt alle langsam schlendernd auf den Weg nach dem Theater des Pompejus machten, um dort zu proben.

Die Zwillinge ließen nicht ab von ihrem Dominus. Sie ließen sich nicht mehr ablenken durch das Geschwätz über den Mord hier in unmittelbarer Nähe, in den Carinae, deren reiche Häuser sich in der Ferne verloren, verborgen in dem feinen Schatten von Gärten, von Sykomorenlauben, Platanen, Blattwerk und durchglüht von der noch jungen, goldenen Sonne. Vornehme Sänften wurden wiegend getragen, durch Peitschenknallen angekündigt. Leichte Carpenta mit ein oder zwei Pferden zwangen die Fußgänger, sich hastig auf dem engen Fußsteig in Sicherheit zu bringen. Schwarze Sklaven stießen hochmütig ihre ankündigenden Schreie aus. Der Caterva wurde vielfach nachgeschaut, und sobald man sie erkannte, rief man ihr nach: Histriones! Gleichgültig gegen die allgemeine Verachtung schlenderten sie langsam die Sacra Via hinauf und durch den Titusbogen.

»Der jüdische Kandelaber!« Die Zwillinge zeigten ihn dem Dominus.

»Habt ihr denn auch in Rom schon alles gesehen?« fragte der Dominus, immerfort in ihrer Mitte, während sie die Treppe zum flavischen Palast emporstiegen.

»Dort wohnt der Kaiser,« sagten erklärend die Knaben. »Hier hat uns der edle Plinius in seiner Sänfte mitgenommen.«

Der Dominus wußte wohl, daß dort der Kaiser wohnte, aber einige Komödianten, die noch niemals in Rom gewesen, standen still, bestaunten diese prächtige, olympische Wohnung, die säulengetragen auf dem Palatin emporragte, von der Durchsichtigkeit des blauen, kristallklaren Aprilhimmels sich abhebend. Eingebildet zeigten die Knaben, weil sie es wohl wußten und schon mehr gesehen hatten, dies alles dem Servus und andern beliebten Mitgliedern der Caterva: »Der Palast des göttlichen Domitian!«, ohne die scheußlichen Parasiten und den Senex auch nur eines Blickes zu würdigen.

Sie schlenderten durch das Gewühl. Jetzt war es vor dem Hause der Vestalinnen und dem runden Vestatempel, bei dem Tempel des Castor und Pollux so belebt, daß sogar ihre große Truppe nicht mehr bemerkt wurde. Kaum, daß sie sich jetzt von der Menge abhoben. Niemand rief ihnen mehr etwas nach. Noch immer schrien die Vorläufer der Sänften und Carpenta, noch immer knallten die Peitschen, und die lauten Stimmen schrien lauter, lachend, keifend, scherzend. Die Zwillinge ließen den Dominus nicht mehr los, hingen jeder an einem Zipfel seiner Toga. Sie genossen dieses Gewühl. Sie zeigten dem Dominus die Basilika Julia. Immer wußten sie sogleich in jeder fremden Stadt den Weg. Wahrhaftig, sie erinnerten sich jetzt wieder an Rom, wo sie vor drei Jahren als kleine Buben gewesen.

»Die Basilika Julia kenne ich auch,« brummte der Dominus.

In der Basilika drängten sich die Spaziergänger, die vor der schon allzu heißen Sonne Schutz suchten. Bläulich ruhte der kühle Schatten zwischen den Säulen. Gassenbuben spielten Dame auf den kleinen Quadraten, die sie in die Marmorstufen gegraben hatten, Dirnen mit farbigen Togen umhüllt – denn die Dirne trug die Stola und nicht wie die Matronen Stola und Palla – gingen dort auf und ab, ließen ihre Stickereien flattern, trugen eine auffallende Haartracht und zwinkerten mit ihren gemalten Augen. Prozeßführer berieten sich mit ihren Schlachtopfern über die schwebenden Prozesse, während sie mit dem Daumen ihre Beweisgründe bekräftigten. Senatoren in rotumsäumter Laticlavia begrüßten einander feierlich. All dieser weiße Marmor, der an dem dicht aufeinandergebauten Forum erglänzte, wirkte wie eine mattbunt gefärbte Weiße: die Tempel, die Basiliken, die Säulen, die Treppenstufen, die unzähligen Bildnisse, die alle bläuliche Schatten warfen.

»Wie gehen wir jetzt?« fragte Dominus, der sich einen Augenblick nicht zurechtfand.

»Natürlich durch den Vicus Tuscus,« antworteten die Knaben rasch besonnen.

»Natürlich durch den Vicus Tuscus,« wiederholte der Dominus, der seine Geistesgegenwart wiedergefunden hatte.

