James Fenimore Cooper
Die Monikins
James Fenimore Cooper

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Erstes Kapitel.

Des Verfassers Stammbaum, – sowie auch der seines Vaters.

Der Philosoph, der eine neue Lehre verkündet, ist gehalten, wenigstens einige Grundbeweise von der Vernunftmäßigkeit seiner Sätze zu liefern, und der Geschichtschreiber, der Wunder zu erzählen wagt, die bis dahin von menschlicher Erkenntniß verborgen gehalten worden, ist es einer gebührenden Rücksicht für die Meinungen andrer schuldig, einige glaubhafte Zeugnisse für seine Wahrhaftigkeit beizubringen. Ich bin in Hinsicht dieser beiden großen Erfordernisse in einer besondren Lage, da ich für meine Philosophie wenig mehr als ihre Wahrscheinlichkeit, und keinen andern Zeugen als mich selbst aufzuweisen habe, um die wichtigen Thatsachen zu begründen, die jetzt zum ersten Mal der lesenden Welt vorgelegt werden sollen. In dieser Verlegenheit fühle ich recht wohl die Verantwortlichkeit, die ich auf mich nehme, denn es gibt Wahrheiten von so wenig anscheinender Wahrscheinlichkeit, daß sie Erdichtungen gleichen, und ferner der Wahrheit so ähnliche Erdichtungen, daß der gewöhnliche Beobachter geneigt ist zu versichern, er sei ein Augenzeuge ihrer Wirklichkeit gewesen; zwei Thatsachen, welche alle unsre Geschichtschreiber wohl thun würden sich zu Gemüth zu führen, da eine Kenntniß der Umstände ihnen den Schmerz ersparen würde, Zeugnisse, die ihnen viele Mühe kosten, in dem einen Fall in Mißcredit gebracht zu sehen, und in dem andern viele peinvolle und unnöthige Mühe zu vermeiden. Also sowohl in Hinsicht dessen, was der Franzose die pièces justificatives meiner Theorien nennen würde, als auch was meine Thatsachen betrifft, auf mich selbst zurückgewiesen, sehe ich keinen andern Weg, den Leser zu bewegen mir zu glauben, als indem ich eine ungeschminkte Nachricht von meiner Abstammung, Geburt, Erziehung und Leben bis zu der Zeit gebe, wo ich Augenzeuge jener wunderbaren Begebenheiten ward, die ich das Glück habe zu erzählen, und womit zu seinem Glück der Leser jetzt bekannt gemacht werden soll.

Ich werde mit meiner Abstammung, meinem Stammbaum beginnen, sowohl weil es die gewöhnliche Ordnung der Dinge so mit sich bringt, als auch um von diesem Theil meiner Erzählung gehörigen Vortheil zu ziehen, da er nicht nur dem übrigen Glaubwürdigkeit verschaffen wird, sondern auch dazu beitragen mag, Wirkungen auf ihre Ursachen zurückzuführen.

Ich habe mich gemeiniglich als auf gleichem Fuß mit den ältesten Edelleuten Europa's angesehen, da wenige Familien klarer und direkter in den Nebel der Zeiten hinaufgeführt worden, als die, deren Glied ich bin. Meine Abkunft von meinem Vater wird unbestreitbar dargethan sowohl durch die Pfarrregister als durch das Testament von ihm selbst; und ich glaube, niemand kann die Wahrheit des ganzen Stammbaums seiner Familie deutlicher beweisen, als ich es im Stande bin mit dem meines Vorfahrs bis zur Stunde, wo er, zwei Jahre alt, schreiend vor Kälte und Hunger in dem Kirchspiel St. Giles in Westminster in dem vereinten Königreich Großbritanien gefunden ward. Ein Orangen-Weib hatte Erbarmen mit seinem Leiden. Sie sättigte ihn mit einer Brodkruste, wärmte ihn mit Wermuthbier und dann geleitete sie ihn voll Menschlichkeit zu einem Manne, mit welchem sie von jeher häufige aber ärgerliche Verhandlungen hatte, – zu dem Gemeindeaufseher. Der Fall mit meinem Vorfahr war so dunkel, daß er ganz klar war. Niemand konnte sagen, wem er angehörte, woher er gekommen, oder was etwa aus ihm werden sollte; und da das Gesetz damals noch nicht zuließ, unter Umständen wie diese, die Kinder auf der Straße verhungern zu lassen, sah sich der Gemeindeaufseher, nachdem er alle geeignete Schritte gethan, um die Kinderlosen und Barmherzigen seiner Bekannten zu dem Glauben zu vermögen, solch ein verlassenes Kind sei als besondres Pfand von der Vorsehung einem jeden von ihnen ins Besondre bestimmt, genöthigt, meinen Vater der Obhut einer der gewöhnlichen Ammen des Kirchspiels zu übergeben. Es war ein großes Glück für die Authenticität dieses Stammbaums, daß des Orangen-Weibes Verwenden diesen Erfolg hatte, denn wäre mein Vater den glücklichen Zufällen und edelmüthigen Launen freiwilliger Wohlthätigkeit ausgesetzt gewesen, so ist es mehr als wahrscheinlich, ich würde einen Schleier über jene wichtigen Jahre seines Lebens werfen müssen, die er notorisch im Arbeitshause zubrachte, und die jetzt, in Folge dieses Vorfalls, leicht durch rechtskräftige Beweise und documentarische Evidenz beglaubigt werden können.

