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Sechzehntes Kapitel.

Sprich, o sprich!
Entreiße mich der Folter.

Young.

Man wird sich erinnern, daß die Reisenden nach ihrer Ankunft in dem Kloster drei Tage auf den Walliser und den Landvogt warten mußten. Der Entschluß, die Ansprüche Sigismund's zuzugestehen, welchen Adelheid in dem vorhergehenden Kapitel so freimüthig ankündigte, war in diesem Zwischenraume gefaßt worden. Getrennt von der Welt und inmitten dieser prachtvollen Natur, wo die Leidenschaften und gemeinen Interessen des Lebens in dem Maße zur Unbedeutendheit herabsanken, in welchem Gottes Majestät stündlich sichtbarer wurde, hatte der Freiherr sich allmählig bestimmen lassen, seine Einwilligung zu geben. Die Liebe zu seinem Kinde und die hohen persönlichen und moralischen Vorzüge des jungen Mannes, welche hier lebendig in den Vordergrund traten, wie eine jener erhabenen Alpenkuppen, die über allen den rebenbekleideten Hügeln und fruchtbaren Thälern der niedern Welt so erhaben dastanden, halfen unmittelbar und wirksam diesen Entschluß reifen. Es soll nicht gesagt sein, der Berner habe einen leichten Sieg über seine Vorurtheile gehabt, der wahrhaft nichts anderes war als ein Sieg über sich selbst, da Melchior in geistiger Hinsicht wenig mehr als eine Sammlung der engherzigen Ansichten und ausschließlichen Grundsätze war, welche man nach damaliger Sitte für eine nothwendige Bedingung hoher Gesittung ansah. Der Kampf war im Gegentheil ein sehr schwerer, und es ist nicht wahrscheinlich, daß Adelheid's zärtliche Schmeicheleien, die beredten aber stummen Aufforderungen seiner Vernunft, welche Sigismund's Benehmen stets erneuerte, oder die Gründe seines alten Freundes, des Signor Grimaldi, welcher sich in einer Philosophie, welche öfter unsern Freunden gegenüber, als in unsern eignen Handlungen in's Leben tritt, ausführlich über die Klugheit verbreitete, einige werthlose und veraltete Ansichten dem Glücke eines einzigen Kindes zu opfern, den Sieg davon getragen hätten, wenn der Freiherr in einer Lage gewesen wäre, die ihn minder von den gewöhnlichen Rücksichten seines Standes und seiner Gewohnheiten abgezogen hätte, als die, in welche er zufällig gerathen war. Auch der fromme Schlüsselmeister, welcher sich einige Ansprüche auf das Vertrauen der Gäste des Klosters durch seine Dienste und durch die Fährlichkeiten, die er mit ihnen überstanden, erworben hatte, vermehrte die Zahl von Sigismund's Freunden. Selbst niedern Ursprungs, und dem jungen Manne nicht nur wegen seiner Verdienste überhaupt, sondern auch wegen seines Benehmens auf dem See eifrig zugethan, versäumte er, als er mit der Art der Hoffnungen des jungen Mannes bekannt geworden war, keine Gelegenheit, auf Melchior's Geist einzuwirken. Wenn sie über die braunen und nackten Felsen in der Nähe des Klosters mit einander dahin schritten, sprach der Augustiner von der Vergänglichkeit der menschlichen Hoffnungen und der Gebrechlichkeit des menschlichen Sinnes. Er verweilte mit frommem Eifer bei dem Nutzen, seine Gedanken über die Unruhen der engherzigen und alltäglichen Interessen zu einem höhern Beschauen der Wahrheiten des Daseins zu erheben. Auf das wilde Schauspiel, das sie umgab, deutend, verglich er die Gebirgsmassen, ihre Unfruchtbarkeit und ihre rauhen Stürme mit der Welt, deren Glücklosigkeit, deren Wirren und Stürmen. Dann lenkte er die Aufmerksamkeit seines Gefährten auf das blaue Gewölbe über ihnen, das in jener Höhe und in jener reinen Atmosphäre gesehen, einem milden Baldachin der sanftesten Farben und Tinten glich, und erinnerte feurig an die ewige und glückliche Ruhe jenes Zustandes des Daseins, dem sie beide entgegen eilten und von welcher diese friedliche und unbegrenzbare Leere ein Bild war. Zum Schlusse sprach er zu Gunsten eines mäßigen Genusses unseres Glückes hienieden und der Pflicht, allen denen, welche wir achteten, Liebe und Gerechtigkeit nicht vorzuenthalten und hob das Schädliche jener eisernen Vorurtheile hervor, welche die besten Gefühle in die Fesseln der auf die Bestimmungen und Maßregeln der Selbstsüchtigen und Herrischen gegründeten Meinungen schlagen.

