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Siebentes Kapitel

Den ganzen Weg entlang, von der Porta Praetoriana, längs der Thermen des Titus, bis zu der menschenüberfüllten Ruine des Kolosseums wartet die Menge, um den Kaiser zu sehen. Stundenlang wartet sie bereits und jetzt sind auch schon die Tribünen, die Estraden, die Peristyle, die Terrassen und Treppen und flachen Dächer der Gebäude, Paläste und Tempel von Volksmassen und vornehmen Zuschauern dicht besetzt. Der Rhythmus des marschierenden Heeres dröhnt heran. Schön ist er anzuhören, weil das Heer so mächtig ist und weil der Kaiser sich die Welt und Rom damit erobert hat. Ein jauchzendes Rufen wogt empor mit dem machtvollen, immer näher kommenden Rhythmus und höher heben die Imaginiferi die Standarten und hoch halten die Primipilarii die Adler der Legionen empor, so daß diese schillern wie olympische Vögel. Hinter dem Heer die beiden Konsuln und der Latiklavienschwarm des Senats; ihnen folgen auf dem Fuß die Kollegien der Priester aller Gottheiten, denen man in Rom huldigt: nicht nur die Priester der römischen Götter und der vergötterten römischen Kaiser, Flamines und Sodales, sondern auch die der Isis und des Serapis, die die hundsköpfigen Anubisbilder tragen, während die Galli und Archigalli der Rhea Kybele tanzend daherrasen, sich vor den Augen der Menge in schmerzlicher Verzückung scheinbar um Attis verstümmelnd. Doch in einem Dunst von Weihrauch – denn Turiferi schleppen in beiden Armen große Gefäße, aus denen ein schwüler Brand von Essenzen emporsteigt – naht das Unbekannte, naht Das, was die Menge in Rom noch nie geschaut hat, naht der Kult der Sonne, nahen die Sonnenkinder, nackt, mit silberleuchtenden Gliedern, vergoldeten Locken, in schrillem Falsett eine Hymne singend, nahen die Sonnenpriester, angetan mit weiter Samara und spitzer Mitra, und schauen hochmütig auf die Menge herab, indem sie zugleich durch ihren wiegenden Gang kundtun, daß sie zur Ehre der Sonne feil sind jedem, der ihren Preis zahlen kann; nahen die schaudererweckenden Magier, und zwischen Herden von Opfertieren, Büffeln, Rindern, Schafen, die blumenbekränzt, mit vergoldeten Hörnern, blöken und schnauben, die mit scharlachroten Mänteln bekleideten Opferpriester, das blitzende Opfermesser in der Hand, nahen in Tragstühlen aus Elfenbein, Chrysolith und Perlmutter, deren Vorhänge von Perlenschnüren gehalten und mit Gemmen verziert sind, die drei erhabenen Mütter: Julia Mäsa, Julia Semiamira, Julia Mammäa – naht endlich, umstaut von dem brausenden Jubel und der bewundernden Begeisterung, der sieghafte Kaiser; er sitzt auf dem schwer vergoldeten, gemmenübersäten Wagen, der von sechzehn schneeweißen Schimmeln gezogen wird – hieratisch und unbeweglich lehnt er sich an den Altar, auf dem die gen Himmel strebende Phallos-Starrheit sich emporreckt – die Zügel der Pferde in den kleinen Händen, die Augen starr; rings um den Wagen der wirbelnde Tanz der Tänzerinnen von Emesa, während hinter dieser Glorie, die anfänglich nicht geschaut, bald jedoch bemerkt und bejubelt wird, der kleine Alexianus, der Cäsar, zu Pferde auftaucht, ein aufrechter, stolzer, schöner Knabe, nicht älter als dreizehn Jahre, umringt von Tribunen und Präfekten, die die Truppen der Nachhut anführen. Bis zum Bogen des Titus sitzt der Kaiser regungslos und hält die Zügel der sechzehn schneeweißen Schimmel in seinen beiden Händen. Dann, nachdem die Wölbung durchzogen ist, erhebt er sich plötzlich und steht da wie ein Held, wie ein Gott. Er hat sich erhoben mit einer einzigen Bewegung, ohne auch nur eine Sekunde zu zaudern. Er steht vor dem Altar des Steines; starr blickt er vor sich hin, mit den Händen hebt er die Zügel der Rosse empor, als lenke er diese, während das doppelte Achtgespann in Wirklichkeit von Centurionen geführt wird. Während er sich erhebt, um stehend seinen Triumphzug über das Forum Romanum zu halten, fährt der trunkene Freudenschrei der schauenden Menge ihr selbst durch Mark und Bein; denn noch nie, noch niemals hat sie das Symbol der Göttlichkeit geschaut, wie es sich jetzt in Heliogabal verkörpert. Hin und wieder ein leichter Ruck des Wagens auf dem unebenen Pflaster. Doch der Kaiser bleibt unbeweglich, ohne der Huldigungen zu achten, während er sich festkrampft mit seinen Füßen, um das Gleichgewicht zu bewahren. Nun, da er glaubt, es gefunden zu haben und bis zum Kapitol in gleicher Haltung verharren zu können, werden seine erst etwas unruhigen Augen groß, ruhig und strahlend violett, umspielt ein stolzes und zugleich gewinnendes Lächeln seine Lippen. Der Jubel der Bewunderung umbraust ihn. Das Volk schwelgt in seinem Anblick. Sein Antlitz ist rosig-weiß, gleich einem Idol, die Lippen sind karminrot, die Brauen blauschwarz; gleich glitzerndem Gold umrahmen die assyrischen Locken seine Schläfen und seine strahlende Mitra, von Perlen übersät, trägt eine Spitze aus Karfunkel, die sich wie ein roter Stern von dem blauen Himmel abhebt. Sein seidener Siegesmantel, den alle Frauen neugierig anstarren, fällt in schweren, gleichmäßigen Falten von seinen runden Schultern zu beiden Seiten über die Stufen des Wagens herab; er ist golden durchwebt mit magischen Symbolen, die man nicht kennt, und umsäumt von einem Rand aus großen Gemmen. Unter dem Mantel scheint er nackt; doch da das Gewand vorn geschlossen ist, wird nur hin und wieder bei einer Erschütterung des Wagens, der sich langsam fortbewegt auf seinen elfenbeinernen, aus goldenen Speichen gebildeten Rädern, das rosig runde Knie seines leicht gebogenen Beines sichtbar mit den verschlungenen Bändern des hohen Schuhwerks. Sobald er sich erhoben hat, wenden die Magier, die seinen Wagen umringen, sich um, das Antlitz nun auf den Gott und Kaiser gerichtet, schreiten rückwärts und singen ihm ihre Hymne zu: bis zum Kapitol werden sie, rückwärts schreitend, die hocherhobenen Hände Heliogabal entgegenstrecken und mit ihren Baßstimmen aus bärtigem Munde diese Hymne singen.

