Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Geh', Klüg'rer, deinen schwachen Sinn vermessen
Und Gottes Vorsicht gleicher Art zu messen;
Nenn' Unvollkommenheit, was dir so scheint;
Sag', hier zu wenig, dort zu viel sich eint;
Zerstöre Lebendes nur nach Behagen
Und nenn' Gott ungerecht, wenn Menschen klagen.

Pope.

Es ist unnöthig, die Charaktere, welche die verschiedenen Rollen in dem Zuge der Dorfhochzeit übernommen hatten, nochmals aufzuzählen. Alle waren bei dem Schlusse der Feierlichkeiten gegenwärtig, wie sie früher am Tage aufgetreten waren, und da die letzten gesetzlichen Formen nun in Gegenwart des Landvogts vorgenommen werden sollten, ehe die feierlicheren Gebräuche der Kirche stattfänden, so war die ganze Neugierde der Menge wach, welche die Linie deren durchbrach, welche die Schranken bewachten und sich mit der stärkeren Theilnahme, welche die Wirklichkeit bekanntlich vor der Dichtung besitzt, um den Fuß der Estrade drängte. Während des Tages hatte man tausend Fragen über die Braut gehört, deren Schönheit und Aussehen alles so sehr übertraf, was man bei einem Mädchen erwartete, welche sich entschließen konnte, eine solche Rolle bei einer so öffentlichen Gelegenheit zu übernehmen, und deren bescheidenes Benehmen so sehr im Widerspruche mit ihrer gegenwärtigen Lage stand. Niemand kannte jedoch ihre Geschichte, und wenn dies der Fall war, wollte sie niemand enthüllen; und da die Neugierde durch das Geheimnißvolle so ungemein gespannt war, zeugte das Herzuströmen der Menge nur von der Gewalt, welche die durch tausend Vermuthungen des Gerüchtes unterstützte Erwartung über den Geist der Müssigen erlangen kann.

Welcher Art immer die Muthmaßungen gewesen sein mochten, welche auf Kosten der armen Christine angestellt wurden – es fehlte ihnen weder an Mannigfaltigkeit noch an Bosheit – so sahen sich die Meisten doch genöthigt, das Bescheidene ihres Wesens und das hold Liebliche ihrer milden und ungemeinen Schönheit zu preisen. Manche wollten freilich das erstere, das bei weitem zu vorstechend, oder zu übertrieben genannt wurde, um natürlich zu sein, der Kunst anheim rechnen. Auch blieb die gewöhnliche Menge allgemeiner Bemerkungen über die glückliche Geschmacks-Verschiedenheit und über die preißenswerthe Nothwendigkeit nicht aus, die jeden in den Stand setzt, sich auf seine Weise zu ergötzen. Allein diese waren nichts mehr, als die moralischen Blattern, welche gewöhnlich das menschliche Lob entstellen. Die Theilnahme und das Mitgefühl der Masse sprach mächtig und unwiderstehlich zu Gunsten des unbekannten Mädchens – Empfindungen, welche sich unzweideutig darthaten, als sie der Bühne näher kam und schüchtern durch eine gedrängte Menschengasse ging, wo alle sich eifrig vorschoben, um sie näher zu betrachten.

Der Landvogt hätte unter gewöhnlichen Umständen die Verletzung der Vorschriften, welche zur Aufrechthaltung der Ordnung gegeben worden, sehr übel genommen, denn es war ihm vollkommen ernst mit seinen Ansichten, so abgeschmackt viele derselben waren und, gleich vielen ehrlichen Leuten, welche die Wirkungen, die sie durch gezwungene Auslegungen ihrer Grundsätze erzielen wollen, aufheben, ließ er sich wohl verleiten, seine Strenge zu übertreiben. In diesem Augenblick jedoch sah er es nicht ungern, daß die Menge sich im Bereiche seiner Stimme befand. Die Gelegenheit war höchstens nur halb-amtlich und er befand sich so sehr unter dem Einfluß des heißen Côte-Weines, daß er vor Begierde brannte, seine Blumen der Beredtsamkeit und seine Weisheitsvorräthe noch freigebiger zu spenden. Er blickte daher auf das Heranbringen mit einer Miene vollkommen guter Laune – eine Eröffnung seiner Zustimmung, welche zu noch grössern Ueberschreitungen der Schranken ermuthigte, bis der von den Hauptpersonen, die in dieser Schlußscene auftraten, eingenommene Raum nicht mehr größer war, als ihre Bewegungen und ihre Bequemlichkeit durchaus forderten. In dieser Lage der Dinge wurde zu der Feierlichkeit geschritten.

Der sanfte Strom der Hoffnung und des Glückes, welcher in der milden Brust der Braut von dem ersten Augenblicke ihres Auftretens auf diesem ungewöhnlichen Schauplatz bis zu jenem, in welchem Pippo's Geschrei ihn getrübt hatte, allmählich gestiegen war, sank nun nach und nach wieder unter einem Gefühle der Besorgniß, und sie betrat jetzt den Platz mit einer geheimen und seltsamen Angst in dem Herzen, die ihre Unerfahrenheit und ihre ganze Unbekanntheit mit dem Leben furchtbar vermehren halfen. Ihre Einbildungskraft erhöhte die Gründe der Unruhe zu einer vorbereiteten und beabsichtigten Beleidigung. Christine, mit der Schmach, die auf ihrer Familie lastete, vollkommen bekannt, hatte in diese ungewöhnliche Art, ihre Lage zu ändern, nur aus lebhafter Besorgniß gewilligt, jede andere würde nothwendig zur Entdeckung ihrer Herkunft führen. Diese, obgleich übertriebene und in der That grundlose Furcht, war die Folge ihres neuerlichen zu vielen Brütens über ihre Lage und jener kränklichen Empfindlichkeit, welcher sich die Reinsten und Unschuldigsten leider am öftersten hinzugeben pflegen. Das Geheimniß wünschte, wie bereits bemerkt worden, ihr Bräutigam, der mit der List eines habsüchtigen Geistes den kleinen Kreis seiner Bekannten irre zu führen und seine Habsucht um den möglich wohlfeilsten Preis für sich zu befriedigen gehofft hatte. Aber es gibt einen Punkt der Selbsterniedrigung, welcher das vollkommene Bewußtsein des Rechts selbst den Schüchternsten selten überschreiten läßt. Als die Braut durch die gedrängte Menschengasse ging, wurde ihr Auge heiterer und ihr Fuß sicherer – denn der Stolz der Rechtlichkeit besiegte die gewöhnliche mädchenhafte Empfindlichkeit ihres Geschlechtes und gab ihr in dem Augenblick die größte Stärke, in welchem die Mehrzahl der Frauen ihre Schwäche wohl am ersten verrathen hätten. Sie hatte eben diese erzwungene aber achtungswerthe Ruhe erlangt, als der Landvogt, der Menge ein Zeichen gebend, zu schweigen und ruhig zu bleiben, sich in einer Weise, welche würdevoll sein sollte, und auch bei der Menge für einen sehr erfolgreichen Versuch in seiner Art galt, erhob, um das vorzunehmende Geschäft durch eine kurze Anrede einzuleiten. Der Leser darf über die Zungenfertigkeit des guten Peterchens nicht staunen, denn es war schon spät am Tage, und seine häufigen Libationen während der Feierlichkeiten würde ihn zu einem noch höhern Fluge der Beredtsamkeit emporgehoben haben, wenn die Gelegenheit und die Gesellschaft einer solchen Darlegung seiner Befähigungen ganz angepaßt gewesen wäre.