Die Knaben hingen an ihm, ließen ihn nicht mehr los seit der Rüge des gestrigen Abends. Ihre Bacchides wollten sie nicht ein zweites Mal verlieren. Sie würden sich an ihre Bacchides klammern und an ihren Dominus. Sie gingen mit ihm voraus, während die Caterva schlendernd folgte und den Fall lebhaft erörterte.

Im Vicus Tuscus, der vom Forum zum Zirkus Maximus führte, reihten sich die Läden. Hier stand das Bildnis des Gottes Vertumnus, des Gottes der Unbeständigkeit, des guten und des schlechten Wetters, des Kaufes und des Verkaufes. Hier hausten die vornehmen Seidenhändler, und auf ihren Auslegetischen breiteten sich vor den kaufenden Frauen die raschelnden buntfarbigen Lappen aus, die sich zu Stola und Palla gut eigneten. Die Matronen drängten sich mit den Dirnen, ließen die Stoffe in ihren Fingern knistern. Die Gold- und Silberschmiede stellten ihre Goldschmiedearbeit aus, ihre silbergetriebenen Gefäße. Die Duftbereiter hatten in unzähligen kleinen Vasen aus Onyx, Alabaster oder billigerem Gestein in sehr kleinen Läden ihre Ware zierlich auf Brettern ausgestellt. Daneben war ein Barbier für vornehme Kunden. Alle Läden waren geöffnet. Es war alles klein, voll, geschäftig und laut. Lavinius trat einen Augenblick zu Cosmus ein. Der kleine Laden duftete, obgleich er geöffnet war, gleich einem Nardustopf.

»Ich werde noch heute alles in Ordnung bringen,« versicherte Cosmus, »all Eure Salben und Puder und Farben.«

»Aber bedenkt, Freund Cosmus, daß ich ein armer Teufel bin, der sein Geld verdienen muß!«

»Nun, nun!« meinte Cosmus. »Ihr habt Euer Schäfchen schon ins trockne gebracht.«

Der Dominus warf, während die Zwillinge sich noch immer dicht an seiner Seite hielten, die Arme weit empor: Schäfchen ins trockne gebracht? Er, ein Freigelassener, der früher selbst Sklave gewesen war und als Komödiant ziemlich alles gespielt hatte, Frauenrollen, Sklavenrollen, den Parasiten, den Senex, bis es ihm gelungen, sich freizukaufen und eine Grex, eine ganz kleine nur, zusammenzustellen.

»Fürchtet nichts, Dominus! Cosmus wird Euch nicht übervorteilen,« versicherte der Duftbereiter. »Ich selbst bin ein Freigelassener, aber zugleich auch der Klient eines angesehenen Gönners, des steinreichen Sextilianus.«

»Der uns kaufen wollte?«

»Ja, kaufen wollte.«

»Für zweihundert ...«

»... fünfzigtausend Sesterzen,« fielen die Zwillinge gleichzeitig ein.

Cosmus lachte. Lavinius verabschiedete sich. Er ging jetzt quer über das Forum und das Argiletum hinauf, wo sich die Bücherläden befanden, und betrat den Laden des Tryphon. Er hatte bereits mit Tryphon die Lieferung der Tituli verabredet, die an den Straßenecken und an den Thermen angeschlagen werden sollten. Jetzt wollte er sich schnell noch einmal erkundigen. Denn die Zeit verflog.

»Guten Tag, Martial! Guten Tag, Martial!« So begrüßten die Zwillinge den Dichter, der gerade beim Buchhändler war, um zu fragen, ob sein letztes Bändchen Epigramme gut verkauft werde. »Dominus, das ist der berühmte Martial!«

Der Dominus wußte ganz genau, wer Martial war: ein moderner Epigrammendichter, dessen Epigramme sogar töten konnten. Wie, wenn er seine giftigen Epigramme gar auf ihn schrieb und auf seine Grex und auf die Vorstellungen, die er geben würde? Er bedachte, daß er gut daran tue, Martial sehr höflich zu begrüßen.