Nach einem dieser anziehenden Gespräche hörte Melchior von Willading, dessen Herz und Seele die Hoffnungen des Himmels gesänftigt und gerührt hatten, mit willigem Ohre Adelheid's festen Entschluß, daß, wenn sie nicht Sigismund's Gattin werde, ihre Selbstachtung nicht minder als ihre Gefühle sie zwängen, ihr Leben ehelos hinzubringen. Wir wollen nicht behaupten, das Mädchen habe auf so erhabene Vordersätze, wie die des guten Mönchs waren, gefußt, denn ihrem Entschlusse lagen die warmen Triebe des Herzens zum Grunde; allein auch sie hatte die achtenswerthe Stütze der Vernunft auf ihrer Seite. Der Freiherr hegte den natürlichen Wunsch, sein Dasein in dem seiner Nachkommen fortgepflanzt zu sehen. Beunruhigt durch eine Erklärung, welche seinem Geschlechte die Vernichtung drohte, und zu gleicher Zeit mehr als gewöhnlich unter dem Einflusse seines bessern Gefühls, versprach er, sich der Verbindung nicht länger zu widersetzen, sobald Balthasar den Verdacht des Mordes von sich abwenden könne. Wir würden den Lesern eine allzu günstige Meinung von Herrn von Willading beibringen, wenn wir sagten, er habe das Versprechen nicht bald, nachdem er es gegeben, bereut. Er war in einem Gemüthszustande, welcher den Wetterfahnen seiner Thürme glich, die mit jedem neuen Luftzug ihre Richtung änderten, aber er hatte zu viel Ehrgefühl, um ernstlich daran zu denken, ein Wort zu brechen, das er einmal gegeben hatte. Er hatte Augenblicke, in welchen er unangenehme Zweifel hegte, ob er klug und recht gethan habe, ein solches Versprechen zu geben; allein dies war nur eine Art Schmerz, wie er bekanntlich jedes unvermeidliche Uebel begleitet. Wenn er ja Hoffnung hatte, sich seines gegebenen Wortes entbunden zu sehen, so gründete sie sich auf gewisse unbestimmte Eindrücke, daß Balthasar schuldig befunden würde, obgleich die wiederholten und ernsten Betheuerungen Sigismund's zu Gunsten seines Vaters seine Erwartungen in dieser Hinsicht sehr geschwächt hatten. Adelheid hegte sicherere Hoffnung als beide, da die Besorgnisse des jungen Mannes selbst ihn hinderten, ihre Zuversicht völlig zu theilen, während ihr Vater sich ihren Erwartungen noch jenem quälenden Grundsatz hingab, der uns das Schlimmste fürchten läßt. Als daher die Kleinodien des Jacques Colis im Besitze Maso's gefunden und Balthasar nicht nur dieses Umstandes wegen, der einen andern so folgerecht des Mordes zeihen mußte, sondern wegen des Abgangs jedes andern Beweises gegen ihn, den einzigen Umstand ausgenommen, daß er im Todtenhaus statt in der Zuflucht gefunden, ein Zufall, der jedem andern Reisenden während des Sturmes begegnen konnte, einstimmig freigesprochen wurde, schickte sich der Freiherr entschlossen an, sein Wort zu lösen. Es ist kaum nöthig, hinzuzusetzen, wie sehr dieses ehrenvolle Gefühl durch die unerwartete Erklärung des Scharfrichters hinsichtlich Sigismund's Geburt gekräftigt wurde. Ungeachtet der Betheuerungen Maso's, daß alles nur eine Erfindung zu Gunsten des Sohnes Balthasar's sei, gesellten sich zu der natürlichen und wahrhaftigen Weise, in welcher die Erzählung vorgebracht worden, so sprechende und wesentliche Beweise, daß in den Herzen der Anwesenden der Glaube an deren Wahrheit festere Wurzel schlug. Obgleich noch nicht bekannt war, wer Sigismund's wirkliche Eltern seien, glaubten doch nur wenige, daß er des Scharfrichters Sohn sein könne.

Eine kurze Berührung der Thatsachen wird den Leser genauer mit den Umständen bekannt machen, auf welchen die Auflösung größtentheils beruht.

Im Laufe der Erzählung ist bemerkt worden, daß Signor Grimaldi sich mit einem Weibe vermählte, das jünger als er war und deren Liebe sich ein Mann erworben hatte, welcher, seinen moralischen Eigenschaften zufolge, ihrer Liebe unwürdig, in andern Beziehungen aber vielleicht geeigneter war, ihr Gatte zu werden, als der mächtige Edelmann, dem ihre Familie ihre Hand gegeben hatte. Der Geburt ihres Sohnes folgte bald der Tod der Mutter und die Entführung des Kindes. Jahre waren vergangen, als Signor Grimaldi die erste Nachricht von dem Dasein des Letztern erhielt. Er hatte diese wichtige Kunde in einem Augenblicke erhalten, wo die Behörden von Genua alles aufboten, die zu verfolgen, welche ein langes und verzweifeltes Spiel mit den Gesetzen getrieben hatten, und der zugestandene Grund jener Mittheilung war eine Aufforderung an sein natürliches Gefühl zu Gunsten eines Sohnes, welcher das Opfer seiner Frevel werden zu sollen schien. Die Nachricht von dem Leben eines Kindes war unter solchen Umständen ein härterer Schlag als sein Verlust, und es läßt sich denken, daß die Wahrheit der Ansprüche Maso's, welcher damals den Namen Bartolomeo Contini führte, mit der größten Vorsicht zugegeben wurde. Die Freunde des Schleichhändlers beriefen sich auf einen sterbenden Mönch, dessen Charakter über allen Verdacht erhaben war und der mit seinem letzten Athemzug Maso's Aussage bekräftigte und vor Gott und den Heiligen betheuerte, so gewiß ein Mensch eine Thatsache dieser Art kennen könne, wisse er, daß Maso der Sohn des Signor Grimaldi sei. Dieses gewichtige, unter so feierlichen Umständen abgelegte, und durch die Vorlegung wichtiger Papiere, welche mit dem Kinde abhanden gekommen waren, unterstützte Zeugniß, entfernte jeden Verdacht des Dogen. Er machte seinen Einfluß heimlich geltend, den Verbrecher zu retten, obgleich er nach fruchtlosen Versuchen seiner Vertrauten, ihn auf den Weg der Besserung zu bringen, es durchaus verweigerte, ihn zu sehen.

