James Fenimore Cooper
Die Monikins
James Fenimore Cooper

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Fünfzehntes Kapitel.

Ankunft. Empfangsfeierlichkeiten. Einige neue Taufen. Ein offizielles Dokument. Terra firma

Es ist immer angenehm, nach einer langen, ermüdenden, gefährlichen Reise glücklich anzukommen. Aber das Vergnügen wird beträchtlich erhöht, wenn der Besuch einem neuen Lande gilt, mit einem Dampfklima und einer ganz neuen Art von Bewohnern. Meine Lust vereinte sich noch mit dem Bewußtsein, daß ich den vier sehr interessanten und wohl erzognen Fremdlingen von wirklichem Nutzen gewesen, die durch ein Mißgeschick in die Hände der Menschen gebracht worden, und mir weit mehr als ihr Leben verdankten, die Wiedereinsetzung nämlich in ihre natürlichen und erworbenen Rechte, in ihre wahre Stellung in der Gesellschaft und in die heilige volle Freiheit. Der Leser kann sich daher denken, mit welcher innern Selbstzufriedenheit ich jetzt die Danksagungen der ganzen Monikins-Gesellschaft und ihre feierlichen Versicherungen annahm, nicht allein alles das, was sie vereint und besonders besitzen möchten, Güter und Würden, als zu meiner gänzlichen Verfügung stehend zu betrachten, sondern auch ihre Personen als meine Sklaven anzusehen. Freilich stellte ich so gering als möglich jeden kleinen Dienst dar, den ich ihnen etwa gethan, und versicherte meiner Seits, daß ich das ganze mehr als eine Vergnügungsreise, als wie eine Aufgabe betrachte, sie erinnernd, wie ich nicht nur einen Blick in eine neue Philosophie gethan, sondern auch, Dank dem Decimalsystem, bedeutende Fortschritte in ihrer alten und gelehrten Sprache gemacht. Diese Höflichkeiten waren kaum vorüber, als das Boot des Hafenkapitains bei uns anlegte.

Die Ankunft eines Menschen-Schiffs war ein Ereigniß, das leicht Aufregung in einem Monikins-Lande hervorbringen konnte; und da man unsre Annäherung mehrere Stunden bemerkt, waren Vorkehrungen getroffen worden, uns einen gehörigen Empfang zu bereiten. Die Sektion der Academie, der der Schutz der »Wissenschaft der Anzeichen« anvertraut ist, ward auf Befehl des Königs schnell versammelt. Dieser spricht, beiläufig gesagt, nur durch den Mund seines ältesten ersten Vetters, der, nach den Fundamentalgesetzen des Reichs, für alle offizielle Akte (im Privatleben hat der König fast eben so viele Vorrechte, als jeder andre Monikin) verantwortlich, und wie recht und billig in staatsrechtlicher Beziehung die Funktionen der Augen, Ohren, Nase, des Gewissens und Schweifs des Monarchen auszuüben befugt ist. Die Gelehrten waren schnell, und da sie mit Methode und nach wohl begründeten Principien verfuhren, war ihr Rapport bald gemacht. Er enthielt, wie wir später erfuhren, sieben Blätter Einleitung, eilf Blätter Beweisführung, sechszehn Blätter Vermuthung und zwei Zeilen Schluß. Diese schwere Aufgabe für den Monikinschen Verstand wurde gehörig gelöst durch Vertheilung der Arbeit in eben so viele Stücke, als Mitglieder der Sektion gegenwärtig waren, nämlich in vierzig. Die Hauptsache ihrer Arbeit war, zu sagen, das ansichtig gewordne Schiff sei ein fremdes, es käme in ein fremdes Land, zu einem fremdartigen Zweck und sei von Fremden bemannt; seine Absichten seien wahrscheinlich eher friedlich als kriegerisch, da die Gläser der Academie [*Schreibfehler bei Silbentrennung korrigiert] keine Mittel zu schaden auf ihm entdecken konnten, mit Ausnahme gewisser wilder Thiere, die jedoch friedlich mit Lenkung des Schiffs beschäftigt schienen. All dieses war sententiös im reinsten Monikinsch ausgedrückt. Die Folge des Rapports war, daß alle feindliche Vorkehrungen abgestellt wurden.

Nicht sobald war das Boot des Hafen-Kapitains am Ufer mit der Nachricht zurück, das fremde Schiff habe Mylord Chatterino, Mylady Chatterissa und Dr. Raisono an Bord, als längst des ganzen Strandes ein allgemeines Freudengeschrei erschallte. Alsbald befahl der König, – oder eigentlich sein ältester erster Vetter, die gewöhnlichen Bewillkommnungen seinen ausgezeichneten Unterthanen zu erweisen; eine Deputation junger Herren, die Hoffnung von Springhoch, kamen heran, ihren Genossen zu empfangen, während ein Kranz schöner Mädchen von hoher Geburt sich um die lächelnde, anmuthige Chatterissa drängte, ihr Herz durch ihre liebegewinnenden Liebkosungen und Glückwünsche erfreuend.

