Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Und unterm Antlitz, Sommerträumen gleich,
Sind regungslos die Lippen, klar die Wangen –
Indeß im Herz ein Sturmwind schläft von Stolz.
Haß, Liebe, Leid und Hoffen – nur kein Bangen

Hallek.

 

Das einzige Auffallende, was zugleich mit dem hohen Alter des Indianers und des Negers in Verbindung stand, war der Umstand, daß sie fast ein Jahrhundert mit einander in Abenteuern und Freundschaft verlebt hatten. Ich sage, Freundschaft, denn der Ausdruck ist durchaus nicht unpassend zu Bezeichnung des Gefühls, welches die beiden Greise aneinander fesselte, obschon ihre Charaktere so himmelweit verschieden waren. Während der Indianer alle die hohen, männlichen Eigenschaften eines Kriegers aus den Wäldern oder eines Häuptlinges besaß, der nie einen Größeren über sich anerkannt hatte, barg der andere nothwendig viele von den Tücken eines sklavischen Zustandes, die bitteren Folgen der Herabwürdigung seiner Kaste, in sich. Zum Glück waren Beide sehr mäßig – eine Tugend, die man bei den Rothhäuten, wenn sie unter den Weißen wohnen, nicht gerade alle Tage, obschon viel häufiger als bei den Schwarzen trifft. Susquesus war übrigens ein geborner Onondago – der Abkömmling eines Stammes, der sich durch seine Nüchternheit auszeichnet – und hatte sein ganzes Leben über nie ein berauschendes Getränk gekostet, während Jaaf im Allgemeinen zwar sehr enthaltsam lebte, in der Vorliebe für scharfen Cyder aber ein eingefleischter »Nigger« war. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß diese beiden betagten Ueberbleibsel einer vergangenen Zeit und einer fast vergessenen Generation ihre Gesundheit und Kraft nur ihrer Mäßigkeit verdankten, welche ihren ohnehin zähen Lebensfaden noch mehr kräftigte.

Ich war stets der Ansicht, Jaaf müsse ein wenig älter sein, als der Indianer, obschon der Unterschied keinesfalls viel ausmachen konnte. So viel ließ sich wenigstens nicht in Abrede ziehen, der rothe Mann besaß bei weitem die größere Körperkraft, trotz dem, daß er sie seit fünfzig Jahren nicht im mindesten geübt und angestrengt hatte. Susquesus war nie ein Freund der Arbeit gewesen und hatte sich auch – im gewöhnlichen Sinn dieses Ausdrucks – nie damit abgegeben, weil er sie nicht mit der Würde eines Kriegers in Einklang bringen konnte; auch ließ ich mir sagen, daß er selbst in der Blüthe seiner Jahre nur durch die äußerste Noth dazu vermocht werden konnte, etwas anzupflanzen oder eine Haue in die Hand zu nehmen. So lange der endlose Wald den Hirsch, das Musethier, den Biber, den Bären und andere Thiere barg, welche dem Indianer Nahrungsstoff boten, kümmerte er sich wenig um die Früchte der Erde, wenn sie die Natur nicht von selbst hervorbrachte, und die Jagd war die letzte regelmäßige Beschäftigung, welche der alte Mann aufgab.

Nachdem er bereits hundert Winter gesehen hatte, führte er noch immer die Büchse bei sich und streifte noch kräftig genug durch die Wälder; aber das Wild war unter dem fortwährenden Lichten des Grundes aus der Gegend gewichen, da zuletzt von dem Urwald nichts mehr übrig geblieben war, als der bereits erwähnte Strich, den ich mir vorbehalten hatte, und die Nutzungsgehölze, die fast jeder amerikanischen Farm beigegeben sind, und der Landschaft eine Abwechslung und Schönheit verleihen, welche man gewöhnlich in den Ländern der alten Welt vermißt. Diese Eigenthümlichkeit ist's, welche den verschiedenen Gegenden unserer Republik – ich kann wohl sagen – durchgängig den Charakter einer Parklandschaft verleiht, sobald man sie aus zureichender Entfernung betrachtet, so daß die Gebrechen eines Mangels an Vollendung und die roheren Beigaben der Feldwirthschaft verschwinden.

Bei Jaaf verhielt sich die Sache, obschon er den Wald und das Waldleben sehr lieb gewonnen hatte, in vielfacher Beziehung anders. Von Kindheit auf an Arbeit gewöhnt, ließ er sich selbst in seinem ungemein hohen Alter nicht davon zurückhalten, und er schleppte täglich die Haue, die Axt oder den Spaten umher, nachdem er schon viele Jahre keines dieser Werkzeuge mehr mit der erforderlichen Kraft zu handhaben vermochte. Das Wenige, was er in dieser Weise ausrichtete, geschah nicht sowohl, um sich der Gedanken zu entschlagen, da er sich mit diesen nie den Kopf zerbrach, sondern war blos Folge der Gewohnheit und des Wunsches, stets Jaaf zu bleiben und die Rolle seines früheren Lebens fortzuspielen.

