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Zwanzigstes Kapitel.

Zweihundert lange, lange Jahre?
Wie viel von Menschenstolz und Macht,
Wie viele Hoffnungen und Sorgen
Umfängt nun euer düstrer Schacht!

Pierpont.

 

Es fehlte noch etwa eine Stunde bis zu Sonnenuntergang, als wir Alle das neue Quartier unserer rothen Brüder verließen, um die Hütte zu besuchen. Als wir näher kamen, ließen sich unter den Indianern Merkzeichen des gespanntesten Interesses, mit denen der Ehrfurcht vermengt, unterscheiden. Mehrere von den Häuptlingen hatten die Zwischenzeit benützt, um die wilden Linien, die sie schon früher auf ihre Gesichter gemalt hatten, wieder aufzufrischen und sich dadurch ein noch schauerlicheres Ansehen zu geben; namentlich war Kieselherz gräßlich schön, und nur Prairiefeuer hatte es verschmäht, zwischen seine natürliche Farbe und das Auge des Beschauers einen Schleier zu legen.

Da der Lauf meiner Erzählung es jetzt nothwendig macht, Unterhaltungen zu berichten, die in einer mir unbekannten Sprache geführt wurden, so muß ich hier ein für allemal bemerken, daß ich mir stets das Gesprochene, so gut es anging, durch Vielzunge übersetzen ließ, um es entweder gleich auf der Stelle oder unmittelbar nach meiner Ankunft im Nest niederschreiben zu können. Diese Erklärung dürfte für diejenigen Leser der gegenwärtigen Schrift, welche sonst glauben könnten, daß ich erfinde, nicht am unrechten Ort sein.

Der Wagen meiner Großmutter war mit seiner lächelnden Befrachtung mehrere Minuten vorher abgefahren, ehe wir unsern Marsch antraten. Das letztere geschah nicht ohne einige Förmlichkeit und mit sorgfältiger Beobachtung einer gewissen Ordnung. Die Indianer marschiren selten anders, als in einer sogenannten »Indianer-Reihe«, oder einzeln hinter einander, so daß jeder in die Fußstapfen seines Vordermanns tritt; diese Weise wurde deßhalb auch bei gegenwärtiger Gelegenheit in Anwendung gebracht. Prairiefeuer eröffnete den Zug, da er der älteste Häuptling und einer der ersten beim Berathungsfeuer war. Ihm folgte Kieselherz, während die Anderen in einer Rangabstufung, deren Grundsätze nur ihnen selbst bekannt waren, hintendrein kamen. Sobald sich die Linie gebildet hatte, wurde der Marsch begonnen. Mein Onkel, der Dolmetscher und ich gingen neben Prairiefeuer her, während Miller mit einem halben Dutzend Neugieriger aus dem Nesthaus und aus der Farm den Nachtrab bildete.

Man wird sich erinnern, daß John nach den Wigwam vorausgeschickt worden war, um den beabsichtigten Besuch anzukündigen. Er blieb viel länger aus, als man erwartet hatte, und wir waren bereits halbwegs von der Hütte, als wir diesem treuen Dienstboten auf seinem Heimwege begegneten. Er trat an meiner Seite in die Linie, fortwährend gleichen Schritt mit der Marschzeile behauptend, und theilte mir mit, was er zu sagen hatte.

»Offengestanden, Mr. Hugh,« fuhr er fort, »der alte Mann war sehr ergriffen, als ich ihm erzählte, daß ungefähr fünfzig Indianer aus weiter Ferne hergekommen seien, um ihn zu besuchen –«

»Siebenzehn – Ihr hättet siebenzehn sagen sollen, John, denn dieß ist genau ihre Anzahl.«

»Wirklich, Sir? Wahrhaftig, ich glaubte, es seien fünfzig. Einmal meinte ich, ich sollte vierzig sagen, aber dann fiel mir bei, es möchte doch nicht genug sein.«

Diese ganze Zeit schaute John über die Schultern zurück, um die ernst aussehenden Krieger, welche in einer Zeile folgten, zu zählen. Nachdem er seinen Irrthum – denn Uebertreibung ist für Leute von seiner Klasse wohl der gewöhnlichste Verstoß – eingesehen hatte, nahm er seinen Bericht wieder auf.

»Ich glaube in der That, daß Ihr Recht habt, Sir; die Augen sind ein bischen zu groß gewesen. Aber der alte Sus war ganz gerührt, Sir, als ich ihm von dem ihm zugedachten Besuch erzählte, und so blieb ich denn bei ihm, um ihm bei seinem Anzug und bei seiner Malerei behülflich zu sein. Ihr wißt ja selbst, Sir, der Nigger Yop ist zu nichts mehr nütz, und man sieht ihm nicht an, daß er je in der Familie eines Gentleman gelebt hat. Es müssen schauerliche Zeiten gewesen sein, Sir, als die vornehmen Leute von New-York nichts als Nigger zur Bedienung hatten, Sir.«

»Wir sind gleichwohl nicht übel gefahren, John,« antwortete mein Onkel, welcher, wie es bei allen Gentlemen von Fünfzig der Fall ist, der alten schwarzen Rasse, welche vordem so allgemein im Lande die Dienstbotenstellen ausfüllte, sehr zugethan war; »wir sind gleichwohl ziemlich gut dabei gefahren. Freilich hat Jaaf nie im eigentlichen Sinne das Amt eines Kammerdieners verwaltet, obschon er der Sklave meines Großvaters war.«