So geschieht es denn, daß in den Jahrbüchern unsrer Familie sich keine Lücken finden; selbst jene Periode, die gewöhnlich nur mit Mährchen und eitlen Erzählungen in dem Leben der meisten Männer ausgefüllt wird, ist Gegenstand eines gesetzlichen Aufzeichnens in dem Leben meines Vorfahren, und war es so immer bis zum Tag seiner angenommenen Volljährigkeit, da er einem sorgsamen Meister den Augenblick übergeben ward, wo der Pfarrsprenkel mit einigem gesetzlichen Grund, denn von Schicklichkeit und Anstand kann ja hier keine Rede sein, seiner los werden konnte. Ich hätte bemerken sollen, daß das Orangen-Weib von dem Schild eines Metzgers, dessen Thür gegenüber mein Vorfahr gefunden ward, Veranlassung nahm, ihm sehr scharfsinnig den Namen Thomas Goldenkalb zu geben.

Dieser zweite wichtige Uebergang in der Geschichte meines Vaters, seine Lehrzeit nämlich, kann als eine Vorbedeutung seines künftigen Glücks betrachtet werden. Er ward Lehrling bei einem Händler in Mode-Artikeln, bei einem Ladeninhaber, der mit solchen Gegenständen verkehrte, wie sie gewöhnlich von denen gekauft werden, die nicht recht wissen, was sie mit ihrem Gelde thun sollen. Dieses Gewerb war von ausserordentlichem Nutzen für das künftige Wohlergehen des jungen Abentheurers, denn ungerechnet die bekannte Thatsache, daß die, welche ergötzen, weit besser bezahlt werden, als die, so belehren, so setzte ihn auch seine Stellung in den Stand, jene Launen der Menschen zu studieren, welche, wenn gehörig geleitet, an sich selbst eine Mine des Reichthums sind, und ausserdem zu der wichtigen Wahrheit führen, daß die größten Begebenheiten dieses Lebens weit öfter das Ergebniß des bloßen Antriebs als der Berechnung sind.

Ich habe es in direkter Ueberlieferung mündlich von den Lippen meines Großvaters überkommen, daß niemand in dem Charakter seines Herrn hätte glücklicher sein können als er selbst; dieser Mann, der zu rechter Zeit als mein Großvater von mütterlicher Seite sich erwieß, war einer jener vorsichtigen Krämer, die andre aus eignem Vortheil in ihren Thorheiten bestärken, und die Erfahrung von fünfzig Jahren hatte ihn in den Kniffen seines Handwerks so gewandt gemacht, daß er selten eine neue Ader in seiner Mine anschlug, ohne sich für sein Beginnen durch einen Erfolg belohnt zu sehen, der seinen Erwartungen gänzlich entsprach.

»Tom,« sagte er eines Tags zu seinem Lehrling, als die Zeit Vertrauen zwischen ihnen hervorgebracht, und gleiche Gefühle geweckt hatte, »du bist ein glücklicher Junge, oder der Gemeindeaufseher hätte dich nie zu meiner Thür gebracht. Du kennst schlecht den Reichthum, der für dich aufgespeichert ist, alle die Schätze, die zu deinem Befehl stehen, wenn du dich eifrig erweisest, und besonders treu meinen Interessen bist.« Mein vorsichtiger Großvater ließ selten eine Gelegenheit vorübergehen, ohne eine nützliche Moral einfließen zu lassen, obgleich auch im Allgemeinen sein Handel durch Wahrhaftigkeit sich auszeichnete. »Nun wie hoch denkst du, Junge, beläuft sich mein Kapital?«

Mein Vorgänger in männlicher Linie wagte keine Antwort, denn bis jetzt waren seine Gedanken auf den Profit beschränkt gewesen, und nie hatte er gewagt, seine Ideen bis zu jener Quelle zu erheben, aus der, wie er nothwendig sehen mußte, er in reichem Strom herfloß; aber auf sich selbst beschränkt durch diese unerwartete Frage, und schnell in den Zahlen, fügte er zehn Prozent zu der Summe, welche, wie er wußte, letztes Jahr der Netto-Gewinn ihrer vereinten Kunstfertigkeit gewesen, hinzu, und nannte den Betrag als Antwort auf die Frage.