Dieser Art waren die sich widersprechenden Angaben. Während die Hoffnung und die hohe Wonne, sich den Vater eines Sohnes, wie Sigismund, nennen zu können, den alten Fürsten sich mit inniger Beharrlichkeit an die Ansprüche des jungen Kriegers anschmiegen ließen, hatte sein kälteres und umsichtigeres Urtheil sich zu Gunsten eines Andern entschieden. In dem langen geheimen Verhöre, welches der Scene in der Kirche folgte, versank Maso allmählig mehr in sich selbst, wurde unbestimmt und geheimnißvoll, bis es ihm endlich gelang, alle, die Zeugen seines Benehmens waren, in einen peinlichen Zustand des Zweifels und der Ungewißheit zu versetzen. Von diesem Vortheil Nutzen ziehend, änderte er plötzlich seine Taktik. Er versprach wichtige Aufklärungen, unter der Bedingung, daß man ihn an den Grenzen von Piemont in Freiheit setzte. Der kluge Walliser sah bald, daß der Fall einer derjenigen zu werden schiene, wo man erwartet, die Gerechtigkeit werde aus höhern Gründen blind sein. Er entfernte daher seinen geschwätzigen Beistand, den Landvogt, um es den Gefühlen und Wünschen des Dogen zu überlassen, die Sache beizulegen. Dieser brachte, mit Hülfe Melchior's und Sigismund's, bald ein Einverständniß zuwege, in welchem die Bedingungen des Seemanns zugestanden wurden, worauf man sich für diese Nacht trennte. Il Maledetto, auf welchem der Mord des Jacques Colis allein lastete, wurde seinem zeitlichen Gefängnisse wieder überliefert, während Balthasar, Pippo und Konrad freigegeben wurden.

Der Tag dämmerte lange über dem Col, ehe die Schatten der Nacht aus dem Rhonethal schieden. Alles im Kloster war vor dem Aufgang der Sonne in Bewegung, da man allgemein hörte, daß das Begebniß, welches die Lebensordnung seiner friedlichen Bewohner so sehr gestört hatte, nun seinem Ende nahe gebracht werde, und sie ihren Pflichten wieder in der gewöhnlichen Weise obliegen könnten. Vom Paß des St. Bernhard steigen stets Gebete zum Himmel empor; aber bei der jetzigen Gelegenheit verkündigte das Getöse in der Kirche und deren Umgebungen, die Art, wie die guten Mönche in den langen Gängen hin und her eilten und die allgemeine Erregung, daß die Metten mehr als das gewöhnliche Interesse der regelmäßigen täglichen Andacht hatten.

Es war noch früh, als sich alle, die auf dem Passe waren, in der Kirche versammelten. Die Leiche des Jacques Colis war in eine Seitenkapelle gebracht worden, wo sie, mit einem schwarzen Tuche bedeckt, der Todtenmesse harrte. Zwei große Altarleuchter standen angezündet auf den Stufen des Hochaltars und die Zuschauer, mit Einschluß Pierre's und der Maulthiertreiber, der Klosterknechte und anderer von jedem Stand und Alter standen demselben in doppelter Reihe gegenüber. Unter den stillen Zuschauern erschienen Balthasar und sein Weib, Maso, als Gefangener zwar, aber mit der Miene eines losgesprochenen, der Pilger und Pippo. Der gute Prior im Ornate war mit allen Mönchen anwesend. Während der Augenblicke der Erwartung unterhielt er sich freundlich mit dem Walliser und dem Landvogt, welche mit Theilnahme und wie es Leuten von Stand und Würden ziemt, in Gegenwart ihrer Untergebenen den Schein zu wahren, seine Artigkeiten erwiederten. Doch war das Benehmen der meisten fieberhaft und aufgeregt, als handle es sich hier von einer gezwungenen Freude, der sich unwillkommene und ungewöhnliche Umstände unerwartet beigesellt hätten, um sie herabzustimmen.