»Wir haben einen freudigen Tag gehabt, meine Freunde,« sagte er; »einen Tag, dessen ausgezeichnete Feier jeden von uns an unsere Abhängigkeit von der Vorsehung, unsere gebrechlichen und sündenvollen Neigungen und besonders an unsere Pflichten gegen den Rath von Bern erinnern muß. In den Sinnbildern des Reichthums und Ueberflusses sehen wir die Güte der Natur, die ein Geschenk des Himmels ist; in den verschiedenen kleinen Versehen, welche vielleicht unvermeidlich bei einigen der feineren Theile der Darstellungen begangen wurden – und ich möchte hier besonders die bethörte Trunkenheit Antoine Giraud's, des Mannes, der es unverschämter Weise über sich nahm, die Rolle des Silen zu spielen, als einen passenden Gegenstand für Eure Aufmerksamkeit anführen, denn sie ist für alle dem Trunk ergebene Schurken sehr lehrreich – können wir unsere eigenen großen Unvollkommenheiten sehen, während wir in der Ordnung des Ganzen, in dem vollkommnen Gehorsam der Untergeordneten, ein Gegenstück zu der Schönheit einer wachsamen und strengen Polizei und eines gutgeregelten Staatshaushalts finden. Ihr seht sonach, daß das Fest, obgleich es ein heidnisches Aeußere hat, eine christliche Moral enthält; Gott gebe, daß wir alle das erstere vergessen und das letztere gedenken, wie es unsern verschiedenen Charakteren und unserm gemeinsamen Vaterlande angemessen ist. Und nun, da wir mit den Gottheiten und ihren Sagen – mit Ausnahme dieses Schurken Silen, dessen schlechtes Betragen wahrlich nicht ganz leicht zu übersehen ist – fertig sind, wollen wir auch sterblichen Angelegenheiten einige Aufmerksamkeit zuwenden. Die Ehe steht vor Gott und Menschen in Ehren, und obgleich ich nie Muße hatte, selbst in diesen heiligen Stand zu treten, was mannigfachen Gründen, besonders aber dem Umstande zuzuschreiben ist, daß ich gleichsam dem Staate vermählt bin, gegen welchen wir alle eben so große, und selbst größere Pflichten haben, als das treueste Weib gegen ihren Gatten, so dürft Ihr doch nicht annehmen, ich hätte keine hohe Verehrung vor dem Ehestand. Weit entfernt davon, habe ich keinem Theile der Festlichkeiten dieses Tags freudiger entgegen gesehen, als dem der Hochzeit, welche wir nun aufgefordert sind, auf eine der Wichtigkeit des Gegenstandes entsprechende Weise zu vollziehen. Laßt den Bräutigam und die Braut vortreten, damit Alle das glückliche Paar näher sehen.«

Auf das Geheiß des Landvogts führte Jacques Colis Christinen auf eine kleine, für ihre Aufnahme bestimmte Brettererhöhung, wo beide von den Zuschauern vollständiger als bisher gesehen werden konnten. Die Unruhe und Erregung, welche einer so öffentlichen Ausstellung folgten, erhöhten die Röthe auf den sanften Wangen der Braut, und ein neues und noch weniger zweideutiges Murmeln des Beifalls ließ sich in der Versammlung hören. Der Anblick der Jugend, der Unschuld, der weiblichen Anmuth, erregte im höchsten Grade selbst der Rohen und Gefühllosen Theilnahme, und die Mehrzahl der Anwesenden begann mit den Besorgnissen des Mädchens Mitleid zu fühlen und ihre Hoffnungen zu theilen.

»Vortrefflich!« fuhr der vergnügte Peter Hofmeister fort, der nie halb so glücklich war, als wenn er amtlich für das Glück anderer sorgen konnte. »Dies verspricht eine glückliche Ehe. Ein rechtlicher, fleißiger, sparsamer und thätiger Bräutigam und eine schöne, hingebende Braut jagen die Unzufriedenheit aus Jedermanns Schornstein. Da das nun zunächst vorzunehmende gerichtlich und bindend ist, so muß der gehörige Ernst und Anstand beachtet werden. Laßt den Notar vortreten – nicht den, der seine Rolle mit so vieler Kunst gespielt hat, sondern jenen löblichen und wackern Mann, der mit diesen achtungswerthen Pflichten von Amtswegen beauftragt ist – und wir wollen den Contract hören. Ich empfehle die geziemende Stille, meine Freunde, denn es handelt sich hier von den ächten Gesetzen und einer wirklichen Heirath, – eine ernste Angelegenheit, die in keinem Falle mit Leichtsinn behandelt werden darf, indem einige jetzt in der Eile ausgesprochene Worte ein ganzes späteres Leben bereut werden können.«

