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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Diese Nacht! Diese entsetzliche Nacht! In dem Palatium schläft niemand. Vor den Gemächern der Mammäa und des Alexianus wacht die Wache des Encolpius. Doch auch im weiteren Umkreis des Palatiums, vor der Area der flavischen Paläste, vor den Bogen des Palastes des Septimius, im Turm des Septizoniums, wachen die Truppen und starren in die Nacht hinaus. Doch Semiamira – wie lange schon hat sie vergeblich auf Aristomachos gewartet, der mit seinen Soldaten kommen soll, um endlich Alexianus zu töten! – Semiamira ist mit geballter Faust, mit einem Fluch auf den Lippen des Encolpius Wache entlang zu den Gemächern der Mäsa geeilt. Da sie die Mutter dort nicht findet, eilt sie durch den Kaiserinnenhof und nähert sich den Gemächern der Mammäa, wo sie endlich die Clarissima antrifft: bei dem Knaben und seiner verhaßten Mutter. Da niemand das Nahen der Serenissima bemerkt hat, erhebt sich ein jähes Entsetzen. Mammäa schützt, rasch aufspringend, den Alexianus, indem sie weit die Arme ausbreitet. Der wachsame Encolpius erscheint mit seiner Wache auf der Schwelle dicht hinter Semiamira, der er mißtraut. Doch voller Bitterkeit lacht des Antoninus Mutter dieses Schreckens.

»Mutter, so komm doch!« ruft sie angstvoll, »was vorgeht, weiß ich nicht, doch sicherlich ist es nichts Gutes. Der Palast ist umringt von Hastati und Velites, es ist nicht die gewöhnliche Palastwache, ich weiß nicht, wer sie sich versammeln hieß. Das Septizonium ist erleuchtet, Stimmen durchtönen die Nacht. Mutter, komm, ich fürchte für meinen Sohn Antoninus. Gewiß sind es die zwei dort, Mammäa und der Bastard Alexianus, die sich gegen meinen Antoninus verschworen haben!«

»Wenn du es nicht bist, du, die in Gemeinschaft mit Antoninus meinem Kinde nach dem Leben trachtet!« ruft Mammäa aus, zitternd vor Angst und Wut.

»Soämis, Mammäa!« schreit Mäsa, »haßt euch nicht! Habe ich nicht zwei Töchter? Habe ich nicht beide lieb? Nenne ich nicht zwei Enkelkinder mein?«

»Doch Antoninus liebst du mehr als meinen Alexianus!« ruft Mammäa aus.

»Ist er nicht der Ältere? Doch habe ich nicht auch Alexianus lieb? Werde ich ihn nicht schützen?«

»Mutter!« ruft flehentlich Semiamira, »komm mit, ich fürchte für Antoninus. Was geht vor? Tausenderlei Dinge fürchte ich und weiß doch nichts ... Mutter, Mutter, komm mit nach dem Sommerpalast!«

Mit sich zieht sie die alte Frau; und noch im Fortgehen überschüttet sie Mammäa und Alexianus mit Verwünschungen. Durch die Säle des Frauenhofes eilen Semiamira und Mäsa, durch die Atrien bis in die Gärten, um in die Nacht hinauszuhorchen, um zu sehen, was dort droht. Da, plötzlich ein Geräusch wie Meeresbrausen. Das ist das Volk, Roms Volk! Wohin wälzt es sich? In der Richtung nach der Porta Asinaria ? Nein, nach der Alten Hoffnung hin! Dort ist eine Lohe, wie der rötliche Widerschein von Brand.

»Mutter!« schreit Semiamira, »sieh doch nur, dort drüben brennt es! Der Sommerpalast steht in Flammen! Hilf, Mutter, hilf, schütze meinen Sohn Antoninus!«

Wie versteinert steht die alte Frau während eines flüchtigen Augenblickes und weiß nicht, was sie glauben soll. Sie schwankt, doch endlich ruft sie aus:

»Soämis! Soämis! Das ist Kriegslist! Eine verruchte Kriegslist, die du mit Antoninus ersonnen hast, um mich aus dem Palatium zu entfernen, damit ihr dem Alexianus antun könnt, was euch beliebt!«

»Nein, Mutter!« ruft Semiamira beschwörend aus, »es ist das Volk, das gegen Antoninus auszieht, das Volk, das den Palast dort drüben in Brand steckt!«