Mein Großvater von mütterlicher Seite lachte meinem direkten Lenear-Vorfahren gerade zu in das Gesicht. »Du urtheilst, Tom,« sagte er, als seine Lustigkeit sich ein wenig gelegt hatte, »nach dem, was du für die Interessen des wirklichen Kapitals vor deinen Augen hältst, während du auch das in Rechnung bringen solltest, was ich unser schwebendes Kapital nenne.«

Tom sann einen Augenblick; denn wenn er auch wußte, daß sein Herr Geld in den Fonds hatte, so rechnete er doch das nicht als einen Theil der verfügbaren Mittel, die mit seinem gewöhnlichen Geschäft zusammengehangen hätten; und in Hinsicht des schwebenden Kapitals sah er nicht recht ein, wie es von großem Belang sein konnte, da das Mißverhältniß zwischen dem Einkaufspreiß und den Verkaufspreißen der einzelnen Artikel, womit sie handelten, so groß war, daß bei einer solchen Untersuchung nicht viel herauskommen konnte. Da jedoch sein Herr selten für etwas bezahlte, bevor er nicht im Besitz des Einkommens davon war, welches die Schuld einige sieben Mal überstieg, dachte er anfangs, der alte Mann spiele auf die Vortheile an, die er durch Credit erlangte, und nach einigem weitern Nachdenken faßte er ein Herz und sagte noch ein Mal soviel.

Nochmals überließ sich mein mütterlicher Großvater einem herzlichen Lachen. »Du bist geschickt auf deine Art, Tom«, sagte er, »und ich liebe die Genauheit deiner Rechnungen, denn sie zeugen von Talent für die Handlung; aber in unserm Beruf liegt Genie sowohl als Geschicklichkeit. Komm hierher, Junge,« fügte er hinzu, und zog Tom an ein Fenster, von wo sie die Nachbarn auf ihrem Weg zur Kirche sehen konnten, denn an einem Sonntag überließen sich meine zwei vorsichtigen Vorfahren diesen moralischen Ansichten von der Menschheit, als besonders passend für diesen Tag. »Komm hierher, Junge, und du sollst einen kleinen Theil jenes Kapitals sehen, welches, während du es versteckt glaubst, draußen herschreitet am Tageslicht und in den offenen Straßen. Hier, du siehst das Weib unseres Nachbars, des Pastetenbäckers, mit welchem Air wirft sie ihr Haupt, und zeigt die Schleife, die du ihr gestern verkauftest; nun eben jene, müßig und eitel, und wenig trauenswerth wie sie ist, sie trägt einen Theil meines Kapitals bei sich.«

Mein würdiger Vorfahr staunte, denn er wußte nicht, daß der andere jemals sich einer solchen Unvorsichtigkeit schuldig gemacht, um einem Weibe zu trauen, das, wie sie beide wußten, mehr kaufte, als ihr Mann zu bezahlen Willens war.

»Sie gab mir eine Guinee, Meister, für das, was nicht sieben Shillinge kostete.»

»Freilich, Tom, und Eitelkeit trieb sie dazu; ich stelle auf ihre Thorheit, Junge, und auf die aller andern, Wechsel aus; nun siehst du nicht, mit welchem Kapital ich meine Geschäfte führe. Dort, dort ist die Magd, die da hinten die Oberschuhe trägt; ich zog erst letzte Woche auf mein Kapital in jenes Weibes Besitz eine halbe Krone.«

Tom dachte lange Zeit über diese Anspielungen seines vorsichtigen Meisters nach, und obgleich er sie fast eben so gut verstand, als sie von den Eigentümern der sanften Augen und sich spreitzenden Backenbärten unter meinen Lesern verstanden sein werden, gelangte er doch durch Nachdenken zuletzt zu einem praktischen Verstehen des Gegenstandes, den er, ehe er noch in den dreißigen war, ziemlich wohl, um einen französischen Ausdruck zu gebrauchen, exploitirt hatte.

Ich höre nach unbestreitbarer Ueberlieferung, die ich auch aus dem Mund seiner Zeitgenossen empfangen, daß die Ansichten meines Vorfahrs zwischen zehen und vierzig einige wesentliche Veränderungen erlitten; ein Umstand, der mich oft auf den Gedanken gebracht, daß man wohl thun würde, nicht zu sehr auf seine Grundsätze während der beugsamen Periode des Lebens zu vertrauen, wo das Gemüth, gleich dem zarten Schößling, leicht auf die Seite gewandt und der Einwirkung der umgebenden Ursachen unterworfen wird.

Während der früheren Jahre der Bildungsperiode bemerkte man in meinem Vorfahr lebhafte Gefühle des Mitleids beim Anblick von verlassenen Kleinen; auch sah man ihn niemals an einem Kind, besonders an einem Knaben vorübergehen, der noch im Flügelkleide war, und vor Hunger in den Straßen schrie, ohne seine Brodkruste mit ihnen zu theilen. In der That diese seine Gewohnheit soll beständig und gleichförmig gewesen sein, jedes Mal wenn dies Begegnen Statt hatte, nachdem mein würdiger Vater sein eignes Mitgefühl durch ein gutes Mittagessen geschärft hatte, ein Umstand, der einer lebhaftemrn Mitempfindung des Vergnügens, das er verschaffen wollte, zugeschrieben werden mag.