Es thut mir leid, sagen zu müssen, daß keiner von diesen beiden Männern je eine wesentliche Kenntniß von den Wahrheiten des Christenthums besaß oder irgend eine erkennbare Hinneigung an dieselben kund gab. Vor hundert Jahren war auf den Schwarzen wenig geistige Pflege verwendet worden, und die Schwierigkeit, in diesem Punkte auf den Indianer einen Eindruck zu machen, ist geschichtlich geworden. Vielleicht kann man sich noch den besten Erfolg versprechen, wenn ein frommer Missionär bis in die abgelegenen Dörfer dringt und seine Lehre fern von der jämmerlichen Beleuchtung ihrer Wirkungen ausstreut, die sogar ein ganz gelegentlicher Beobachter an den Wohnplätzen der civilisirten Menschen zu erkennen im Stande ist. Daß das Christenthum einen tiefen und wohlthuenden Einfluß auf unseren gesellschaftlichen Zustand ausübt, kann nicht bezweifelt werden; aber wer auch nur oberflächlich mit den sogenannten christlichen Nationen bekannt ist und den Wirkungen dieses Einflusses nachspüren will, trifft auf so viele widersprechende Belege, daß man sich stark versucht fühlt, an der Wahrheit von Dogmen zu zweifeln, die so wenig Macht zu besitzen scheinen. Wohl möglich, daß es Susquesus eben so erging, denn er hatte in früherer Zeit ausschließlich im Verkehr mit den Blaßgesichtern gelebt und sich in den Flanken der Armeen oder unter Jägern, Feldmessern, Boten und Kundschaftern umgetrieben – Lebensstellungen, die nicht sonderlich geeignet sind, hohe Ansichten von moralischer Bildung zu erzeugen. Gleichwohl waren viele ernste und anhaltende Versuche gemacht worden, in dem betagten Indianer einige Vorstellungen von dem künftigen Zustand eines Blaßgesichts zu erwecken und ihn zu bereden, daß er sich taufen lasse. Namentlich hatte meine Großmutter ein halbes Jahrhundert lang stets auf dieses Ziel hingearbeitet, aber ohne Erfolg. Die verschiedene Geistlichkeit aller Bekenntnisse hatte ihm in derselben Absicht mehr oder weniger Aufmerksamkeit erwiesen, aber auch ihre Anstrengungen hatten eben so geringe Resultate zur Folge. Unter Andern war namentlich Mr. Warren in diesem Theil seiner Pflicht nicht säumig gewesen; indeß schlugen seine Bemühungen so gut fehl, wie die seiner Vorgänger. Wie auffallend es auch Manchen scheinen mag, obschon ich für meine Person nichts Befremdliches darin sehen kann, so hatte sich auch Mary Warren diesem wohlwollenden Plane mit warmem Eifer und inniger Theilnahme angeschlossen, und zwar so, daß in Aussicht stand, sie werde mehr erzielen als Diejenigen, welche sich so viele Jahre mit dem nämlichen frommen Dienste abgegeben hatten, auch nur zu hoffen wagten. Sie pflegte häufig die Hütte zu besuchen, und ich erfuhr an jenem Morgen von Patt, obgleich Mary selbst nie über den Gegenstand spreche, hatten doch Andere genug gesehen, um es über allen Zweifel zu erheben, daß ihr frommer Sinn und ihre Gebete wenigstens einigermaßen das marmorartige Herz des Fährtelosen gerührt hätten.

In Betreff Jaaf's ist's vielleicht möglich, daß es sein Unglück war, der Sklave einer Familie zu sein, die der bischöflichen Kirche angehörte – einer Sekte, die es in ihrem religiösen Ritus mit reinen, gemäßigten Formen hält und so wenig von Uebertreibung wissen will, daß sie oft in den Augen Derjenigen, welche Aufregung suchen und unter einer ruhigen Fassung sich keinen lebendigen Glauben denken können, als kalt erscheint. »Eure Geistlichen sind nicht im Stande unter dem Volk Bekehrungen zu veranlassen,« sagte mir erst kürzlich ein schwärmerischer Priester, der einem andern Glaubensbekenntniß zugethan war. »Sie können nicht unter das Gesträuch und unter die Dornen gehen, ohne ihre Kirchenröcke und ihre Ueberschläge zu zerreißen.« Hierin mag einige Wahrheit liegen, obschon das Hinderniß eher auf Seite der zu Bekehrenden, als auf der der Missionäre zu suchen ist. Ein gemeiner Sinn liebt rohe Aufregung und meint, daß eine tiefe geistige Empfänglichkeit nothwendig auch eine gewaltige physische Mitleidenschaft erwecken müsse. Für Solche reicht es nicht zu, daß man blos seufze, stöhne und wehklage, sondern diese Akte müssen sich in dramatischer und auffallender Form vor den Menschen hörbar machen, damit sie wohlgefällig werden in den Augen Gottes. Soviel ist übrigens jedenfalls gewiß, daß dergleichen Uebungen, wie sehr auch Vernunft, Erziehung, guter Geschmack und eine gesunde Auffassung der christlichen Verpflichtungen dawider sein mögen, ihre Wirkung, wenn man sie auch nicht eben die beste nennen kann, unter den Unwissenden und Rohen nicht verfehlen. Vielleicht hätte sich auch ein ähnlicher Einfluß bei Jaaf geltend gemacht, wenn dieser zu einer Zeit, in welcher er derartigen Aufregungen zugänglich war, in die Hände eines schwärmerischen Methodisten gefallen wäre; jetzt aber war natürlich etwas Aehnliches nicht mehr zu hoffen, denn er schien in der That Alles überlebt zu haben, nur die Erinnerung an die Personen und an die Dinge nicht, die ihm während seiner Jugend theuer gewesen.

Als Mann in der höheren Bedeutung des Worts war, wie der Leser sich entsinnen wird, Susquesus dem Schwarzen stets unendlich überlegen gewesen. Jaaf's Einsicht hatte unter dem Fluch gelitten, der so allgemein den afrikanischen Geist, wie wir denselben früher unter uns kannten, geschwächt zu haben scheint, während der seines Gefährten stets viel von dem Hochsinn einer großartigen Natur besessen hatte, wenn sie unter dem Einflusse einer ungezügelten, wenn auch wilden Freiheit dem angeborenen Wirken überlassen bleibt.