»Edler Martial!« sagte der Dominus und grüßte. »Wie bin ich erfreut, Euch, den geistreichsten Römer unserer Tage, begrüßen zu dürfen! Wie sehr werde ich es zu schätzen wissen, so nichts Euch daran hindern wird, unsern Vorstellungen beizuwohnen, insbesondere der ersten, zu der alles, was Rom an Vornehmen, Angesehenen, Gelehrten und Literaten besitzt, zusammenströmen wird.«

»Ich werde kommen, ich werde kommen, Lavinius,« versicherte Martial. »Wir werden alle kommen: Quintilian, Plinius, Tacitus, Frontin, Sueton.«

»Hohe Ehre lassen die großen Schriftsteller und der edle Prokonsul und der alleredelste Plinius mir widerfahren,« sprach Lavinius Gabinius. »Wir werden, hoffe ich, die Bacchides zu euer aller Zufriedenheit aufführen.«

»Die Menächmi. Ich las es wenigstens in den Acta Diurna auf dem Forum, Lavinius.«

»Die Nachrichten«, meinte höflich lächelnd der Dominus, »sind niemals ganz genau unterrichtet. Wir werden, edler Martial, vielleicht ein einziges Mal die Menächmi aufführen, aber namentlich die Bacchides, namentlich die Bacchides.«

»Darin spielen wir ...« »Ja, wir ...«

»Die Hauptrollen,« riefen die Knaben. Da entrollte Tryphon ein großes Pergament. »Seht, Dominus!«

»Das ist schön,« rief Dominus erfreut aus.

Sie alle lasen, Martial, der Dominus und die Knaben, das große Pergament, den Titulus, die Didaskalie, das Programm:

Acta Ludis Megalesibus.

»Gefallen Euch diese roten und schwarzen Lettern, Dominus?« fragte der Buchhändler, der, zugleich Verleger und Freigelassener, zu den Klienten des Plinius gehörte. Er beschäftigte eine Anzahl sehr tüchtiger Kopisten. Sie saßen in einem kleinen Saal bei der Arbeit und blickten neugierig auf, ihre Stifte in der Hand. Martial erkundigte sich flüchtig, scheinbar beiläufig.

»Eure Epigramme, edler Martial? Gewiß, ich verkaufe sie, ich verkaufe sie. Die letzten Bändchen sogar zu dreieinhalb As. Ein jeder will sie haben, sie gehen reißend ab. Ihr seid also zufrieden, nicht wahr, Dominus? Die roten und die schwarzen Lettern recht groß, damit es sofort auffällt:

Acta Ludis Megalesibus.
L.Sosibiano et M. Sophronio
Ädilibus Curulibus.«

»Meint Ihr nicht, bester Trophon,« fragte Dominus, »daß die Namen der Ädilen mit etwas größeren Lettern geschrieben werden sollten? Das macht immer Freude, müßt Ihr wissen. Was meint Ihr, edler Martial?«

»Die Namen der Ädilen so groß wie möglich, so groß wie möglich!«

»Also gut, Dominus! Die Namen etwas größer, mit etwas mehr Rot dazwischen. Aber Ädilibus Curulibus?«

»Das muß so bleiben, unbedingt muß es so bleiben,« meinte Martial.

»Ja, das muß so bleiben,« bekräftigte auch der Dominus, und die Knaben riefen gleichfalls:

»So bleiben! Ädilibus Curulibus nicht mit größeren Buchstaben!«

Tryphon zeigte und las weiter:

»Von der berühmten Truppe!«

»Nein!« sagte der Dominus. »Nicht ›berühmt‹. Ich will das nicht.«

»Eure Truppe ist aber berühmt, Lavinius,« versicherte Martial. »Ihr selbst seid auch berühmt.«

»Ich bin es,« sagte der Dominus mit ruhigem Selbstbewußtsein. »Aber das macht sich nicht gut, nicht vornehm. Es wirkt nicht literarisch, nicht künstlerisch genug. Es erinnert zu sehr an eine Anpreisung für Seiltänzer und Bärenführer. Nein, Tryphon, ›berühmt‹, das wünsche ich nicht.«

»Also dann nicht ›berühmt‹, Dominus, dann nur

Von der Truppe.«

»Ja, von der Truppe.«

»Mit roten Lettern Truppe

»Ja, Truppe rot und schwarz zusammen, das wirkt gut.«

Tryphon fuhr fort:

»Von der Truppe des Lavinius Gabinius.«

»Recht so!« meinte der Dominus, nachdem das Wort ›berühmt‹ nun gestrichen war. Er las nun selbst weiter:

»Hymne und Vorspiel mit Tanz, Gesang und Flötenspiel Musik von Atilius Burrus für rechte und linke Flöten.«

»Eure Kopisten sind Künstler,« meinte Martial.

»Es ist wirklich recht hübsch geschrieben,« warf Cäcilius in jugendlicher und zugleich altkluger Wertschätzung ein.

»In Alexandria wurden die Didaskalien mit goldenen Lettern geschrieben,« flüsterte Cäcilianus verächtlich.

