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Zwanzigstes Kapitel

Es schien, als warte Rom ...

Als warte es nach der Hochzeitsfeierlichkeit auf die neueste Offenbarung des Kaisers und Gottes Heliogabal: Sowohl auf der Area-Palatii des flavischen Palastes wie auch vor dem Palast des Septimius Severus staute sich die Menge, zwar anbetend noch, aber doch ein wenig ermattet, nachdem sie nun schon drei Jahre immer den gleichen Gott Heliogabal hatte – ermattet in ihrer Liebe, ermattet selbst in ihrer Schaugier, weil eigentlich alles sich ereignen konnte, weil nichts mehr unmöglich schien. Dennoch stand die Menge harrend da, weil auf den Fora und in den Thermen seltsame Gerüchte umgegangen waren, seltsame Gerüchte, die diesmal nicht nur Staunen, sondern beinahe Schauder erweckten, mehr noch als dazumal, als das Bildnis der Mutter der Götter aus dem Tempel nach dem Heiligtum des Heliogabal gebracht worden war. Scheue Blicke richteten sich auf den runden Tempel der Vesta und auf das Haus der Vestalinnen. Dennoch gewahrte die Menge in jenen Tagen nichts. Streng, keusch und ruhig erhoben sich die Umrisse der schweren Tuffsteinmauer, die den Tempel umschloß. Doch im Innern des Hauses herrschte nach einer geheimen Besprechung, die Aquilia Severa,die Virgo Maxima, mit dem Pontifex Maximus gepflogen hatte, unter den Jungfrauen eine geheime Erregung. Auch war ein Eunuche aus dem Palast gekommen, um der Oberpriesterin für diesen Morgen den Besuch der Clarissima zu künden.

Seit dem Augenblick, da Antoninus seinen triumphierenden Einzug in Rom gehalten hatte, hatten es die Jungfrauen sehr tief empfunden, daß ihr Dienst der strengen Schlichtheit, der keuschen Sitte und der hehren, unantastbaren Würde mit dem aus dem Orient herantosenden Sinnesrausch der Sonne nicht in Einklang zu bringen sei. Sie waren entsetzt gewesen über den neuen, flammenden Dienst, der stets schwüler und glutvoller ward und der jungfräulichen Unantastbarkeit der Göttin wohl verhängnisvoll werden mochte. Und jetzt? Was drohte? War es das Entsetzliche, dessen Echo bereits hier und dort von Sklavinnen durch das Haus geflüstert ward ...?

Von solcher Unruhe gequält, waren die fünf Jungfrauen im Atrium versammelt an einem frühen Morgen, während das erste Tageslicht sich über die Marmorbildnisse ihrer verstorbenen Oberpriesterinnen breitete, als Sklavinnen entsetzt durch die Säulengänge herbeieilten mit wirren Rufen, ob deren mangelnder Förmlichkeit die Vestalinnen erzürnt die Brauen runzelten, und wieder davon stoben gleich weißen Vögeln, hierhin und dorthin, bis endlich eine Sklavin, halb kniend und die Hände faltend, der Priesterin, die ihr zunächst stand, das Folgende kündete:

»Cornelia Praetexta, höre: eine große Menge hat sich versammelt auf der Via Sacra, man jubelt dem Kaiser zu. Antoninus, der auf einem von vier Hirschen gezogenen Wagen gekommen ist, steigt vor der Pforte des Hauses ab!«

»Es ist der Kaiser, Antoninus!« riefen erschreckt die anderen

Dienerinnen, die wiederum in das Atrium eilten. »Es ist der Kaiser; er heischt Zutritt!«

»Es ist der Kaiser, Antoninus, von seinen Günstlingen umringt. Er will eindringen, er will die Virgo Maxima sehen!« Im Atrium, in dem grauen Licht des Frühmorgens, waren die Jungfrauen versammelt und noch vermochte keine zu glauben, daß die Entweihung, von der die Sklavinnen flüsterten, in Wahrheit geschehen werde.

Draußen auf dem Weg erhob sich ein Summen, ein Rauschen von Stimmen, ein Jubel, und die Priesterinnen hörten des Kaisers Namen. Antoninus! Antoninus! Jubelte die Menge? Oder schmähte sie? Endlich kamen Männerschritte näher. War es Wahrheit? Konnte das Haus der Vesta entweiht werden? Sollte das Unerhörteste geschehen? Schritte kamen näher und plötzlich, während die Sklavinnen entflohen, erblickten die fünf Priesterinnen den Kaiser Antoninus, umringt von seinem Gefolge, von seinen Günstlingen Gordus, Protogenes, Murissimus, von seinen Eunuchen und Cubicularii.