Dieß waren die Charaktere der beiden außerordentlichen Männer, denen wir nunmehr entgegen gingen. Als wir auf dem Rasen anlangten, kamen sie langsamen Schritts auf die Piazza zu und hatten bereits das Gesträuch erreicht, welches sich unmittelbar um sie herzieht und seine Wohlgerüche bis nach dem Haus entsendet. Der Indianer ging, wie es seinem Charakter und Range ziemte, voran, denn Jaaf hatte seine Jahre und die Nachsicht, die ihm zu Theil wurde, nie so weit mißbraucht, um seine Stellung zu vergessen. Er war als Sklave geboren worden, hatte als Sklave gelebt und wollte als Sklave sterben – dieß noch obendrein dem Emancipationsgesetz zum Trotz, welches ihn thatsächlich freigesprochen, als er noch lange nicht sein hundertstes Jahr erreicht hatte. Man erzählte mir, als mein Vater ihm mittheilte, er und seine Nachkommenschaft, die sehr zahlreich war, seien jetzt frei und könnten hingehen, wohin sie wollten, habe sich der alte Schwarze sehr unzufrieden geberdet. »Wozu dieß Alles gut, Masser Malbone?« brummte er. »Warum Einen nicht gehen lassen? Nigger sein Nigger und weiß Gentlem sein weiß Gentlem. Ich sehe jetzt nix voraus als Schand und Armuth für mein Nachwuchs! Wir hab' immer gewes Gentlem's Nigger, und warum will man uns nicht lassen sein Gentlem's Nigger, so lang als wir mög'? Der alte Sus hab' Freiheit all' sein Leben, und was hat er Gut's damit? Nix, als daß er sein arm' roth' Wilder und kann nie sein was mehr. Wenn er sein könnt' Gentlem's Wilder, sag' ich ihm, das wär' noch was. Aber nein, er zu stolz für das. Gosh, so er nur sein eigener Wilder!«

Der Onondago war im vollem Kostüm, sogar noch prunkhafter als bei Gelegenheit des ersten Besuches von Seiten der Prairieindianer. Die Farbe, die er aufgetragen hatte, verlieh seinen Augen, – die ohne Frage durch das Alter trübe geworden waren, obschon es nicht vermocht hatte, ihr Licht auszulöschen – neues Feuer, und den stolzen und wilden Ausdruck erhöhten ohne Zweifel noch die Furchen der Zeit. Daß die rothe Farbe bei den Indianern Amerika's so beliebt ist, liegt vielleicht eben so sehr im menschlichen Wesen, als die Thatsache, daß unsere Damen von Ziermitteln Gebrauch machen, um die fehlenden Lilien und Rosen nachzuahmen. Auf ein grimmiges Düster hatte es übrigens der Onondago abgesehen, und er setzte einen Ehrgeiz darein, in diesem Augenblicke vor seinen Gästen unter den Farben eines Kriegers zu erscheinen. Daß ich mich über die Medaillen und Wampums, über die Federn, die Decken, die mit bunten Schweinsstacheln verzierten Moccasins und den silberblanken Tomahawk verbreite, ist nicht nöthig, da letzter Zeit so viel über derartige Dinge gesagt, geschrieben und davon gesehen wurde, daß jetzt fast Jedermann weiß, wie sich der nordamerikanische Krieger ausnimmt, wenn er sich in seinem Putze zeigt.

Eben so wenig hatte Jaaf es verabsäumt, einer Feierlichkeit, die vorzugsweise seinem Freunde galt, die gebührende Ehre zu erweisen. Er brummte und brummte zwar den ganzen Tag in einem fort, war aber nichts destoweniger der Auszeichnung eingedenk, welche Susquesus widerfuhr. Es gehört zum Ton der Zeit, das Verschwinden der Rothhäute aus unserer Mitte zu beklagen; ich für meinen Theil aber bin mehr geneigt, zu bedauern, daß uns der »Nigger« verloren gegangen ist. Ich bediene mich dieses Ausdrucks statt des neueren und gezierten »farbigen Mannes,« da ich nur auf diese Weise dem Amerikaner den Begriff beibringen kam, den ich damit verbinde. Das Verschwinden des »Niggers« thut mir leid, – jenes altmodischen, sorglosen, leichtherzigen, arbeitsamen, trägen, schelmischen, ehrlichen, treuen, hinterlistigen, brummenden und starrköpfigen Sklaven, der mitunter zu gar nichts taugte und dann wieder die Stütze mancher Familie war. Namentlich habe ich hiebei den Haussklaven im Auge, welcher sich selbst mit den Interessen, vorzugsweise aber mit der Ehre Derjenigen, denen er diente, identificirte und stets die Rolle eines demüthigen geheimen Raths, bisweilen auch die eines ersten Ministers spielte. In der letzteren Eigenschaft hatte ich zwar Jaaf nie unter uns auftreten sehen, und es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß er bei irgend einem seiner früheren Herren ein derartiges Amt verwaltete: aber er war stets ein mit großer Nachsicht behandelter Diener, und wir hatten uns ganz und gar an ihn gewöhnt, nicht nur, weil er so lange uns seine Dienste geleistet, sondern auch, weil er an mehreren von den wilden Abenteuern, welche unter die Eigenthümlichkeiten der Urbarmachung eines neuen Landes gehören, brav und mannhaft Theil genommen hatte. Aus diesem Grunde erschien er uns mehr in dem Licht eines bescheidenen entfernten Verwandten, als in dem eines Sklaven. Letzteres war er ohnehin seit mehr als achtzig Jahren nicht gewesen, da er diese ganze Zeit im Besitz des unterzeichneten und regelmäßig einregistrirten Freibriefs war, obschon dieser, soweit der Neger dabei in Frage kam, für ihn ein vollkommen todtes Papier blieb.