Der Triumph füllt das ganze Forum. Aus dem Hause der Vesta treten die Vestalinnen, die fünf Jungfrauen, Aquilia Severa an der Spitze, und gesellen sich zu dem Aufzug, zu dem Pontifex Maximus und den Anubis tragenden Serapispriestern. Von allüberall her schaut die Menge, sieht den Kaiser, bejubelt ihn voller Begeisterung. Vor den Treppen des Kapitols hält der Siegeswagen ... Der Kaiser läßt lächelnd und wie ein Mime die Zügel aus seinen göttlichen Händen gleiten. Turiferi schwenken Weihrauchgefäße. Von duftendem Qualm umhüllt, steigt er ab, umgeben von dem Ritus der Sonnenpriester und -kinder. Nun, da er, gefolgt von den Müttern, Alexianus und dem Hof, die Stufen zum Senat emporsteigt, huldigen die Magier und die Priester der Sonne dem Schwarzen Stein und inmitten des Weihrauchdunstes erschallt die Hymne. Im Senat empfängt der Kaiser den Eid. Das Volk wartet geduldig, denn er wird zurückkehren in den flavischen Palast und in der Basilika seine erste Audienz erteilen. Der Tempel des Pluto wird den Schwarzen Stein aufnehmen ...

Der Kaiser tritt aus der Curia Julia hervor und das Volk sieht ihn – ein lächelndes Kind. Wie freudig schaut er drein und wie jung sieht er aus! Er ist wahrlich noch ein Kind und dennoch trägt er stolz seine Mitra und von seinen sehr schmalen Schultern fällt mit einer Schwere, die ihm Wollust ist, der von Metall und Gemmen steife Mantel glockenrund herab, von den Priestern gehalten, so daß man den Kaiser schreiten sehen kann mit dem Zeremonienschritt seines hoch beschuhten Fußes, der klein und zierlich ist wie der einer Frau. Während er die Treppe hinabsteigt, gewahren die Zunächststehenden seine Nacktheit, die unter dem halb geöffneten Mantel, noch immer nicht völlig enthüllt, zum Vorschein kommt. Wie freudig ist er und wie jung und schön! Silbern schimmern seine Glieder; aus den weiten Ärmeln heraus werden, weich und rund, seine Arme sichtbar. Daß er schön tanzen kann, verrät sein Gang. Daß er geschmeidig ist und daß seine nicht sichtbaren Muskeln gestählt sind, erkennt man daran, daß er so lange unbeweglich stehen konnte, die vielen Zügel in den kleinen Händen. Ihn berühren, ihn streicheln dürfen, seinen Fuß, sein Knie küssen, o, ihn nach seinem Wohlgefallen küssen dürfen! Wer hätte jetzt Augen für die Mütter, wer für Alexianus? Und doch sind die Mütter erhabene Frauen. Die alte Mäsa besitzt Schätze; Semiamira, des Kaisers Mutter, ist eine syrische Prinzessin, jung noch und schön und strahlend in dem Glanz von Saphiren! Ihre Schwester Mammäa ist eine römische Matrone und Alexianus ein kleiner stämmiger aufrechter Bursche, der gar ernst dreinschaut. Doch wer achtet ihrer, da der Kaiser ihnen voranschreitet? Voller Anmut ist er die Treppe hinabgestiegen. Ob er noch einmal tanzen wird? Ob man ihn nicht heute noch wird tanzen sehen? »Wann, wann? Liebling! Liebling!« schreit man ihm von allen Seiten zu und er lacht. Die Hände erhoben, nimmt er ihre Huldigungen entgegen, weist nichts zurück. Kußhände fliegen ihm zu und sein Lächeln empfängt alle Küsse. Er ist die Sonne; er gibt sich allen, die er bestrahlt. Jetzt hat er wiederum den Wagen bestiegen, während die Priester um ihn den Ritus verrichten, und jede seiner Bewegungen ist voll Anmut. Nein, einen solchen Kaiser hatten sie noch nie! Er ist Kaiser des römischen Reiches, er ist der Beherrscher der Welt, er ist die Sonne selbst, die die Welt