Unverändert matt schimmerte das graue Tageslicht; aufwärts strebten die Säulen der Umgänge wie zuvor und das rauschende Wasser in den Becken tropfte herab auf die breiten Blätter der Wasserpflanzen. Doch plötzlich erklang, von dem tropfenden Geräusch des Wassers getragen, die hohe, künstlich singende Falsettstimme des Antoninus:

»Ehrwürdige Jungfrauen, Seine Ewigkeit kündigt sich selbst an und bittet um eine Unterredung mit der Serenissima, der Virgo Maxima Aquilia Severa...«

Die Priesterinnen antworteten nicht. Die Entheiligung fürchtend, standen sie, dicht aneinandergedrängt, regungslos da. Das Gefolge des Antoninus füllte das ganze Atrium. Er selbst stand, von seinen Günstlingen umringt, vor den Jungfrauen und harrte der Antwort. Sie sahen, daß er berauscht war und daß auch seine Günstlinge es waren... Er trug noch das Festgewand der Nacht, das ihn in dem mit goldenen Traubenranken bestickten hyazinthfarbenen Chiton als Sieger Bacchus, Dionysos, Liber zeigte. Amethystfarbene Traubendolden hingen, an goldenem Stirnband befestigt, von seinen Schläfen herab. Sein Atem duftete nach dem Rosenwein, mit dem sein Gewand besudelt war. Der Goldpuder war von seinem Haar herabgefallen und glitzerte auf seinen Schultern. Die Günstlinge hatten ihm die Schminke von den Wangen geküßt. Er harrte noch der Antwort; ein blödes Lächeln irrte um seine Lippen. Doch die Jungfrauen antworteten nicht, während die Günstlinge sich neugierig in diesem von Männern niemals betretenen Atrium umschauten und plötzlich emporwiesen, nach dem Umgang zwischen den beiden Arkadengeschossen des Portikus, der sich rings um das Atrium hinzog. Dort oben war Aquilia Severa erschienen. Sie schaute über die Balustrade in das Atrium hinab. Ihre Züge waren so bleich, so starr, daß keine Regung darauf sichtbar war. Ihre dunklen Augen blickten unverwandt vor sich hin mit der Unerschütterlichkeit eines höheren Wesens. Nur, daß man unter der Zona – der Gürtelschnur, die unter dem Busen die Falten der Stola zusammenhielt – ihren Atem etwas rascher gehen sah. Gleich weichem Marmor schmiegte sich das Pallium um ihre Gestalt. Ihre weiße Haube, das Suffibulum, am Halse mit einer Fibel geschlossen, umrahmte ihr bleiches, starres Antlitz, und zwischen den Haarbändern ward das lockige, dunkle Haar sichtbar. Ihre Lippen waren fest zusammengepreßt, so leidenschaftslos, als wollten sie niemals sich öffnen.