Das Kostüm Jop Littlepage's, wie dieser Schwarze vertraulich von Allen genannt wurde, die etwas von seinem Dasein kannten – und ich muß hier bemerken, daß sein hohes Alter, wie das des Susquesus, mehr als einer Zeitung Anlaß zur Berichterstattung gab – gehörte der alten »Nigger«-Schule an, wie ich sie nennen möchte. Sein Rock war scharlachroth und hatte Perlmutterknöpfe von der Größe eines halben Dollars; an die himmelblauen Beinkleider schloßen sich blau und weiß gestreifte Strümpfe an; seine Weste war grün, und die Beine hatten keine andere Eigenthümlichkeit an sich, als daß der Ueberrest der Waden vorn am Schienbein saß, der Knochen selber aber sehr nach der Mitte der Sohle hingerückt war, so daß der Fersentheil ungefähr die halbe Länge desjenigen hatte, welcher mit den Zehen in Verbindung stand. Die Schuhe bildeten einen sehr augenfälligen Theil des Anzugs, da ihre Verhältnisse nach Länge und Breite einen Naturforscher kaum hätten errathen lassen, sie könnten für ein menschliches Wesen bestimmt sein. Dagegen zeigte, nach Jaafs eigener Ansicht, der Kopf und der Hut die wahre Glorie seiner Toilette und seiner Person. Was den letzteren betraf, so war er, da er einen Theil von meines Großvaters, des Generals Cornelius Littlepage, Felduniform ausgemacht hatte, mit Borten besetzt, und die Wolle darunter war so weiß, wie der Schnee der Berge. Diese Art, sich zu tragen, ist unter der schwarzen Rasse sowohl, als unter den Weißen längst verschwunden; aber Spuren davon konnte man noch bemerken, als mein Onkel ein Knabe war, namentlich um die Zeit jener eigentlichen Neger-Festlichkeiten, welche man die Pinkster Holidays nannte. Trotz der Ungereimtheit im Anzuge machte Jop Littlepage bei dieser Gelegenheit doch eine sehr achtbare Figur, und natürlich trug das hohe Alter der beiden Männer nicht wenig dazu bei, die Großartigkeit des Tags zu erhöhen.

Wie sehr auch der Neger gewöhnlich zu brummen pflegte, ging doch der Indianer, so oft sie einen Ausgang machten, stets voran. So hatte er es früher auf der Jagd und auf dem Kriegspfad durch den Wald gehalten; so hielt er es bei ihren späteren Ausflügen nach den benachbarten Bergen, oder wenn sie gemeinschaftlich nach dem Dorf hinwandelten, um den militärischen Musterungen und ähnlichen auffallenden Ereignissen anzuwohnen. Ja, er war sogar der Erste, wenn sie ihre täglichen Besuche im Nest machten, und auch jetzt ging er langsam, ruhig und mit zusammengepreßten Lippen ein wenig voraus, während sein leuchtendes Auge wachsam umherstreifte und das für die Last des Alters noch immer sehr edle Gesicht eine wunderbare Fassung behauptete. Jaaf folgte ihm gleichen Schritts, aber doch so ganz anders in Haltung und Aussehen. Sein Gesicht schien kaum mehr menschlich zu sein. Selbst die sonst so glänzend schwarze Farbe seiner Haut war in ein schmutziges mattes Grau übergegangen, während seine Lippen vielleicht den hervorragendsten Zug bildeten. Letztere waren in unablässiger Bewegung, denn der alte Mann ließ, wie in einer Art zweiter Kindheit, seine Kinnbacken arbeiten, als wolle er fühlen, ob die entwickelten Zähne schon durch das Zahnfleisch gebrochen seien. Dieß ging fort, wenn seine Kiefer auch nicht gerade durch das fortwährende Brummen in Thätigkeit gehalten wurden.

Die Häuptlinge aus den Prairien hatten sich noch nicht eingefunden, und als die beiden Greise auf uns zu kamen, gingen wir insgesammt ihnen entgegen. Wir reichten, selbst die Mädchen nicht ausgenommen, Susquesus die Hand und wünschten ihm guten Morgen. Er begrüßte meine Großmutter und verrieth eine lebhafte Gefühlsaufwallung, als er ihr die Hand drückte. Meiner Schwester nickte er in Erwiederung ihrer guten Wünsche freundlich zu, und als ihm Mary Warren ihre Hand darbot, hielt er sie eine Weile in der seinigen, während er zugleich dem Mädchen gedankenvoll in's Gesicht sah. Auch wir Beide, Onkel Ro und ich, wurden begrüßt, und sein Blick haftete lange und angelegentlich auf mir. Gegen die beiden andern Mädchen benahm er sich höflich, obschon man bemerken konnte, daß sie seinem Herzen nicht nahe standen. Für Susquesus hatte man einen Stuhl auf den Rasen heraus gebracht, und er nahm seinen Sitz ein. Was Jaaf betraf, so kam er langsam zu uns heran und nahm seinen schönen Eckenhut ab, schlug es aber ehrerbietig aus, von dem Stuhle, der auch ihm angeboten wurde, Gebrauch zu machen. Er war der letzte Begrüßte gewesen, weshalb er auch jetzt der Erste war, mit welchem meine Großmutter ein Gespräch anknüpfte.

»Es ist recht erfreulich, Jaaf,« begann sie, »Euch und Euren alten Freund Susquesus wieder einmal auf dem Rasen des alten Hauses zu sehen.«

»Im Grund nicht so gar altes Haus, Miß Dus,« antwortete der Neger in seiner brummenden Weise. »Denk mir sein gut genug; erst vor kurze Zeit gebaut.«

»Ja, vor sechzig Jahren, wenn Ihr dieß eine kurze Zeit nennt. Ich war damals noch jung – eine Braut und weit über meine Verdienste glücklich. Ach wie hat sich seither Alles geändert!«

»Ja, Ihr wunnerbar verändert – muß Euch dieß lassen, Miß Dus. Ich wunner' mir selbst zuweil', daß eine so junge Dam' so gar bald kann werd' anders.«

»Ach, Jaaf, obschon Euch, der Ihr so viel älter seid, die Zeit kurz vorkommen mag, so sind doch achtzig Jahre eine schwere Last. Ich erfreue mich zwar für dieses Alter noch einer trefflichen Gesundheit und eines heiteren Sinnes; aber die Zeit behauptet doch ihre Rechte.«

»Denk' mir Euch noch, Miß Dus, wie die junge Lady da,« er deutete dabei auf Patt. »Nun aber schein' Ihr wunnerbar anders. Auch der alte Sus sich serre viel veränder' letzter Zeit – kann nicht viel länger aushalten, glaub' ich. Aber Inschen nie hab' viel ächte Schroot in sich.«

»Und Ihr, mein Freund,« fuhr meine Großmutter gegen Susquesus fort, der sich während des Gesprächs mit Jaaf niedergesetzt hatte – »seht Ihr gleichfalls einen so großen Wechsel an mir? Jaaf ist ein alter Bekannter von mir, und auch Ihr müßt mich fast aus meiner Kindheit her kennen – aus der Zeit, als ich mit meinem lieben alten trefflichen Onkel Kettenträger in den Wäldern lebte.«