Nach seinem sechszehnten Jahre hörte man ihn manchmal von Politik reden, ein Gegenstand, über den er sich vor seinem zwanzigsten mit Erfahrung und Beredsamkeit ausließ. Sein gewöhnliches Thema war Gerechtigkeit und die heiligen Rechte des Menschen, über welche er bisweilen sehr glänzende Sprüche äußerte, wie sie recht eigentlich einem Manne zukamen, der auf dem Boden des großen Staatstopfs sich befand, welcher damals wie jetzt, tüchtig kochte, und wo ihm die Hitze, die den Topf in Wallungen erhielt, am fühlbarsten ward. Man versichert mich, über Taxen, über die Unbilden Amerika's und Irland's konnten wenig junge Leute in dem Pfarrsprengel mit mehr Eifer und Salbung reden. Um diese Zeit hörte man ihn auch in den Straßen rufen: Wilkes und Freiheit!

Aber wie dies bei allen Leuten von seltnen Fähigkeiten so ist, es fand sich im Gemüth meines Vorfahrs eine Centralisation von Kräften, welche bald alle seine herumschweifenden Sympathien, den bloßen Auswuchs lebhafter, überfließender Gefühle, zu einer gehörigen und nützlichen Unterwerfung brachte, indem sie alles in das Eine verschlingende und geräumige Gefach seines eignen Selbst zusammenfaßte. Ich nehme für meinen Vater in der Hinsicht nichts Besondres in Anspruch; wie oft habe ich solche Leute beobachtet; gleich unvernünftigen Reutern, die, ehe sie nur noch fest im Sattel sitzen, vielen Staub erregen, und herum trotten, als wenn die Heerstraße für ihre excentrische Ritte zu enge wäre, die aber hernach gerade auf ihr Ziel losschießen, wie der Pfeil vom Bogen, – ihnen gleich überlassen sich die Meisten beim Eintritt in ihre Laufbahn ihren überschwenglichen Gefühlen, sind aber später gerade die, die am ersten eine gehörige Herrschaft darüber erlangen, und sie in die Schranken des gesunden Menschenverstandes und der Klugheit einschließen. Vor seinem fünf und zwanzigsten Jahr war mein Vater ein so exemplarischer und beständiger Anhänger des Plutus, als nur irgend jemand damals zwischen Ratcliffe-Highway und Bridge-Street gefunden ward, – ich nenne diese Orte besonders, da alle übrige in der großen Hauptstadt, in der er geboren ward, wie man weiß, in Hinsicht des Geldes gleichgültiger sind.

Mein Vorfahr war gerade dreißig Jahr alt, als sein Herr, der wie er selbst ein Junggesell war, sehr unerwartet und zu bedeutendem Aergerniß der Nachbarschaft einen neuen Inwohner in seinen spärlichen Haushalt in der Person eines kleinen Mädchens einführte. Jemand mußte ebenfalls auf sein Kapital von Schwachheit spekulirt haben; denn dieß arme, kleine, hülflose, verlassene Wesen ward seiner Sorgfalt, wie Tom selbst, von der Wachsamkeit des Gemeindeaufsehers übergeben. Viele gutgemeinte Scherze ergingen von Seite der Witzigeren seiner Nachbarn bei dieser plötzlichen Wendung seines Glücks über den gedeihenden Modehändler, und nicht geringen, böswilligen Hohn erhielt er hinter seinem Rücken, da viele der Kundigen in der Nachbarschaft eine weit stärkere Aehnlichkeit des kleinen Mädchens mit all den andern unverheiratheten Männern der acht oder zehn anstoßenden Straßen als mit dem würdigen Haushälter finden wollten, der zu ihrem Unterhalt ausersehen worden. Ich war sehr geneigt, die Ansicht dieser edlen Beobachter als Autorität in meinem Stammbaum anzunehmen, weil ich dadurch das Dunkel, worin alle alten Geschlechter wurzeln, um eine Generation früher erreicht haben würde, als wenn ich zugebe, daß die kleine Betsey die Tochter von dem Herrn meines directen männlichen Vorfahren gewesen; aber bei näherem Nachdenken habe ich mich entschlossen, der weniger allgemeinen, aber einfacheren Auslegung der Sache beizustimmen, da sie mit der Vererbung eines nicht kleinen Theils unseres Besitzes zusammenhängt, ein Umstand, der an und für sich schon der Genealogie Würde und Wichtigkeit gibt.

Was aber auch immer die Ansichten des vermeintlichen Vaters in Hinsicht seiner Rechte auf die Ehren dieses edlen Titels gewesen sein mögen, er faßte bald eine so feste Zuneigung zu dem Kinde, als wenn es ihm wirklich sein Dasein verdankte. Das kleine Mädchen ward sorgfältig gewartet, reichlich genährt und gedieh auch demgemäß. Sie hatte ihr drittes Jahr erreicht, als der Modehändler von seiner kleinen Puppe, die sich eben von dieser Krankheit erholte, die Blattern bekam, und nach dem zehnten Tag starb.