Das edle Paar verließ uns in besondern Booten, jedes von einer gehörigen Suite begleitet. Wir vergaßen die kleine Nachlässigkeit, daß sie nicht Abschied von uns nahmen; Freude hatte sie ganz ausser sich gebracht. Zunächst kam eine lange Procession von lauter hohen Zahlen, alle von »braun-Stubenfarbe.« Diese gelehrten, würdevollen Personen waren eine Deputation von der Academie; sie hatte nicht weniger als vierzig geschickt, Dr. Raisono zu empfangen. Das Zusammentreffen der Monikinität und der Wissenschaft trug den Stempel der höchsten Vernunft. Jede Sektion (es sind deren in der Academie von Springhoch vierzig) hielt eine Rede, die alle Dr. Raisono gehörig beantwortete, immer genau dieselben Gedanken beibehaltend, aber den Gegenstand durch Versetzungen variirend, wie bekanntlich Wörterbücher durch die sinnreichen Combinationen der 24 Buchstaben zu Stande kommen. Dr. Raisono entfernte sich mit seinen Gefährten zu meinem Erstaunen Kapitain Poke und mir nicht einen Gran mehr Aufmerksamkeit schenkend, als in jedem hoch civilisirten Land der Christenheit bei einer ähnlichen Gelegenheit von einer Gesellschaft Gelehrter der zufälligen Gegenwart von zwei Affen geschenkt werden würde. Ich dachte, das fange schlecht an, und schon regten sich Gefühle, wie sie Sir John Goldenkalb, Baronet, von Householder-Hall im Königreich Großbritanien zukamen, als meine Gedanken durch die Ankunft der Registrirungs- und Circulirungs-Beamten abgewandt wurden. Es war das Amt der letztern, uns die geeigneten Pässe zu geben, um an's Land und darin herum gehen zu können, nachdem die erstern vorher unsre Zahlen und Farben gehörig einregistrirt hätten, um uns dadurch unter die Taxen zu bringen. Der Registrirungs-Beamte war durch lange Praxis sehr schnell; er entschied sogleich, daß ich für mich eine neue Klasse bildete, von der ich natürlich Nro. 1. war. Der Kapitain und seine zwei Steuerleute bildeten eine zweite, Nro. l. 2. und 3. – Bob bekam auch eine Klasse für sich, und die Ehren von Nro.1. und das Schiffsvolk bildete wieder eine; sie wurden nach ihrer Größe gezählt, da das Register ihre Verdienste nur für körperlich hielt. Dann kam der wichtige Punkt der Farbe, wovon die Qualität der Klasse oder Kaste abhing, da die Zahlen nur unsre respektiven Stellungen in den besondern Divisionen andeudeten. Nach vielem Berathschlagen und Fragen ward ich Nro. 1. fleischfarben einregistrirt; Noah, Nro. 1., meergrün, und seine Steuerleute ebenso Nro. 2. und 3. Bob, Nro. 1., Schmutzfarben, und die Schiffmannschaft, Nro. 1. 2. 3. etc. Theerfarben. Der Beamte rief nun seinen Beigegebenen mit einer Art heiß gemachter Stricknadel heranzukommen, um uns allen nach der Reihe den offiziellen Stempel aufzudrücken. Zum Glück für uns, war Noah der erste, an den sich das Stempelamt wandte, daß er sich entblöße und zur Operation geschickt mache. Die Folge war einer jener Ausbrüche beredten, logischen Scheltens und remonstrirender Ausrüfe, denen jede neue persönliche Kraftäußerung in dem Robbenfänger nie Luft zu machen verfehlte. Seine Rede bei dieser Gelegenheit kann in folgende Hauptstücke eingetheilt werden, die alle sehr artig durch die gewöhnlichen Ausfüllpartikeln und Bilder verschönert waren. »Er sei kein Vieh, gebrannt zu werden wie ein Pferd, noch ein Sklave, sich behandeln zu lassen wie ein Congo-Neger; er sehe nicht die Nothwendigkeit ein, Menschen zu markiren, die schon hinlänglich von Affen unterschieden wären; Sir John habe ein Wörtchen vor seinem Namen, und wenn er wolle, möge er sich, des Gleichgewichts wegen, auch etwas hintenhin machen lassen, aber er brauche kein Anhängsel dieser Art und sei zufrieden mit dem simpeln Noah Poke; er sei Republikaner, und es sei antirepublikanisch, eingegrabene Zeichen an sich herumzutragen; er glaube auch, es heiße der heiligen Schrift zu nahe treten, oder was noch schlimmer sei, ihr den Rücken wenden; das Wallroß habe an seinem Hintertheil in guten lesbaren Buchstaben seinen Namen, und das wäre genug für sie beide!« er versicherte, verschwur seine Augen, er wolle nicht gebrandmarkt sein, wie ein Dieb; er wünsche sogleich den Großsiegelbewahrer zum Teufel, er bestand darauf, die ganze Gewohnheit habe gar keinen Nutzen, wenn man nicht alles vor sich wegstieße und gerade vorwärts in eine Gesellschaft träte, eine Rohheit, über welche menschliche Natur sich empörte; er kenne in Stonington einen Mann, der fünf Namen hätte, und er möchte doch wissen, was sie mit ihm anfangen wollten, wenn diese Gewohnheit dort aufkäme; er habe nichts gegen ein wenig malen, aber eine glühend rothe Stricknadel solle mit seinem Fleisch nicht Bekanntschaft machen, so lange er auf seinem Verdeck herumschreite.«