»Nun ja, Sir, wenn Niemand als Yop in der Hütte gewesen wäre, so hätte sich Sus sicherlich nie anständig für diese Gelegenheit kleiden und bemalen können. Wie's aber jetzt ist, hoffe ich, Ihr werdet zufrieden sein, Sir, denn der alte Gentlemen sieht merkwürdig gut aus – natürlich in Indianerweise, Sir, wie Ihr wohl begreift.«

»Hat der Onondago Fragen an Euch gestellt?«

»Ei, Mr. Hugh, es ist Euch wohl bekannt, wie besonders er in diesen Stücken ist. Susquesus hält nicht viel auf's Reden, und man muß sich um so mehr über seine Schweigsamkeit wundern, wenn er diese auch gegen Personen in Anwendung bringt, die ihn doch gut zu unterhalten im Stande wären. Ich hab' das Gespräch meist selbst führen müssen, Sir, wie's gemeiniglich geht, wenn ich ihm einen Besuch mache. Ich glaube, Sir, die Schweigsamkeit liegt in der Natur der Indianer.«

»Und wer kam auf den Gedanken des Malens und des Ankleidens – Ihr oder der Onondago?«

»Je nun, Sir, ich glaube der Indianer hatte ursprünglich selbst etwas der Art im Sinn, obgleich ich ihn bei gegenwärtiger Gelegenheit dazu ermuthigte. Ja, Sir, ich brachte den Gedanken in Anregung; indeß will ich nicht geradezu behaupten, Sus habe nicht auch einige Neigung dazu verspürt, noch ehe ich ihm meine Ansichten mittheilte.«

»Habt Ihr auch von der Malerei gesprochen?« ergriff jetzt mein Onkel das Wort. »Ich erinnere mich nicht, im Lauf der letzten dreißig Jahre den Fährtelosen in seinem Anstrich gesehen zu haben. Ich bat ihn einmal – es war um die Zeit deiner Geburt, Hugh – er möchte sich am vierten Juli bemalen und herausputzen, und die Antwort, die ich darauf erhielt, schwebt mir noch so deutlich vor, als habe sie der alte Knabe erst gestern gegeben. ›Wenn der Baum aufhört, Früchte zu tragen,‹ lautete sie im Wesentlichen, ›so erinnern die Blüthen nur an seine Nutzlosigkeit.‹«

»Ich ließ mir sagen, Susquesus habe einmal sogar unter den Indianern für einen sehr beredten Mann gegolten.«

»Ich erinnere mich noch, daß er in diesem Rufe stand, obschon ich nicht sagen kann, mit welchem Recht er ihn verdiente. Hin und wieder habe ich von ihm in der kurzen, gebrochenen Weise, wie er das Englische spricht, kräftige Aeußerungen gehört; aber im Allgemeinen verhielt er sich stets einfach und schweigsam. Mein Vater erzählte mir, als er zum ersten Mal die Bekanntschaft des Susquesus machte – und dieß muß nun wohl sechzig Jahre her sein – habe der alte Mann in großer Sorge geschwebt, er könnte in die traurige Nothwendigkeit versetzt werden, Körbe und Besen machen zu müssen; sobald übrigens in dieser Hinsicht sein Gemüth erleichtert ward, schien er stets zufrieden und unbekümmert zu leben.«

»Ich glaube, Diejenigen, welche am wenigsten besitzen, können stets am unbekümmertsten sein, Sir. Jedenfalls dürfte es der Regierung New-Yorks schwer werden, Mittel und Wege zu ersinnen, um Sus seiner Farmen zu berauben, sei's nun durch Anfechtung des Besitztitels, durch Aufhebung der Bürgschaftsverkäufe, durch Besteurung oder durch andere sinnreiche Kunstgriffe, auf welche die Albany-Politiker verfallen.«

Mein Onkel schwieg eine Weile, und nahm nach einer Pause tiefen Nachsinnens das Gespräch wieder auf:

»Du sprichst von den ›Albany-Politikern‹, und dieser Ausdruck ruft mir eine Betrachtung in's Gedächtniß, die sich mir früher oft aufgedrungen hat. Es ist ohne Zweifel ein Vortheil – ja, vielleicht sogar zu Erledigung der Local-Angelegenheiten dieses Landes nothwendig, daß ihre Verwaltung den Local-Regierungen vertraut ist; indeß hat dieser Umstand ohne Frage auch eine sehr schlimme Folge. Wenn die Gesetzgeber sich mit großen Staats-Angelegenheiten, mit Krieg und Frieden, mit Unterhaltung von Armeen und Ueberwachung aller jener Interessen, welche ein Land mit dem andern in Verbindung bringen, zu befassen haben, so gewinnt der Geist eine großartigere Entfaltung, und zugleich hebt sich auch der Charakter des Mannes. Bringt man aber Leute zusammen, welche handeln müssen, wenn sie nicht als unfähig erscheinen sollen, und überträgt man ihnen die kleinlicheren Zweige der Gesetzgebung, so ist zehn gegen eins zu wetten, daß sich die Beschränktheit ihrer Erziehung stets in der Engherzigkeit ihrer Ansichten kund geben wird. Hierin liegt der Grund des himmelweiten Unterschieds, der sich, wie jeder Verständige einsieht, zwischen Albany und Washington kund gibt.«

»Ihr seid also der Ansicht, daß unsere Gesetzgeber weit unter denen von Europa stehen?«

