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Achtes Kapitel.

Laßt keinen frechen Spötter tadeln
Der Schöpfung Weisheit, als sei etwas da,
Das nutzlos oder nicht zu hohen Zwecken.

Thomson.

So lange wir die Kraft haben zu kämpfen, ist die Hoffnung das letzte Gefühl, das den menschlichen Geist verläßt. Der Mensch ist mit jedem Grade von Muth begabt, von der ruhigen Kraft des Nachdenkens, die durch physische Tüchtigkeit noch wirksamer gemacht wird, bis zur tollen Uebereilung des sorglosen Geistes, von der Entschlossenheit, die um so gewichtiger und achtungswerther wird, je größer die Gelegenheit ist, sie zu bethätigen, bis zu den fürchterlichen und schlechtgeleiteten Kräften der Verzweiflung. Aber keine Feder gibt dem Leser ein richtiges Bild von der Kälte, die das Herz durchschauert, wenn der Zufall uns plötzlich und unvorbereitet der Hülfsquellen beraubt, denen wir zu vertrauen gewöhnt waren. Der Seemann ohne seinen Cours oder Compaß verliert seine Kühnheit und Besonnenheit, obschon die augenblickliche Gefahr dadurch nicht vergrößert wird; der Soldat wird fliehen, wenn man ihn seiner Waffen beraubt, und der Jäger unserer ausgedehnten Waldungen, der seine Landmarken verloren hat, wird aus dem kühnen und entschlossenen Feind der Bewohner derselben in einen ängstlichen, zaghaften Flüchtling umgewandelt, der bange nach Mitteln umschaut, sich zurückzuziehen. Kurz, wenn die gewöhnlichen Ideenverbindungen des Geistes rauh und plötzlich gestört werden, müssen wir fühlen, daß die Vernunft, welche uns so weit über die Thiere erhebt, daß sie den Menschen zu ihrem Herrn und Gebieter macht, eine minder schätzbare Eigenschaft wird, als der Instinkt, sobald das verbindende Glied in ihrer Kette von Ursachen und Wirkungen zerrissen ist.

Nur eine natürliche Folge seiner größern Erfahrung ließ Pierre Dumont die Schrecken ihrer gegenwärtigen Lage weit besser einsehen, als irgend einen seiner Gefährten. Es war zwar noch hell genug, um ihn in den Stand zu setzen, seinen Weg über die Felsen und Steine zu suchen, allein er hatte Erfahrung genug, um zu wissen, daß weniger Gefahr dabei sei, auf derselben Stelle zu bleiben, als umherzutappen, denn während nur Eine Richtung gegen die Zuflucht führte, entfernten alle übrigen sie nur weiter von dem Orte, welcher nun ihre einzige Hoffnung war. Andererseits schienen wenige Minuten dieser bittern Kälte und dieses scharfen Windes hinreichend, den Lebensstrom des schwächern Theiles derer, die seiner Sorgfalt anvertraut waren, zu erstarren.

»Weißt du einen Rath zu geben?« fragte Melchior von Willading, indem er Adelheid an seine Brust schloß und seinen weiten Mantel um sie schlug, und so mit der Zärtlichkeit eines Vaters ihr einen Theil der schwachen Wärme mittheilte, welche sein bejahrter Körper noch einschloß. – »Fällt dir nichts ein, das in dieser schrecklichen Noth gethan werden könnte?«

»Wenn die guten Mönche thätig gewesen sind,« – versetzte der Führer zögernd, – »ich fürchte nur, die Hunde sind in dieser Jahreszeit noch nicht auf die Wege eingeübt.«

»Ist es also dahin gekommen! Hängt unser Leben wirklich von dieser Thiere unzuverlässiger Klugheit ab?«

»Mein Herr, ich würde die Jungfrau und ihren heiligen Sohn segnen, wenn dem so wäre! Aber ich fürchte, dieser Sturm kam so rasch und unerwartet, daß wir auf ihre Hülfe nicht rechnen können.«

Melchior seufzte. Er schloß sein Kind enger an sein Herz, während der kräftige Sigismund seine hinfällige Schwester schirmte, wie der Vogel seine Jungen mit seinen Schwingen bedeckt.