Der Siegelbewahrer hörte auf diese Vorstellungen mit seltner Geduld und Mäßigung, eine Artigkeit, die wahrscheinlich daher rührte, daß er kein Wort von dem Gesagten verstand. Aber es giebt eine allgemeine Sprache, und es ist eben so leicht zu verstehen, wenn ein Mensch leidenschaftlich ist, als jedes andre gereizte Thier zu erkennen. Der Offizier des Einregistrirungs-Departement fragte bei dieser Beobachtung mich höflichst, ob nicht etwa ein Theil seiner Amtspflichten ganz besonders Nro. 1. meergrün unangenehm wäre. Als ich gestand, der Kapitain weigre sich des Brandmals, zuckte er die Schultern, und bemerkte, daß die Gebote des Staats selten angenehm wären, aber Amtspflicht sei Amtspflicht, die Stempelakte laute peremtorisch, und kein Fuß von uns könne Springhoch betreten, bis wir alle auf diese Art in vollkommner Uebereinstimmung mit der Registrirung versehen wären. Ich war sehr in Verlegenheit, was bei diesem unbezwinglichen Vorsatz des Beamten, seine Pflicht zu erfüllen, zu thun sei; denn, die Wahrheit zu gestehen, meine eigne Haut hatte ganz eben so großen Abscheu vor der Operation, als nur immer die des Kapitains; es war nicht sowohl das Princip, als die Neuheit der Anwendung, die mich zur Verzweiflung brachte, denn ich war schon zuviel gereist, um nicht zu wissen, daß ein Fremder selten ein civilisirtes Land betritt, ohne mehr oder weniger geplagt zu werden, und daß nur die ganz Wilden ihn ungeschoren durchlassen. Es fiel mir plötzlich ein, daß die Monikins all den Rest ihrer besondern Vorräthe an Bord zurückgelassen, der aus einer großen Menge der herrlichsten Nüsse bestand. Ich ließ einen Sack der besten holen, und ihn in des Registrators Boot bringen, indem ich sagte, ich wisse, sie seien seiner ganz unwürdig, aber ich hoffte, wie sie wären, würde er mir erlauben, sie seiner Frau zum Geschenk zu machen. Diese Aufmerksamkeit ward gehörig empfunden und aufgenommen, und einige Augenblicke nachher wurde mir ein Certifikat folgenden Inhalts eingehändigt, nämlich:

»Springhoch, Versprechen-Zeit, Ausführungstag.«

»Dieweil gewisse Individuen von der Menschenklasse sich kürzlich zur Einregistrirung nach dem Statut: Unter Förderung der Ordnung und Classifizirung und über Eintreibung der Steuern« gestellt haben, und Dieweil diese Personen noch in der zweiten Classe des animalischen Prüfungsstandes stehen, und körperlichen Eindrücken mehr erliegen als die höheren oder Monikins-Arten, – So sei nun kund und zu wissen allen Monikins, daß sie mit Farbe gestempelt sind, und zwar nur nach ihrer Nummer, da jede Classe unter ihnen leicht von den andern an äusseren und unauslöschlichen Zeichen zu unterscheiden ist.

Unterzeichnet,

Nro. 8020, Amts-Farbe.«

Es wurde mir gesagt, alles, was wir nun zu thun hätten, wäre, uns mit Farbe oder Theer, wie wir wollten, zu markiren, der letztre wurde für die Schiffsmannschaft empfohlen; wir brauchten nur die Nummern, und wenn wir an's Land kämen und ein Gensdarme fragte, warum wir nicht den gesetzlichen Stempel an uns hätten, was sehr möglich wäre, da das Gesetz keine Ausnahme mache, brauchten wir nur das Certifikat zu zeigen, und wenn das nicht hinlänglich, so wären wir ja Leute von Welt, und verstünden den Lauf der Dinge zu gut, um uns erst den einfachen Satz in der Philosophie lehren zu lassen: Gleiche Ursachen gleiche Wirkungen! Er setze nämlich voraus, ich könne seine Verdienste nicht so sehr überschätzt haben, daß ich alle meine Nüsse in sein Boot gebracht. Ich gestehe, es that mir nicht sehr leid, den Offizier diese Winke geben zu hören, denn sie überzeugten mich, daß meine Reise durch Springhoch mit weniger Schwierigkeiten verbunden sein würde, als ich gedacht, da ich jetzt klar bemerkte, daß die Monikins nach Grundsätzen verfahren, die nicht wesentlich von denen der Menschheit überhaupt verschieden sind.

Der gefällige Registrator und der Siegelbewahrer verabschiedeten sich zusammen, worauf wir alsbald der Anweisung gemäß uns zu numeriren anfingen. Da der Grundsatz schon fest stand, war seine Anwendung uns weiter nicht schwer, Noah, Bob, ich, die größten der Seeleute waren alle Nro. 1, die andern folgten. So ward es Nacht, die Wachboote erschienen auf dem Wasser und wir verzögerten unsre Ausschiffung bis zum Morgen.

Alles war früh auf. Es war festgesetzt worden, Capitain Poke und ich, von Bob als Diener begleitet, wollten landen, um eine Reise durch die Insel zu machen, während das Wallroß der Obhut der Steuerleute und Matrosen überlassen blieb; sie hatten Erlaubniß, von Zeit zu Zeit an's Land zu gehen, wie dieß gewöhnlich bei allen Seeleuten im Hafen ist. Es brauchte viel Fegen und Schaben, ehe die ganze Gesellschaft in geeignetem Aufzug für diese Gelegenheit auf dem Verdeck erscheinen konnte. Poke trug ein dünnes Linnengewand, herrlich geeignet, ihm das Ansehen eines Seekalbs zu geben; eine Täuschung, die nicht nur seinem Herzen angenehm, und zu seinen Gewohnheiten passe, sondern auch etwas kühles, angenehmes habe, ganz und gar mit einem Dampf-Klima übereinstimmend. Ich stimmte mit dem Seehundfänger ganz überein, da ich gar keinen Unterschied zwischen diesem Gewand und gänzlicher Nacktheit zu finden vermochte. Mein Anzug war nach eignem Plan nach dem socialen Anhaltspunkt-System eingerichtet, oder mit andern Worten, es hatte etwas von fast allen Thieren in Exeter Change. In diese Menagerie war der Künstler, der es gemalt, ganz besonders geschickt worden, um die Natur zu berathen. Bob trug das Bild, wie sein Herr sich ausdrückte, von einem Pavian.