Das war ein unvorhergesehener und betäubender Schlag für meinen Vorfahr, der damals in seinem 35. Jahre stand, und Hauptcommis des Geschäfts war, welches mit den wachsenden Thorheiten und Eitelkeiten der Zeit gewachsen war. Bei Eröffnung von seines Herrn Testament fand sich, daß meinem Vater, der allerdings zuletzt bedeutend zur Erwerbung des Geldes mitgewirkt hatte, der Besitz des Geschäfts, die Verfügung über alle Fonds und die alleinige Verwaltung des Vermögens überlassen ward. Ihm ward auch die ausschließliche Vormundschaft über die kleine Betsey anvertraut, der sein Herr gütigst jeden Shilling seines Vermögens vermachte.

Ein gewöhnlicher Leser wird sich vielleicht erstaunen, daß ein Mann, der so lange die Schwachheiten der Menschen ausgebeutet, so viel Zutrauen auf einen bloßen Commis gehabt haben sollte, um seinen ganzen Besitz so vollständig in seiner Hand zu lassen, aber man muß sich erinnern, daß der menschliche Scharfsinn noch kein Mittel ausgefunden, wodurch wir unsere Habe mit in die andere Welt nehmen können, man muß sich erinnern, daß, was nicht zu ändern, ertragen werden muß, daß er notwendigerweise dieses wichtige Vertrauen zu einem seiner Nebenmenschen haben mußte, und daß es besser war, die Verwaltung seines Geldes einem zu überlassen, der das Geheimniß wußte, wie es aufgehäuft worden, und also weniger Antrieb zur Unredlichkeit hatte, als einem, der den Lockungen der Begehrlichkeit ausgesetzt war, ohne Kenntnis von den directen und gesetzlichen Mitteln zu haben, sein Verlangen zu stillen. Man hat daher angenommen, daß der Erblasser, indem er sein Geschäft einem Manne überließ, der so sehr alle dessen Vollkommenheiten, moralische und pekuniäre, zu würdigen wußte, wie mein Vorfahr, in der festen Ueberzeugung stand, er sichre ihn hinlänglich vor aller Versuchung der Sünde des Raubs und Betrugs, indem er ihn so sehr mit den einfachern Mitteln sich zu bereichern versähe. Außerdem muß man auch billiger Weise annehmen, daß die lange Bekanntschaft hinlängliches Vertrauen erzeugt hatte, um die Wirkung jenes Sprüchworts zu schwächen, das ein Witzbold einem Possenreisser in den Mund gelegt hat: »Macht mich zu eurem Testamentsvollstrecker, Vater, und ich kümmere mich nichts darum, wem ihr das Erbe laßt.«

Dem sei, wie ihm wolle, nichts ist sichrer, als daß mein würdiger Vorfahr das ihm Anvertraute mit der gewissenhaftesten Treue eines Mannes ausführte, dessen Rechtschaffenheit in der Moral des Handels streng geschult worden. Die kleine Betsey wurde ihrem Stand gemäß erzogen, und über ihre Gesundheit so sorgfältig gewacht, als wenn sie statt die einzige Tochter eines Modehändlers die einzige Tochter des Fürsten gewesen; ihre Aufführung wurde beaufsichtigt von einer bejahrten Dame, ihr Geist seiner ursprünglichen Reinheit überlassen, ihre Person eifersüchtig gegen die Pläne gieriger Glücksritter geschützt; ja, um die lange Reihe seiner väterlichen Aufmerksamkeiten und Sorgen voll zu machen, trug mein wachsamer und treuer Vorfahr, um allen Zufällen zuvorzukommen und soweit es menschlicher Vorsicht gestattet wäre, allen Wechseln des Lebens entgegenzuarbeiten, Sorge, sie gesetzlich den Tag, wo sie ihr 19. Jahr erreicht hatte, an den Mann zu verheirathen, welchen, wie wir alle Ursache zu glauben haben, er für den untadeligsten seiner Bekannten hielt, – mit andern Worten an sich selbst. Nähere Bestimmungen waren zwischen beiden Theilen unnöthig, da sie so lange mit einander bekannt gewesen, und bei der großen Freigebigkeit von seines frühern Herrn Testament, bei der langen Minderjährigkeit, und dem Eifer des ehemaligen Hauptcommis, war der Ehesegen kaum gesprochen worden, als unsre Familie in den unbestrittenen Besitz von 400,000 Pf. eintrat. Ein in Hinsicht der Religion und Gesetze weniger gewissenhafter Mann würde es nicht für nöthig gehalten haben, der verwaisten Erbin nach Ablauf der Vormundschaft eine so befriedigende Versorgung zu bereiten.