»Zaudern ist sicherer Tod,« sagte Signor Grimaldi. »Ich habe von Maulthiertreibern gehört, die sich genöthigt sahen, ihre Thiere zu tödten, um in ihrer Haut Schutz und Wärme zu finden.«

»Die Wahl ist schrecklich,« fiel Sigismund ein. »Ist die Rückkehr unmöglich? Da der Weg stets bergab führt, müßten wir das Dorf unten bald erreichen.«

»Die Zeit, welche wir dazu brauchten, könnte verhängnißvoll werden,« antwortete Pierre. »Ich kenne nur eine Auskunft, die uns noch bleibt. Wenn die Gesellschaft beisammen bleiben und meinem Rufe antworten will, werde ich noch einmal den Weg aufzuspüren suchen.«

Dieser Vorschlag wurde freudig angenommen, denn Thatkraft und Hoffnung gehen Hand in Hand, und der Führer war im Begriff, die Gruppe zu verlassen, als er Sigismund's starke Hand an seinem Arme fühlte.

»Ich werde dich begleiten,« sagte der Krieger fest.

»Ihr laßt mir nicht Gerechtigkeit widerfahren, junger Mann,« antwortete Pierre in einem vorwurfsvollen Tone. »Wenn ich verworfen genug gewesen wäre, mein übernommenes Amt zu verlassen, so würden diese Glieder und diese Kraft hingereicht haben, mich wohlbehalten den Berg hinab zu bringen; aber obschon der Frost einen Alpenführer eben so gut schütteln mag, wie einen andern Menschen, wird er doch den letzten Tropfen seines Herzens denen weihen, welchen er dient.«

»Vergib, braver alter Mann – vergib! und dennoch werde ich dich begleiten; das Suchen von zweien verspricht den gewünschten Erfolg eher, als wenn du allein gehst.«

Der gekränkte Pierre, dem des jungen Mannes Muth eben so sehr gefiel, als ihm dessen Argwohn mißfallen hatte, nahm die Abbitte offen hin. Er streckte seine Hand aus und vergaß der Gefühle, die, selbst inmitten der Stürme dieses wilden Gebirgs, durch ein solches Mißtrauen an seiner Ehrlichkeit geweckt worden waren. Als dem immer brennenden, obgleich gedämpften Vulkan der menschlichen Leidenschaft dieser kurze Ausbruch zugestanden worden, verließen sie die Gesellschaft mit einander, um einen letzten Versuch zu machen, den Weg aufzufinden.

Der Schnee war jetzt mehrere Zoll hoch und da der Weg höchstens nur ein Saumpfad war, den man am Tage kaum vor dem Getrümmer der Felsschluchten unterschied, würde das Unternehmen ganz hoffnungslos gewesen sein, hätte Pierre nicht gewußt, daß es noch möglich sei, irgend eine Spur der vielen Maulthiere aufzufinden, welche täglich den Berg auf und niedergingen. Der Führer rief den Maulthiertreibern zu, welche auf seinen Ruf jede Minute antworteten, denn so lange sie sich gegenseitig hören konnten, war keine Besorgniß zu hegen, daß sie gänzlich getrennt würden. Aber bei dem dumpfen Brüllen des Windes und dem steten Toben des Sturmes war es weder räthlich noch möglich, sich weit zu entfernen. Sie stiegen mehrere Felsenhöcker auf und ab und kamen an einen rieselnden Bach, allein von der Spur des Pfades war nichts zu gewahren. Mit der abnehmenden Wärme seines Körpers begann Pierre's Herz muthlos zu werden und der kräftige alte Mann, den seine Verantwortlichkeit überwältigte, und dessen umschweifende Gedanken sich wider seinen Willen denen zuwandten, welche er in seiner Hütte am Fuße des Gebirgs zurückgelassen hatte, überließ sich zuletzt ganz seinem Schmerze, rang die Hände, weinte und rief Gott laut um Beistand an. Dieser schreckliche Beweis ihrer äußersten Noth regte Sigismund's Gefühle auf, bis sie fast zum Wahnsinn gesteigert waren. Seine große physische Kraft hielt ihn noch aufrecht und in einem Anfall tollen Ungestüms stürzte er vorwärts in den Wirbel von Schnee und Hagel, als sei er entschlossen, alle der Vorsehung Gottes zu überlassen, und verschwand vor den Augen seines Gefährten. Dieser Vorfall brachte den Führer wieder zu sich. Er rief dem gedankenlosen jungen Manne eifrig zurückzukehren, keine Antwort erfolgte und Pierre eilte zu der regungslosen und vor Frost zitternden Gesellschaft zurück, um alle ihre Stimmen zu vereinigen, damit Sigismund sie höre. Ruf erscholl auf Ruf, aber nur das rauhe Brüllen des Sturmes antwortete ihren Stimmen.