Die Günstlinge hatten mit den Fingern auf sie gewiesen... Als Antoninus aufblickte, verwickelte er sich mit dem Fuß in seinen Mantel, wankte und fiel lächelnd dem Aristomachos in die Arme. Er zitterte so, daß der Tribun ihn stützte und den Arm um des Kaisers Schulter schlang. Dort oben hatte sich die Virgo Maxima langsamen Schrittes wie schlafwandelnd der Treppe genähert, die zum Atrium hinabführte. Wie im Traum sah Antoninus sie Stufe um Stufe herabschreiten. Die Falten ihres Gewandes spielten um ihren mit weißer Sandale bekleideten Fuß. Ein Schauder durchfuhr Antoninus, während er sie so herabschreiten sah, Stufe um Stufe. Beinahe hatte er gehofft, sie zurückhalten, ihr befehlen zu können, sie solle dort oben bleiben. Eine Ernüchterung war über ihn gekommen. Antoninus bereute. Es war zu spät. Er stand da, noch zitternd von der Entnervung, die dem Genüsse des Rosenweines folgte, stand da wie ein leichtfertiger Weingott. Aquilia Severa war die Treppe herabgeschritten, langsam und gemessen näherte sie sich der Gruppe der fünf Jungfrauen, die angstvoll, dicht zusammengedrängt, dastanden. Doch als sie Antoninus gegenüberstand, formten ihre Lippen nicht das Wort »Entheiligung«. Schweigend, kühl, verächtlich und fast übernatürlich ruhig starrte sie vor sich hin. Antoninus hätte gewünscht, sie aufschreien zu hören, hätte gewollt, daß sie ihm die Tür weise mit gebieterischer Gebärde. Doch schweigend starrte sie ihm in die Augen. Er haßte sie, sowie er sie gehaßt hatte, seit er zum erstenmal in diese Augen geblickt hatte, am Tage des Triumphes, als sie inmitten der Ihren aus dem Hause getreten und dem Siegeszug gefolgt war. Er haßte Aquilia Severa, es reizte ihn, sie zu demütigen, zu entheiligen, zu entehren, und er würde es tun, doch so, daß es einer göttlichen Ehrung gleichkommen sollte. Daß er seiner Laune und dem Drängen der trunkenen Günstlinge nachgegeben hatte und nach einer wilden Orgie gekommen war, bereute er. Er fühlte, plötzlich ernüchtert, daß er zu weit gegangen war, daß er, der Hohepriester, sich eines Sakrilegs schuldig gemacht hatte. Doch zugleich fühlte er auch, wie er seine Überlegenheit wiederfand und das Bewußtsein seiner Allgewalt. Jetzt hieß es, sich wieder zurückfinden und den Augenblick beherrschen. Während er versuchte, seinen verschwommenen, trunkenen Augen festeren Ausdruck zu geben, sprach er hochmütig:

»Aquilia Severa, heißest du Antoninus nicht willkommen in dem Heim der Vestalinnen ?«

»Das Heim der Vestalinnen ward noch von keinem Mann betreten, es sei denn vom Pontifex Maximus,« sprach die Priesterin, kalt wie ein Orakel.

»Antoninus ist Hoherpriester, wie der Pontifex Maximus, und zugleich Heliogabal, die Inkarnation der Sonne. Antoninus hat das Recht, die Schwelle der Vestalinnen zu überschreiten. Auch ist Heliogabal kein Mann; er ist Mann und Jungfrau in Einem, er verkörpert die menschliche Form des Demiurgos.«

»Wenn auch Antoninus dies Recht sich beimißt, so steht es allen jenen anderen doch gewiß nicht zu.«

Die Priesterin wies auf das Gefolge.

Antoninus zuckte die Achseln.

»Sie zählen nicht,« sprach er hochmütig lächelnd. »Zählt die Sonne alle Stäubchen, die sie in ihren Strahlen mit sich schleppt?«

»Nennt mir den Zweck Eures Kommens, Antoninus. Wohl habe ich den Besuch der Clarissima erwartet, der mir für diesen Morgen angekündigt war. Doch auf die Ehre des Euren war ich nicht vorbereitet.« »Meine Gnade ist mild wie die des Bacchus und allwohltätig wie die der Sonne,« antwortete Antoninus. »Meine Gnade und meine Wohltaten kündige ich nicht an. Was ich bezwecke, Serenissima? Ehre will ich der Göttin Vesta erweisen, die, wenngleich nur die Dienerin des Heliogabal, groß ist und mächtig, indem ich Euch zu meiner Gemahlin rechter Hand erhebe, so wie ich Hierokles zu meiner Gemahlin linker Hand erhob.«

Der Kaiser streckte die Hand zum Handkuß aus, doch Aquilia Severa verharrte regungslos. Bleich und starr blieben ihre Züge, ihre Lippen fest geschlossen. Nur unter der Schnur der Zona verriet sich das raschere Kommen und Gehen des Atems. Sie sprach, doch kaum hörbar:

»Das Gelübde der Keuschheit legte ich ab.«

»Kein Gelübde gilt vor dem Willen der auf Erden verkörperten Allmacht des Himmels.«

»Wir wahren Roms Keuschheit.«

»Die Sonne achtet der Keuschheit nicht. Männlich befruchtet sie, weiblich empfängt sie und gebiert.«

»In unserer Obhut bewahren wir das Allerheiligste, das Feuer und das Palladium.«

»Das Palladium und das Feuer werden Euch, unserer Gemahlin, in das Palatium folgen.«

»Ein Wort... Augustus,« murmelte die Priesterin.

Antoninus machte ein Zeichen; alle entfernten sich. Allein mit Aquilia Severa blieb er im Atrium zurück. Severa faltete die Hände.