Die Monikins waren viel zu gebildet, um bei unsrer Landung mit unbescheidner, lästiger Neugier sich um uns herumzustellen. Vielmehr wurden wir ohne Beschwerde und Hindrung bis zur Hauptstadt selbst zugelassen. Da es weniger meine Absicht ist, das Physische zu beschreiben, als mich über die Philosophie und moralische Seite von Springhoch auszulassen, werde ich von ihren Häusern, häuslichen Einrichtungen und andern Fortschritten in den Künsten nicht viel mehr sagen, als man nebenbei im Verlauf der Erzählung abnehmen kann. Es mag hinreichen zu bemerken, daß in diesem Punkt die Springhoch-Monikins gleich den Menschen ihre Bequemlichkeit berücksichtigen, oder sie zu berücksichtigen glauben, – was, so lange sie's nicht besser wissen, offenbar dasselbe ist, und zwar in jeder Hinsicht, den Beutel allein ausgenommen; und daß sie sehr löblich, es immer wie ihre Väter vor ihnen machen, sich selten Aenderungen erlaubend, es sei denn, sie hätten etwa die Empfehlung des »ausländischen« für sich, wo sie denn freilich angenommen werden, offenbar des großen Vorzugs wegen, daß sie als einem andern, fremden Zustand der Dinge angemessen erprobt worden sind.

Unter den ersten, auf die wir trafen, als wir auf den großen Platz von Aggregation traten (so könnte man etwa den Namen der Hauptstadt von Springhoch wiedergeben) war Mylord Chatterino. Er spazierte freudig mit einer Gesellschaft junger Adligen herum, die alle ihre Jugend, Gesundheit, ihren Rang und ihre Vorrechte mit unendlichem Gout zu genießen schienen. Wir begegneten ihnen so, daß dadurch ein Entfliehen vor gegenseitigem Wiedererkennen unmöglich wurde. Zuerst schloß ich aus seinem abgewendeten Auge, es habe unser früherer Schiffsgenosse die Absicht, unsre Bekanntschaft als eine von den gefälligen Begegnungen zu betrachten, wie wir sie alle bekanntlich an Bädern, auf Reisen, auf dem Lande haben, und die in der Stadt aufzudringen von schlechter Erziehung zeugen würde; oder, wie Kapitain Poke es später bezeichnete, wie eine Bekanntschaft zwischen einem Engländer und einem Amerikaner, die im Hause des letztern gemacht worden, und bei besserm Wein als irgend wo sonst gefunden wird, die aber, soviel man weiß, noch nie den Einwirkungen des Britischen Nebels hat widerstehen können. »Ei, Sir John,« fuhr der Robbenjäger fort, »ich nahm ein Mal einen Eurer Landsleute unter meine Fittiche, zu Stonington, während des letzten Kriegs. Er war ein Gefangener, wie wir immer Gefangne machen, das heißt, er ging und that, so ziemlich, was er wollte; der Bursche bekam das beste von allem; Brandweinsyrup, ein Spahn hatte drinn stehen können, Schinken, ein Schiffsmast hätte sich nach ihm biegen mögen, und Neu-England-Rum, ein König hätte sich zu ihm hingesetzt, wäre aber nicht wieder davon weggekommen; – nun, was war das Ende von allem? so wahr wir unter diesen Affen sind, der Kerl brachte mich in's Buch! Hätte ich nur halb soviel in's Buch gebracht, als er verschlang, der Betrag wäre über die Competenz eines jeden Friedensgerichts im Lande gewesen. Er sagte darin, mein Schnapps war dünn, das Fleisch mager und der Rum infernalisch! das war Wahrheit und Dankbarkeit; er ließ das ganze drucken, als ein Müsterchen von dem, was er amerikanische Lebensart nannte.«

Da erinnerte ich denn meinen Gefährten, daß ein Engländer auch nicht Wohlthaten aus Zwang anzunehmen liebe; daß, wenn er auf einen Fremden in seinem Lande trifft, und Herr über seine Handlungen ist, niemand besser wahre Gastfreundschaft zu erweisen versteht, wie ich ihm eines Tags zu Householder-Hall zu beweisen hoffte; übrigens müsse er bedenken, daß ein Engländer Amerika nur wie das Land ansähe, und es von übler Erziehung zeuge, eine dort gemachte Bekanntschaft geltend machen zu wollen.

Noah war wie die meisten Leute in allen Stücken sehr billig, die nicht mit seinen Vorurtheilen und Ansichten in Berührung kamen, und gab sehr gerne die Nichtigkeit meiner Bemerkung im Allgemeinen zu.

»Es ist so ziemlich, wie Ihr sagt, Sir John,« fuhr er fort. »In England preßt Ihr Leute, aber Gastfreundschaft zu erpressen, das ginge nicht; ein Freiwilliger wär' was anders. Ich hätte mich nicht sehr um des Hasenfußes Buch bekümmert, wenn er nur nichts gegen den Rum gesagt. Ei, Sir John, als die Engländer Stonington mit Achtzehnpfündern bombardirten, schlug ich vor, unsern alten Zwölfer mit einer Gallone gerade aus demselben Faß zu laden, das hätte den Schuß wenigstens eine Meile weit getrieben.«