»Warum sollte Susquesus vergessen klein Zaunkönig? Sein Gesang kling' noch in seinem Ohr. In Susquesus' Auge klein Zaunkönig sich gar nicht veränder'.«

»Dieß ist wenigstens galant und eines Onondago-Häuptlings würdig. Doch, mein schätzbarer Freund, das Alter läßt sogar an den Bäumen seine Merkzeichen zurück, und wir dürfen nicht hoffen, für immer verschont zu bleiben.«

»Ja, die Rinde glatt am jungen Baum – rauh am alten Baum. Nie vergessen Kettenträger. Er von gleichem Alter mit Susquesus – sogar ein wenig älter. Braver Krieger – guter Mann. Kennen ihn als jungen Jäger – er dabei, als Jenes vorging.«

»Als was vorging, Susquesus? Ich hätte längst zu erfahren gewünscht, was Euch von Eurem Volke vertrieb, und warum Ihr, der Ihr doch im Herzen und in Eurer Lebensweise stets eine Rothhaut bliebt, so lange fern von Eurem Stamm unter uns Blaßgesichtern leben mochtet? Ich kann zwar wohl begreifen, warum es Euch bei uns gefällt und daß Ihr den Rest Eurer Tage in unserer Familie zuzubringen wünscht, weil ich weiß, was wir mit einander durchgemacht haben und wie Ihr in früherer Zeit an meinem Schwiegervater und an dem Schwiegervater desselben gehangen habt; aber ich möchte doch, bevor der Todesengel Eins von uns abruft, den Grund kennen lernen, der Euch, als Ihr noch so jung war't, bewog, Euer Volk zu verlassen und nun schon fast ein Jahrhundert fern von Eurem Stamm zu wohnen.«

Während meine Großmutter in solcher Weise zum ersten Mal in ihrem Leben diesen Gegenstand berührte, verwandte, wie sie mir später erzählte, der Onondago keinen Blick von ihrem Gesichte. Es kam mir vor, als sei er überrascht; dann ging seine Miene in Wehmuth über. Er beugte das Haupt ein wenig, und blieb geraume Zeit stumm sitzen, augenscheinlich über die Vergangenheit nachdenkend. Die Anspielung meiner Großmutter hatte sichtlich das kräftigste von den noch übrigen Gefühlen des alten Mannes angeregt und führte ihm Bilder von Dingen vor, die längst vergangen und wahrscheinlich nicht ganz frei von schmerzlichen Erinnerungen waren. Er mochte sein Haupt wohl eine volle Minute gebeugt gehalten haben, während seine Augen an dem Boden hafteten.

»Kettenträger sag' nie, warum?« fragte der alte Mann plötzlich, indem er sein Gesicht wieder erhob, um meine Großmutter anzusehen. »Alt Häuptling auch nicht? – er wissen; nie davon sprechen, eh?«

»Nie. Ich habe zwar von meinem Onkel und von meinem Schwiegervater gehört, sie seien von dem Grund unterrichtet, warum Ihr vor so langer, langer Zeit Euer Volk verlassen hättet, und daß derselbe Euch Ehre mache; aber keiner von Beiden ließ sich weiter über die Sache aus. Man trägt sich hier mit dem Gerücht, die rothen Männer, welche die weite Reise gemacht hätten, um Euch zu besuchen, seien gleichfalls damit bekannt, und eben dieß sei eine der Ursachen, warum sie so weit von ihrem Weg abgingen, um Euch ihre Ehrerbietung zu bezeugen.«

Susquesus hörte aufmerksam zu, aber kein Theil seines Körpers, mit Ausnahme der Augen, ließ nur eine Spur von Erregung wahrnehmen. Der ganze übrige Mann schien aus einem völlig empfindungslosen Material geformt zu sein, aber die unruhigen, scharfen und durchdringenden Augen öffneten einen Zugang zu dem inneren Wesen, und bekundeten, daß der Geist viel jünger war, als seine Behausung. Gleichwohl ließ er sich zu keiner Enthüllung bewegen, und unsere Neugierde, die sich immer mehr gesteigert hatte, wurde völlig getäuscht. Es stund einige Zeit an, ehe der Indianer überhaupt wieder den Mund zur Rede öffnete, und als dieß endlich geschah, sagte er blos:

»Gut. Kettenträger weiser Häuptling – auch Schin'ral weise, Gut im Lager – gut beim Berathungsfeuer. Wissen, wann zu sprechen, – wissen, was zu sprechen.«

Ob meine theure Großmutter geneigt war, den Gegenstand weiter zu verfolgen, kann ich nicht sagen, denn in demselben Augenblicke bemerkten wir, daß die Rothhäute aus ihrem Quartier heraus kamen und von der alten Farm nach dem Rasen herüber aufzubrechen im Begriffe waren, um vor dem Antritt ihrer langen Reise nach den Prairien dem Fährtelosen ihren letzten Besuch zu machen. Als sie dieß bemerkte, brach sie jedes weitere Gespräch ab, und mein Onkel führte Susquesus nach dem Baume, wo für die Gäste die Bänke aufgestellt waren. Ich selbst nahm meinen Sessel mit, um ihn hinter der Bankreihe aufzupflanzen. Alle Anwesenden begleiteten uns, selbst die Dienstboten, welche in der gewöhnlichen Beschäftigung der Hauswirthschaft entbehrt werden konnten. Der Indianer und der Neger, jeder hatte seinen Sitz; auch waren für die Glieder der Familie Stühle beigeschafft worden, die wir zwar in der Nähe, aber doch so weit im Hintergrund aufstellen ließen, daß wir nicht aufdringlich erschienen.

Die Indianer der Prairien langten in ihrer gewohnten Marschordnung an, in einer einzigen Zeile nämlich. Vielzunge ging voraus; auf ihn kam Prairiefeuer, Kieselherz und Adlersflug, während die Uebrigen zwar ohne Namensdistinction, aber doch in vollkommener Ordnung folgten. Zu unsrer großen Ueberraschung brachten sie die beiden Gefangenen mit, welche sie mit dem Scharfsinn der Wildniß in einer Weise gebunden hatten, daß ein Entkommen fast unmöglich war.