»Sigismund! Sigismund!« rief einer nach dem andern, in eiliger und banger Reihenfolge.

»Der edle Knabe ist unwiederbringlich verloren!« rief Signor Grimaldi in Verzweiflung, denn die Dienste, welche der Jüngling ihm bereits geleistet hatte, und seine männlichen Eigenschaften hatten ihn seinem Herzen unmerklich theurer gemacht. – »Er wird eines elenden Todes sterben, und den Trost nicht haben, das Schicksal seiner Leidensgenossen zu theilen.«

Ein Ruf Sigismund's wirbelte vorüber, als sei der Ton dem Sturme einverleibt.

»Ewiger Beherrscher der Welt, das ist nur deine Barmherzigkeit!« rief Melchior von Willading aus, »er hat den Pfad gefunden!«

»Und Preis dir, Maria – Mutter des Herrn!« murmelte der Italiener.

In diesem Augenblicke kam ein Hund springend und bellend durch den Schnee. Er schnüffelte sogleich wimmernd an den frosterstarrten Reisenden. Die Ausrufung der Freude und des Staunens waren kaum aus ihrem Munde, als Sigismund, von einem Andern begleitet, zur Gesellschaft trat.

»Ehre und Dank den guten Augustinern!« rief der frohe Führer: »dies ist dritte Dienst dieser Art, den ich ihnen schulde.«

»Ich wollte, es wäre wahr, ehrlicher Pierre,« antwortete der Fremde. »Aber Maso und Nettuno sind in einem Sturme, wie dieser, schlechte Stellvertreter der Knechte und Thiere des St. Bernhard. Ich bin ein Reisender und verirrt, wie ihr, und meine Gegenwart bringt wenig andern Trost, als den, welcher bekanntlich die Frucht der Gesellschaft im Unglück ist. Die Heiligen haben mich zum zweiten Male in eure Gesellschaft gebracht, während es sich um Leben oder Tod handelt.«

Maso machte diese letzte Bemerkung, als er, sich der Gruppe nähernd, im Stande war, bei dem schwachen Lichtschein sich zu überzeugen, mit wem er hier zusammentraf.

»Wenn du uns so nützlich werden kannst, wie du es schon gewesen bist,« antwortete der Genueser, »so wird es um so besser für uns Alle sein, dich eingeschlossen; besinne dich schnell auf deine Hülfsmittel, und du sollst einen gleichen Theil an Allem haben, was eine freigebige Vorsehung mir gegeben hat.«

Il Maledetto hörte selten die Stimme des Signor Grimaldi ohne eine Art Theilnahme und Neugierde, welche, wie bereits erwähnt, dem letztern selbst oft aufgefallen war, welche er aber dem ganz natürlichen Umstande beimaß, daß seine Person einem Manne bekannt sein müsse, der sich selbst einen Eingebornen von Genua genannt hatte. Auch in diesem schrecklichen Augenblick war diese Theilnahme bemerklich, und der Greis, der dies für ein günstiges Zeichen nahm, erneuerte die bereits zurückgewiesenen Anerbietungen reicher Belohnung, um einen Eifer anzufeuern, der, wie er mit ziemlichem Grund erwartete, durch die Hoffnung einer wesentlichen Vergeltung am ersten geweckt werden konnte.

»Wenn es sich hier darum handelte, edler Signore,« antwortete Maso, »ein Schiff zu lenken, oder ein Fahrzeug, von welchem Bau oder von welcher Takelage es sein mag, zu handhaben, in Kühlte, Bö, Orkan oder Windstille bei Brandungen, – so würde meine Geschicklichkeit und Erfahrung wohl in Anschlag zu bringen sein; aber wenn man den Unterschied unserer Kraft und Kühnheit bei Seite setzt, ist selbst diese Lilie, welche die Kälte zu verderben droht, nicht hülfloser, als ich es in diesem Augenblicke bin. Ich bin nicht besser daran, als ihr selbst, Signori, und obgleich vielleicht mit dem Bergsteigen vertrauter, muß ich wegen meiner Rettung der Gunst der Heiligen vertrauen, oder mein Leben wird im Schnee endigen, statt in der Widersee Die Welle oder See, die, nachdem sie gegen das Ufer oder die Klippe geschlagen, wieder seewärts zurück rollt. Uebers. eines Strandes, wie es bis jetzt immer mein Loos zu werden schien.«