Ich war der fünfte von den Kindern aus dieser Verbindung, und der einzige unter ihnen, der über das erste Jahr hinauskam. Meine arme Mutter überlebte meine Geburt nicht, und so kann ich von ihren Eigenschaften nur nach jener wichtigen Quelle aller Familienarchive, der Überlieferung, reden. Nach allem, was ich gehört, muß sie ein sanftes, ruhiges, häusliches Weib gewesen sein, die durch Charakter und andere Eigenschaften ausgezeichnet, wohl im Stande war, die klugen Plane meines Vaters für ihre Wohlfahrt zu unterstützen. Wenn sie Ursachen zu Klagen hatte (und daß sie deren hatte, müssen wir denken, denn wer ist ohne sie?), wurden sie mit weiblicher Treue verheimlicht und in dem heiligen Schreine ihres eignen Herzens versteckt; und wenn die trügerische Phantasie manchmal ihr dunkel die Umrisse ehelicher Glückseligkeit verschieden von den Umständen entwarf, die in trüber Wirklichkeit ihr vor Augen standen, verweilte sie nur bei dem Gemälde mit einem Seufzer und zog sich zurück in ein Gemach, wozu niemand den Schlüssel berührte als sie selbst und auch sie selten.

Von diesem unterdrückten und wenig auffallenden Gram, (denn manchmal, fürchte ich, kam es zu dieser Stärke des Gefühls,) hatte mein edler und unermüdlicher Vorfahr, so schien es, keine Ahnung. Er fuhr fort in seinen Geschäften mit seiner gewöhnlichen einförmigen Hingebung, und das letzte, was ihm in den Sinn gekommen, wäre der Zweifel gewesen, daß er in seiner Vormundschaft nicht genau seine Pflicht gethan. Wäre es so gewesen, sicher hätte niemand mehr durch sein Unterlassen gelitten als ihr Gemahl, und niemand mehr Recht zur Klage gehabt. Da sich aber ihr Gemahl nie eine solche Beschuldigung auch nur zu machen gedachte, ist es gar nicht zu erstaunen, daß mein Vorfahr in Unwissenheit von seines Weibes Kummer bis zur Stunde seines Todes verblieb.

Es ist schon bemerkt worden, daß die Ansichten des Nachfolgers von dem Modehändler einige wesentliche Veränderungen zwischen den Jahren zehen und vierzig erlitten. Nachdem er sein zwei und zwanzigstes Jahr erreicht, oder mit andern Worten, sobald er für sich selbst sowohl als seinen Herrn Geld zu verdienen begann, hörte er auf »Wilkes und Freiheit!« zu rufen; man vernahm während der ganzen fünf Jahre, die auf seine Volljährigkeit folgten, keine Sylbe von ihm über die Verpflichtungen der Staatsgesellschaft, dem Schwachen und Unglücklichen gegenüber; er berührte die Pflichten des Christen nur leichthin, nachdem er fünfzig Pfd. reich geworden, und über die Thorheiten der Menschen zu spotten, – das wäre niedrige Undankbarkeit von einem Manne gewesen, der so augenscheinlich sein Brod durch sie verdient hatte. Doch waren um diese Zeit seine Bemerkungen über Taxen ganz besonders bitter und wohl angebracht. Er spottete über die Staatsschuld wie über einen Fluch des Staats, und sagte vorbedeutungsvoll, in Folge der Lasten und Beschwerden, die sie stündlich auf die schon überladenen Schultern des Kaufmanns häufe, die Auflösung der Staatsgesellschaft voraus.

Die Zeit seiner Vermählung und Nachfolge in den Kisten und Kasten seines früheren Herrn kann als die zweite Epoche in den Ansichten meines Vorfahren angesehen werden. Von diesem Augenblick an stieg sein Ehrgeiz, seine Ansichten erweiterten sich wie seine Mittel, und seine Betrachtungen über sein großes schwebendes Kapital wurden tiefer und philosophischer. Ein Mann von meines Vaters angebornem Scharfsinn, dessen ganze Seele in Verfolgung des Gewinns vertieft war, der so lange seinen Geist durch den Verkehr mit den Elementen der menschlichen Schwächen gebildet hatte, und schon 400,000 Pf. besaß, mußte natürlich für sich einen erhabneren Weg nach der Größe einschlagen, als der war, auf welchem er so mühsam während der Jahre peinlicher Prüfung gewandert war.