»Augustus,« bat sie flehentlich, »verzichtet!«

»Niemals!«

»Warum nicht?«

»Weil ich nur Euch, Aquilia Severa, nur die Virgo Maxima der Vestalinnen ehelichen kann, so ich in Wahrheit Adam sein will neben Eva, die ich dem Hierokles bin.«

»Augustus,« sprach die Priesterin, »ich verachte nicht die Mysterien der Sonne, obwohl sie nicht die der Vesta sind; doch Ihr kommt zu mir in der frühesten Morgenstunde und alle heiligen Gesetze und Traditionen, das Allerheiligste und Allerwürdigste Roms, tretet Ihr mit Füßen. Augustus, berauscht seid Ihr gekommen nach einer nächtlichen Orgie, umgeben von berauschten Höflingen. Augustus, Ihr könnt nicht im Ernst meinen, was Ihr da sagtet. Ich bin das Unantastbare, Augustus!«

»Nicht für die Sonne, nicht für mich, Severa. Ich liebe dich!«

»Nein, Augustus.«

»Ich liebe dich, Severa!«

»Eure Herrlichkeit haßt mich.«

»Nein, nein, ich hasse dich nicht. Ich liebe dich. Ich werde dich lieben neben Hierokles, auf daß ich so werde, wie Hydaspes es wünscht.«

Die Priesterin machte eine Gebärde des Abscheus.

»Augustus, ist es Euch ernst um das, was Ihr da sagt? Fürchtet Ihr nichts?«

»Was sollte ich fürchten? Alles vermag die Sonne und nur zum Allguten und zum Allichten strebe ich zurück.«

»Ihr seid ein Kind, der Vernunft nicht zugänglich.«

»Und du, Severa, bist ein Weib, töricht und beschränkt, du weißt nichts von dem kleinsten der unsichtbaren Dinge, die unser geringster Priester kennt.« »Verzichtet, Augustus, verzichtet!«

»Niemals! Vesta soll des Heliogabal Dienerin sein. Ich vermag, was ich will, Severa. Kaiserin sollst du sein und mein Weib, die Mittlerin meiner Vollkommenheit. Im Palatium wirst du wohnen und das Feuer und das Palladium werden dir folgen.«

»Die Flamme der Vesta ins Palatium? Das Palladium ins Palatium?«

»Ja.«

»Das ewige Feuer darf seinen Ort nicht wechseln. Das Palladium ist unsichtbar. Nur einmal, als unser Haus in Flammen stand unter Kaiser Commodus, ist das Palladium sichtbar gewesen. Die Priesterinnen retteten es aus dem Brande und brachten es in Sicherheit.«

»Es wird sicher geborgen sein auf dem Palatin, in der Larenkapelle meines Palastes.«

»Antoninus, Antoninus, ich flehe Euch an!«

Sie faltete die Hände, ihre Knie zitterten. Er lachte schrill auf wie ein triumphierendes Weib. Sie sah nicht mehr verächtlich drein, auch nicht mehr hochmütig; nur angstvoll verzweifeltes Flehen sprach aus ihrem Blick...

Doch draußen schmetterten Fanfaren und vor der Pforte des Hauses staute sich von neuem das neugierige Volk. Plötzlich betrat die Clarissima, hastig, bleich vor Entsetzen, das Atrium, in dem des Antoninus schrilles Lachen noch widerhallte. Sie hatte ihren Besuch für diesen Morgen angekündigt, um Aquilia Severa vorzubereiten.

Sie hatte nicht die Kraft gehabt, Antoninus die Erfüllung seines Wunsches zu versagen. Den Senat hatte sie schon eingeweiht. Ein Hoherpriester wie Antoninus durfte eine Hohepriesterin ehelichen: ihre Kinder würden göttlich sein... Der Senat hatte zugestimmt. Sie selbst wollte Severa alles künden. Doch wehe, sie kam zu spät! Sie ahnte die Entweihung. Trotz ihrer großen Liebe zu Antoninus klangen ihre ersten Worte entrüstet und vorwurfsvoll.

»Antoninus, schäme dich! Kein Mann betritt das Haus der Vesta, es sei denn der Pontifex Maximus!«

»Ich bin Hoherpriester des Heliogabal!«

»Aber dein Gefolge, das ich lallen und lachen höre, noch trunken von der nächtlichen Orgie? Schäme dich, Antoninus!«

Lächelnd trat er auf sie zu, breitete die Arme aus, um sie zu umfangen.