»Aber der Hund – dein trefflicher Hund!«

»Ach Eccellenza, Nettuno ist hier nur ein unnützes Thier! Gott hat ihm einen dichteren Mantel und ein wärmeres Kleid gegeben, als uns Christen, aber selbst dieser Vortheil wird sich bald als ein Unglück für meinen Freund bewähren. Das lange Haar, das er trägt, wird bald von Eiszapfen starren und seine Bewegungen aufhalten, wenn der Schnee tiefer wird. Die Hunde des St. Bernhard sind glatter, haben gestreckte Glieder, eine bessere Witterung und sind überdies auf die Wege abgerichtet.«

Ein furchtbarer Ruf Sigismund's unterbrach Maso; als der junge Mann bemerkt hatte, daß sein zufälliges Zusammentreffen mit dem Seemann keine unmittelbare Vortheile zu versprechen schien, hatte er, von Pierre und einem seiner Gehülfen begleitet, seine Nachforschungen sogleich erneuert. Der Führer und der Maulthiertreiber erwiederten den Ruf und dann sah man Alle, mit einem großen Hunde voran, durch den Schnee daher eilen. Nettuno, der sich mit seinem buschigen Schweif zwischen den Beinen niedergekauert hatte, bellte, schien mit neuem Muth sich zu erheben und sprang dann mit sichtbarer Freude und Wohlwollen auf den Rücken seines alten Gegners Uberto.

Der Hund von St. Bernhard war allein. Aber seine Miene und alle seine Bewegungen waren die eines Thieres, dessen Bewußtsein so hoch gesteigert war, als die Grenzen, welche die Natur dem Verstande eines Thieres gesetzt hat, nur erlauben. Er lief von Einem zu dem Andern, rieb seine glatte und feiste Seite an den Gliedern eines Jeden, wedelte mit dem Schweife und gab die gewöhnlichen Zeichen, welche Thiere seiner Gattung sehen lassen, wenn ihr Instinct am regsten ist. Glücklicherweise hatte er einen guten Dolmetscher seines Willens in dem Führer, der den Charakter und, wenn man sich so ausdrücken darf, die Absichten des Thieres kannte und fühlte, daß kein Augenblick zu verlieren war, wenn die schwächeren Mitglieder der Gesellschaft erhalten werden sollten, und daher die andern bat, die nöthigen Anstalten zu beschleunigen, um von diesem glücklichen Zufalle Nutzen zu ziehen. Die Frauen wurden wie vorher geführt, die Maulthiere an einander gebunden und Pierre stellte sich an die Spitze, rief dem Hunde freudig zu und ermuthigte ihn, den Weg zu zeigen.

»Ist es auch klug, sich der Leitung dieses Thieres so unbedingt anzuvertrauen?« fragte Signor Grimaldi ein wenig zweifelhaft, als er die Anstalten bemerkte, von welcher bei der zunehmenden Dunkelheit und der gesteigerten Kälte, wie selbst ein so wenig wie er an die Berge Gewöhnter einsah, das Leben der ganzen Gesellschaft abhing.

»Vertraut immerhin dem alten Uberto, Signor,« antwortete Pierre weitereilend, denn an ein ferneres Zaudern war nicht zu denken – »vertraut immerhin der Treue und der Klugheit des Hundes. Die Knechte des Klosters richten diese Thiere so ab, daß sie die Pfade kennen und verfolgen, selbst wenn der Schnee sie klafterhoch bedeckt. Gott hat ihnen, wie es mir oft schien, ganz besonders zu diesem Zweck kühnen Muth, lange Glieder und kurzes Haar gegeben, und sie wenden diese Gaben edel an. Ich bin mit ihrer ganzen Weise bekannt, denn wir Führer lernen gewöhnlich die Wege des St. Bernhard kennen, indem wir zuerst den Schlüsselmeistern des Klosters dienen, und manchen Tag bin ich mit einem Paar dieser Thiere, welche zu diesem Zwecke abgerichtet wurden, diese Felsen aufs und niedergestiegen. Uberto's Vater und Mutter waren meine Lieblingsgefährten und ihr Sohn wird einen alten Freund der Familie schwerlich täuschen.«