Vor der Tür des kleinen Ladens drängten sich nun die Komödianten, und einer nach dem andern las mit lauter Stimme:

»Acta ... Acta Ludis ... Acta Ludis Megalesibus ...«

Darauf lasen der Dominus und Tryphon gleichzeitig:

»Plauti Bacchides.«

»Die Bacchides! Die Bacchides!« riefen die Zwillinge und klatschten triumphierend in die Hände. Sie blickten sich um nach der Tür. Dort erschienen die Gesichter des Senex und des Parasiten. Nun immerhin, meinte der Senex, er habe schließlich eine hübsche Rolle in den Bacchides. Aber der Parasit war bleich vor Wut und nahm sich heimlich vor, seine dumme, kleine Rolle schlecht zu spielen selbst auf die Gefahr hin, daß der Dominus ihn dies übel würde entgelten lassen.

»Stehen denn unsere Namen nicht einmal darunter?« fragten zu gleicher Zeit die Zwillinge. »Warum stehen denn unsere Namen nicht darunter?«

»Das ist nicht üblich,« sagte der Dominus bestimmt.

»Durchaus nicht,« sagte Tryphon.

»Ihr könntet doch einmal von der Gewohnheit abweichen,« riet Martial. »Vortrefflich! Da fällt mir gerade ein Epigramm auf die Gewohnheit ein. Also hätte ich schon wieder eines.«

Allein Lavinius und Tryphon waren sich darüber einig, daß man beim Titulus sich streng an die Tradition halten müsse.

»Didaskalia,« verbesserte naseweis Cäcilius, der das griechische Wort schöner fand.

»Didaskalia,« wiederholte Cäcilianus mit gespitztem Mäulchen.

»Wißt Ihr, edler Martial, der Titulus darf nicht abweichen von den antiken Tituli, so wie Plautus und Terenz sie gaben.«

»Ei was, ihr Bühnenvolk wachst in eurer Tradition und in euren Gewohnheiten fest,« meinte Martial.

Er selber wiederholte nun:

»Plauti Bacchides. Die durchweg griechische Handlung spielt in Athen.

Darauf Verschiedene Atellanae mit Gesang, Tanz und Flötenspiel. Musik von ...«

»Die Namen der Komponisten werden wohl genannt,« rief Cäcilianus, Martial unterbrechend.

»... wohl genannt,« wiederholte sein älteres Brüderchen zornig.

Darauf lasen sie alle drei, der Dichter, der Dominus und der Buchhändler:

»Der Koffer,
Mimus von Publilius Syrus.
Gespielt von dem berühmten Latinus.«

»Latinus wird doch auch genannt!« zischte Cäcilius wütend. Das Brüderchen zischte gleich ihm. »Und«, fuhr Martial fort, während er den Zwillingen einen schalkhaften Blick zuwarf, »von der sehr berühmten Tänzerin ...«

»Oh!« riefen entrüstet die Zwillinge aus.

»Thymele,« sagte Martial ergänzend.

»Eine Frau!« kreischten die beiden Zwillinge und ballten die Fäuste. »Nur eine Tänzerin, nichts als eine Tänzerin! Man denke sich, Thymele! Wird die auch schon genannt? Noch dazu mit so großen, roten Lettern geschrieben?«

»Das ist so üblich,« sagte Tryphon. »Thymele und Latinus werden immer genannt: Mimus und Tänzerin.«

»Warum nicht die Comoedi?« protestierten die Zwillinge.

»Der Tradition wegen, ihr kleinen Komödianten,« meinte neckend Martial.

»Wir spielen doch auch, wir tanzen doch auch!«

»Sind doch auch Mimus und Tänzer!«

»Zum Schluß:«

fuhr der Dominus fort, während er seine Stimme ehrfurchtgebietend erhob, um die ihm lästigen Zwillinge endlich zum Schweigen zu bringen. Die ganze Caterva schaute nun hin Kopf an Kopf und las, einer nach dem andern, mit lauter Stimme:

»Die Bacchides. Also die Bacchides! Darauf ...«

»Laureolus, Großes Exodium, gespielt von dem allerberühmtesten Archimimus Lentulus,« hörte Martial den Dominus sagen.

»Allerberühmtesten! Allerberühmtesten!« schrien die beiden Knaben rasend. Sie steckten die blonden Köpfe zusammen und wirkten so wie zwei wütende Nattern. Sie zischten und umschmeichelten den Dominus, ob ihre Namen denn nicht auch ...

»Gut!« meinte Martial, der ihre Sache vertrat. »Die Kopisten sollen jetzt einmal mit viel roter Tinte schreiben:

Plauti Bacchides,

worin die Hauptrollen von den beiden unvergleichlichen Zwillingscomoedi, Cäcilius und Cäcilianus, gespielt werden!«

Tryphon lachte, der Dominus wurde unruhig.