Das Eigenthum meiner Mutter war hauptsächlich in guten Verschreibungen und Pfändern angelegt worden, da ihr Beschützer, Patron, Wohlthäter und vom Gesetz bestellter Vater einen unbesiegbaren Widerwillen dagegen hatte, sich der seelenlosen, conventionellen, unbegränzten Körperschaft, dem Staate zu vertrauen. Das erste Zeichen, das mein Vater von einer Veränderung seiner beabsichtigten Bestrebungen gab, war, daß er alle seine Ausstände einkassirte, und so den Napoleonischen Plan annahm; er concentrirte seine Kräfte in Einen Punkt, um dann mit Massen zu operiren. Um diese Zeit hörte er auch plötzlich auf, über Taxen zu spotten. Diesen Wechsel kann man dem vergleichen, der mit der Sprache ministerieller Blätter vorgeht, wenn sie aufhören einen fremden Staat zu höhnen, mit welchem die Nation Krieg geführt, den man aber endlich für zweckmäßig hält zu beendigen; und es geschah auch fast aus denselben Gründen, da es die Absicht meines listigen Vorfahrs war, eine Macht sich zum Verbündeten umzuschaffen, die er bisher immer als einen Feind behandelt hatte. Das Ganze der 400,000 Pf. wurde freigebig dem Land vertraut, und der frühere Modehändlers Lehrling betrat den Kampfplatz der tugendhaften und patriotischen Börsenspekulation als Bulle, wenn auch mit mehr Vorsicht, doch wenigstens mit einem Theil der Energie und Störrigkeit jenes verzweifelnden Thiers, das dieser Klasse von Abentheurern den Namen gibt. Erfolg krönte seine lobenswerthen Bestrebungen, das Gold strömte auf ihn ein, wie Wasser bei der Fluth, und erhob ihn, Geist und Körper, zu jener neidenswerthen Höhe, wo, wie es scheinen möchte, allein der rechte Anblick von der Gesellschaft in ihren unzähligen Phasen erlangt werden kann. All seine früheren Ansichten vom Leben, welche er, wie alle andre von ähnlicher Herkunft und ähnlichen politischen Gefühlen, in den frühsten Jahren sich gebildet hatte, und welche mit Recht nähere Ansichten genannt werden können, wurden jetzt vollständig durch die höhere und weitre Aussicht, die sich vor ihm aufthat, verdunkelt.

Ich fürchte die Wahrheit wird mich zuzugeben nöthigen, daß mein Vorfahr nie in der gewöhnlichen Bedeutung des Worts wohlthätig war, aber dann behauptete er immer, seine Theilnahme an seinen Mitgeschöpfen sey von einer höheren Art, umfasse in einem Gesammtblick alle Quellen des Guten und Bösen, sei von jener Art Liebe, die den Vater bestimmt, sein Kind zu züchtigen, damit die Lehre des gegenwärtigen Leidens die Wohlthat künftigen Wohlverhaltens und Brauchbarkeit hervorbringe. Nach diesen Grundsätzen verfahrend, entfremdete er sich immer mehr von seinen Mitmenschen, ein Opfer, das wahrscheinlich die Strenge seiner durch die That bewiesenen Mißbilligung ihrer wachsenden Schlechtigkeit und die unnachsichtliche Staatsklugheit erheischte, die nöthig war, um ihr Gewicht zu geben. Um diese Zeit fühlte auch mein Ahnherr recht innig, was man den Werth des Geldes nennt, ein Gefühl, das meiner Meinung nach ihrem Besitzer eine mehr als gewöhnlich lebhafte Würdigung der Gefahren verleiht, denen diese edle Metalle ausgesetzt sind, sowie es ihn ihre Vorrechte und Anwendung ganz besonders kennen lehrt.

Er ließ sich gelegentlich über die Bürgschaften und Garantie'n aus, die man nothwendig der Staats-Gesellschaft ihrer eignen Sicherheit wegen leisten müsse, stimmte nie, selbst nicht für einen Gemeindediener, wenn er nicht ein eifriger, solider Bürger war, und fing nachgerade an auch als Subscribent bei den patriotischen Fonds und den andern ähnlichen kleinen moralischen und pecuniären Stützen der Regierung aufzutreten, deren allgemeiner und lobenswerther Zweck ja sei, unser Land, unsre Altäre und unsern Heerd zu schützen.

Meiner Mutter Sterbebett ist mir als ein rührender, trauervoller Auftritt beschrieben worden. Es scheint, daß in dem Maße, als diese sanfte, eingezogene Frau der Hülle der Sterblichkeit sich entwand, ihr Geist heller, ihre Seelenkräfte stärker und ihr Charakter in jeder Hinsicht höher und gebietender ward. Obgleich sie weit weniger als ihr Gemahl von unserm »Heerd und unsern Altären« gesprochen, sehe ich doch keinen Grund zu zweifeln, daß sie immer ganz ebenso treu dem erstern und ebenso andächtig bei den andern gewesen. Ich werde ihren Übergang von dieser zu einer bessern Welt beschreiben, wie ich es oft von den Lippen eines Mannes vernommen, der zugegen war, und später mich vorzüglich zu dem machte, der ich bin. Dieser Mann war der Pfarrer der Gemeinde, ein frommer Geistlicher, ein Gelehrter und ein Mann von Ehre sowohl durch seinen Charakter als durch die Geburt.