Es ist unnöthig, sich darüber zu verbreiten, wie die Fremdlinge sich benahmen, als sie die ihnen zugewiesenen Plätze auf den Bänken einnahmen, da ihr Verhalten dabei im Wesentlichen sich nicht von dem unterschied, das sie bei ihrem ersten Besuch beobachteten. Ihre Haltung verrieth dasselbe Interesse, und ihre Neugierde oder Verehrung schien in Folge des Umstandes, daß sie einen oder zwei Tage in der unmittelbaren Nähe des Gegenstands derselben verweilt hatten, durchaus nicht nachgelassen zu haben. Daß dieses Gefühl einigermaßen in dem hohen Alter und in der reichen Erfahrung des Fährtelosen seinen Grund hatte, ließ sich wohl als wahrscheinlich denken, obschon ich mich der Idee nicht entschlagen konnte, es müsse irgend etwas Ungewöhnliches mitwirken, das diesen eingeborenen Söhnen des Bodens durch ihre Traditionen überliefert worden, für uns aber verloren gegangen war.

Der amerikanische Wilde erfreut sich in einer Hinsicht eines großen Vortheils über den civilisirten Menschen desselben Welttheils. Seine Ueberlieferungen sind in der Regel wahr, während die mannigfaltigen Mittel, Kenntnisse unter uns zu verbreiten, so viele Aufdringlinge bewogen haben, sich in die Reihen der Weisen und Gelehrten zu stellen, daß derjenige, dessen Geist dem Fluch der Falschheit und des Vorurtheils entgeht, sich glücklich, dreimal glücklich preisen darf. Es wäre gut, wenn sich die Menschen öfter erinnerten, daß die Leichtigkeit, eine Wahrheit in Umlauf zu bringen, eben so gut der Verbreitung von Lügen zu Statten kömmt, und wenn man auch durch die tägliche Erfahrung belehrt wird, daß man nur die Hälfte von dem glauben darf, was man in öffentlichen Blättern liest, so kömmt man doch leicht in die Lage, seinen Glauben jener Hälfte von Berichten zuzuwenden, die sich auf keine bestehenden Thatsachen gründen, oder dieselben doch so verstümmelt darstellen, daß die Augenzeugen sie am wenigsten erkennen würden.

Der Ankunft der Gäste folgte das gewöhnliche Schweigen. Adlersflug schlug sodann mit einem Steine Feuer, brachte die Flamme auf den Taback und sog an einer seltsam geschnitzten Pfeife, deren Material aus einem weichen Steine des Binnenlands bestand, bis keine Gefahr des Auslöschens mehr zu besorgen war. Nachdem dieß geschehen, erhob er sich, trat mit ehrerbietiger Miene vor und bot die Pfeife Susquesus dar, welcher sie nahm und einige Sekunden daraus rauchte, dann aber sie in die Hände wieder zurückgab, aus denen er sie empfangen hatte. Dieß war das Zeichen zum Anzünden der übrigen Pfeifen, von denen eine mir und meinem Onkel angeboten wurde, so daß Jeder von uns einige Züge thun mußte. Sogar John und die übrigen männlichen Dienstboten blieben nicht vernachlässigt. Prairiefeuer erwies dieses Kompliment in eigener Person unserm alten Nigger, der seinerseits ein aufmerksames Auge auf Alles warf, was vorging, und sehr ärgerlich über die Knauserei wurde, welche eine so baldige Zurückgabe der Pfeife forderte. Er gab sich auch keine Mühe, seinen Verdruß zu verhehlen, wie sich aus den mürrischen Bemerkungen entnehmen ließ, die er hinwarf, als man ihm die Pfeife darbot. Seit unfürdenklichen Zeiten waren Cider und Taback die höchsten Genüsse in dem Dasein dieses Schwarzen gewesen, und wie er nun sah, daß Einer dastand, um nach ein paar Zügen die Pfeife wieder in Empfang zu nehmen, so war es ihm ganz wie einem Menschen zu Muthe, dem nach dem zweiten oder dritten Schluck der Krug wieder von dem Munde weggerissen wird.

»Brauch' nix zu wart' da,« brummte der alte Jaaf. »Wenn ich fertig sein, gib' Euch die Pfeife wieder. Hab' kein Sorg', Masser Corny, oder Masser Malbone, oder Masser Hugh – o Himmel, ich nie weiß, welcher am Leben, und welcher todt – werd' so alt jetzt! Aber mach' nix, wie alt auch – kann doch noch rauchen und hab' kein Gefallen an Inschenweise, zu geben Dinge, wo er es gibt, und dann wieder nimm weg. Nigger ist Nigger, und Inschen ist Inschen; Nigger immer viel der Best'. Himmel, wie viele Jahr ich seh' – ja, ich seh' – ganz müd' nun, zu leb' so lang. Thut nicht wart', Inschen – wann ich sein fertig. Ihr krieg' die Pfeif' wieder, sag' ich. Auch der best' Bakky mach' alt' Jaaf nicht zu viel Rappelkopf – wär' ja schrecklich!«

Obschon Prairiefeuer wahrscheinlich nicht die Hälfte von den Worten des Negers verstand, begriff er doch vollkommen dessen Wunsch, den Taback auszurauchen, eh' er die Pfeife abgeben wollte. Dieß war zwar ganz gegen die Regel und sah wie eine Art von Verachtung der indianischen Bräuche aus; aber der rothe Mann übersah dieß mit der Höflichkeit eines an hohe Gesellschaft gewöhnten Mannes und ging so ruhig weg, als ob Alles in Ordnung sei. In dieser Beziehung zeichnet sich der Indianer stets durch seine feine Bildung aus. Nie bemerkt man in seinem Benehmen ein Achselzucken, ein halbverhehltes Lächeln, eine Miene des Verständnisses, einen Wink, ein Nicken oder irgend Etwas von jenen Zeichen und Mittheilungen, zu denen der Ungebildetere in Gesellschaft gewöhnlich seine Zuflucht nimmt. Er bleibt stets würdevoll und ruhig, mag dieß nun Wirkung einer natürlichen Kälte oder des Charakters sein.