»Nur sofern sie provinzial sind – eine Eigenschaft, die unter Zehnen nothwendigerweise an Neun haftet; denn wenn man zehn Amerikaner vor sich hat, so befinden sich unter diesen, selbst wenn sie den gebildeten Klassen angehören, neun, deren Gesichtskreis sich nicht über ihre Provinz hinaus erstreckt. Der Ausdruck ›provinzial‹ deckt jedenfalls eine volle Hälfte der unserem Lande eigenthümlichen Sünden, obgleich Viele über eine Mangelhaftigkeit lachen, von der sie der Natur der Sache nach keinen Begriff haben können, weil sie blos in's Gebiet der Einbildungskraft gehört. Der thätige Verkehr der Amerikaner setzt sie allerdings schon um ihres Zeitalters und um ihrer geographischen Lage willen überraschend wenig einer derartigen Anschuldigung aus; aber die letzteren Nachtheile haben gleichwohl Wirkungen zur Folge, die vielleicht unvermeidlich sind. Wenn du nach deinem Verkehr mit der europäischen Welt Gelegenheit gehabt hast, meinetwegen Einiges von der Gesellschaft in unseren Städten zu sehen, so wirst du verstehen, was ich meine, denn es handelt sich dabei um einen Unterschied, der sich eher fühlen, als beschreiben läßt. Provinziales Wesen läßt sich jedoch als eine allgemeine Hinneigung zu den beschränkten Ansichten bezeichnen, die aus einem bedrückten socialen Verhältniß und aus der Unbekanntschaft mit der großen Welt hervorgehen – nicht mit Beziehung auf die Stellung allein, sondern auch im Sinn der Liberalität, der Einsicht und einer Vertrautheit mit all' den verschiedenen Lebens-Interessen. Doch da sind wir an der Hütte.«

Und so war es auch. Der Abend konnte entzückend genannt werden. Vor der Thür der Hütte befand sich ein kleiner grüner Rasenplatz, und Susquesus saß auf einem Schemel in dem Schatten eines Baums, der die kräftigen Strahlen der untergehenden Junisonne von ihm abhielt. Jaaf hielt sich an seine Seite, weil er ohne Zweifel fühlte, daß dieß seiner Farbe und seiner Stellung ziemte. Es ist abermals ein Zug in der menschlichen Natur, daß der Indianer seine eigene geistige Ueberlegenheit über den Haussklaven fühlt, während der Neger sich den Anschein gibt, als verachte er den rothen Mann aus dem Grunde seiner Seele. Ich hatte Susquesus nie in so großartigem Kostüm gesehen, als das war, in welchem er diesen Abend erschien. Gewöhnlich trug er seine indianischen Kleider, die Leggings, die Moccasins, die obere Beinbekleidung und, je nach der Jahreszeit, eine Wollendecke oder ein Calico-Hemd; nie zuvor aber hatte ich ihn gemalt und mit seinen Zierrathen geschmückt gesehen. Letztere bestanden aus zwei Medaillons mit den Bildern Georgs III. und seines Großvaters – aus zwei weiteren, die er von den Agenten der Republik erhalten hatte, aus großen Ohrenringen, die fast auf seine Schulter niederfielen, und aus Armspangen von Zähnen, die ich anfänglich für Menschenzähne hielt. Im Gürtel hatte er einen blank geputzten Tomahawk und ein in der Scheide steckendes Messer, während seine erprobte Büchse an einem Baum lehnte – Waffen, die er jetzt nur als Sinnbilder der Vergangenheit zur Schau stellte, sintemal der Eigenthümer sie kaum in sehr wirksamer Weise mehr zu gebrauchen vermochte. Der alte Mann hatte die Malerei mit einer für einen Indianer ungewöhnlichen Umsicht in Anwendung gebracht, indem er seinen Wangen blos ein Roth auflegte, welches dazu diente, den früher so scharfen Augen, welche jetzt vom Alter etwas getrübt waren, mehr Glanz zu verleihen. In der gewohnten, zierlichen Einfachheit, die in dem Wigwam und dessen Umgebung herrschte, war nichts verändert worden, obschon Jaaf eine alte Livree, die er vordem getragen, und einen Eckenhut, mit welchem er sich sonst an Sonn- und Festtagen herauszuputzen pflegte, an's Tageslicht gefördert hatte, um an die Ueberlegenheit eines »Niggers« über einen »Inschen« zu erinnern.

Drei oder vier roh zusammengefügte Bänke, welche zum Mobiliar der Hütte gehörten, waren in einer Art von Halbkreis vor Susquesus aufgestellt, um den Gästen einen bequemen Sitz zu bieten. Dahin nun ging Prairiefeuer voran, und alle übrigen Häuptlinge folgten ihm. Obschon sie sich bald in dem Kreise aufgestellt hatten, stund es doch eine volle Minute an, ehe sie sich auf ihre Plätze niederließen. Sie blieben diese ganze Zeit über ehrerbietig stehen und betrachteten theilnahmvoll den alten Mann, der seinerseits ihre Blicke eben so fest und angelegentlich erwiederte. Erst auf ein Zeichen ihres Führers, welcher bei dieser Gelegenheit Prairiefeuer war, ließen sie sich nieder. Diese Veränderung in der Stellung that jedoch dem Schweigen keinen Abtrag, und die rothen Männer blieben wohl zehn Minuten sitzen, ohne einen Blick von dem biederen Onondago zu verwenden, der seine Gäste gleichfalls stätig in's Auge faßte. Während dieser Pause langte der Wagen meiner Großmutter an, und machte unmittelbar außerhalb des Kreises der ernsten, aufmerksamen Indianer Halt, von denen nicht ein einziger auch nur den Kopf umwandte, um zu sehen, wer diese Störung veranlaßt habe. Keine Sylbe wurde gesprochen, und meine theure Großmutter beobachtete gespannt die Scene, während die lieblichen Gesichter um sie her die beredtesten Bilder der Neugierde, mit einigen sanfteren und edleren Gefühlen gemischt, in der anziehendsten Form darstellten, die sich ein Mensch nur denken kann.