»Ich will dich nicht küssen!« rief Mäsa, »deine Lippen sind noch besudelt. Geh, Antoninus, nimm ein Bad!«

»Erst will ich das Palladium sehen.«

»Das Palladium?« wiederholte Mäsa schaudernd.

Aquilia Severa faltete die Hände.

»Das Palladium, Clarissima, ist unsichtbar, so wie ich selbst unantastbar bin.«

Die alte Frau näherte sich der jungen Priesterin und umschlang sie mit beiden Armen.

»Severa,« sprach sie, »ich komme zu spät. Mittlerin wollte ich sein zwischen meinem allzu geliebten Antoninus und dir, wollte dich, nun, da der Senat es gutheißt, zu seiner Gemahlin erheben, dich an die Seite Seiner Herrlichkeit stellen, die, wie sehr er sich auch in diesem Augenblick vergessen möge, heilig ist und göttlich und die Inkarnation des Heliogabal selbst. Die Gesetze der Menschen gelten den Göttern nichts; der Senat billigt das und erteilt seine Zustimmung.«

Wie zu Eis erstarrten die Züge der Priesterin. Sie entwand sich den Armen der alten Frau, die mit schmeichelnder, eindringlicher Stimme versucht hatte, sie zu beschwören...

»Sage mir, Severa,« fuhr Mäsa fort, »sage mir, daß du die Ehre zu ermessen vermagst, die Antoninus der Vesta und ihrer Hohenpriesterin erweist. Willige ein.«

»Ich vermag sie zu ermessen, Clarissima,« antwortete Aquilia Severa kalt.

»Und?... Du willigst ein?«

Ein kaum sichtbarer Schauder fuhr durch die erstarrten Glieder der Aquilia Severa. In einem blitzartigen Augenblick dachte sie daran, sich zu töten. Doch gleich darauf fühlte sie sich wieder als Hüterin des Feuers und des Palladiums; sie wollte nicht durch einen Selbstmord die große und heilige Würde preisgeben. Völlig unbewußt zitterte in ihr etwas beinahe Christliches: die Wollust, Märtyrerin sein zu dürfen. Kein Flehen sprach mehr aus ihrer Stimme. Langsam fand sie sich wieder. Hoch richtete sie sich auf. Sie verachtete sowohl diesen Kaiser wie die Clarissima, die die heiligen Traditionen Roms mit Füßen trat, um ihres Lieblings Wunsch zu erfüllen. Mit kalter Stimme sprach sie:

»Ich willige ein!«

»Ich will das Palladium sehen,« sagte Antoninus, eigensinnig wie ein Kind.

»Seine Herrlichkeit wünscht das Palladium zu sehen!« sagte Mäsa streng und gebieterisch, durch Severas Haltung verletzt.

»Das Feuer und das Palladium,« sagte Antoninus, »werden Severa nach dem Palatium folgen. Ich will das Feuer und das Palladium sehen.«

Es mag sein, daß Mäsa einen Augenblick schwankte, doch sie widersprach nicht. Sie war eine Tochter der Sonne; auch sie dünkten die Mysterien Emesas höher und heiliger als die Mysterien des römischen Gottesdienstes.

Aquilia Severa stand da wie eine Schlafwandelnde. Um sie hatten sich die fünf Priesterinnen geschart und die Sklavinnen. Auf Mäsas Befehl hatte das Gefolge des Antoninus das Haus der Vesta verlassen, um draußen des Kaisers zu harren, dort, wo die Stimmen des Volkes jauchzten und johlten, als die Günstlinge erschienen. Einen Augenblick horchte Mäsa auf. Sie stutzte, verstand nicht recht. Dann aber zuckte sie gleichgültig die Achseln. Severa wollte sie mit eisern-starrer Ruhe an der Hand durch den Portikus geleiten, der zu dem runden Tempel Zutritt verlieh. Doch Mäsa verlangsamte ihren Schritt, um Antoninus den Vortritt zu lassen. Leichtfüßig trat der Kaiser vor, lächelnd, indem er seinen besudelten Bacchusmantel hinter sich herschleifte. Alle Frauen folgten.

 

In dem Tempel brannte auf rundem Mittelaltar die unverlöschliche Flamme. Unter ihr, in einer heiligen Krypta, ward das drei Klafter hohe hölzerne Bildnis der Pallas verwahrt, das trojanische Palladium, das, der Überlieferung zufolge, Äneas mit seinen Penaten nach Latium gebracht hatte. Doch nur die Vestalinnen wußten, wo es verborgen gehalten wurde.