Als die Thüre sich öffnete, trat ein kleiner Zug ein, mit dem Schlüsselmeister an der Spitze. Melchior von Willading führte seine Tochter, dann kam Sigismund, ihm folgten Margarethe und Christine, und der ehrwürdige Doge machte den Schluß. So einfach dieser Hochzeitszug war, so machte doch die Würde der Hauptpersonen und das tiefe Gefühl, mit welchem alle dem Altar entgegen gingen, einen großen Eindruck. Sigismund war fest und besonnen; doch war seine Haltung stolz und erhaben, als fühlte er, daß noch eine Wolke über dem Theil seiner Geschichte hinge, auf welche die Welt so viel Gewicht legt; sein Charakter und seine Grundsätze mußten ihm hier zu Hülfe kommen. Adelheid war in der letzten Zeit so sehr der Gegenstand heftiger Erregungen gewesen, daß sie mit weniger Bangen, als bei einem Mädchen gewöhnlich war, vor den Priester trat; aber der unverwandte Blick, die farblosen Wangen und die ehrfurchtsvolle Miene verkündigten die Tiefe und den feierlichen Charakter der Gefühle, mit welchen sie sich vorbereite, den priesterlichen Segen zu empfangen.

Der gute Schlüsselmeister vollzog die Trauung; er hatte sich nicht damit begnügt, den Freiherrn zu überreden, seine Vorurtheile zu opfern, sondern auch um die Erlaubniß gebeten, das so glücklich angefangene Werk zu vollenden, indem er die Hände des jungen Paares vor dem Altar vereinigte. Melchior hörte der kurzen Feierlichkeit mit stummer Selbstzufriedenheit zu. Er fühlte sich in jenem Augenblicke geneigt zu glauben, er habe weislich die weltlichen Vortheile dem Recht geopfert, ein Gefühl, das durch die Ungewißheit ein wenig belebt wurde, die noch über der Abstammung seines neuen Sohnes hing, der sich ja noch als Signor Grimaldi's Sohn bewähren konnte, so wie durch die augenblickliche Freude, die er darin fand, daß er seine Unabhängigkeit an den Tag legte, indem er die Hand seiner Tochter einem Manne gab, dessen Verdienst fester begründet war als seine Abstammung. So täuschen sich oft die Besten und geben häufig Beweggründen Raum, welche sich mit keiner genauern Untersuchung vertrügen, während sie gerade glauben, alles Recht für sich zu haben. Der theilnehmende Schlüsselmeister hatte das Schwankende und Ungewisse des Entschlusses des Freiherrn bemerkt und war zu der Bitte, dies Paar einsegnen zu dürfen, durch die geheime Besorgniß veranlaßt worden, der schwache Vater möchte, wenn die Scenen des Lebens ihn wieder umgäben, wie viele andere Väter dieser niederen Regionen, geneigter sein, den zeitlichen Glanz, als das wahre Glück seines Kindes zu Rath zu ziehen.

Da Adelheid protestantisch war, wurde keine Messe gelesen; eine Unterlassung, welche die gesetzliche Kraft der Verbindung in keiner Art beeinträchtigte. Mit jungfräulicher Bescheidenheit, aber mit der Festigkeit eines Weibes, deren Neigungen und Grundsätze über die kleinen Schwächen erhaben sind, welche bei solchen Gelegenheiten wohl oft die wankend machen, die keine dieser zwei wesentlichen und großen Eigenschaften besitzen, legte sie den Schwur unveränderlicher Liebe und Treue ab. Das Gelübde der Liebe und des Schutzes wurde von Sigismund in einfacher, männlicher Biederkeit ausgesprochen, denn nach seinem Gefühle konnte ein ganz ihrem Wohle geweihtes Leben kaum ihre erhabene, ächt weibliche und unwandelbare Treue vergelten.

»Möge Gott dich segnen, Liebste,« sagte der alte Melchior, als er, über sein kniendes Kind gebeugt, kämpfte, ein Herz zu beschwichtigen, das wider seines Eigners Willen seine Bande sprengen zu wollen schien – »er segne – segne dich, Liebste, jetzt und immerdar. Die Vorsehung hat mich deiner Brüder und Schwestern beraubt, indem sie aber dich mir ließ, hat sie meine Nachkommenschaft reich gesegnet. Unser Freund Gaetano hier hat noch herberes versucht – aber laß uns noch hoffen – laß uns noch hoffen. Und du, Sigismund, mußt, da Balthasar dich nicht anerkennt, einen Vater annehmen, wie der Himmel dir ihn schickt. Alles Vergangene ist vergessen, und Willading hat, so wie mein altes Herz, einen neuen Besitzer und einen neuen Herrn!«

Der junge Mann umarmte zärtlich den Freiherrn, dessen Charaktergüte ihm bekannt war und für welchen er die Achtung fühlte, die in seiner jetzigen Lage natürlich war. Er wandte sich dann mit einem zögernden Blick zu Signor Grimaldi. Der Doge hatte nach seinem Freunde der Braut seine Glückwünsche dargebracht und Adelheid eben einen warmen, väterlichen Kuß auf die Wange gedrückt.