Meine Mutter, obgleich seit langem sich bewußt, daß sie sich ihrem letzten großen Tag nähere, hatte standhaft verweigert, ihren Gemahl seinen alles verschlingenden Geschäften zu entziehen, indem sie ihn von ihrer Lage hätte benachrichtigen lassen. Es war ihm bekannt, daß sie krank sei, sehr krank, wie er wohl denken mußte, aber da er ihr nicht nur vergönnte, sondern auch von freien Stücken allen Rath, alle Hilfe ihr zukommen ließ, die Geld verschaffen konnte (mein Vorfahr war kein Geizhals in der gemeinen Bedeutung des Worts), so glaubte er alles gethan zu haben, was ein Mensch in Hinsicht auf Leben und Tod thun könnte, denn solche Fälle, gestand er, stünden nicht unter seiner Kontrolle. Er sah den Dr. Ethrington, den Oberpfarrer, täglich kommen und gehen einen Monat lang, ohne Unruhe, ohne Befürchtung; denn er dachte die Unterredung mit ihm werde einen beruhigenden Einfluß auf meine Mutter ausüben, und er hatte eine große Vorliebe für alles, was ihn ungestört der Beschäftigung überließ, worin sich jetzt alle seine Geisteskräfte so ausschließlich concentrirt hatten. Der Arzt erhielt bei jedem Besuch seine Guinee mit gewissenhafter Pünktlichkeit, die Wärterinnen waren wohl aufgenommen und wohl zufrieden, denn Niemand mischte sich in ihr Geschäft als der Arzt, und alle sonstige ihm obliegende Dienste wurden so regelmäßig von meinem Vorfahren erfüllt, als wenn das hinwelkende ergebene Wesen, von dem er bald für immer getrennt werden sollte, die freie Wahl seiner jugendlich frischen Zuneigung gewesen.

Als daher ein Diener hereintrat, um zu melden, Dr. Ethrington wünsche eine geheime Unterredung, war mein würdiger Vorfahr, der sich keiner Vernachlässigung irgend einer dem Freund der Kirche und des Staats zukommenden Pflicht bewußt fühlte, nicht wenig betroffen.

»Ich komme, Herr Goldenkalb, mit einer traurigen Botschaft«, sagte der fromme Oberpfarrer, indem er in das geheime Kabinet trat, wozu auf sein Verlangen er zum ersten Mal zugelassen worden.« Das schreckliche Geheimniß kann Ihnen nicht länger vorenthalten werden, und Ihre Frau gibt endlich ihre Einwilligung, daß es Ihnen durch mich offenbart werden soll.«

Der Pfarrer hielt ein, denn bei solchen Gelegenheiten ist es vielleicht nicht übel, wenn man den Theil, der erschüttert werden soll, etwas von dem Schlag durch sein eignes Errathen aufnehmen läßt: und ziemlich geschäftig soll auch bei dieser peinlichen Gelegenheit die Einbildungskraft meines Vaters gewesen sein. Er ward blaß, öffnete seine Augen, bis sie wieder gänzlich die Höhlen füllten, in die sie allmählig seit zwanzig Jahren eingesunken, und that mit ihnen hundert Fragen, die seine Zunge sich zu thun weigerte.

»Es ist nicht möglich, Herr Pfarrer«, sagte er endlich kläglich, »daß ein Weib wie Betsey, einen Blick in die, mit der letzten großen geheimen Reise verbundenen Vorfälle sollte gethan haben, die meiner Sorge und Erfahrung entgangen sind.»

»Ich fürchte, Sir, Madame Goldenkalb hat Blicke in jene letzte große geheime Reise gethan, zu der wir uns alle früher oder später einschiffen müssen, die aber gänzlich ihrer Wachsamkeit entgangen sind. Aber davon will ich ein ander Mal sprechen. Jetzt ist es meine peinliche Pflicht, Sie zu benachrichtigen, daß der Arzt der Meinung ist, Ihre vortreffliche Frau werde nicht das Ende des Tags, vielleicht nicht dieser Stunde erleben.«

Mein Vater ward von dieser Botschaft betroffen, und länger als eine Minute blieb er schweigend und ohne Regung. Er warf seine Augen auf die Papiere, mit welchen er so eben beschäftigt gewesen, und die einige sehr wichtige mit dem nächsten Abschlußtag zusammenhängende Berechnungen enthielten, und begann alsdann endlich: »Wem dem wirklich so ist, Herr Pfarrer, wird es gut sein, mich zu ihr zu begeben, da in ihrer Lage die arme Frau mir in der That etwas von Wichtigkeit mitzutheilen haben kann.« – »Zu dem Zweck bin ich jetzt gekommen, Ihnen die Wahrheit zu sagen«, antwortete ruhig der Geistliche, der wohl wußte, daß durch Bestreitung seiner ihn ganz beherrschenden Schwachheit mit einem solchen Mann in einem solchen Augenblick nichts zu gewinnen war. Mein Vater nickte mit dem Kopf Beistimmung, und nachdem er erst sorgsam die offenen Papiere in einem Sekretär verschlossen, folgte er seinem Gefährten zum Bette seines sterbenden Weibes.


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