Aber diese Abschweifung bringt mich von meiner Erzählung ab. Mylord Chatterino drehte den Kopf ein wenig seitwärts, als wir vorübergingen, und ich ging mit mir zu Rathe, ob es unter den Umständen wohlgezogen sein würde, ihn an unsre alte Bekanntschaft zu erinnern, als die Frage durch Kapitain Poke entschieden ward. Er nahm eine Position an, daß es nichts leichtes war, um ihn, durch ihn oder über ihn zu kommen, oder er legte sich, was er nannte, »quer über seinen Lauf.«

»Guten Morgen, Mylord,« sagte der schlichte gerade Seemann, der gewöhnlich alles anfaßte, wie wenn er an einen Seehund ging. »Ein schöner warmer Tag, und der Landgeruch nach einer so langen Fahrt ist der Nase ganz angenehm, wie beschwerlich auch immer das Auf- und Absteigen den Beinen sein mag.«

Die Begleiter des jungen Edlen machten erstaunte Mienen; und einige von ihnen, fürcht' ich, verriethen trotz dem, daß Würde und Ernst der Monikins-Physiognomie eigen sind, einige Neigung zum Lachen. Nicht so Mylord Chatterino selbst.

Er musterte uns einen Augenblick durch ein Glas und schien dann plötzlich und im Ganzen angenehm erstaunt über unser Erscheinen.

»Wie, Goldenkalb!« rief er erstaunt; »Sie in Springhoch! das ist in der That eine unerwartete Freude, denn ich kann jetzt meinen Freunden einige von den Thatsachen beweisen, wovon ich eben aus eigner Erfahrung sprach. Hier sind zwei von der Menschengattung, Leute, wovon ich Euch so eben sagte« – – und als er in seinen Gefährten eine Neigung zum Lachen bemerkte, stellte er sich ausserordentlich ernst: »haltet Euch ein wenig, Ihr Herrn, bitte. – Das sind würdige Leute, versichere Euch, – nach ihrer Weise und dürfen nicht verlacht werden. Ich wüßte kaum selbst in unsrer eignen Marine einen bessern und kühnern Segler, als diesen ehrlichen Seemann; und was den bunthäutigen da betrifft, kann ich Euch sagen, er ist wirklich eine Person von einiger Wichtigkeit in seinem kleinen Kreise. Er ist, glaube ich, ein Par – Par – nicht wahr, Sir John, ein Par – –«

»Parlamentsglied, Mylord, ein M. P.«

»Ach, ich wußt's wohl ein M. P. oder Parlamentsglied in seinem Land, was, glaube ich, bei seinem Volk so etwas ist, wie etwa bei uns ein öffentlicher Ausrufer der Gesetze, die von Sr. Majestät ältestem ersten Vetter ausgehen; so etwas, – eh, – s'ist – nicht? Sir John!«

»So etwas, Mylord.«

»Ganz recht, Chatterino;« fiel einer der jungen Monikins mit einem sehr verlängerten Schweif ein, den er fast senkrecht trug; »aber was wäre selbst ein Gesetzmacher, nichts zu sagen von einem Gesetz-Verlacher wie wir? Ihr solltet bedenken, mein Lieber, daß ein bloßer Titel oder ein Stand kein Zeichen von wahrer Größe ist; daß das Wunder eines Dorfs ein sehr gewöhnlicher Monikin in der Stadt sein kann.«

»Poh, Poh,« unterbrach Lord Chatterino, »du bist immer für Verfeinerung, Sir John Goldenkalb ist eine sehr ehrbare Person auf der Insel a – a; wie nennt Ihr die besagte Insel, Goldenkalb?«

»Groß-Britanien, Mylord.«

»Ja, ganz recht, Groß – Groß – Er ist eine angesehene Person, das darf ich sicher behaupten in Groß-Hoß (Great Breeches). Ich glaube, er besitzt keinen kleinen Theil davon selbst. Wie viel, Sir John, wenn wir die Wahrheit sagen?«

»Nur das Gut und Dorf Householder, Mylord, mit einigen zerstreuten Meierhöfen hier und da.«

»Nun, das ist nicht übel, freilich; dann haben Sie Geld bei der Hand?«

»Und wer ist Ihr Schuldner?« fragte schnippig der Baumläufer Hochschweif.

»Niemand anders, Mylord Hochschweif, als Großbritanien selbst.«

»Herrlich, hört! Eines Adligen Vermögen in dem Schuh von – von Gro – Griech –«

»Groß – Hoß!« fiel Lord Chatterino ein, der, ob wohl er schwur gegen seinen Freund, er sei ganz böse auf ihn wegen seiner Ungläubigkeit, doch sich selbst Gewalt anthun mußte, um nicht mitzulachen; »es ist ein sehr hübsches Land, versichre Euch; ich erinnre mich kaum, bessere Stachelbeeren irgendwo gegessen zu haben.« »Was, haben sie wirklich Gärten, Chatterino?«

»Gewiß, so'ne Art, und Häuser und öffentliche Anstalten und selbst Universitäten.«

»Du meinst doch gewiß nicht damit, daß sie ein System haben?«

»System, freilich, sie sind so an den Anfangsgründen. Ich kann freilich nicht sagen, daß sie ein System haben.«

»O ja, Mylord, – sicher wir haben eins, das sociale Anhaltpunkts-System.«

»Frag das Geschöpf,« lispelte hörbar der verächtliche Thor Hochschweif, »ob er selbst jetzt ein Einkommen hat.«

»Wie ist's, Sir John, habt Ihr ein Einkommen?«

»Ja, Mylord, hundert und zwölf Tausend Souverains das Jahr.«

»Was, was,« fragten zwei oder drei Stimmen mit vornehmem, unterdrücktem Eifer; »Souverains, das heißt ja König!«

Es scheint, die Springhocher, obgleich sie nur des Königs ältestem ersten Vetter gehorchen, verrichten doch alle offizielle Akte im Namen des Souverains selbst, für dessen Person und Charakter sie ziemlich allgemein die tiefste Verehrung zeigen; gerade wie wir Bewundrung vor einer Tugend äußern, die wir doch nie ausüben. Meine Erklärung erregte daher großes Staunen und ich mußte mich bald erklären. Das that ich ganz der Wahrheit gemäß.