»Ich bitte Maria und ihren heiligen Sohn für dich!« sagte der edle Fürst mit Würde. »Du trittst in neue und ernste Pflichten ein, mein Kind, aber der Geist und die Unschuld eines Engels, eine Milde, welche die Sanftheit deines Geschlechtes nicht zur Schande macht, und ein Charakter, dessen Kraft jene Sanftheit eher hebt als entstellt, können die Uebel dieser launischen Welt mildern und du darfst mit Recht von dem Leben einen reichen Theil jener Glückseligkeit hoffen, welche sich deine junge Einbildungskraft in so goldnen Farben malt. Und du« – setzte er hinzu, als er sich zu Sigismund wandte und ihn umarmte – »wem du auch durch den Willen der Vorsehung angehören mochtest, du bist jetzt mit Recht mir theuer. Der Gemahl der Tochter Melchior von Willading's würde stets ein Recht auf dessen ältesten und liebsten Freund haben, aber wir sind durch ein Band vereinigt, welches das ganze Interesse eines wundersamen und feierlichen Geheimnisses hat. Meine Vernunft sagt mir, daß ich für frühern leichtsinnigen Stolz und Eigenwillen gestraft werde, indem ich der Vater eines Kindes bin, welches wenige, welchem Stande sie auch angehören mögen, als das ihrige ansprechen würden, während mein Herz sich gern mit der Hoffnung schmeichelte, der Vater eines Sohnes zu sein, auf welchen ein Kaiser stolz sein könnte. Du bist, und bist nicht, von meinem Geblüte. Ohne Maso's Beweise und das Zeugniß des sterbenden Mönchs würde ich dich ohne Zögern öffentlich für meinen Sohn erklären – aber wer du auch durch deine Geburt sein magst, du hast meine Liebe ganz und ungeschmälert. Pflege mit Liebe diese zarte Blume, welche die Vorsehung deinem Schutze anvertraut hat, Sigismund; liebe sie, wie du deine eigene Seele liebst; die edle und vertrauende Liebe eines Weibes ist stets eine Stütze, häufig ein siegreicher Anhalt für des Mannes schwankende Grundsätze. – O, hätte es Gott gefallen, Angiolina mir früher zuzuführen, wie anders hätte unser Leben werden können! Diese dunkle Ungewißheit würde jetzt nicht über dem köstlichsten der menschlichen Gefühle hängen und meine Scheidestunde würde gesegnet sein. Der Himmel und seine Heiligen mögen euch beide schützen, meine Kinder, und euch eure jetzige Unschuld und Liebe erhalten«

Der ehrwürdige Doge schwieg. Die Kraft, welche ihn zu sprechen befähigt hatte, verschwand, und er wandte sich seitwärts, um still und für sich, wie es seinem Rang und seinem Alter ziemte, zu weinen.

Bis jetzt hatte Margarethe geschwiegen, und die Züge der verschiedenen Sprechenden beachtet und jedes ihrer Worte gierig eingesogen. Die Reihe war jetzt an ihr. Sigismund kniete vor ihr nieder, drückte ihre Hände an seine Lippen, so daß man sah, ihr hoher, obgleich strenger Charakter habe tiefe Spuren in seinem Gedächtniß zurückgelassen. Sich seiner krampfhaften Hand entziehend – denn der junge Mann fühlte eben jetzt das Bittere recht tief, jene frühern Bande trennen zu müssen, welche in seinen Augen wegen ihres geheimnißvollen Charakters etwas wild Romantisches hatten – schied sie die Locken auf seiner hohen Stirne, blickte ihm lange in das Antlitz und erforschte jeden Zug bis in seine kleinsten Schatten.

»Nein,« sagte sie, schmerzlich das Haupt schüttelnd – »wahrlich, du gehörst uns nicht an und Gott hat sich gnädig gegen uns bewiesen, als er das unschuldige Kind zu sich nahm, dessen Stelle du so lange unschuldig einnahmst. Du warst mir theuer, Sigismund – sehr theuer – denn ich glaubte dich unter dem Fluche meines Geschlechtes, hasse mich nicht, wenn ich dir sage, mein Herz sei jetzt im Grabe des –«

»Mutter!« rief der junge Mann vorwurfsvoll.

»Ja, ich bin noch deine Mutter,« antwortete Margarethe schmerzlich lächelnd: »du bist ein edler Jüngling und kein Wechsel kann je dein Herz ändern. Es ist ein grausames Scheiden, Balthasar, und ich weiß nicht, ob du recht gethan hast, mich zu täuschen; denn der Jüngling gab mir eben so viel Kummer als Freude – Kummer, bitteren Kummer, daß er verdammt sein sollte, unter dem Fluche unserer Familie zu leben – aber es ist jetzt vorüber – er ist ja nicht unser – nein, er ist nicht mehr unser!«

Diese Worte klangen so schmerzlich, daß Sigismund sein Gesicht mit den Händen bedeckte und laut schluchzte.