Die Reisenden folgten ihrem neuen Führer mit mehr Vertrauen, obschon blindlings. Uberto schien seinen Dienst mit der Besonnenheit und Stetigkeit zu verrichten, der seinen Jahren angemessen war, und welche die Umstände, in denen sie sich befanden, freilich sehr nothwendig machten. Statt voraus zu springen und sich aus den Augen zu verlieren, wie dies wahrscheinlich bei einem jüngern Thiere der Fall gewesen wäre, hielt das edle und halbdenkende Thier einen Schritt, welcher zu dem langsamen Gange derer, welche die Frauen führten, paßte, und stand gelegentlich still, um zurück zu schauen, als wollte er sich versichern, daß Niemand verloren sei.

Die Hunde des St. Bernhard werden, oder wie man vielleicht richtiger sagt, wurden – denn die alte Race, behauptet man, sei ausgegangen – wegen ihrer Größe, ihrer Stärke und der Kürze ihrer Haare gewählt, wie so eben von Pierre angegeben worden; die erstere war nothwendig, wenn sie die Hülfe leisten sollten, welche man oft von ihnen forderte, so wie um den Mühseligkeiten des Gebirgs gewachsen zu sein, und die beiden letztern, damit sie durch den Schnee waten und dessen Einfluß widerstehen konnten. Ihre Zucht machte sie mit den Menschen bekannt und flößte ihnen Anhänglichkeit gegen dieselben ein; sie wurden gelehrt, die Wege zu kennen und denselben bei jeder Gelegenheit zu folgen, ausgenommen wenn ein höherer Grad ihres Instincts in Anspruch genommen ward, und diejenigen aufzuspüren, welche von Lawinen verschüttet waren, und bei dem Ausgraben derselben behülflich zu sein. In allen diesen Pflichten war Uberto so lange geübt, daß er allgemein als das klügste und treuste Thier des Berges bekannt war. Pierre folgte seinen Tritten mit desto größerer Zuversicht, da er mit dem Charakter des Hundes vollkommen bekannt war. Als er daher das Thier sich in einem rechten Winkel von der bisher eingehaltenen Richtung abwenden sah, ahmte der Führer, als er die Stelle erreichte, seinem Beispiel nach, scharrte erst den Schnee auseinander, um sich von der Wahrheit zu überzeugen, und verkündete dann denen, die ihm folgten, freudig, der verlorne Pfad sei wiedergefunden. Diese Nachricht klang wie Rettung vom Tode, obgleich die Gebirgsbewohner wohl wußten, daß noch mehr als eine Stunde peinlicher und mühevoller werdender Anstrengung nöthig war, um das Hospiz zu erreichen. Das erstarrte Blut der zarten Wesen, welche fast in den schrecklichen Schlaf, der der Vorbote des Todes ist, versanken, rollte wieder lebendig in ihren Adern, als sie den Freuderuf hörten, welchen alle männlichen Reisegenossen unwillkührlich bei dieser erfreulichen Nachricht hören ließen.

Die Bewegung wurde nun schneller, obgleich ungemein schwierig wegen des steten Tobens des Sturmes und wegen des Einflusses der beißenden Kälte, der auch die Stärksten in der Gesellschaft nur mit Mühe widerstanden. Sigismund seufzte, als er sich dachte, wie Adelheid und seine Schwester einem Wetter ausgesetzt seien, welches die kräftigste Gestalt und das kühnste Herz unter ihnen erschütterte. Er umschlang die letztere mit seinem Arm, sie eher entlang tragend als führend, denn der junge Krieger hatte hinlängliche Kenntniß von den Oertlichkeiten des Berges, um zu wissen, daß sie noch in einer furchtbaren Entfernung von dem Col sich befanden, und daß Christinens Kraft der Aufgabe, denselben ohne Stütze zu erreichen, durchaus nicht gewachsen war.