Dunkler, dichter, drohender umdrängt die Menge den Palatin und Mäsa weiß nicht, ob sie der Alten Hoffnung entgegenstaut oder ob sie das Palatium umbrandet. Doch wie sehr sie Antoninus auch liebt, in dieser Nacht ist sie voll banger Furcht um Alexianus. Was will das Volk? Alexianus ermorden? Sie stößt Semiamira von sich, läßt ihre dunkle Palla in deren Griff zurück und eilt davon, zurück nach dem Hof der Kaiserinnen. Alle Cubicularii, alle Freigelassenen, alle Sklaven, alle Sklavinnen, alle Soldaten der Wache sind dort versammelt vor den Gemächern des Cäsars und bilden eine verworrene Menge. Mäsa stürzt hinein. Erleichtert atmet sie auf, als sie Alexianus in den Armen seiner Mutter sieht, und gebieterisch ruft sie:

»Wache, Encolpius, wacht, ihr Truppen, das Volk stürmt herbei, ich weiß nicht, warum. Von der Alten Hoffnung her leuchtet es wie ein Brand. Doch Antoninus hat dort Antiochianus, Aristomachos und die Prätorianer. Für ihn fürchte ich nichts, ich fürchte für den Cäsar. Besetzt alle Zugänge, schützt den Cäsar, verteidigt sein Leben!«

Sie selbst schlingt ihre Arme um den Knaben, der sich zornig gegen diese erregte Umarmung wehrt, während er die Brauen über den blinzelnden Augen runzelt und fragend zu seiner Mutter Mammäa aufblickt, ohne die er nichts zu sagen, kaum etwas zu empfinden vermag. Sicherlich fürchtet er sich nicht, allein in seiner dumpfen Seele ist alles unschlüssig, sogar im Empfinden ist er träge, im Denken ohne Impuls. Die Umarmungen der Mütter widerstreben ihm und gern möchte er hinaus, denn in ihm regt sich etwas wie Mut und Ehrgeiz. Doch zuvor müßte er wissen, ob die Mutter seinen Mut gutheißt in diesem Augenblick, ob ihr der Ehrgeiz willkommen ist in dieser Nacht. Da er es nicht weiß und auch nicht fragen mag, schweigt er, hält die Brauen mißmutig gerunzelt. Sein Knabenkörper ist durch athletische Übungen kräftig entwickelt und muskelstark; sein etwas derbes Knabengesicht zeigt frische Züge, doch unter seinen gerunzelten Brauen blicken seine Augen finster drein. Eine stumpfe Unschlüssigkeit liegt über seiner offenkundigen Unzufriedenheit, während er sich den Armen der Mäsa entwindet.

 

Im Atrium des Kaiserinnenhofes ist Semiamira zurückgeblieben, ganz allein; um sie ist Einsamkeit in den säulengetragenen, nachtdunklen Räumen. Alle sind bei Mammäa und Alexianus. In der Ferne der rote Schein, der sie schreckt. Angst hämmert in ihren Schläfen, in ihrem Herzen, sie keucht. Was ist geschehen? Aristomachos ist nicht gekommen, obwohl die Abmachung so getroffen war, und längst schon ist die Mitternacht vorüber.

Sie ist ratlos in ihrer Verlassenheit. Wo sind ihre Zenturionen, ihre Freigelassenen, ihre Cubicularii, ihre Wachen? Wo das ganze Heer ihrer Sklaven? Sie will nicht zurück nach dem Kaiserinnenhof, wohin Mäsa geflohen ist. Fort will sie, zu ihrem Sohn, zu ihrem Gott Antoninus. Einen Gott hat sie geboren, Heliogabal. Ihr Kind hat sie lieb. Wie zu ihm gelangen? Sie will fort, sie muß fort. Aber wie? Das Palatium kann sie noch verlassen, doch wie durch die dichte Volksmenge gelangen, die den Palatin umwogt, umbraust, umtost?