»Wenn die Glücklichen und Stolzen weinen, ist es Zeit, daß die Armen ihre Thränen trocknen,« setzte Balthasar's Weib hinzu, indem sie mit einer Mischung von Qual und Stolz, die sich in ihrem Antlitz bekämpften, umher blickte. Denn, was sie auch sagen mochte, es war sichtbar, daß sie ihrem Rechte auf den edlen Jüngling mit tiefem Leid und herbem Seelenkampfe entsagte. »Wir haben mindestens einen Trost, Christine – Alle werden uns nun nicht verachten, die nicht aus unserm Geschlechte stammen. Habe ich recht, Sigismund – du wirst nicht, wie die Welt, auf uns schauen und die hassen, die du einst liebtest?«

»Mutter – Mutter! um der heiligen Jungfrau willen, quäle meine Seele nicht!«

»Ich will kein Mißtrauen in dich setzen, Theurer! du hast nicht an meiner Brust getrunken, aber du hast zu viele gute Lehren von meinen Lippen gehört, um uns zu verachten – und doch gehörst du uns nicht an; es wird sich wohl zeigen, daß du eines Fürsten Sohn bist, und die Welt verhärtet das Herz so sehr – und die, auf welchen das Schicksal schwer lastete, werden mißtrauisch –«

»Um Gottes willen, schweige, Mutter, oder du brichst mir das Herz!«

»Komm hierher, Christine! Sigismund, dieses Mädchen geht mit deiner Gemahlin: wir setzen das höchste Vertrauen in deren Adel und Grundsätze, die du geehligt hast, denn sie wurde geprüft und würdig befunden. Liebe das Kind; sie war deine Schwester und dein Herz war ihr ja stets ergeben.«

»Mutter, du wirst mich die Stunde meiner Geburt verwünschen lassen!«

Während Margarethe das kalte Mißtrauen nicht überwinden konnte, welches die Gewohnheit allen ihren Gefühlen eingewebt hatte, fühlte sie ihre Härte und schwieg. Sie beugte sich nieder, küßte die kalte Stirne des jungen Mannes, umarmte ihre Tochter auf das innigste, betete eine Minute inbrünstig über ihr und übergab dann das bewußtlose Mädchen Adelheid's Armen. Der schreckliche Kampf der Natur wurde durch einen übermenschlichen Willen unterdrückt und sie wandte sich langsam gegen die stumme, tief ergriffene Menge, welche während dieser Entfaltung eines edeln Charakters kaum geathmet hatte.

»Bezweifelt Jemand hier,« fragte sie streng, »Balthasar's Unschuld?«

»Niemand, gutes Weib, Niemand!« versetzte der Landvogt, seine Augen trocknend: »gehe in Frieden nach Haus und Gott sei dem Geleite!«

»Er ist vor Gott und der Welt losgesprochen!« fügte der würdevollere Walliser hinzu.

Margarethe winkte Balthasar, voranzugehen, und schickte sich an, die Kirche zu verlassen. Auf der Schwelle wandte sie sich noch einmal um, und warf einen langen Blick auf Sigismund und Christinen. Die zwei letzteren hielten sich weinend umarmt und Margarethens Seele sehnte sich, ihre Thränen mit denen der so heiß Geliebten zu vermischen. Aber fest in ihren Entschlüssen, kämpfte sie den Strom des Gefühls nieder, der so furchtbar in seinem Ungestüm geworden wäre, wenn er die Schranken durchbrach, und folgte trocknen, glühenden Auges ihrem Gatten. Sie stiegen den Berg mit einer Leere in ihren Herzen nieder, welche selbst dieses verfolgte Paar lehrte, daß es Schmerzen in der Natur gibt, welche alle künstliche Wehen in dem Leben weit überragen.

Die eben erzählte Scene verfehlte nicht, großen Eindruck auf die Zuschauer zu machen. Maso fuhr mit der Hand über seine Augen und schien von stärkerm Mitgefühl ergriffen, als er in diesem Augenblicke sehen zu lassen für gut fand, während Pippo und Konrad reiche Thränen vergossen. Der erstere legte in der That eine Gefühlswärme an den Tag, welche mit der gewöhnlichen Sorglosigkeit und dem Mangel an Grundsätzen nicht ganz unverträglich ist. Er bat sogar um die Gunst, die Hand der Braut zu küssen und wünschte ihr, in deren Gesellschaft er eine große Gefahr bestanden, innig Glück und Freude. Die ganze Gesellschaft trennte sich jetzt mit einem Austausch herzlicher Gefühle, welches darthut, daß die Natur, so viele auch geneigt sein mögen, ihre Mitmenschen auf der großen Heerstraße des Lebens zu bekämpfen und zu kränken, ihnen einige große versöhnende Eigenschaften eingepflanzt hat, um uns die Mißbräuche bedauern zu lassen, durch welche sie so sehr verkehrt wurden.

Als man die Kirche verlassen hatte, schickten sich sämmtliche Reisende zum Abzug an. Der Landvogt und der Walliser zogen, sehr zufrieden mit sich, als hätten sie ihrer ganzen Pflicht Genüge gethan, indem sie Maso dem Gewahrsam übergaben, der Rhone zu und besprachen sich unterwegs über die seltsamen Fügungen, welche den Sohn des Dogen von Genua in einer so zweifelhaften Lage vor sie gebracht hatten. Die guten Augustiner halfen den Reisenden, welche auf der andern Seite des Passes niederstiegen, in ihre Sättel und entledigten sich der letzten Pflicht der Gastfreundschaft, indem sie mit Wünschen ihrer glücklichen Ankunft zu Aosta ihnen das Geleite gaben.