Nettuno hielt sich an Uberto's Seite, und Pierre sprach dann und wann zu den Hunden, um eine Trennung zu verhüten, da die Dunkelheit so zugenommen hatte, daß man nur die nächsten Gegenstände erkannte, und der Pfad ohne stetes Suchen nicht mehr zu unterscheiden war. So oft Uberto's Name genannt wurde, stand das Thier still, wedelte mit seinem Schweife oder gab ein anderes Zeichen des Verständnisses, als wollte er die Gesellschaft seiner Klugheit und Treue versichern. Nach einem dieser kurzen Halte weigerte sich der alte Uberto und sein Gefährte wieder alles Erwarten, weiter zu gehen. Der Führer, die zwei Edeln und zuletzt der ganze Zug umgaben sie, und kein Ruf, keine Ermuthigung der Gebirgsbewohner konnte die Hunde bewegen, den Platz zu verlassen.

»Haben wir uns noch einmal verirrt?« fragte der Freiherr von Willading, Adelheid fester an sein klopfendes Herz drückend: »hat Gott uns nun verlassen? meine Tochter – mein geliebtes Kind!«

Dieser rührende Ausruf wurde durch ein Geheul von Uberto beantwortet, der toll dahin sprang und verschwand. Nettuno folgte, wild und laut bellend. Pierre zögerte nicht zu folgen und Sigismund, der glaubte, der Führer wolle die Flucht der Hunde hindern, war ihm schnell auf den Fersen. Maso bewegte sich mit größerer Besonnenheit weiter.

»Nettuno läßt diesen Laut nicht hören, wenn er blos Hagel, Schnee und Wind in den Nüstern hat;« sagte der bedachtsame Italiener. »Wir sind entweder einer Gesellschaft Reisender nahe, denn ich weiß, daß solche auf dem Gebirge sind –«

»Gott bewahre! weißt du das gewiß?« fragte Signore Grimaldi, der bemerkte, daß der Andere plötzlich eingehalten hatte.

»Ich weiß, daß andere da waren, Signore,« erwiederte der Seemann langsam, als ob er jedes Wort genau überlegte. »Ha, hier kommt das treue Thier und Pierre und der Hauptmann mit ihren Nachrichten, mögen sie nun gut oder schlimm sein.«

Die zwei eben Genannten traten zu der Gesellschaft, als Maso zu reden aufhörte. Sie unterrichteten die zitternden Reisenden, daß die so sehr ersehnte Zuflucht in der Nähe sei und daß nur die Dunkelheit und der treibende Schnee es verhindere, sie zu sehen.

»Es war ein glücklicher Gedanke – ein Gedanke, der von dem heiligen Augustinus selbst kam, – daß die frommen Mönche diesen Zufluchtsort erbauten!« rief der frohe Pierre, der es nicht für nöthig erachtete, die Größe der Gefahr, in welcher sie geschwebt hatten, länger zu verhehlen. »Ich möchte es nicht verbürgen, daß ich selbst so viel Kraft besessen hätte, jetzt noch das Hospiz zu erreichen. Ihr gehört der Mutter Kirche an, Signore, da Ihr ein Italiener seid?«

»Ich bin eines ihrer unwürdigen Kinder!« versetzte der Genueser.

»Diese unverdiente Gunst muß der Fürbitte des heiligen Augustinus oder einem Gelübde zugeschrieben werden, welches ich machte, unsrer Frauen von Einsiedeln ein Opfer zu schicken, denn ich habe nie vorher gehört, daß ein St. Bernhards-Hund Reisende in die Zuflucht geführt hätte! Ihr Geschäft besteht darin, die Erfrorenen aufzusuchen und die Reisenden die Pfade entlang zum Hospiz zu führen. Selbst Uberto hatte seine Zweifel, wie Ihr seht; aber das Gelübde wirkte, oder, ich weiß nicht – vielleicht hat es auch die Fürbitte gethan.«