»Ah Gold, das heißt Souverain!« riefen drei oder vier herzlich lachend. »Wie, sind denn deine berühmten Groß-Hoßen-Männer, Chatterino, noch so weit in der Kultur zurück, daß sie Geld haben? Hört, Signor Baldkalb, habt Ihr kein Geld in Promessen?«

»Ich weiß nicht, Sir, ob ich die Frage recht verstehe.«

»Ei, wir armen Barbaren, die, wie Ihr uns seht, nur in einem Zustand der Einfachheit und Natur leben,« es lag in jeder Silbe, die der unverschämte Schelm sprach, Spott und Ironie; »wir armen Wichte, oder vielmehr unsre Vorfahren, machten die Entdeckung, daß der Bequemlichkeit wegen, (da, wie Ihr sehet, wir keine Taschen haben,) es gut sein würde, all unsre Münze in Promessen zu verwandeln. Nun wollte ich fragen, ob Ihr so etwas habt.«

»Nicht als Münze, aber als verwandt damit, Sir, haben wir deren reichlich.«

»Er spricht von verwandt, als spräche er von einem Stammbaum. Seid Ihr wirklich, Herr Schulterkalb, so weit zurück in Eurem Land, daß Ihr nicht die ungeheuren Vortheile einer Münze in Promessen kennt?«

»Da ich nicht genau die Art dieser Münze begreife, Sir, kann ich Ihre Frage nicht recht beantworten.«

»Laßt es uns ihm erklären, denn ich gestehe, ich bin wirklich neugierig, seine Antwort zu vernehmen. Chatterino sei du, du bist etwas mit des Wesens Gewohnheiten bekannt, unser Dollmetsch.«

»Die Sache ist die, Sir John. Etwa vor fünf hundert Jahren, als unsre Vorfahren jene Stufe in der Civilisation erreicht hatten, wo sie den Gebrauch der Taschen ablegten, fanden sie nöthig, an die Stelle der Metallmünze eine andre zu setzen, da jene unbequem zum Tragen war, geraubt und nachgemacht werden konnte. Das erste war, ein leichteres Surrogat zu versuchen; Gesetze ergingen, wodurch Linnen und Wolle roh Werth erhielten; dann gesponnen und verarbeitet, dann beschrieben und in kleine Stücke verwandelt, bis nachdem es die verschiednen Stufen durchgemacht, Packpapier, Braunpapier, Löschpapier, und nachdem man den Plan gehörig vorbereitet hatte und das Vertrauen gänzlich gewonnen war, das System durch ein coup-de-main vollendet ward, Versprechen, wörtliche Promessen an die Stelle aller andern Münze traten. Ihr seht den Vortheil auf den ersten Blick. Ein Monikin kann ohne Taschen und Gepäck reisen und doch eine Million bei sich führen; das Geld kann nicht nachgemacht, nicht gestohlen, nicht verbrannt werden.«

»Aber Mylord, bringt es nicht den Preis des Eigenthums herab?«

»Gerade das Gegentheil; ein Acre, der früher für eine Promesse gekauft ward, beträgt jetzt tausend.«

»Das ist freilich eine Verbesserung; wenn nur nicht Fallimente – –«

»Gar nicht. Es fand sich kein Bankrott in Springhoch, seit das Gesetz die Promesse als legale Münze creirte.«

»Ich wundre mich, daß kein Schatzmeister je daran daheim dachte.«

»So viel von Eurem Großhoß, Chatterino!« und dann erschallte ein zweites und sehr allgemeines Lachen. Ich fühlte nie so tief meine nationale Erniedrigung.

»Da sie Universitäten haben,« rief ein andrer Thor, »so hat vielleicht diese Person eine von ihnen besucht.«

»Freilich, Sir,« antwortete ich, »ich bin nach aller Regel graduirt.«

»Es ist nicht leicht zu sagen, was er mit seiner Wissenschaft angefangen hat, denn obwohl ich nicht kurzsichtig bin, kann ich doch nicht die geringste Spur von einem Schweif an ihm bemerken.«

»Ach!« erklärte Lord Chatterino gutmüthig, »die Bewohner von Groß-Hoß tragen ihr Gehirn in ihren Köpfen.«

»In ihren Köpfen!«

»Köpfen!«

»Das ist vortrefflich, bei Sr. Maj. Prärogativen. Hier rächt sich die Civilisation.«

Ich glaubte nun, das allgemeine Lachen würde mich zu Boden werfen. Zwei oder drei kamen wie vor Erbarmen oder Neugier näher und zuletzt rief sogar einer, ich trüge wirklich Kleider.

»Kleider, der Schelm. Chatterino, tragen alle deine menschlichen Freunde Kleider?«

Der junge Pair mußte die Wahrheit gestehen und nun erhob sich solch ein Geschrei, als etwa unter den Pfauen entstanden sein mag, als sie die Dohlen unter sich verkleidet entdeckten, Menschen-Natur konnte nicht länger aushalten, ich verbeugte mich vor der Gesellschaft und Lord Chatterino sehr eilig guten Morgen wünschend, ging ich auf's Wirthshaus zu.

»Vergeßt nicht nach Chatterino-Haus zu kommen, Goldenkalb, ehe Ihr absegelt,« rief mein früherer Reisegefährte, sah über seine Schulter und nickte mir sehr freundlich zu.