Alles war nun den Wünschen des Landvogts gemäß und mit dem größten äußern Anstand angeordnet. Ein wirklicher und bevollmächtigter Notar las den Heiraths-Contract laut ab, – eine Urkunde, in welcher die bürgerlichen Verhältnisse und gegenseitigen Zugeständnisse des Brautpaars enthalten waren und der nur der Unterschriften noch bedurfte, um rechtliche Kraft zu haben. Diese Urkunde forderte natürlich, daß die wirklichen Namen der betheiligten Personen, ihr Alter, ihre Herkunft und alle jene Thatsachen, welche nothwendig sind, um ihre Identität herzustellen und die Rechte der Nachfolge zu sichern, bestimmt angegeben wurden, so daß sie in der entferntesten Zeit gültig war, wenn je die Nothwendigkeit eintreten sollte, sich auf sie als einen Beweis zu berufen. Die gespannteste Aufmerksamkeit herrschte in der ganzen Versammlung als diese Einzelnheiten vorgelesen wurden, und Adelheid war bei diesem zarten Theile der Verhandlungen, als das unterdrückte, aber doch noch hörbare Athmen Sigismund's ihr Ohr erreichte, in der größten Angst, es möchte sich etwas begeben, das seine Gefühle rauh berührte. Aber es schien, als sei der Notar im Geheimniß. Die Einzelnheiten hinsichtlich der Braut waren so künstlich angeordnet, daß sie, obgleich vollkommen bindend vor dem Gesetze, der Beachtung der arglosen Zuhörer so geschickt entzogen wurden, daß dem Punkte, welcher bei der Bekanntmachung am meisten besorgen ließ, nicht die geringste Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Sigismund athmete freier, als der Notar sich dem Ende seiner Aufgabe näherte, und Adelheid hörte den schweren Athem, den er am Schlusse mit der Freude dessen verhauchte, der sich versichert hat, einer drohenden Gefahr entgangen zu sein. Christine selbst schien heiterer, obschon ihre Unerfahrenheit sie in einem hohen Grade hinderte, alles das vorherzusehen, was die größere Uebung Sigismund's ihn fürchten ließ.

»Dies ist ganz in der Regel und fehlen jetzt nur noch die Unterschriften des betheiligten Paars und ihrer Verwandten,« bemerkte der Landvogt. – »Eine glückliche Ehe ist, wie ein wohlgeordneter Staat, ein Vorgeschmack der Freuden und des Friedens des Himmels; während ein unzufriedener Hausstand und ein unruhiges Volk zumal den Strafen und Qualen der Hölle verglichen werden können. Laßt die Verwandten des Paares vortreten und sich bereit halten, ihre Namen zu unterzeichnen, wenn Braut und Bräutigam dieser Pflicht genug gethan haben werden.«

Einige der Verwandten und Bekannten des Jacques Colis kamen aus dem Gedränge hervor und stellten sich an die Seite des Bräutigams, der sofort seinen Namen unterschrieb, als harre er ungeduldig seines Glückes. Eine allgemeine Stille trat ein, denn Alle waren neugierig zu sehen, wer Anspruch auf die Verwandtschaft machen würde. Mehrere Minuten verstrichen, ohne daß irgend jemand aufgetreten wäre. Sigismund's Athem wurde schwerer; er schien ersticken zu wollen, und dann gab er einem großmüthigen Gefühle Raum und stand auf.

»Um der Liebe Gottes willen – um deiner selbst willen – um meinetwillen! sei nicht zu rasch!« – flüsterte die erschreckte Adelheid, denn sie sah die heiße Glut, die auf seiner Stirne brannte.

»Ich kann die arme Christine in einem solchen Augenblicke nicht der Verachtung der Welt preis geben! Und wenn ich vor Scham sterbe, muß ich hervortreten und mich zu erkennen geben.«

Die Hand des Fräuleins von Willading wurde auf seinen Arm gelegt und er gab dieser stummen aber ausdrucksvollen Bitte nach, denn jetzt eben sah er, daß seine Schwester von ihrer verzweiflungsvollen Einsamkeit erlöst werden sollte. Die Masse that sich auseinander und ein anständiges Paar, in die Tracht kleiner aber behaglicher Gutsbesitzer gekleidet, ging unsichern Schrittes auf die Braut zu. Christinens Augen füllten sich mit Thränen, denn Schrecken und Furcht vor der Schmach wichen plötzlich der Freude. Die, welche vortraten, um ihr in diesem Augenblicke der Prüfung zu Hülfe zu kommen, waren ihr Vater und ihre Mutter. Das achtungswerth aussehende Paar schritt langsam an die Seite ihrer Tochter und erst, als sich der Vater zur Rechten, die Mutter zur Linken des Mädchens gestellt hatten, wagten sie es, verstohlene und demüthige Blicke auf die Versammlung zu werfen.

»Es ist ohne Zweifel schmerzlich für die Eltern, von einem so schönen und pflichtergebenen Kinde sich zu trennen,« begann das stumpfe Peterchen wieder, der in einer Erregung des Gefühls selten mehr sah als dessen alltäglichen und gewöhnlichen Charakter. »Die Natur treibt sie dahin, und die Bestimmungen des Heiraths-Contraktes und der Fortgang unserer Feierlichkeiten dorthin. Ich habe oft selbst Schwachheiten dieser Art, indem die gefühlvollsten Herzen solchen Anwandlungen am meisten ausgesetzt sind. Aber meine Kinder sind das Publikum, welches nicht viel von dem, was ich das Detail der Empfindung nennen möchte, zuläßt, sonst wäre ich, bei der Seele Calvins, nur ein unbedeutender Landvogt für Bern! – Du bist der Vater dieses schönen und erröthenden Mädchens, und du ihre Mutter?«

»So ist's!« versetzte Balthasar sanft.

»Du bist, nach deiner Sprache, nicht aus Vevay oder der Umgegend?«

»Aus dem großen Canton, mein Herr,« antwortete Balthasar deutsch, denn diese kleinen Bezirke haben fast eben so viele Sprachen, als sich Gebietsabtheilungen da finden. »Wir sind fremd in der Waadt.«

»Du hast nicht übel daran gethan, deine Tochter mit einem Vevayer zu verheirathen, besonders da es unter dem Schutz der berühmten und freigebigen Abtei geschieht. Ich bin überzeugt, daß dein Kind durch diese Einwilligung in die Wünsche derer, welche diesen Festlichkeiten vorstehen, nicht ärmer werden wird.«

»Sie wird nicht ohne Mitgift in das Haus ihres Gatten gehen,« erwiederte der Vater, von geheimem Stolze erröthend; denn wenn die Wechselfälle des Lebens jemanden so wenige Quellen der Freude ließen, mußten ihm die, welche er besaß, doppelt theuer sein.