Endlich erhob sich Susquesus mit würdevollem Wesen und ohne sichtliche körperliche Anstrengung, um zu sprechen. Seine Stimme kam mir etwas bebend vor, obschon hieran mehr die Aufregung seines Innern, als das Alter Schuld trug; im Ganzen aber verhielt er sich ruhig, und entfaltete in seiner Rede, wenn man dabei seine Jahre in Rechnung zog, eine überraschende Bündigkeit und Klarheit. Natürlich mußte ich mich zu Erklärung aller Vorgänge an den Dolmetscher Vielzunge halten.

»Brüder,« begann Susquesus, »Ihr seid willkommen. Ihr mußtet einen langen, krummen und dornigen Pfad gehen, um einen alten Häuptling zu finden, dessen Stamm ihn schon vor neunzig Sommern unter die Hingeschiedenen hätte zählen sollen. Es thut mir leid, daß euren Augen am Ende einer so langen Reise kein besserer Anblick zu Theil wird, und wenn ich wüßte, wie ich's angehen sollte, würde ich euren Rückweg nach der untergehenden Sonne breiter und gerader machen. Doch ich kann dieß nicht. Ich bin alt. Die Tanne in den Wäldern ist kaum älter; die Dörfer der Blaßgesichter, die ihr in Menge auf eurer Wanderung berührtet, sind nicht halb so alt. Ich wurde geboren, als das weiße Geschlecht war wie das Musethier auf den Bergen – da eines und dort eines; jetzt aber gleichen sie den Tauben, nachdem sie ihre Jungen ausgebrütet haben. Als ich noch ein Knabe war, konnten meine jungen Beine nie aus den Wäldern hinaus in eine Lichtung kommen; jetzt aber sind meine alten Beine nicht mehr im Stande, mich in die Wälder zu tragen, da sie so weit abliegen. Alles ist in diesem Lande anders geworden, nur nicht das Herz des rothen Mannes – dieses gleicht dem Fels, der sich nie verändert. Meine Kinder, ihr seid willkommen.«

Diese Rede, in den tiefen, heiseren Tönen eines beispiellos hohen Alters vorgetragen, obschon sich auch etwas von dem Feuer eines Geistes darin aussprach, das blos gedämpft, nicht aber erloschen war – übte einen tiefen Eindruck. Ein dumpfes Gemurmel der Bewunderung lief durch die Gäste hin; aber keiner erhob sich zur Antwort, bis die Worte der Weisheit, die sie eben vernommen, Zeit genug gehabt hatten, ihre Wirkung zu entfalten. Nach einer Pause, welche für diesen Zweck hinreichend erscheinen mochte, stand Prairiefeuer – ein Häuptling, der im Rathe sogar noch gefeierter war, als im Felde – von seinem Sitze auf, um zu reden. Wir geben seine Antwort in freier Uebertragung.

»Vater – deine Worte sind stets weise – sie sind stets wahr. Der Pfad zwischen deinem Wigwam und unseren Dörfern ist lang – es ist ein krummer Pfad, und wir haben auf demselben viele Dornen und Steine gefunden. Doch alle Schwierigkeiten lassen sich überwinden. Vor zwei Monaten waren wir an dem einen, jetzt sind wir am anderen Ende desselben. Wir sind gekommen mit zwei Kerben an unseren Stöcken. Die eine sagte uns, wir sollen nach dem großen Berathungshause der Blaßgesichter gehen und unsern großen Blaßgesichtsvater besuchen – die andere wies uns hieher zu unsrem großen rothen Vater. Wir sind in dem großen Berathungshause der Blaßgesichter gewesen und haben Onkel Sam gesehen. Sein Arm ist sehr lang; er reicht von dem Salzsee – wir versuchten sein Wasser zu trinken, aber es war zu salzig – bis nach unseren Seen in der Nähe der untergehenden Sonne, zu den Seen, deren Wasser süß ist. Wir haben nie zuvor salziges Wasser gekostet, und fanden es nicht lieblich. Wir wollen es nicht wieder versuchen, denn es verlohnt sich nicht der Mühe, so weit zu reisen, um Wasser zu trinken, das salzig ist.

»Onkel Sam ist ein weiser Häuptling. Er hat viele Rathgeber. Die Versammlung an seinem Berathungsfeuer muß sehr groß sein – sie hat viel zu sagen. Ihre Worte müssen wohl etwas Gutes in sich haben, denn es sind ihrer so viele. Während wir ihnen zuhörten, dachten wir an unsern rothen Vater, und verlangten hieher zu kommen. Jetzt sind wir da. Wir freuen uns, unsern rothen Vater noch am Leben und wohl zu finden. Der große Geist liebt einen gerechten Indianer und trägt Sorge für ihn. Hundert Winter sind in seinen Augen wie ein einziger. Wir danken ihm, daß er uns den krummen und langen Pfad führte, an dessen Ende wir den Fährtelosen – den Biederen unter den Onondagoes – gefunden haben. Ich habe gesprochen.«