»König!« rief Kapitain Poke, »der Schurke fraß einen ganzen Brod-Kasten voll Nüsse auf unsrer Reise und jetzt sagt er uns, nach Chatterino-Haus zu kommen, ehe wir absegeln.«

Ich versuchte, den Robbenjäger durch Anrufung seiner Philosophie zu beruhigen. Freilich vergäßen die Menschen nie Wohlthaten und wären ausserordentlich ängstlich darin, sie zu erwiedern; aber die Monikins wären ein gar unterrichtetes Volk; sie dächten mehr an ihre Seele als an ihren Leib, wie man klar sähe, wenn man die Kleinheit des letztern mit der Länge und Ausbildung des Sitzes ihres Verstandes betrachte. Ein Mann von seiner Erfahrung müsse wissen, daß gute Erziehung offenbar eine sehr willkührliche Sache ist, daß wir ihre Gesetze achten müssen, obwohl sie unsern frühern Gewohnheiten entgegen sind.

»Ich hoffe, Freund Noah, Ihr habt einen wesentlichen Unterschied zwischen den Sitten von Paris z. B. und denen von Stonington bemerkt?« »Freilich, Sir John; freilich, und zwar zum Vortheil von Stonington.«

»Wir haben alle die Schwachheit, unsre Sitten für die besten zu halten; und wir müssen viel gereist sein, ehe wir über so schwierige Punkte entscheiden können.«

»Und haltet Ihr mich nicht für einen großen Reisenden? Bin ich nicht sechszehn Mal auf dem Seehundfang gewesen, zwei Mal auf dem Wallfischfang, ohne meine Querreise über Land und diese letzte Tour nach Springhoch zu rechnen.«

»Ja, Ihr seid über viel Land und Wasser gegangen, Herr Poke, und Euer Aufenthalt ist gerade lange genug gewesen, die Fehler aufzufinden. Gebräuche muß man tragen, wie Schuhe, ehe man sagen kann, ob sie passen.«

Vielleicht würde Noah geantwortet haben, wäre nicht Mademoiselle Vigilanza Lynx in diesem Augenblicke auf eine Weise herbeigeschlichen, die zeigte, daß sie über ihre glückliche Rückkehr sehr erfreut war. In der That, während ich sie zu vertheidigen suchte, war ich durch Mylord Chatterino's Gleichgültigkeit innerlich insgeheim etwas contrariirt, wie die Franzosen es nennen, da ich sie bald der Art und Weise zuschrieb, wie etwa ein Pair des Reichs Springhoch de haut en bas einen blosen Baronet von Großbritanien oder Groß-Hoß (wie der junge Edle hartnäckig unser berühmtes Land nannte) betrachten würde.

Nun, da Mademoiselle Vigilanza von »röthlicher Farbe,« einer untern Klasse war, zweifelte ich nicht, sie würde eben so gern ihre Bekanntschaft mit Sir John Goldenkalb von Householder-Hall anerkennen, als die andern sich gern davon frei machten.

»Guten Morgen, gute Mademoiselle Vigilanza,« sagte ich zutraulich und bemühte mich, auf eine Art zu grüßen, daß sich dabei ein Schweif bewegt haben würde, wenn ich damit versehen gewesen; »guten Morgen, es freut mich, Sie am Ufer wieder zu treffen.«

Ich erinnere mich nicht, daß Vigilanza, während unsrer ganzen Bekanntschaft besonders spröde oder zurückhaltend in ihrem ganzen Benehmen gewesen: es war aber bescheiden und lobenswerth. Jetzt indeß täuschte sie alle vernünftige Erwartung, schreckte zurück und stieß einen leichten Schrei aus und eilte davon, als wenn wir sie beißen wollten. In der That, ich kann ihr Betragen nur mit dem eines Frauenzimmers bei uns vergleichen, das so voller Eitelkeit ist, daß sie glaubt, alle Augen hingen an ihr, und sich ein Ansehn wegen eines Hunds oder einer Spinne geben will, weil sie meinet, das mache sie um so interessanter. Von Unterhaltung konnte gar keine Rede sein, denn die Duenna eilte davon, den Kopf auf den Boden gerichtet, als wenn sie sich einer unvorsätzlichen Schwäche herzlich schäme.

»Schön, gute Dame,« sagte Noah, dessen ernster Blick ihren Bewegungen folgte, bis sie sich ganz unter dem Haufen verloren hatte; »du hättest eine schlaflose Reise haben sollen, wenn ich das gedacht. Sir John, diese Leute starren uns an, als wären wir wilde Thiere.«

»Das kann ich nicht sagen, Kapitain. Mir scheinen sie nicht mehr Notiz von uns zu nehmen, als wären wir zwei Hunde auf den Straßen von London.«

»Ich begreife jetzt, was die Pfarrer meinen, wenn sie von dem verlornen Zustand des Menschen reden. Es ist wirklich schrecklich, zu welchem Grad von Gefühllosigkeit ein Volk herabsinken kann. Bob, geh aus dem Wege, du grinzender Schurke.«

Damit erhielt Bob einen Gruß, der seinen Hinterbau demolirt haben würde, wäre die Unionsjacke nicht gewesen. Gerade jetzt war ich erfreut, Dr. Raisono auf uns zukommen zu sehen. Er war von einer Gruppe aufmerksamer Zuhörer umgeben, welche alle nach ihren Jahren, ihrem Ernst und Benehmen ohne Zweifel Gelehrte waren. Als er näher kam, fand ich, er erzähle von den Wundern seiner letzten Reise. Sechs Schritte von uns blieb der ganze Haufe stehen, der Doktor fuhr zu erzählen fort und zwar mit einem Geberdespiel und auf eine Weise, daß man sah, der Gegenstand sei von besonderm Interesse für seine Zuhörer. Zufällig sein Auge nach unsrer Seite richtend, bemerkte er unsre Gestalten und nach einigen schnellen Entschuldigungen an seine Umgebung, kam der herrliche Doktor eifrigst auf uns zu, beide Hände ausgestreckt. Da war doch ein Unterschied zwischen seinem Benehmen und dem Lord Chatterino's und der Duenna. Der Gruß ward warm erwiedert, und der Doktor und ich gingen ein wenig bei Seite, da er mir alsbald sagte, er wünsche mich allein zu sprechen.