»Alexianus! Heil Alexianus! Heil Mammäa und ewig Heil der erhabenen Mäsa! Alexianus! Wir wollen Alexianus!«

Den Knaben rufen sie aus, den verhaßten Knaben und seine verhaßte Mutter! Götter, was mag ihrem Sohn widerfahren sein? Wohl stehen ihm Antiochianus, Aristomachos und die Prätorianer zur Seite, doch wie werden sich die Truppen des Lagers verhalten? Das ungeheure Lager an der Via Nomentana? Werden sie für ihren Sohn sein? Oder für den Balg? O könnte sie doch zu ihrem Kinde gelangen! Antoninus! Antoninus! Sie streckt die Arme nach ihm aus. Niemals hat sie sich so stark als Mutter gefühlt. Wie eine Wahnsinnige irrt sie umher durch die verlassenen Gärten. Sie fürchtet sich nicht mehr. Sie ist eine Tochter der Sonne. Jähe, feurige Energie und eine aus Mütterlichkeit geborene Frömmigkeit machen sie tollkühn. Sie wird gehen, wird sich Bahn brechen mitten durch das Volk. Ihr Kind wird sie schützen mit ihrem eigenen Körper, der nun von mütterlichen Gefühlen durchschauert ist. Sie eilt davon in der Richtung zu den Toren, den Parkhügel hinab. Rasenden Schrittes stürzt sie durch die Säulengänge, an den Wachen vorüber.

»Centurio ... Centurio!«

»Wer dort?«

»Die Augusta Semiamira. Ich will hinaus aus dem Palast!«

»Die Serenissima?«

»Ja, die Serenissima! Ich will zum Kaiser! Ich will zu meinem Sohn! Laßt mich durch!«

»Serenissima, Rom ist in Aufruhr, der Platz ist schwarz von Volk, sie rufen nach Alexander!«

»Centurio, bist du meinem Sohne treu?«

»Ich bin ihm treu, Serenissima, solange der Cäsar vor den Schlichen des Hierokles sicher ist.«

»Der Cäsar? Aber er ist sicher und geborgen, Centurio! Seine Göttlichkeit hat den Gemahl verbannt. Wußtest du das nicht? Verbannt ist der elende Hierokles und sicherlich wird Aristomachos zu ihm entsandt werden, um ihm zu befehlen, daß er sich entleibe. Der Cäsar? Er ist in Sicherheit. Alle sind um ihn. Ich aber fürchte für meinen Sohn. Ich will zu ihm!«

»Zu Fuß, Serenissima, und ohne Geleit?«

»Niemand wird mich erkennen. Sieh, ich trage eine dunkle Palla. Laß mich durch, Centurio, ich befehle es dir!«

»So geh, Serenissima, die Götter mögen dich behüten. Zwei Legionäre werden dich begleiten.«

Vermummt schleicht die Serenissima hindurch. Als sie die Pforte des Palatiums im Rücken hat, wird sie sogleich vom Schwarm der Menge aufgenommen und von den beiden Legionären getrennt. Was tuts? Sie will allein zu ihrem Sohn. Sie drängt, stößt, bahnt sich einen Weg. Von den Wogen der dräuenden See wird sie getragen.

»Wir wollen Alexianus! Heil, Heil Alexianus! Wo ist Alexianus?«

Sie zuckt zusammen vor Haß, sie stöhnt auf vor Verzweiflung, Angst und Raserei. Weiter will sie, weiter. Sie ist jetzt Eine aus dem Volk. Sie bahnt sich gewaltsam ihren Weg. Männerhände greifen nach ihren Brüsten. Sie reißt sich los, stößt, drängt, flucht. Sie kann fluchen wie eine Dirne, die Serenissima, sie hat es in der Subura gelernt. Wer würde wohl jetzt in ihr eine Fürstin vermuten?

Plötzlich hüllt sie sich fester in die Palla, sie hat Stimmen erkannt in unmittelbarer Nähe. Einen Zipfel zieht sie sich über den Kopf, und obwohl sie nach ihrem Sohn schmachtet, zaudert sie, um zu hören, was diese bekannten Stimmen so laut ausrufen. Ein Beleibter ist es und ein Hagerer und der Beleibte ruft inmitten einer Gruppe von Gladiatoren und Legionären:

»Alexianus müßten wir haben! Alexianus ist zwar auch Syrier, aber zugleich Römer. Ich bin Römer, römischer Bürger bin ich, aber ich darf mich in Rom nicht aufhalten; Sardanapal hat den ganzen Senat aus Rom vertrieben. Auf Giraffen, auf Eseln, in Tonnen haben sie fliehen müssen. Aber ich bin nicht gegangen. Ich habe mit den Christen all meine Hoffnung auf Alexianus gebaut, der wird uns schon einen Tempel bewilligen!«