Der Weg über den Col ist bereits beschrieben worden. Er windet sich dem Rand des kleinen See's entlang und geht einige hundert Schritte vom Kloster an der Stelle vorüber, wo der alte Tempel des Jupiters stand. Jenseits des nördlichen Endes des kleinen Beckens, wo er die Grenzen von Piemont durchschneidet, bricht er durch die rauhe Felswand, windet sich eine kurze Strecke » en corniche« um den Saum einer furchtbaren Schlucht und stürzt dann plötzlich in die Ebenen Italiens hinab.

Da man keine unnöthige Zeugen bei Maso's versprochenen Mittheilungen zu haben wünschte, waren Pippo und Konrad angewiesen worden, den Berg vor dem übrigen Theil der Gesellschaft zu verlassen und die Maulthiertreiber mußten ein wenig zurückbleiben. Wo der Weg den See verläßt, stiegen alle ab, um die erste jähe Senkung vom Col aus zu Fuß niederzusteigen, wobei Pierre den Thieren voranschritt. Als man an die Stelle kam, wo das Kloster zum letzten Male sichtbar ist, blieb Maso stehen und wandte sich, um das ehrwürdige und wetterzerschlagene Gebäude nochmals anzuschauen.

»Du zögerst?« bemerkte der Freiherr von Willading, der fürchtete, er wolle entfliehen.

»Signori, der Blick an einen Stein sogar ist etwas Wehmüthiges, wenn man weiß, daß man ihn nie wiedersieht. Ich habe den Col oft erklettert, aber ich werde es nicht mehr wagen. Denn obgleich der ehrenwerthe und würdige Gerichtsherr und der edle Landvogt gewillt sind, einem Dogen von Genua in seiner Gegenwart ihre Ehrfurcht zu bezeigen, so möchten sie weniger zarte Rücksichten für seine Würden haben, wenn er abwesend ist. Addio, caro San Bernardo! Wie ich, bist du einsam und wetterzerschlagen, und, gleich mir, hast du, obgleich rauh anzuschauen, deinen Nutzen. Wir sind beide Wahrzeichen – du sagst dem Reisenden, wo er Sicherheit zu suchen hat, ich warne ihn, wo Gefahren ihn bedrohen.«

Es gibt in männlichem Dulden eine Würde, die unser Mitgefühl anspricht. Alle, welche diese Anrede an die Wohnung der Augustiner hörten, waren von ihrer Einfachheit und Bedeutsamkeit überrascht. Sie folgten dem Sprechenden jedoch stumm bis zur Stelle, wo der Weg sich zum ersten Male plötzlich senkt. Die Stelle war der Absicht des Maledetto günstig. Obgleich noch auf gleicher Höhe mit dem See, war das Kloster, der Col und alles, was er enthielt, mit Ausnahme eines kurzen Streifens seines steinigten Pfades durch die dazwischen liegende Felswand ihren Blicken entzogen. Die Schlucht klaffte drunten, rauh und düster, und durch das ewige Walten der Wetter in mannigfache Formen ausgeprägt. Alles, droben, drunten und rings um sie her war nackt und chaotisch, wie die Elemente des Erdballs, ehe das Wort des Schöpfers erscholl. Die Einbildungskraft konnte sich kaum ein Gemälde größerer Einsamkeit und Oede denken.

»Signori,« sagte Maso, seine Mütze ehrfurchtsvoll abnehmend und mit Ruhe sprechend, »die Verwirrung der Natur gleicht meinem Charakter. Hier ist alles zerschleißt, öde, wild; aber Geduld, Menschenliebe und Edelmuth konnten selbst diese Felsenhöhen zu einer Wohnung für die umgestalten, welche für das Wohl anderer leben. Es ist niemand so werthlos, der nicht zu irgend etwas zu brauchen wäre. Wir sind Bilder der Erde, unserer Mutter; nutzlos, wild und wüste, oder die Mühe vergeltend, die man an uns wendet, je nachdem man uns wie Menschen behandelt oder wie wilde Thiere verfolgt. Wenn die Großen, die Mächtigen, die Geehrten, Freunde und Rathgeber der Schwachen und Unwissenden würden, statt die Wachhunde zu bleiben, welche alle die anknurren und nach denen beißen, welche in ihre Vorrechte einzubrechen drohen und das Wolf-Geschrei jedesmal hören lassen, wenn ein schüchternes Lämmchen blöckt, so würden Gottes schönste Werke nicht so oft entstellt werden; ich habe als Geächteter gelebt und werde wahrscheinlich als solcher sterben; aber das bitterste Weh, das ich je fühlte, hat der Hohn mir bereitet, welcher meine Natur der Verderbniß anklagt, die doch lediglich die Frucht eurer Ungerechtigkeit ist. Dieser Stein« – er stieß mit dem Fuß ein Felsstückchen vom Weg in die Schlucht hinab – »ist eben so sehr Herr seiner Bewegung, nachdem mein Fuß ihn in Bewegung gesetzt, wie der arme Unerfahrne, der verachtet, hülflos, verdächtig und verdammt, noch ehe er gesündigt hat, in die Welt geschleudert wird, über seinen Lebensweg gebieten kann. Meine Mutter war schön und gut. Es fehlte ihr nur die Kraft, den Künsten eines Mannes zu widerstehen, der, in der Meinung aller derer um sie, geehrt, ihre Tugend untergrub. Er war groß, edel, mächtig; während sie außer ihrer Schönheit und Schwäche wenig hatte. Signori – sie war zu sehr im Nachtheil. Ich wurde die Strafe für ihren Fehl. Ich kam in eine Welt, wo alle mich verachteten, ehe ich etwas gethan hatte, das ihren Haß verdiente.«