»Das ist gut! ein sehr würdiges Paar! Und ich zweifle nicht, daß Euer Sprößling ein tüchtiger Geselle werde. Monsieur le Notaire, ruft die Namen dieser guten Leute hier laut aus, damit sie ihre Unterschrift mit dem gebührenden Pomp beisetzen.«

»Dies ist anders vorgeschrieben«, antwortete hastig der Mann von dem Gänsekiel, welcher nothwendig in das Geheimnis von Christinens Herkunft eingeweiht und nicht schlecht bezahlt war, um nichts auszuplaudern. »Es würde die Ordnung und Regelmäßigkeit des Verfahrens durchaus vernichten.«

»Wie es beliebt; denn ich möchte nicht gegen die Form verstoßen wissen, vor allem aber keine Unordnung haben. Aber um des Himmels willen, laßt uns diese Schreibereien fertig machen, denn ich höre, es seien Anzeichen da, denen zufolge unsere Braten leicht anbrennen könnten. Kannst du schreiben, guter Mann?«

»Leidlich, mein Herr, aber doch so, daß das, was ich will, vor dem Gesetze bindet.«

»Gebt der Braut die Feder, Herr Notar, und laßt uns den glücklichen Augenblick nicht länger hinausschieben.«

Hier wandte der Landvogt den Kopf und flüsterte einem Bedienten zu, in die Küche zu laufen und zu sehen, wie es mit dem Mahl stehe. Christine nahm mit zitternder Hand und blasser Wange die Feder und war im Begriff, ihren Namen zu schreiben, als ein plötzlicher Ruf im Gedränge die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf einen neuen Gegenstand des Interesses zog.

»Wer wagt es, so unanständig diesen ernsten Auftritt zu unterbrechen, und das zwar Angesichts solcher Personen?« fragte der Landvogt streng.

Pippo, der mit den übrigen Gefangenen durch das Gedränge der Menge nothwendig in dem Raum nahe der Estrade eingeschlossen war, taumelte nun hervor, nahm seine Mütze mit einer tiefen Verbeugung ab und stellte sich demüthig Peterchens Augen dar.

»Ich bin's, berühmter und edler Statthalter,« erwiederte der verschmitzte Neapolitaner, dem von dem Safte, welchen er verschlungen hatte, eben noch genug geblieben war, um ihn kühn zu machen, ohne seine Beobachtungskraft zu schwächen. »Ich bin's, – Pippo, ein Künstler von wenig Ansprüchen, aber ein sehr ehrlicher Mann, hoffe ich, und, wie ich weiß, ein großer Verehrer der Gesetze und ein treuer Freund der Ordnung.«

»Laßt den guten Mann offen zu uns reden. Ein Mann von diesen Grundsätzen hat ein Recht auf unser Gehör. Wir leben in einer Zeit verdammenswerther Neuerungen und der schändlichsten Versuche, Altar, Staat und deren Diener zu vernichten, und die Gesinnungen solcher Leute sind wie Thau auf das verdörrte Gras.«

Der Leser darf aus der Sprache des Landvogts nicht folgern, die Waadt habe am Vorabend irgend einer großen politischen Erschütterung gestanden; sondern es war damals, wie jetzt, da die Regierung an sich eine Usurpation und auf den falschen Ausschluß-Grundsatz gegründet war, ganz gewöhnlich, über die moralischen Wehen verletzten Rechtes laut zu klagen, da dieselbe Gier nach Besitz, dieselbe Selbstsucht, das obgleich mit Unrecht Erlangte festzuhalten und dieselbe Keckheit im Verfechten von Grundsätzen, nicht ohne die Absicht, der Welt einen blauen Dunst vorzumachen, vor einem Jahrhundert eben so gut wie heut zu Tag, in der christlichen Welt herrschten. Der listige Pippo sah, daß der Köder seine Wirkung gethan hatte und fuhr mit einer noch ehrfurchtsvolleren und loyaleren Miene fort:

»Obgleich ein Fremdling, berühmter Statthalter, fühlte ich doch das größte Vergnügen an diesen köstlichen und muntern Festlichkeiten. Ihr Ruhm wird sich weit und breit ausdehnen, und man wird das kommende Jahr kaum von etwas anderm reden, als von Vevay und seinem Feste. Aber eine große Verunglimpfung hängt über euern achtungswerthen Häuptern, welche abzuwenden in meiner Gewalt steht, und San Gennaro verhüte es, daß ich, ein Fremder, der in Eurer Stadt so gut aufgenommen wurde, zaudern sollte, meine Stimme wegen irgend einer Bedenklichkeit, ob es sich zieme, zu erheben. Ohne Zweifel, großer Statthalter, glaubt Euere Eccellenza, dieser würdige Vevayer sei im Begriffe, ein ehrbares Mädchen zu heirathen, deren Name mit denen der Feierlichkeiten und Eurer Stadt vor der stolzesten Gesellschaft in Europa mit Anstand genannt werden kann?«

»Was heißt das, Bursche? Das Mädchen ist schön und ziemlich bescheiden, wenigstens dem Ansehen nach, und wenn du sonst irgend etwas weißt, so flüstere dein Geheimniß in die Ohren des Bräutigams oder ihrer Verwandten, und störe nicht in dieser rohen Weise unsere Harmonie mit deinem Rabengekrächze, wenn wir uns eben anschicken, das Hochzeitslied zu Ehren des glücklichen Paares anzustimmen. Solche übertriebene Umständlichkeiten sind der Fluch des Ehestandes, meine Freunde, und ich bin sehr gewillt, diesen Schurken, trotz aller seiner Anhänglichkeit an die Ordnung, welche leicht Unordnung hervorbringen kann, einen oder zwei Monate für seine Bemühungen in das Vevayer Verließ zu schicken.«

Pippo gerieth in Angst, denn, eben trunken genug, um keck zu sein, hatte er nicht alle seine Geisteskräfte vollkommen zur Hand, und sein gewöhnlicher Scharfsinn ließ ihn ein wenig im Stich. Da er aber gewöhnt war, der öffentlichen Meinung zu trotzen und das Mißlingen seiner Darstellungen dadurch vergessen zu machen, daß er der Geduld und Leichtgläubigkeit seiner Zuhörerschaft noch mehr aufbürdete, beschloß er beharrlich zu sein, dieses für den wahrscheinlichsten Weg haltend, sich den gedrohten Folgen seiner Unklugheit zu entziehen.