»Mein Freund Matthias? Der ist Römer. Ein Christ, aber doch Römer. Ich? Ich bin auch Römer. Nein, nur meine Mutter war eine Inderin. Ich bin zwar am Ganges gewesen, aber dennoch bin ich Römer! Ja, Rom sollte wieder römisch werden. Rom gleicht jetzt Persien. Daran ist Sardanapal schuld! Betrogen hat er uns alle. Das heilige Licht? Eine schändliche Gaukelei. Avitus hat die Menschen bezaubert. Sie glaubten von ihm zu essen, von ihm zu trinken, von ihm zu leben und starben vor Durst und vor Hunger oder sie kamen um durch Schlangen und Skorpione, die er ihnen als Tafelgeschenke vorsetzen ließ. Ja, Alexander müßten wir haben, der würde ein milder, ein kluger Kaiser sein. Antoninus? Der besitzt keinen As! Alexander erbt das Gold, Alexander, Mäsas Liebling! Heil, Heil Alexander! Wer ihn ausruft, wird belohnt. Heil Alexander!«

Semiamira hat sich ihnen genähert: Matthias, der Vir Clarissimus, der Senator, der Ex-Bordell- und -Kneipenhalter.

Exchrist? Nein, jetzt ist er wieder Christ. In dieser Gruppe von Gladiatoren und Legionären scheinen dunkel gekleidete Christen zu sein, denen er einen Tempel verheißt, falls sie Alexander ausrufen ... Und dann Ganadasa, der Gymnosophist. Sie beide waren einst von Mäsa gewonnen, um in Emesa Antoninus ausrufen zu lassen. Sie beide sind sicherlich jetzt von Mammäa bestochen, damit sie das Volk für ihren Balg stimmen! Ein wilder Haß wallt auf in der Serenissima – sie denkt an Emesa – solche Treulosigkeit ist ihr zum Ekel. Plötzlich tritt sie näher und flüstert, hinter dunklem Mantelzipfel verborgen, mit sehr gedämpfter Stimme:

»Matthias!«

Der dicke Senator schaut sich um, hochmütig. Er weiß nicht, welche Frau ihn gerufen hat. Er erkennt die Serenissima nicht; sie, der er doch drüben zu Emesa oftmals des Nachts eine Seitentür zu seiner Schenke geöffnet hat, wo sie, die Mutter des Hohenpriesters, sich den Soldaten hingab wie eine Dirne. Er erkennt sie nicht, und sie spricht dringlicher, doch mit stets gedämpfter Stimme:

»Matthias, ich komme vom Palatium, die Augusta Mammäa sendet mich ...«

»Wer bist du?«

»Eine ihrer Sklavinnen.«

»Wo ist deine Sänfte?«

»Unweit von hier.«

»Was willst du?«

»Dich zur Augusta geleiten.«

So überzeugend streckt sie die Hand aus, daß er sie ergreift. »Dort ist meine Sänfte. Ich bin beleibt, das Gehen wird mir schwer. Aber für Alexianus tue ich alles!«

Drängend, stoßend und schiebend hat sie ihn durch die stets drohender wogende Volkssee gezerrt, in die Richtung, die er ihr angegeben hat.

»Elender!« zischt sie ihm plötzlich ins Gesicht; ihre Augen blitzen in die seinen, der Mantelzipfel gleitet ihr vom Kopf.

»Ihr Götter!« ruft er entsetzt aus, »die Augusta Semiamira!«

»Du stinkender Christ! Du Hund! Warum bist du Antoninus untreu?«

»Warum?« ruft er plötzlich aus, während ihm vor Haß der Schaum auf die Lippen tritt, »zehn tote Maulesel hat er mir geschenkt!«

Die Augusta bricht in ein wildes Gelächter aus.

»Zehn tote Maulesel? Du stinkst noch mehr als sie, du bist sie nicht wert! Es sei denn, daß du zehnmal so tot wärest, wie deine Esel!«

Ihre Hand erhebt sich kurz, behende, zielsicher; ein Dolch blitzt auf, trifft ihn mitten ins Herz. Fast lautlos stürzt er, eine dunkle Masse, zu ihren Füßen nieder. Sie bückt sich, zieht ihren Dolch zurück, wischt ihn an seiner Pänula ab, eilt davon.