Ein Strahl der Freude schoß über die Züge des Fährtelosen, als er in seiner eigenen Sprache die wohlverdiente Bezeichnung vernahm, die er während der Frist eines ganzen gewöhnlichen Menschenlebens nicht wieder gehört hatte. Es war ein Titel, ein Beiname, der die Geschichte seines Verhältnisses zu seinem Stamm in sich barg, und weder Jahre, noch Entfernung, weder neue Schauplätze und neue Bande, noch Kriege und Kämpfe waren im Stand gewesen, auch nur den kleinsten Vorfall, welcher mit der Erwerbung dieses Namens in Verbindung stand, aus seinem Gedächtniß zu verdrängen. Mit einer heiligen Scheu betrachtete ich den alten Mann, dessen Antlitz unter der Flut der Erinnerungen, die in seinem Geist auftauchten, zu leuchten begann, und der ausdrucksvolle Blick, den mir mein Onkel zuwarf, belehrte mich, daß auch er den ganzen Eindruck der feierlichen Scene fühlte. Vielzunge besaß die glückliche Eigenschaft, pari passu mit den Worten des Sprechers übersetzen zu können; er stand zwischen uns und dem Wagen, und da er sozusagen Satz für Satz ein leises Accompagnement zu den vorgetragenen Reden bildete, so ging von dem, was gesprochen wurde, auch nicht eine Sylbe für uns verloren.

Nachdem Prairiefeuer seinen Sitz wieder eingenommen hatte, folgte ein abermaliges Schweigen, welches mehrere Minuten anhielt, und durch nichts unterbrochen wurde, als durch einige grunzende murmelnde Laute von Seiten Jaafs, der außer seinem Hausgenossen nie einen Indianer hatte leiden können. Wir sahen deutlich, daß dem Neger dieser außerordentliche Besuch sehr zuwider war, aber von den rothen Männern achtete nicht ein einziger auf sein Benehmen. Sus, der ihm am nächsten stand, mußte sein Brummen wohl gehört haben, ließ sich aber keineswegs dadurch bewegen, auch nur einen Moment seinen Blick von den Gesichtern der vor ihm sitzenden Häuptlinge zu verwenden. Anderer Seits schien aus der Haltung der Gäste hervorzugehen, als ob sie von der Anwesenheit des Negers gar nichts wüßten – allerdings nur ein Schein, da sich später das Gegentheil thatsächlich herausstellte. Mit einem Wort, der biedere Onondago war der Mittelpunkt der Anziehung für die Fremden, die, wie man deutlich sehen konnte, für den Augenblick alles Andere vergessen hatten.

Endlich gab sich unter den Rothhäuten eine leichte Bewegung kund, und ein zweiter Häuptling stand von seinem Sitze auf. Er war kleiner, als die übrigen, und von magerer anmuthloser Gestalt, da seinem Aeußeren, wenigstens so lange er sich ruhig verhielt, jener Adel fehlte, durch den sich alle seine anderen Gefährten auszeichneten. Wie ich später erfuhr, führte dieser Häuptling den Namen Adlersflug – eine Bezeichnung, die ihm wegen des kühnen Schwunges seiner Beredtsamkeit beigelegt worden war. Obschon beim gegenwärtigen Anlasse sich ein tiefer Ernst in seinem interessanten Gesichte aussprach, bemerkte man doch deutlich, daß der Geist in seinem Innern nicht unter außerordentlichen Wehen arbeitete. Indeß konnte sich ein solcher Mann nicht zum Sprechen erheben, ohne unter seinen erwartungsvollen Zuhörern leichte Anzeichen von Aufregung hervorzurufen. So behutsam auch die Rothhäute eine Kundgebung ihrer Gefühle zu unterdrücken pflegen, konnten wir doch, als Adlerflug aufrecht dastand, unter den übrigen Häuptlingen eine leichte Bewegung wahrnehmen. Der Redner begann in gedämpfter, aber feierlicher Weise, und seine Betonung wechselte zwischen dem tiefen, eindrucksvollen Kehllaute und einem sanften Schwung auf eine Art, wie diese nur der vollendeten Beredsamkeit eigen ist. Während ich ihm zuhörte, kam es mir vor, als sei ich jetzt zum ersten Mal Zeuge von der gewinnenden Macht, welche die menschliche Stimme auszuüben vermag. Er sprach langsam und nachdrucksvoll, wie es wahre Redner stets zu halten pflegen.

»Der große Geist läßt die Menschen verschieden werden,« begann Adlersflug. »Einige sind wie die Weiden, die im Wind sich beugen und im Sturm zerbrochen werden. Andere gleichen den Tannen mit schmächtigen Stämmen, wenigen Zweigen und weichem Holz. Hin und wieder zeigt sich eine Eiche unter ihnen, die auf der Prairie wächst, ihre Aeste weit hin breitet und einen lieblichen Schatten wirft. Dieses Holz ist hart und von großer Dauerhaftigkeit. Warum hat der große Geist die Bäume so verschieden geschaffen? – warum läßt der große Geist die Menschen so verschieden sein? Er hat seine guten Gründe dazu, obschon wir sie nicht kennen. Was er thut, ist immer recht.

»Ich habe Redner an unsren Berathungsfeuern sich darüber beklagen hören, daß die Dinge so sind, wie es die Erfahrung lehrt. Sie sagen, das Land, die Seen, die Flüsse und die Jagdgründe gehörten nur den rothen Männern und kein anderer sollte sich je darauf blicken lassen. Der große Geist hat anders gedacht, und was er denkt, das geschieht. Die Menschen haben allerlei Farben, einige sind roth, wie mein Vater, einige sind blaß, wie meine Freunde hier. Es gibt auch schwarze, und dieß ist die Farbe von dem Freund meines Vaters. Er ist schwarz, obgleich das hohe Alter seine Haut verändert hat. Alles dieß muß so sein, denn der große Geist hat es gewollt, und wir dürfen uns nicht beklagen.