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, großer Landvogt,« antwortete er. »Nur der glühende Wunsch, Eurer hohen Ehre und dem Ruhme des Winzerfestes Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, hat mich so weit geführt, aber –«

»Sage gerade heraus, was du willst, Schurke, und laß die Umschweife.«

»Ich habe nichts zu sagen, Signore, als daß der Vater dieser erhabenen Braut, welche im Begriffe ist, Vevay zu ehren, indem sie ihre Vermählung zu einer Feier macht, welche alle in der Stadt mit ansehen und begünstigen, der öffentliche Scharfrichter von Bern ist – ein Elender, der kürzlich beinahe den Untergang von mehr Christen veranlaßt hätte, als das Gesetz verdammt hat, und der bei dem Himmel hinreichend in Ungnade steht, um das Schicksal von Gomorrha über Eure Stadt zu bringen.«

Pippo taumelte seinem Platze unter den Gefangenen zu, als hätte er sich eines wichtigen Auftrags erledigt, und war sofort vor den Blicken verschwunden. Die Unterbrechung war so rasch und unerwartet gekommen, und der Italiener stieß seine Worte mit solchem Ungestüm heraus, daß, obgleich mehrere Anwesende, als es zu spät war, seine Absicht gewahrten, niemand hinreichende Geistesgegenwart hatte, ihm zuvorzukommen. Ein Murmeln durchlief die Menge, die sich wie eine mächtige, von einem dahin brausenden Wirbelwind gehobene Wasserfläche bewegte und dann wieder still und ruhig ward. Unter allen Anwesenden zeigte der Landvogt am wenigsten Staunen oder Unruhe, denn für ihn war selbst der letzte Diener des Gesetzes ein Gegenstand, wenn auch nicht gerade der Achtung, doch des amtlichen Wohlwollens eher als der Schande.

»Was thut das?« antwortete er, als hätte er eine weit wichtigere Mittheilung erwartet. »Was thut das, wenn es auch wahr wäre? Höre, Freund, – bist du wirklich der bekannte Balthasar, dessen Familie sich um den Canton durch so viele Rechts-Vollstreckungen verdient gemacht hat?«

Balthasar sah, daß sein Geheimniß verrathen war und daß es klüger sei, einfach die Wahrheit zuzugestehen, als zu Ausflüchten und Läugnen seine Zuflucht zu nehmen. Er war überdies von Natur ein gerader, wahrheitsliebender Mann und fühlte tief in seinem Herzen die Ungerechtigkeit, deren Opfer er durch die gefühllosen Einrichtungen der bürgerlichen Gesellschaft war. Sein Haupt erhebend, blickte er mit Festigkeit um sich, denn auch er war unglücklicherweise daran gewöhnt, in Gegenwart der Menge zu handeln, und beantwortete die Frage des Landvogts mit dem gewöhnlichen milden Tone seiner Stimme, aber mit Ruhe.

»Herr Landvogt, ich bin durch Vererbung der letzte Vollstrecker des Gesetzes.«

»Bei meinem Amte! ich liebe diesen Titel! – er ist gut! – der letzte Vollstrecker des Gesetzes! – Wenn Schurken unrecht thun und unzufriedene Geister Verschwörungen anzetteln, muß eine Hand da sein, welche ihren bösen Werken den letzten Streich versetzt – und warum nicht du so gut wie ein Anderer? Hört, ihr Leute, sperrt jenen Italiener eine Woche oder zwei bei Brod und Wasser ein, weil er es gewagt hat, mit der Zeit und Gutmüthigkeit des Publikums auf eine so unverschämte Weise sein Spiel zu treiben. Und dieses würdige Weib ist deine Gattin, ehrlicher Balthasar, und dieses schöne Mädchen dein Kind – hast du mehrere von so trefflicher Art?«

»Gott hat mich mit Nachkommenschaft gesegnet, mein Herr!«

»Ja, Gott hat dich gesegnet! – und ein großer Segen ist es, wie ich aus bitterer Erfahrung weiß, das heißt, da ich selbst ein Junggeselle bin, begreife ich das Unglück, kinderlos zu sein – ich will nicht mehr sagen. Zeichne den Contract, ehrlicher Balthasar, mit deinem Weibe und Kinde, damit diese Angelegenheit zu Ende gebracht wird.«

Die Familie des Geächteten war im Begriff, diesem Befehle zu folgen, als Jacques Colis plötzlich die Zeichen des Hochzeiters abwarf, den Contract in Stücke riß, und öffentlich erklärte, er habe seine Absicht geändert und werde eines Scharfrichters Tochter nicht zum Weibe nehmen. Die öffentliche Stimmung wird gewöhnlich durch jede offene Erklärung zu Gunsten des herrschenden Vorurtheils gewonnen, und nachdem eine kurze Pause des Staunens vorüber war, wurde der Entschluß des Bräutigams mit stürmischem Beifall aufgenommen, dem unmittelbar ein allgemeines, rohes und höhnendes Gelächter folgte. Die Menge drängte sich in noch dichtern Schaaren gegen die Schranken heran und stellte dem Durchgang eines Jeden in allen Richtungen eine undurchdringliche Mauer entgegen; eine Todesstille folgte nun, als wenn alle Anwesenden athemlos den Ausgang des sonderbaren Auftrittes erwarteten.

Das Beginnen des Bräutigams war so unerwartet und überraschend, daß die am meisten dabei Betheiligten anfangs die Größe der Schmach nicht begriffen, welche so öffentlich auf sie gehäuft wurde. Die unschuldige und arglose Christine stand da, der kalten Statue einer Vestalin ähnlich, die Feder erhoben, bereit, ihren unbefleckten Namen unter den Contract zu setzen, unschlüssig und zweifelhaft, während ihr erstaunter Blick der Erregung der Menge folgte, wie der erschreckte Vogel, bevor er auffliegt, auf die Bewegung der Blätter des Gebüsches sieht. Aber es war nicht möglich, der Wahrheit zu entrinnen. Die Gewißheit des niederdrückenden Charakters derselben stellte sich zu bald ein, und während die Ruhe der gespannten Neugierde der augenblicklichen Erregung der Zuschauer folgte, stand Christine da, ein schönes, aber schmerzvolles Bild verwundeten weiblichen Gefühls und jungfräulicher Scham. Auch ihre Eltern waren durch das Rasche des unerwarteten Schlags betäubt, und es dauerte lange, bis sie die Fassung wieder gewannen, welche nöthig war, um einer so unverschuldeten und groben Beleidigung entgegen zu treten.

»Dies ist ungewöhnlich!« bemerkte der Landvogt trocken, indem er zuerst die lange und peinliche Stille unterbrach.

»Es ist thierisch!« fiel Signor Grimaldi mit Wärme ein. »Wenn der Bräutigam nicht getäuscht wurde, ist es durchaus nicht zu entschuldigen!«

»Eure Erfahrung, Signore, hat sogleich die rechten Punkte in einem sehr verwickelten Falle hervorgehoben, und ich werde ohne Zeitverlust der Sache auf den Grund gehen.«

Sigismund setzte sich wieder, und seine Hand löste sich vom Schwertgriff, den sie instinctmäßig gefaßt hatte, als er diese Erklärung der Absichten des Landvogts hörte.