 

Fort will sie, fort! Sie atmet tief, wie nach gestilltem Durst. Doch sie bangt um Antoninus. Da stößt sie auf eine führerlose Bande von Legionären, die schleppen sie mit und wieder zurück in die Richtung des Palastes. Niemals wird sie Antoninus erreichen! Es sei denn, daß sie alle ringsumher mit ihrem Dolche ersticht. Fast willenlos tastet sie von neuem unter ihre Palla. Noch immer rufen sie den Knaben aus. Was für ein Jauchzen! Was für ein Jubel! Es zerreißt ihr die Seele, es schneidet ihr ins Herz. Sie kann den Namen Alexander nicht mehr hören. Es ist wie ein freudiger Sturm, der sich erhebt vor dem erhabenen und hohen Altan des Palastes des Septimius, dort, wo des Cäsars Gemächer liegen, nicht weit entfernt von ihren eigenen, im Hof der Kaiserin. Wie schmachten sie nach dem Knaben, ihn zu sehen, ihm zuzujubeln, ihn vielleicht sogar zum Kaiser auszurufen an des Antoninus Statt! Laut schluchzt sie auf in ihrer Ohnmacht. Ihr Götter, erscheint er dort? Zwischen den hohen Säulen dort drüben eine Lohe und auf dem Altan die Argyraspiden der Palastwache, die Verworfenen, die sich um den Buben scharen werden! Mammäa! Was sieht sie da? Mäsa? Ja, Mäsa an Mammäas Seite und zwischen beiden den Kleinen! Ha, diese Elenden! Wie sie jauchzen, wie sie jubeln!

»Alexianus! Heil, Heil dem Cäsar!« rufen sie.

»Heil Aurelius Alexander Cäsar Augustus!«

Augustus? Rufen sie Augustus? Kann die Mutter das dulden? Sie hätte nicht gehen sollen, dort hätte sie bleiben müssen, um ihren Sohn zu verteidigen. Er da drüben hat Aristomachos und Antiochianus, hier hat er niemanden, hier denkt keiner mehr an ihn! Den Knaben rufen sie aus an seiner Statt. Ist das Ungeheuerliche Wahrheit geworden? Haben sie Antoninus nicht mehr lieb, nachdem sie einst die Stelle geküßt haben, die sein Fuß betreten hatte? Und Mäsa? Hat sie Antoninus nicht mehr lieb? Sie kann es nicht länger mit ansehen, sie wendet sich ab. Doch wieder stößt sie auf das heranströmende Volk, eine dunkle See, die den Palatin umwogt. Was geht dort vor? Das Volk hat sich gegen die Palastwache und das Tor herangedrängt und ruft unablässig: »Aurelius Alexander Cäsar Augustus!« Das ganze Volk umstaut den Palast, drängt durch die Parks, um zum Palast zu gelangen.

»Heil Aurelius Alexander Cäsar Augustus! Heil! Wir wollen ihn schützen; wenn seine eigene Wache ihm nicht treu ist, dann wollen wir, sein Volk, ihn schützen vor dem Haß des Sardanapal, vor den Schlichen des Hierokles! Auf zum Lager! Mit den Müttern Mäsa und Mammäa führen wir ihn in das Lager! Weg mit Antoninus! Weg mit Sardanapal!«

Ihr Götter! Sicherlich wird Antoninus getötet! Sie muß nach der Alten Hoffnung. Jetzt bricht sie gleich einer Rasenden durch die Volksmenge. Niemand erkennt sie, Fackeln werfen ihren rötlichen Brand durch die Gärten, dunkle Massen wälzen sich dem Palatin zu. Das Volk ist im Palast, das treulose Volk entführt Alexander im Triumph, um ihn mit seiner Mutter und seiner Großmutter nach dem Lager zu geleiten. Heute nacht lebt Alexianus noch, doch er muß sterben, er muß! Wenn Antoninus nur geborgen ist! Jetzt kann sie endlich ihre Schritte beschleunigen. Ist da kein Lichtschein mehr? Ist der Brand erloschen? Schon beginnt die Nacht zu weichen, das erste Morgengrauen, kaum durch Tau erfrischt, dämmert, doch unerträglich schwül bleibt die Luft.