»Zeige mir das Palladium!« sagte Antoninus trotzig.

Aus einer geheimen Kammer, die an den Tempel stieß, brachten die Vestalinnen ein Bildnis herbei. Es stellte die Göttin Pallas Athene dar, angetan mit Helm und Speer und Schild. Mit großer, geheuchelter Ehrfurcht schleppten sie das Bildnis herbei und Aquilia Severa zeigte es ihm mit kühler Handbewegung. Es war eines jener nachgeahmten Bildnisse, die die Vestalinnen verwahrten, um sie im Notfalle für das Palladium ausgeben zu können.

»Zeig mir die heiligen Gefäße des Äneas!« wiederholte Antoninus.

Die Vestalinnen brachten aus derselben Schatzkammer Gefäße herbei und zeigten sie ihm in solcher Hast, daß er begriff.

Auch bezweifelte er die Echtheit des Palladiums, das man ihm gezeigt hatte, und so sehr erbitterte ihn die Berechtigung seines Zweifels, daß er eines der Gefäße zerbrach.

»Heliogabal ist der Höchste, der Heiligste, der oberste Gott,« sprach Antoninus feierlich, während er die Scherben verächtlich mit dem Fuß wegstieß. »Ich will ihm nicht nur in seinem Tempel dienen, sondern auch in der Larenkapelle des Palastes, indem ich darin alles das versammle, was in Rom als das Heiligste gilt, das Feuer der Vesta und das Palladium, das antlitzlose Bildnis der Rhea Kybele und die heiligen Steine, die Orest einst im Tempel der Diana von Laodicea aufstellte ... Severa, das Holz des Palladiums scheint mir neu und so häßlich dünkt mich das formlose Bildnis, daß wir es, wenn es wirklich das ist, was Ihr vorgebt, vergolden lassen werden. Morgen werde ich die Heiligtümer ehrfurchtsvoll in das Palatium überführen lassen ...«

Seine Stimme klang dumpf. Nach der nächtlichen Orgie überkam ihn eine tödliche Ermattung ... Mäsa führte ihn an der Hand zurück und plötzlich lächelte er, völlig stumpf vor Ermüdung.

»Antoninus,« sagte Mäsa, »viel Volk harrt draußen!«

»Warum?« fragte er.

»Um dich zu sehen.«

»Nun?«

»Noch niemals sahen sie dich so, mein Kind.«

Seine Eitelkeit erriet, daß er sich vermummen sollte, daß er sich im hellen Tageslicht so nicht zeigen durfte, zerrüttet durch seine Ermattung.

»Du hast recht, ehrwürdige Großmutter,« sagte Antoninus, die Brauen runzelnd. »Gib mir die Palla einer deiner Frauen.« Er warf den befleckten Mantel ab und hüllte sich dicht in die Palla, die er über den Kopf warf. Er folgte Mäsa wie eine Sklavin und bestieg mit ihr die Sänfte. Doch das Volk erkannte ihn dennoch und rief:

»Antoninus! Nein, Avitus! Sardanapal!«

Er hörte die Namen nicht: er war sehr ermattet, und durch seine Mattigkeit schwirrte verschwommen der Gedanke, daß Hydaspes wohl mit ihm zufrieden sein würde ... Doch die alte Mäsa erschrak. Mit einem Ruck schloß sie die Vorhänge der Lectica noch dichter.

»Sardanapal!« schrie man ihm nach.

Der kaiserliche Wagen mit dem Hirschgespann kehrte leer zum Palast zurück. Die Günstlinge und das Volk zerstreuten sich.

»Sacrileg!« rief laut das Volk.

Der Tribun Aristomachos, der sich gerade auf sein Pferd schwang, zog zornig sein Schwert und erteilte der prätorianischen Wache, die den Kaiser begleitet, sich aber nicht zu Mäsas Gefolge gesellt hatte, einen hastigen Befehl. Die Argyraspiden hieben drein... Sogleich stob das Volk auseinander. Aber dennoch rief es Gordus und Murissimus schmähend zu:

»Sacrilegi! Sacrilegi!«

Doch allzu sehr waren die von ihrer Trunkenheit benommen. Sie wunderten sich kaum über das Johlen der Menge, glaubten, daß sie falsch gehört hätten und daß das Volk Antoninus zujubele.


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