»Um deiner armen Schwester willen, laß ab!« flüsterte die erschreckte Adelheid. »Alles wird noch gut gehen – alles muß sich fügen – es ist unmöglich, daß eines so lieblichen und unschuldigen Wesens Ehre lange ungerächt bleibt.«

Der junge Mann lächelte gräßlich, wenigstens schien es seiner Freundin so; aber er behielt den Schein der Fassung. Mittlerweile wandte Peterchen, der heimlich einen zweiten Boten an die Küche gesendet hatte, seine ernste Aufmerksamkeit auf die eben entstandene Schwierigkeit.

»Ich bin lange von dem Rathe mit ehrenvollen Pflichten beauftragt worden,« sagte er, »aber nie, bis auf den heutigen Tag, wurde ich in Anspruch genommen, über ein häusliches Mißverständniß zu entscheiden, bevor die Betheiligten wirklich getraut waren. Es ist dies eine schwere Unterbrechung der Feierlichkeiten der Abtei und eine Beschimpfung des Notars und der Zuschauer, und verdient genaue Untersuchung. Bestehst du wirklich darauf, eine Hochzeitsfeier auf eine so ungewöhnliche Art zu endigen, Herr Bräutigam?«

Jacques Colis war ein wenig von seinem ersten Ungestüm zurückgekommen, welcher ihn zu dem übereilten und unüberlegten Schritte verleitet hatte, eine Urkunde zu zerstören, die er gesetzlich vollzogen; aber diesem Lautwerden des Gefühls folgte der starre und feste Entschluß, auf jede Gefahr hin bei der Weigerung zu verharren.

»Ich werde die Tochter eines Mannes nicht ehelichen, der von den Menschen ausgestoßen und von allen geflohen wird,« antwortete er mürrisch.

»Allerdings ist die Achtbarkeit der Eltern nach einer guten Mitgabe die erste Rücksicht bei der Wahl eines Weibes,« erwiederte der Landvogt; »aber ein Mann von deinen Jahren kam nicht hierher, ohne sich vorher nach der Herkunft des Mädchens erkundigt zu haben, die er heirathen will.«

»Man hatte mir geschworen, das Geheimniß zu bewahren. Das Mädchen erhält eine schöne Mitgift und das Versprechen wurde mir feierlich gegeben, daß ihre Herkunft nie bekannt werden solle. Die Familie Colis wird in der Waadt geachtet und ich will mir nicht nachsagen lassen, das Blut des Scharfrichters des Cantons habe sich mit einem so guten Geblüte, wie das unsrige vermischt.«

»Und doch warst du nicht abgeneigt, so lange die Sache unbekannt war? Dein Einwand geht weniger auf die Thatsache, als auf deren öffentliche Bekanntmachung.«

»Ohne die Beihülfe von Pergamenten und Zungen, Monsieur le Bailli, wären wir alle gleich an Geburt. Fragt den edeln Freiherrn von Willading, der dort an Eurer Seite sitzt, warum er besser ist als ein Anderer! Er wird Euch sagen, er stamme aus einem alten und ehrenvollen Geschlechte; wäre er aber als Kind aus seinem Schlosse gebracht, und unter einem falschen Namen verborgen worden und hätte Niemand erfahren, wer er ist, – wer dächte wohl um der Thaten seiner Vorfahren willen an ihn? Wie der Herr von Willading in einem solchen Falle in dem Ansehen der Welt verloren hätte, so hat Christine gewonnen; wie sich aber die öffentliche Meinung dem Freiherrn zuwenden würde, wenn man die Wahrheit bekannt machte, so wendet sie sich von Balthasar's Tochter ab, sobald man in ihr die Tochter des Scharfrichters erkennt. Ich hätte das Mädchen geheirathet, wie sie war, allein Ihr verzeiht, Monsieur le Bailli, wenn ich sage, daß ich sie nicht heirathen werde, wie sie ist.«

Ein Gemurmel des Beifalls folgte dieser hörbaren und schnellfertigen Vertheidigung, denn wenn der Widerwille lebhaft rege und bitter ist, begnügen sich die Menschen leicht mit zweifelhafter Moral und einem schwachen Beweise.

»Der Bursche ist nicht ohne Verstand,« bemerkte der verblüffte Landvogt, indem er den Kopf schüttelte. »Ich wollte, er wäre im Disputiren weniger erfahren, oder das Geheimniß wäre besser bewahrt worden. Es ist so klar, wie die Sonne am Himmel, Freund Melchior, daß du, wenn man dich nicht als das Kind deines Vaters gekannt hätte, nimmermehr der Erbe deines Schlosses und der Ländereien geworden wärst – ja, bei dem heiligen Lukas, nicht einmal die Rechte der Bürgerschaft wären auf dich gekommen.«

»Zu Genua haben wir die Sitte, beide Parteien zu hören,« erwiederte Signor Grimaldi ernst, »um uns erst zu versichern, daß wir der Sache auf den wahren Grund sehen. Wenn ein anderer auf Signor von Willading's Ehren und Namen Ansprüche machte, würdet Ihr schwerlich seinem Gesuche willfahren, ohne vorher Euern Freund hier betreffs seiner Rechte auf dieselben zu fragen.«

»Immer besser! das heiße ich Gerechtigkeit, während das von dem Bräutigam Vorgebrachte nur ein Schluß war. Höre, Balthasar, und du, gutes Weib, seine Gattin – und auch du, hübsche Christine – was habt ihr sämmtlich auf den nicht unvernünftigen Beweis des Jacques Colis zu antworten?«

Balthasar, welcher durch die Natur seines Amtes und durch seine übrigen männlichen Obliegenheiten sehr daran gewöhnt war, herben Beispielen des öffentlichen Hasses entgegen zu treten, gewann sehr bald seine gewöhnliche äußere Ruhe wieder, obgleich er eines Vaters Kummer und eines Vaters gerechte Erbitterung fühlte, als er diese offene Unbild gegen ein so liebliches und edles Wesen, wie sein Kind, sah. Aber der Schlag hatte Margarethe, die treue und vieljährige Genossin seines Schicksals, weit schwerer getroffen. Balthasar's Weib war über den Morgen ihres Lebens hinaus, aber sie hatte noch die Gestalt und einen Theil der persönlichen Schönheit, welche sie in ihrer Jugend zu einem Weibe von ungewöhnlich anziehendem Aeußern gemacht hatte. Als die Worte, welche die Schmach ihrer Tochter verkündigten, zuerst ihr Ohr trafen, überzog eine Todesblässe ihr Antlitz. Mehrere Minuten stand sie da, einem Wesen ähnlicher, das von allem, was das Leben theuer und werth macht, den letzten Abschied genommen hat, als einem solchen, das einer der stärksten Leidenschaften des menschlichen Herzens, der gekränkten Mutterliebe, zur Beute geworden war. Dann schlich das Blut ihr langsam in die Wangen zurück und als der Landvogt seine Frage stellte, glühte ihr ganzes Gesicht von dem Sturm der Gefühle, der ihre Wünsche zu vernichten schien, indem er sie der Sprache beraubte.