bestrahlt. Jetzt sehen sie ihn noch hinabsteigen von der Treppe des flavischen Palastes, und bevor er die Aula betritt – sie sehen einen schmalen, purpurroten Rücken und den Mantel, der ihm nachschleift, die dienenden Priester, die in fast knieender Haltung zu beiden Seiten sich langsam fortbewegen – wendet er sich um, und noch einmal schauen sie das ferne Antlitz. Sie jubeln ihm zu. Er hat Rom besiegt! Er hat Rom ein Fest bereitet; Fest und Genuß wird er allzeit spenden: aus dem Orient ist das Heil gekommen! Da ihm die Begeisterung entgegenbraust aus tausend geöffneten Kehlen, macht er eine einzige Gebärde, immerfort lächelnd: er legt die beiden kleinen Hände an die Lippen und wirft der Menge zwei Kußhände zu, die sie in Sinnenraserei schlürft...

Der Hof zieht sich in den Palast zurück und inmitten des sich drängenden Volkes verlassen die Vornehmen ihre Logen, Tribünen, Estraden, um sich in den Palast zu begeben, wohin sie zur ersten Audienz befohlen sind. Die Menge drängt weiter, und weil ihre verlangenden Hände ihn durch den Wall von goldglitzernden Soldaten nicht erreichen können, im Mysterium jenes marmornen Palastes, wo so viele glücklich sind und ihn sehen und ihm den Fuß oder das Knie oder die Hand küssen dürfen, läuft das Volk wie rasend hin und her in trunkener Ekstase, begehrlich nach jedem Genuß, da die Sinne nur halb befriedigt blieben. Sie tollen mit den Galli der Kybele, sie schwärmen mit den Mysten des Pan, sie singen mit den Isispriestern – und suchen die Sonnenpriester; doch die sind im Palast und umringen den Kaiser. Wenn sie auch feil sind, so sind sie doch teuer und nur für die Reichen zu haben. Aber es gibt auch wohlfeilere Genüsse und warum sollte man nicht zur Subura drängen, wo sich die Freudenhäuser aneinander reihen, zur Ehre der Sonne, und wo in der fallenden Dämmerung an diesem Triumphtage früher als sonst die roten und violetten Lichter aufleuchten? Die Wirte schreien, die Wirtinnen nötigen kreischend zum Eintritt und zeigen die Ware. Die Begierden sind tierisch. Daß man das Messer zücken, daß Blut fließen wird, was tut es? Ein Leben zählt kaum. Doch auch die in Mark und Nerv zitternden, vor Sinnenhunger verschmachtenden vermummten Vornehmen wagen sich nach der Palastaudienz dorthin: Matronen, die kornblonde Perücken tragen, um wie Huren zu erscheinen; Patrizier, Senatoren, Ritter, in braune Pänulä gehüllt, die Kapuze tief über die Augen gezogen, Knaben von edler Herkunft. Sie alle suchen den Genuß. Sie alle sind erfüllt von trunkener Sehnsucht und bedürfen nicht des Weines aus den Krügen, um so ausschweifend zu sein, wie sie noch niemals waren. Wer wird sie verurteilen? Gebietet nicht die Sonne selbst den Sinnengenuß und das Leben? Die Wissenden genießen bewußt, die anderen unbewußt: für alle ist es gut zu empfangen, zu geben, rückhaltlos, so wie die Sonne gibt, die Sonne, die männlich ist und weiblich, die Sonne, die Mittlerin, die Mann-Jungfrau; verkörpert in dem Kaiser, der Mann ist und Weib.

 

... Dort über Emesa zittern am Strahlenhimmel einer wolkenlosen Nacht Tausende kristallener Sterne. Auf der höchsten Terrasse des Sternenturmes steht Hydaspes, der Magier. Er ist in der Einsamkeit der Tempelgärten geblieben und starrt auf den Stern des Knaben Bassianus.

Der Stern funkelt, blutrot umrandet, und Hydaspes starrt.


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