»Mein Vater sagt, er sei sehr alt – die Tanne in den Wäldern sei kaum älter. Wir wissen es. Dieß ist einer von den Gründen, die uns bewogen haben, so weit herzukommen, um ihn zu sehen; aber wir haben auch noch einen andern, und mein Vater kennt ihn ebensogut, wie wir. Seit hundert Wintern und Sommern ist uns dieser Grund nicht aus dem Sinne gekommen. Die Greise haben's den jungen Männern erzählt, und die jungen Männer, als sie älter wurden, erzählten's ihren Söhnen. In dieser Weise haben auch wir davon erfahren. Wie viele schlimme Indianer haben in dieser Zeit gelebt, sind gestorben und liegen im Schooß der Vergessenheit! der gute Indianer aber lebt am längsten in unsrem Gedächtniß. Wir möchten vergessen, daß es je schlechte Menschen unter unsren Stämmen gab, aber die guten vergessen wir nie.

»Ich habe viele Veränderungen gesehen. In Vergleichung mit meinem Vater bin ich nur ein Kind; und doch fühle ich die Kälte von sechzig Wintern in meinen Knochen. Während dieser ganzen Zeit sind die rothen Männer immer mehr gegen die untergehende Sonne hingezogen, und bisweilen kommt mir der Gedanke, ich werde es noch erleben, sie zu erreichen. Sie muß zwar weit abgelegen sein, aber wer nie Halt macht, kann eine große Strecke zurücklegen. Und gehen wir auch dahin, so werden die Blaßgesichter uns folgen. Warum Alles dieß so ist, weiß ich nicht. Mein Vater ist weiser, als sein Sohn, und vielleicht im Stande, es uns zu sagen. Ich setze mich nieder, um seine Antwort zu hören.«

Obgleich Adlerflug so ruhig gesprochen, und in einer Weise geendet hatte, wie ich es nicht erwartete, herrschte doch allerseits eine gespannte Theilnahme an Allem, was jetzt vorging. Der eigentliche Grund, warum die rothen Häuptlinge so weit von ihrem Weg abgegangen waren und Susquesus besucht hatten, war noch nicht enthüllt worden, obschon wir Alle dieser Erklärung mit Begier entgegensahen; die tiefe Ehrerbietung aber, welche diese Fremdlinge aus den Wildnissen des fernen Westens gegen unsern hochbetagten Freund an den Tag legten, gab uns die Versicherung, daß wir, wenn die Hauptsache einmal zur Sprache käme, in unsern Erwartungen nicht getäuscht werden würden. Auf die kurze Anrede des letzten Sprechers folgte wie gewöhnlich eine Pause, und Susquesus erhob sich dann abermals, um das Wort zu ergreifen.

»Meine Kinder,« sagte er, »ich bin sehr alt. Als vor fünfzig Herbsten das Laub fiel, glaubte ich die Zeit sei für mich gekommen, in die glücklichen Jagdgründe meines Volkes zu gehen und wieder eine Rothhaut zu sein. Aber mein Name wurde nicht gerufen. Ich bin allein hier zurückgeblieben, mitten in den Feldern, Häusern und Dörfern der Blaßgesichter, ohne daß ein einziges Wesen von meiner Farbe und meinem Geschlecht, mit dem ich hätte sprechen können, in der Nähe gewesen wäre. Mein Haupt ist fast weiß geworden. Aber je mehr die Jahre meinen Körper bedrückten, desto mehr wandte sich der Geist meiner Jugend zu. Ich fing an, die Schlachten, die Jagden und die Reisen meines mittleren Lebens zu vergessen, und nur an die Dinge zu denken, die ich sah, als ich ein junger Häuptling unter den Onondagoes war. Mein Tag ist jetzt ein Traum, in welchem mir die Vergangenheit vor die Seele tritt. Warum sieht das Auge von Susquesus nach hundert und mehr Wintern soweit? Kann mir das Jemand sagen? Ich glaube nicht. Wir begreifen den großen Geist nicht und verstehen ebensowenig sein Wirken. Ich bin hier, wo ich war vor der Hälfte meiner Tage. Jener große Wigwam ist der Wigwam meiner besten Freunde. Obgleich sie blasse Gesichter haben und das meine roth ist, sind doch unsere Herzen von derselben Farbe. Sie vergesse ich nie – nein, nicht einen einzigen von ihnen. Ich sehe sie Alle vom Aeltesten bis zum Jüngsten. Sie scheinen von meinem Blute zu sein. Dieß ist eine Wirkung der Freundschaft und der vielen Liebe, die sie mir erzeigten. Was ich jetzt sehe, sind lauter Blaßgesichter, und die rothen Männer, die vor meinen Augen stehen, sind Alle an andern Plätzen. Mein Geist weilt bei ihnen.