»Du kannst ihm antworten, Balthasar,« sagte sie heiser, ihrem Gatten winkend, Muth zu fassen; »du bist an so viele Menschen und an ihre Verachtung gewöhnt. – Du bist ein Mann und kannst uns Recht verschaffen.«

»Herr Landvogt,« sagte der Scharfrichter, der selten das sanfte Benehmen aufgab, welches ihn charakterisirte, »es ist viel Wahrheit in dem, was Jacques Colis vorbrachte, aber alle Anwesenden werden gesehen haben, daß nicht an uns, sondern an jenem herzlosen Landstreicher die Schuld lag. Der Elende trachtete mir schon bei unserer unglücklichen Reise hierher nach dem Leben, und, nicht zufrieden, meine Kinder ihres Vaters berauben zu wollen, strebt er jetzt, mich noch grausamer zu beleidigen. Ich bin zu dem Amte, das ich bekleide, geboren, wie Ihr wohl wißt, Herr Hofmeister, sonst würde ich es wohl nie gesucht haben; aber auf dem, was das Gesetz will, bestehen die Menschen als auf einem Rechte. Das Mädchen kann nie aufgefordert werden ein Haupt von den Schultern zu trennen, und da sie von Kindheit auf die Verachtung kennt, welche aller harrt, die meinem Geschlechte entstammen, suchte ich Mittel, sie wenigstens von einem Theil des Fluches zu erlösen, der sich auf uns vererbt hat.«

»Ich weiß nicht, ob dies gesetzlich ist,« fiel der Landvogt rasch ein. »Was ist Eure Ansicht, Herr von Willading? Kann Jemand in Bern seinen ererbten Obliegenheiten sich eben so wenig entziehen, als er erbliche Vorrechte an sich reißen kann? Die Frage hat ihre großen Schwierigkeiten; Neuerung führt zu Neuerung, und unsere geheiligten Gebräuche müssen beobachtet werden, wollen wir den Fluch des Wechsels von uns abwenden!«

»Balthasar hat richtig bemerkt, daß ein Weib das Nachrichter-Amt nicht ausüben kann.«

»Sehr wahr, aber ein Weib mag solche gebären, welche dies können. Dies ist eine spitzfindige Frage für die Rechtsgelehrten und sie muß untersucht werden; von allen verdammlichen Vergehen wende der Himmel das von mir ab, einen Wechsel zu wünschen. Wenn jemals ein Wechsel kommen soll, warum etwas festes bestimmen. Der Wechsel ist eine unverzeihliche Sünde in der Politik, Signor Grimaldi, denn was man oft wechselt, wird mit der Zeit werthlos, wenn es auch nur Geld wäre.«

»Die Mutter wünscht etwas zu sagen,« fiel der Genueser ein, dessen rascher aber eindringender Blick den Ausdruck der Züge der geächteten Familie genau beachtet hatte, während der Landvogt in seiner gewöhnlichen weitschweifigen Weise sich über den Vorfall im Allgemeinen aussprach, und die Wehen des Gefühls entdeckte, welche die Brust der braven Margarethe hoben, so daß man sah, sie gestalteten sich zur Sprache.

»Hast du etwas zu sagen, gutes Weib?« fragte Peter, der ganz geneigt war, in allen Streitfällen, wenn sie nicht zufällig die Obergewalt des großen Cantons betrafen, beide Parteien zu hören. »Die Wahrheit zu sagen, die Gründe des Jacques Colis sind hörbar und verständig und werden wahrscheinlich schwer gegen dich in die Wagschaale fallen.«

Die Röthe entschwand langsam aus dem Antlitz der Mutter, und sie wandte sich mit einem Liebe und Schutz verheißenden Blicke zu ihrem Kinde, welcher eine gänzliche Sammlung aller ihrer Empfindungen in dem mächtigen Gefühle der Mutterliebe aussprach.

»Ob ich etwas zu sagen habe?« wiederholte Margarethe langsam, fest auf die neugierige und fühllose Menge blickend, die, ihrem Heißhunger nach dem Neuen sich überlassend und durch ihre Vorurtheile aufgeregt, immer noch gegen die Hellebarden der Diener andrang. »Ob eine Mutter etwas zur Vertheidigung ihres beleidigten und geschändeten Kindes zu sagen hat? Warum habt Ihr mich nicht auch gefragt, Herr Hofmeister, ob ich menschlich fühle? Ich weiß es, wir stammen aus geächteten Geschlechtern, Balthasar und ich – aber wie Ihr, stolzer Landvogt, und die Vornehmen alle an deiner Seite, stammen auch wir von Gott. Das Urtheil und die Macht der Menschen haben uns von Anfang her niedergedrückt und wir sind an der Welt Verachtung und Ungerechtigkeit gewöhnt!«

»Sprich nicht so, gutes Weib, denn es wird nicht mehr gefordert, als durch das Gesetz geheiligt ist. Du sprichst jetzt gegen dein eigenes Beste und ich unterbreche dich aus reinem Mitleid. Es würde schimpflich für mich sein, hier zu sitzen und das Gesetz durch eine böse Zunge verunehren zu lassen.«

»Ich verstehe nichts von den Spitzfindigkeiten eurer Gesetze, aber ich kenne ihre Grausamkeit und ihre Härte in Bezug auf mich und die Meinigen. Alle Andern treten mit Hoffnungen in die Welt, aber wir sind von Anfang her zermalmt worden. Das kann gewiß nicht gerecht sein, was jede Hoffnung zerstört. Selbst der Sünder braucht, Dank der Barmherzigkeit des Sohnes Gottes, nicht zu verzweifeln! aber wir, die unter euern Gesetzen auf die Welt kamen, haben wenig in dem Leben zu hoffen, als Schande und die Verachtung der Menschen.«

»Nein, du irrst gänzlich in der Sache, Frau! Diese Vorrechte wurden deiner Familie anfangs als Belohnung für verdienstvolle Handlungen, wie ich nicht zweifle, verliehen, und es galt lange für einträglich, dieses Amt zu verwalten.«