»Mein lieber Sir John,« begann der Philosoph, »unsre Ankunft ist gerade zur rechten Zeit geschehen; ganz Springhoch ist schon davon voll, und Sie können kaum sich denken, welche Wichtigkeit man darauf legt. Neue Handelsquellen, wissenschaftliche Entdeckungen, moralische und physikalische Phänomene und Ergebnisse, die, glaubt man, die Monikins-Civilisation höher als jemals heben mögen. Zum Glück hält gerade heute die Academie ihre wichtigste Sitzung im ganzen Jahr und ich bin förmlich ersucht worden, der Versammlung eine Skizze von den Begebenheiten zu geben, welche vor kurzem unter meinen Augen vorgefallen sind. Des Königs ältester erster Vetter wird offen zugegen sein, und man vermuthet auf ganz zuverlässige Weise, daß der König selbst in eigner königlicher Person beiwohnen wird.«

»Wie« rief ich, »habt Ihr in Springhoch ein Mittel, Vermuthungen gewiß zu machen?«

»Ohne Zweifel, Sir, oder was nützte unsre Civilisation? Von Seiner Majestät reden wir immer in den offenbarsten Zweideutigkeiten. So bei vielen unsern Ceremonien, weiß man, ist der König moralisch zugegen, während er wirklich und physisch sein Mahl an einem andern Ende der Insel einnehmen kann. Diese wichtige Verherrlichung der königlichen Ubiquität wird vermittelst einer moralischen Fiktion bewirkt. Andrer Seits folgt oft der König seinem natürlichen Hang der Neugier, der Liebe des Scherzes, dem Abscheu vor Langeweile und kommt in Person, wenn die Hoffiction ihn auf seinem Thron in seinem königlichen Pallast sitzen läßt. O, in all diesen kleinen Vollkommenheiten und Reizen der Kunst der Wahrheit stehen wir hinter keinem Volk der Welt zurück.«

»Bitte, Doktor; so wird also diesen Morgen der König in der Academie erwartet?«

»In einer Privatloge. Nun diese Sache ist von der größten Wichtigkeit, für mich als Gelehrten, für Euch als Mensch (es wird unmittelbar dazu beitragen, Eure ganze Gattung in der Monikinschen Achtung zu heben), und drittens für die Gelehrsamkeit. Es wird unumgänglich nöthig sein, daß Ihr kommt und zwar mit so vielen Eurer Gefährten, als möglich, besonders von der besseren Classe. Ich war schon am Landungsplatz, in der Hoffnung, Euch zu treffen und ein Bote ist ins Schiff gegangen, damit die Leute alsbald ans Land gesetzt werden. Ihr werdet eine eigne Tribüne bekommen; und wirklich, ich mag nicht vorher sagen, was ich denke, welche Aufmerksamkeit man Euch schenken wird, aber so viel kann ich sagen, – Ihr sollt sehen.«

»Dieser Vorschlag, Doktor, hat mich ein wenig überrascht und ich weiß kaum, was ich antworten soll.«

»Ihr könnt nicht nein sagen, Sir John, denn sollte Seine Majestät hören, daß Ihr Euch weigertet, zu einer Versammlung zu kommen, der er beiwohnen soll, würde das ihn ernsthaft, und ich darf hinzufügen, mit Recht beleidigen; und ich könnte nicht für die Folgen stehen.«

»Ei, man sagte mir, alle Gewalt sei in den Händen von Seiner Majestät ältesten ersten Vetter, und so denke ich, könnt ich Seiner Majestät selbst ein Schnippchen schlagen.«

»Nicht in der öffentlichen Meinung, Sir John, die eine der drei Zweigen der Regierung ist. Unsre hat nämlich drei Gewalten: Gesetz, öffentliche Meinung und Praxis. Nach dem Gesetz regiert der König, nach der Praxis regiert sein Vetter, und nach der angenommenen Meinung regiert der König wieder. So wird der schwierige Punkt der Praxis durch die Gesetze und Meinung im Gleichgewicht gehalten. Das bewirkt die Harmonie und Vollkommenheit des Systems. – Nein, es ginge nie, Seine Majestät zu beleidigen.«

Obwohl ich des Doktors Beweisführung nicht recht begriff, hielt ich doch, da ich häufig in der menschlichen Gesellschaft Theorien getroffen, – politische, moralische, theologische und philosophische, an die Jedermann glaubte, und Niemand verstand, jeden weitern Streit für unnütz und gab nach, indem ich dem Doktor versprach, in einer halben Stunde, der zu unserm Erscheinen bestimmten Zeit, in der Academie zu sein. Nachdem er mir gehörig den Ort bedeutet, trennten wir uns, er seine Vorkehrungen zu beeilen, ich ein Wirthshaus zu erreichen, um mein Gepäck abzulegen, damit in nichts der Anstand bei einer so feierlichen Gelegenheit übersehen werde.


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