»Wahrlich, edler Martial, und ihr, Knaben, hört mich an! Wollt ihr wohl nach dem Theater gehen?« brüllte er der Caterva zu, die immer noch schweigend dastand. Plötzlich verschwanden alle Köpfe, und heller fiel das Tageslicht auf den Titulus. den Tryphon noch immer ausgebreitet in die Höhe hielt. »Ihr wißt, ich tue für euch, was ich tun kann, ihr seid wirklich liebe, nette Knaben.«

»Blonde Schätzchen!« sagte Martial preisend.

»Ihr spielt gut, ihr sprecht schön. Ich gebe das alles zu. Ihr spielt die Bacchides ...«

»Wie echte Bacchides!« fiel Martial ein.

»Aber ...«

»Aber ...,« wiederholte Martial.

»Die Tradition, wißt ihr, die Tradition ...«

»Ja die Tradition,« versetzte Martial, während er den Knaben zunickte.

»Gestattet es nicht,« fuhr Lavinius fort.

»Daß eure Namen genannt werden,« warf Tryphon ein, während er den Titulus einrollte.

»Nein!« sagte Lavinius jetzt sehr bestimmt. »Die Tradition gestattet es nicht, und es ist gut so. Ihr müßt bedenken, das Mimusspiel bleibt immer eine Schaustellung ohne Deklamationskunst. Gewiß, etwas Mimik und etwas Saltatio, das alles kann sehr schön werden, und wir wollen auch versuchen, es so schön wie möglich zu gestalten, aber es kommt doch niemals der ernsteren, höheren Komödie gleich, der Palliata, dem griechischen Lustspiel, das, obwohl latinisiert, doch immer griechisch, unwiderruflich griechisch bleibt, und schon allein aus diesem Grunde neben der Tragödie alles überragt, was auf den Brettern dargestellt wird. Wißt, ihr Knaben, seht, edler Martial, wir können, wir dürfen bei den Palliata in keinem Punkt in die Mimusmanieren verfallen, nicht einmal bei dem Titulus, in dem weder die Griechen, noch Plautus und Terenz die Namen der Spielenden jemals vermeldet haben. Wir müssen der Tradition treu bleiben, der erhabenen Tradition, und Ihr, Martial, dürft nicht darauf bestehen, daß die Namen der Vertreter der Hauptrollen vermeldet werden, noch dazu mit roter Tinte. Nein, Martial, das dürft Ihr nicht.«

Plötzlich erschrak Lavinius.

»Tryphon!« rief er. »Tryphon! Die Namen der Konsuln sind doch nicht vergessen auf dem Titulus?«

»Fürchtet nichts, Lavinius!« antwortete Tryphon. »Vor den Autoritäten empfinde ich mindestens ebensoviel Ehrfurcht wie Ihr. Sie stehen darauf. Seht Ihr wohl?«

Bei diesen Worten faltete er die Rolle nochmals auseinander.

»Es ist alles in Ordnung, Lavinius. Seid Ihr, edler Martial, nun damit einverstanden, daß die Kopisten für heute und morgen die Abschrift Eurer letzten Bände einstellen und mit den Tituli beginnen? Die Sache macht viel Arbeit. Sie sollen auf dem Forum, in den Bädern, auf dem Velabrum, am Theater angeklebt werden. Ja, edler Martial, schwer ist das Leben für einen Buchhändler in Rom.«

»Schwer ist es, bester Tryphon, für einen armen Dichter, der von seinen Epigrammen lebt.«

»Aber schwer auch mit Verlaub, edler Martial,« sagte Lavinius, »für einen Dominus Gregis während der Megalesia. Ich muß fort. Wir müssen den ganzen Nachmittag nachproben.«

»Die Bacchides!« riefen die Knaben stolz.

Es stand jetzt auf dem Titulus. Jetzt waren sie ihrer Sache sicher. Sie nahmen alle drei Abschied von Martial, der zu Fuß zurückgehen mußte in sein Häuschen, das weiter draußen bei der Porta Quirinalis gelegen war.

»Habt Ihr Eure fünf Epigramme für den Kaiser gestern abend noch gefunden?« fragte Cäcilius, der mit dem jovialen Dichter schon ganz vertraut war.

»Habt Ihr?« rief Cäcilianus auch.

»Ja, ich habe, ich habe! O ihr Comoedi der höheren Palliata, ihr armen Schlachtopfer der Tradition, ihr blonden Bacchideskinder mit euren hübschen Gesichtern!« deklamierte Martial, winkte ihnen zu und lächelte sein Silenenlächeln.

Auch sie lächelten und winkten ihm nach.

Der Dominus drängte sie vorwärts. Die Caterva war schon ein ziemliches Stück weitergeschlendert. Die Zwillinge blieben doch immer die Lieblinge! Was war da zu machen? Es gab unter ihnen doch immer einige, die ...