»Meine Kinder, ihr seid jung, und siebenzig Winter sind schon sehr viel für einen von euch. So ist's nicht bei mir. Warum ich allein hier stehen bleiben mußte in der Nähe der Jagdgründe unserer Väter – dieß ist mehr, als ich sagen kann. Aber so ist es und so muß es auch recht sein. Man sieht bisweilen eine welke Tanne allein in den Feldern der Blaßgesichter stehen. Ich bin ein solcher Baum. Er wird nicht umgehauen, weil das Holz unnütz ist und die Squaws es nicht einmal zum Kochen benutzen wollen. Wann die Winde wehen, scheinen sie nur in seiner Nähe zu blasen. Er ist des Alleinstehens müde, kann aber nicht fallen. Der Baum sehnt sich nach der Axt, aber Niemand legt sie an seine Wurzel. Seine Zeit ist noch nicht gekommen. So ergeht es mir – auch meine Zeit ist noch nicht da.

»Kinder, meine Tage sind jetzt Träume von meinem Stamm. Ich sehe den Wigwam meines Vaters. Er war der beste im Dorf. Mein Vater war ein Häuptling, und das Wildpret mangelte nie in seiner Hütte. Ich sehe ihn noch, wie er von dem Kriegspfad kommt, mit vielen Skalpen an seinem Spieße. Er hatte viele Wampums und trug viele Medaillone. Die Skalpe an seinem Spieß waren bisweilen von rothen Männern, bisweilen von Blaßgesichtern, und er hatte sie alle selbst genommen. Auch meine Mutter sehe ich. Sie liebte mich, wie die Bärin ihre Jungen. Ich hatte Brüder und Schwestern – auch sie sehe ich. Sie lachen, sie spielen und scheinen glücklich zu sein. Da ist die Quelle, wo wir Wasser in unsere Kürbisflaschen füllten, und dort ist der Hügel, wo wir wartend lagen, bis die Krieger zurückkamen vom Kriegspfad und von der Jagd. Alles hat einen lieblichen Anblick für mich. Dort stand ein Dorf des Onondagoes, meines Volks, und vor hundert und zwanzig Winter liebte ich sie. Ich liebe sie noch immer, als sei diese Zeit nur ein Winter und ein Sommer. Die Zeit übt keinen Einfluß auf den Geist. Fünfzig Jahre lang dachte ich nur wenig an mein Volk. Meine Gedanken waren auf der Jagd und auf dem Kriegspfad; ich theilte die Streitigkeiten der Blaßgesichter, unter denen ich lebte. Jetzt aber, ich wiederhole es, denke ich am meisten an die Vergangenheit und an meine jungen Tage. Es ist ein großes Geheimniß, daß wir fernliegende Dinge so deutlich sehen können, während das unsern Blicken entgeht, was uns so nahe ist. Und dennoch ist es so.

»Kinder, ihr fragt, warum die rothen Männer fortwährend der untergehenden Sonne zuziehen und warum die Blaßgesichter ihnen folgen. Ihr fragt, ob der Platz, wo die Sonne untergeht, je zu erreichen sein wird, und ob wohl die blassen Menschen auch dahin gehen, um zu pflügen, zu bauen und die Bäume zu fällen. Wer gesehen hat, was sich schon zutrug, sollte auch wissen, was wieder eintreffen wird. Ich bin sehr alt, sehe aber nichts Neues. Ein Tag ist, wie der andere. Mit jedem Sommer kommen dieselben Früchte, und die Winter sind die nämlichen. Der Vogel baut oftmalen in denselben Baum.

»Meine Kinder, ich habe lange unter den Blaßgesichtern gelebt; aber dennoch ist mein Herz von der nämlichen Farbe, wie mein Gesicht. Ich habe nie vergessen, daß ich ein rother Mann bin, und die Onondagoes lebten stets in meinem Gedächtniß. Als ich noch jung war, deckten schöne Wälder diese Gegend. Nah und fern sprangen der Hirsch und das Musethier unter den Bäumen. Nur der Jäger gebot ihnen Halt. Es ist anders geworden! Der Pflug hat den Hirsch fortgescheucht, und das Musethier bleibt nicht in einer Gegend, wo es die Glocken einer Kirche hört, denn es weiß nicht, was dieß bedeutet. Der Hirsch geht zuerst. Der rothe Mann hält sich an seine Spur und das Blaßgesicht bleibt nie weit zurück. So ist's gewesen, seit die großen Canoes der Fremden zuerst in unsre Gewässer kamen; so wird es sein, bis ein anderer Salzsee erreicht ist unter der niedergehenden Sonne. Wann der rothe Mann diesen andern See sieht, muß er Halt machen, und in den offenen Feldern sterben, wo es Rum, Tabak und Brod in Menge gibt – oder er muß gehen in den großen Salzsee des Westen und ertrinken. Warum dieß so ist, kann ich nicht sagen. Wie es war, weiß ich, und daß es so kommen wird, glaube ich. Es ist ein Grund dafür vorhanden, aber Niemand kennt denselben, als der große Geist.«