Das Rauchen wurde nun allgemein, aber nur als Ceremonie, da außer Jaaf Niemand darauf erpicht war, seine Pfeife zu Ende zu bringen. Was den Schwarzen betraf, so war er eben so sehr der Ueberlegenheit seiner Rasse über die der Rothhäute, als einer Unterordnung der ersteren unter die der Weißen sich bewußt, und der Gedanke, daß die gegenwärtige Methode, sich des Tabacks zu bedienen, ein indianischer Brauch sei – war für ihn ein zureichender Grund, sich ihm nicht anzubequemen. Das Rauchen dauerte nicht lange, und dann folgte ein tiefes Schweigen, bis sich endlich Prairiefeuer erhob und zu sprechen begann.

»Vater,« ergriff er das Wort, »wir sind im Begriffe, dich zu verlassen. Unsere Squaws und Papusse auf den Prairien wünschen uns zu sehen, und es ist Zeit für uns, daß wir gehen. Sie schauen aus nach uns in der Richtung des großen Salzsee's, und wir blicken nach den großen Fischwasserseen, wo sie wohnen. Dort geht die Sonne unter – hier geht sie auf; die Entfernung ist groß, und viele fremde Stämme von Blaßgesichtern leben längs des Pfades. Unsere Reise ist eine Reise des Friedens gewesen. Wir haben nicht gejagt und auch keine Skalpe genommen, sondern nur unsern großen Vater, Onkel Sam gesehen und unsern großen Vater Susquesus besucht. Wir können nun zufrieden nach der untergehenden Sonne heimziehen. – Vater, unsere Ueberlieferungen sind wahr; sie lügen nie! Eine lügenhafte Ueberlieferung ist schlimmer, als ein lügenhafter Indianer. Ein lügenhafter Indianer täuscht durch das, was er sagt, seine Freunde, sein Weib, seine Kinder; was eine lügenhafte Ueberlieferung sagt, täuscht einen Stamm. Unsere Ueberlieferungen sind wahr; sie sprechen von dem biederen Onondago. Alle die Stämme auf den Prairien haben diese Ueberlieferung gehört und sind erfreut darüber. Es ist gut, von Gerechtigkeit zu hören, schlimm aber, wenn man Kunde erhält von Ungerechtigkeit. Ohne Gerechtigkeit ist ein Indianer nicht besser, als ein Wolf. Nein, es gibt keine Zunge auf den Prairien, welche nicht von dieser schönen Ueberlieferung zu erzählen wüßte. Wir konnten nicht an dem Wigwam unseres Vaters vorbeikommen, ohne seitwärts zu wandern, um ihn zu sehen. Unsere Squaws und Papusse sehnen sich nach uns; wenn wir aber vergessen hätten, unserem Vater einen Besuch zu machen, so würden sie uns sagen, wir sollen umkehren und es nachholen. – Warum hat mein Vater so viele Winter gesehen? Es ist der Wille des Manitou. Der große Geist will ihn noch ein wenig länger hier behalten. Er gleicht den Steinen, die aufgehäuft sind, um den Jägern zu sagen, wo der angenehme Pfad zu finden ist. Alle rothen Männer, die ihn sehen, wissen daraus, daß sie recht daran sind. Nein, der große Geist kann meinen Vater auf Erden noch nicht entbehren, und will durch ihn den rothen Männern sagen, sie sollen nicht vergessen, was recht ist. Er gleicht den aufgehäuften Steinen.«

Damit schloß Prairiefeuer und setzte sich unter einem dumpfen, beifälligen Gemurmel wieder nieder. Er hatte dem Gesammtgefühl Worte geliehen und damit den Erfolg erzielt, der solchen Bemühungen nicht entgehen kann. Susquesus war vor dem Gespräche kein Wort entgangen, und ich konnte bemerken, daß ihm sein Inhalt zu Herzen ging, obschon er bei dieser Gelegenheit weit weniger Erregung bekundete, als dieß bei der früheren Zusammenkunft der Fall gewesen war. Ohne Zweifel hatte damals die Neuheit der Scene dazu beigetragen, seine Empfindungen zu steigern. Nach dieser Einleitungsrede folgte eine Pause, und wir erwarteten in großer Spannung, daß der berühmte Redner Adlersflug sich erheben werde, als mit einem Male ein etwas lächerlicher Vorfall die feierliche Würde der Scene unterbrach. Statt daß, wie Vielzunge uns bedeutet hatte, Adlersflug mit Kraft und Feuer zu sprechen begann, erhob sich ein viel jüngerer Krieger und hub an zu reden, während seine Zuhörer ihm eine Aufmerksamkeit schenkten, welche bekundete, daß er ihre Achtung besaß. Wir erfuhren, daß der Name dieses jungen Kriegers in der Uebersetzung Hirschfuß lautete – eine Bezeichnung, die er seiner erprobten Schnelligkeit verdankte. Zu unsrer Ueberraschung jedoch wandte er sich an Jaaf, denn die indianische Höflichkeit forderte, daß auch einige Worte an den langjährigen, treuen Freund und Gefährten des alten Indianers gerichtet wurden. Der Leser kann sich denken, daß wir Alle uns über diese kleine Probe von Huldigung sehr ergötzten, obschon wir uns zugleich einigermaßen wegen der Antwort, die vielleicht drauf folgte, befangen fühlten. Hirschfuß sprach im Wesentlichen wie folgt:

»Der große Geist sieht alle Dinge. Er macht alle Dinge. In seinen Augen ist die Farbe nichts. Obschon er Kinder, die er liebt, von rother Farbe schuf, so ließ er doch auch Kinder, die er liebt, mit blassen Gesichtern in's Dasein kommen. Dabei hielt er noch nicht inne. Nein, er sagte: ›ich wünsche Krieger und Männer zu sehen, mit Gesichtern schwärzer als die Haut des Bären. Ich will Krieger haben, welche ihre Feinde schrecken sollen durch ihre Gesichter.‹ So schuf er schwarze Menschen. Mein Vater ist schwarz; seine Haut ist weder roth, wie die des Susquesus, noch weiß, wie die Haut des jungen Häuptlings von Ravensnest. Sie ist jetzt grau, weil sie den Sonnenschein so vieler Sommer empfunden hat; aber ehemals war sie so schwarz, wie die Farbe der Krähe. Es muß damals schön gewesen sein, sie anzusehen. – Mein schwarzer Vater ist sehr alt; man sagt mir, er sei sogar älter, als der biedere Onondago. Der Manitou muß eine große Freude an ihm haben, daß er ihn nicht schon früher abgerufen hat. Er hat ihn gelassen in seinem Wigwam, damit alle schwarzen Männer sehen, wen ihr großer Geist liebt. – Dieß ist die Ueberlieferung, welche durch unsere Väter auf uns verpflanzt wurde. Die Blaßgesichter kommen vom Sonnenaufgang und wurden geboren, ehe die Hitze ihre Haut verbrannte. Die schwarzen Männer kamen her von der Sonne im Mittag, und ihre Gesichter wurden dunkel, weil sie aufwärts schauten, um die Wärme zu bewundern, welche ihre Früchte reifte. Die rothen Männer wurden geboren unter der untergehenden Sonne, und ihre Gesichter erhielten ihre Farbe von der des Abendhimmels. Der rothe Mann ist hier geboren, das Blaßgesicht drüben über dem Salzsee; der schwarze Mann kam aus seinem eigenen Lande, wo die Sonne stets über seinem Kopf steht. Was ersieht man hieraus? Wir sind Brüder. Dicklippe« (dieß war der Name, mit welchem, wie wir nachher erfuhren, die Rothhäute Jaaf bezeichneten) »ist der Freund von Susquesus. Sie haben nun schon so viele Winter in demselben Wigwam gelebt, daß ihr Wildpret und ihr Bärenfleisch den nämlichen Geschmack hat. Sie lieben einander, und wen immer Susquesus liebt und ehrt, den lieben und ehren alle gerechten Indianer. Ich habe nichts weiter zu sagen.«

Zuverlässig würde Jaaf von dieser Anrede keine Sylbe verstanden haben, wenn ihm nicht Vielzunge zuerst bedeutet hätte, daß Hirschfuß ausschließlich zu ihm spreche; im Verlauf des Vortrags aber übersetzte ihm der Dolmetscher in klaren Worten Satz für Satz. Vielleicht hätte aber auch diese Sorgfalt nicht zugereicht, ihm begreiflich zu machen, was vorging, wenn nicht Patt auf ihn zugegangen wäre und ihm in einer Stimme und Weise, wie er sie verstand, bedeutet hätte, er solle jetzt auf das, was gesagt werde, aufmerken und, sobald Hirschfuß wieder Platz nehme, sich Mühe geben, etwas darauf zu erwiedern. Jaaf war an meine Schwester gewöhnt und so sehr von der Nothwendigkeit überzeugt, ihr als einer von seinen vielen »jung Missusses« – welche, wußte er selbst kaum – Gehorsam leisten zu müssen, daß es ihr gelang, ihn vollkommen aufzuwecken, und er setzte uns Alle durch die sinnreiche und sehr charakteristische Antwort, die er aufgefordertermaßen zu geben nicht säumte, in Erstaunen. Ehe er zu sprechen begann, klappte er zwar die zahnlosen Kiefer zusammen, wie ein zorniges Schwein; da aber »jung Missus« ihm gesagt hatte, er müsse antworten, so antwortete er auch. Wahrscheinlich besaß der alte Knabe noch eine Art Erinnerung an ähnliche Scenen, da er während seiner jüngern Jahre unter den verschiedenen Stämmen New-Yorks, welche mein Großvater, General Mordaunt Littlepage, zu wiederholten Malen als Commissionär besuchte, manchem Berathungsfeuer angewohnt hatte.

»Na,« begann Jaaf in abgebrochener, schnippischer Weise, »schätz' wohl, Nigger muß etwas sag'. Kein sehre große Sprecher, weil ich kein Inschen sein. Nigger hab' zu viel Arbeit, um der ganz' Tag zu red'. Was Ihr sag' von Nigger, wo er komm' her, ist nicht wahr. Er komm' von Afrika, wie ich hör' sag', vor langer Zeit. Ach Gott, wie alt ich werd'! Bisweil' ich denk', arme alt schwarz Mann sich leg' nie nieder und ruh' aus. Ist doch, als komm' Jedermann zu sein' Ruh', nur alte Sus nicht und ich. Ich noch sehre Kraft und werd' stärker und stärker, obschon wunnerbar müd'; aber Sus werd' schwächer und schwächer jede Tag. Kann's nicht mehr lang treib' jetzt, alte Sus. Jedermann muß einmal sterb'. Alte, alte, alte Masser und Missus – sie sterb' zuerst. Dann geh' Masser – auch kommen ziemlich weit; dann Reih' an Masser Mordaunt und Masser Malbone, und nun da ein annerer Masser Hugh. Na, sie mir alle so ziemlich gleich. Ich lieb' sie alle, und alle von ihnen lieb' mich. Dann zähl' auch Miß Dus für 'was; aber sie noch leb'. Kommt Zeit, sie muß auch sterb', aber sie nicht schein' woll' zu geh'. Ach Gott, wie alt ich doch werd'! – – Ha! da komm' jene Deifel von Inschens wieder, und dießmal müß' wir ausfeg'! Hol' Euer Büchs', Sus, hol' Euer Büchs', Junge, und vergeß nicht, daß alte Jaaf Euch steh' beim Ellbog'.«

Und so verhielt sich's auch. die Inschens kamen richtig heran. Was übrigens jetzt folgt, muß ich für den Anfang eines weiteren Kapitels aufsparen.


 


 << zurück weiter >>