Die Knaben, die mit dem Dominus allein geblieben waren, versicherten ihm sentimental, sie hätten ihn so lieb, daß sie ihn niemals verlassen würden, auch wenn sie reich wären. Sie hingen sich an ihn, und so wanderten sie behaglich zu dritt wieder über das Forum durch den Vicus Tuscus und über das Velabrum. Dort war der Markt noch in vollem Gang. In Rom begann das Leben im Haushalt spät. Dort waren die Schlächter, die Geflügelhändler, die Gemüsegärtner, die Pastetenbäcker, die Obsthändler und die Schneeverkäufer. In kleinen Buden mit Vordächern aus buntem Segeltuch, unter großen Sonnenschirmen wimmelte das Marktgetriebe. Freigelassene, Haushälter reicher Bürger befahlen ihren Sklaven, die Einkäufe in Körben zu bergen. Frauen feilschten, Händler schalten, gaben schließlich doch nach, riefen dann weiter ihre Anpreisungen in die Menge. Auf den Wegen fuhren unter ohrenzerreißendem Geschrei, Fluchen und lautem Peitschenknall die Karren aneinander vorüber, ritten die Käufer auf schwer beladenen Eseln und Mauleseln mit ihren gefüllten Körben davon.

»Viel Glück!« rief Nilus von seinem Esel herab ihnen plötzlich zu. Er hatte seine Einkäufe gemacht. Zu beiden Seiten seines Lasttieres hingen die Körbe mit dem Vorrat für die Cena.

»Viel Glück!« riefen Lavinius und die Knaben.

»Ich habe die Caterva da drüben schon gesehen,« rief Nilus von seinem Esel herunter. »Habt ihr von dem Morde gehört?«

»Ja. Nigrina? Aber nicht Crispina, nicht wahr?«

»Nigrina ermordet! Hals abgeschnitten! Es lohnt sich wahrhaftig, Schwertfechterin zu sein, um dann schließlich von einem Dieb ermordet zu werden oder von einem entlaufenen Sklaven?«

»Von wem? Einem Diebe? Einem entlaufenen Sklaven?«

»Kunden von mir. Aber es ist nicht sicher, ob der Dieb oder der Sklave die Tat ausgeführt hat.«

Die Knaben schauten einander an, erwähnten aber ihre Begegnung am gestrigen Abend mit keinem Wort, da sie das römische Gericht fürchteten.

»Vielleicht beide?« fragte Lavinius.

»Wer weiß! Kommt Ihr heute abend?«

»Jawohl, zum Nachtmahl nach der Probe.

»Ich werde die lange Tafel für Euch offen halten.«

»Kohl in Laserpicum geschmort?« schrie Cäcilius.

»Picenumbrötchen?« rief Cäcilianus mit noch höherer Stimme.

»Für eure süßen Mäulchen!« rief Nilus.

Der Esel schlug mit den Hinterbeinen aus. Wer folgte, fluchte. Auch Nilus fluchte, ritt aber weiter und spornte das Tier mit den Absätzen an. Die Knaben wollten sich totlachen.

»Vorwärts, ihr Knaben! Wir haben noch viel zu tun.«

»Ja, ja, die Bacchides, die Bacchides!« schrien die Knaben freudig und noch immer triumphierend.

Sie gingen jetzt schneller, bahnten sich dreist einen Weg über den Markt.

»Fast so schön wie Alexandria!« meinte Cäcilianus, der schon viel von der Welt gesehen hatte. Am äußersten Ende des Velabrum war der Sklavenmarkt, und sie hörten die Ausrufer anpreisen. »Schnell einmal ansehen?« fragte Cäcilius den Dominus.

»Ja, schnell einmal ansehen!« wiederholte sogleich Cäcilianus.

»Warum nicht?« meinte der Dominus.

Man konnte nie wissen. Er hatte jetzt eine Summe Geldes, den Vorschuß, den er von den Ädilen erhalten, einem bekannten Wechsler in Verwahrung gegeben, und wenn er auf einem Markt einmal einen guten Sklaven fände, so wäre es in Rom, wo die guten Sklavenmärlte abgehalten wurden, kein übles Geschäft, einen zu kaufen, etwa einen Knaben, den man zum Spielen der Frauenrollen erziehen konnte für die Zeit, da die Zwillinge zu erwachsen sein würden. Sie gingen zum Sklavenmarkt. Dort wimmelte alles bunt durcheinander. Es herrschte ein ungeheures Stimmengewirr. Am Ende des Velabrum war eine Art Basilika, säulenüberdeckt, in der die Sklavenhändler ihre Ware ausstellten. Sie bezahlten für ihren Stand für jeden Sklaven eine bestimmte Summe. Der Dominus traf dort den Sklavenhändler Autronius, der über dem Wäscher wohnte und dem das Haus gehörte, wo die Grex Unterkunft gefunden. Zwischen dem Händler und dem Dominus fand eine höfliche Begrüßung statt.