Susquesus hatte mit ruhiger Klarheit gesprochen und Vielzunge übersetzte mir seine Rede Satz für Satz. Die Häuptlinge hörten mit so tiefer Aufmerksamkeit zu, daß ich ihr unterdrücktes Athmen hörte. Wir Weißen sind so mit uns selbst und unseren zeitlichen Angelegenheiten beschäftigt – auch sind wir der Meinung, daß alle menschlichen Rassen so weit unter uns stehen, daß wir selten Zeit oder Lust haben, über die Folgen unsrer Handlungen nachzudenken. Aber gleich dem Rade, das auf der Landstraße dahinrollt, erdrücken wir rücksichtslos manches untergeordnete Wesen auf unserm Pfade. So haben wir's dem rothen Menschen gegenüber gehalten, und so wird es, wie der Fährtelose sagte, fortgehen. Er wird gedrängt werden nach dem Salzsee des fernen Westen, in den er sich hineinstürzen und ertrinken muß, wenn er nicht umkehren will, um in der Mitte des Ueberflusses zu sterben. Onkel Ro kannte die Indianer und ihre Sitten mehr als irgend Jemand von uns, vielleicht meine Großmutter ausgenommen – denn sie war in ihrem früheren Leben in häufige Berührung mit ihnen gekommen, und hatte als junges Mädchen mit ihrem Onkel, welchen man den »Kettenträger« nannte, sogar in den Wäldern und in der Nähe des Stammes der Onondagoes gewohnt, von denen sie den Namen Susquesus oft mit hoher Achtung nennen hörte, obgleich dieser schon damals von seinem Volke geschieden war. Nachdem unser alter Freund seinen Sitz wieder eingenommen hatte, rief sie durch einen Wink ihren Sohn und mich an die Seite des Wagens, um mit uns über die Rede des greisen Kriegers zu sprechen, denn Vielzunge hatte uns die Uebersetzung laut genug mitgetheilt, daß unsre ganze Gesellschaft sie hören konnte.

»Bei dem gegenwärtigen Besuch handelte sich's nicht um ein besonderes Anliegen, sondern nur um eine Förmlichkeit,« sagte sie. »Wahrscheinlich werden die Fremden morgen mit ihrem wahren Zwecke herausrücken. Was bis jetzt vorfiel, bestand blos aus Höflichkeitsbezeugungen, mit dem kleinen Wunsch untermischt, die Weisheit des Alters zu hören. Der rothe Mann übereilt sich nie, und Ungeduld ist ein Mangel, den er gerne uns Weibern zur Last legt. Nun, obschon wir Frauenzimmer sind, können wir doch warten und meinetwegen auch einige von uns weinen, wie du dieß eben jetzt, namentlich an Miß Mary Warren, bemerken kannst.«

Dieß war vollkommen richtig, denn die schönen Augen sämmtlicher vier Mädchen glänzten in Thränen, während die Wangen der besonders hervorgehobenen jungen Dame noch feucht von dem Naß waren, das sich bei ihr in reichlicher Menge ergossen hatte. Bei der Anspielung auf ein solches Uebermaaß von Theilnahme trocknete sie ihre Augen, und ihr Antlitz erglühete in einem Grade, daß ich's für passend hielt, meine Blicke abzuwenden.

Während dieses Zwischenspiels stand Prairiefeuer abermals auf und machte dem Einleitungsbesuche durch eine abermalige kurze Rede ein Ende.

»Vater,« sagte er, »wir danken dir. Was wir gehört haben, soll nicht in Vergessenheit gerathen. Alle rothen Männer fürchten sich vor jenem großen Salzsee unter der niedergehenden Sonne, in welchen sie, wie die Sage geht, jede Nacht sich eintaucht. Was du uns gesagt hast, wird uns veranlassen, mehr darüber nachzudenken. Wir kommen weit her und sind müde. Wir wollen jetzt nach unsrem Wigwam gehen, um dort zu essen und zu schlafen. Morgen, wenn die Sonne dort steht« – er deutete nach einem Theile des Himmels, durch welchen ungefähr die Stunde neun Uhr bezeichnet wurde – »wollen wir wieder kommen und unsre Ohren öffnen. Der große Geist, der dich so lang am Leben erhielt, wird dich auch bis dahin schonen, und wir wollen nicht vergessen, zu kommen. Es ist zu lieblich für uns, dich in unserer Nähe zu wissen, als daß uns unser Gedächtniß untreu werden könnte. Lebe wohl.«

Die Indianer erhoben sich jetzt in Masse und blieben noch eine volle Minute in tiefem Schweigen stehen, um Susquesus zu betrachten; dann entfernten sie sich schnellen Schritts in einer Zeile, und folgten ihrem Führer nach dem Quartiere, welches sie für die Nacht beherbergen sollte. Wie der Zug lautlos dahinging, überflog ein Schatten das düstere Antlitz des Fährtelosen und er lächelte denselben Tag nicht wieder.

Diese ganze Zeit über hatte der Neger und Altersgenosse des Indianers durch murrende Töne seine Unzufriedenheit darüber ausgedrückt, daß so viele Rothhäute anwesend waren, obschon sein Freund nicht darauf achtete und es vielleicht nicht einmal hörte.

»Was Ihr thun mit denen Inschen?« brummte er, nachdem die Fremdlinge verschwunden waren. »Nie gut, wenn solche Leut' kommen. Wie viel mal sie treib' Deifelei in der Wald, wie Ihr und ich nicht sehr weit ab war, Sus. Wie alt Ihr werd' Rothhaut und vergeßlich. Niemand kann's aushalt' mit farbig' Mann. Botz, ich zuweil' glaub, ich leb' ebig, und es mir oft wunnerbar, wenn ich daran denk', wie lang ich bleib auf dieser Erd'!«

Dergleichen Ergüsse waren nichts Ungewöhnliches bei dem alten Jaaf, und Niemand achtete darauf. Auch schien er selbst keine Antwort zu erwarten, und es dachte Niemand entfernt daran, ihm etwas darauf zu erwiedern. Was den Fährtelosen betraf, so erhob er sich mit traurigem Gesichte, und begab sich nach der Hütte, einem Manne gleich, welcher wünscht, mit seinen Gedanken allein gelassen zu werden. Meine Großmutter ertheilte Weisung, daß der Wagen weiter fahren sollte, und wir Uebrigen kehrten zu Fuß nach dem Hause zurück.


 


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