»Nein, das heißt geltende Meinungen auf das Aeußerste treiben,« fiel Signor Grimaldi ein, der in seiner Begierde, jede Sylbe von Maso's Lippen aufzufangen, kaum Athem holte.

»Wir begannen, Signori, wie wir geendigt haben; mißtrauisch und bemüht aufzuspüren, was andern am meisten schaden könne. Ein ehrwürdiger und frommer Mönch, der meine Geschichte kannte, wollte eine Seele für den Himmel gewinnen, welche die Kränkungen der Welt bereits an den Rand der Hölle getrieben hatten. Der Versuch schlug fehl. Predigten und Lehren,« fuhr Maso bitter lachend fort – »sind nur schwache Waffen gegen stündliche Kränkungen; statt Cardinal oder Rathgeber des Oberhauptes der Kirche zu werden, bin ich, was Ihr seht. Signor Grimaldi, der Mönch, der sich meiner annahm, war Vater Girolamo. Er sagte deinem Schreiber die Wahrheit, denn ich bin der Sohn der armen Annunziata Altieri, welche einst würdig erachtet worden, deine flüchtige Beachtung auf sich zu ziehen. Meiner Sicherheit willen nannte ich mich ein anderes deiner Kinder. Eine zufällige Bekanntschaft mit einem Werkzeuge deines furchtbaren Feindes und Verwandten, wodurch ich in den Besitz der mit dem kleinen Gaetano entwendeten Papiere kam, bot mir die Mittel zu dem Betrug. Die Beweise meiner Worte sollen dir zu Genua eingehändigt werden. Was den Signor Sigismondo betrifft, so ist es Zeit, daß wir aufhören, Nebenbuhler zu sein. Wir sind Brüder, nur mit dem Unterschiede, daß er der Sprößling einer Ehe ist, ich aber der eines ungebüßten und fast unbereuten Verbrechens.«

Ein Ruf Aller, in welchem Schmerz, Freude und Ueberraschung wild gemischt waren, unterbrach den Redenden. Adelheid warf sich in ihres Gatten Arme und der blasse, in seinem Gewissen getroffene Doge stand mit ausgebreiteten Armen, ein Bild der Zerknirschung, der Freude, der Scham. Seine Freunde umringten ihn mit tröstenden Worten und Zeichen der Liebe, denn der Schmerz der Großen geht selten unbeachtet vorüber, wie die Seufzer der Armen.

»Laßt mich Luft schöpfen!« rief der Fürst: »Luft, sonst ersticke ich! Wo ist Annunziata's Kind? – Ich will an ihm wenigstens das Unrecht sühnen, das ich seiner Mutter zufügte.«

Es war zu spät. Das Opfer des Verbrechens eines andern hatte sich mit sorgloser Dreistigkeit über den Rand des Abgrundes hinab gestürzt und war, auf einem kürzern aber gefährlichen Pfade rasch gen Aosta niedereilend, außer dem Bereich seiner Stimme. Nettuno folgte ihm. Es war sichtbar, daß er Pippo und Konrad, welche auf dem betretenern Pfade wanderten, voreilen wollte. Nach wenigen Minuten bog er um den Scheitel eines hohen Felsen und war nicht mehr zu sehen.

Man hörte nie wieder von Maledetto. Zu Genua erhielt der Doge heimlich die Bestätigung alles Gehörten und Sigismund kam in den gesetzlichen Besitz seines Geburtsrechtes. Der letztere machte viele großmüthige aber nutzlose Versuche, seinen Bruder aufzufinden. Mit einem Zartgefühle, das man kaum erwarten konnte, hatte der Geächtete sich von einem Schauplatze entfernt, der sich, wie er fühlte, nun nicht mehr zu seiner Lebensweise eignete, und man erfuhr nie, wohin er sich begeben.

Der einzige Trost, den seine Verwandten erhielten, ging aus einem Begebniß hervor, welches Pippo der Verurtheilung der Gerichte überlieferte. »Vor seiner Hinrichtung bekannte der Possenreißer, daß Jacques Colis durch Konrad's und seine Hand gefallen war, und daß sie, unbekannt mit Maso's eigenem Auskunftsmittel, Nettuno benutzt hatten, um die geraubten Kleinodien unentdeckt über die Grenzen von Piemont zu bringen.


 


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