Sie kommt näher und näher und beinahe verwundert ist sie, da sie die Tempelgebäude und den Sommerpalast sich erheben sieht in dem Duft des dämmernden Morgens. Doch nun bemerkt sie auch, daß ganze Teile des Parks verbrannt sind, auf den Wällen sieht sie die Wachen hin und her eilen; ihre langen Lanzen blitzen auf, ihre Schilde sprühen Funken. Das beruhigt sie. Antoninus muß unversehrt sein. Jetzt, endlich, nähert sie sich der Brücke, jetzt ruft sie dem Centurio zu:

»Centurio! Centurio!«

»Wer da?«

»Ich, die Serenissima!«

»Ihr Götter! Die Augusta Semiamira!«

»Der Kaiser?« ruft sie, »sprich Centurio, sprich!«

»Wir haben Seine Göttlichkeit bewacht, Serenissima, dem Kaiser ist kein Haar gekrümmt.«

»Dank, Centurio.«

Einen Freudenschrei hat sie ausgestoßen. Sie eilt durch den Eukalyptusgang, durch die Gärten. Was für eine Verwirrung! Schwarz, verräuchert, verkohlt die Bäume und darunter die Wirrsal des jählings beendeten Gelages. Frauenleichen in festlichem Gewand, entseelte Körper von Narren, Kadaver von Löwen; in der Naumachia – ist es Wein, ist es Blut? – die aufgeschwemmten Gesichter der ertrunkenen Berauschten. Goldenes Gerät zerstampft, kostbares Glasgeschirr zertrümmert, umgestürzte Rauchfässer, aus denen noch aromatische Düfte emporsteigen. Seltsam, aus dem inneren Palast, aus dem Tempel ertönt ein Klang von Harfen; sie hört die schweren Baßstimmen der Magier, eintönig, dröhnend. Sie stürzt weiter, atemlos.

»Antoninus, mein Kind!« schreit sie auf.

Aristomachos erblickt sie zuerst. Er hält sie auf, bedeutet ihr, daß sie schweigen soll. Plötzlich steht sie regungslos da, wie erstarrt. Der Tempel ist dunkel im Morgengrauen, doch sie sieht Antoninus: er liegt vor dem Schwarzen Stein, hält ihn fest umschlungen, bedeckt ihn mit seinen Küssen. Seine Seele schwebt empor in Ekstase. Auf zwei Altären wimmern zwei Säuglinge in großen Magierhänden und zwei Obermagier zielen rasch, gleichzeitig, die Opfermesser blitzen auf. Ein Schrei, ein dünner Blutstrahl, der aufspritzt – und sie entnehmen den zuckenden kleinen Körpern die Eingeweide und breiten sie aus auf goldener Schale. Der Tempel – jetzt an das Dämmerlicht gewöhnt, vermag Semiamira besser zu schauen – ist voll. Noch viele Anhänger hat ihr Sohn, noch kann seine Sache nicht verloren sein. Wenn nur erst der andere ... tot wäre!

Nach ihrer rasenden Verzweiflung, nach ihrer jäh hinausgeschrienen Freude fühlt sie sich von einem göttlichen Schauder erfüllt, von einem mystischen Schauder, der ihre Seele durchzittert; denn sie ist eine Tochter der Sonne. Dort ihr Sohn; sie, sie wurde von dem Licht für würdig erachtet, Heliogabal zu empfangen. Kaum wagt sie, sich ihm zu nähern, obwohl sie ein Recht dazu hat. Sie sinkt in die Knie, erschauernd neigt sie das Haupt über die Marmorquadern, sie betet die Litanei der Magier mit.

»Gott, großer, unbesiegbarer Gott, großes, unbesiegbares Licht, Quelle des Lichtes, die du auf dem Berg des Lichtes entspringst... gib ihm, indem du all seine Feinde vertilgst, die Gewißheit seiner irdischen Macht! Großer Gott, du, der du strahlend dich in ihn herabgesenkt hast...«

»... und von dem ich bloß einen Teil ausmache,« murmelte ergänzend des Antoninus Stimme.

»... gib ihm die Gewißheit...«

»... seiner irdischen Macht...«

»... und vernichte...«

»... Alexianus!«

 


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