»Ich möchte mich einmal ein wenig umsehen,« sagte Lavinius, während die beiden Knaben noch immer an ihm hingen.

»Ich meinte schon, Ihr wolltet Cäcilius und Cäcilianus verkaufen,« sagte Autronius. Er war dick, kahlköpfig und von gewichtiger Jovialität.

»Jawohl, das kannst du dir nur denken!« sagte Cäcilius.

»Kannst du dir nur denken!« erklang des Cäcilianus Echo. »Das möchtest du wohl?«

»Möchtest du wohl?«

»Vielleicht finde ich einen Sklaven auf dem Markte,« sagte der Dominus, indem er sich umschaute.

»Was wolltet Ihr mit einem neuen Sklaven anfangen?« fragten die Knaben sehr gespannt.

»Heute habe ich nur Daker,« sagte Autronius. »Das ist nichts für Euch. Seht, da sind sie!«

Er wies auf seine Daker. Drei hatte er bereits verkauft, neun saßen noch auf einer Bank. Sie kamen vom Ister, drei Frauen, sechs Männer. Sie schwiegen, ihr Blick war wehmütig.

»Ich meinte,« sagte der Dominus scherzend, »Ihr hättet nichts anderes als Dacici, die goldenen Münzen, die unser gnädiger Kaiser hat prägen lassen.« »Ich würde lieber Dacici als Daker besitzen, Dominus,« antwortete scherzend Autronius. »Diese Daker sind nur stark, stark und jung, aber das sind sie denn auch wahrlich.«

»Nun, das eine Mädchen da ...«

»Noch nicht zwanzig Jahre alt, Dominus. Ich gebe Euch die Versicherung. Eine stattliche und gewandte Dirne. Könnt Ihr sie nicht brauchen? Für zweihundertfünfundzwanzig Sesterzen? Ausrufer, ruf meine Daker einmal aus!«

Der Ausrufer rief mit laut hallender Stimme:

»Daker, kräftige Daker, starke Männer, schöne Frauen! Daker!«

»Ich brauche niemals Mädchen,« sagte der Dominus harmlos. »In meiner Caterva besorge ich alles mit Männern und Knaben.«

Die beiden Knaben kicherten. Der Dominus gab jedem einen Stoß und einen Schlag.

»Solche Schlingel!« sagte der Dominus. »Ich meine ...«

»Blonde Schlingel!« sagte anerkennend der dicke Autronius. »Verkauft sie mir, Dominus!«

»Gebt Ihr mehr als Sextilianus?«

»Als Sextilianus geben wollte?« schrien die Zwillinge.

Das Schreien, Kreischen, Ausrufen war ohrenzerreißend. Der Dominus fragte:

»Autronius, habt Ihr Eure Kostbare verkauft?«

»Nein, noch nicht, Dominus. Die halte ich in Ehren. Ich lasse sie hier nicht sitzen. Dazu ist sie zu fein. Sie ist eine Griechin aus Lydien und besucht die Musikschule. Sie lernt Flöte spielen, singen und tanzen. Wenn Ihr sie brauchen könnt ...«

»Der Dominus besorgt alles mit ...,« begannen die Zwillinge neckend.

Allein der Dominus versetzte ihnen einen Schlag auf ihre frechen Mäuler.

»Wir wollen uns noch ein wenig umsehen,« sagte er.

Ein Ausrufer pries einen Neger an. Der Neger stand da mit breiter Brust, während er Bizeps und Schenkel spannte und die Käufer ihn betasteten. Der Ausrufer befahl dem Neger, den Mund zu öffnen, und dieser zeigte seine weißen Zähne.

»Alle tadellos!« rief er aus. »Nicht ein einziger falscher Zahn! Zwanzigtausend Sesterzen!«

»Hm!« brummte der Dominus. »Heute lauter Kraftprotzen, nichts Feines dabei. Habt Ihr nicht ein ganz junges Kerlchen, das ich für meine Caterva gebrauchen könnte?« »Wie alt?« fragte der Händler.

»So jung wie möglich. Dann lernen sie noch.«

»Dominus,« riefen die Knaben aus, »was wollt Ihr denn mit einem jungen Kerlchen anfangen?«

»Ihr habt doch uns!«

Im Augenblick hatte der Händler nichts dergleichen. Starke Sklaven wurden am meisten verlangt und junge Sklavinnen.