Signor Grimaldi wünschte zu sehr, Adelheid und, die Wahrheit zu sagen, sich selbst unter Obdach zu bringen, statt die Zeit mit der Besprechung des zwistigen Punktes zu vergeuden, welches der beiden Mittel, die gleich rechtgläubig waren, am wirksamsten zu ihrer Rettung beigetragen habe. Er folgte mit den übrigen schweigend dem frommen und vertrauenvollen Pierre, ungesäumt hinter dem gläubigen Führer herschreitend. Der letztere hatte die Zuflucht, wie man diese Orte auf den Alpen-Pässen mit Recht nennt, selbst noch nicht gesehen, aber die Art des Bodens hatte ihn von deren Nähe überzeugt. Als er sich einmal seines Standpunktes vergewissert hatte, stellten sich alle die Oertlichkeiten umher seinem Geiste so vertraut dar, wie der Seemann in der dunkelsten Nacht es nur mit jedem Tau in dem Irrgewinde seiner Takelage sein kann, oder, um uns einer gangbareren Vergleichung zu bedienen, wie sich Jeder in den Windungen seiner Wohnung zurecht findet. Als die zerbrochene Kette der Gedankenverbindung wieder hergestellt und verbunden war, wurde seinem Geiste wieder alles klar, und als der alte Mann diesmal von dem Pfade abging, schritt er dem Punkte, den er suchte, so gerade entgegen, als leuchtete die Mittagssonne seinen Schritten. Man stieg auf einem rauhen aber kurzen Seitenpfade nieder, dann empor und das lange ersehnte Ziel war erreicht.

Wir werden nicht bei den Empfindungen verweilen, mit welchen die Reisenden diesen Ort, der immerhin mindestens Sicherheit bot, betraten. Demuth und Ergebung in Gottes Vorsehung waren die vorherrschenden Empfindungen aller, selbst der rohen Maulthiertreiber; während die beinahe erschöpften Frauen eben im Stande waren, leise ihre Dankbarkeit gegen die ewige Allmacht auszusprechen, welche sie so unerwartet gerettet hatte. Man sah die Zuflucht nicht, bis Pierre seine Hand auf das jetzt vom Schnee weiße Dach legte, und mit lautem, warmem und frommem Dankgebet die Bestimmung des Gebäudes nannte.

»Tretet ein und danket Gott!« sagte er. »Eine hoffnungslose halbe Stunde mehr hätte den Stolz des Stärksten unter uns gedemüthigt – tretet ein und danket Gott!«

Wie alle Gebäude dieser Gegend war auch dieses ganz von Stein, selbst das Dach nicht ausgenommen, und glich einem gewölbten Keller. Es war jedoch ganz trocken, da die Reinheit der Atmosphäre und die gänzliche Abwesenheit lockeren Grundes das Anhäufen von Feuchtigkeiten verhinderte und bot denen, die sich dahin flüchteten, nur den nackten Schutz seiner Wände. Aber ein Obdach war in einer solchen Nacht alles, was man wünschen konnte, und dieses fand sich hier. Das Gebäude bestand blos aus vier Mauern und dem Dache und hatte nur einen Ausgang; allein es war hinreichend geräumig, um eine noch einmal so zahlreiche Gesellschaft aufzunehmen, als die war, welche es jetzt erreicht hatte.

Der Uebergang aus der beißenden Kälte und den schneidenden Winden des Gebirgs zu dem Schutze dieses kunstlosen Gebäudes war so groß, daß er eine gewisse allgemeine Empfindung von Wärme erzeugte. Der Gewinn, welchen dieser Wechsel der Gefühle brachte, wurde durch die Anwendung von Reibung und Stärkmitteln unter Pierre's Leitung verständig erhöht. Uberto trug einen kleinen Vorrath der letztern an seinem Halsband befestigt, und noch war keine halbe Stunde verflossen, so waren Adelheid und Christine Seite an Seite sanft entschlafen, in eine Fülle der unbenutzten Kleider eingehüllt, zu ihren Häuptern die Sattel und Schabracken der Maulthiere als Kissen. Die Thiere wurden in die Zuflucht gebracht, und da keine Reisegesellschaft den St. Bernhard bestieg, ohne das nöthige Futter für ihre Saumthiere mitzunehmen, indem diese unfruchtbare Gegend dergleichen nicht hervorbrachte und selbst das Brennholz Stundenweit auf dem Rücken der Maulthiere herbeigebracht werden mußte, so fanden auch diese geduldigen und muthvollen Thiere nach den Mühen und Widerwärtigkeiten des Tages eine Erquickung. Die Gegenwart so vieler lebenden Geschöpfe in einem so beschränkten Raum half die Wärme erhöhen, und nachdem alle an dem magern Mahle, für welches die Vorsicht des Führers gesorgt hatte, Theil genommen, sank die ganze Gesellschaft in tiefen Schlaf.



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