»Ich sage nicht, daß in der finstern Zeit, als Unterdrückung durch das Land schritt und die Besten Barbaren waren, wie heutzutage die Schlechtesten, manche von denen, welchen wir entstammen, roh und grausam genug waren, dieses Amt freiwillig über sich zu nehmen; aber ich läugne, daß irgend jemand außer ihm, der das Weltall auf seinen Händen trägt, und dem eine endlose Zukunft anheim gegeben ist, um das Leiden der Gegenwart auszugleichen – die Macht hat, dem Sohne zu sagen, er solle der Erbe des Unrechts seines Vaters sein.«

»Wie? du stellst die Lehre von der Abstammung in Zweifel? Wir werden dich bald die Rechte der Bürgerschaft bestreiten hören!«

»Herr Landvogt, ich weiß nichts von den feinen Unterscheidungen eurer Bürgerrechte und will nichts, weder dafür noch dagegen, sagen. Aber ein ganzes Leben der Schmach und Bitterkeit wird wohl zu einem Leben des Nachdenkens und des Grames; und ich sehe Unterschied genug zwischen der Erhaltung wohl verdienter Vorrechte, obwohl auch diese schwer zu ertragende Mißbräuche mit sich bringen können und mit sich bringen, und der unverdienten Unterdrückung der Nachkommen wegen der Vergehen der Vorfahren. Darin ist wenig von der Gerechtigkeit zu sehen, welche von dem Himmel stammt, und die Zeit wird kommen, wo eine furchtbare Vergeltung des so bittern Unrechts eintreten wird.«

»Der Schmerz um deine hübsche Tochter, gute Margarethe, läßt dich so heftig sprechen.«

»Ist nicht die Tochter eines Scharfrichters und der Frau eines Scharfrichters ihr Kind so gut, wie das schöne Mädchen, welche neben dir sitzt, das Kind des Edeln an ihrer Seite ist? Soll ich sie weniger lieben, weil sie von einer grausamen Welt verachtet wird? Hatte ich nicht dieselben Schmerzen bei ihrer Geburt, dieselbe Freude an ihrem Kindeslächeln, dieselben Hoffnungen in ihrem jugendlichen Erblühen und dasselbe Bangen um ihre Zukunft, als ich einwilligte, ihr Schicksal einem andern anzuvertrauen, wie jene, die dieses glücklichere aber nicht schönere Mädchen gebar? Hat Gott zwei Naturen – zwei Verlangen nach der Mutter – zwei Wünsche für unserer Kinder Wohl geschaffen – die des Reichen und Geehrten, und die des Unterdrückten und Verachteten?«

»Still, gute Margarethe, du siehst die Sache von einer ungewöhnlichen Seite an. Sind unsere geehrten Gebräuche – unsere feierlichen Edikte – das Gesetz von Bern – und unser Entschluß zu regieren, und zwar nachdrücklich und gehörig, nichts?«

»Ich fürchte, dies alles ist stärker, als das Recht, und wird fortdauern, wenn die Thränen der Unterdrückten längst erschöpft sind, wenn ihr und der ihrigen Schicksal längst vergessen sein wird.«

»Dein Kind ist schön und bescheiden,« bemerkte Signor Grimaldi – »und wird noch einen Jüngling finden, der diese Unbill mehr als ausgleichen wird. Der sie verworfen hat, war ihrer Treue nicht würdig.«

Margarethe wandte ihren Blick, der in dem erwachten Gefühle glühte, auf ihre blasse und noch regungslose Tochter. Der Ausdruck ihres Auges sänftigte sich und sie nahm ihr Kind an ihre Brust, wie die Taube ihr Junges schützt. Alle ihre aufgeregten Empfindungen schienen sich in dem Gefühle der Liebe aufzulösen.

»Mein Kind ist schön, Herr Landvogt,« fuhr sie fort, ohne der Unterbrechung zu achten; »aber sie ist mehr als schön, sie ist gut! Christine ist lieb und gehorsam, und nicht für eine Welt würde sie einem andern wehe thun, wie ihr heute wehe gethan wurde. Sind wir auch gebeugt und von den Menschen verachtet, Landvogt, so haben wir doch unsere Gedanken, Wünsche, Hoffnungen, und das Gedächtnis und alle die Gefühle der Glücklicheren; und wenn ich mein Gehirn auf die Folter spannte, um über die Gerechtigkeit eines Schicksals zu sinnen, das Alle meines Geschlechtes verdammt hat, mit seinesgleichen wenig andern Verkehr zu haben, als einen blutigen, und wenn die Bitterkeit in meinem Herzen anschwoll, daß es fast brechen wollte, und ich daran war, der Vorsehung zu fluchen und zu sterben, stand dieses sanfte, liebevolle Mädchen mir zur Seite, um das Feuer zu zerdrücken, das mich verzehrte, und die Bande des Lebens enger zu knüpfen, bis ihre Liebe und ihre Unschuld mich geneigt machten, das Leben selbst unter einer schwereren Last, als diese zu tragen. Ihr stammt aus einem geehrten Geschlecht, Landvogt, und versteht wenig von unsern meisten Leiden, aber Ihr seid ein Mann und müßt wissen, was es heißt, in einem andern gekränkt zu sein, und zwar in einem, das Euch theurer ist als Euer eigenes Fleisch.«

»Deine Worte sind stark, gute Margarethe,« fiel der Landvogt wieder ein, der eine Unbehaglichkeit fühlte, von welcher er gern befreit gewesen wäre. »Himmel, wer kann irgend etwas mehr lieben als sein eigenes Fleisch? Ueberdieß solltest du dich erinnern, daß ich ein Junggeselle bin, und Junggesellen fühlen wohl natürlich mehr für ihr eigenes Fleisch, als für das Anderer. Stelle dich zur Seite und laß den Zug vorüber, damit wir zu dem Mahle kommen, das unsrer wartet. Wenn Jacques Colis nichts von dem Mädchen wissen will, so kann ich ihn nicht zwingen. Verdopple die Morgengabe, gutes Weib, und trotz des Beiles und des Schwertes, die du in deinem Wappen führst, wirst du einen Gatten für dein Kind wählen können, wie du ihn nur willst. Laßt die Hellebardiere diesen wackern Leuten hier Platz machen, welche mindestens Vollstrecker des Gesetzes sind, und geschützt werden müssen, wie wir selbst.«

Die Diener traten vor und die Menge machte willig Raum; das nutzlose Geleite der Dorfhochzeit und der Zug Hymens, das Lächerliche fühlend, das sich in doppeltem Grade an die Thorheit knüpft, wenn es ihr mißlingt, auch nur ihre Abgeschmacktheiten durchzusetzen, war nach wenigen Minuten verschwunden.



 << zurück weiter >>