»Ja!« fuhr der Dominus fort. »Ich muß immer etwas Außergewöhnliches haben.«

»Ein geraubtes Knäbchen, wie?« flüsterte der Händler mit einem verstohlenen Blick auf die Zwillinge. Die betasteten dem Neger die Arme, die Hüften und rissen neugierig an seinen Zähnen, wahrend der Neger regungslos stehen blieb.

Der Dominus zuckte verächtlich die Achseln. Wiewohl er niemals davon sprach, wußte er doch nur allzu gut, daß er die Zwillinge von Manlius und Crispina nicht geraubt hatte. Er lächelte vergnügt, seines guten Sternes eingedenk und dankbar der Fors Fortuna. Ihn übermannte die Rührung. War er ihnen nicht allzeit ein Vater gewesen?

»Kommt, Knaben, kommt!« rief der Dominus. »Ihr wollt diesen Neger doch nicht kaufen?«

»Warum nicht?«

»Warum nicht?« riefen die Knaben prahlerisch. Zugleich hingen sie sich wiederum an des Lavinius Arme.

»Wir müssen uns beeilen,« sagte der Dominus.

Sie überschritten das Forum Boarium mitten durch den Kot der Rinder. An diesem Morgen war Viehmarkt gewesen.

»Bah!« sagte Cäcilianus. »Wie schmutzig! Zwischen all diesen großen Haufen! Es ist schmutzig hier in Rom. Wenn man Alexandria damit vergleicht! Dort wird alles schön sauber gehalten durch die Ibisse, die dem Reinigungsdienst angehören.«

»Ja, ja, die Ibisse,« sagte Cäcilius.

»Die fressen doch keinen Kuhdreck!« warf Lavinius ein. »Aber jetzt macht ein wenig vorwärts, ihr verdammten Bummler!«

Aber wenn das schmutzige und schlammige Forum Boarium sich auch ziemlich schnell überschreiten ließ, so ließ sich der Weg längs dem Capitolinus und dem Theater des Marcellus nicht mehr so rasch zurücklegen. Zwischen den dreihundert Säulen der Portikus der Octavia herrschte ein dichtes Gewühl von Advokaten, Prozeßjägern, Verteidigern. »Ich werde müde,« sagte Cäcilianus und warf dabei einen Blick auf seine gelben Schuhe, ob sie nicht allzu schmutzig geworden seien.

»Dann wollen wir lieber die Menächmi proben und nicht die Bacchides,« sagte der Dominus scherzend. Allein die Knaben lachten, fürchteten sich nicht im geringsten mehr.

»Angelangt!« sagte Dominus.

Die Knaben blickten empor. In der vergangenen Nacht hatten sie das Theater des Pompejus nur unbestimmt im nächtlichen Schatten verschwimmend oder von stets wieder sich verdunkelndem Mondlicht durchflutet gesehen. Jetzt sahen sie es im strahlenden Sonnenschein. Sein halbrunder, stattlicher Bogen wölbte sich unter dem blauen Äther, hoch ragten seine drei Stockwerke auf den unten dorischen, dann ionischen, endlich korinthischen Säulen. Marmorbildnisse in weißem Glanze krönten den höchsten Umgang, und es schien fast, als machten sie Gebärden gegen den transparenten Azur. In den Nischen der Mauern reihten sich gleichfalls Bildnisse. Die Tür zum Proszenium war geöffnet. Die Caterva schlüpfte einer nach dem andern hindurch, als sie den Dominus und die Knaben kommen sahen.

Die schauten alle drei empor.

»Ein schönes Theater!« meinte der Dominus bewundernd.

»Ich habe es in der letzten Nacht nicht gut sehen können,« sagte Cäcilius.

»Es ist schöner als das Theater in Alexandria,« meinte Cäcilianus.

Einen Augenblick blieben sie stehen, sehr ernst, und schauten, schauten. Sie waren stolz, alle drei, der Dominus, weil er dieses Mal, im fünfzehnten Jahr der gnädigen Regierung des Kaisers Domitian, des göttlichen Flaviers, in diesem prächtigen Theater zu Rom die szenischen Spiele an den Megalesia einleiten würde, die Knaben, weil sie morgen darin auftreten sollten vor Tausenden und Abertausenden in den Bacchides, den Bacchides!

Aber bevor sie eintraten, flüsterte Cäcilius seinem Brüderchen ins Ohr:

»Cäcilianus, du darfst niemals sagen, daß wir gestern abend ...«

»Was denn?«

»Den Dieb und den Sklaven gesehen haben, als sie vermutlich ...«

»Ich werde nicht so närrisch sein,« sagte Cäcilianus.


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